Richtlinie des BMF vom 12.02.2019, BMF-010206/0094-IV/9/2018
11. Gebührenpflichtige Rechtsgeschäfte ( § 15 GebG)
11.1. Allgemeines

11.1.1. Rechtsgeschäfte

420Allram in Bergmann/Pinetz (Hrsg), GebG Aufl. 2 (2020) § 15 GebGBFG 22.3.2017 - RV/7100286/2015Rechtgeschäfte sind privatgeschäftliche Willenserklärungen, die auf die Begründung, Aufhebung oder Abänderung von Rechtsverhältnissen gerichtet sind. Das Gebührengesetz 1957 knüpft hinsichtlich des Abschlusses von Rechtsgeschäften an das Vertragsrecht des bürgerlichen Rechts an. Es umschreibt die Tatbestände des § 33 GebG im Allgemeinen mit Begriffen des Zivilrechts. Für die Abgrenzung unterschiedlich geregelter gebührenpflichtiger Rechtsgeschäfte ist daher deren zivilrechtliche Einordnung maßgeblich.

421Ritz/Koran, BAO Aufl. 6 § 23 BAORitz/Koran, BAO Aufl. 5 § 23 BAORitz/Koran, BAO Aufl. 4 § 23 BAOWukovits in Fellner, Gebühren und Verkehrsteuern (2023) § 15 GebGGemischte Verträge sind solche, die die Merkmale verschiedener Vertragstypen des Zivilrechts aufweisen. Enthält ein einheitlicher Vertrag Elemente verschiedener Vertragstypen, ist er gebührenrechtlich nach seinem überwiegenden rechtlichen und wirtschaftlichen Zweck zu beurteilen. Dabei ist die nach § 914 ABGB ermittelte Absicht der Parteien hinsichtlich der Wirkung des Vertrages maßgebend. Es kommt vor allem auf den von den Parteien bei Vertragsabschluss verfolgten, objektiv erkennbaren Willen an, wobei das Gesamtbild und nicht einzelne Sachverhaltselemente des Vertrages maßgeblich sind.

422Waitz-Ramsauer, Die "Highlights" der Gebührenrichtlinien, SWK 9/2007 S. 372Portele/Portele, Vergebührung von Mietverträgen (2023)Werden in einer Urkunde mehrere selbständige Rechtsgeschäfte beurkundet, so unterliegen alle darin enthaltenen Rechtgeschäfte, die einen Tatbestand des § 33 GebG erfüllen, der Gebühr. Im Zweifel kommt § 17 Abs. 2 GebG zur Anwendung (siehe Rz 494 ff).

11.1.2. Gültigkeit von Rechtsgeschäften

423Allram in Bergmann/Pinetz (Hrsg), GebG Aufl. 2 (2020) § 18 GebGAllram in Bergmann/Pinetz (Hrsg), GebG Aufl. 2 (2020) § 17 GebGAllram in Bergmann/Pinetz (Hrsg), GebG Aufl. 2 (2020) § 16 GebGAllram in Bergmann/Pinetz (Hrsg), GebG Aufl. 2 (2020) § 15 GebGPortele/Portele, Vergebührung von Mietverträgen (2023)Voraussetzung für die Gebührenpflicht des Rechtsgeschäfts ist, dass es gültig zustande gekommen ist. Dies ist nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechtes zu beurteilen.

424Entgegen dem für das Gebührenrecht maßgeblichen Urkundenprinzip nach § 17 Abs. 1 GebG (siehe Rz 494 ff) ist der Gegenbeweis zulässig, dass das Rechtsgeschäft zivilrechtlich nicht zustande gekommen ist (nichtige Rechtsgeschäfte).

425Mittendorfer/Mittermair, Handbuch Unternehmensfinanzierung (2017)Den Beweis, dass das Rechtsgeschäft tatsächlich nicht zustande gekommen ist, hat die Partei, die den gültigen Abschluss des Rechtsgeschäftes bestreitet, zu führen.

426Verfügt im Falle einer direkten Stellvertretung der Rechtsanwalt bei Unterfertigung der Urkunde über keine Vertretungsmacht, so ist im Falle einer nachträglichen (konkludenten) Genehmigung von der Gültigkeit des Rechtsgeschäftes auszugehen.

427Allram in Bergmann/Pinetz (Hrsg), GebG Aufl. 2 (2020) § 17 GebGAllram in Bergmann/Pinetz (Hrsg), GebG Aufl. 2 (2020) § 16 GebGAllram in Bergmann/Pinetz (Hrsg), GebG Aufl. 2 (2020) § 15 GebGAutor,Twardosz in Denk/Pelinka (Hrsg), Handbuch Mietrecht (2022)Ein Rechtsgeschäft, das zivilrechtlich nicht wirksam zustande gekommen ist, löst auch dann keine Gebührenpflicht aus, wenn dessen Abschluss beurkundet wurde. Wird zB ein Pachtvertrag über eine Jagdpacht von der zuständigen Bezirksverwaltungsbehörde mit rechtskräftigem Bescheid für unwirksam erklärt, fehlt der Gebührenvorschreibung ihre Grundlage (VwGH 18.3.1982, 81/15/0112).

428Zirngast/Weinzierl/Leistentritt, Steuerhandbuch für Freiberufler (2017)Wird ein Mietvertrag von nur einem der beiden Hälfteeigentümer einer Liegenschaft auf der Vermieterseite unterfertigt, ist die erforderliche Willenseinigung der Vertragsparteien über den Abschluss des Bestandvertrages nur dann anzunehmen, wenn feststeht, dass das Einverständnis des nicht unterfertigten Hälfteeigentümers zum Zeitpunkt der Unterfertigung des Mietvertrages vorliegt. Die bloße Annahme, dass der Abschluss des Mietvertrages mit Einwilligung des nicht unterfertigten Hälfteeigentümers erfolgte, rechtfertigt nicht die Annahme einer Willenseinigung von allen am Rechtgeschäft beteiligten Parteien (VwGH 16.2.1984, 83/15/0040).

429Allram in Bergmann/Pinetz (Hrsg), GebG Aufl. 2 (2020) § 17 GebGAllram in Bergmann/Pinetz (Hrsg), GebG Aufl. 2 (2020) § 15 GebGWukovits in Fellner, Gebühren und Verkehrsteuern (2023) § 15 GebGMoser, Urkundenbegriff des Gebührengesetzes verfassungswidrig?, SWK 16/2007 S. 518Kotschnigg, Hinweg mit den Rechtsgebühren!, SWK 23/2007 S. 678Mittendorfer/Mittermair, Handbuch Unternehmensfinanzierung (2017)Vondrak, Nach § 32 Bilanzielle und steuerliche Behandlung von PatentenZöchling/Matzka/Puchner, Entschlossen handeln in Krisenzeiten (2009)Portele/Portele, Vergebührung von Mietverträgen (2023)Verlangt das Gesetz ausdrücklich eine bestimmte Form für den Abschluss des Rechtsgeschäftes, wie zB bei Ehepakten die Form des Notariatsaktes, ist die Erfüllung der Formvorschrift auch Voraussetzung für das gültige Zustandekommen des Rechtsgeschäfts.

430Ritz/Koran, BAO Aufl. 7 § 23 BAOAllram in Bergmann/Pinetz (Hrsg), GebG Aufl. 2 (2020) § 15 GebGIm Abgabenverfahren kann vorgebracht werden, dass ein Rechtgeschäft wegen Formmangels oder wegen Mangels der Rechts- oder Handlungsfähigkeit einer Partei nichtig ist, soweit gemäß § 23 Abs. 3 BAO die am Rechtsgeschäft beteiligten Personen dessen wirtschaftliches Ergebnis nicht eintreten bzw. bestehen lassen.

431Moser, Gebührenpflicht übernommener Forderungen im Zuge eines Unternehmenserwerbs?, BFG journal 5/2014 S. 194Endfellner/Kuster, Fallgruben im Gebührengesetz, SWK 17/2007 S. 549Fellner, Das Urkundenprinzip in seinen verschiedenen Bedeutungen, SWK 30/2009 S. 893Waitz-Ramsauer, Die "Highlights" der Gebührenrichtlinien, SWK 9/2007 S. 372Kotschnigg, Hinweg mit den Rechtsgebühren!, SWK 23/2007 S. 678Perl, Steuerrecht für die Praxis, 6. Aufl. (2023)Perl, Steuerrecht für die Praxis, 5. Aufl. (2022)Perl, Steuerrecht für die Praxis, 4. Aufl. (2021)Grundsätzlich besteht eine Bindung der Abgabenbehörde an Entscheidungen der Gerichte und der Verwaltungsbehörden. Die Bindung ist Ausdruck der Rechtskraft der Entscheidung; sie wirkt nur innerhalb der Grenzen der Rechtskraft und erstreckt sich auf den Inhalt des Spruches (vgl. VwGH 19.10.1988, 86/01/0062).

432Wukovits in Fellner, Gebühren und Verkehrsteuern (2023) § 15 GebGZöchling/Matzka/Puchner, Entschlossen handeln in Krisenzeiten (2009)Keine Bindung besteht an Entscheidungen der Gerichte über privatrechtliche Fragen dann, wenn das Gericht bei Ermittlung des Sachverhaltes nicht von Amts wegen vorzugehen hat (vgl. § 116 Abs. 2 BAO).

Die Abgabenbehörde ist somit an gerichtliche Entscheidungen im Zivilprozess in der Regel nicht gebunden (vgl. VwGH 11.7.1995, 95/13/0153); dies im Unterschied zu im Außerstreitverfahren oder im Strafverfahren getroffenen Entscheidungen.

433Allram in Bergmann/Pinetz (Hrsg), GebG Aufl. 2 (2020) § 17 GebGAllram in Bergmann/Pinetz (Hrsg), GebG Aufl. 2 (2020) § 15 GebGWukovits in Fellner, Gebühren und Verkehrsteuern (2023) § 15 GebGWukovits in Fellner, Gebühren und Verkehrsteuern (2023) § 17 GebGMittendorfer/Mittermair, Handbuch Unternehmensfinanzierung (2017)Portele/Portele, Vergebührung von Mietverträgen (2023)Eine Vertragsanfechtung wegen Irrtums oder Wegfalles der Geschäftsgrundlage kann gerichtlich oder außergerichtlich vorgenommen werden. Im Fall der außergerichtlichen Anfechtung müssen ausreichende Gründe vorliegen, die bei gerichtlicher Anfechtung Erfolg versprechend wären. Den Nachweis, dass ein Grund für eine erfolgreiche Anfechtung des Rechtgeschäftes vorliegt, hat der Abgabenschuldner zu erbringen (siehe Rz 432).

Bei Dauerschuldverhältnissen wirkt die Auflösung des Rechtsgeschäftes im Allgemeinen ex nunc (zB OGH 5.11.1968, 4 Ob 57/68). Die Auflösung ex nunc hat auf das Entstehen der Gebührenschuld und den entstandenen Abgabenanspruch keine Auswirkung.

Von der durch rechtliche Anfechtbarkeit veranlassten einvernehmlichen Rückgängigmachung (außergerichtliche Anfechtung) des Rechtsgeschäftes ist die einvernehmliche Vertragsaufhebung zu unterscheiden. Gemäß § 17 Abs. 5 GebG wird die Gebührenschuld unter anderem dann nicht beseitigt, wenn das Rechtsgeschäft einvernehmlich (vertraglich) aufgehoben wird. Dabei macht es keinen Unterschied, ob die Aufhebung des Rechtsgeschäftes mit Wirkung ex nunc oder ex tunc erfolgt.

434Ritz/Koran, BAO Aufl. 7 § 23 BAOUFS 14.5.2012 - RV/2421-W/08UFS 29.3.2011 - RV/2762-W/07Moser, Gebührenpflicht übernommener Forderungen im Zuge eines Unternehmenserwerbs?, BFG journal 5/2014 S. 194Moser, Urkundenbegriff des Gebührengesetzes verfassungswidrig?, SWK 16/2007 S. 518Mittendorfer/Mittermair, Handbuch Unternehmensfinanzierung (2017)Zöchling/Matzka/Puchner, Entschlossen handeln in Krisenzeiten (2009)Inzinger/Reinold in Kohler/Wakounig/Berger/Aumayr/Reinold, Steuerleitfaden zur Vermietung, 10. Aufl. (2021)Gemäß § 23 Abs. 2 BAO wird die Besteuerung nicht dadurch ausgeschlossen, dass ein Verhalten, das den steuerpflichtigen Tatbestand erfüllt, gegen ein gesetzliches Verbot oder gegen die guten Sitten verstößt.


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Zusatzinformationen
Gültig ab:
12.02.2019
Betroffene Normen:
§ 15 GebG, Gebührengesetz 1957, BGBl. Nr. 267/1957
Schlagworte:
Parteiwille - Zustandekommen - Nichtigkeit - Rechtsfähigkeit - Willenserklärung - bürgerliches Recht - Zivilrecht - Vertragstypen - gemischte Verträge - Vertragsabschluss - Vertragsabschlüsse - Urkundenprinzip - Gegenbeweis - nichtige Rechtsgeschäfte - Stellvertretung - Vertretungsmacht - Gültigkeit - Willenseinigung - Formvorschrift - Formmangel - Handlungsfähigkeit - Rechtskraft - privatrechtliche Fragen - Gericht - Zivilprozess - Außerstreitverfahren - Strafverfahren - Bindung - Anfechtung - Willensmängel - Vertragsanfechtung - Irrtum - Geschäftsgrundlage - gerichtlich - außergerichtlich - Vertragsaufhebung - Rechtsgeschäft - ex nunc - ex tunc - Rückgängigmachung - Verbot
Stammfassung:
BMF-010206/0094-IV/9/2018

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at

Fundstelle(n):
SAAAA-76450