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OGH vom 07.07.2004, 9ObA25/04y

OGH vom 07.07.2004, 9ObA25/04y

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Maier als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Spenling und Dr. Hradil sowie die fachkundigen Laienrichter o. Univ. Prof. Dr. Walter Schrammel und Friedrich Heim als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Gülfüz G*****, Arbeiterin, *****, vertreten durch Dr. Felix Spreitzhofer, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Franz F***** & Co GmbH, *****, vertreten durch Mag. Günter Petzelbauer, Rechtsanwalt in Wien, wegen EUR 1.170,23 brutto sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 7 Ra 118/03d-12, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Teilzwischenurteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom , GZ 10 Cga 146/02s-7, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, dass das Teilzwischenurteil des Erstgerichtes wiederhergestellt wird.

Die Kosten der Rechtsmittelverfahren sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin war seit bei der beklagten Partei als Ladnerin beschäftigt. Die Arbeitswoche währte jeweils bis Samstag. Auf das Arbeitsverhältnis war der Kollektivvertrag für Arbeiter im österreichischen Bäckergewerbe anzuwenden. Die beklagte Partei gab am ein Schreiben zur Post, mit welchem das Arbeitsverhältnis zum gelöst werden sollte. Das Kündigungsschreiben kam der Klägerin jedoch erst am Montag, den zu.

Mit ihrer Klage begehrt die Klägerin unter anderem den Zuspruch von Kündigungsentschädigung für die Zeit vom bis . Da sie Monatslohnbezieherin gewesen sei, stehe ihr gemäß § 1159b ABGB eine Kündigungsfrist von mindestens 2 Wochen zu; gemäß § 1164 ABGB idF BGBl I 44/2000 könne die Bestimmung des § 1159b ABGB auch durch Kollektivvertrag nicht aufgehoben werden. Deshalb werde auch von einer Kündigungsfrist bis ausgegangen.

Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und wendete ein, dass auf das Arbeitsverhältnis nicht das ABGB, sondern die Gewerbeordnung 1859, insbesondere deren § 77 anzuwenden sei, welcher eine abdingbare 14-tägige Kündigungsfrist vorsehe. Durch Kapitel XIII Z. 69 des Kollektivvertrages sei diese Kündigungsfrist dadurch abgeändert worden, dass das Arbeitsverhältnis beiderseits jeweils zum Ende der Arbeitswoche mit vorgängiger eintägiger Kündigungsfrist gelöst werden könne. Die Kündigung müsse spätestens am vorletzten Tag ausgesprochen werden. Dies sei im vorliegenden Fall erfolgt, sodass das Arbeitsverhältnis bereits am geendet habe.

Das Erstgericht erkannte mit Teilzwischenurteil den Anspruch der Klägerin auf Kündigungsentschädigung lediglich für die Zeit vom 29. 4. bis als dem Grunde nach zu Recht bestehend. Es vertrat die Rechtsauffassung, dass für Arbeiter im Gewerbe und deren Arbeitsverhältnisse nach wie vor die Bestimmungen der §§ 72 f GewO 1859 anzuwenden seien und insoweit § 77 GewO 1859 der Regelung des § 1159b ABGB und somit auch des § 1164 ABGB vorgehe. Durch das Arbeitsrechtsänderungsgesetz 2000 habe sich an dieser Rechtslage nichts geändert. Somit sei aber die eintägige Kündigungsfrist des anzuwendenden Kollektivvertrages gültig. Daraus folge, dass nach dem Zugang der Kündigung am das Arbeitsverhältnis mit Ende der Arbeitswoche, somit am geendet habe.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der klagenden Partei dahin Folge, dass es aussprach, dass der Anspruch der Klägerin auf Kündigungsentschädigung dem Grunde nach vom 29. 4. bis zu Recht bestehe. Es vertrat die Rechtsauffassung, dass es die Intention des Arbeitsrechtsänderungsgesetzes 2000 gewesen sei, eine einheitliche Kündigungsfrist von zumindest 14 Tagen auch für solche Arbeitsverhältnisse einzuführen, welche der Gewerbeordnung 1859 unterliegen. Insoweit sei die im § 77 GewO 1859 geregelte Frist von 14 Tagen eine Mindestfrist, welche nicht mehr verkürzt werden könne. Entgegenstehende Bestimmungen des Kollektivvertrags seien daher insoweit anders zu interpretieren bzw nicht anzuwenden.

Das Berufungsgericht sprach weiters aus, dass die Revision zulässig sei, weil das Berufungsgericht von der bisherigen Judikatur betreffend das Verhältnis von § 1159b ABGB zu § 77 GewO 1859 abgewichen sei.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision der beklagten Partei aus dem Grunde der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, dass die Entscheidung des Erstgerichtes wiederhergestellt werde.

Die klagende Partei beantragte, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig; sie ist auch berechtigt.

Der Anwendungsbereich der §§ 1159 f ist grundsätzlich eng. Die arbeitsvertraglichen Sondergesetze treffen eigene und andere Regelungen bezüglich Kündigungsfristen und Kündigungstermine (Pfeil in Schwimann, ABGB VI² Rz 1 zu §§ 1159 bis 1159c ABGB).

Die Klägerin ist als Ladnerin in einer Bäckerei gewerbliche Hilfsarbeiterin iSd §§ 72 f GewO 1859 gewesen (9 ObA 142/92). Auch das Berufungsgericht anerkennt, dass nach § 376 Z 47 Abs 1 GewO 1994 die Bestimmungen der §§ 72, 73 und 76 bis 78e GewO alt nach wie vor in Geltung stehen. Auch auf das Arbeitsverhältnis der Klägerin wäre daher die dispositive 14-tägige Kündigungsfrist des § 77 GewO 1859 anzuwenden; diese dispositive Vorschrift wurde allerdings im vorliegenden Fall durch Art XIII Z 69 des Bäcker-Kollektivvertrages verdrängt. Dort wird bestimmt, dass das Arbeitsverhältnis nach der Probezeit beiderseits jeweils zum Ende der Arbeitswoche mit vorgängiger eintägiger Kündigungsfrist gelöst werden kann, die Kündigung daher spätestens am vorletzten Arbeitstag ausgesprochen werden muss. Nach völlig einhelliger Rechtsprechung (9 ObA 165/91; 9 ObA 142/92, 9 ObA 154/92, jeweils RIS-Justiz RS0060213; 9 ObA 145/92 in RIS-Justiz RS0060120) geht in ihrem Anwendungsbereich die dispositive Norm des § 77 GewO den Kündigungsvorschriften des § 1159 ABGB vor, was sich insbesondere aus § 153 der III. Teilnovelle zum ABGB iVm § 72 Abs 2 GewO 1859 ergibt.

Die Klägerin und ihr folgend das Berufungsgericht vertreten die Auffassung, dass diese Rechtsprechung im Hinblick auf die Novellierung des § 1164 ABGB durch das Arbeitsrechtsänderungsgesetz 2000, BGBl I 44/2000, nicht mehr aufrecht zur erhalten sei. Dieser Auffassung kann nicht beigetreten werden.

§ 1164 Abs 1 ABGB, alte Fassung, lautete: "Die Berechtigungen des Dienstnehmers, die sich aus den Bestimmungen der §§ 1154 Abs 3, 1154 bis 1159b, 1160 und 1162a bis 1163 ergeben, können durch den Dienstvertrag nicht aufgehoben oder beschränkt werden." Die novellierte Regelung nach dem ARÄG 2000 lautet: "Die Berechtigungen des Dienstnehmers, die sich aus den Bestimmungen der §§ 1154 Abs 3, 1154b Abs 1 und 2, 1156 bis 1159, 1160 und 1162a bis 1163 ergeben, können durch den Dienstvertrag oder durch Normen der kollektiven Rechtsgestaltung nicht aufgehoben oder beschränkt werden". Für die gegenständliche Beurteilung könnte daher die Wendung "... oder durch Normen der kollektiven Rechtsgestaltung" von Bedeutung sein. Hier fällt jedoch auf (- die Gesetzesmaterialien, nämlich sowohl die ErlBem zur Regierungsvorlage, 91 der Beilagen NR XXI. GP, als auch der Ausschussbericht, 189 der Beilagen NR XXI. GP, kommentieren diese Änderung des § 1164 Abs 1 ABGB nicht weiter -), dass mit dieser Änderung lediglich eine Klarstellung erfolgte, zumal von der Judikatur (SZ 44/151 = Arb 8.927) schon der frühere Wortlaut dieser Bestimmung dahin interpretiert worden war, dass nicht nur Dienstverträge, sondern auch Akte der kollektiven Rechtsgestaltung vom Verschlechterungsverbot umfasst waren. Aus dieser Änderung kann somit noch nicht auf eine Absicht des Gesetzgebers geschlossen werden, § 77 GewO derogieren zu wollen. Aus dem allgemeinen Teil der Erläuterungen zur Regierungsvorlage (aaO) geht lediglich hervor, dass es die soziale Gerechtigkeit am Arbeitsplatz erfordere, die weitgehende arbeitsrechtliche Gleichstellung der Arbeiter mit den Angestellten insbesondere im Bereich der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall und bei Dienstverhinderung aus sonstigen wichtigen Gründen herbeizuführen. Der Ausschussbericht (aaO) erwähnt in seiner Kommentierung des allgemeinen Teils wohl, dass "mit der 'Aktion Fairness' auch die sozialrechtliche Gleichstellung der Arbeiter mit den Angestellten bei Kündigungsfristen gefordert werde ...", setzt sich jedoch in der Folge konkret nur mit Problemen der Entgeltfortzahlung und der Urlaubsersatzleistung auseinander. Hinsichtlich der Angleichung der unterschiedlichen Kündigungsfristen von Arbeitern und Angestellten verweist der Ausschussbereich vielmehr ausdrücklich darauf, dass "die Umsetzung dieser Maßnahme primär Angelegenheit der Sozial- bzw Kollektivvertragspartner sei". Damit wird aber klar, dass die Nichterwähnung des § 77 GewO durch das ARÄG 2000 keine ungewollte Regelungslücke ist, sondern dass ein Eingriff in die Kündigungsbestimmungen der GewO 1859 nicht gewollt war und somit der Mindeststandard des § 1159b ABGB auf Arbeitsverhältnisse, welche der GewO 1859 unterliegen, nach wie vor nicht anzuwenden ist. Zutreffend verweist die Revisionswerberin auch darauf, dass eine Reihe von Gewerbe-Kollektivverträgen eine dem Bäcker-Kollektivvertrag entsprechende Verkürzung der dispositiven Kündigungsfrist des § 77 GewO 1859 vorsieht, welche in gleicher Weise für Arbeitnehmer- wie für Arbeitgeberkündigungen gelten. Auch eine verfassungskonforme Auslegung des § 77 GewO 1859 und des § 151 III TN führt dazu, dass die Kollektivvertragsparteien in der Festsetzung der Länge der beiderseitigen Kündigungsfristen frei sind, sofern nur das Fristengleichheitsgebot gewahrt ist (9 ObA 154/92 = DRdA 1993, 206 ua).

Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 393 Abs 4 iVm § 52 Abs 2 ZPO.