VwGH vom 07.09.2022, Ra 2019/04/0002

VwGH vom 07.09.2022, Ra 2019/04/0002

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Handstanger sowie die Hofrätin Mag. Hainz-Sator und den Hofrat Dr. Pürgy als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Vonier, über die Revision des I E P in W, vertreten durch Mag. Wilfried Embacher und Dr. Thomas Neugschwendtner, Rechtsanwälte in 1040 Wien, Schleifmühlgasse 5/8, gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien vom , Zl. VGW-021/014/13753/2018-1, betreffend Übertretung der GewO 1994 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Magistrat der Stadt Wien), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

11.1. Mit Straferkenntnis der belangten Behörde vom wurde dem Revisionswerber zur Last gelegt, er habe es als gewerberechtlicher Geschäftsführer der I [...] Handelsgesellschaft m.b.H zu verantworten, dass diese als Inhaberin die mit Bescheid vom genehmigte und mit Bescheid vom geänderte Betriebsanlage in W, in der das Gewerbe „Bäcker“ ausgeübt werde, insofern ohne die gemäß § 81 GewO 1994 erforderliche Genehmigung im geänderten Zustand betrieben habe, als entgegen den im Bescheid vom genehmigten Zeiten für den Backwarenverkauf am um 2:00 Uhr ein Verkauf von Backwaren erfolgt sei. Die Betriebsanlage sei geöffnet und für jedermann zugänglich gewesen und hätten zu diesem Zeitpunkt insgesamt fünf Kunden Backwarenprodukte erworben. Diese Änderung der Betriebsanlage sei geeignet, die Nachbarn zur Nachtzeit durch Lärm der Kunden zu stören.

Der Revisionswerber habe dadurch eine Verwaltungsübertretung gemäß § 366 Abs. 1 Z 3 zweiter Fall GewO 1994 in Verbindung mit § 81 GewO 1994 begangen, weshalb über ihn eine Geldstrafe in der Höhe von EUR 510,-- (Ersatzfreiheitsstrafe: ein Tag und sechs Stunden) verhängt werde.

22.1. Die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers wies das Verwaltungsgericht Wien (ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung) mit dem angefochtenen Erkenntnis als unbegründet ab und erklärte die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof für nicht zulässig.

32.2. In der Begründung verwies das Verwaltungsgericht darauf, dass die Regelung der zulässigen Verkaufszeiten von Backwaren im vorliegenden Fall Eingang in die Betriebsbeschreibung gefunden habe. Daher sei der Backwarenverkauf in dieser Betriebsanlage nur im Rahmen der genannten Verkaufszeiten genehmigt. Jeder Verkauf außerhalb der genehmigten Zeiten stelle sich somit als eine Änderung der genehmigten Betriebsanlage dar, die bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 81 Abs. 1 GewO 1994 der Genehmigung bedürfe. Sofern eine solche Genehmigungspflicht gegeben sei, liege eine Verwaltungsübertretung nach § 366 Abs. 1 Z 3 GewO 1994 vor. Dass eine außerhalb der genehmigten Zeiten erfolgte Verkaufstätigkeit, insbesondere (wie hier) in den Nachtstunden, geeignet sei, Nachbarn durch Lärm, der etwa durch das Aufsuchen der Kunden der Betriebsanlage entstehe, zu belästigen, bedürfe keiner weitwendigen Ausführungen.

4Zum Beschwerdevorbringen, wonach der Revisionswerber die ihm zur Last gelegte Tat nicht begangen habe, weil der Tatvorwurf nicht in seinen Verantwortungsbereich falle, führte das Verwaltungsgericht aus, dass sich der Revisionswerber durch die Bestellung des weiteren handelsrechtlichen und auch gewerberechtlichen Geschäftsführers DI A (für das Gastgewerbe in der Betriebsart „Imbiss“) nicht von der ihn als gewerberechtlichen Geschäftsführer (Bäcker) des gegenständlichen Unternehmens treffenden Verantwortlichkeit befreien habe können.

5Der belangten Behörde könne nicht entgegen getreten werden, wenn sie von einer Verantwortlichkeit des Revisionswerbers für das Betreiben der Betriebsanlage in geändertem Zustand ausgegangen sei, ohne dass die gemäß § 81 GewO 1994 erforderliche Genehmigung vorliege.

63. Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision. Die belangte Behörde erstattete im eingeleiteten Vorverfahren eine Revisionsbeantwortung, in der sie die Zurückweisung der Revision beantragt.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

71. In der Revision wird zur Begründung ihrer Zulässigkeit unter anderem vorgebracht, das Verwaltungsgericht sei von der zu § 44 VwGVG ergangenen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen, weshalb eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung vorliege.

8Das Verwaltungsgericht habe von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen, obwohl die Voraussetzungen nach § 44 VwGVG nicht vorlägen. Dadurch sei dem Revisionswerber die Möglichkeit genommen worden, sein mangelndes Verschulden darzustellen und zu erörtern, aus welchen Gründen die gegenständliche Verwaltungsübertretung nicht in seine Verantwortung falle.

92. Schon in Hinblick auf dieses Vorbringen erweist sich die Revision als zulässig und berechtigt.

10Das Verwaltungsgericht hat gemäß § 44 Abs. 1 VwGVG in Verwaltungsstrafsachen grundsätzlich eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen. In den Abs. 2 bis 5 leg. cit. finden sich zulässige Ausnahmen von der Verhandlungspflicht. Ein Absehen von der mündlichen Verhandlung ist nach dieser Bestimmung zu beurteilen und zu begründen (vgl. zuletzt etwa , mwN).

11Eine Begründung für das Absehen von einer Verhandlung findet sich im angefochtenen Erkenntnis nicht. Auch wurde vom Verwaltungsgericht ein ausdrücklicher Verzicht auf die Durchführung einer Verhandlung (im Sinn des § 44 Abs. 5 VwGVG) nicht festgestellt. Soweit die belangte Behörde in ihrer Revisionsbeantwortung vorbringt, sie habe im Rahmen der Beschwerdevorlage auf die Durchführung einer Verhandlung verzichtet, ist darauf zu verweisen, dass ein solcher Verzicht von allen Parteien erforderlich wäre (vgl. die bei Senft, § 44 VwGVG, in Köhler/Brandtner/Schmelz [Hg.], VwGVG [2021] Rz. 28 zitierte Rsp.).

Da das Verwaltungsgericht mit Erkenntnis entschieden hat, kommt ein Absehen von einer Verhandlung nach § 44 Abs. 4 VwGVG (das voraussetzt, dass das Verwaltungsgericht einen Beschluss zu fassen hat) nicht in Betracht.

12Ebenso wenig liegt der das Absehen von einer Verhandlung ermöglichende Tatbestand des § 44 Abs. 3 Z 1 VwGVG (die weiteren Tatbestände des § 44 Abs. 3 VwGVG kommen fallbezogen nicht in Betracht) vor, zumal nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ein Beschuldigter, der in Beschwerde den Tatvorwurf bestreitet, nicht nur eine „unrichtige rechtliche Beurteilung“ behauptet (vgl. dazu , mwN).

133. Das angefochtene Erkenntnis war daher bereits aus diesem Grund gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

14Für das fortgesetzte Verfahren wird in Hinblick auf die Strafbemessung auf den im vorliegenden Fall jedenfalls zu beachtenden Milderungsgrund der unangemessen langen Verfahrensdauer hingewiesen (vgl. ).

15Die Entscheidung über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:VWGH:2022:RA2019040002.L00

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