Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 18.07.2019, RV/2100561/2019

Nachsicht durch Abschreibung: Unbilligkeit des Verlangens der Entrichtung von (aufgrund unrichtiger Lösung einer maßgeblichen Rechtsfrage in einem von der Abgabenbehörde angestrengten Verfahren) mangels materiellrechtlichem Anspruch zweifelsfrei unrechtmäßig vorgeschriebenen Abgaben

Beachte

Revision (Amtsrevision) beim VwGH anhängig zur Zahl Ra 2019/15/0117. Mit Erk. v. wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufgehoben. Fortgesetztes Verfahren mit Beschluss vom erledigt (Gegenstandsloserklärung gemäß § 256 Abs. 3 BAO).


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Rechtssätze
Stammrechtssätze
RV/2100561/2019-RS1
Es steht außer Zweifel, dass es unbillig wäre, von einem Abgabepflichtigen, dem in einem von der Abgabenbehörde angestrengten Verfahren eine Abgabe aufgrund der unrichtigen Lösung einer maßgeblichen Rechtfrage zweifelsfrei unrechtmäßig vorgeschrieben wurde, die Entrichtung dieser Abgabe trotz Fehlens eines materiellrechtlichen Anspruches nur aufgrund der (formal) rechtswirksamen Vorschreibung zu verlangen. Dabei ist es ohne Belang, dass die Behörde aufgrund zum Zeitpunkt der Abgabenvorschreibung fehlender Judikatur kein Verschulden an der unrichtigen Lösung der Rechtsfrage getroffen hat.

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch den Einzelrichter über die Beschwerde des X, vertreten durch die Dr. Ehgartner Steuerberatungs KG, Untere Schmiedgasse 6, 8530 Deutschlandsberg, vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Graz-Stadt vom betreffend Abweisung einer Nachsicht von Abgabenschuldigkeiten zu Recht erkannt:

Die folgenden Abgaben werden durch Abschreibung nachgesehen:


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Abgabe
im Ausmaß von
U 2009
17.059,57 €
U 2010
21.599,27 €
U 2011
20.572,48 €
U 2012
14.579,78 €

Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

Der Beschwerdeführer erzielte in den Jahren 2009 bis 2012 Umsätze aus der Tätigkeit als Facharzt für Plastische, Ästhetische und Rekonstruktive Chirurgie. Diese Umsätze erklärte er in seinen Abgabenerklärungen zur Gänze als umsatzsteuerfrei gemäß § 6 Abs. 1 Z 19 UStG 1994.

Im Zuge einer Außenprüfung stellte die belangte Behörde fest, dass bei einem Teil der den Umsätzen des Antragstellers zugrunde liegenden plastisch-ästhetischen Operationen und Behandlungen eine medizinische Indikation gefehlt habe bzw. ein therapeutisches Ziel nicht im Vordergrund gestanden sei, weshalb sie für die Jahre 2009 bis 2012 die Umsatzsteuer unter Berücksichtigung dieser Umsätze festsetzte. Aufgrund der dagegen erhobenen Beschwerden änderte das Bundesfinanzgericht diese Bescheide mit Erkenntnis vom , RV/2100213/2016, nach Schätzung des Anteils der "Umsätze ohne medizinische Indikation" mit 15 Prozent zugunsten des Beschwerdeführers wie folgt ab:


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Abgabenbetrag
Nachforderungsbetrag
U 2009
17.059,57 €
17.059,57 €
U 2010
21.599,27 €
21.599,27 €
U 2011
20.572,48 €
20.572,48 €
U 2012
14.579,78 €
14.579,78 €
Summe:
73.811,10 €

Mit Schreiben vom beantragte der Beschwerdeführer durch seinen steuerlichen Vertreter die Nachsicht der nachgeforderten Umsatzsteuern im Gesamtbetrag von 73.811,10 €. Zur Begründung ist dem Schreiben zu entnehmen:

"Der Antrag auf Nachsicht begründet sich auf das im Vertrauen unseres Mandanten auf die bis zum Wartungserlass vom geltende Fassung der RZ 942 UStR 2000. Wie im Folgenden begründet, war der Wortlaut dieser Bestimmung der Anlass dafür, dass Herr Dr. [Beschwerdeführer] seine Leistungen ohne Umsatzsteuer verrechnete.

Begründung im Detail

Vertrauen auf Rz 942 UStR 2000 aF

Die Rz 942 der UStR 2000 idF des Wartungserlasses vom 25.11.20082 (BMF-010219/0458-Vl/4/2008) lautete durchgehend bis zur neuerlichen Überarbeitung im Rahmen des Wartungserlasses vom (BMF-010219/0288-Vl/4/2012) wie folgt:

'Zur Tätigkeit als Arzt gehören auch ästhetisch-plastische Leistungen sowie Schwangerschaflsunterbrechungen, soweit ein therapeutisches Ziel im Vordergrund steht.

Die Beurteilung des Vorliegens dieser Voraussetzung obliegt dem behandelnden Arzt.

Diese Beurteilung, die durch die Erklärung als steuerfreie Arztleistung dokumentiert wird, ist für die Finanzverwaltung bindend.'

Seitens unseres Mandanten als behandelndem Arzt erfolgte die Beurteilung, dass alle vorgenommenen ästhetisch-plastischen Leistungen ein therapeutisches Ziel verfolgten. Der unbestimmte Begriff des 'therapeutischen Ziels' wurde seitens unseres Mandanten dahingehend interpretiert, dass ein solches dann verfolgt wird, wenn durch die Leistung eine Verbesserung eines Zustandes erreicht werden soll, unter dem der Patient körperlich, geistig oder sozial leidet. Wenn nach Ansicht unseres Mandanten eine angedachte Behandlung bzw. Operation nicht einem therapeutischen Ziel gedient hat, wurde die Erbringung dieser Leistung nachweisbar abgelehnt.

Nach dem Richtlinienwortlaut ist die Beurteilung unseres Mandanten für die Abgabenbehörde bindend; eine diesbezüglich abweichende Ansicht der Abgabenbehörde ist somit - im Lichte der Richtlinien - unerheblich. Die Rechtsprechung des VwGH, wonach 'Fragen nach der medizinischen Indikation chirurgischer Eingriffe keine solchen sind, bei denen sich Behauptungen des behandelnden Arztes mit dem im Internet erworbenen Wissen eines medizinischen Laien widerlegen lassen (vgl. dazu die letzte der oben wiedergegebenen Aussagen des EuGH im Urteil PFC Clinic; aus der deutschen Entscheidungspraxis die Urteile des BFH vom , V R 16/12 und V R 33/12)' (. Ro 2017/1310015) steht mit der Intention der Richtlinienbestimmung in Einklang.

Durch den bereits zitierten Wartungserlass vom wurde die Rz 942 dahingehend geändert, dass von diesem Zeitpunkt an auch das das Vorliegen einer 'medizinische Indikation" iSd § 3 Abs 1 Z 4 ÄsthOpG im Hinblick auf die Anwendbarkeit der Steuerbefreiung des § 6 Z 19 UstG idF des AbgÄG 2012 beurteilt werden musste.

Bis zur Aufnahme des Tatbestandsmerkmals der "medizinischen Indikation" und des Verweises auf die entsprechende Legaldefinition des ÄsthOpG in die Richtlinien durfte unser Mandant jedoch auf die Richtigkeit seiner Beurteilung auf Basis des alten Richtlinientextes vertrauen. Insbesondere auch im Zusammenhang mit 5 6 Z 19 UStG idF vor dem AbgÄG 2012, nach deren Wortlaut sämtliche ärztlichen Leistungen der Umsatzsteuerbefreiung unterlagen, war uE für unseren Mandanten eine Interpretation der Rz 942 UStR 2000 vor dem Wartungserlass vorn , nach welcher seine Leistungen von der Umsatzsteuer befreit waren, als naheliegend zu beurteilen.

In einem aktuellen Erkenntnis des VwGH ( Ro 2017/1310015), in welchem über einen annähernd gleich gelagerten FaII zu entscheiden war, widersprach das Höchstgericht der Rechtsansicht der Verwaltungsbehörde sowie des Bundesfinanzgerichts, wonach Umsätze aus ästhetisch-plastischen Leistungen vor dem AbgÄG 2012 als umsatzsteuerpflichtig zu qualifizieren sind, entschieden. Als Begründung wird in diesem Zusammenhang wie folgt ausgeführt: 'ln der Tätigkeit einer plastischen Chirurgin wie der Revisionswerberin keine 'Tätigkeit als Arzt' zu sehen, wenn der Leidensdruck des Patienten im Einzelfall nicht den Grad eines "Problems psychologischer Art' erreicht, würde den Auslegungsspielraum aber überschreiten und im Ergebnis die unmittelbare Anwendung der nicht umgesetzten zusätzlichen Voraussetzung der Richtlinienbestimmung bedeuten (vgl. in diesem Zusammenhang den Hinweis auf die unmittelbare Anwendbarkeit und auf das Urteil Dornier in der vom Bundesfinanzgericht zitierten Entscheidung des unabhängigen Finanzsenates). Ein solches Vorgehen kommt nur zugunsten des Abgabepflichtigen in Betracht (vgl. zu einem mit dem vorliegenden insoweit vergleichbaren Fall das Erkenntnis vom , 2009/15/0213, VwSlg 8741/F, m.w.N.).

Das Höchstgericht legt somit eindeutig dar, dass § 6 Abs 1 Z 19 UStG vor dem AbgÄG 2012 im Sinne der Rechtsansicht unseres Mandanten auszulegen ist. Der Richtlinienbestimmung Rz 942 UStR 2000 vor dem Wartungserlass kann folglich auch keine andere inhaltliche Zielrichtung unterstellt werden, als jener Gesetzesbestimmung, welche sie näher definiert.

Sohin ist unserem Mandanten nicht nur aufgrund des Vertrauens auf den Wortlaut der damaligen Umsatzsteuerbefreiung, sondern insbesondere auch aufgrund des Vertrauens auf die damit im Zusammenhang stehende Richtlinienbestimmung ein entsprechender Schaden entstanden.

Herr Dr. [Beschwerdeführer] durfte somit bis zur Änderung der Rz 942 UStR 2000 von der Richtigkeit der Beurteilung seiner Behandlungsleistungen als solche mit therapeutischem Ziel ausgehen. Neben dem Vertrauen auf die medizinische Richtigkeit seiner Beurteilung, vertraute er nicht zuletzt auch auf die eindeutige Klarstellung durch den Bundesminister für Finanzen, wonach die Finanzverwaltung an seine Beurteilung gebunden ist.

Wenn die RZ 942 UStR 2000 unserem Mandanten nicht die alleinige Kompetenz zur abschließenden Beurteilung seiner Leistungen gegeben hätte, hätte dieser für strittige Fälle gegebenenfalls externe Gutachten, etwa von Fachkollegen, Psychologen oder Fachärzten für Psychiatrie, einholen können, um seine Ansicht zu untermauern bzw. im Falle einer andervvärtigen Ansicht die Verrechnung von Umsatzsteuer vorzunehmen. Der Wortlaut der Rz 942 UStR 2000 in der damaligen Fassung gab zu einer solchen Vorsichtsmaßnahme jedoch keine Veranlassung.

Im Verfahren vor dem Bundesfinanzgericht ging unser Mandant von ca. 15 % umsatzsteuerpflichtigen Leistungen aus; dabei erfolgte jedoch - angesichts dessen, dass die in Rz 942 UStR 2000 aF zugrundeliegende Rechtsansicht von der Abgabenbehörde nicht befolgt und vom Gericht nicht geteilt wurde - die Beurteilung anhand des für den bezughabenden Zeitraums noch nicht geltenden Kriteriums der medizinischen Indikation iSd § 3Abs 1 Z 4 ÄsthOpG. Der Wortlaut der R2 942 UStR 2000 aF war im Verfahren vor dem Bundesfinanzgericht insofern irrelevant, als dieses in seiner Beurteilung materiellrechtlich selbstverständlich nicht an die Erlässe des Bundesministers für Finanzen gebunden ist. Im gegenständlichen Antrag auf Nachsicht der Abgabenschuldigkeit hat der Wortlaut der damals in Geltung befindlichen Richtlinienbestimmung jedoch in verfahrensrechtlicher Hinsicht sehr wohl höchste Relevanz, da der Antrag rein den Vertrauensschutz des Abgabepflichtigen bezweckt.

Grundsatz von Treu und Glauben

Unter dem Grundsatz von Treu und Glauben wird verstanden, dass jeder, der am Rechtsleben teilnimmt, zu seinem Wort und zu seinem Verhalten zu stehen hat und sich nicht ohne triftigen Grund in Widerspruch zu dem setzen darf, was er früher vertreten hat und worauf andere vertraut haben. Dieser Grundsatz ist auch im Abgabenrecht zu beachten ( BMF-010103/0023-VI/2006).

Die Anwendung des Grundsatzes von Treu und Glauben setzt einen Vollzugsspielraum voraus, somit einen

- Auslegungsspielraum (Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe) oder

- Rechtsanwendungsspielraum (bei Ermessensübung).

Im vorliegenden Fall liegt mit der Wortfolge 'therapeutisches Ziel im Vordergrund' R2 924 UStR 2000 aF ein unbestimmter Rechtsbegriff vor. Erst durch die Neufassung des Richtlinientextes wurde durch das Einfügen eines VenNeises auf die Legaldefinition des § 3 Abs 1 Z 4 ÄsthOpG der unbestimmte Rechtsbegriff und damit der Auslegungsspielraum weitgehend beseitigt.

Obwohl im Erlass des Bundesministers für Finanzen vom ( BMF-01010310023-VI/2006) nicht gesondert angeführt, kommt uE der Grundsatz von Treu und Glauben insbesondere auch dann zur Anwendung, wenn die Abgabenbehörde eine Richtlinienbestimmung schlicht ignoriert. Dies erfolgte im gegenständlichen Fall durch die unterlassene Befolgung des dritten Satzes der zitierten Richtlinienbestimmung, wonach die ärztliche Beurteilung bindend ist.

Nachsicht iSd § 236 BAO iVm Verordnung BGBI ll 2005/435

§ 236 BAO idgF lautet:

'(1) Fällige Abgabenschuldigkeiten können auf Antrag des Abgabepflichtigen ganz oder zum Teil durch Abschreibung nachgesehen werden, wenn ihre Einhebung nach der Lage des Falles unbillig wäre.

(2) Abs. 1 findet auf bereits entrichtete Abgabenschuldigkeiten sinngemäß Anwendung.

[…]'

Die zu dieser Bestimmung ergangene Verordnung des Bundesministers für Finanzen (Verordnung des Bundesministers für Finanzen betreffend Unbilligkeit der Einhebung im Sinn des § 236 BAO, BGBI II 2005/435) definiert in § 3 das Vorliegen einer sachlichen Unbilligkeit:

'Eine sachliche Unbilligkeit liegt bei der Einhebung von Abgaben insbesondere vor, soweit die Geltendmachung des Abgabenanspruches […]

2. in Widerspruch zu nicht offensichtlich unrichtigen Rechtsauslegungen steht, die […]

b) vom Bundesministerium für Finanzen im Amtsblatt der österreichischen Finanzverwaltung oder im Internet als Amtliche Veröffentlichung in der Findok veröffentlicht wurden, wenn im Vertrauen auf die betreffende Äußerung bzw. Veröffentlichung für die Verwirklichung des die Abgabepflicht auslösenden Sachverhaltes bedeutsame Maßnahmen gesetzt wurden [. . .]'

Das dargelegte Vertrauen auf die damals in Geltung befindliche Rz 942 UStG 2000 führte aufgrund der abweichenden Rechtsansicht des Bundesfinanzgerichts () und der damit einhergehenden Festsetzung der Umsatzsteuer für die Jahre 2009 bis 2012 iHv insgesamt EUR 73.811,10 zu einem Vertrauensschaden zulasten unseres Mandaten. Die in Rz 924 UStR 2000 aF vorgesehene Überantwortung der alleinigen Beurteilung durch den behandelnden Arzt veranlasste Herrn Dr. [Beschwerdeführer] dazu, auf entsprechende gutachterlichen Stellungnahmen zu verzichten sowie die Verrechnung von Umsatzsteuer an Patienten zu unterlassen.

Der Vertrauensschaden umfasst uE die gesamten im Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts festgesetzten Umsatzsteuerbeträge, da eine höhere Preisgestaltung aufgrund einer Weiterverrechnung der Umsatzsteuer nach Ansicht von Herrn Dr. [Beschwerdeführer] von den Patienten aller Wahrscheinlichkeit nach aufgrund seines weithin anerkannten Renommees akzeptiert worden wäre. Erfolgte Einkommensteuerkorrekturen sind selbstverständlich in Anrechnung zu bringen und führen zu einer Verminderung des Vertrauensschadens.

Die Rechtsauslegung des Bundesministers für Finanzen kann uE auch keinesfalls als offensichtlich unrichtig iSd § 3 Z 2 Iit b der Verordnung BGBl II 2005/435 angesehen werden; nicht zuletzt auch deshalb, weil die Richtlinienbestimmung trotz erfolgter Überarbeitung (Aufnahme des Tatbestandsmerkmals der 'medizinischen Indikation') weiterhin nahezu gleichlautend in Geltung ist.

Somit wird der Antrag auf Nachsicht der auf Seite 1 dieses Dokuments einzeln angeführten Umsatzsteuerbeträgen (insgesamt EUR 73.811,10) unter Anrechnung von Vorteilen aus zwischenzeitig bescheidmäßig vorgenommenen Einkommensteuerkorrekturen gestellt."

Mit dem hier angefochtenen Bescheid vom wies die belangte Behörde den Antrag auf Nachsicht mit folgender Begründung ab:

"Im gegenständlichen Fall wurde von der zuständigen Abgabenbehörde eine Umsatzsteuerbefreiung der Umsätze des Antragstellers nach § 6 Abs 1 Z 19 UStG nicht angenommen. Dies wurde damit begründet, dass die Befreiung der Umsätze 'aus der Tätigkeit als Arzt' sehr weit gefasst sei und daher im Wege einer teleologischen Reduktion richtlinienkonform interpretiert werden könne. Folglich könne diese auf bestimmte, nach der Rechtsprechung des EuGH von der Befreiungsbestimmung zu erfassende Tatbestände eingeschränkt werden. Ein Abgabepflichtiger müsse sich somit eine von den UStR abweichende Beurteilung durch die Abgabenbehörde, die sich auf das Gemeinschaftsrecht stützt, auch zu seinen Lasten gefallen lassen.

Der Grundsatz der gemeinschaftsrechtskonformen Interpretation sowie der Grundsatz der richtlinienkonformen Interpretation sind ein immanentes Gebot - unter der Einschränkung, nicht als Grundlage für eine Auslegung contra legem des nationalen Rechts zu dienen. Der Grundsatz der richtlinienkonformen Auslegung wurde vom EuGH wiederholt in Entscheidungen festgeschrieben und besagt, dass die Verwaltungsbehörden und nationalen Gerichte bei der Anwendung des nationalen Rechts, insbesondere der Vorschriften eines speziell zur Durchführung einer Richtlinie erlassenen Gesetzes, die Auslegung im Lichte des Wortlauts und des Zwecks der Richtlinie vorzunehmen haben.

Abgabenbehörden haben demzufolge bei der Anwendung des nationalen Rechts das Unionsrecht zu beachten. Bei der Anwendung der Umsatzsteuerbefreiung gemäß § 6 Abs 1 Z 19 UStG ist daher die Rechtsprechung des EuGH zu Art 132 MwSt-RL heranzuziehen. Dies liegt nicht im Ermessen der Abgabenbehörde, sondern ist die Folge der unmittelbaren Anwendbarkeit des Unionsrechtes ( Van Gend & Loos). Daraus folgt, dass die im gegenständlichen Fall aufgrund der EuGH Rechtsprechung vorgenommene Einschränkung des § 6 Abs 1 Z 19 UStG, wonach rein kosmetischen Zwecken dienende Leistungen nicht als begünstigte Heilbehandlung im Richtliniensinne zu qualifizieren sind, die allgemeine Rechtslage darstellt. Durch diese werden alle betroffenen Abgabepflichtigen in gleicher Weise berührt. Eine Unbilligkeit des Einzelfalles iSd § 236 BAO liegt daher nicht vor.

Weiters vermeint der Antragsteller, die Nichtanwendung der Richtlinienbestimmung Rz 942 UStR 2000, wonach die ärztliche Beurteilung bindend sei, stelle einen Verstoß gegen Treu und Glauben dar.

Die Richtlinien des Bundesministeriums für Finanzen sind als praktische Kompilation verwaltungsgerichtlicher und europarechtlicher Judikatur anzusehen, die jedoch nicht den Zweck verfolgen, sämtliche sich im Steuerrechtsleben ergebende Sachverhalte abzudecken. Insoweit BMF-Richtlinien keine Rechtsnormqualität zukommt, sind anders lautende Richtlinienbestimmungen und Auslegungsbehelfe bzw Vorgehensweisen der Verwaltungspraxis nach dem für die Behörden anzuwendenden Legalitätsprinzip nicht beachtlich. Über die gesetzlichen Bestimmungen hinausgehende Rechte und Pflichten können daher aus Richtlinien nicht abgeleitet werden. Die Nichtanwendung der Richtlinienbestimmung Rz 942 UStR 2000 stellt somit keinen Verstoß gegen Treu und Glauben dar und begründet keine sachliche Unbilligkeit iSd § 3 Verordnung BGBl II 2005/435.

Zudem ist der Vollständigkeit halber darauf hinzuweisen, dass ein Nachsichtsverfahren nicht dazu dient, das Festsetzungsverfahren betreffend die Umsatzsteuer neu aufzurollen. Einwendungen gegen die Festsetzung der Umsatzsteuer sind daher im Nachsichtsverfahren unbeachtlich. Zumal das BFG im Erkenntnis vom die ordentliche Revision für nicht zulässig erklärte, hätte der Antragsteller gegen die Festsetzung der Umsatzsteuer das Rechtsmittel der außerordentlichen Revision ergreifen müssen.

Mangels Vorliegens der Voraussetzungen konnte dem Antrag auf Nachsicht der festgesetzten Umsatzsteuer betreffend die Jahre 2009 bis 2012 nicht entsprochen werden."

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer durch seinen steuerlichen Vertreter mit Schreiben vom die Beschwerde. Zur Begründung ist dem Schreiben zu entnehmen:

"1. Vorliegen einer sachlichen Unbilligkeit

In der Bescheidbegründung zum abweisenden Bescheid weist die Behörde auf die Rechtsprechung des VwGH hin, wonach eine sachliche Unbilligkeit dann vorliegt, wenn 'im Einzelfall bei Anwendung des Gesetzes ein vom Gesetzgeber offenbar nicht beabsichtigtes Ergebnis eintritt, sodass es zu einer anormalen Belastungswirkung und verglichen mit ähnlichen Fällen, zu einem atypischen Vermögenseingriff kommt. Sachliche Unbilligkeit einer Abgabeneinhebung ist grundsätzlich in Fällen anzunehmen, in denen das ungewöhnliche Entstehen einer Abgabenschuld zu einem unproportionalen Vermögenseingriff beim Steuerpflichtigen führt. Der in der anormalen Belastungswirkung und verglichen mit ähnlichen Fällen, im atypischen Vermögenseingriff gelegene offenbare Widerspruch der Rechtsanwendung zu den vom Gesetzgeber beabsichtigten Ergebnissen muss seine Wurzel in einem außergewöhnlichen Geschehensablauf haben, der eine vom Steuerpflichtigen nach dem gewöhnlichen Lauf nicht zu erwartende Abgabenschuld ausgelöst hat, die zudem auch ihrer Höhe nach unproportional zum auslösenden Sachverhalt ist' ().

Der Verwaltungsgerichtshof legt in der zitierten Entscheidung den unbestimmten Gesetzesbegriff einer sachlichen Unbilligkeit iSd § 236 BAO aus. Während dieser Auslegung außerhalb des Anwendungsbereiches der Verordnung BGBl. II Nr. 435/2005 selbstverständlich zu folgen ist, verkennt die Behörde, dass sich der Antrag auf Nachsicht auf einen in der Verordnung geregelten Anwendungsfall, nämlich die Nichtanwendung einer Richtlinie, die vom Bundesministerium für Finanzen in der Findok veröffentlicht wurde, bezieht. Bei der Verordnung handelt es sich um eine generelle Norm, die zwingend von den Vollzugsorganen anzuwenden ist.

Wie im Antrag auf Nachsicht erläutert, bestimmt die Verordnung dezidiert, dass eine sachliche Unbilligkeit dann vorliegt, wenn die Geltendmachung des Abgabenanspruchs in Widerspruch zu nicht offensichtlich unrichtigen Rechtsauslegungen steht, die vom Bundesministerium für Finanzen im Internet als amtliche Veröffentlichung in der Findok veröffentlicht wurden und im Vertrauen auf die betreffende Veröffentlichung für die Verwirklichung des die Abgabepflicht auslösenden Sachverhaltes bedeutsame Maßnahmen gesetzt wurden.

Aufgrund des Vorliegens eines Anwendungsfalles der Verordnung ist eine Rückbesinnung auf die Rechtsprechung zur Auslegung des unbestimmten Gesetzesbegriffes des § 236 BAO uE nicht geboten.

Darüber hinaus bezieht sich die Behörde auf eine Aussage des VwGH (), wonach eine abgabenrechtliche Auswirkung, die ausschließlich Folge eines als generelle Norm mit umfassendem Geltungsbereich erlassenen Gesetzes ist, nicht im Einzelfall als Unbilligkeit und durch Nachsicht behoben werden kann. Hier verkennt die Behörde, dass sich der Antrag auf Nachsicht nicht auf ein Gesetz, sondern auf eine Richtlinienbestimmung bezieht. Die Aussage des VwGH kann keinesfalls für Richtlinienbestimmungen sinngemäß herangezogen werden, da andernfalls § 3 Z 2 der Verordnung BGBl. II Nr. 435/2005 jeglicher Anwendungsbereich entzogen wäre. Selbige Argumentation ist im Übrigen auch im Hinblick auf die zitierten Aussagen aus den VwGH-Erkenntnissen v , 96/15/0154 sowie v , 98/14/0147 ins Treffen zu führen.

[Seite 3 des Beschwerdeschreibens]

2. Ableitung von Rechten aus Richtlinienbestimmungen

Die Behörde führt zudem unter Bezugnahme auf das Erkenntnis des UFS v RV/3107-W/07 aus, dass aus einer Richtlinie keine Rechte abgeleitet werden können. Dem ist uE nicht zu folgen, da dies implizieren würde, dass der Bestimmung des § 3 Z 2 der Verordnung BGBl. II Nr. 435/2005, die gerade die Schutzwürdigkeit von Steuerpflichtigen im Falle des Vertrauens auf eine Richtlinienbestimmung im Sinn hat, keinerlei Rechtswirkungen zu Teil werden würde. Im dem zitierten Erkenntnis zugrundeliegenden Fall liegt mit UStR 2000, Rz 1831 eine Richtlinienbestimmung vor, die dem Gesetzesgesetzeswortlaut des § 16 Abs 1 UStG widerspricht. Dass diesfalls keine Rechte ableitbar sind, ist insoweit evident, als § 3 Z 2 der Verordnung BGBl. II Nr. 435/2005 bestimmt, dass dann keine sachliche Unbilligkeit vorliegt, wenn es sich bei der Richtlinienbestimmung um eine offensichtlich unrichtige Rechtsauslegungen handelt.

Im gegenständlichen Fall liegt jedoch keine offensichtlich unrichtige Rechtsauslegung durch die Umsatzsteuerrichtlinien vor, da § 6 Abs 1 Z 19 UStG in der Fassung vor dem AbgÄG die Steuerbefreiung jeglicher ärztlichen Leistungen nahegelegt hat. Zudem besteht ein markanter Unterschied hinsichtlich des Vertrauensschutzes iSd Grundsatzes von Treu und Glauben zwischen dem dem Erkenntnis des UFS zugrundeliegenden Sachverhaltes und dem gegenständlichen Sachverhalt unseres Mandanten: Während im ersteren Fall tatsächlich ein Fehler des Steuerpflichtigen vorlag (fehlerhafte Rechnungsausstellung), vertraute unser Mandant zu Recht auf den Gesetzeswortlaut des § 6 Abs 1 Z 19 UStG in der Fassung vor dem AbgÄG und wurde in seinem Vertrauen auf die Richtigkeit seiner Vorgehensweise insbesondere durch Rz 942, UStR 2000 aF weiter bestärkt.

3. Umsatzsteuerbefreiung des § 6 Abs 1 Z 19 UStG vor dem AbgÄG 2012 iVm UStR 2000, Rz 942 aF

Die Behörde bezieht sich auf die unionsrechtskonforme Auslegung des § 6 Abs 1 Z 19 UStG vor dem AbgÄG 2012. Dabei führt sie richtigerweise aus, dass die eine Auslegung contra legem nicht als Grundlage für eine gemeinschaftsrechtskonforme bzw. richtlinienkonforme Interpretation herangezogen werden kann. Dabei dürfte der Behörde entgangen sein, dass der VwGH in seinem Erkenntnis vom , Ro 2017/13/0015 für einen annähernd gleichgelagerten Fall entschieden hat, dass es sich bei der Nichtanerkennung der Umsatzsteuerbefreiung gerade eben um eine Auslegung contra legem handelt: 'In der Tätigkeit einer plastischen Chirurgin wie der Revisionswerberin keine ,Tätigkeit als Arzt zu sehen, wenn der Leidensdruck des Patienten im Einzelfall nicht den Grad eines Problems psychologischer Art' erreicht, würde den Auslegungsspielraum aber überschreiten und im Ergebnis die unmittelbare Anwendung der nicht umgesetzten zusätzlichen Voraussetzung der Richtlinienbestimmung bedeuten. [..] Ein solches Vorgehen kommt nur zugunsten des Abgabepflichtigen in Betracht.'

Das Höchstgericht legt somit eindeutig dar, dass § 6 Abs 1 Z 19 UStG vor dem AbgÄG 2012 im Sinne der Rechtsansicht unseres Mandanten auszulegen ist. Der Richtlinienbestimmung Rz 942 UStR 2000 vor dem Wartungserlass kann folglich auch keine andere inhaltliche Zielrichtung unterstellt werden, als jener Gesetzesbestimmung, welche sie näher definiert.

Sohin ist unserem Mandanten nicht nur aufgrund des Vertrauens auf den Wortlaut der damaligen Umsatzsteuerbefreiung, sondern insbesondere auch aufgrund des Vertrauens auf die damit im [Seite 4 des Beschwerdeschreibens] Zusammenhang stehende Richtlinienbestimmung ein entsprechender Schaden entstanden.

Herr Dr. [Beschwerdeführer] durfte somit bis zur Änderung der Rz 942 UStR 2000 von der Richtigkeit der Beurteilung seiner Behandlungsleistungen als solche mit therapeutischem Ziel ausgehen. Neben dem Vertrauen auf die medizinische Richtigkeit seiner Beurteilung vertraute er nicht zuletzt auch auf die eindeutige Klarstellung durch den Bundesminister für Finanzen, wonach die Finanzverwaltung an seine Beurteilung gebunden ist.

Weiters führt die Behörde - richtigerweise - aus, dass die Nachsicht nicht den Zweck hat, das Festsetzungsverfahren betreffend die Umsatzsteuer neu aufzurollen, eine Abgabenfestsetzung (nachträglich) zu beseitigen oder unterlassene Rechtsbehelfe nachzuholen. Dies war jedoch nicht die Intention des Antrages auf Nachsicht vom . Nachdem das Bundesfinanzgericht sowie die Höchstgerichte nicht an die Richtlinien des Bundesministeriums für Finanzen gebunden sind, kann sich der Steuerpflichtige in einem Beschwerdeverfahren gegen einen Abgabenbescheid nicht auf die - für ihn vorteilhafte - Richtlinienbestimmung berufen. Daher sieht § 236 BAO iVm § 3 Z 2 lit b) der VO BGBl II 2005/435 die Möglichkeit vor, dass der Steuerpflichtige in einem gesondertes Verfahren seine Rechte waren kann.

Zu berücksichtigen ist insbesondere, dass das Nachsichtsverfahren rechtssystematisch ein gesondertes Rechtsinstitut ist, das gänzlich unabhängig vom zugrundeliegenden Abgabenverfahren ist. Somit ist die materiellrechtliche Würdigung im Ausgangsverfahren vollkommen irrelevant für die Frage, inwieweit der Steuerpflichtige iSd des Regimes der Nachsicht schutzbedürftig ist. Im konkreten Fall ist- wie bereits ausgeführt - das Vertrauen auf eine Richtlinienbestimmung, die weder von der Behörde noch vom BFG als entscheidungsmaßgeblich gewürdigt wurde, zu schützen.

Im Übrigen ist auf die rechtliche Begründung des Antrages auf Nachsicht vom hinzuweisen, der als Anlage zu dieser Beschwerde beigefügt ist."

Mit Beschwerdevorentscheidung vom wies die belangte Behörde die Beschwerde unbegründet ab. Als Begründung ist dem Bescheid zu entnehmen:

"Nach dem Wortlaut des § 3 Z 2 lit b der Verordnung des Bundesministers für Finanzen betreffend Unbilligkeit der Einhebung im Sinn des § 236 BAO, BGBl II 435/2005 idF BGBl. II Nr. 449/2013 wird sachliche Unbilligkeit insbesondere dann anzunehmen sein, wenn die Geltendmachung des Abgabenanspruches in Widerspruch zu nicht offensichtlich unrichtigen Rechtsauslegungen steht, die vom Bundesministerium für Finanzen im AÖF bzw. als Amtliche Veröffentlichung in der Findok veröffentlicht wurden und vom Abgabepflichtigen im Vertrauen darauf für die Verwirklichung des die Abgabepflicht auslösenden Sachverhaltes bedeutsame Maßnahmen gesetzt wurden. Der Bf. stützt sich zur Untermauerung seiner Gutglaubensposition im Wesentlichen auf die bis zum Wartungserlass vom geltende Fassung der Rz 942 UStR 2000.

Wie bereits im abweisenden Bescheid vom ausgeführt, sind die Richtlinien des Bundesministeriums für Finanzen als praktische Kompilation verwaltungsgerichtlicher und europarechtlicher Judikatur anzusehen, die jedoch nicht den Zweck verfolgen, sämtliche sich im Steuerrechtsleben ergebende Sachverhalte abzudecken. Insoweit BMF-Richtlinien keine Rechtsnormqualität zukommt, sind anders lautende Richtlinienbestimmungen und Auslegungsbehelfe bzw Vorgehensweisen der Verwaltungspraxis nach dem für die Behörden anzuwendenden Legalitätsprinzip nicht beachtlich. Demzufolge ist nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes () das im Art. 18 (1) B-VG normierte Legalitätsgebot stärker als der Rechtsgrundsatz von Treu und Glaube. Über die gesetzlichen Bestimmungen hinausgehende Rechte und Pflichten können daher aus Richtlinien nicht abgeleitet werden.

Selbst wenn ohne weitere Erwägungen zu Gunsten des Beschwerdeführers davon ausgegangen würde, dass der Beschwerdeführer auf eine nicht offenkundig unrichtige behördliche, in der Findok veröffentlichte Rechtsauslegung des BMF vertraut hat, so vermag auch dies der Beschwerde nicht zum Erfolg zu verhelfen. Eine sachliche Unbilligkeit der Einhebung könnte nämlich nur dann erwogen werden, wenn zusätzlich zu diesem Faktum für die Verwirklichung des die Abgabepflicht auslösenden Sachverhaltes bedeutsame Maßnahmen, also anspruchsrelevante Dispositionen vom Beschwerdeführer gesetzt worden sind.

In der Entscheidung des -F/06 wurden der dortigen Berufungswerberin aufgrund einer Lohnsteueraußenprüfung mittels Haftungs- und Abgabenbescheiden Dienstgeberbeiträge sowie Zuschläge zu den Dienstgeberbeiträgen für die Jahre 2001 bis 2004 vorgeschrieben. Ihren Antrag auf Nachsicht begründete die Berufungswerberin damit, dass ihr aufgrund einer Außenprüfung betreffend den Prüfungszeitraum 1997 bis 2000 Dienstgeberbeiträge sowie Zuschläge zu den Dienstgeberbeiträgen vorgeschrieben worden seien. Unter Berücksichtigung der damaligen höchstgerichtlichen Rechtsprechung, wonach für die Bezüge für Geschäftsführer keine DB- bzw. DZ Pflicht Vorgelegen sei, wäre ihrer Berufung stattgegeben worden. Im Vertrauen auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes habe sie betreffend die Jahre 2001 bis 2004 die zusätzlich anfallenden Kosten bei der Kalkulation der einzelnen Aufträge nicht berücksichtigt. Es sei ihr durch die Nachbelastung entgegen der Ansicht der Abgabenbehörde sehr wohl ein Vertrauensschaden entstanden, da sie die im Nachhinein angefallenen Kosten nicht auf ihre Kunden überwälzt habe.

Der UFS sprach dazu aus, dass allgemeine betriebswirtschaftliche Grundsätze, ohne Angabe was genau die Berufungswerberin in den betreffenden Jahren bei Kenntnis der Abgabenpflicht für diese Zeiträume unternommen hätte, nicht die erforderliche genaue und zweifelsfreie Offenlegung der gesetzten bedeutsamen anspruchsrelevanten Maßnahmen erfülle. Das Vorliegen einer sachlichen Unbilligkeit wurde daher verneint (-F/06).

Der Beschwerdeführer bringt hiezu in der Beschwerde (unter Verweis auf den Antrag auf Nachsicht vom ) lediglich vor, dass der Wortlaut der Rz 942 UStR 2000 der Anlass dafür war, dass er seine Leistungen ohne Umsatzsteuer verrechnete. Dies entspricht nach der Rechtsprechung nicht der iSd § 3 Z2 lit b VO betreffend Unbilligkeit gemäß § 236 BAO BGBl II 435/2005 idF BGBl. II Nr. 449/2013 geforderten, für die Verwirklichung des die Abgabepflicht auslösenden Sachverhaltes, gesetzten bedeutsamen Maßnahmen."

Mit Schreiben seines steuerlichen Vertreters vom beantragte der Beschwerdeführer unter wörtlicher Wiedergabe der Beschwerdebegründung die Entscheidung über die Beschwerde durch das Verwaltungsgericht.

Mit Vorlagebericht vom legte die belangte Behörde dem Bundesfinanzgericht die Beschwerde zur Entscheidung vor. Der darin enthaltenen Stellungnahme der Abgabenbehörde ist zu entnehmen:

"Wie bereits in der Beschwerdevorentscheidung vom ausgeführt, kann eine sachliche Unbilligkeit iSd § 3 Z2 lit b VO betreffend Unbilligkeit gemäß § 236 BAO BGBl II 435/2005 idF BGBl. II Nr. 449/2013 nur dann erwogen werden, wenn zusätzlich zum Vertrauen auf eine, in der Findok veröffentlichte behördliche Rechtsauslegung des BMF für die Verwirklichung des die Abgabepflicht auslösenden Sachverhaltes bedeutsame Maßnahmen, also anspruchsrelevante Dispositionen vom Beschwerdeführer gesetzt worden sind.

Der Beschwerdeführer bringt hiezu in der Beschwerde (unter Verweis auf den Antrag auf Nachsicht vom ) lediglich vor, dass der Wortlaut der Rz 942 UStR 2000 der Anlass dafür war, dass er seine Leistungen ohne Umsatzsteuer verrechnete. Dies entspricht nach der Rechtsprechung nicht der iSd § 3 Z2 lit b VO betreffend Unbilligkeit gemäß § 236 BAO BGBl II 435/2005 idF BGBl. II Nr. 449/2013 geforderten, für die Verwirklichung des die Abgabepflicht auslösenden Sachverhaltes, gesetzten bedeutsamen Maßnahmen (-F/06)."

Der Beschwerdeführer hat den Antrag auf mündliche Verhandlung und den Antrag auf Entscheidung durch den Senat zurückgenommen.

Das Bundesfinanzgericht hat über die Bescheidbeschwerde erwogen:

Der Beschwerdeführer begründet sein Recht auf Nachsicht unter Hinweis auf § 3 Abs. 2 lit b der Verordnung des Bundesministers für Finanzen betreffend Unbilligkeit der Einhebung im Sinn des § 236 BAO, BGBl. II Nr. 435/2005, damit, dass er seine Leistungen im Vertrauen auf den Wortlaut der bis zum Wartungserlass vom geltende Fassung der Rz. 942 UStR 2000 ohne Umsatzsteuer verrechnet habe. Von seiner Seite als behandelnder Arzt sei die Beurteilung erfolgt, dass alle vorgenommenen ästhetisch-plastischen Leistungen ein therapeutisches Ziel (im Sinne einer Verbesserung eines Zustandes, unter dem der Patient körperlich geistig oder sozial leide) verfolgten (siehe Seite 2 des Antragsschreibens). Nach dem Wortlaut der UStR sei seine Beurteilung des Vorliegens einer therapeutischen Ziels für die Abgabenbehörde bindend (siehe Seite 4 erster Absatz des Beschwerdeschreibens und Seite 2 des Antragsschreibens).

Zur umsatzsteuerlichen Situation:

Nach Art. 132 Abs. 1 lit c der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem, ABl. L 347/1 vom , befreien die Mitgliedstaaten die Umsätze aus Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin, die im Rahmen der Ausübung der von dem betreffenden Mitgliedstaat definierten ärztlichen und arztähnlichen Berufe durchgeführt werden, von der Steuer.

§ 6 Abs. 1 Z 19 UStG 1994 in der bis zum Abgabenänderungsgesetz 2012 - AbgÄG 2012, BGBl. I Nr. 112/2012, geltenden Fassung bestimmte, dass ua. die "Umsätze aus der Tätigkeit als Arzt" steuerfrei sind.

§ 6 Abs. 1 Z 19 UStG 1994 in der seit dem Abgabenänderungsgesetz 2012 - AbgÄG 2012, BGBl. I Nr. 112/2012, geltenden Fassung bestimmt, dass ua. die "Umsätze aus Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin, die im Rahmen der Tätigkeit als Arzt durchgeführt werden", steuerfrei sind.

Im Urteil vom , C-91/12, hat der EuGH klargestellt, dass Leistungen, soweit sie dazu dienen, Personen zu behandeln oder zu heilen, bei denen aufgrund einer Krankheit, Verletzung oder eines angeborenen körperlichen Mangels ein Eingriff ästhetischer Natur erforderlich ist, unter die Begriffe "ärztliche Heilbehandlungen" oder "Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin" im Sinne von Art. 132 Abs. 1 Buchst. b oder Art. 132 Abs. 1 Buchst. c der Mehrwertsteuerrichtlinie fallen können. Wenn der Eingriff jedoch zu rein kosmetischen Zwecken erfolgt, fällt er nicht unter diese Begriffe (Rz. 29).

Mit Erkenntnis vom , Ro 2017/13/0015, hat der Verwaltungsgerichtshof im Fall einer niedergelassenen Fachärztin für plastische, ästhetische und rekonstruktive Chirurgie - unter Hinweis auf die im österreichischen Recht bis zum AbgÄG 2012 fehlende Voraussetzung "Heilbehandlung" (siehe Rz. 34) - entschieden, dass die Befreiungsbestimmung des nationalen Rechts richtlinienkonform auszulegen ist, solange dies nicht zu einer Auslegung contra legem führt. In diesem Sinn kann bis zu einem gewissen Grad auch der bis zum AbgÄG 2012 nicht umgesetzten Voraussetzung der Befreiungsbestimmung - Vorliegen einer "Heilbehandlung" - durch ein enges Verständnis der Voraussetzung "Tätigkeit als Arzt" Rechnung getragen werden. In der Tätigkeit einer plastischen Chirurgin keine "Tätigkeit als Arzt" zu sehen, wenn der Leidensdruck des Patienten im Einzelfall nicht den Grad eines "Problems psychologischer Art" erreicht, würde den Auslegungsspielraum aber überschreiten und im Ergebnis die unmittelbare Anwendung der nicht umgesetzten zusätzlichen Voraussetzung der EU-Richtlinienbestimmung bedeuten. Ein solches Vorgehen kommt nur zugunsten des Abgabepflichtigen in Betracht (siehe Rz. 33).

Zur Abgabennachsichtsfrage:

Fällige Abgabenschuldigkeiten können auf Antrag des Abgabepflichtigen ganz oder zum Teil durch Abschreibung nachgesehen werden, wenn ihre Einhebung nach der Lage des Falles unbillig wäre (§ 236 Abs. 1 BAO).

Von Seiten des Beschwerdeführers wird § 3 Abs. 2 lit. b der Verordnung des Bundesministers für Finanzen betreffend Unbilligkeit der Einhebung im Sinn des § 236 BAO, BGBl. II Nr. 435/2005, ins Treffen geführt, wonach eine sachliche Unbilligkeit bei der Einhebung von Abgaben insbesondere vorliegt, soweit die Geltendmachung des Abgabenanspruches in Widerspruch zu nicht offensichtlich unrichtigen Rechtsauslegungen steht, die vom Bundesministerium für Finanzen im Amtsblatt der österreichischen Finanzverwaltung oder im Internet als Amtliche Veröffentlichung in der Findok veröffentlicht wurden, wenn im Vertrauen auf die betreffende Äußerung bzw. Veröffentlichung für die Verwirklichung des die Abgabepflicht auslösenden Sachverhaltes bedeutsame Maßnahmen gesetzt wurden.

Der von Seiten des Beschwerdeführers diesbezüglich ins Treffen geführten Rz. 942 UStR 2000 (in der bis zum Wartungserlass vom geltenden Fassung) war zu entnehmen:

"Zur Tätigkeit als Arzt gehören auch ästhetisch-plastische Leistungen sowie Schwangerschaftsunterbrechungen, soweit ein therapeutisches Ziel im Vordergrund steht. Die Beurteilung des Vorliegens dieser Voraussetzung obliegt dem behandelnden Arzt. Diese Beurteilung, die durch die Erklärung als steuerfreie Arztleistung dokumentiert wird, ist für die Finanzverwaltung bindend."

Eine Auseinandersetzung mit dem Inhalt der Rz. 942 UStR 2000 kann im Beschwerdefall jedoch unterbleiben. § 3 Abs. 2 lit. b der Verordnung des Bundesministers für Finanzen betreffend Unbilligkeit der Einhebung im Sinn des § 236 BAO, BGBl. II Nr. 435/2005, ist nämlich auf den Beschwerdefall nicht anwendbar, weil diese Bestimmung von der rechtmäßigen Geltendmachung eines (materiellrechtlich bestehenden) Abgabenanspruches ausgeht. Besteht jedoch - wie im Beschwerdefall - materiellrechtlich gar kein Abgabenanspruch (vgl. das oben zitierte Erkenntnis vom , Ro 2017/13/0015), ist - unbesehen der unrechtmäßigen bescheidmäßigen Geltendmachung - der von § 3 Abs. 2 lit. b der Verordnung geforderte Widerspruch nicht denkmöglich und dieser Nachsichtstatbestand damit von vornherein nicht ausfüllbar.

Wie der Verwaltungsgerichtshof jedoch mit Erkenntnis vom , 2013/13/0097, entschieden hat, schließen die in den §§ 2 und 3 der Verordnung BGBl. II Nr. 435/2005 aufgezählten Fälle Fälle anderer Art nicht aus ("insbesondere").

Die Unbilligkeit der Abgabeneinhebung kann grundsätzlich nicht damit begründet werden, dass die Abgabenvorschreibung zu Unrecht erfolgt sei. Vielmehr muss die behauptete Unbilligkeit in Umständen liegen, die die Entrichtung der Abgabe selbst betreffen ().

Wie der Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom , 0346/59, entschieden hat, kann eine Unbilligkeit unter Umständen auch dann gegeben sein, wenn es der Steuerpflichtige unterlassen hat, eine gesetzlich vorgesehene Steuerbegünstigung im Veranlagungsverfahren in Anspruch zu nehmen. Dabei kommt es entscheidend darauf an, aus welchen Gründen die Geltendmachung der Begünstigung unterblieben ist; denn nicht jedes im Veranlagungsverfahren unterlaufene Versäumnis des Steuerpflichtigen kann durch ein Steuernachsichtsverfahren nachgeholt werden, weil ein solches Vorgehen zu einer unzulässigen Umgehung der Rechtskraftwirkung einer Veranlagung führen würde.

Demgemäß kann eine Unbilligkeit unter Umständen auch dann gegeben sein, wenn es der Steuerpflichtige unterlassen hat, ein Rechtsmittel bzw. einen Rechtsbehelf gegen die unrechtmäßige Geltendmachung eines Abgabenanspruches zu erheben, wobei es auch hier entscheidend darauf ankommt, aus welchen Gründen die Erhebung des Rechtsmittels unterblieben ist.

Im Beschwerdefall hat die belangte Behörde dem Beschwerdeführer in einem von ihr angestrengten Verfahren die gegenständlichen Umsatzsteuernachforderungen vorgeschrieben. Diese Vorschreibung wurde vom Bundesfinanzgericht (in einem verminderten Ausmaß) bestätigt, was der Beschwerdeführer nach Erörterung der Sach- und Rechtslage wohl auch unter Rücksichtnahme auf bestehende Nachweisschwierigkeiten (Anteil der Behandlungen ohne medizinische Indikation) ohne außerordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof hinnahm. Drei Monate nach Bestätigung dieser Vorschreibung durch das Bundesfinanzgericht entschied der Verwaltungsgerichtshof in einem anderen Fall, dass die (auch im Umsatzsteuerverfahren des Beschwerdeführers maßgebliche) Befreiungsbestimmung des § 6 Abs. 1 Z 19 UStG 1994 in der bis zum Abgabenänderungsgesetz 2012 - AbgÄG 2012, BGBl. I Nr. 112/2012, geltenden Fassung ohne Weiteres auf die plastisch-chirurgische Tätigkeit anzuwenden wäre (siehe oben). Somit wurden dem Beschwerdeführer die gegenständlichen Umsatzsteuernachforderungen (mangels eines materiellrechtlichen Anspruches) unrechtmäßig vorgeschrieben.

Es steht außer Zweifel, dass es unbillig wäre, von einem Abgabepflichtigen, dem in einem von der Abgabenbehörde angestrengten Verfahren eine Abgabe aufgrund der unrichtigen Lösung einer maßgeblichen Rechtfrage zweifelsfrei unrechtmäßig vorgeschrieben wurde, die Entrichtung dieser Abgabe trotz Fehlens eines materiellrechtlichen Anspruches nur aufgrund der (formal) rechtswirksamen Vorschreibung zu verlangen. Dabei ist es ohne Belang, dass die Behörde aufgrund zum Zeitpunkt der Abgabenvorschreibung fehlender Judikatur kein Verschulden an der unrichtigen Lösung der Rechtsfrage getroffen hat.

Der angefochtene Bescheid war daher in der Beschwerde stattgebender Weise abzuändern und auszusprechen, dass die gegenständlichen Umsatzsteuernachforderungen durch Abschreibung nachgesehen werden.

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Da diese Voraussetzung aufgrund der oben wiedergegebenen Rechtsprechung nicht vorliegt war auszusprechen, dass die Revision nicht zulässig ist.

Graz, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 236 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 3 Abs. 2 Unbilligkeit der Einhebung im Sinn des § 236 BAO, BGBl. II Nr. 435/2005
§ 6 Abs. 1 Z 19 UStG 1994, Umsatzsteuergesetz 1994, BGBl. Nr. 663/1994
Verweise


Zitiert/besprochen in
Rauscher in BFGjournal 2019, 321
Fiala in AVR 2020, 153
Rzeszut/Turpin in SWK 34/2020, 1603
ECLI
ECLI:AT:BFG:2019:RV.2100561.2019

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at