23.7 Einkünftezurechnung bei Dividenden aus zentralverwahrten Aktien (§ 32 Abs. 4 EStG 1988)
23.7.1 Allgemeines
6914§ 32 Abs. 4 EStG 1988 sieht für Dividenden im Sinne des § 27 Abs. 2 Z 1 lit. a EStG 1988, die über das Wertpapierliefer- und Wertpapierabrechnungssystem eines Zentralverwahrers ausbezahlt werden, eine ausdrückliche Regelung vor, wem diese Dividenden ertragsteuerlich zuzurechnen sind. Nur diese Person kann als Abgabenschuldner in weiterer Folge zur allfälligen Rückforderung oder Anrechnung der KESt berechtigt sein. Zudem sieht die Regelung zur Verhinderung von unerwünschten KESt-Vermeidungsmodellen auch eine Anrechnungs- bzw. Erstattungsbegrenzung vor, die eine Anrechnung und Erstattung von bereits abgeführter Kapitalertragsteuer in bestimmten missbräuchlichen Fällen begrenzt.
Die Regelung kommt unabhängig von der Erfassung der Dividendeneinkünfte als Einkünfte aus Kapitalvermögen oder als betriebliche Einkünfte sowohl im Rahmen der Einkommen- als auch der Körperschaftsteuer zur Anwendung.
23.7.2 Einkünftezurechnung
6915Die Zurechnung einer Dividende aus einer zentralverwahrten Aktie setzt gemäß § 32 Abs. 4 Z 1 EStG 1988 voraus, dass wirtschaftliches Eigentum (siehe Rz 6917) an den zugrundeliegenden Anteilen am Ende des Record-Tages (siehe Rz 6916) besteht.
Voraussetzung für die Anwendung der Zurechnungsbestimmung ist somit, dass die Auszahlung von Dividenden und dividendenähnlichen Zahlungen (zB aus Genussrechten) über das Wertpapierliefer- und Wertpapierabrechnungssystem eines Zentralverwahrers erfolgt; in diesen Konstellationen fallen bei inländischen Gesellschaften Kapitalertragsteuerabzug (bei der ausschüttenden Körperschaft) und Auszahlung der Dividende (über den Zentralverwahrer an die einzelnen Banken bzw. weiter an deren Kunden) auseinander.
Zentralverwahrer sind definiert als juristische Personen gemäß Art. 2 Abs. 1 Z 1 und 2 der Verordnung (EU) Nr. 909/2014 zur Verbesserung der Wertpapierlieferungen und -abrechnungen in der Europäischen Union und über Zentralverwahrer sowie zur Änderung der Richtlinien 98/26/EG und 2014/65/EU und der Verordnung (EU) Nr. 236/2012, ABl. Nr. L 257 vom S. 1.
6916Record-Tag ist der erste Handelstag nach dem Tag, an dem die Anteile erstmals ohne Auszahlungsanspruch gehandelt werden: Nach den Börsenusancen werden Aktien bis zu einem bestimmten Tag mit Dividendenanspruch (cum-Dividende) gehandelt, wobei hier grundsätzlich das Verpflichtungsgeschäft maßgeblich ist. Ab dem folgenden Tag (ex-Tag) erworbene Aktien beinhalten keinen Dividendenanspruch mehr (ex-Dividende), wobei in der Regel eine entsprechende Reduktion des Aktienkurses stattfindet. Die Auszahlung der Dividende erfolgt in weiterer Folge an denjenigen, der spätestens am Record-Tag (erster Tag nach dem ex-Tag bzw. der zweite Tag nach dem cum-Tag) die Aktien auf seinem Depot eingebucht hat. Der Record-Tag ist damit jener Tag, an dem der Zentralverwahrer die Anspruchsberechtigung feststellt. Dieser Tag ist künftig auch für die steuerliche Einkünftezurechnung relevant.
Damit weicht für diese Dividenden aufgrund der ausdrücklichen gesetzlichen Anordnung die Einkünftezurechnung von den allgemeinen Grundsätzen ab (siehe Rz 6110a). Wird somit eine Aktie cum (mit) Dividende erworben und - zB aufgrund eines Lieferverzuges - erst nach dem Record-Tag geliefert, ist diese Dividende dem Erwerber nicht zuzurechnen. Da die Aktie allerdings mit Dividendenanspruch gekauft und ohne geliefert wurde, erhält der Erwerber der Aktie anstelle der Dividendenzahlung eine Zahlung aus dem Marktregulierungsverfahren (sogenannter "Market Claim"). Diese Zahlung aus dem Marktregulierungsverfahren führt zu einer Kürzung der Anschaffungskosten der erworbenen Aktie, wenn dieser vor einer allfälligen Veräußerung der Aktie geleistet wird. Fließen diese Zahlungen aus dem Marktregulierungsverfahren hingegen nach einer allfälligen Veräußerung zu, stellt dies - unabhängig von der Höhe der ursprünglichen Anschaffungskosten - einen zusätzlichen steuerpflichtigen Veräußerungserlös dar, der - nach den Bestimmungen des § 27 Abs. 8 EStG 1988 - mit einem allfälligen realisierten Veräußerungsverlust verrechenbar ist (siehe auch Rz 6143). Für den Veräußerer führt diese Zahlung zu einer steuerwirksamen Kürzung des Veräußerungserlöses. Wird hingegen eine Aktie ex (ohne) Dividende erworben und dennoch bereits am Record-Tag geliefert, erfolgt eine Regulierungszahlung vom Käufer (dem die Dividende steuerlich zuzurechnen ist) an den Verkäufer (sogenannter "Reverse Claim"). Diese Zahlung hat weder Auswirkungen auf die Anschaffungskosten des Käufers noch auf den Veräußerungserlös des Veräußerers.
6917Ausdrücklich gesetzlich geregelt ist zudem, dass wirtschaftliches Eigentum ab dem Zeitpunkt vorliegt, zu dem die Anteile tatsächlich geliefert worden sind (Verfügungsgeschäft, Erfüllung des Verpflichtungsgeschäfts). Das Datum der Einlieferung ist somit das Datum, an dem der Kaufauftrag erfüllt (nicht abgeschlossen) wird. Das wirtschaftliche Eigentum an diesen depotverwahrten Gesellschaftsanteilen kann somit nur bei jenem Steuerpflichtigen vorliegen, auf dessen Depot die Wertpapiere (die Aktien) tatsächlich eingebucht (geliefert) sind. Dabei müssen zudem sämtliche sonstige für das Vorliegen des wirtschaftlichen Eigentums notwendigen Voraussetzungen erfüllt sein.
Die Regelungen des § 32 Abs. 4 EStG 1988 kommen dabei - unabhängig vom Tag der Hauptversammlung - erstmals für Zahlungen zur Anwendung, deren Record-Tag nach dem liegt.
6918Die Grundsätze der Einkünftezurechnung sind auch für Zwecke der Entlastung an der Quelle anzuwenden. Eine Befreiung vom Kapitalertragsteuerabzug an der Quelle gemäß § 94 Z 2, Z 6 und Z 12 EStG 1988 sowie aufgrund völkerrechtlicher Verpflichtungen setzt daher bei Dividendenausschüttungen ebenso voraus, dass die Voraussetzungen für die Befreiung spätestens am Ende des Record-Tages erfüllt sind. Kann die ausschüttende Gesellschaft daher nicht nachweisen, dass die Voraussetzungen für die Entlastung an der Quelle erfüllt wurden, kommt eine Haftungsinanspruchnahme gemäß § 95 Abs. 1 EStG 1988 in Betracht.
23.7.3 Anrechnungs- bzw. Erstattungsbegrenzung
6919§ 32 Abs. 4 Z 2 EStG 1988 sieht zudem für bestimmte Fälle eine Anrechnungs- bzw. Erstattungsbegrenzung vor. Die Bestimmung ist dann anzuwenden, wenn die Einkünfte (= Bruttodividenden) aus der jeweiligen Gesellschaft, für die die Anrechnung oder Rückerstattung der Kapitalertragsteuer erfolgen soll, im Veranlagungszeitraum mehr als 20.000 Euro pro Steuerpflichtigem betragen (Bagatellfreigrenze). Die Bagatellfreigrenze ist somit gesellschaftsbezogen und nicht auf sämtliche Dividendeneinkünfte des Steuerpflichtigen zu beziehen. Für Dividenden unter 20.000 Euro soll Z 2 nicht zur Anwendung kommen; hier genügt das wirtschaftliche Eigentum am Ende des Record-Tages nach Z 1.
Die volle Anrechnung oder Rückerstattung der für die Einkünfte einbehaltenen Kapitalertragsteuer setzt dabei voraus, dass der Steuerpflichtige ein angemessenes wirtschaftliches Risiko trägt und während der Mindesthaltedauer ununterbrochen wirtschaftlicher Eigentümer der zugrundeliegenden Anteile ist. Da es sich um kumulative Voraussetzungen handelt, kommt die Regelung bereits zur Anwendung, wenn nur eine der beiden Voraussetzungen nicht erfüllt ist.
Ein angemessenes wirtschaftliches Risiko setzt voraus, dass der Steuerpflichtige das Risiko aus einem sinkenden Wert der Anteile im Umfang von mindestens 70 Prozent wirtschaftlich selbst trägt. Dies liegt beispielsweise dann nicht vor, wenn durch eine entsprechend ausgestaltete Wertpapierleihe, ein Pensionsgeschäft oder ein Derivat der Steuerpflichtige, dem die Einkünfte zuzurechnen sind, wirtschaftlich (nahezu) kein Kursrisiko trägt. Dabei sind Ansprüche des Steuerpflichtigen und ihm nahestehender Personen aus Kurssicherungsgeschäften zu berücksichtigen. Das Mindestwertänderungsrisiko (= angemessenes wirtschaftliches Risiko) ist dabei während der Mindesthaltedauer durchgehend zu tragen.
Die Mindesthaltedauer umfasst 45 Tage und muss innerhalb eines Zeitraumes von 45 Tagen vor und 45 Tagen nach dem Record-Tag erreicht werden. Bei Bestandsveränderung innerhalb eines Depots rund um den Record-Tag ist im Zweifel davon auszugehen, dass früher angeschaffte Wertpapiere als zuerst veräußert gelten (FIFO).
6920Durch diese Bestimmung soll Gestaltungen vorgebeugt werden, die nicht auf eine Mehrfachverwertung, sondern eine Vermeidung der Kapitalertragsteuer abzielen. Aufgrund des Charakters der Norm als Missbrauchsvermeidungsvorschrift (vgl. Art. 29 Abs. 9 OECD-MA) soll die Anrechnung oder Erstattung der Kapitalertragsteuer nur insoweit versagt werden, als die Übertragung zu einem Steuervorteil führt (zB weil der Entleiher - anders als der Verleiher - nicht oder nur in geringerer Höhe der Kapitalertragsteuer unterliegt). Für das Vorliegen eines Steuervorteils ist dabei auf das Gesamtbild der Verhältnisse abzustellen (zB bei mehrfachen Übertragungen der Wertpapiere).
Kann vom Steuerpflichtigen nachgewiesen werden, dass durch die Übertragung kein oder ein geringerer Steuervorteil entstanden ist, kommt es somit - selbst wenn kein angemessenes wirtschaftliches Risiko getragen wird oder die Mindesthaltedauer nicht erfüllt ist - zu einer entsprechenden Anrechnung und Erstattung der KESt.
Beispiel:
A verleiht zentralverwahrte Aktien an B, wobei B die Aktien am Record-Tag auf seinem Depot eingebucht hat. Nach dem DBA zwischen Österreich und dem Ansässigkeitsstaat von A steht Österreich ein Quellenbesteuerungsrecht in Höhe von 15% zu. Nach dem DBA zwischen Österreich und dem Ansässigkeitsstaat von B steht Österreich nur ein Quellenbesteuerungsrecht in Höhe von 10% zu, weshalb ein Steuervorteil vorliegt. Es kann daher nur zu einer Erstattung von Kapitalertragsteuer in Höhe von 12,5% (27,5% minus 15%) kommen.
Die Regelung ist dabei sowohl im Veranlagungsverfahren als auch im Rückerstattungsverfahren (zB aufgrund völkerrechtlicher Verpflichtungen oder § 21 Abs. 1 Z 1a KStG 1988) anzuwenden.
23.7.4 Nachweismöglichkeiten
6921Im Rückerstattungsverfahren sowie im Veranlagungsverfahren (zB im Rahmen der Verlustausgleichsoption oder weil Zahlungen von ausländischen Gesellschaften gemäß § 93 Abs. 5 letzter Teilstrich EStG 1988 unrichtig durch den Abzugsverpflichteten zugerechnet wurden) ist die Einkünftezurechnung nachzuweisen. Dazu muss der Nachweis des Einlieferungszeitpunktes anhand entsprechender Bankbestätigungen erfolgen, wobei es dem Finanzamt vorbehalten ist, deren Echtheit (auch im Wege der Amtshilfe) nachzuprüfen bzw. weitere Unterlagen (zB Verträge über Zu- und Verkäufe sowie Verleih von Wertpapieren) anzufordern. Dabei muss aus den Unterlagen bei Kaufvorgängen sowohl das Datum des Vertragsabschlusses als auch das Datum der tatsächlichen Einlieferung erkennbar sein. Zudem muss aus den Unterlagen deutlich hervorgehen, wer am Record-Tag der entsprechende Depotinhaber war. Ist bei Dividenden aus Inlandsgesellschaften Kapitalertragsteuer vom Schuldner gemäß § 95 Abs. 2 Z 1 lit. a EStG 1988 einbehalten worden, kann im Rahmen der Veranlagung grundsätzlich von einer Einkünftezurechnung an den Steuerpflichtigen ausgegangen werden, wenn eine solche auch von der inländischen depotführenden Stelle gemäß § 93 Abs. 5 letzter Teilstrich EStG 1988 vorgenommen wurde (siehe dazu Rz 7739b).
6922Übersteigen die Dividendenzahlungen aus einer Gesellschaft den Bruttobetrag von 20.000 Euro (Bagatellfreigrenze) im Veranlagungsjahr, sind zusätzlich die Depotumsätze in Zusammenhang mit den betroffenen Aktien für einen Zeitraum von 50 Tage vor bis 45 Tage nach dem Record-Tag nachzuweisen (insbesondere Jahresdepotauszüge, die Zu- und Abgänge vergleichbar einem Journal enthalten), wobei durch die Frist jedenfalls ersichtlich sein soll, wann die Aktien zwischen dem 45. Tag vor und nach dem Record-Tag am Depot eingebucht worden sind. Dadurch kann in jedem Fall festgestellt werden, ob die Mindestbehaltefrist von 45 Tagen innerhalb dieses Zeitraums von 90 Tagen erfüllt wurde. Zudem hat der Antragsteller zu bestätigen, dass er ein angemessenes wirtschaftliches Risiko trägt. Weiters ist eine unterfertigte Bescheinigung der depotführenden Bank vorzulegen, die bestätigt, dass ihr kein risikominderndes Geschäft im Zusammenhang mit dem Erwerb der Aktie bekannt ist. Eine solche Bestätigung ist nicht auszustellen, wenn die Bank Kenntnis von einer finanziellen Vereinbarung im Zusammenhang mit den zugrundeliegenden Wertpapieren hat, die eine Risikotragung ausschließen oder vermindern. Dies kann beispielsweise ein Pensionsgeschäft oder eine Wertpapierleihe sein, aber auch Derivatprodukte. Um diese Bestätigung abgeben zu können, ist allenfalls eine Entbindung vom Bankgeheimnis notwendig.
Randzahlen 6923 bis 7000: derzeit frei
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Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at
Fundstelle(n):
LAAAA-76448