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VfGH vom 25.09.2008, g19/08

VfGH vom 25.09.2008, g19/08

Sammlungsnummer

18549

Leitsatz

Keine Gleichheitswidrigkeit der Steuerbefreiung von Trinkgeldern;

steuerliche Sonderbehandlung im rechtspolitischen Gestaltungsspielraum, auch im Sinne der Verwaltungsökonomie;

realitätsgerechte Erfassung dieser Einkünfte mit vertretbarem Aufwand nicht möglich; keine Bedenken gegen die Ausnahme von der Steuerbefreiung aufgrund eines Verbots der direkten Annahme von Trinkgeldern, zB für Anteile an der Cagnotte iSd Glücksspielgesetzes

Spruch

§ 3 Abs 1 Z 16a des Bundesgesetzes vom über die Besteuerung des Einkommens natürlicher Personen (Einkommensteuergesetz 1988 - EStG 1988), BGBl. Nr. 400 idF BGBl. I Nr. 35/2005, wird nicht als verfassungswidrig aufgehoben.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Beim Verfassungsgerichtshof ist zu B822/07 eine auf

Art144 B-VG gestützte Beschwerde gegen einen Bescheid des Unabhängigen Finanzsenates (in der Folge: UFS), Außenstelle Innsbruck, anhängig, mit dem gegenüber dem Beschwerdeführer, einem Arbeitnehmer der Casinos Austria AG, die Einkommensteuer für die Jahre 2001 bis 2005 festgesetzt wurde. Hiebei wurde die Anwendung der Steuerbefreiung des § 3 Abs 1 Z 16a erster Satz EStG 1988 auf die ihm zufließenden Anteile an der so genannten Cagnotte versagt. Begründend führte der UFS dazu im Wesentlichen aus, dass es sich dabei um Zuwendungen handle, die für die Gesamtheit der Arbeitnehmer des Konzessionärs bestimmt sind, somit nicht um Zuwendungen an einzelne Arbeitnehmer aus Anlass einer von diesen Personen erbrachten Dienstleistung. Dem Beschwerdeführer sei es gemäß § 27 Abs 3 Glücksspielgesetz (GlücksspielG), BGBl. 620/1989 idF BGBl. 695/1993, nicht gestattet, Zuwendungen persönlich entgegen zu nehmen. Zuwendungen, die dem Beschwerdeführer (arg. "dem Arbeitnehmer", § 3 Abs 1 Z 16a EStG 1988) anlässlich einer Arbeitsleistung von dritter Seite gegeben werden, lägen nicht vor, womit die Tatbestandsvoraussetzungen des § 3 Abs 1 Z 16a erster Satz EStG 1988 nicht erfüllt seien. Selbst wenn es sich jedoch - wie der Beschwerdeführer vorbringe - um ein "Trinkgeldsubstitut" handeln sollte, so wäre eine Steuerbefreiung für die ihm zugeflossenen Anteile aus der so genannten Cagnotte aufgrund des zweiten Satzes dieser Bestimmung ausgeschlossen, da dem Beschwerdeführer die direkte Annahme von Trinkgeldern aufgrund gesetzlicher Bestimmungen (§27 Abs 3 GlücksspielG) untersagt sei.

2. Bei der Behandlung dieser Beschwerde sind beim Verfassungsgerichtshof Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit der Z 16a des § 3 Abs 1 EStG 1988, BGBl. 400 idF BGBl. I 35/2005, entstanden. Der Gerichtshof hat daher mit Beschluss vom von Amts wegen ein Gesetzesprüfungsverfahren hinsichtlich der genannten Bestimmung eingeleitet.

3. Zur Rechtslage:

Von der Einkommensteuer sind gemäß § 3 Abs 1 Z 16a EStG 1988, BGBl. 400 idF BGBl. I 35/2005, befreit:

"16a. Ortsübliche Trinkgelder, die anlässlich einer Arbeitsleistung dem Arbeitnehmer von dritter Seite freiwillig und ohne dass ein Rechtsanspruch auf sie besteht, zusätzlich zu dem Betrag gegeben werden, der für diese Arbeitsleistung zu zahlen ist. Dies gilt nicht, wenn auf Grund gesetzlicher oder kollektivvertraglicher Bestimmungen Arbeitnehmern die direkte Annahme von Trinkgeldern untersagt ist."

In der Begründung zum Initiativantrag vom , 527/A 22. GP, wird die Einführung dieser Befreiungsvorschrift mit folgenden Überlegungen gerechtfertigt:

"Bislang unterliegen Kreditkartentrinkgelder der Lohnsteuer, während bare Trinkgelder im Rahmen von Lohnsteuerprüfungen nicht erfasst werden können. Damit ist es bislang ausschließlich der Steuerehrlichkeit des Trinkgeldempfängers überlassen, die Trinkgelder im Rahmen seiner Einkommensteuererklärung anzugeben. Eine Überprüfungsmöglichkeit besteht praktisch kaum.

Eine Überwachung dieser baren Trinkgelder wäre jedenfalls nur mit einem unverhältnismäßig hohen Verwaltungsaufwand möglich. Auch eine Pauschalierung wäre undenkbar, da viele unterschiedliche Trinkgeldhöhen bestehen und eine Feststellung, wie Trinkgelder unter den Bediensteten aufgeteilt werden, nicht möglich ist.

Aus Gründen der Verfahrensökonomie sollen daher alle von dritter Seite freiwillig an Arbeitnehmer gewährten Trinkgelder, auf die der Arbeitnehmer jedoch keinen Rechtsanspruch hat, zur Gänze lohn- bzw. einkommensteuerfrei gestellt werden. Damit sollen in Hinkunft auch Kreditkartentrinkgelder von der Lohnsteuer befreit sein. Die Befreiung gilt auch für den Dienstgeberbeitrag (§41 Abs 4 litc Familienlastenausgleichsgesetz 1967) sowie für die Kommunalsteuer (§5 Abs 2 litc Kommunalsteuergesetz 1993)."

Die Gegenausnahme des zweiten Satzes wird mit folgenden Worten begründet:

"Liegt jedoch eine gesetzliche Bestimmung oder eine lohngestaltende Vorschrift vor, die eine Annahme von Trinkgeld durch die Arbeitnehmer selbst verbietet[,] und kommt es in der Folge zu einer Verteilung durch den Arbeitgeber an die Arbeitnehmer, ist wie bisher von voller Lohnsteuerpflicht auszugehen (z.B. § 27 Abs 3 Glücksspielgesetz)."

Abs 3 und 4 des § 27 GlücksspielG, BGBl. 620/1989 idF BGBl. 695/1993, bestimmen:

"(3) Den Arbeitnehmern des Konzessionärs ist es weiters untersagt, sich an den in den Spielbanken betriebenen Spielen zu beteiligen oder von den Spielern Zuwendungen, welcher Art auch immer, entgegenzunehmen. Es ist jedoch gestattet, daß die Spieler Zuwendungen, die für die Gesamtheit der Arbeitnehmer des Konzessionärs bestimmt sind, in besonderen, für diesen Zweck in den

Spielsälen vorgesehenen Behältern ... hinterlegen (Cagnotte).

(4) Die Aufteilung der Cagnotte (Abs3) unter die Arbeitnehmer des Konzessionärs ist durch Kollektivvertrag und durch eine Betriebsvereinbarung zu regeln. Dem Konzessionär steht kein wie immer gearteter Anspruch auf diese Zuwendungen zu. Von der Verteilung der Cagnotte sind Vorstandsmitglieder, leitende Angestellte mit Sonderverträgen sowie Arbeitnehmer von Nebenbetrieben ausgenommen."

4. Der Verfassungsgerichtshof ist im Prüfungsbeschluss (vorläufig) davon ausgegangen, dass der UFS bei Erlassung des angefochtenen Bescheides die genannte Bestimmung insgesamt, das heißt sowohl den ersten als auch den zweiten Satz, angewendet hat und dass daher auch der Gerichtshof die Z 16a des § 3 Abs 1 EStG 1988 bei der Behandlung der gegen diesen Bescheid gerichteten, zu B822/07 protokollierten Beschwerde insgesamt anzuwenden hätte.

5. Die Erwägungen, die den Verfassungsgerichtshof zur Einleitung des Gesetzesprüfungsverfahrens veranlasst hatten, legte er in seinem Prüfungsbeschluss wie folgt dar:

"2.1. Trinkgelder, die anlässlich einer Arbeitsleistung dem Arbeitnehmer von dritter Seite neben dem vereinbarten Arbeitslohn freiwillig zugewendet werden, dürften nach der Systematik des österreichischen Einkommensteuerrechtes - da es sich um Vorteile aus einem bestehenden Dienstverhältnis handelt (§25 Abs 1 Z 1 lita EStG 1988) - zu den steuerbaren Einnahmen aus unselbständiger Arbeit zählen. Sie wären daher, bestünde nicht die Befreiungsvorschrift der Z 16a des § 3 Abs 1 EStG 1988, der Einkommensteuer anscheinend entweder


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soweit in die Auszahlung der Arbeitgeber eingeschaltet ist - im Wege des Lohnsteuerabzuges oder aber - soweit dies nicht der Fall ist
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im Wege der (Arbeitnehmer)Veranlagung zu unterwerfen. Die Steuerbefreiung des § 3 Abs 1 Z 16a leg.cit. führt somit anscheinend dazu, dass Einkommensteile, die zur steuerbaren Bemessungsgrundlage gehören, der Steuerpflicht entzogen werden. Arbeitnehmer, deren Einkommen derartige Bezugsteile enthält, dürften folglich gegenüber anderen Arbeitnehmern, in deren Einkünften keine Trinkgelder enthalten sind, aber auch gegenüber anderen Steuerpflichtigen (einschließlich solcher, die als selbständig Tätige ebenfalls Trinkgelder erhalten) bevorzugt werden. Bei gleicher Höhe der Gesamteinkünfte und damit bei gleicher wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit werden somit anscheinend jene Arbeitnehmer bzw. Steuerpflichtigen benachteiligt, bei denen Trinkgelder keinen Bestandteil der Einkünfte darstellen. Der Verfassungsgerichtshof geht vorderhand auch davon aus, dass die Steuerbefreiung im Hinblick auf die notorischen Verhältnisse bei den typischen Trinkgeldberufen nicht bloß Bagatellbeträge betrifft, sondern für deren Angehörige zu einem erheblichen Steuervorteil im Vergleich zu den genannten anderen Gruppen von Steuerpflichtigen führen kann.

2.2. Vor dem Gleichheitssatz hat eine derartige Differenzierung nur dann Bestand, wenn es für die Steuerbefreiung der Trinkgelder eine sachliche Rechtfertigung gibt. Der Verfassungsgerichtshof kann vorderhand eine solche nicht erkennen. Die (oben bereits wiedergegebenen) Materialien betonen zunächst die bisher unterschiedliche Behandlung so genannter Kreditkartentrinkgelder, die der Lohnsteuer unterlagen, und der baren Trinkgelder, die im Rahmen von Lohnsteuerprüfungen nicht erfasst werden konnten, und rechtfertigen die Befreiung letztlich mit Gründen der Verfahrensökonomie.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes ist es dem Gesetzgeber - auch im Steuerrecht - gestattet, einfache und leicht handhabbare Regelungen zu treffen (zB VfSlg. 10.455/1985, 11.616/1988, 15.674/1999). Insbesondere sind \berlegungen der Verfahrensökonomie, die Absicht der Vermeidung unwirtschaftlichen Verwaltungsaufwandes, an sich geeignet, Differenzierungen zu rechtfertigen (zB VfSlg. 8204/1977, 8875/1980, 11.469/1987, 11.615/1988). Der Verfassungsgerichtshof hat solche Überlegungen bisher allerdings vorwiegend zur Rechtfertigung von Pauschalierungen herangezogen: 'Die Vermeidung aufwendiger Erhebungsmaßnahmen bei schwierig zu ermittelnden Sachverhalten durch Vornahme einer Pauschalierung ist geradezu ein Paradebeispiel einer einfacheren Vollziehung aus Gründen der Verwaltungsökonomie' (VfSlg. 9624/1983). Er hat allerdings auch die Grenzen solcher Maßnahmen aufgezeigt: Zum einen dürfen pauschalierende Regelungen, auch wenn sie im Interesse der Verwaltungsökonomie getroffen werden, nicht den Erfahrungen des täglichen Lebens widersprechen (zB VfSlg. 4930/1965, 5022/1965, 9608/1983, 13.726/1994). Zum anderen hat der Verfassungsgerichtshof festgehalten, dass verwaltungsökonomische Überlegungen nicht jegliche Regelung sachlich rechtfertigen können, sondern in einem angemessenen Verhältnis zu den damit in Kauf genommenen Differenzierungen stehen müssen (zB VfSlg. 8871/1980, 11.201/1986, 11.630/1988). Schließlich hat der Verfassungsgerichtshof auch festgestellt, dass der Gleichheitssatz zwar zulasse, auf die Praktikabilität des Gesetzes Bedacht zu nehmen, diese Erlaubnis jedoch nicht schrankenlos sei. Sie findet vielmehr ihre Grenze dort, wo anderen Überlegungen, die gegen die Regelung sprechen, größeres Gewicht beizumessen ist als den verwaltungsökonomischen Erwägungen (VfSlg. 9524/1982, 13.726/1994; 15.819/2000; ähnlich 13.977/1994).

2.3. Vor dem Hintergrund dieser Rechtsprechung dürfte der erste Satz der in Prüfung gezogenen Regelung dem Gleichheitssatz widersprechen: Es handelt sich bei dieser Norm nicht bloß um eine zum Zweck der Erhebungsvereinfachung getroffene Pauschalierung, sondern um eine vollständige Steuerfreistellung, die - wie erwähnt - bei den typischen Trinkgeldberufen auch erhebliche Entlastungswirkung haben kann und folglich die Mehrzahl der Arbeitnehmer bzw. der Steuerpflichtigen gegenüber dieser Gruppe von Arbeitnehmern steuerlich benachteiligen dürfte.

Der Verfassungsgerichtshof kann vorderhand nicht finden, dass eine Privilegierung dieser Art damit hinreichend gerechtfertigt werden kann, dass die Erfassung der Trinkgelder im Hinblick auf die Steuerunehrlichkeit der Trinkgeldbezieher nicht möglich ist und daher steuerehrliche Arbeitnehmer den steuerunehrlichen gleichgestellt werden sollten. Fehlende Rechtstreue der Bürger oder Vollzugsdefizite der Verwaltung dürften von vornherein nicht geeignet sein, die Steuerfreistellung von an sich steuerbaren Einkünften zu rechtfertigen. Eine solche Einstellung liefe nämlich anscheinend letzten Endes darauf hinaus, dass die Abgabenentrichtung eine Sache der Freiwilligkeit wird. Die Finanzverwaltung hat aber den - auch verfassungsrechtlich relevanten - Auftrag, alle Abgabepflichtigen zu erfassen und gleichmäßig zu behandeln sowie darüber zu wachen, dass Abgabeneinnahmen nicht zu Unrecht verkürzt werden (§114 Abs 1 BAO). Dafür werden ihr die verfahrensrechtlichen Instrumente in die Hand gegeben; den Abgabepflichtigen wiederum werden korrespondierend umfassende Offenlegungs- und Mitwirkungspflichten auferlegt. Letztlich haben die Finanzbehörden die Möglichkeit, unter den Bedingungen des § 184 BAO die Besteuerungsgrundlagen zu schätzen. Wenn die Steuerbefreiung eine (angemessene) Reaktion auf mangelnde Steuerehrlichkeit und Vollzugsunwillen wäre, dürfte es im Übrigen nicht zu begründen sein, warum sie sich auf die Trinkgelder Unselbständiger beschränkt.

Nicht nachvollziehbar ist für den Verfassungsgerichtshof vorderhand auch die Behauptung der Materialien, eine Pauschalierung sei 'undenkbar', weil viele unterschiedliche Trinkgeldhöhen bestünden und die Aufteilung von Trinkgeldern zwischen den Arbeitnehmern nicht überprüft werden könne. Der Bereich der Trinkgeldbesteuerung betrifft eine überschaubare Zahl von Berufen und Konstellationen. Das Beitragsrecht der Sozialversicherung arbeitet auf diesem Gebiet mit berufsbezogenen Pauschalierungen (§44 Abs 3 ASVG). Es ist dem Gerichtshof vorderhand nicht erkennbar, warum eine vergleichbare Vorgangsweise im Steuerrecht nicht möglich sein sollte, zumal auch widerlegbare Typisierungen nicht ausgeschlossen sind.

Ob die im ersten Satz des § 3 Abs 1 Z 16a EStG verankerte Steuerbefreiung von Trinkgeldern aus anderen, nicht in den Materialien genannten Gründen sachlich zu rechtfertigen ist, wird im Prüfungsverfahren zu erörtern sein.

3. Sofern die dargelegten Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit des ersten Satzes des § 3 Abs 1 Z 16a EStG 1988, BGBl. 400, idF BGBl. I 35/2005 nicht zutreffen, hegt der Gerichtshof folgende Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit des zweiten Satzes dieser Bestimmung:

Sollte es für die Steuerbefreiung von Trinkgeldern, die anlässlich einer Arbeitleistung dem Arbeitnehmer von dritter Seite freiwillig und ohne dass ein Rechtsanspruch darauf besteht, gegeben werden, entgegen der vorläufigen Annahme des Gerichtshofes eine sachliche Rechtfertigung geben, dann muss gefragt werden, ob der Umstand, dass Arbeitnehmern aufgrund gesetzlicher oder kollektivvertraglicher Bestimmungen die direkte Annahme von Trinkgeldern untersagt ist, eine Gegenausnahme von der Steuerbefreiung rechtfertigt. Der Gerichtshof kann dies vorderhand nicht erkennen. Orientiert man sich am Wortlaut des zweiten Satzes des § 3 Abs 1 Z 16a EStG 1988, dann läuft die Gegenausnahme darauf hinaus, dass Arbeitnehmer, die gesetz- oder kollektivvertragswidrig Trinkgelder annehmen (und bei denen man im Hinblick auf das Annahmeverbot von vornherein davon ausgehen kann, dass sie die verboten vereinnahmten Beträge steuerlich nicht offen legen werden), mit solchen Trinkgeldern steuerpflichtig wären. Es scheint dem Gerichtshof vorderhand unsachlich, den Verstoß gegen ein solches Annahmeverbot mit einer steuerlichen Sanktion zu ahnden, die von der Finanzverwaltung nach Auffassung des Gesetzgebers offenbar gar nicht (gleichmäßig) vollzogen werden kann.

Berücksichtigt man hingegen den aus den Materialien zu dieser Vorschrift ableitbaren Zweck, die in § 27 Abs 3 GlücksspielG angesprochenen Trinkgelder (Cagnotte) der Steuerpflicht zu unterwerfen, so bestehen gegen diese Steuerpflicht anscheinend folgende Bedenken: Bei der Cagnotte geht es nach § 27 Abs 3 GlücksspielG um Zuwendungen, die von den Besuchern geleistet werden und für die Gesamtheit der Arbeitnehmer des Konzessionärs bestimmt sind, wobei die Aufteilung unter den Arbeitnehmern durch Kollektivvertrag und Betriebsvereinbarung zu regeln ist. Der Unterschied zu Trinkgeldern, die direkt von Kunden oder Gästen den Arbeitnehmern zugewendet werden, liegt anscheinend nur im formalen Umstand der Einschaltung des Konzessionärs bei der Verteilung der Trinkgelder. Der Bundesminister für Finanzen spricht in diesem Zusammenhang von einem 'streng vom Arbeitgeber verwalteten Trinkgeldverteilungssystem', das erforderlich sei, um die bei Zulässigkeit von Trinkgeldern bestehende Missbrauchsgefahr auszuschließen, und bei dem eine Zuordnung der Trinkgelder zu Einzelleistungen und Einzelpersonen nicht möglich sei. Damit rechtfertigt er in Wahrheit die Bestimmung des § 27 Abs 3 GlücksspielG, nicht aber die steuerliche Differenzierung des § 3 Abs 1 Z 16a EStG 1988. Auch bei Trinkgeldern, deren Annahme den Arbeitnehmern an sich gestattet ist, wird vom Kunden oder Gast häufig der Arbeitgeber eingeschaltet, um bei einer Komplexität von Dienstleistungen (wie sie zB in einem Hotel, aber auch in Restaurants geboten werden) einen einheitlichen Trinkgeldbetrag nach seinem Ermessen zu verteilen (so genannte Tronc-Systeme). Für den Gerichtshof ist vorderhand nicht erkennbar, dass sich der Fall der Cagnotte davon in maßgeblicher Weise unterscheidet, zumal § 27 Abs 4 GlücksspielG ausdrücklich anordnet, dass dem Konzessionär kein wie immer gearteter Anspruch auf diese Zuwendungen zusteht. Dass bei der Cagnotte der Gesichtspunkt der Steuerehrlichkeit insofern keine Rolle spielt, als eine steuerliche Erfassung ohne Weiteres möglich ist, dürfte - entgegen den Ausführungen des Bundesministers für Finanzen - als Begründung für die Differenzierung ausscheiden: Sollte der erste Satz des § 3 Abs 1 Z 16a EStG 1988 verfassungskonform sein und es in der Tat sachlich gerechtfertigt sein, steuerehrliche Trinkgeldbezieher den steuerunehrlichen gleichzustellen, dann darf es anscheinend keinen Unterschied machen, ob der Trinkgeldempfänger aus freien Stücken oder notgedrungen steuerehrlich ist."

6. Die Bundesregierung erstattete auf Grund ihres Beschlusses vom eine Äußerung, in der sie den Bedenken des Verfassungsgerichtshofes entgegentritt und beantragt, der Gerichtshof wolle aussprechen, dass die in Prüfung gezogene Bestimmung nicht als verfassungswidrig aufgehoben wird. Für den Fall der Aufhebung stellt die Bundesregierung den Antrag, der Gerichtshof wolle für das Außer-Kraft-Treten eine Frist bis bestimmen.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung erwogen:

1. Zur Zulässigkeit:

Das Gesetzesprüfungsverfahren hat nicht ergeben, dass die vorläufige Annahme des Verfassungsgerichtshofes, er habe die in Prüfung gezogene Bestimmung zur Gänze anzuwenden, unzutreffend wäre:

Die belangte Behörde hat im angefochtenen Bescheid ausdrücklich das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen der Steuerbefreiung nach dem ersten Satz des § 3 Abs 1 Z 16a EStG 1988 verneint, eine Steuerpflicht nach dem zweiten Satz dieser Bestimmung bejaht und folglich § 3 Abs 1 Z 16a EStG 1988 zur Gänze angewendet. Die Bundesregierung bestreitet die Präjudizialität der in Prüfung gezogenen Bestimmung nicht. Da auch sonst keine Zweifel am Vorliegen der Prozessvoraussetzungen entstanden sind, ist das Gesetzesprüfungsverfahren zulässig.

2. In der Sache:

2.1. Die Bedenken des Verfassungsgerichtshofes ob der Verfassungsmäßigkeit des § 3 Abs 1 Z 16a erster Satz EStG 1988 sind im Gesetzesprüfungsverfahren zerstreut worden.

2.1.1. Der Verfassungsgerichtshof bleibt bei der Auffassung, dass es unter dem Aspekt des Gleichheitssatzes grundsätzlich auf Bedenken stößt, wenn Einkünfte, die nach der Systematik des Einkommensteuerrechts an sich einen Teil des steuerbaren Einkommens bilden und die Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen (unter Umständen sogar in beträchtlichem Ausmaß) erhöhen, allein deswegen steuerfrei gestellt werden, weil sie nicht freiwillig deklariert werden. Mangelnde Steuerehrlichkeit und/oder Vollzugsunwillen der Finanzverwaltung sind für sich gesehen keine hinreichenden Gründe, um ein Abgehen vom im Einkommensteuerrecht maßgeblichen Leistungsfähigkeitsprinzip zu rechtfertigen.

Das Verfahren hat jedoch ergeben, dass die hier in Rede stehenden Einkünfte mehrere Besonderheiten aufweisen, die zusammengenommen auch eine steuerliche Sonderbehandlung in Form einer Steuerfreistellung zu rechtfertigen vermögen:

2.1.2. Die in Prüfung gezogene Befreiungsvorschrift betrifft Einkünfte, die aus der Sicht des EStG 1988 insofern atypisch sind, als sie nicht im Verhältnis Arbeitnehmer - Arbeitgeber verdient werden, sondern ihre Wurzel im direkten Verhältnis Arbeitnehmer - Kunde (Gast etc.) haben. Mag es auch in vielen Branchen üblich sein und erwartet werden, dass für die vom Arbeitnehmer erbrachte Dienstleistung Trinkgeld gegeben wird, so handelt es sich doch letztlich um Einkünfte, denen ein freigebiges Verhalten des Kunden zugrunde liegt und deren Höhe typischerweise vom persönlichen Einsatz des Arbeitnehmers gegenüber dem Kunden abhängt. Trinkgelder stehen daher zwar im Zusammenhang mit dem Dienstverhältnis (ohne dieses käme es nicht zur Leistung von Trinkgeldern), ihre Zuwendung erfolgt aber doch letztlich außerhalb desselben: Ein Rechtsanspruch ist nicht gegeben; die Höhe steht im Belieben des Kunden; für den Arbeitnehmer gibt es zwar, was die Summe der Trinkgelder in einem bestimmten Zeitraum betrifft, möglicherweise Erfahrungswerte, aber keine Sicherheit; sobald die Kundenbeziehung wegfällt (etwa im Falle der Krankheit), fällt auch das Trinkgeld weg, ohne durch andere Leistungen substituiert zu werden. Bei solchen Einkünften ist der rechtspolitische Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers bei der Anwendung des Leistungsfähigkeitsprinzips größer als bei jenen, auf die ein Rechtsanspruch des Arbeitnehmers gegenüber dem Arbeitgeber besteht und die zum "Kernbereich" des einkommensteuerrechtlichen Tatbestandes gehören.

2.1.3. Dazu kommt, dass die steuerliche Erfassung dieser Einkünfte unstrittig auf besondere Vollzugsprobleme stößt. Das Verfahren hat zwar nicht ergeben, dass der Besteuerungstatbestand bereits aus rechtlichen Gründen nicht durchgesetzt werden könnte: Es bestehen keine Bestimmungen, die speziell bei Trinkgeldern das der Verwaltung zur Verfügung stehende Ermittlungsinstrumentarium einschränken würden. Dessen ungeachtet ist aber davon auszugehen, dass das Ermittlungs- und Prüfungsinstrumentarium der Finanzverwaltung auf die Kontrolle von Arbeitnehmern, die Arbeitslohn nicht vom Arbeitgeber, sondern von dritter Seite erhalten, nicht zugeschnitten und daher dafür auch nicht geeignet ist. In jedem Fall würde eine Erfassung der in Rede stehenden Einkünfte ein intensives Eindringen in die private Sphäre der betreffenden Arbeitnehmer erfordern, ohne dass damit angesichts des Beweisthemas letztlich eine wirklichkeitsnahe Besteuerung gewährleistet wäre.

2.1.4. Im Prüfungsbeschluss hat der Verfassungsgerichtshof unter Hinweis auf die Lage im sozialversicherungsrechtlichen Beitragsrecht (vorläufig) angenommen, dass auch im Steuerrecht die praktischen Erfassungsprobleme bei Trinkgeldern durch adäquate Pauschalierungsregelungen behoben werden könnten.

Die Bundesregierung hält diesen Weg letztlich für nicht gangbar. Sie weist zum einen darauf hin, dass die Pauschalierungsverordnungen im Sozialversicherungsrecht (wo es auch um den Erwerb von Anwartschaften auf Leistungen geht) auf das Steuerrecht nicht übertragbar seien, und betont zum anderen die besondere Vielfalt der Lebensverhältnisse (je nach Branchen und Berufen, Art des Betriebes, aber auch in regionaler oder lokaler Hinsicht), die einer typisierenden Betrachtung von Trinkgeldern gerade auch für steuerliche Zwecke entgegen stünden. Die Zulässigkeit von Gegenbeweisen würde bei hoch angesetzten Pauschalbeträgen den Vereinfachungseffekt wegen der großen Zahl der zu erwartenden Einsprüche zunichte machen; der Ansatz von niedrigen Pauschalbeträgen würde wiederum gerade jene Arbeitnehmer privilegieren, bei denen das Trinkgeld einen relativ hohen Teil des Einkommens ausmacht. Wenn die Bundesregierung daraus den Schluss zieht, dass es bei einer solchen Situation im rechtspolitischen Spielraum des Gesetzgebers liegen müsste, mit einer vollständigen Steuerbefreiung zu reagieren, so kann ihr der Verfassungsgerichtshof letztlich nicht entgegentreten.

2.1.5. Zusammenfassend kommt der Verfassungsgerichtshof daher zum Ergebnis, dass die in Prüfung gezogene Steuerbefreiung Einkünfte betrifft, bei denen angesichts ihrer qualitativen Besonderheit ein rechtspolitischer Spielraum des Einkommensteuergesetzgebers bei der Normierung von Sonderrecht besteht. Nach den Ergebnissen des Gesetzesprüfungsverfahrens ist eine befriedigende, dem Gedanken der Lastengleichheit Rechnung tragende, realitätsgerechte Erfassung dieser Einkünfte entgegen den vorläufigen Annahmen des Verfassungsgerichtshofes im Prüfungsbeschluss offenbar mit vertretbarem Aufwand nicht verwirklichbar. Ist aber damit zu rechnen, dass verwaltungsökonomisch nicht vertretbare Verfahren auch nur ein Ergebnis zeitigen, das weit weg von einer wirklichkeitsgetreuen Erfassung dieser Einkünfte ist, dann liegt es in der Tat im rechtspolitischen Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers, darauf mit der Normierung einer Steuerbefreiung zu reagieren.

2.1.6. Die vorstehenden Überlegungen gelten nicht für Trinkgelder, die Steuerpflichtige im Zusammenhang mit einer betrieblichen Tätigkeit erhalten. Zum einen werden Trinkgelder in diesen Fällen meist nur dann gegeben, wenn dem Kunden gar nicht bewusst ist, dass sein Vertragspartner nicht Arbeitnehmer ist. Rechtlich gesehen liegt der maßgebliche Unterschied aber vor allem darin (worauf die Bundesregierung in der öffentlichen mündlichen Verhandlung vor dem Verfassungsgerichtshof zu Recht hingewiesen hat), dass diese Trinkgelder im Rahmen der ohnehin bestehenden Leistungsbeziehung gegeben werden, während der Trinkgeld empfangende Arbeitnehmer ein nicht am Vertragsverhältnis beteiligter Dritter ist. Schon dieser Unterschied, der auch von verfahrensrechtlicher Bedeutung ist, rechtfertigt eine steuerliche Differenzierung, ohne dass auf die Frage eingegangen werden müsste, ob auch der Gedanke, dass die Steuerbefreiung im Bereich der Selbständigen Missbräuche fördern könnte, für die Unterscheidung tragfähig ist.

2.2. Das Verfahren hat aber auch die Bedenken des Verfassungsgerichtshofes ob der Verfassungsmäßigkeit des zweiten Satzes des § 3 Abs 1 Z 16a EStG 1988 zerstreut (wobei es dahingestellt bleiben kann, ob diese Norm überhaupt eine Gegenausnahme konstitutiver Natur darstellt).

Bei dieser Ausnahme geht es nicht primär um eine Sanktion für die verbotene Annahme von Trinkgeldern, sondern um eine steuerliche Regelung für die Fälle, in denen zwar Trinkgelder zulässigerweise geleistet werden, dem Arbeitnehmer selbst aber die direkte Annahme verboten ist, so dass es zwangsläufig bei der Entgegennahme und Verteilung der Trinkgelder zu einer Einschaltung des Arbeitgebers kommen muss. Dies unterscheidet den geregelten Fall von den im Prüfungsbeschluss erwähnten freiwilligen "Tronc-Systemen", bei denen bloß aus Gründen der gerechteren und/oder einfacheren Verteilung eine Zusammenfassung der geleisteten Trinkgelder erfolgt und die Verteilung unter Einschaltung des Arbeitgebers nach einem im Voraus vereinbarten Schlüssel vorgenommen wird, für die Arbeitnehmer aber die Möglichkeit besteht, jederzeit zu einem System der "Selbstverwaltung" unter Ausschaltung des Arbeitgebers zurückzukehren. Derartige Unterschiede rechtfertigen aber auch eine unterschiedliche steuerliche Behandlung, erhält doch das Trinkgeld im zweiten Fall zwangsläufig stärker den Charakter eines Lohnbestandteiles im traditionellen Sinn, den der Gesetzgeber daher zulässigerweise in die Steuerpflicht einbeziehen darf, auch wenn er im Übrigen Arbeitnehmertrinkgelder von der Besteuerung freistellt.

2.3. Da im Verfahren somit die im Prüfungsbeschluss geäußerten Bedenken des Verfassungsgerichtshofes sowohl hinsichtlich des ersten als auch hinsichtlich des zweiten Satzes des § 3 Abs 1 Z 16a EStG 1988, BGBl. 400 idF BGBl. I 35/2005, zerstreut werden konnten, war auszusprechen, dass die genannte Bestimmung nicht als verfassungswidrig aufgehoben wird.