VfGH vom 11.12.2014, G18/2014
Leitsatz
Aufhebung einer Regelung des ABGB über das Erfordernis eines Mindestaltersabstands von sechzehn Jahren zwischen Wahleltern und Wahlkind wegen eines Verstoßes gegen das BVG über die Rechte von Kindern; unverhältnismäßige Beeinträchtigung des Kindeswohls durch die ausnahmslose und generelle Anordnung des Altersabstands ohne die Möglichkeit einer Unterschreitung in bestimmten Fällen
Spruch
I. In § 193 Abs 2 ABGB, JGS Nr 946/1811, idF BGBl I Nr 15/2013, wird die Wortfolge "mindestens sechzehn Jahre" als verfassungswidrig aufgehoben.
II. Die Aufhebung tritt mit Ablauf des in Kraft.
III. Frühere gesetzliche Bestimmungen treten nicht wieder in Kraft.
IV. Der Bundeskanzler ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche im Bundesgesetzblatt I verpflichtet.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Antrag und Rechtslage
1. Mit dem vorliegenden, auf Art 140 Abs 1 erster Satz B VG gestützten Antrag begehrt der Oberste Gerichtshof, in § 193 Abs 2 ABGB, idF BGBl I 15/2013, die Wortfolge "mindestens sechzehn Jahre" oder hilfsweise § 193 Abs 2 ABGB zur Gänze als verfassungswidrig aufzuheben.
2. Dieser Antrag wird vor dem Hintergrund folgender Rechtslage gestellt:
Die im vorliegenden Fall maßgeblichen Bestimmungen des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuches, JGS 946/1811, idF BGBl I 15/2013, lauten wie folgt (die angefochtene Gesetzesbestimmung ist hervorgehoben):
"Alter
§193. (1) Die Wahleltern müssen das fünfundzwanzigste Lebensjahr vollendet haben.
(2) Wahlvater und Wahlmutter müssen mindestens sechzehn Jahre älter als das Wahlkind sein.
Bewilligung
§194. (1) Die Annahme eines nicht eigenberechtigten Kindes ist zu bewilligen, wenn sie dessen Wohl dient und eine dem Verhältnis zwischen leiblichen Eltern und Kindern entsprechende Beziehung besteht oder hergestellt werden soll. Ist das Wahlkind eigenberechtigt, so ist die Annahme nur zu bewilligen, wenn die Antragsteller nachweisen, dass bereits ein enges, der Beziehung zwischen leiblichen Eltern und Kindern entsprechendes Verhältnis vorliegt, insbesondere wenn Wahlkind und Annehmender während fünf Jahren entweder in häuslicher Gemeinschaft gelebt oder einander in einer vergleichbar engen Gemeinschaft Beistand geleistet haben.
(2) Die Bewilligung ist, außer bei Fehlen der Voraussetzungen des Abs 1, zu versagen, wenn ein überwiegendes Anliegen eines leiblichen Kindes des Annehmenden entgegensteht, insbesondere dessen Unterhalt oder Erziehung gefährdet wäre; im übrigen sind wirtschaftliche Belange nicht zu beachten, außer der Annehmende handelt in der ausschließlichen oder überwiegenden Absicht, ein leibliches Kind zu schädigen."
3. Nach § 192 Abs 1 ABGB kommt die Annahme an Kindes statt durch schriftlichen Vertrag zwischen dem Annehmenden und dem Wahlkind und durch gerichtliche Bewilligung auf Antrag eines Vertragsteils zustande. Die Annahme eines nicht eigenberechtigten Kindes ist nach § 194 Abs 1 ABGB zu bewilligen, wenn sie dessen Wohl dient und eine dem Verhältnis zwischen leiblichen Eltern und Kindern entsprechende Beziehung besteht oder hergestellt werden soll. Voraussetzung der Bewilligung ist des Weiteren das Einhalten der Mindestaltersgrenzen und -abstände nach § 193 ABGB.
4. Nach der bis zum geltenden Rechtslage, vor Inkrafttreten des KindNamRÄG 2013, waren die altersbezogenen Voraussetzungen für die Annahme an Kindes statt in § 180 ABGB, JGS 946/1811, idF BGBl 403/1977, geregelt. Diese Bestimmung lautete:
"Alter.
§180. (1) Der Wahlvater muß das dreißigste, die Wahlmutter das achtundzwanzigste Lebensjahr vollendet haben. Nehmen Ehegatten gemeinsam an oder ist das Wahlkind ein leibliches Kind des Ehegatten des Annehmenden, so ist eine Unterschreitung dieser Altersgrenze zulässig, wenn zwischen dem Annehmenden und dem Wahlkind bereits eine dem Verhältnis zwischen leiblichen Eltern und Kindern entsprechende Beziehung besteht.
(2) Wahlvater und Wahlmutter müssen mindestens achtzehn Jahre älter als das Wahlkind sein; eine geringfügige Unterschreitung dieses Zeitraums ist unbeachtlich, wenn zwischen dem Annehmenden und dem Wahlkind bereits eine dem Verhältnis zwischen leiblichen Eltern und Kindern entsprechende Beziehung besteht. Ist das Wahlkind ein leibliches Kind des Ehegatten des Annehmenden oder mit dem Annehmenden verwandt, so genügt ein Altersunterschied von sechzehn Jahren."
II. Anlass- und Vorverfahren
5. Beim Obersten Gerichtshof ist ein Revisionsrekurs in einem Verfahren über den Antrag der Bewilligung einer Adoption anhängig, dem folgender Sachverhalt zugrunde liegt:
Das Wahlkind wurde am geboren. Das Geburtsdatum seines Vaters ist der , das seiner Mutter der . Mit der Obsorge ist seit dem Jahr 1999 alleine der Vater betraut. Seit ist der Vater des Wahlkindes mit der Wahlmutter, geboren am , verheiratet. Am schlossen der Vater des Wahlkindes, als dessen gesetzlicher Vertreter, und die Wahlmutter einen Vertrag über die Annahme an Kindes statt und der Vater beantragte namens seines Sohnes die Bewilligung der Adoption. Er brachte vor, dass er seinen Sohn seit dessen Geburt betreue und es seit dem Jahr 1998 keinen Kontakt mehr zu der leiblichen Mutter gebe. Seit dem Jahr 2000 lebe der Vater in einer Lebensgemeinschaft mit der Wahlmutter, sodass das Wahlkind seither im gemeinsamen Haushalt mit der Wahlmutter aufwachse und zwischen den beiden ein Mutter-Sohn-Verhältnis bestehe. Die Bewilligung der Adoption liege daher im Interesse des Kindes.
Das Erstgericht wies den Antrag auf Bewilligung der Adoption ohne Prüfung dieses Vorbringens ab, weil die Wahlmutter nach § 193 Abs 2 ABGB sechzehn Jahre älter sein müsse als das Kind, was jedoch nicht der Fall sei. Das angerufene Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, dass der Revisionsrekurs zulässig sei, da es noch keine höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Neuregelung gebe.
6. Im Revisionsrekurs bringen Vater und Wahlmutter vor, dass § 193 Abs 2 ABGB, ebenso wie die Vorgängerbestimmung, dahin ausgelegt werden müsse, dass ein geringfügiges Unterschreiten des Mindestaltersabstands nicht schade, wenn zwischen dem Kind und dem Annehmenden eine dem Verhältnis zwischen leiblichen Eltern und Kindern entsprechende Beziehung bestehe. Sollte eine solche Auslegung nicht möglich sein, verstoße die Neuregelung gegen Art 8 und 12 EMRK, gegen Art 8 des Europäischen Übereinkommens über die Adoption von Kindern und gegen Art 7 B VG, weswegen angeregt wurde, der Oberste Gerichtshof möge die Bestimmung des § 193 Abs 2 ABGB beim Verfassungsgerichtshof anfechten.
Im vorliegenden Verfahren sei ein schriftlicher Vertrag über die Annahme an Kindes statt geschlossen worden. Nach dem bisher nicht geprüften Vorbringen der Beteiligten bestehe eine Mutter-Kind-Beziehung; Gründe, weswegen die Formalisierung dieser Beziehung nicht dem Kindeswohl dienen sollte, seien in diesem Verfahren nicht hervorgekommen. Die Wahlmutter habe auch das fünfundzwanzigste Lebensjahr vollendet, sie sei aber nur fünfzehn Jahre, sieben Monate und elf Tage älter als das Kind. Damit erfülle sie zwar die Voraussetzung des § 193 Abs 1 ABGB, nicht aber jene des § 193 Abs 2 ABGB. Die letztgenannte Bestimmung sei daher präjudiziell für die Entscheidung über den Antrag auf Bewilligung der Adoption.
§193 Abs 2 ABGB könne nicht dahingehend ausgelegt werden, dass ein geringfügiges Unterschreiten des Mindestaltersabstands unschädlich wäre. Darin unterscheide sich die neue Rechtslage von jener vor Inkrafttreten des KindNamRÄG 2013.
Nach alter Rechtslage seien die altersbezogenen Voraussetzungen für die Annahme an Kindes statt in § 180 ABGB geregelt gewesen. Im Allgemeinen habe daher nach § 180 Abs 2 Fall 1 ABGB ein Mindestaltersabstand von achtzehn Jahren gegolten; das Gesetz habe jedoch ausdrücklich vorgesehen, dass dieser Abstand bei Bestehen einer Eltern-Kind-Beziehung geringfügig unterschritten werden konnte. Bei der Stiefkind- oder Verwandtenadoption nach § 180 Abs 2 Fall 2 ABGB habe der Mindestaltersabstand demgegenüber nur sechzehn Jahre betragen, wobei die Möglichkeit eines geringfügigen Unterschreitens hier nicht ausdrücklich vorgesehen gewesen sei. Dennoch sei diese Möglichkeit in der Rechtsprechung auch in diesem Fall bejaht worden (; ). Dabei sei ein Unterschreiten um etwa acht Monate als zulässig angesehen worden, wenn bereits eine "besonders intensive und gefestigte" Eltern-Kind-Beziehung vorläge (). Das Unterschreiten des Mindestaltersunterschieds wäre nach dieser Rechtsprechung auch im vorliegenden Fall zu tolerieren gewesen, wenn das bisher nicht geprüfte Antragsvorbringen zum langjährigen Bestehen einer Eltern-Kind-Beziehung zutreffe.
Grundlage dieser Rechtsprechung sei die in § 180 Abs 1 und Abs 2 Fall 1 ABGB ausgedrückte Wertung gewesen, dass bei Bestehen einer Eltern-Kind-Beziehung sonst geltende Altersgrenzen und Mindestaltersabstände im Interesse des Kindeswohls unterschritten werden konnten. Zwar hätten die Gesetzesmaterialien dies für § 180 Abs 2 ABGB ausdrücklich ausgeschlossen (Erläut. zur RV des Bundesgesetzes über die Neuordnung des Kindschaftsrechts, 107 BlgNR 14. GP, 16), dennoch bildete die gesetzlich angeordnete Flexibilität bei anderen Altersregelungen nach Auffassung des Obersten Gerichtshofes auf Grund objektiv-teleologischer und systematischer Erwägungen eine ausreichende Grundlage für die Anwendung dieses Grundsatzes auch auf die Sechzehn-Jahr-Grenze der letztgenannten Bestimmung. Strittig könne allenfalls sein, ob damit die Grenze des Wortsinns überschritten wurde, sodass eine analoge Anwendung erfolgte, oder ob (nur) eine unklare Regelung in einem bestimmten Sinn ausgelegt wurde. Beides ist nach Inkrafttreten der Neuregelung nicht mehr möglich.
Die Erläuterungen zur Regierungsvorlage des KindNamRÄG 2013 (2004 BlgNR 24. GP, 31 f.) führen zu § 193 ABGB Folgendes aus:
"In § 193 Abs 1 des Entwurfs soll das unterschiedliche Mindestalter für die Wahlmutter und den Wahlvater beseitigt und durch eine einheitliche Altersgrenze ersetzt werden. Die unterschiedlichen Altersgrenzen im geltenden Recht entsprechen nicht mehr dem heutigen Verständnis und werden aus Gründen der Gleichbehandlung bedenklich gesehen. Weiters wird vorgeschlagen, das (nunmehr einheitliche) Mindestalter auf 25 Jahre zu senken. Durch die vorgeschlagene Senkung des Mindestalters ist die Möglichkeit einer weiteren Unterschreitung dieser Altersgrenze nicht mehr sachgerecht und geboten, sodass nunmehr 25 Jahre das einheitliche Mindestalter für Wahleltern sein soll, das unter keinen Umständen unterschritten werden darf.
§180 Abs 2 erster Satz ABGB alt regelt den erforderlichen Altersunterschied zwischen den Wahleltern und dem Wahlkind. Der Altersunterschied muss mindestens 18 Jahre betragen. Diese Grenze darf aber nach § 180 Abs 2 zweiter Satz ABGB alt wiederum unter bestimmten Voraussetzungen geringfügig unterschritten werden. Bei einer Einzeladoption des leiblichen Kindes des Ehegatten genügt nach dieser Bestimmung ein Altersunterschied von 16 Jahren.
Auch hier schlägt der § 193 Abs 2 des Entwurfs eine Vereinheitlichung vor. Der Altersunterschied zwischen Wahleltern und Wahlkind soll danach einheitlich mindestens 16 Jahre betragen. Eine weitere Unterschreitung dieser Altersdifferenz soll dagegen nicht mehr möglich sein."
Diese Auffassung der Regierungsvorlage liege offenkundig auch dem Gesetzesbeschluss zugrunde. Der (eindeutige) Wortlaut der Bestimmung sei daher vom Willen des Gesetzgebers gedeckt: Durch Einführung einer starren Regelung sollte die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes in diesem Punkt korrigiert werden. Eine durch Analogie zu schließende Gesetzeslücke, die sich unabhängig vom konkreten Willen des Gesetzgebers aus objektiv-systematischen Erwägungen ergeben könnte, liege wegen des Wegfalls der früheren Regelungen zum möglichen Unterschreiten von (anderen) Altersgrenzen und Mindestaltersabständen nicht vor. Damit sei es nicht möglich, das von den Rechtsmittelwerbern gewünschte Ergebnis durch Auslegung oder richterliche Fortbildung von § 193 Abs 2 ABGB zu erreichen. Vielmehr schließe diese Bestimmung ein Unterschreiten des Mindestaltersabstands von sechzehn Jahren auch bei Bestehen einer Eltern-Kind-Beziehung zwingend aus.
7. Der Oberste Gerichtshof legt die Bedenken, die ihn zur Antragstellung beim Verfassungsgerichtshof bestimmt haben, wie folgt dar:
"Bedenken bestehen zunächst wegen eines möglichen Verstoßes gegen Art 1 des BVG über die Rechte von Kindern (BGBl I 4/2011, idF BVG Kinderrechte). […] Durch diese Bestimmung wird die Wahrung des Kindeswohls, die den Regelungen des Familienrechts schon seit langem zugrunde liegt, auch verfassungsrechtlich geboten. […] Dies verpflichtet einerseits dazu, die einfachgesetzlichen Bestimmungen des Familienrechts im Einzelfall in einer Weise auszulegen und anzuwenden, die den Interessen des betroffenen Kindes am besten entspricht. Andererseits ist die Wahrung und Förderung des Kindeswohls nun auch verfassungsrechtlicher Maßstab für das einfache Gesetz. […]
Die starre Regelung des § 193 Abs 2 ABGB kann zu Ergebnissen führen, die mit dem konkreten Kindeswohl unvereinbar sind. Denn jedenfalls dann, wenn der Kontakt zu einem leiblichen Elternteil gänzlich abgebrochen ist und statt dessen eine faktische Eltern-Kind-Beziehung mit einer anderen Person besteht, liegt es im Interesse des Kindes, diese Beziehung durch eine Adoption auch rechtlich zu formalisieren und zu konsolidieren. Wird in einem solchem Fall ein Adoptionsvertrag geschlossen, erfordert das Kindeswohl eine Bewilligung auch dann, wenn ein – im Regelfall sinnvoller – Mindestaltersabstand (oder – hier nicht relevant – eine Altersgrenze) geringfügig unterschritten wird. Das zeigt sich exemplarisch im vorliegenden Fall: Nach dem Vorbringen der Rechtsmittelwerber leben der Vater, die Wahlmutter und das Kind seit über zwölf Jahren als Familie; der vergleichsweise geringe Altersunterschied zwischen Wahlmutter und Kind war offenbar kein Hindernis dafür. Die Bewilligung der Adoption ausschließlich an diesem Umstand scheitern zu lassen, wäre mit dem Kindeswohl schlechthin unvereinbar.
Starre Mindestaltersabstände bei der Adoption verstoßen daher nach Ansicht des Senats gegen Art 1 BVG Kinderrechte; gleiches gilt für – hier allerdings nicht relevante – starre Altersgrenzen. Zwar vereinfachen solche Regelungen das Verfahren, weil bei einem Unterschreiten eine konkrete Kindeswohlprüfung unterbleiben kann. Darin kann aber keine Rechtfertigung iSv Art 7 BVG Kinderrechte liegen. Denn es kann nicht im Interesse des Kindes liegen, dass ein Antrag auf Bewilligung der Annahme an Kindes statt zwar wegen einer formalen Regelung rasch erledigt werden kann, aber aus demselben Grund ohne weitere Prüfung des konkreten Kindeswohls abgewiesen werden muss."
1.1. Weitere Bedenken des Obersten Gerichtshofes bestehen auch wegen eines möglichen Verstoßes von § 193 Abs 2 ABGB gegen den Gleichheitsgrundsatz gemäß Art 7 B VG:
"Bei einer faktisch stabilen Familienbeziehung zwischen einem leiblichen Elternteil, einem Stiefelternteil und einem Kind hängt die Zulässigkeit der Annahme an Kindes statt nach § 193 Abs 2 ABGB ausschließlich davon ab, ob bestimmte Altersabstände eingehalten werden oder nicht. Zwar ist nicht grundsätzlich zu beanstanden, dass der Gesetzgeber Mindestaltersabstände vorsieht, die die typischerweise bestehenden natürlichen Verhältnisse abbilden. Weiters lässt sich wohl noch argumentieren, dass zwar in der Realität auch geringere Altersabstände vorkommen – so war auch im vorliegenden Fall die leibliche Mutter bei Geburt des Kindes noch nicht sechzehn Jahre alt –, dass es sich dabei aber um gesellschaftlich unerwünschte Ausnahmen handelt, die für die Regelung einer bloß rechtlichen Begründung des Eltern-Kind-Verhältnisses nicht maßgebend sein sollten. Aus dem Umstand, dass auch unter sechzehnjährige Frauen Kinder bekommen können, lässt sich die Verfassungswidrigkeit von § 193 Abs 2 ABGB daher noch nicht zwingend ableiten. Wohl aber fehlt nach Ansicht des Senats jede sachliche Rechtfertigung dafür, dass auch bei faktischem Bestehen einer Eltern-Kind-Beziehung ein geringfügiges Unterschreiten des Mindestaltersabstands nicht zulässig ist. Gleiches – nämlich faktisch bestehende Familienbeziehungen, die durch Adoption formalisiert und konsolidiert werden sollen – wird hier ohne sachliche Begründung ungleich behandelt.
Der Senat verkennt nicht, dass der Gesetzgeber nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs im Allgemeinen Durchschnittsbetrachtungen anstellen darf, ohne dadurch gegen den Gleichheitssatz zu verstoßen […]. Dennoch ist hier zu unterscheiden: Pauschalierungen und Typisierungen sind umso eher zulässig, je größer der Verfahrensanfall in einem Rechtsgebiet und je schwieriger und aufwendiger eine Ermittlung der Umstände des Einzelfalls ist […]. Umgekehrt wird aber eine differenziertere Regelung, die auf die Umstände des Einzelfalls Rücksicht nimmt, umso eher geboten sein, wenn es sich um keine Massenverfahren handelt und die Ermittlung der tatsächlichen Umstände gewöhnlich keine besonderen Schwierigkeiten bereitet. Letzteres trifft bei der Bewilligung einer Adoption im Regelfall zu.
Mit der starren Regelung des Mindestaltersabstands verlässt der Gesetzgeber zudem das Ordnungssystem des Familienrechts. Nach § 138 Abs 1 ABGB ist in allen ein minderjähriges Kind betreffenden Angelegenheiten dessen Wohl als leitender Gesichtspunkt zu berücksichtigen und bestmöglich zu gewährleisten. Das hat im Allgemeinen durch Anwendung der in § 138 Abs 2 ABGB genannten Kriterien im Einzelfall zu erfolgen. Eine typisierende Betrachtung, wie sie der starren Regelung des § 193 Abs 2 ABGB zugrunde liegt, steht mit diesem Regelungskonzept im Widerspruch, ohne dass dafür – wie bereits aufgezeigt – eine sachliche Rechtfertigung erkennbar wäre."
1.2. Außerdem hat der Oberste Gerichtshof das Bedenken, dass starre Regeln zum Mindestaltersabstand auch mit Art 8 und 14 EMRK unvereinbar sein könnten:
"Die starre Regelung des § 193 Abs 2 ABGB kann die rechtliche Formalisierung und Konsolidierung eines faktischen Eltern-Kind-Verhältnisses, die durch Annahme an Kindes statt erfolgen soll, verhindern. Dabei wird unter sonst gleichen Umständen ausschließlich nach dem Alter des Annehmenden unterschieden: Ist das Wahlkind – wie hier – 16,5 Jahre alt, so ist die Adoption zulässig, wenn der Annehmende mindestens 31,5 Jahre [gemeint wohl: 32,5 Jahre] alt ist; ist er jünger, ist die Adoption unzulässig. Damit knüpft die Regelung (zumindest mittelbar) am Alter des Annehmenden an. Diskriminierungen aufgrund des Alters sind aber vom Verbot des Art 14 EMRK erfasst […]. Eine Rechtfertigung ist, wie bereits oben dargelegt, jedenfalls dann nicht zu erkennen, wenn auch im Einzelfall kein Unterschreiten des Mindestaltersabstands möglich ist."
8. Die Bundesregierung erstattete eine Äußerung, in der sie den im Antrag erhobenen Bedenken entgegentritt und beantragt, der Verfassungsgerichtshof wolle aussprechen, dass der Hauptantrag als unzulässig zurückgewiesen und die im Eventualantrag angefochtene Bestimmung nicht als verfassungswidrig aufgehoben wird; in eventu, dass der Antrag zur Gänze abgewiesen wird.
1.3. Die Bundesregierung verweist einleitend auf die frühere Rechtslage nach § 180 Abs 2 Fall 2 ABGB, idF BGBl 403/1977, wonach der Wahlvater das dreißigste, die Wahlmutter das achtundzwanzigste Lebensjahr vollendet haben musste. Nach § 180 Abs 2 leg. cit. hätten Wahlvater und Wahlmutter mindestens achtzehn Jahre älter als das Wahlkind sein müssen; eine geringfügige Unterschreitung dieses Zeitraums sei unbeachtlich gewesen, wenn zwischen dem Annehmenden und dem Wahlkind bereits eine dem Verhältnis zwischen leiblichen Eltern und Kindern entsprechende Beziehung bestanden habe. Wäre das Wahlkind ein leibliches Kind des Ehegatten des Annehmenden oder mit dem Annehmenden verwandt, so hätte ein Altersunterschied von sechzehn Jahren genügt.
1.4. Nach Ansicht der Bundesregierung liege eine Verletzung des Art 1 des BVG über die Rechte von Kindern deshalb nicht vor, da nach Art 7 des BVG über die Rechte von Kindern eine Beschränkung der durch Art 1 gewährleisteten Rechte zulässig sei, insoweit sie gesetzlich vorgesehen sei und eine Maßnahme darstelle, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig sei. Art 7 BVG über die Rechte von Kindern sei demnach so zu verstehen, dass dem Grundsatz der Berücksichtigung des Kindeswohls nicht absoluter Vorrang vor anderen Rechtspositionen eingeräumt werde, sondern einer Abwägung mit anderen grundrechtlichen Interessenspositionen und öffentlichen Interessen zugänglich sein solle. Nach Auffassung der Bundesregierung werde die Regelung des § 193 Abs 2 ABGB diesen Anforderungen gerecht, da sie in Verfolgung des Zweckes der Adoption, nämlich im Interesse des Kindeswohls eine natürliche Familie (und keine geschwisterliche Beziehung) nachzubilden, von einer Durchschnittsbetrachtung ausgehend einen Mindestaltersabstand von sechzehn Jahren vorsehe. Dieser würde die typischerweise bestehenden natürlichen Verhältnisse bzw. den "natürlichen Generationensprung" abbilden.
1.5. Ein Verstoß der Regelung des § 193 Abs 2 ABGB gegen den Gleichheitssatz nach Art 7 B VG liege der Bundesregierung zufolge ebenso wenig vor, da die Familienrechtsgesetzgebung bei der Regelung der Voraussetzungen einer Adoption über einen weiten rechtspolitischen Gestaltungsspielraum verfüge. Es könne aus Sicht des Gleichheitssatzes daher nicht beanstandet werden, dass es bei der Festlegung eines Mindestaltersunterschieds – ebenso wie bei der Festlegung einer Altersgrenze – einzelne Personen geben möge, die die ihnen zugeschriebenen Eigenschaften noch nicht oder nicht mehr haben, da derartige Fälle unvermeidlich seien. Die Festlegung eines starren Altersunterschieds in § 193 Abs 2 ABGB wäre als typisierende Regelung daher nur dann verfassungswidrig, wenn sie gegen jede sachliche Erfahrung verstieße, wovon hier aber nicht die Rede sein könne.
Durch die klare Grenzziehung in § 193 Abs 2 ABGB sollten außerdem Rechtsunsicherheit und damit verbundene "frustrierte Hoffnungen" potenzieller Wahleltern vermieden werden, da die einfache und leicht handhabbare Regelung des § 193 Abs 2 ABGB für die Wahleltern und das Wahlkind eindeutig klarstelle, wann mit einer Annahme an Kindes statt gerechnet werden könne und man dabei nicht auf eine positive Einzelfallprüfung angewiesen sei.
Im Übrigen sei darauf hinzuweisen, dass auch die Rechtslage vor Inkrafttreten des KindNamRÄG 2013 insoweit Elemente der "Starrheit" aufgewiesen habe, als lediglich ein geringfügiges Unterschreiten des gesetzlichen Altersunterschieds zulässig gewesen sei, weshalb es auch damals Fälle gegeben habe, bei denen die rechtliche Formalisierung einer bestehenden Eltern-Kind-Beziehung gerade nicht möglich gewesen sei. Solche Fälle würden demnach immer denkbar sein, solange die Einzelfallprüfung nicht gänzlich der freien Beurteilung des Gerichts überlassen werde.
Bezüglich des Vorbringens des Obersten Gerichtshofes, wonach der Gesetzgeber mit der starren Regelung des Mindestaltersabstands das Ordnungssystem des Familienrechts verlassen habe, genüge der Hinweis darauf, dass der Gesetzgeber auch von einem selbst geschaffenen Ordnungssystem abweichen dürfe, sofern die Regelung in sich dem Gleichheitssatz entspreche. Da die Bestimmung des § 193 Abs 2 ABGB sachlich gerechtfertigt sei, liege kein Verstoß gegen den Gleichheitssatz vor.
1.6. Die vom Obersten Gerichtshof vorgebrachten Bedenken in Bezug auf einen Verstoß gegen Art 8 und 14 EMRK treffen nach Auffassung der Bundesregierung ebenfalls nicht zu, da es hinsichtlich der Altersgrenze und des Mindestaltersabstands keinen einheitlichen europäischen Standard gebe. In den Rechtsordnungen der europäischen Staaten sei teilweise gar kein Mindestaltersabstand vorgesehen, teilweise würden unterschiedliche Altersgrenzen gelten. Art 8 Abs 3 des auch von Österreich ratifizierten Europäischen Übereinkommens über die Adoption von Kindern, BGBl 314/1980, stelle nur auf den gewöhnlichen Altersunterschied zwischen Eltern und Kindern ab. Aus dem Fehlen eines einheitlichen europäischen Standards ergebe sich folglich ein größerer staatlicher Gestaltungsspielraum, welcher durch die, Art 8 Abs 3 des Europäischen Übereinkommens über die Adoption von Kindern entsprechende, Regelung des § 193 Abs 2 ABGB nicht überschritten worden sei.
Abgesehen davon würde der Bundesregierung zufolge auch die vom Obersten Gerichtshof geforderte Möglichkeit der geringfügigen Unterschreitung des Mindestaltersabstands nicht die von ihm behauptete Altersdiskriminierung verhindern können.
III. Erwägungen
9. Der Verfassungsgerichtshof hat über die Zulässigkeit des Antrags erwogen:
1.1. Gemäß Art 140 Abs 1 erster Satz B VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über die Verfassungswidrigkeit eines Bundesgesetzes u.a. auf Antrag des Obersten Gerichtshofes oder eines zur Entscheidung in zweiter Instanz berufenen Gerichtes. Diese Gerichte sind gemäß Art 89 Abs 2 zweiter Satz B VG verpflichtet, einen solchen Prüfungsantrag zu stellen, wenn sie gegen die Anwendung eines Gesetzes aus dem Grund der Verfassungswidrigkeit Bedenken hegen.
1.2. Der Verfassungsgerichtshof ist nicht berechtigt, durch seine Präjudizialitätsentscheidung das antragstellende Gericht an eine bestimmte Rechtsauslegung zu binden, weil er damit indirekt der Entscheidung dieses Gerichtes in der Hauptsache vorgreifen würde. Gemäß der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes darf daher ein Antrag auf Aufhebung einer generellen Norm nur dann wegen mangelnder Präjudizialität zurückgewiesen werden, wenn es offenkundig unrichtig (denkunmöglich) ist, dass die – angefochtene – generelle Norm eine Voraussetzung der Entscheidung des antragstellenden Gerichtes im Anlassfall bildet (vgl. etwa VfSlg 10.640/1985, 12.189/1989, 15.237/1998, 16.245/2001 und 16.927/2003).
Es ist nichts hervorgekommen, was an der Präjudizialität des § 193 Abs 2 ABGB im Verfahren vor dem Obersten Gerichtshof zweifeln ließe. Der antragstellende Oberste Gerichtshof ist denkmöglich davon ausgegangen, dass er bei der Entscheidung über den Revisionsrekurs gegen die Abweisung des Antrags auf Bewilligung einer Adoption wegen Unterschreitung des Mindestaltersabstands diese Bestimmung anzuwenden hat.
1.3. Die Bundesregierung erachtet den Antrag, bloß die Wortfolge "mindestens sechzehn Jahre" in § 193 Abs 2 ABGB aufzuheben, als zu eng gefasst und daher als unzulässig.
1.3.1. Die Grenzen der Aufhebung einer auf ihre Verfassungsmäßigkeit hin zu prüfenden Gesetzesbestimmung müssen nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes sowohl zu von Amts wegen als auch zu auf Antrag eingeleiteten Gesetzesprüfungsverfahren (VfSlg 13.965/1994 mwN, 16.542/2002, 16.911/2003) so gezogen werden, dass einerseits der verbleibende Gesetzesteil nicht einen völlig veränderten Inhalt bekommt und dass andererseits die mit der aufzuhebenden Gesetzesstelle untrennbar zusammenhängenden Bestimmungen auch erfasst werden.
Dem folgend geht der Verfassungsgerichtshof davon aus, dass im Gesetzesprüfungsverfahren der Anfechtungsumfang der in Prüfung gezogenen Norm bei sonstiger Unzulässigkeit des Prüfungsantrages nicht zu eng gewählt werden darf (vgl. zB VfSlg 8155/1977, 12.235/1989, 13.915/1994, 14.131/1995, 14.498/1996, 14.890/1997, 16.212/2002). Unter dem Aspekt einer nicht trennbaren Einheit in Prüfung zu ziehender Vorschriften ergibt sich ferner, dass ein Prozesshindernis auch dann vorliegt, wenn es auf Grund der Bindung an den gestellten Antrag zu einer in der Weise isolierten Aufhebung einer Bestimmung käme, dass Schwierigkeiten bezüglich der Anwendbarkeit der im Rechtsbestand verbleibenden Vorschriften entstünden, und zwar in der Weise, dass der Wegfall der angefochtenen (Teile einer) Gesetzesbestimmung den verbleibenden Rest unverständlich oder auch unanwendbar werden ließe.
1.3.2. Unbestritten ist, dass es zur Beseitigung der Verfassungswidrigkeit ausreicht, die Wortfolge "mindestens sechzehn Jahre" in § 193 Abs 2 ABGB aufzuheben. Die Bundesregierung vermeint jedoch, dass der nach Aufhebung verbleibende Gesetzesteil einen völlig veränderten Inhalt erhielte. Dieser Einwand trifft nicht zu. Zwar fällt der Mindestaltersabstand mit der Aufhebung der angefochtenen Wortfolge weg. Es verbleibt jedoch die (jedenfalls vom Willen des Gesetzgebers unzweifelhaft erfasste) Anordnung, dass die Wahleltern älter als das Wahlkind sein müssen. Ferner hat das Gericht bei der Entscheidung über die Bewilligung der Adoption im Falle der Aufhebung der angefochtenen Wortfolge unverändert die Kriterien des § 194 Abs 1 ABGB anzuwenden.
1.4. Da auch sonst keine Prozesshindernisse hervorgekommen sind, erweist sich der auf die Aufhebung der Wortfolge "mindestens sechzehn Jahre" in § 193 Abs 2 ABGB gerichtete Antrag insgesamt als zulässig.
10. Der Verfassungsgerichtshof hat in der Sache erwogen:
1.5. Der Verfassungsgerichtshof hat sich in einem auf Antrag eingeleiteten Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes gemäß Art 140 B VG auf die Erörterung der aufgeworfenen Fragen zu beschränken (vgl. VfSlg 12.691/1991, 13.471/1993, 14.895/1997, 16.824/2003). Er hat sohin ausschließlich zu beurteilen, ob die angefochtene Bestimmung aus den in der Begründung des Antrages dargelegten Gründen verfassungswidrig ist (VfSlg 15.193/1998, 16.374/2001, 16.538/2002, 16.929/2003).
1.6. Der antragstellende Oberste Gerichtshof hegt gegen die angefochtene Bestimmung Bedenken im Hinblick auf eine Verletzung des Art 1 BVG über die Rechte von Kindern, der die Wahrung und Förderung des Kindeswohls als verfassungsrechtlichen Maßstab für das einfache Gesetz vorsieht. Die starre Regelung des § 193 Abs 2 ABGB könne zu Ergebnissen, nämlich zur Nichterteilung einer Bewilligung allein wegen zu geringen Altersabstands, führen, die mit dem konkreten Kindeswohl unvereinbar seien. Denn jedenfalls dann, wenn der Kontakt zu einem leiblichen Elternteil gänzlich abgebrochen sei und stattdessen eine faktische Eltern-Kind-Beziehung mit einer anderen Person bestehe, liege die Bewilligung der Adoption auch dann im Interesse des Kindes, wenn ein – im Regelfall sinnvoller – Mindestaltersabstand geringfügig unterschritten werde.
1.7. Nach Art 1 BVG über die Rechte von Kindern hat jedes Kind "Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge, die für sein Wohlergehen notwendig sind, auf bestmögliche Entwicklung und Entfaltung sowie auf die Wahrung seiner Interessen auch unter dem Gesichtspunkt der Generationengerechtigkeit. Bei allen Kinder betreffenden Maßnahmen öffentlicher und privater Einrichtungen muss das Wohl des Kindes eine vorrangige Erwägung sein." Die verfassungsrechtliche Vorgabe, bei Kinder betreffenden Maßnahmen das Kindeswohl als vorrangige Erwägung zu berücksichtigen, bindet auch den Gesetzgeber, wenn er die Grundlagen für solche Maßnahmen normiert. Das im zweiten Satz des Art 1 BVG über die Rechte von Kindern solcherart verankerte Kindeswohl wird maßgeblich bestimmt durch den im ersten Satz normierten Anspruch von Kindern auf bestmögliche Entwicklung und Entfaltung.
Art1 BVG über die Rechte von Kindern normiert nicht nur einen Bereich grundrechtlichen Schutzes, in den unter den Voraussetzungen des Art 7 BVG über die Rechte von Kindern eingegriffen werden darf, sondern auch einen Auftrag an die Gesetzgebung und – insbesondere im Rahmen seines zweiten Satzes – an die Vollziehung, das Kindeswohl vorrangig zu wahren.
Eine Beschränkung der Ansprüche nach Art 1 Satz 1 ist gemäß dem (Art8 Abs 2 EMRK nachgebildeten) Art 7 BVG über die Rechte von Kindern nur zulässig, "insoweit sie gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist."
11. Die Bundesregierung ist mit ihrem Hinweis im Recht, dass das Kindeswohl – ebenso wie der Anspruch auf bestmögliche Entwicklung und Entfaltung – nicht absoluten Vorrang genießt, sondern unter dem Vorbehalt von nach Art 7 BVG über die Rechte von Kindern zulässigen Beschränkungen steht. Eine gesetzliche Regelung, die zu Maßnahmen ermächtigt, welche die Entwicklung und Entfaltung und mithin das Kindeswohl beeinträchtigen können, muss zur Erreichung der in Art 7 genannten Ziele notwendig sein, mithin einem dieser Ziele dienen und verhältnismäßig sein.
1.8. Der Schutz des Kindeswohls war schon bisher auf einfachgesetzlicher Ebene ein Grundsatz des Kindschaftsrechts. Mit der Verankerung auf Verfassungsebene wird er nun auch zu einem Prüfungsmaßstab und zu einer Auslegungsleitlinie für die Berücksichtigung der Interessen von Kindern und Jugendlichen in der Rechtsordnung. Mit dem BVG über die Rechte von Kindern, BGBl I 4/2011, wurden zentrale Bestimmungen des UN Übereinkommens über die Rechte von Kindern in den Verfassungsrang gehoben. Die Gesetzesmaterialien machen unter Hinweis auf Art 3 des UN Übereinkommens über die Rechte des Kindes und Art 24 GRC deutlich, dass Art 1 BVG über die Rechte von Kindern den besonderen Schutz- und Fürsorgeanspruch von Kindern in Verbindung mit dem zentralen, kinderrechtespezifischen Anspruch der vorrangigen Berücksichtigung des "Wohles des Kindes" verwirklicht. Gleichzeitig soll – in Übereinstimmung mit der GRC – klargestellt werden, dass das Kindeswohl auch mit anderen Rechtsgütern, etwa dem Recht der Eltern auf Wahrung ihres Privat- und Familienlebens abzuwägen ist (AB 1051 BlgNR 24. GP, 2).
12. Für die Verhältnismäßigkeit der Beschränkung des Kindeswohls im Fall der Altersabstandsgrenze ist sohin maßgeblich, welchem Ziel diese dient und ob das Gewicht der die Verfolgung dieser Ziele rechtfertigenden Gründe die Nachteile für die Rechtsposition der Betroffenen (Wahleltern und Kinder), hier die Schwere der Beeinträchtigung des Anspruchs nach Art 1 BVG über die Rechte von Kindern, überwiegt.
1.9. Dabei ist zunächst zu veranschlagen, dass der Gesetzgeber bei der Regelung der Voraussetzungen der Adoption allgemein sowie bei der Festlegung von Altersgrenzen und Mindestaltersabständen im Besonderen über einen rechtspolitischen Gestaltungsspielraum verfügt.
1.10. Nach § 193 Abs 2 ABGB ist eine Adoption nicht zu bewilligen, wenn der Altersunterschied zwischen der Wahlmutter oder dem Wahlvater einerseits und dem Wahlkind andererseits zu gering ist.
1.11. Diese Regelung dient einem legitimen Ziel iSd Art 7 BVG über die Rechte von Kindern. Wie die Bundesregierung dartut, wird damit eine einfache und leicht handhabbare Regelung geschaffen, die Rechtssicherheit schafft und Enttäuschungen von Wahleltern hintanhält, die die Voraussetzungen (knapp) nicht erfüllen und eine negative Entscheidung erhalten. Auch dient eine Altersabstandsgrenze an sich dem Kindeswohl und damit den Rechten der betroffenen Kinder. Gestützt auf diese Erwägungen kann die Regelung als eine Maßnahme angesehen werden, die der öffentlichen Ordnung und dem Schutz der Rechte anderer iSd Art 7 BVG über die Rechte von Kindern dient.
1.12. Im Hinblick auf die Verhältnismäßigkeit der Beschränkung des Kindeswohls ist vorauszuschicken, dass ein Mindestaltersabstand von 16 Jahren grundsätzlich sachlich ist, weil er einen "Generationensprung" abbildet, mag der Altersabstand zwischen Eltern und Kindern heute im statistischen Durchschnitt größer sein bzw. im Einzelfall geringfügig unterschritten werden. Eine ausnahmslose und generelle Anordnung des Altersabstands kann jedoch – wie der dem Antrag des Obersten Gerichtshofes zugrunde liegende Fall zeigt – das Kindeswohl in unverhältnismäßiger Weise beeinträchtigen, dann nämlich, wenn ein Wahlkind längere Zeit in Familienverhältnissen gelebt hat, die einer Eltern-Kind-Beziehung sehr ähnlich sind oder gar entsprechen, und eine Adoption alleine wegen des zu geringen Altersabstands nicht bewilligt werden kann.
1.13. Eine solche Regelung schließt die Unterschreitung des Mindestaltersabstands auch dann aus, wenn das Kindeswohl die Bewilligung der Adoption geböte. In Fällen, in denen sich ein Kind bereits in einem Familienverband befindet, der durch Adoption rechtlich verfestigt werden soll, hat das grundrechtliche Schutzgut der bestmöglichen Entwicklung und Entfaltung des Kindes erhebliches Gewicht, welches durch das Gebot der Berücksichtigung des Kindeswohls als vorrangige Erwägung in Art 1 letzter Satz BVG über die Rechte von Kindern verstärkt wird. Hinzu kommt, dass das Gebot eines Mindestabstands im Alter der Betroffenen anders als im Fall der Altersgrenze des § 193 Abs 1 ABGB nicht durch Zuwarten und Zeitablauf später erfüllt wird, sondern – zwischen denselben Beteiligten – dauerhaft unerfüllbar bleibt.
1.14. Dem steht das Interesse an Rechtssicherheit und leichter Handhabbarkeit einer absoluten Grenze gegenüber. Wenngleich auch dieses erheblich ist, zeigt die Regelung des § 180 Abs 2 ABGB aF, die bis zum in Geltung stand und derzufolge unter der Voraussetzung des Bestehens einer dem Verhältnis zwischen leiblichen Eltern und Kindern entsprechenden Beziehung die geringfügige Unterschreitung des Zeitraums für Fälle der Doppeladoption jedenfalls und nach der Judikatur auch bei der Stiefkindadoption unbeachtlich war (vgl. Höllwerth, in: Schwimann/Kodek [Hrsg.], ABGB Praxiskommentar 4 , 2011, § 180 Rz 11), dass die Normierung eines Mindestaltersabstands mit der Möglichkeit der Unterschreitung nach richterlichem Ermessen im Fall des Vorliegens bestimmter Voraussetzungen keineswegs eine rechtsstaatlich bedenkliche Rechtsunsicherheit oder Schwierigkeiten in der Handhabung hervorrufen muss. In Bezug auf allenfalls "frustrierte" Hoffnungen von Wahleltern, die vom Alter her im Grenzbereich der Bewilligungskriterien liegen, auf welche die Bundesregierung hinweist, ist festzuhalten, dass insoweit keine Rechtsansprüche bestehen, die "Rechten anderer" iSd Art 7 BVG über die Rechte von Kindern gleichkämen, und dass diese Wahleltern durch eine Regelung mit Unterschreitungsmöglichkeit in Grenzfällen auch dann nicht schlechter gestellt wären, wenn ihrem Antrag nicht Folge gegeben würde.
1.15. In einer Gegenüberstellung der Nachteile starrer Altersgrenzen (4.5.) mit dem Gewicht der rechtfertigenden Gründe (4.6.) gelangt der Verfassungsgerichtshof zum Ergebnis, dass letztere die Schwere des Eingriffs nicht aufzuwiegen vermögen, der Eingriff mithin unverhältnismäßig ist.
13. Die Bestimmung des § 193 Abs 2 ABGB, die, ohne das konkrete Kindeswohl zu berücksichtigen, alleine auf das Erfordernis des Mindestaltersabstands von sechzehn Jahren abzielt, ohne die Möglichkeit einer Unterschreitung in bestimmten Fällen vorzusehen, verstößt daher gegen Art 1 BVG über die Rechte von Kindern.
14. Bei diesem Ergebnis erübrigt sich ein Eingehen auf die weiteren Bedenken des antragstellenden Obersten Gerichtshofes.
IV. Ergebnis
15. Die Wortfolge "mindestens sechzehn Jahre" in § 193 Abs 2 ABGB, JGS 946/1811, idF BGBl I 15/2013, ist als verfassungswidrig aufzuheben.
16. Die Bestimmung einer Frist für das Außerkrafttreten der aufgehobenen Gesetzesstelle gründet sich auf Art 140 Abs 5 dritter und vierter Satz B VG.
17. Der Ausspruch, dass frühere gesetzliche Bestimmungen nicht wieder in Kraft treten, beruht auf Art 140 Abs 6 erster Satz B VG.
18. Die Verpflichtung des Bundeskanzlers zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung und der damit im Zusammenhang stehenden sonstigen Aussprüche erfließt aus Art 140 Abs 5 erster Satz B VG und § 64 Abs 2 VfGG iVm § 3 Z 3 BGBlG.
19. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
European Case Law Identifier
ECLI:AT:VFGH:2014:G18.2014