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OGH vom 11.08.1993, 9ObA200/93

OGH vom 11.08.1993, 9ObA200/93

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr.Gamerith als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Maier und Dr.Steinbauer sowie durch die fachkundigen Laienrichter Martin Duhan und Winfried Kmenta als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache des Klägers Dr.M***** E*****, EDV-Organisator, ***** vertreten durch Dr.Marcella Zauner-Grois, Rechtsanwältin in Wien, wider die Beklagte Stadt Wien, vertreten durch Dr.Peter Zöllner, Rechtsanwalt in Wien, wegen Feststellung (Streitwert S 6.000), infolge Revision des Klägers gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 34 Ra 80/92-20, womit das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom , GZ 24 Cga 516/91-12, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Der Kläger ist schuldig, der Beklagten die mit S 2.175,36 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin S 362,56 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger ist türkischer Staatsbürger; er bewarb sich im Frühjahr 1991 bei der Beklagten als EDV-Organisator. Der Kläger war damals bereits in Österreich tätig. Seine Familie lebte noch in Istanbul. Motiv seiner Bewerbung war, seinen drei Kindern eine Erziehung und Schulausbildung im deutschen Sprachraum zu ermöglichen. Nach einem Aufnahmetest und einem Vorstellungsgespräch unterzeichnete er am eine Vereinbarung, daß er mit der Aufnahme in ein Sondervertragsbedienstetenverhältnis ab einverstanden war. Am trat der Kläger seinen Dienst an; am unterfertigte er den Sondervertrag auf Grund der (Wiener) Vertragsbedienstetenordnung 1979 LGBl 1979/20 (kurz: VBO 1979). Danach wurde das Dienstverhältnis auf unbestimmte Zeit abgeschlossen und ein Probemonat vereinbart.

Beim Einstellungsgespräch wurde dem Kläger gesagt, daß er bei der Gemeinde Wien einen sicheren Arbeitsplatz haben werde. Es würde auch bei der Beschäftigungsbewilligung keine Probleme geben. Obwohl mit ihm für die Zeit nach Ablauf des Probemonates kein kündigungsgeschütztes Dienstverhältnis oder ein Kündigungsverzicht vereinbart wurde, glaubte der Kläger schon allein auf Grund dieser Gespräche, daß sein Arbeitsplatz sicher und kündigungsgeschützt sein werde.

In der Folge übersiedelte seine Familie von Istanbul nach Wien. Bei seiner Tätigkeit als EDV-Organisator glaubte der Kläger organisatorische Mißstände entdeckt zu haben; er meinte, daß er durch eine entsprechende Reorganisation im EDV-System bis zu 300 Mio S einsparen könne und übte an der Organisation der Beklagten Kritik. Wegen dieser Probleme sprach er beim Magistratsdirektor vor und fühlte sich nachher von seinem Vorgesetzten bei der Entfaltung seiner Tätigkeiten behindert. In der Folge wurde dem Kläger die Leistung von Überstunden schriftlich untersagt. Am wurde er gemäß § 37 Abs 1 VBO 1979 zum schriftlich ohne Angabe von Kündigungsgründen unter Verzicht auf jede weitere Dienstleistung gekündigt und ihm das Betreten der Räume der MD-ADV untersagt.

Der Kläger begehrt die Feststellung, daß das Dienstverhältnis (zur Beklagten) trotz Kündigung über den hinaus weiterhin aufrecht sei. Die Beklagte habe trotz Kenntnis seiner persönlichen und wirtschaftlichen Lage bewußt in Kauf genommen, daß er durch die Kündigung einen schweren wirtschaftlichen Schaden erleiden werde. Er sei nur deshalb gekündigt worden, weil Organe der Beklagten befürchteten, er könnte weitere Aufdeckungen machen und bekanntgeben.

Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Zwischen den Streitteilen seien keine über den Inhalt des Sonderdienstvertrages und die Absprachen über die Gehaltshöhe hinausgehenden Vereinbarungen getroffen worden.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Da das auf unbestimmte Zeit eingegangene Dienstverhältnis noch nicht drei Jahre gedauert habe, habe es die Beklagte gemäß § 37 Abs 1 VBO 1979 schriftlich ohne Angabe von Gründen aufkündigen können. Eine sittenwidrige Ausübung des Kündigungsrechts (§ 879 Abs 1 ABGB) läge nur vor, wenn die Interessenabwägung eine grobe Verletzung rechtlich geschützter Interessen, sowie ein grobes Mißverhältnis zwischen den durch die Handlung verletzten und den durch sie geförderten Interessen ergäbe. Im vorliegenden Fall liege es nicht im geschützten Interessenbereich des Klägers und in seiner freien Entscheidung, bei der Beklagten ein seiner Meinung nach besseres EDV-ADV System einzuführen oder das bestehende System durch Umorganisation zu verbessern. Hiezu hätte es der Zustimmung der Beklagten bedurft, welche durch die Kündigung ausdrücklich nicht erteilt wurde. Bei den vom Kläger aufgezeigten Mißständen handle es sich um Organisationsfragen des Betriebes. Eine Abwägung mit öffentlich-rechtlich geschützten Gütern sei von vornherein nicht vorzunehmen. Der Kläger habe nicht behauptet, daß er nur gekündigt worden sei, damit ihm Schaden zugefügt werde, so daß auch schikanöse Rechtsausübung ausscheide. Mangels Nachweises eines Kündigungsverzichtes sei die Kündigung nicht vertragswidrig. § 105 ArbVG komme gemäß § 33 Abs 1 ArbVG nicht zur Anwendung.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, daß der Wert des Entscheidungsgegenstandes S 50.000 übersteige.

Es verneinte die in der Berufung als Mangelhaftigkeit des Verfahrens gerügte Verletzung der Anleitungspflicht und der Unterlassung der beantragten Zeugenvernehmungen. Mangels eines vertraglichen Abschlusses der freien Kündbarkeit nach § 37 Abs 1 VBO 1979 sei das Dienstverhältnis des Klägers durch Kündigung rechtswirksam zur Auflösung gebracht worden, weil neben dem hier nicht anzuwendenden arbeitsverfassungsrechtlichen Kündigungsschutz auch keine Anfechtungsmöglichkeit nach § 879 ABGB bestehe.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Klägers wegen Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens und unrichtiger rechtlicher Beurteilung der Sache mit dem Antrag auf Aufhebung und hilfsweise auf Abänderung der Urteile der Vorinstanzen.

Die Beklagte beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, der Revision des Klägers nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist im Ergebnis nicht berechtigt.

Der Revisionsgrund der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens durch Unterlassen der Parteienvernehmung auf Seiten der Beklagten und durch mangelhafte Anleitung des Klägers liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO). Angebliche Mängel des Verfahrens erster Instanz, die vom Berufungsgericht verneint wurden, können ebensowenig wie solche, die in zweiter Instanz nicht gerügt wurden (EFSlg 57.817 ua), im Revisionsverfahren geltend gemacht werden (SZ 60/197; RZ 1989/16; SZ 62/88; RZ 1992/57 ua).

Der Revisionswerber versucht aus dem Abschluß eines Sondervertrages mit der Beklagten abzuleiten, daß sie ihm "mindestens für eine bestimmte Dauer eine gesicherte Existenz und ein gesichertes Einkommen" versprochen habe, zumal der Inhalt seiner Tätigkeit in einer klar abgesteckten Leistung bestanden habe. Selbst wenn die Kündigung zulässig wäre, hätte er einen Schadenersatzanspruch.

Diese Ausführungen sind nicht berechtigt, weil der Kläger die außerhalb des Vertragsinhaltes liegenden Erwartungen, die er und allenfalls auch die Beklagte an den Abschluß des Dienstvertrages auf unbestimmte Zeit knüpfte, mit dem allein verbindlichen Vertragsinhalt gleichsetzt.

Es mag sein, daß der Kläger - wie er in der Berufung vorbrachte - zur Durchführung ganz bestimmter, klar vorgegebener Leistungen mit einem Leistungsumfang für etwa zwei Jahre aufgenommen wurde, doch wurde das Erbringen ganz bestimmter Leistungen und deren Fertigstellung innerhalb bestimmter Zeit nicht zum Vertragsinhalt gemacht. Auch aus dem Umstand, daß der Kläger mit einem Sondervertrag angestellt wurde, ist für die Frage der Lösbarkeit dieses Dienstverhältnisses nichts zu entnehmen. Gegen einen für die Zeit auf etwa zwei Jahre stillschweigend vereinbarten Kündigungsausschluß oder eine Befristung des Dienstvertrages spricht der eindeutige Vertragswortlaut, wonach das Dienstverhältnis auf unbestimmte Zeit abgeschlossen und ein Probemonat vereinbart wurde, währenddessen das Dienstverhältnis von beiden Parteien jederzeit gelöst werden konnte (§ 36 Abs 3 VBO 1979).

Die bereits vor Antritt des Dienstes getroffenen mündlichen Vereinbarungen, auf die sich der Kläger beruft, betrafen, soweit er sie überhaupt substantiiert hat, nur die Höhe des Gehaltes. In seiner Parteienvernehmung gab er an, daß er auf Grund der Zusage, daß er einen sicheren Arbeitsplatz haben werde, und wegen seiner Beschäftigung bei einer "staatlichen Stelle" und seiner dortigen Aufgaben der Meinung war, ein unkündbares Dienstverhältnis einzugehen. Diese subjektive Meinung des Klägers, die er gegenüber der Beklagten nicht erkennbar zum Ausdruck brachte und die auch im Widerspruch zum Wortlaut des schriftlichen Vertrages steht, ist für den Vertragsinhalt ohne Relevanz. Die Zusicherung der Beklagten, daß der Kläger bei ihr einen sicheren Arbeitsplatz haben werde, konnte sich nur auf den gesetzlichen Kündigungsschutz nach mindestens dreijähriger Dauer des Dienstverhältnisses gemäß § 37 Abs 1 VBO 1979 beziehen, hatte aber nicht die Wirkung eines sofortigen (oder nach Ablauf des Probemonats einsetzenden) Kündigungsverzichts. Mangels Vereinbarung eines auch nur zeitlich befristeten Kündigungsverzichtes oder einer Einschränkung des Kündigungsrechts der Beklagten auf bestimmte Gründe (Arb 8732) beendete die Kündigung, sofern sie nicht sittenwidrig war, das Dienstverhältnis gemäß § 37 Abs 1 VBO 1979, ohne daß es der Angabe von Gründen bedurfte. Vertragswidrigkeit der Kündigung liegt daher nicht vor.

Während das Erstgericht der Meinung war, daß eine Kündigung auch wegen Sittenwidrigkeit unwirksam sein könne, aber das Vorliegen dieser Voraussetzungen verneinte, sprach das Berufungsgericht in Anlehnung an die Rechtsprechung zu § 25 BRG (Arb 6901, 7284, 8088) aus, daß neben der arbeitsverfassungsrechtlichen Sonderregelung des Kündigungsschutzes, die im vorliegenden Fall gemäß § 33 Abs 2 Z 2 ArbVG nicht zum Tragen komme, keine Anfechtungsmöglichkeit nach bürgerlichem Recht, insbesondere nicht nach § 879 ABGB bestehe.

In der Entscheidung Arb 6901 = DRdA 1959, 110 (Floretta) sprach der Oberste Gerichtshof aus, daß eine Anfechtung nach § 879 ABGB im Hinblick auf die Sonderregelung des Kündigungsschutzes durch § 25 BRG unabhängig von der Größe des Betriebes auch dann ausscheide, wenn dieser Kündigungsschutz mangels Bestellung eines Vertrauensmannes oder eines Betriebsrates im Einzelfall nicht zum Tragen komme. Es könne nicht angenommen werden, daß der Gesetzgeber Arbeitnehmer von Kleinbetrieben, für die mangels Anwendbarkeit des § 25 BRG nur die Berufung auf § 879 ABGB in Frage komme, besser stellen wollte als Arbeitnehmer von Großbetrieben, die nur auf den Kündigungsschutz des § 25 BRG verwiesen seien. In den folgenden Entscheidungen Arb 7284 und 8088 hat der Oberste Gerichtshof an dieser Rechtsansicht festgehalten, doch ging es in beiden Fällen um Kündigungen, auf die die Sonderregelungen des § 25 Abs 3 lit c BRG bzw des § 11 ArbPlSichG anzuwenden waren. Hingegen hat der Oberste Gerichtshof durchaus anerkannt, daß die Kündigung eines Angestellten als Schikane im Sinne des § 1295 Abs 2 zweiter Halbsatz ABGB angesehen werden könne, wenn die Schädigungsabsicht den einzigen Grund der Rechtsausübung bildet (Arb 7593). In der Entscheidung WBl 1987, 102 hat der Oberste Gerichtshof die Frage offengelassen, ob und in welchem Umfang neben dem allgemeinen Kündigungsschutz der §§ 105, 107 ArbVG noch Raum für die Annahme einer sich aus den Motiven des Kündigenden ergebenden Sittenwidrigkeit der Kündigung nach § 879 Abs 1 ABGB bleibt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat die Ansicht vertreten, daß zur Feststellung des aufrechten Bestehens des Arbeitsverhältnisses infolge Ungültigkeit der Kündigung wegen Verstoßes gegen die guten Sitten die Arbeitsgerichte berufen sind (Arb 9599) und damit eine solche Möglichkeit jedenfalls nicht ausgeschlossen. Auch der Verfassungsgerichtshof war der Ansicht, daß die Annahme der Nichtigkeit der Kündigung aus dem Grund des § 879 ABGB mit der Möglichkeit ihrer Anfechtung nicht schlechthin unverträglich sei, zumal aus den Materialien eine klare Absicht des Gesetzgebers nicht festgestellt werden könne (VfSlg 10297 = DRdA 1985/14 [Floretta]).

Nur vereinzelte Stellungnahmen teilten den Standpunkt der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zum Verhältnis zwischen § 879 ABGB und § 25 BRG (Tomandl, Die sittenwidrige Kündigung im Lichte der Rechtsprechung des OGH, ÖJZ 1959, 34; Mayr in KommzArbVG [Wirtschaftsverlag] 247), die mit dem überwiegenden Teil der Lehre (so schon Floretta, Der Kündigungs- und Entlassungsschutz im österreichischen und deutschen Arbeitsrecht, ÖJZ 1953, 311 [316];

derselbe, Die sittenwidrige Kündigung im Arbeitsrecht, JBl 1954, 525 ff, 558 ff; auch Strasser, Der Kündigungsschutz nach § 25 BRG und die sittenwidrige Kündigung, JBl 1958, 173 [Vortragsbericht];

Floretta-Strasser, KommzBRG 397; Mayer-Maly, Österr.Arbeitsrecht 115;

auch Bydlinski, Dogmatische Fortschritte im österr.Betriebsverfassungsrecht, JBl 1962, 577 [585]) im Widerspruch stand. Übereinstimmung herrschte allerdings darin, daß Motivkündigungen wegen gewerkschaftlicher Tätigkeit (nur) nach § 25 Abs 3 lit a BRG anfechtbar und nicht nach § 879 ABGB nichtig seien (Floretta zu DRdA 1959, 110 [111 ff]). Die spezielle und jüngere Regelung des § 25 Abs 3 BRG schränke die allgemeine und ältere Regelung des § 879 ABGB ein (Strasser, Sittenwidrige Kündigung und Kündigungsschutz nach § 25 Betriebsrätegesetz, DRdA 1958, 64 f [68]).

Diesem Grundsatz ist auch im Geltungsbereich des ArbVG zu folgen: Dem Arbeitnehmer ist daher die Berufung auf § 879 ABGB bei allen nunmehr unter § 105 Abs 3 Z 1 und 2 ArbVG fallenden (materiellen) Anfechtungssachverhalten verwehrt (Floretta in ArbVG HdKomm 654;

Schrank, Der Fortbestand des Arbeitsverhältnisses als Schutzobjekt der Rechtsordnung, 335, 351).

Demgegenüber vertritt die Lehre nahezu einhellig den Standpunkt, daß § 879 ABGB jedenfalls für Arbeitnehmer, die nicht unter den Geltungsbereich des ArbVG fallen, voll anwendbar bleibt, ob es sich nun um in § 105 Abs 3 Z 1 ArbVG angeführte oder um andere Motive handelt. Aber auch im Geltungsbereich des allgemeinen Kündigungsschutzes greife bei nicht von § 105 Abs 3 Z 1 und 2 ArbVG umfaßten sittenwidrigen Kündigungen der Schutz des § 879 ABGB ein (Floretta, Rechtsdogmatisches und Rechtspolitisches zur Konstruktion und zum Inhalt des allgemeinen Kündigungs- oder Entlassungsschutzes im Arbeitsrecht [1971] 46 ff; Floretta in ArbVG HdKomm 653 ff;

Martinek-Schwarz, Abfertigung/Auflösung des des Arbeitsverhältnisses 110 f; Krejci in Rummel, ABGB2, Rz 5 zu § 879;

Martinek-M.Schwarz-W.Schwarz, AngG7, 411;

Floretta-Spielbüchler-Strasser, Arbeitsrecht3 I 269 f;

Schwarz-Löschnigg, Arbeitsrecht4, 403 f; Mayer-Maly/Marhold, Österreichisches Arbeitsrecht I 175; Schrank aaO 355, 356; Firlei, Motivkündigungen von Arbeitnehmern und kollektivrechtliche Konstruktion des allgemeinen Kündigungsschutzes in FS Rabofsky 139 [152]). Wo die speziellen Normen des ArbVG von vornherein nicht gelten, könne auch die generelle Norm nicht verdrängt werden (Trost, Die rechts- oder sittenwidrige Kündigung, DRdA 1987, 1 f [8]).

Diesem Standpunkt der Lehre ist zu folgen: Im Privatrecht ist unbestritten, daß § 879 ABGB auch bei einseitigen Rechtsgeschäften anwendbar ist. Daher können grundsätzlich auch Kündigungen wegen Sittenwidrigkeit absolut nichtig sein (Floretta in ArbVG HdKomm 653; Krejci in Rummel aaO Rz 5, 65 zu § 879; Floretta, JBl 1954, 525 [529]; ders, DRdA 1959, 110 [111]; Floretta-Spielbüchler-Strasser aaO 269; Trost, DRdA 1987, 3 mwN). Die Sittenwidrigkeit kann sich dabei nur aus den Motiven des Kündigenden ergeben, weil die Kündigung selbst nur den neutralen Zweck haben kann, das Arbeitsverhältnis aufzulösen (Floretta, JBl 1954, 525 [528]; ders, DRdA 1959, 110 [111]; Floretta-Spielbüchler-Strasser aaO 269). Da das sittenwidrige Motiv bei einseitigen Rechtsgeschäften auf der Seite des Erklärenden liegt, tangieren solche Fälle in der Regel den Problemkreis des Rechtsmißbrauches (§ 1295 Abs 2 ABGB; Krejci in Rummel aaO Rz 65 zu § 879).

Das Arbeitsverfassungsrecht regelt nur einzelne typische Fälle derartiger Motivkündigungen. Das Spektrum der durch § 105 Abs 3 Z 1 ArbVG geschützten Interessen ist zu eng, als daß alle groben und gravierenden Verletzungen rechtlich geschützter Lebensbereiche und Verstöße gegen die Grundwerte der Rechtsordnung umfaßt werden (Schrank aaO 355; Floretta, Rechtsdogmatisches und Rechtspolitisches 46). Die in der Entscheidung Arb 6901 zum Betriebsrätegesetz ausgesprochene Rechtsansicht, daß § 25 BRG § 879 ABGB zur Gänze verdränge, weil sonst in nicht betriebsratspflichtigen Kleinbetrieben ein weitergehender Kündigungsschutz als in betriebsratspflichtigen Betrieben bestünde, obwohl in jenen ein geringerer sozialer Schutz hinzunehmen sei, kann in dieser Allgemeinheit nicht aufrechterhalten werden. Zwischen dem allgemeinen Kündigungsschutz der §§ 105, 107 und 130 Abs 4 ArbVG und dem § 879 ABGB besteht keine Normenkonkurrenz, soweit die speziellen Normen des ArbVG gar nicht anzuwenden sind und daher die gute-Sitten-Klausel des § 879 ABGB gar nicht verdrängen können. Arbeitnehmerschutzrecht und Arbeitsvertragsrecht gelten auch ohne Rücksicht auf die Betriebsgröße, so daß dem Gesetzgeber die Absicht einer wesentlichen Schlechterstellung der Arbeitnehmer von Kleinbetrieben nicht zugesonnen werden kann (Floretta, DRdA 1959, 112; ders, Rechtsdogmatisches und Rechtspolitisches 46).

Auch das Argument, daß die Arbeitnehmer, die sich (mangels einer Spezialnorm) auf § 879 ABGB berufen könnten, gegenüber jenen, denen nur der Schutz der spezielleren Regelungen der §§ 105, 107, 130 Abs 4 ArbVG offensteht, privilegiert würden, weil sittenwidrige Kündigungen nicht nur anfechtbar, sondern absolut nichtig seien, so daß sich der Betroffene unbegrenzt darauf berufen könne, der Gesetzgeber aber den Schutz der von den §§ 105, 107 und 130 Abs 4 ArbVG erfaßten Personen keineswegs verschlechtern wollte, ist nicht durchschlagend. Der Unterschied zwischen Anfechtbarkeit und Nichtigkeit bringt nur eine formale Verbesserung, die durch die wesentlich günstigere Beweislage im Bereich des allgemeinen Kündigungsschutzes (§ 105 Abs 5 ArbVG) voll aufgewogen wird (Firlei aaO 152 f; Schrank aaO 355 ff). Seit der ArbVGNov BGBl 1990/411 kann überdies der Arbeitnehmer eine Motivkündigung nach § 105 Abs 3 Z 1 ArbVG auch dann anfechten, wenn der Betriebsrat der Kündigung zugestimmt hat (§ 105 Abs 3 und 6 ArbVG). Damit ist auch dieser wichtige Unterschied zwischen der Anfechtbarkeit nach dem ArbVG und der Geltendmachung der Nichtigkeit weggefallen.

Entscheidend ist schließlich, daß die Sittenwidrigkeit eine Form der Rechtswidrigkeit ist (Krejci in Rummel aaO Rz 49 zu § 879; MietSlg 38.071/22 mwN) und daß der Maßstab für die guten Sitten aus den allgemeinsten Wertprinzipien der Rechtsordnung abzuleiten ist (Krejci in Rummel aaO Rz 54 zu § 879). Der Sittenwidrigkeit von Rechtshandlungen und Rechtsgeschäften kommt damit eine so allgemeine und fundamentale Bedeutung zu, daß es nicht zulässig erscheint, ein privatrechtliches Grundprinzip durch die kollektivrechtliche Konstruktion des Kündigungsschutzes vollkommen zu substituieren (Martinek-Schwarz, Abfertigung/Auflösung des Arbeitsverhältnisses 111; Martinek-M.Schwarz-W.Schwarz aaO 412). Soweit nicht der Gesetzgeber den Schutz gegen Motivkündigungen besonders geregelt hat und diese Regeln nicht wenigstens analog anzuwenden sind, muß daher der Rückgriff auf § 879 ABGB gewährleistet sein. Dasselbe gilt auch für Arbeitsverhältnisse, auf die § 105 ArbVG nicht zur Anwendung kommt. Eine andere Auslegung liefe auf die Negierung oberster Grundprinzipien der Rechtsordnung hinaus.

Entgegen der Meinung des Berufungsgerichtes ist daher bei gravierenden Verletzungen rechtlich geschützter Interessen und Lebensbereiche eine Berufung auf § 879 ABGB zulässig, soweit nicht ohnehin die Regelungen der §§ 105 Abs 3 Z 1, 107 und 130 Abs 4 ArbVG eingreifen.

Im vorliegenden Fall liegt allerdings Sittenwidrigkeit nicht vor.

Als sittenwidriges Kündigungsmotiv nannte der Kläger, daß die Beklagte seine schwere wirtschaftliche Schädigung bewußt in Kauf genommen habe, weil sie ihn trotz Kenntnis des Umstandes, daß er nur wegen des Dienstverhältnisses seinen Lebensschwerpunkt und den seiner Familie von der Türkei nach Wien verlegt habe und daß er durch das Dienstverhältnis schneller zur österreichischen Staatsbürgerschaft gelangen wollte, gekündigt habe. Außerdem sei die Kündigung ausgesprochen worden, weil die Organe der Beklagten befürchteten, daß der Kläger weitere "Aufdeckungen" machen oder bekanntgeben werde.

Ob eine Kündigung sittenwidrig ist, richtet sich, wie bereits ausgeführt wurde, nach ihrem Beweggrund. Ob dieser sittenwidrig ist, ist nach den zu § 879 ABGB herausgebildeten Grundsätzen zu beurteilen (Floretta, JBl 1954, 525 [528]; Trost aaO 8 f).

Daß den mit der Kündigung des Klägers befaßten Organen der Beklagten bewußt war, daß der Kläger mit einem längeren Dienstverhältnis zur Beklagten gerechnet und daher auch den Lebensschwerpunkt seiner Familie nach Wien - er selbst hat dort schon vorher gearbeitet - verlegt hatte, macht die Kündigung noch nicht sittenwidrig. Daß die Kündigung auch nur überwiegend (vgl Reischauer in Rummel aaO Rz 59 zu § 1295) zu dem Zweck ausgesprochen worden wäre, um dem Kläger Schaden zuzufügen, ohne daß auf seiten der Beklagten ein sonstiges ins Gewicht fallendes Interesse an der alsbaldigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses bestanden hätte, behauptet der Kläger nicht, räumt er doch in der Revision selbst ein, daß er "zweifellos durch seine Anregungen und Vorschläge das Mißfallen von betroffenen Mitarbeitern erweckt" habe, was "dann schließlich dazu geführt habe, daß man bei einer Abwägung der Interessen für eine ordnungsgemäße EDV-Organisaton und der gleichzeitigen Verärgerung von Mitarbeitern und Vorgesetzten den einfacheren Weg der Kündigung des Klägers gesucht und gefunden" habe.

Damit gibt aber der Kläger zu, daß die Kündigung aus Gründen ausgesprochen wurde, die mit seinen Dienstleistungen und deren Auswirkungen auf die Organisation des Betriebes der Beklagten in Zusammenhang stehen. Es waren also nicht völlig sachfremde Erwägungen, die zum Entschluß der Beklagten geführt haben, sich vom Kläger rasch wieder zu trennen. Eine Sittenwidrigkeit der Kündigung könnte aber nur angenommen werden, wenn die Beklagte von ihrem Kündigungsrecht aus gänzlich unsachlichen und insbesondere aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes zu mißbilligenden Motiven, etwa wegen des Religionsbekenntnisses oder der politischen Einstellung des Klägers, Gebrauch gemacht hätte.

Auch die Voraussetzungen einer den Grundwertungen des § 105 Abs 3 Z 1 lit i ArbVG ähnlichen sittenwidrigen "Vergeltungskündigung" liegen nicht vor. Selbst wenn für die Kündigung durch die Beklagte auch der Grund maßgebend gewesen sein sollte, daß sie weitere "Aufdeckungen" des Klägers (nämlich Hinweise auf organisatorische Mißstände) befürchtete, handelten ihre Organe mit der Kündigung noch nicht sittenwidrig. Der Kläger durfte zwar seine Vorgesetzten auf solche Umstände hinweisen; unter Umständen war er dazu sogar verpflichtet. Er hatte jedoch keinen Rechtsanspruch darauf, daß die Beklagte auf diese Kritik auch einging und im Rahmen des ihr zustehenden Direktionsrechts die von ihm für erforderlich gehaltenen Maßnahmen traf. Es war ihren Organen - unbeschadet einer allfälligen Verantwortlichkeit nach Normen des öffentlichten Rechts (vgl etwa Art 127 und 127 a Abs 1 B-VG) - überlassen, in ihrer EDV-Organsation nach Meinung des Klägers aufgetretene Mißstände nicht weiter zu verfolgen und bisher geplante Organisationsänderungen wieder aufzugeben. Wenn die Beklagte den Kläger unter diesen Voraussetzungen nicht mehr weiter beschäftigen wollte, handelte sie mit dem Ausspruch der Kündigung nicht sittenwidrig.

Ob die Organe der Beklagten bei den Einstellungsgesprächen mit dem Kläger allenfalls vorvertragliche Aufklärungs- und Warnpflichten verletzt haben, kann auf sich beruhen, da das Klagebegehren nicht auf Schadenersatz, sondern auf Feststellung des Fortbestehens des Dienstverhältnisses gerichtet ist.

Der Revision ist daher nicht Folge zu geben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO.