OGH vom 29.09.2014, 8ObA57/14m

OGH vom 29.09.2014, 8ObA57/14m

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Spenling als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Kuras und Dr. Brenn sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Josef Schleinzer und Mag. Regina Albrecht als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei J***** B*****, vertreten durch Dr. Thomas Stampfer und Dr. Christoph Orgler, Rechtsanwälte in Graz, gegen die beklagte Partei J***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Helmut Engelbrecht, Rechtsanwalt in Wien, wegen 1.677,78 EUR brutto sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen vom , GZ 7 Ra 9/14v 23, mit dem das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Arbeits und Sozialgericht vom , GZ 29 Cga 17/13s 18, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 336,82 EUR (darin enthalten 56,14 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin war von bis als Angestellte bei der Beklagten beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis endete durch Austritt der Klägerin aus Gründen der Mutterschaft. Sie nahm an der Ausbildung „Fachweiterbildung für FrühförderInnen von Kindern mit Sehbehinderung oder Blindheit“ teil. Diese Ausbildung besteht aus 12 Modulen jeweils im Umfang von drei bis fünf Tagen. Ein Abschluss kann nur bei einer durchgehenden Teilnahme an allen Seminaren erzielt werden. Zudem ist das Verfassen einer schriftlichen Arbeit im Ausmaß von mindestens 30 Seiten und eine kommissionelle Prüfung für einen Abschluss erforderlich. Nach erfolgreichem Abschluss der Ausbildung wird ein Diplom ausgestellt. Ein Teil der Module kann auch einzeln besucht werden. In diesem Fall erhalten die Teilnehmer eine Teilnahmebescheinigung. Bis zu ihrem vorzeitigen Austritt absolvierte die Klägerin 10 Module des genannten Lehrgangs. Das 11. Modul absolvierte sie nach ihrem Austritt. Zum erfolgreichen Abschluss des Lehrgangs fehlt der Klägerin das letzte Modul, weiters eine unbekannte Anzahl von Praxisstunden sowie die Abschlussarbeit. Grundsätzlich konnte sich die Klägerin durch ihre Teilnahme am Lehrgang Spezialkenntnisse theoretischer und praktischer Art aneignen, die sie auch bei anderen Arbeitgebern verwerten kann. Im Verhältnis zu einer allgemeinen Frühförderin hat die Klägerin einen Vorteil bei Jobangeboten.

Im Jahr 2011 unterschrieb die Klägerin eine Vereinbarung zum Ausbildungskostenrückersatz. Darin findet sich folgende Bestimmung: „Die/Der Dienstnehmer/in verpflichtet sich für den Fall, dass er innerhalb von drei Jahren nach Abschluss der Ausbildung aus dem Dienst der Firma ausscheidet und zwar durch Selbstkündigung, unberechtigten vorzeitigen Austritt oder begründete Entlassung die oben genannte Summe mit dem Tag des Ausscheidens in einem zurückzuzahlen. Der zurückerstattete Betrag vermindert sich vom Zeitpunkt des Endes der Ausbildung um 1/36 für jeden Monat.“

Die Klägerin begehrte von der Beklagten die Bezahlung von Mehrstunden und Urlaubsersatzleistung. Diese Forderungen sind unstrittig. Zu dem von der Beklagten begehrten Ausbildungskostenrückersatz brachte die Klägerin vor, dass sie über keine erfolgreich absolvierte Ausbildung verfüge, die sie bei einem anderen Arbeitgeber verwerten könne, zumal sie das 12. Modul nicht absolviert, die Diplomarbeit nicht verfasst und die kommissionelle Prüfung nicht abgelegt habe. Außerdem bestehe bei begründetem vorzeitigen Austritt kein Rückersatzanspruch.

Die Beklagte machte gegenüber der Klägerin als Gegenforderung den der Höhe nach unstrittigen Rückersatz von Ausbildungskosten geltend. Dazu führte sie aus, dass die Klägerin den größten Teil des Lehrgangs erfolgreich abgeschlossen habe. Ihre erworbenen Kenntnisse seien jedenfalls bei anderen Arbeitgebern verwertbar. Ein Anspruch des Arbeitgebers auf Ausbildungskostenrückersatz bestehe auch bei einem Austritt aus Gründen der Mutterschaft gemäß § 15r MSchG.

Das Erstgericht stellte die Klagsforderung mit 1.677,78 EUR brutto als zu Recht bestehend, die von der Beklagten eingewendete Gegenforderung hingegen als nicht zu Recht bestehend fest und verpflichtete die Beklagte daher zur Zahlung. Ein begründeter vorzeitiger Austritt iSd § 2d Abs 4 Z 3 AVRAG setze einen wichtigen Grund voraus, der dem Arbeitnehmer die Weiterbeschäftigung für die Dauer der Kündigungsfrist unzumutbar mache. Diese Voraussetzungen seien bei einem Mutterschaftsaustritt nicht gegeben. Vielmehr liege ein solcher Austritt in der Nähe einer Selbstkündigung. Es sei daher zu klären, ob die Klägerin eine Ausbildung erfolgreich absolviert habe. Dafür sei maßgebend, ob für die konkrete Ausbildung eine Qualifikationsprüfung vorgesehen sei oder nicht. Im Anlassfall sei dies zu bejahen, zumal für den Abschluss des Lehrgangs eine Diplomarbeit und eine kommissionelle Prüfung erforderlich seien. Aus diesem Grund könne nicht von einem erfolgreichen Abschluss einer Ausbildung der Klägerin gesprochen werden. Eine Verpflichtung zum Ausbildungskostenrückersatz bestehe daher nicht.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung im Ergebnis. Für das erfolgreiche Absolvieren einer Ausbildung komme es darauf an, ob die Ausbildung für den Arbeitnehmer auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt verwertbar sei. Der Erfolg der Ausbildung müsse nicht durch eine Prüfung oder ein Zeugnis belegt sein. Außerdem sei es in der Sphäre der Klägerin gelegen, dass sie die Ausbildung nicht abgeschlossen habe. Allerdings liege entgegen der Ansicht des Erstgerichts ein berechtigter vorzeitiger Austritt der Klägerin vor. Mit Reissner (in ZellKomm² § 2d AVRAG Rz 34) sei davon auszugehen, dass auch der Elternschaftsaustritt rückforderungsschädlich sei. Die ordentliche Revision sei zulässig, weil zur Frage, ob ein Austritt nach § 15r MSchG den Ausbildungskostenrückersatzanspruch des Arbeitgebers gemäß § 2d Abs 4 AVRAG verhindere, höchstgerichtliche Rechtsprechung fehle.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision der Beklagten, die auf eine Abweisung des Klagebegehrens (unter Berücksichtigung der Gegenforderung) abzielt.

Mit ihrer Revisionsbeantwortung beantragt die Klägerin, die Revision der Gegenseite zurückzuweisen, in eventu, dieser den Erfolg zu versagen.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist aus den vom Berufungsgericht angeführten Gründen zulässig. Sie ist aber nicht berechtigt.

1. Die Beklagte steht auf dem Standpunkt, dass bei einem Austritt aus Gründen der Mutterschaft gemäß § 15r MSchG ein Anspruch des Arbeitgebers auf Ausbildungskostenrückersatz nach § 2d AVRAG bestehe. Ein begründeter vorzeitiger Austritt nach § 2d Abs 4 Z 3 AVRAG setze einen wichtigen Grund iSd § 26 AngG,§ 82a GewO 1859 bzw § 1162 ABGB voraus. Der Mutterschaftsaustritt gemäß § 15r MSchG sei der Sphäre der Arbeitnehmerin zuzurechnen.

Damit ist die Beklagte nicht im Recht.

2.1 Die Bestimmung des § 2d AVRAG wurde mit BGBl I 2006/36 geschaffen. Sie geht auf einen Initiativantrag (IA 605/A BlgNR 22. GP) zurück. In den Erläuterungen zu diesem Initiativantrag wird ausgeführt:

„[...] Die Vereinbarung der Rückerstattung von Ausbildungskosten dient dem Schutz der Investition des Arbeitgebers in die Ausbildung des Mitarbeiters und knüpft an die Auflösung des Arbeitsverhältnisses an. Der Rückersatz von Ausbildungskosten ist allerdings gesetzlich nicht geregelt; die Grundsätze, unter denen zulässigerweise der Rückersatz von Ausbildungskosten durch den Arbeitnehmer vereinbart werden kann, sind von der Judikatur an Hand zahlreicher Einzelfälle entwickelt worden. Mit dem vorliegenden Entwurf sollen daher [...] aus Gründen der Rechtssicherheit und Transparenz in § 2d AVRAG die von der Judikatur und herrschenden Lehre entwickelten Kriterien [...], unter denen die Vereinbarung einer Ausbildungskostenrückerstattung zulässig und wirksam ist, gesetzlich festgeschrieben werden.“ [Erläuterungen Allgemeiner Teil].

„[...] Die Einschulung erfolgt regelmäßig innerbetrieblich oder zumindest im Unternehmens- oder Konzernbereich. Hat der Arbeitnehmer darüber hinaus Spezialkenntnisse theoretischer oder praktischer Art erworben, die allgemein auch in anderen Unternehmen verwertet werden können, so handelt es sich um die bei dem Arbeitgeber entstandenen Kosten um Ausbildungskosten. Nach ständiger Judikatur und herrschender Lehre sind Einschulungskosten überhaupt nicht, Ausbildungskosten nur über vertragliche Vereinbarung zumindest teilweise - rückforderbar. Weiters sind nur die tatsächlich entstandenen Ausbildungskosten rückforderbar (vgl etwa OGH v , 4 ObA 120/78). Verpflichtungen zur Rückerstattung von Ausbildungskosten finden sich idR nur in Einzelvereinbarungen, sie können grundsätzlich allerdings auch in Kollektivverträgen geregelt werden. Die Rückforderung des während der Ausbildung erhaltenen Entgelts ist grundsätzlich unzulässig, da eine derartige Vereinbarung zu einer wesentlichen und einseitigen Beschränkung der Kündigungsfreiheit des Arbeitnehmers führen würde. […]

Das Entstehen der Rückzahlungsverpflichtung ist an bestimmte Formen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses gebunden; so besteht eine Rückzahlungsverpflichtung etwa bei Arbeitnehmerkündigung, bei begründeter Entlassung und unbegründeten vorzeitigen Austritt . Jedenfalls unvereinbar ist eine Rückzahlungsverpflichtung mit einem Dienstverhältnis auf Probe. In befristeten Arbeitsverhältnissen ist die Vereinbarung einer Rückzahlungsverpflichtung unzulässig.

In Umsetzung der bisherigen Judikatur und herrschenden Lehre erfolgt aus Gründen der Rechtssicherheit in Abs 1 eine Legaldefinition des Begriffs „Ausbildungskosten“; danach sind Ausbildungskosten die vom Arbeitgeber tatsächlich aufgewendeten Kosten für jene erfolgreich absolvierte Ausbildung, die dem Arbeitnehmer Spezialkenntnisse theoretischer und praktischer Art vermittelt, die dieser auch bei anderen Arbeitgebern verwerten kann. Abs 2 erster Satz stellt klar, dass es einer schriftlichen Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer für die Wirksamkeit einer Rückzahlungsvereinbarung bedarf; mit dem zweiten Satz wird klargestellt, dass die Rückforderung des Entgelts nur zulässig ist, wenn dies in einer eigenen Vereinbarung geregelt wird; zudem muss der Arbeitnehmer für die Dauer der Ausbildung vom Dienst unter Fortzahlung des Entgelts freigestellt sein.[…] Abs 4 stellt im Sinne der bisherigen Judikatur klar, dass bei Beendigung eines Arbeitsverhältnisses während der Probezeit nach § 19 Abs 2 AngG oder einer gleichlautenden sonstigen gesetzlichen Regelung, bei unbegründeter Entlassung oder bei begründetem vorzeitigen Austritt keine Rückzahlungsverpflichtung besteht“ [Erläuterungen Besonderer Teil].

2.2 Diese Ausführungen zeigen, dass § 2d Abs 4 AVRAG eine taxaktive Aufzählung zu jenen Fällen enthält, in denen keine Rückzahlungsverpflichtung hinsichtlich der Ausbildungskosten für den Arbeitnehmer besteht. Vor allem aber ergibt sich daraus, dass der Gesetzgeber auf die in der traditionellen arbeitsrechtlichen Terminologie typischen Begriffe der unbegründeten Entlassung (§ 27 AngG und § 82 GewO 1859) und des begründeten vorzeitigen Austritts (§ 26 AngG und § 82a GewO 1859) abgestellt hat (vgl Binder , AVRAG² § 2d Rz 37). Auf besondere, also in sondergesetzlichen Bestimmungen vorgesehene Austrittsrechte wurde nicht Bedacht genommen. An derartige Sonderregelungen, die in der Begründung des Initiativantrags nicht vorkommen, hat der Gesetzgeber offenkundig nicht gedacht.

2.3 Der Beklagten ist somit zuzugestehen, dass die in Rede stehenden Begriffe der „unbegründeten Entlassung“ und des „begründeten vorzeitigen Austritts“ im Allgemeinen die vorzeitige Auflösung des Arbeitsverhältnisses aus einem wichtigen Grund betreffen (vgl RIS Justiz RS0029015), der die Weiterbeschäftigung für den Auflösenden auch während der Kündigungsfrist unzumutbar macht (vgl RIS Justiz RS0029013).

3.1 In der Entscheidung 4 Ob 10/85 (vgl auch 10 ObS 101/94) wurde ausgesprochen, dass es dem Gesetzgeber fern lag, die Tatsache der Mutterschaft als wichtigen Grund im Sinn des (demonstrativen) Austrittskatalogs des § 26 AngG anzusehen. Dementsprechend ist der Mutterschaftsaustritt auch nach der herrschenden Lehre kein vorzeitiger Austritt aus wichtigem Grund im Sinn der traditionellen arbeitsrechtlichen Terminologie. Vielmehr handelt es sich um eine vorzeitige Beendigungsart sui generis ( Ercher/Stech in Ercher/Stech/Langer , MSchG und VKG § 15r MSchG Rz 6 mwN). In Rechtsprechung und Literatur werden die Begriffe „(un)begründeter vorzeitiger Austritt“, „(un)berechtigter vorzeitiger Austritt“ und „(un)gerechtfertigter vorzeitiger Austritt“ synonym verwendet (vgl Binder , AVRAG² § 2d Rz 38; Reissner in ZellKomm² § 2d AVRAG Rz 34).

3.2 Damit stellt sich die Frage, ob der Begriff „begründeter vorzeitiger Austritt“ in § 2d Abs 4 Z 3 AVRAG auf den Austrittskatalog des § 26 AngG bzw § 82a GewO 1859 zu beschränken ist.

Auch wenn § 2d Abs 4 Z 3 AVRAG einen ausdrücklichen Verweis auf die zuletzt erwähnten Bestimmungen nicht enthält, folgt aus den bisherigen Ausführungen, dass der Begriff „unbegründeter Austritt“ nur im Sinn dieser Austrittskataloge verstanden werden kann. Dies bedeutet jedoch noch nicht, dass ein Austritt wegen Mutterschaft nach den besonderen Regelungen des Mutterschaftsgesetzes eine Rückzahlungsverpflichtung hinsichtlich der Ausbildungskosten (im Fall einer Vereinbarung) grundsätzlich zulässt. Vielmehr stellt sich die Frage, ob ein Analogieschluss dahin gerechtfertigt ist, dass § 2d Abs 4 Z 3 AVRAG um den Fall eines in einer sondergesetzlichen Regelung vorgesehenen besonderen Austrittsrechts der Arbeitnehmerin zu erweitern ist.

3.3 Für einen Analogieschluss ist eine planwidrige Gesetzeslücke erforderlich. Eine (echte) Gesetzeslücke ist eine planwidrige Unvollständigkeit innerhalb des positiven Rechts, gemessen am Maßstab der gesamten geltenden Rechtsordnung. Das Gesetz ist in einem solchen Fall, gemessen an seiner eigenen Absicht und immanenten Teleologie, ergänzungsbedürftig, ohne dass eine Ergänzung einer vom Gesetz gewollten Beschränkung widerspricht. Eine solche Unvollständigkeit liegt jedoch nur dann vor, wenn eine anzuwendende Rechtsvorschrift zwar vorhanden, aber in einer bestimmten Richtung nicht präzisiert ist (RIS Justiz RS0008866; RS0008845; 8 ObA 17/12a).

Wie schon dargelegt wurde, hat der Gesetzgeber an den Sonderfall des Mutterschaftsaustritts anlässlich der Schaffung des § 2d AVRAG nicht gedacht. Der Gesetzgeber hat somit Fälle übersehen, in denen in Sondergesetzen besondere Austrittsgründe normiert sind. Dazu zählt insbesondere der Austritt wegen Mutterschaft nach § 15r MSchG.

Bei Beurteilung des Vorliegens einer planwidrigen Gesetzeslücke ist auf den gesamten Regelungsgehalt der in Rede stehenden Bestimmung des § 2d Abs 4 AVRAG und dessen Zielsetzung Bedacht zu nehmen. Eine Analyse der Tatbestände, die die Rückzahlungsverpflichtung hinsichtlich der Ausbildungskosten ausschließen, zeigt, dass eine solche Verpflichtung abgesehen von den traditionellen arbeitsrechtlichen Entlassungs- und Austrittskatalogen - grundsätzlich nur dann in Frage kommt, wenn das Arbeitsverhältnis auf Initiative des Arbeitnehmers aufgelöst wird oder das Arbeitsverhältnis zwar auf Initiative des Arbeitgebers aufgelöst wird, den Arbeitnehmer aber ein gewichtiger Verschuldensvorwurf oder dauernde Arbeitsunfähigkeit trifft (vgl Reissner in ZellKomm² § 2d Rz 36; Binder , AVRAG² § 2d FN 85; Rauch , Die jüngere Rechtsprechung zum Ausbildungskostenrückersatz, ASoK 2012, 367 [369]).

§ 2d Abs 4 Z 1 AVRAG nennt für den Ausschluss der Rückzahlungsverpflichtung allerdings auch einen Fall der Auflösung des Arbeitsverhältnisses auf Initiative des Arbeitnehmers, nämlich bei Auflösung während der Probezeit iSd § 19 Abs 2 AngG oder gleichlautender sonstiger gesetzlicher Regelungen. Daraus lässt sich im Prinzip die Zielsetzung des Abs 4 leg cit ableiten, dass eine Rückzahlungsverpflichtung dann ausgeschlossen sein soll, wenn nach einer sondergesetzlichen Bestimmung in einer besonders schutzwürdigen Sonderkonstellation ein besonderes Auflösungsrecht für den Arbeitnehmer vorgesehen ist.

3.4 Nach § 15r MSchG kann die Dienstnehmerin während des Mutterschutzes oder während der Elternkarenz ihren vorzeitigen Austritt aus dem Dienstverhältnis erklären. Mit dieser Möglichkeit des Mutterschaftsaustritts soll einer Mutter nicht nur der Abfertigungsanspruch gewahrt werden (siehe dazu auch § 23a Abs 3 AngG und § 14 BMSVG), sondern ihr auch erleichtert werden, bei ihrem Kind zu bleiben, ohne an Kündigungsfristen und Kündigungstermine gebunden zu seien ( Ercher/Stech in Ercher/Stech/Langer , MSchG und VKG § 15r MSchG Rz 4). Dabei handelt es sich um ein besonderes gesetzliches Auflösungsrecht (sui generis) im Sinn eines gesetzlich anerkannten und damit berechtigen vorzeitigen Austritts (10 ObS 101/94; Ercher/Stech in Ercher/Stech/Langer , MSchG und VKG § 15r MSchG Rz 6 und 7 mwN). Entgegen der Ansicht des Erstgerichts kann der Mutterschaftsaustritt somit nicht in die Nähe einer Selbstkündigung (mit bestimmten günstigeren Rechtsfolgen) gerückt werden.

3.5 Überträgt man die dargestellte Zielsetzung und Wertung des § 2d Abs 4 AVRAG auf den sondergesetzlich berechtigten Austritt iSd § 15r MSchG, so ergibt sich, dass der Gesetzgeber, hätte er an dieses besondere Auflösungsrecht gedacht, auch dazu die Rückzahlungsverpflichtung hinsichtlich der Ausbildungskosten ausgeschlossen hätte. Insgesamt ist damit der Analogieschluss gerechtfertigt und § 2d Abs 4 Z 3 AVRAG (jedenfalls) um das sondergesetzlich vorgesehene Auflösungsrecht nach § 15r MSchG zu erweitern.

3.6 Meinungen im Schrifttum sprechen nicht gegen diese Ansicht.

Reissner (in ZellKomm² § 2d AVRAG Rz 34) gelangt zum selben Ergebnis mit der Begründung, dass es bei berechtigtem Austritt (§ 2d Abs 4 Z 3 AVRAG) auf ein Verschulden des Arbeitgebers offensichtlich nicht ankomme, sodass zum Beispiel auch der Elternschaftsaustritt gemäß § 23a Abs 3, 4 und 4a AngG rückforderungsschädlich sei.

Rauch (Die jüngere Rechtsprechung zum Ausbildungskostenersatz, ASoK 2012, 367 [369]) meint, es ergebe sich schon allein aus der Vereinbarung, dass im Fall des Mutterschaftsaustritts der Ausbildungskostenrückersatz dann ausscheide, wenn in einer vertraglichen Aufzählung der Beendigungsformen, die die Kostenersatzpflicht auslösten, der Mutterschaftsaustritt nicht genannt werde. Eine nähere Auseinandersetzung mit der Frage, ob im Fall eines Mutterschaftsaustritts eine Rückzahlungsverpflichtung von vornherein ausgeschlossen ist, findet sich in dieser Darstellung nicht. Fraglich könnte sein, ob sich dieses Ergebnis schon allein (ohne Bedachtnahme auf § 2d AVRAG) aus einer Vereinbarung ergibt, die wie hier die Kostenersatzpflicht positiv formuliert und an einen unbegründeten bzw unberechtigten vorzeitigen Austritt knüpft. Dies wäre jedenfalls dann zu verneinen, wenn eine solche Formulierung nur die Kehrseite der Medaille zu § 2d Abs 4 Z 3 AVRAG wäre. Dass die Parteien die zugrunde liegende Vereinbarung anders verstanden hätten, ergibt sich aus ihren Ausführungen im Revisionsverfahren gerade nicht.

4.1 Zusammenfassend folgt:

§ 2d Abs 4 AVRAG (Ausschluss des Ausbildungskostenrückersatzes) stellt in den Z 2 und 3 auf die unbegründete Entlassung bzw den begründeten vorzeitigen Austritt im Sinn der traditionellen arbeitsrechtlichen Terminologie ab. Z 3 leg cit ist aufgrund eines Analogieschlusses (jedenfalls) um das sondergesetzlich vorgesehene besondere Austrittsrecht der Arbeitnehmerin wegen Mutterschaft nach § 15r MSchG zu erweitern.

4.2 Die Entscheidung des Berufungsgerichts steht mit den dargelegten Grundsätzen im Einklang. Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin von ihrem besonderen Auflösungsrecht entgegen der Zweckbestimmung des § 15r MSchG Gebrauch gemacht hätte, bestehen nicht. Der Revision der Beklagten war daher der Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO iVm § 2 ASGG.

European Case Law Identifier

ECLI:AT:OGH0002:2014:008OBA00057.14M.0929.000