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OGH vom 08.05.2002, 9ObA106/02g

OGH vom 08.05.2002, 9ObA106/02g

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Maier als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Spenling und Univ. Doz. Dr. Bydlinski sowie die fachkundigen Laienrichter Helmut Stöcklmayer und DI Walter Holzer als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Ernst R*****, vertreten durch Dr. Helmut Malek, Rechtsanwalt in Krems, gegen die beklagte Partei H***** GmbH & Co KG, ***** vertreten durch Dr. Ferdinand Weber und Dr. Hannes Hirtzberger, Rechtsanwälte in Krems, wegen EUR 4.599,20 sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 10 Ra 428/01m-15, mit dem über Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Krems an der Donau als Arbeits- und Sozialgericht vom , GZ 15 Cga 8/01z-11, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit EUR 399,74 (darin EUR 66,62 an USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Das Berufungsgericht hat die geltend gemachten Abfertigungsansprüche des Klägers trotz seiner Selbstkündigung wegen eines von der beklagten Partei zu vertretenden Austrittsgrundes zutreffend bejaht, sodass es ausreicht, auf die Richtigkeit der eingehenden Begründung der angefochtenen Entscheidung zu verweisen (§ 510 Abs 3 ZPO). Den Revisionsausführungen ist ergänzend entgegenzuhalten:

Rechtliche Beurteilung

Zu Unrecht rügt die beklagte Partei einen rechtlichen Feststellungsmangel, der darin bestehen soll, dass keine Feststellungen über die "Abhängigkeit der beklagten Partei hinsichtlich des gesamten Produktionsverlaufes von der Aufrechterhaltung des Dienstverhältnisses zu Herrn P*****" getroffen worden seien; dieser sei der einzige Arbeiter gewesen, der bereit gewesen sei, eine bestimmte Arbeit (händisch beklippsen) durchzuführen, von welcher der gesamte Produktionsablauf im Unternehmen abhängig gewesen sei. Da der Arbeiter P***** für das Unternehmen unentbehrlich gewesen sei, könnte die mangelnde Effizienz der Ermahnungen durch den Geschäftsführer, um eine Bloßstellung des Klägers zu vermeiden, nicht als Austrittsgrund herangezogen werden. Die Vorinstanzen haben richtig erkannt, dass das fortgesetzte Verhalten des Arbeiters P***** gegenüber dem Kläger bei einer Gesamtbeurteilung der Zumutbarkeit für den Kläger, das Dienstverhältnis fortzusetzen, einen nicht unwesentlichen Aspekt darstellt. Der genannte Arbeiter, der dem Kläger bei seiner Tätigkeit unterstellt war, verhielt sich nicht nur den anderen Arbeitern gegenüber provokant, sondern auch dem Kläger gegenüber, wobei dies so weit ging, dass er dessen Anweisungen nicht befolgte. Obwohl der Kläger vom Geschäftsführer wiederholt Abhilfe verlangte, blieb das Verhalten des Arbeiters schließlich ohne jegliche Konsequenzen, was zu einer Bloßstellung des Klägers vor anderen Mitarbeitern führte. Dem kann nun die beklagte Partei nicht mit Erfolg entgegenhalten, dass schärfere Maßnahmen gegen den Arbeiter deshalb nicht in Betracht gekommen wären, weil dieser für den Produktionsablauf insoweit unentbehrlich gewesen sei, als sonst niemand bereit gewesen sei, dessen Arbeit zu machen. Der Arbeitgeber ist auf Grund seiner Fürsorgepflicht grundsätzlich gehalten, die notwendigen Maßnahmen gegen das Betriebsklima gröblich beeinträchtigende Mitarbeiter zu ergreifen, insbesondere wenn deren Verhalten so weit geht, dass die Arbeitsbedingungen für andere Arbeitnehmer nahezu unzumutbar werden (vgl nur Arb 2294, DRdA 1992, 458 ua). Dafür, dass es nicht möglich gewesen wäre, für den betreffenden Arbeiter eine Ersatzkraft zu finden, gibt es keine Anhaltspunkte, zumal es sich ersichtlich nicht um eine besonders qualifizierte Tätigkeit gehandelt hat. Soweit sich die beklagte Partei aber dazu entschlossen hat, das (objektiv untragbare) Verhalten dieses Arbeiters zu dulden, muss sie sich eine Zurechnung der dadurch für den Kläger geschaffenen unzumutbaren Arbeitsbedingungen gefallen lassen.

Soweit die beklagte Partei weiters meint, dass in einem anderen Fall die Kritik ihres Geschäftsführers am Verhalten des Klägers deshalb berechtigt gewesen sei, weil es nicht angehe, mit Mitarbeiterinnen während der Dienstzeit Fotos anzusehen, ist ihr vor allem entgegenzuhalten, dass auch (allenfalls) berechtigte Kritik eines Geschäftsführers am Verhalten eines leitenden Angestellten in einer dem Vorfall angemessenen Art und Weise anzubringen ist. Berücksichtigt man, dass es sich um Fotos handelte, die bei einem gemeinsamen Messebesuch des Klägers und des Geschäftsführers der beklagten Partei - also einer im weitesten Sinne geschäftlichen Unternehmung - angefertigt worden waren, so kann ein Verhalten des Geschäftsführers nicht als dem Anlass adäquat angesehen werden, das darin besteht, dass er den Kläger lautstark und für alle verständlich zur Rede stellt und ihm Vorwürfe macht. Dabei handelte es sich nicht um ein bloß vereinzeltes, inadäquates Verhalten des Geschäftsführers. Vielmehr hat der Geschäftsführer den Kläger, der als dessen potentieller Nachfolger im Produktionsbereich eingestellt worden war, immer wieder in einer äußerst illoyalen Weise behandelt. So wurden selbst kleinste Verbesserungen vom Geschäftsführer - dies auch vor anderen Mitarbeitern - revidiert, womit er fortwährend dessen Position im Betrieb untergrub und ein Hineinwachsen in die für den Kläger vorgesehene Aufgabe verhinderte. Es war dem Kläger kaum möglich, dem Geschäftsführer etwas recht zu machen, in dessen Bestreben es schließlich auch gar nicht mehr lag, den Kläger zu seinem Nachfolger heranzubilden. Selbst bei den Mitarbeitern entstand der Eindruck, dass der Geschäftsführer den Kläger nicht "groß werden" lassen wollte.

Unmittelbarer Auslöser für die Beendigung des Dienstverhältnisses durch den Kläger war schließlich ein Vorfall, bei dem von einer Spedition eine nicht mehr verschlossene Kiste mit Ausstellungsmaterial von einer Messe zurückgebracht wurde und der Kläger den Geschäftsführer der beklagten Partei davon informierte, dass die Kiste nicht mehr verschlossen war. Dieser lehnte das Ansinnen des Klägers, sich die Sache anzusehen, ab und verwies darauf, dass der Kläger dies allein tun könne, worauf er den Inhalt der Kiste kontrollierte und feststellte, dass er sich im vollständigen und ordnungsgemäßen Zustand befand. Nachdem der Kläger daraufhin den "Spediteur" entlassen hatte, erschien der Beklagte, der ihn auf das Schärfste kritisierte und ihm vorwarf, ihn nicht davon in Kenntnis gesetzt zu haben, dass die Kiste aufgebrochen worden sei. Daraufhin teilte der Kläger dem Geschäftsführer mit, dass für ihn eine Weiterarbeit im Unternehmen nicht mehr möglich sei und er seine Arbeit nicht fortsetzen werde.

Soweit die beklagte Partei das Verhalten ihres Geschäftsführers anlässlich dieses Vorfalls nun damit rechtfertigen will, dass aus dessen Sicht ein gravierender Unterschied zwischen einem bloß nicht geschlossenen Behältnis und einer aufgebrochenen Kiste bestehe, will sie offenbar nicht wahrhaben, dass in beiden Fällen entscheidend ist, inwiefern sich die Tatsache der (allenfalls gewaltsamen) Öffnung der Kiste auf deren Inhalt ausgewirkt hat, und dass der Kläger ohnehin dem Geschäftsführer ausdrücklich angeboten hat, sich die Sache anzusehen. Gerade unter diesen Umständen war die scharfe und unerwartete Kritik durch den Geschäftsführer in keiner Weise angebracht. In ihr manifestierte sich ersichtlich nur die schon bisher an den Tag gelegte, von den üblichen Formen des Verkehrs zwischen einem Geschäftsführer und einem leitenden Angestellten erheblich abweichende Art der Kommunikation. Zutreffend vertrat das Berufungsgericht unter diesen Umständen die Auffassung, dass das Verhalten des Geschäftsführers insgesamt ein derart negatives Ausmaß angenommen hat, dass dem Kläger eine weitere Zusammenarbeit nicht mehr zumutbar war.

Die beklagte Partei zieht zu Recht die Rechtsansicht der Vorinstanzen nicht in Frage, nach der ein Abfertigungsanspruch bei Selbstkündigung eines Dienstnehmers nicht verloren geht, wenn ein Austrittsgrund vorliegt und zwischen den Parteien Klarheit darüber besteht, dass ein solcher wichtiger Auflösungsgrund geltend gemacht wird (infas 1993/2, 15 ua). Zu Unrecht vermeint die beklagte Partei allerdings, dass es im vorliegenden Fall an einer solchen Klarheit mangle, weil sich der Kläger in seinem Kündigungsschreiben nur auf "bereits mitgeteilte Gründe" berufe, ohne dass solche im Schreiben erwähnt seien. Abgesehen davon, dass der Kläger sich in diesem Kündigungsschreiben Ansprüche auf gesetzliche Abfertigung vorbehält, was bei einer "gewöhnlichen" Kündigung unverständlich wäre, übersieht die beklagte Partei offenbar, dass der Kläger unmittelbar nach dem letzten Vorfall dem Geschäftsführer mitgeteilt hat, dass für ihn eine Weiterarbeit in der Firma nicht mehr möglich sei und er seine Arbeit nicht fortsetzen werde. Schon darin liegt eine ausreichend deutliche Beendigungserklärung, die er durch seine schriftliche Äußerung - im Sinne einer Kündigung unter Aufrechterhaltung von Abfertigungsansprüchen wegen der "bereits mitgeteilten" Gründe - nur präzisiert hat.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 2 Abs 1 ASGG, 41 Abs 1, 50 Abs 1 ZPO.