OGH vom 10.02.2020, 7Ob3/20x
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Hon.-Prof. Dr. Höllwerth, Dr. Solé, Mag. Malesich und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Ing. H***** B*****, vertreten durch Poduschka Anwaltsgesellschaft mbH in Linz, gegen die beklagte Partei N***** Aktiengesellschaft *****, vertreten durch Schönherr Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 12.537,71 EUR sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Berufungsgericht vom , GZ 53 R 128/18g-18, womit das Urteil des Bezirksgerichts Salzburg vom , GZ 13 C 1018/17i-13, teilweise abgeändert wurde, beschlossen und zu Recht erkannt:
Spruch
I. Das Revisionsverfahren wird fortgesetzt.
II. Der Revision wird Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass die Entscheidung – unter Einschluss der in Rechtskraft erwachsenen Abweisung – nunmehr zu lauten hat:
„Das Klagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei 12.537,71 EUR samt 4 % Zinsen aus 11.869,10 EUR von bis und 4 % Zinsen pA aus 11.942,55 EUR von bis , 4 % Zinsen pA aus 12.016 EUR von bis , sowie aus 12.537,71 EUR seit zu bezahlen, wird abgewiesen.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 2.924,04 EUR (darin enthalten 487,34 EUR an USt) bestimmten Kosten binnen 14 Tagen zu ersetzen.“
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 4.817,16 EUR (darin enthalten 373,86 EUR an USt und 2.574 EUR an Barauslagen) Kosten des Rechtsmittelverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Der Kläger schloss mit der Beklagten einen Vertrag über eine fondsgebundene Lebensversicherung.
In dem von der Beklagten für den Versicherungsantrag verwendeten Formular war unmittelbar oberhalb der vom Kläger am geleisteten Unterschrift der Hinweis enthalten:
„Bevor Sie diesen Antrag unterschreiben, lesen Sie bitte auf der Rückseite die Schlusserklärung des Antragstellers und des Versicherers zusammen mit den erläuternden Hinweisen. Sie enthalten ... Informationen zum Rücktrittsrecht …;
Auf der Rückseite dieses Versicherungsantrags ist abgedruckt:
„...
Erläuternde Hinweise:
Versicherungsbedingungen und geltendes Recht
...
Rücktrittsrechte
Haben Sie als Versicherungsnehmer den Antrag nicht in den Geschäftsräumen des Versicherers oder eines seiner Vertreter unterzeichnet, und sind Sie Verbraucher im Sinn des § 1 KSchG, so können Sie gemäß § 3 KSchG vom Antrag bzw Vertrag zurücktreten. Dieser Rücktritt kann bis zum Zustandekommen des Vertrag
Weiters können Sie nach § 3a KSchG als Verbraucher vom Antrag bzw Vertrag zurücktreten, wenn ohne Ihre Veranlassung für Ihre Einwilligung maßgebliche Umstände, die der Versicherer oder sein Vertreter im Zuge der Vertragsverhandlungen als wahrscheinlich dargestellt hat, nicht oder nur in erheblich geringerem Ausmaß eintreten (dies sind: Mitwirkung oder Zustimmung eines Dritten, Aussicht auf steuerliche Vorteile, öffentliche Förderung oder Kredit). Der Rücktritt kann binnen einer W
Haben
Der Rücktritt bedarf zu seiner Rechtswirksamkeit jeweils der Schriftform. Es genügt wenn die Erklärung innerhalb der genannten Fristen abgesendet wird.
Gemäß § 165a VersVG ist der Versicherungsnehmer berechtigt, binnen zweier Wochen nach dem Zustandekommen eines Lebensversicherungsvertrags von diesem zurückzutreten ...“
Dem Kläger wurden bei Antragstellung die Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB) der fondsgebundenen Lebensversicherung ausgehändigt. Diese lauten auszugsweise:
„...
§ 17 Was gilt für Erklärungen, die den Versicherungsnehmer betreffen?
1. Alle
...“
Mit Schreiben vom übermittelte die Beklagte dem Kläger die Versicherungspolizze entsprechend seinem Antrag.
Auf der Rückseite des Begleitschreibens zur Polizze war abgedruckt:
„...
Nur
Willenserklärungen und Anzeigen gegenüber der
...
Rücktrittsrechte
Text wie auf der Rückseite des Antragsformulars
...“
Der Lebensversicherungsvertrag begann am und läuft am ab. Die monatliche (indexangepasste) Prämie betrug 50 EUR, seit beträgt sie 73,45 EUR.
Mit Schreiben vom erklärte der Kläger gegenüber der Beklagten seinen Rücktritt vom Lebensversicherungsvertrag. Das Rücktrittsersuchen des Klägers wurde von der Beklagten als verspätet zurückgewiesen.
Der Kläger begehrte mit seiner am eingebrachten Klage die Zahlung von (ausgedehnt) 12.537,71 EUR, resultierend aus den Prämienleistungen für den Zeitraum bis einschließlich samt kapitalisierten Zinsen für den Zeitraum von bis . Die Belehrung über das Rücktrittsrecht sei fehlerhaft, unzureichend und falsch gewesen, weil entgegen dem Gesetz die Schriftform gefordert worden sei. Sie sei irreführend, weil der Fristbeginn für einen durchschnittlichen Versicherungsnehmer nicht erkennbar und das Rücktrittsrecht des § 165a VersVG (aF) erst nach verschiedenen anderen Rücktrittsbelehrungen abgedruckt gewesen sei, die weitere Voraussetzungen erforderten.
Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Der Kläger sei gesetzeskonform nach dem zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses geltenden § 165a VersVG aufgeklärt worden. Eine schriftliche Rücktrittserklärung sei nicht gefordert worden; das Schriftformerfordernis beziehe sich erkennbar nur auf andere Rücktrittsrechte. Der allgemeinen Klausel, wonach Willenserklärungen schriftlich abzugeben seien, sei als generelle Regel durch die spezielle Regelung zum Rücktrittsrecht nach § 165a VersVG (aF) derogiert worden. Allenfalls habe die allgemeine Regelung zu entfallen. Die Schriftform hätte aber vereinbart werden dürfen, ein Schriftformerfordernis diene der Erleichterung des Identitätsnachweises und der Rechtssicherheit und sei nicht zum Nachteil des Versicherungsnehmers.
Das Erstgericht verpflichtete die Beklagte zur Zahlung von 12.237,71 EUR sA und wies das auf die Zahlung weiterer 300 EUR (Kosten der Risikotragung) gerichtete Klagebegehren ab. Der durchschnittlich verständige Versicherungsnehmer könne die Belehrung nur dahin verstehen, dass der Rücktritt schriftlich zu erfolgen habe. Das Schriftformerfordernis widerspreche § 165a VersVG aF, weshalb sich die Belehrung als fehlerhaft erweise. Aufgrund dessen sei der vom Kläger erklärte Rücktritt wirksam erfolgt. Der Kläger habe daher Anspruch auf Rückzahlung der geleisteten Prämien und der geltend gemachten Nutzungsvergütung. Im Rahmen der bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung seien jedoch Zug um Zug wechselseitig erbrachte Leistungen rückzuerstatten. Der Kläger habe den faktisch gewährten Versicherungsschutz, den die Beklagte aufgrund des vereinbarten Ablebensschutzes geleistet habe, zurückzuerstatten. Im Umfang der gemäß § 273 ZPO festgesetzten Risikokosten in Höhe von 300 EUR sei das Klagebegehren abzuweisen.
Das Berufungsgericht gab der gegen dieses Urteil erhobenen Berufung der Beklagten teilweise Folge und änderte das angefochtene Urteil dahin ab, dass es einen weiteren Betrag von 388,71 EUR (Versicherungssteuer) abwies. Der Kläger habe in der Gesamtschau die Belehrungen und Erklärungen der Beklagten nur dahin verstehen können, dass sie für alle Rücktrittsrechte die Schriftform ausbedingen habe wollen. Ein derartiger Schriftformvorbehalt für einen Rücktritt nach § 165a VersVG sei unzulässig. Die dem Kläger erteilte Belehrung zum Rücktrittsrecht sei in diesem Punkt daher unrichtig gewesen, sodass die Frist von 14 Tagen für die Ausübung des Rücktrittsrechts nicht zu laufen begonnen habe. Der wirksame Rücktritt des Klägers führe damit zu einer rückwirkenden Beseitigung des Vertrags, an die eine bereicherungsrechtliche Rückabwicklung anzuschließen habe. Der Kläger habe daher Anspruch auf Rückzahlung der geleisteten Prämien und den daraus resultierenden Vergütungszinsen, die nicht verjährt seien. Die von den Prämien zu entrichtende Versicherungssteuer in der Höhe von 388,71 EUR sei aber von der bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung nicht umfasst, weshalb im Umfang dieses Betrags das Klagebegehren abzuweisen gewesen sei.
Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision zu, weil den behandelten Rechtsfragen die in § 502 Abs 1 ZPO genannte Bedeutung zukomme. Einerseits stelle sich die Rechtsfrage, ob auch die falsche Belehrung der Beklagten über die einzuhaltende Schriftform ein unbefristetes Rücktrittsrecht im Lichte der Entscheidung des EuGH auslöse und welche Erfordernisse diese Belehrung überhaupt zwecks genauer Information des Versicherungsnehmers erfüllen müsse. Zur Verjährung des Rücktrittsrechts liege bislang gleichfalls noch keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs vor, dies gelte auch für den Beginn der Verjährung der Nutzungszinsen und die Versicherungssteuer.
Gegen den klagsstattgebenden Teil dieses Urteils wendet sich die Revision der Beklagten mit einem Abänderungsantrag. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Der Kläger beantragt in seiner Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig, sie ist auch berechtigt.
Zu I.:
1. Der Senat hat aus Anlass der Revision mit Beschluss vom , AZ 7 Ob 248/18y, das Revisionsverfahren bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) über das Vorabentscheidungsersuchen vom des Bezirksgerichts für Handelssachen Wien (GZ 13 C 738/17z-12 [13 C 8/18y, 13 C 21/18k und 13 C 2/18s]), Rechtssache C-479/18, UNIQA Österreich Versicherungen ua, unterbrochen.
2. Der in den verbundenen Rechtssachen C-355/18 bis C-357/18 und C-479/18, UNIQA Österreich Versicherungen ua, über das zuvor bezeichnete Vorabentscheidungsersuchen entschieden. Das Revisionsverfahren ist daher fortzusetzen.
Zu II.:
A) Vorlagefragen und Beantwortungen:
1. Die vorlegenden Gerichte haben dem EuGH (ua) folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
1.1 Vorlagefrage 1: Sind „Art 15 Abs 1 der Richtlinie 90/619 in Verbindung mit Art 31 der Richtlinie 92/96, Art 35 Abs 1 der Richtlinie 2002/83 in Verbindung mit deren Art 36 Abs 1 und Art 185 Abs 1 der Richtlinie 2009/138 in Verbindung mit deren Art 186 Abs 1 dahin auszulegen, dass die Rücktrittsfrist bei einem Lebensversicherungsvertrag auch dann ab dem Zeitpunkt zu laufen beginnt, zu dem der Versicherungsnehmer davon in Kenntnis gesetzt wird, dass der Vertrag geschlossen ist, wenn in den Informationen, die dem Versicherungsnehmer vom Versicherer mitgeteilt werden, entweder nicht angegeben ist, dass die Erklärung des Rücktritts nach dem auf den Vertrag anwendbaren nationalen Recht keiner besonderen Form bedarf, oder eine Form verlangt wird, die das auf den Vertrag anwendbare nationale Recht nicht vorschreibt?“ ( bis C-357/18 und C-479/18, Rn 60).
1.2 Diese Vorlagefrage 1 hat der EuGH wie folgt beantwortet:
„1. Art 15 Abs 1 der Zweiten Richtlinie 90/619/EWG des Rates vom zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Direktversicherung (Lebensversicherung) und zur Erleichterung der tatsächlichen Ausübung des freien Dienstleistungsverkehrs sowie zur Änderung der Richtlinie 79/267/EWG in der durch die Richtlinie 92/96/EWG des Rates vom geänderten Fassung in Verbindung mit Art 31 der Richtlinie 92/96/EWG des Rates vom zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Direktversicherung (Lebensversicherung) sowie zur Änderung der Richtlinien 79/267/EWG und 90/619/EWG (Dritte Richtlinie Lebensversicherung), Art 35 Abs 1 der Richtlinie 2002/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom über Lebensversicherungen in Verbindung mit deren Art 36 Abs 1 und Art 185 Abs 1 der Richtlinie 2009/138/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom betreffend die Aufnahme und Ausübung der Versicherungs- und der Rückversicherungstätigkeit (Solvabilität II) in Verbindung mit deren Art 186 Abs 1 sind dahin auszulegen, dass die Rücktrittsfrist bei einem Lebensversicherungsvertrag auch dann ab dem Zeitpunkt zu laufen beginnt, zu dem der Versicherungsnehmer davon in Kenntnis gesetzt wird, dass der Vertrag geschlossen ist, wenn in den Informationen, die der Versicherer dem Versicherungsnehmer mitteilt,
- nicht angegeben ist, dass die Erklärung des Rücktritts nach dem auf den Vertrag anwendbaren nationalen Recht keiner besonderen Form bedarf, oder
- eine Form verlangt wird, die nach dem auf den Vertrag anwendbaren nationalen Recht oder den Bestimmungen des Vertrags nicht vorgeschrieben ist, solange dem Versicherungsnehmer durch die Informationen nicht die Möglichkeit genommen wird, sein Rücktrittsrecht im Wesentlichen unter denselben Bedingungen wie bei Mitteilung zutreffender Informationen auszuüben. Die vorlegenden Gerichte werden im Wege einer Gesamtwürdigung, bei der insbesondere dem nationalen Rechtsrahmen und den Umständen des Einzelfalls Rechnung zu tragen sein wird, zu prüfen haben, ob den Versicherungsnehmern diese Möglichkeit durch den in den ihnen mitgeteilten Informationen enthaltenen Fehler genommen wurde.“
B) Belehrung über das Rücktrittsrecht:
1. Zum nationalen (österreichischen) Recht bei Abschluss des Versicherungsvertrags:
1.1 Der bei Vertragsabschluss geltende § 165a VersVG (idF BGBl I 1997/6) lautete soweit hier relevant:
„(1) Der Versicherungsnehmer ist berechtigt binnen zweier Wochen nach dem Zustandekommen des Vertrags von diesem zurückzutreten.
...“
1.2 Der bei Vertragsabschluss geltende § 178 VersVG (idF BGBl 1994/509) lautete:
„(1) Auf eine Vereinbarung, die von den Vorschriften der § 162 bis 164, der § 165, 165a und 169 oder des § 171 Abs 1 Satz 2 zum Nachteil des Versicherungsnehmers abweicht, kann sich der Versicherer nicht berufen. Jedoch kann für die Kündigung, zu der nach § 165 der Versicherungsnehmer berechtigt ist, die Schriftform ausbedungen werden.“
1.3 Der bei Vertragsabschluss geltende § 9a Abs 1 VAG (idF BGBl 1996/447) lautete soweit hier relevant:
„Der Versicherungsnehmer ist bei Abschluß eines Versicherungsvertrages über ein im Inland belegenes Risiko vor Abgabe seiner Vertragserklärung schriftlich zu informieren über
…
6. die Umstände, unter denen der Versicherungsnehmer den Abschluß des Versicherungsvertrages widerrufen oder von diesem zurücktreten kann.“
2. Zur Rechtsbelehrung der Beklagten:
2.1 Das Antragsformular der Beklagten enthielt in der Rechtsbelehrung über die Rücktrittsrechte des Versicherungsnehmers den Hinweis:
„Gemäß § 165a VersVG ist der Versicherungsnehmer berechtigt, binnen zweier Wochen nach dem Zustandekommen eines Lebensversicherungsvertrags von diesem zurückzutreten. ...“
2.2 Die Rechtsbelehrung über das Rücktrittsrecht des Versicherungsnehmers durch die Beklagte entsprach inhaltlich dem seinerseits geltenden Unionsrecht sowie der österreichischen Rechtslage und war daher – nach dem Inhalt – nicht fehlerhaft, sondern richtig.
2.3 Der bei Vertragsabschluss geltende § 165a Abs 1 VersVG (idF BGBl I 1997/6) verlangte für die Erklärung des dem Versicherungsnehmer eingeräumten Rücktritts keine Schriftform. Auf eine davon zum Nachteil des Versicherungsnehmers abweichende Vereinbarung einer Schriftform konnte und kann sich der Versicherer nach § 178 VersVG (idF BGBl 1994/509) nicht berufen.
2.4 Der Kläger vertritt die Rechtsansicht, dass ihm die Beklagte deshalb unrichtig belehrt habe, weil sie für den Rücktritt nach § 165a Abs 1 VersVG (idF BGBl I 1997/6) die Einhaltung der Schriftform verlangt habe. Er begründet seinen Standpunkt im Wesentlichen damit, dass sich der in der Belehrung über die Rücktrittsrechte enthaltene Hinweis zur Schriftform („Der Rücktritt bedarf zu seiner Rechtswirksamkeit jeweils der Schriftform.“) und/oder die in § 17.1 AVB enthaltene Regelung (Was gilt für Erklärungen, die den Versicherungsvertrag betreffen? 1. Alle Ihre Erklärungen sind gültig, wenn sie schriftlich erfolgen ...“) auch auf das Rücktrittsrecht nach § 165a Abs 1 VersVG (idF BGBl I 1997/6) bezogen hätten oder für einen durchschnittlich verständigen Versicherungsnehmer zumindest so zu verstehen gewesen seien. Selbst wenn man diesem Verständnis des Klägers folgen wollte, dass nämlich die Beklagte auch für das Rücktrittsrecht nach § 165 Abs 1 VersVG (idF BGBl I 1997/6) Schriftlichkeit verlangt habe, ergibt sich daraus aber – entgegen der Ansicht des Klägers – nicht ein unbefristetes Rücktrittsrecht:
C)
1. Sollten die in B.2.4 bezeichneten Hinweise der Beklagten tatsächlich dem Kläger (Versicherungsnehmer) den Eindruck einer notwendigen Schriftform für die Ausübung des Rücktrittsrechts nach § 165a Abs 1 VersVG (idF BGBl I 1997/6) vermittelt haben, dann läge betreffend die Form dieser Rücktrittserklärung insoweit eine unvollständige bzw unrichtige Belehrung durch die Beklagte vor, als „nicht angegeben ist, dass die Erklärung des Rücktritts nach dem auf den Vertrag anwendbaren nationalen (österreichischen) Recht keiner besonderen Form bedarf“ und „eine Form verlangt wird, die nach dem auf den Vertrag anwendbaren nationalen (österreichischen) Recht ... nicht vorgeschrieben ist“.
2. Aus der Beantwortung der Vorlagefrage 1 folgt allerdings, dass die Rücktrittsfrist bei einem Lebensversicherungsvertrag auch dann ab dem Zeitpunkt zu laufen beginnt, zu dem der Versicherungsnehmer davon in Kenntnis gesetzt wird, dass der Vertrag geschlossen ist, wenn in den Informationen, die der Versicherer dem Versicherungsnehmer mitteilt, nicht angegeben ist, dass die Erklärung des Rücktritts nach dem auf den Vertrag anwendbaren nationalen Recht keiner besonderen Form bedarf, oder eine Form verlangt wird, die nach dem auf den Vertrag anwendbaren nationalen Recht nicht vorgeschrieben ist, solange dem Versicherungsnehmer durch die Informationen nicht die Möglichkeit genommen wird, sein Rücktrittsrecht im Wesentlichen unter denselben Bedingungen wie bei Mitteilung zutreffender Informationen auszuüben.
3. Nach Ansicht des Fachsenats wurde dem Versicherungsnehmer durch das Verlangen des Versicherers nach Einhaltung der Schriftform für die Ausübung seines Rücktrittsrechts nach § 165a Abs 1 VersVG (idF BGBl I 1997/6) nicht die Möglichkeit genommen, sein Rücktrittsrecht im Wesentlichen unter denselben Bedingungen wie bei Mitteilung zutreffender Informationen auszuüben. Dies folgt im gegebenen Kontext aus folgenden Erwägungen:
4.1§ 165a Abs 1 VersVG (idF BGBl I 1997/6) sah für die Ausübung des Rücktrittsrechts keine besondere Form vor. § 178 Abs 1 VersVG (idF BGBl 1994/509) bestimmte, dass sich der Versicherer auf eine Vereinbarung, die von den Vorschriften (ua) des § 165a VersVG idF (BGBl I 1997/6) zum Nachteil des Versicherungsnehmers abweicht, nicht berufen kann. Selbst wenn sich also der Kläger als Versicherungsnehmer für einen von ihm gegebenenfalls gewünschten Rücktritt nach § 165a Abs 1 VersVG (idF BGBl I 1997/6) nicht an die Schriftform gehalten, diesen etwa mündlich (telefonisch) erklärt hätte, hätte sich die Beklagte nicht auf die Einhaltung der Schriftform berufen können. Ein Rücktritt des Klägers nach § 165 Abs 1 VersVG (idF BGBl I 1997/6) hätte also ungeachtet der Rechtsbelehrung der Beklagten in jeder beliebigen Form – wirksam – erfolgen können.
4.2 Nach Art 31 Abs 4 der Dritten Richtlinie Lebensversicherung, Art 36 Abs 4 der Richtlinie 2002/83/EG bzw Art 185 Abs 8 der Solvabilität-II-Richtlinie haben die Mitgliedstaaten die Durchführungsvorschriften zur unionsrechtlich vorgegebenen Belehrung zu erlassen. Gegenstand der Belehrung sind (ua) „die Modalitäten der Ausübung des Rücktrittsrechts“, welche wiederum nach Art 15 Abs 1 Unterabs 3 der Zweiten Richtlinie Lebensversicherung, Art 35 Abs 1 Unterabs 3 der Richtlinie 2002/83/EG bzw Art 186 Abs 1 Unterabs 3 der Solvabilität-II-Richtlinie ebenfalls von den Mitgliedstaaten festzulegen sind (vgl dazu auch bis C-357/18 und C-479/18, Rn 61 f). Daraus folgt, dass der Europäische Gesetzgeber den Mitgliedstaaten keine bestimmten Vorgaben für die Form der Ausübung des Rücktrittsrechts erteilt, sondern diesen deren Festlegung überlassen hat. Der österreichische Gesetzgeber hat Art 186 Abs 1 der Solvabilität-II-Richtlinie mit dem Bundesgesetz, mit dem das Versicherungsvertragsgesetz, das Konsumentenschutzgesetz und das Versicherungsaufsichtsgesetz 2016, geändert werden (BGBl I 2018/51) in Form des einheitlichen Rücktrittsrechts nach § 5c VersVG (idgF) umgesetzt. Als Grund für die in § 5c Abs 4 Satz 1 VersVG in Verbindung mit § 1b VersVG (idgF) für den Rücktritt vorgeschriebene Form führte der österreichische Gesetzgeber aus:
„Für die Ausübung des Rücktrittsrechts nach § 5c wird im Hinblick auf die notwendige Beweisbarkeit für die rechtzeitige Absendung der Rücktrittserklärung die geschriebene Form vorgesehen. Die Vereinbarung einer strengeren Form soll nicht möglich sein. Damit werden die Voraussetzungen für die Ausübung des Rücktrittsrechts nach Art 186 Abs 1 Richtlinie 2009/138/EG gesetzlich geregelt.“ (IA 302/A 26. GP 5).
Der Gesetzgeber misst damit der Beweisbarkeit der Ausübung des Rücktrittsrechts besondere Bedeutung zu.
4.3 Im Alltag ist für eine Vielzahl von (rechtsgeschäftlichen) Erklärungen die Schriftform auch bei Privaten (Verbrauchern) eine geradezu typische und faktisch sehr häufig praktizierte Mitteilungsform, die für jedermann einfach und ohne besonderen Aufwand durchzuführen ist, sodass keine für die Effektivität relevanten Hürden entgegenstehen. Der Schriftform für den Rücktritt vom Lebensversicherungsvertrag stehen daher keine grundsätzlichen europarechtlichen Bedenken entgegen (vgl C.4.2) und gerade die Schriftform beseitigt – im Unterschied zu mündlichen oder fernmündlichen Erklärungen – Zweifel über Zeitpunkt und Inhalt einer Rücktrittserklärung und dient insofern dem – auch vom Gesetzgeber (vgl C. 4.2) betonten – Schutz des Versicherungsnehmers bei der Wahrnehmung des Nachweises eines erhobenen Rücktritts. War daher eine Rechtsbelehrung des Versicherers oder eine in seinen AVB enthalten gewesene Regelung dahin zu verstehen, dass der Rücktritt nach § 165a Abs 1 VersVG (idF BGBl I 1997/6) schriftlich zu erklären sei, dann stellt dies keine relevante Erschwernis für die Ausübung dieses Rücktrittsrechts dar, die dem Versicherungsnehmer dessen unbefristete Ausübung erlauben würde.
E
1. Die dem Kläger von der Beklagten erteilte Belehrung über sein Rücktrittsrecht nach § 165a Abs 1 VersVG (idF BGBl I 1997/6) war inhaltlich richtig.
2. Selbst wenn man davon ausginge, dass die Rechtsbelehrung bzw die AVB der Beklagten dem Kläger den Eindruck einer notwendigen Schriftform für die Ausübung des Rücktrittsrechts nach § 165a Abs 1 VersVG (idF BGBl I 1997/6) vermittelt haben, folgt daraus keine relevante Erschwernis dieses Rücktrittsrechts. Auf die Einhaltung der Schriftform konnte sich die Beklagte nicht berufen, sodass ein allfälliger Rücktritt des Klägers in jeder beliebigen Form wirksam gewesen wäre. Die Schriftform steht im gegebenen Kontext nicht mit europarechtlichen Vorgaben im Widerspruch, ist auch eine für private (Verbraucher) ohne praktische Hürden wahrnehmbare und faktisch häufig praktizierte Mitteilungsform und dient im vorliegenden Zusammenhang dem Schutz des Versicherungsnehmers bei der Wahrnehmung seiner Beweispflicht. Ausgehend von der Beantwortung der Vorlagefrage 1 ist daher ein allfälliges Verlangen der Beklagten nach einer schriftlichen Ausübung des Rücktritts nach § 165a Abs 1 VersVG (idF BGBl I 1997/6) keine relevante Erschwernis dieses Rücktrittsrechts, die dessen unbefristete Ausübung erlauben würde.
3. Das Rücktrittsrecht nach § 165a Abs 1 VersVG (idF BGBl I 1997/6) hat im vorliegenden Fall mit dem Zeitpunkt zu laufen begonnen, zu dem der Kläger davon in Kenntnis gesetzt wurde, dass der Vertrag geschlossen ist, also mit Zugang des Schreibens der Beklagten vom . Der im Jahr 2017 erklärte Vertragsrücktritt ist daher längst verfristet. Weitere Fragen zur Verjährung von Zinsen im Fall eines berechtigten Rücktritts des Versicherungsnehmers stellen sich nicht. Der Revision ist daher Folge zu geben und die Entscheidungen im klagsabweisenden Sinn abzuändern.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf den § 41 und 50 ZPO.
Zusatzinformationen
Tabelle in neuem Fenster öffnen
ECLI: | ECLI:AT:OGH0002:2020:0070OB00003.20X.0210.000 |
Dieses Dokument entstammt dem Rechtsinformationssystem des Bundes.