Suchen Hilfe
OGH 30.03.2021, 10Ob5/21i

OGH 30.03.2021, 10Ob5/21i

Entscheidungstext

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten Univ.-Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen Dr. Fichtenau und Dr. Grohmann, den Hofrat Mag. Ziegelbauer und die Hofrätin Dr. Faber als weitere Richter in der Pflegschaftssache des mj K*****, geboren ***** 2006, vertreten durch das Land Wien (Magistrat der Stadt Wien MA 11, Wiener Kinder- und Jugendhilfe Bezirke 16, 17, 18, 19, 1170 Wien, Kalvarienberggasse 29/1/4. Stock), als Kinder- und Jugendhilfeträger, wegen Unterhaltsvorschuss, über den Revisionsrekurs des Bundes vertreten durch den Präsidenten des Oberlandesgerichts Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom , GZ 44 R 402/20y-52, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Döbling vom , GZ 1 Pu 14/13m-42, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung:

[1] Der Vater ist aufgrund der Unterhaltsvereinbarung vom zu monatlichen Unterhaltsleistungen von 400 EUR an das 2006 geborene Kind verpflichtet. Dem Unterhaltsvergleich wurde ein monatliches Nettoeinkommen inklusive Sonderzahlungen von 2.226 EUR sowie eine weitere Sorgepflicht zugrunde gelegt (ON 23).

[2] Mit Beschluss des Erstgerichts vom (ON 34) wurden dem Kind Unterhaltsvorschüsse in Titelhöhe von bis gemäß § 7 1. COVID-19-JuBG gewährt.

[3] Mit seinem am beim Erstgericht eingelangten Antrag begehrt das Kind, ihm Unterhaltsvorschüsse gemäß § 7 1. COVID-19-JuBG in Titelhöhe zu gewähren (ON 41). Vorgebracht wurde, der Unterhaltsschuldner habe nach Eintritt der Vollstreckbarkeit den laufenden Unterhalt nicht zur Gänze geleistet (und beziehe seit Arbeitslosengeld von 43,52 EUR täglich).

[4] Das Erstgericht bewilligte antragsgemäß Unterhaltsvorschüsse nach § 7 1. COVID-19-JuBG für den Zeitraum von bis .

[5] Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Bundes nicht Folge und ließ den Revisionsrekurs zu. Seiner ausführlichen rechtlichen Beurteilung nach ermögliche § 7 des 1. COVID-19-JuBG in Verbindung mit der in § 1 der 2. COVID-19-Ziviljustiz-VO angeordneten Fristverlängerung eine wiederholte Gewährung von Titelvorschüssen unter den erleichterten Voraussetzungen des 1. COVID-19-JuBG, wenn ein neuer Antrag nach diesem Gesetz gestellt wird. Der Revisionsrekurs sei mangels Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs insbesondere zur Auslegung der Bestimmung des § 7 des 1. COVID-19-JuBG und des § 1 COVID-19-Ziviljustiz-VO zulässig.

[6] Der – nicht beantwortete – Revisionsrekurs des Bundes ist zulässig, er ist aber nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

[7] 1.1 Gemäß § 3 UVG sind Unterhaltsvorschüsse zu gewähren, wenn ein im Inland vollstreckbarer Exekutionstitel besteht (Z 1), der Unterhaltsschuldner den laufenden Unterhaltsbeitrag nicht zur Gänze leistet und das Kind glaubhaft macht, einen Exekutionsantrag nach § 294a EO oder, sofern der Unterhaltsschuldner offenbar keine Gehaltsforderungen oder keine andere in fortlaufenden Bezügen bestehende Forderung hat, einen Exekutionsantrag auf bewegliche körperliche Sachen eingebracht zu haben (Z 2).

[8] 1.2 § 7 des Bundesgesetzes betreffend Begleitmaßnahmen zu COVID-19 in der Justiz (1. COVID-19-Justiz-Begleitgesetz [1. COVID-19-JuBG]), idF BGBl I 2020/58 lautete: „In der Zeit vom Inkrafttreten dieses Bundesgesetzes bis zum Ablauf des sind Titelvorschüsse nach § 3 UVG auch dann zu gewähren, wenn das Kind keinen entsprechenden Exekutionsantrag bei Gericht einbringt. Solche Vorschüsse sind abweichend von § 8 UVG längstens für ein halbes Jahr zu gewähren.“

[9] 1.3 § 1 der Verordnung der Bundesministerin für Justiz, mit der eine Frist des 1. COVID-19-JuBG verlängert wird (2. COVID-19-Ziviljustiz-VO, BGBl II 2020/459 ordnete an: „Die Frist des § 7 des 1. COVID-19-JuBG wird bis zum Ablauf des verlängert.“

[10] 1.4 Der Oberste Gerichtshof hat zu § 7 1. COVID-19-JuBG idF BGBl I 2020/58 bereits klargestellt, dass diese Regelung nach ihrem Gesetzeswortlaut für alle vom zeitlichen Geltungsbereich umfassten Anträge auf Gewährung von Titelvorschüssen nach § 3 UVG gilt (10 Ob 43/20a). Diese Entscheidung betraf einen Fall, in dem das Erstgericht dem Kind aufgrund seines Antrags nach § 7 1. COVID-19-JuBG Unterhaltsvorschüsse gemäß §§ 3, 4 Z 1 UVG für den Zeitraum von bis gewährte. In der ursprünglichen Fassung des § 7 1. COVID-19-JuBG, BGBl I 2020/16, stand ab Inkrafttreten mit lediglich ein Zeitraum bis zum Ablauf des zur Verfügung. Es ist klar, dass sich die Wortfolge „bis zum Ablauf des “ in § 7 1. COVID-19-JuBG, in der hier anzuwendenden Fassung laut BGBl I 2020/58, auf den Zeitpunkt der Antragstellung – und nicht auf den maximal sechsmonatigen Gewährungszeitraum – bezog und sein zeitlicher Anwendungsbereich bis zum gestellte, auf die genannte Gesetzesbestimmung gestützte Anträge auf Gewährung von Unterhaltsvorschüssen erfasste.

[11] 1.6 Im konkreten Fall hat das Kind seinen (zweiten) Antrag auf Gewährung von Titelvorschüssen nach § 7 1. COVID-19-JuBG am gestellt. Sein Antrag fällt in den zeitlichen Anwendungsbereich von § 7 1. COVID-19-JuBG idF BGBl I 2020/58.

[12] 2.1 Ausschließliches Thema des Rechtsmittelverfahrens ist die Frage, ob die COVID-Gesetzgebung im Zusammenhang mit der Gewährung von Vorschüssen ohne Bescheinigung eines entsprechenden Exekutionsantrags nur eine einzige Antragstellung zulässt, wie der Bund meint.

[13] 2.2 Aufgrund der ursprünglichen kurzen Befristung (von Inkrafttreten am bis zum ) in § 7 1. COVID-19-JuBG, BGBl I 2020/16, stellte sich die Frage einer neuerlichen Gewährung von Unterhaltsvorschüssen unter Inanspruchnahme der vorgesehenen Erleichterungen nach Ablauf des Gewährungszeitraums nicht. Die erste Frist bis Ende April wurde in der Folge mehrfach verlängert: zuerst bis (BGBl I 2020/30), dann bis (BGBl I 2020/58), schließlich bis (2. Justiz COVID-19-VO, BGBl II 2020/459) und zuletzt bis (BGBl I 2020/156 in Kraft seit ).

[14] 2.3 § 7 1. COVID-19-JuBG enthält nach seinem Wortlaut (in allen Fassungen) keine über die angeführten Bedingungen hinausgehende Beschränkung, insbesondere kein ausdrückliches Verbot einer neuen Antragstellung nach Ablauf des sechsmonatigen Gewährungszeitraums.

[15] 2.4 Die Gesetzesmaterialien zu § 7 1. COVID-19-JuBG (BGBl I 2020/16) verweisen darauf, dass es kontraproduktiv wäre, in Krisenzeiten die Voraussetzung der Exekutionsführung für das Kind aufrecht zu erhalten. Die Folgen der „Corona-Krise“ sollten rasch und unbürokratisch gemildert werden, um die Liquidität sowohl des Kindes als auch des Unterhaltsschuldners aufrecht zu erhalten. Ähnlich wie für die Wirtschaft solle auch für Kinder staatliche Hilfe unbürokratisch und rasch erfolgen. Dadurch solle auch dem Umstand Rechnung getragen werden, dass durch die Maßnahmen zur Bekämpfung der Verbreitung von COVID-19 möglicherweise Verzögerungen im Exekutionsverfahren auftreten (IA 397/A 27. GP 37).

[16] 2.5 Diese Zielsetzung, den Unterhalt von Kindern bei Zahlungsverzug durch den Unterhaltsschuldner rasch und unbürokratisch zu sichern, spricht dagegen, diese Möglichkeit auf eine Antragstellung zu beschränken. Der Gesetzgeber hat im Bereich des Unterhaltsvorschussrechts auf die anhaltende „Corona-Krise“ reagiert, indem er die ursprüngliche Frist für die Antragstellung mehrfach verlängerte. Anlässlich der Verlängerung der Frist bis (BGBl I 2020/58) hielt der Gesetzgeber fest, dass aufgrund des Andauerns der Krise die Vereinfachung des § 7 1. COVID-19-JuBG weiterhin bis zum zum Tragen kommen solle (IA 619/A 27. GP 4).

[17] 2.6 Neuhauser (Weitergewährung von COVID-19-Vorschüssen!? iFamZ 2020, 138 [139]) und Garber/Neumayr (in Resch, Corona-HB1.04 Kap 13 Rz 90, 93) sehen – insoweit übereinstimmend – COVID-19-Vorschüsse grundsätzlich vergleichbar mit Titelvorschüssen nach § 4 Z 1 UVG an, bei denen eine Exekutionsführung wegen Aussichtslosigkeit unterbleiben kann; damit handelt es sich um eine Variante von Titelvorschüssen. Das Kind soll vorübergehend nicht zur Exekutionsführung gezwungen werden (Kronthaler, Wie wirkt sich § 7 des 1. COVID-19-JuBG auf die Weitergewährung von Unterhaltsvorschüssen aus? iFamZ 2020, 142). Eine völlige Gleichstellung mit Titelvorschüssen nach §§ 3, 4 Z 1 UVG hat der Gesetzgeber durch den wesentlich kürzeren Gewährungszeitraum von nur sechs Monaten (im Vergleich zu fünf Jahren) effektiv ausgeschlossen. Er wollte eine befristete Maßnahme für die Dauer der „Coronakrise“ und kein Dauerrecht schaffen (IA 397/A 27. GP 37). Eine „Weitergewährung“ von COVID-19-Vorschüssen auf fünf Jahre iSd § 18 UVG widerspricht diesen Intentionen (Kronthaler, iFamZ 2020, 143; Garber/Neumayr, Corona-HB1.04 Rz 97/1; aA Neuhauser iFamZ 2020, 140). Im vorliegenden Fall handelt es sich – nach der durch den Antragswortlaut bestätigten und nicht bezweifelten – Interpretation durch das Rekursgericht ohnehin um einen neuen Antrag auf Gewährung von COVID-19-Vorschüssen erst nach Ablauf der ersten sechsmonatigen Gewährungsperiode. Die Einschränkung des Gewährungszeitraums für jeden Antrag innerhalb des zeitlichen Anwendungsbereichs auf maximal ein halbes Jahr stellt ausreichend sicher, dass es sich um keine Dauerlösung handelt.

[18] 3. Ergebnis: Ein neuer Antrag auf Gewährung von Unterhaltsvorschüssen nach § 7 1. COVID-19-JuBG ist nach Ablauf der Periode, für die bereits Vorschüsse nach diesem Gesetz gewährt wurden, zulässig.

[19] Der Revisonsrekurs des Bundes ist nicht berechtigt.

Zusatzinformationen


Tabelle in neuem Fenster öffnen
Rechtsgebiet
Zivilrecht
ECLI
ECLI:AT:OGH0002:2021:0100OB00005.21I.0330.000
Datenquelle

Fundstelle(n):
AAAAF-67907