OGH 08.09.2022, 3Ob146/22z
Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)
Entscheidungstext
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Höllwerth als Vorsitzenden sowie den Hofrat Hon.-Prof. Dr. Brenn, die Hofrätinnen Dr. Weixelbraun-Mohr und Dr. Kodek und den Hofrat Dr. Stefula als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei M* L*, vertreten durch Dr. Thomas Kainz, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei P* GmbH & Co KG, Zweigniederlassung A*, vertreten durch Pressl Endl Heinrich Bamberger Rechtsanwälte GmbH in Salzburg, wegen 40.769,53 EUR sA, aus Anlass der außerordentlichen Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom , GZ 1 R 20/19w-32, mit dem das Urteil des Landesgerichts Steyr vom , GZ 3 Cg 33/17d-28, bestätigt wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
I. Das mit Beschluss vom zu 3 Ob 167/19h unterbrochene Verfahren wird fortgesetzt.
II. Der beklagten Partei wird die Beantwortung der Revision der klagenden Partei freigestellt.
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
[1] Der Senat hat das vorliegende, mit der außerordentlichen Revision des Klägers vom eingeleitete Verfahren mit Beschluss vom , 3 Ob 167/19h, im Hinblick auf das vom Obersten Gerichtshof zu 10 Ob 44/19x (nunmehr 10 Ob 35/22b) beim Gerichtshof der Europäischen Union eingeleitete Vorabentscheidungsverfahren (C-145/20, Porsche Inter Auto und Volkswagen) unterbrochen und ausgesprochen, dass das Verfahren nach Einlangen der Vorabentscheidung von Amts wegen fortgesetzt wird.
[2] Da die Entscheidung des EuGH (vom ) nunmehr vorliegt, war das Revisionsverfahren fortzusetzen und der beklagten Partei wegen Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO die Einbringung einer Revisionsbeantwortung freizustellen.
Entscheidungstext
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Höllwerth als Vorsitzenden sowie den Hofrat Hon.-Prof. Dr. Brenn, die Hofrätinnen Dr. Weixelbraun-Mohr und Dr. Kodek und den Hofrat Dr. Stefula als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei M* L*, vertreten durch Dr. Thomas Kainz, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei P* GmbH & Co KG, *, vertreten durch Pressl Endl Heinrich Bamberger Rechtsanwälte GmbH in Salzburg, wegen 40.769,53 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom , GZ 1 R 20/19w-32, mit dem das Urteil des Landesgerichts Steyr vom , GZ 3 Cg 33/17d-28, bestätigt wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben; die Rechtssache wird zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung:
[1] Mit Kaufvertrag vom kaufte der Kläger von der beklagten Fahrzeughändlerin einen erstmals am zugelassenen Vorführwagen der Marke Audi Q5 style 2.0 TDI um den Kaufpreis von brutto 40.500 EUR. Zur Finanzierung des Autokaufs schloss der Kläger mit der P* AG einen Leasingvertrag ab.
[2] Das Fahrzeug ist mit einem Dieselmotor des Typs EA189 ausgestattet und unterliegt gemäß der EU-Betriebsgenehmigung der Abgasnorm Euro 5. Der Motor war mit einer Software ausgestattet, die die Abgasrückführung im Prüfstandbetrieb beeinflusste („Umschaltlogik“). Über Aufforderung der Generalimporteurin ließ der Kläger am das geforderte Softwareupdate bei der Beklagten auf deren Kosten durchführen, mit dem das sogenannte „Thermofenster“ installiert wurde. Dieses Update wurde vom deutschen Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) freigegeben. Das Fahrzeug verfügt über eine aufrechte Betriebsgenehmigung nach der Abgasnorm Euro 5.
[3] Aufgrund von Fehlermeldungen des Kommunikationssystems tauschte die Beklagte am beim Fahrzeug den Öldruckschalter aus, wofür sie dem Kläger einschließlich der Kosten für ein Ersatzfahrzeug den Betrag von 269,53 EUR verrechnete.
[4] Mit Schreiben ihres Rechtsvertreters vom trat die P* AG sämtliche zivilrechtlichen Ansprüche im Zusammenhang mit dem gegenständlichen Fahrzeug an den Kläger ab. Der Kläger nahm diese Abtretung mit Schreiben seines Vertreters vom selben Tag an.
[5] Der Kläger begehrte Vertragsaufhebung sowie Zahlung von 40.500 EUR Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs, in eventu die Zahlung von 40.500 EUR an die Leasinggeberin; zudem begehrte er den Betrag von 269,53 EUR für einen angeblich erfolglosen Reparaturversuch. Der im Fahrzeug eingebaute Dieselmotor sei vom Abgasmanipulationsskandal betroffen. Der Motor sei mit einem nicht bloß geringfügigen Mangel behaftet, weshalb er zur Wandlung berechtigt sei.
[6] Die Beklagte entgegnete, dass sämtliche Fahrzeuge mit dem Dieselmotor EA189 technisch sicher, fahrbereit und uneingeschränkt im Straßenverkehr benützbar und daher frei von Mängeln seien. Die behaupteten Mängel im Zusammenhang mit der Umschaltlogik seien durch das Softwareupdate beseitigt worden. Die Typengenehmigung sei vom KBA nicht widerrufen worden; ein solcher Widerruf sei auch in Zukunft nicht zu erwarten. Auf die Emissionswerte des Motors im normalen Straßenverkehr, die typischerweise und bei jedem Fahrzeug höher seien als die Emissionen im Testlabor, komme es nicht an, zumal keine gesetzliche Vorgabe bestehe, die die Einhaltung der Emissionsgrenzwerte im normalen Straßenbetrieb regle. Selbst wenn der Kläger mit seinem Wandlungsbegehren durchdringe, müsse er ein angemessenes Benützungsentgelt in Höhe von 21.600 EUR entrichten. Dieses bemesse sich nach jenem Preis, den der Kläger bei Veräußerung des konkreten Fahrzeugs hätte erzielen können. Für den Fall der Klagsstattgebung gebührten dem Kläger nur 4 % Zinsen ab dem Tag der Klagszustellung.
[7] Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Bestimmte NOx- und CO2-Werte seien nicht Inhalt des Vertrags geworden; dies gelte auch für die Umweltfreundlichkeit des Fahrzeugs. Die zunächst vorhandene Umschaltlogik habe zu keiner Einschränkung im Gebrauch des Fahrzeugs geführt. Die vom Kläger behaupteten Mängel lägen daher nicht vor. Selbst wenn im Einbau der Umschaltlogik ein Mangel zu erblicken wäre, sei dieser durch die Einspielung des Softwareupdates behoben worden. Auch eine Aufhebung des Vertrags wegen Irrtums komme nicht in Betracht.
[8] Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung unter Hinweis auf § 500a ZPO. Die Manipulationssoftware sei schon vor Klagseinbringung durch ein vom KBA geprüftes und freigegebenes Softwareupdate entfernt worden. Insoweit habe gewährleistungsrechtlich eine erfolgreiche Verbesserung stattgefunden. Die ordentliche Revision sei mangels erheblicher Rechtsfrage nicht zulässig.
[9] Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision des Klägers, die auf eine Stattgebung des Klagebegehrens abzielt.
[10] Mit ihrer – vom Obersten Gerichtshof freigestellten – Revisionsbeantwortung beantragt die Beklagte, das Rechtsmittel der Gegenseite zurückzuweisen, in eventu, diesem den Erfolg zu versagen.
Rechtliche Beurteilung
[11] Die Revision ist entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden – Ausspruch des Berufungsgerichts zulässig. Sie ist im Sinn des subsidiär gestellten Aufhebungsantrags auch berechtigt.
[12] Vorweg wird festgehalten, dass das vorliegende Verfahren mit Beschluss vom , 3 Ob 167/19h (nunmehr 3 Ob 146/22z), im Hinblick auf das vom Obersten Gerichtshof zu 10 Ob 44/19x (10 Ob 35/22b und nunmehr 10 Ob 2/23a) beim EuGH eingeleitete Vorabentscheidungsverfahren zu C-145/20, Porsche Inter Auto und Volkswagen, unterbrochen wurde. Mit Beschluss vom wurde das Verfahren – nach Einlangen der Vorabentscheidung des EuGH – fortgesetzt und der Beklagten die Beantwortung der Revision freigestellt.
1. Zu den sich auch hier stellenden Rechtsfragen im Zusammenhang mit dem sogenannten „Diesel-Abgasskandal“ hat der EuGH folgende grundlegenden Aussagen getroffen:
[13] Eine Abschalteinrichtung, deren einziger Zweck darin besteht, die Einhaltung der in der VO 715/2007/EG vorgesehenen Grenzwerte allein während der Zulassungstests sicherzustellen, läuft der Verpflichtung zuwider, bei normalen Nutzungsbedingungen des Fahrzeugs eine wirkungsvolle Begrenzung der Emission sicherzustellen (EuGH C-693/18, CLCV, Rn 98, ÖJZ 2021/38 [Kumin/Maderbacher]). Daher kann eine Abschalteinrichtung, die bei Zulassungsverfahren systematisch die Leistung des Emissionskontrollsystems verbessert, damit die in der VO 715/2007/EG festgelegten Emissionsgrenzwerte eingehalten werden können und so die Zulassung dieser Fahrzeuge erreicht wird, nicht unter die Ausnahmebestimmung des Art 5 Abs 2 Satz 2 lit a VO 715/2007/EG fallen (EuGH C-693/18, CLCV, Rn 115). Der EuGH hat zudem entschieden, dass Art 3 Nr 10 der VO 715/2007/EG iVm Art 5 Abs 1 leg cit dahin auszulegen ist, dass eine Einrichtung, die die Einhaltung der in dieser Verordnung vorgesehenen Emissionsgrenzwerte nur gewährleistet, wenn die Außentemperatur zwischen 15 und 33 Grad Celsius liegt und der Fahrbetrieb unterhalb von 1.000 Höhenmetern erfolgt, eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinn des Art 3 Nr 10 der VO ist (EuGH C-128/20, GSMB Invest, Rn 47; C-134/20, VW, Rn 54).
[14] In der Entscheidung zu C-145/20, Porsche Inter Auto und Volkswagen (ÖJZ 2022/114 [Brenn]) hat der EuGH zudem ausgesprochen, dass Art 5 Abs 2 lit a VO 715/2007/EG dahin auszulegen ist, dass eine Abschalteinrichtung, die insbesondere die Einhaltung der in dieser Verordnung vorgesehenen Emissionsgrenzwerte nur gewährleistet, wenn die Außentemperatur zwischen 15 und 33 Grad Celsius liegt, nach dieser Bestimmung allein unter der Voraussetzung zulässig sein kann, wenn nachgewiesen ist, dass diese Einrichtung ausschließlich notwendig ist, um die durch eine Fehlfunktion eines Bauteils des Abgasrückführungssystems verursachten unmittelbaren Risiken für den Motor in Form von Beschädigung oder Unfall zu vermeiden, Risiken, die so schwer wiegen, dass sie eine konkrete Gefahr beim Betrieb des mit dieser Einrichtung ausgestatteten Fahrzeugs darstellen. Eine Abschalteinrichtung, die unter normalen Betriebsbedingungen den überwiegenden Teil des Jahres funktionieren müsste, damit der Motor vor Beschädigung oder Unfall geschützt und der sichere Betrieb des Fahrzeugs gewährleistet ist, kann jedenfalls nicht unter die in Art 5 Abs 2 lit a leg cit vorgesehene Ausnahme fallen.
[15] In der Entscheidung zu C-873/19, Deutsche Umwelthilfe e.V., hat der EuGH dazu ergänzt, dass eine Abschalteinrichtung nur dann „notwendig“ im Sinn der genannten Bestimmung ist, wenn zum Zeitpunkt der EG-Typengenehmigung des Fahrzeugs keine andere technische Lösung unmittelbare Risiken für den Motor in Form von Beschädigung oder Unfall abwenden kann, die beim Fahren eines Fahrzeugs eine konkrete Gefahr hervorrufen. Die Ausnahmetatbestände vom Verbot der Verwendung solcher Abschalteinrichtungen sind eng auszulegen. Art 5 Abs 2 lit a VO 715/2007/EG erfordert daher eine unmittelbare konkrete und ernstliche Gefahr aufgrund der aktuellen Fehlfunktion eines Bauteils.
[16] 2. Im Anschluss an das Urteil des EuGH zu C-145/20, Porsche Inter Auto und Volkswagen, hat der Oberste Gerichtshof am zu 10 Ob 2/23a seine Folgeentscheidung gefällt, der sich die im Folgenden dargelegten Aussagen und Rechtsgrundsätze entnehmen lassen.
[17] 3.1 Sämtliche mit einem Dieselmotor des Typs EA189 der Abgasklasse Euro 5 bestückten Fahrzeuge waren mit einer im Motorsteuerungsgerät enthaltenen Umschaltlogik ausgestattet, die für die Abgasrückführung zwei Betriebsmodi vorsah, einen Betriebsmodus für das Emissionsprüfungsverfahren mit einer relativ hohen Abgasrückführung und einen Betriebsmodus mit einer geringeren Rückführungsrate, der unter normalen Fahrbedingungen zum Einsatz gelangte. Das Vorhandensein dieser Software wurde der zuständigen Typengenehmigungsbehörde nicht offengelegt. Nach der Beurteilung des EuGH handelt es sich bei der Umschaltlogik um eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinn des Art 3 Z 10 und Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EG.
[18] 3.2 Das installierte Softwareupdate beinhaltet ein Thermofenster, aufgrund dessen der emissionsmindernde Betriebsmodus nicht mehr nur im Prüfbetrieb, sondern auch im Fahrbetrieb zum Einsatz kommt, allerdings nur bei Außentemperaturen zwischen 15 und 33 Grad Celsius voll wirksam ist. Dass das Thermofenster als Abschalteinrichtung im Sinn des Art 3 Z 10 VO 715/2007/EG zu qualifizieren ist, ist nach der Beurteilung des EuGH nicht zweifelhaft. Eine solche Abschalteinrichtung ist im Sinn des Art 5 Abs 2 Satz 2 lit a VO 715/2007/EG jedenfalls unzulässig, wenn sie aufgrund der vorherrschenden Außentemperaturen den überwiegenden Teil des Jahres funktionieren müsste, um den Motor vor Beschädigung oder Unfall zu schützen und den sicheren Betrieb des Fahrzeugs zu gewährleisten (vgl auch 3 Ob 140/22t und 3 Ob 142/22m).
[19] 3.3 Diese Voraussetzung ist auch bei dem im Anlassfall zu beurteilenden Thermofenster erfüllt. Nach dem Softwareupdate ist die Abgasrückführung nur bei Außentemperaturen zwischen 15 und 33 Grad Celsius (und damit in Österreich in vier oder fünf Monaten des Jahres) voll aktiv (vgl 10 Ob 2/23a vom ). Nach der Entscheidung des EuGH zu C-128/20, GSMB Invest, Rn 43, kommt es auf die Bedingungen im Unionsgebiet, also überall innerhalb der Grenzen der EU an. Aufgrund der klimatischen Verhältnisse jedenfalls in Österreich ist die Abgasrückführung somit im überwiegenden Teil des Jahres durch die Abschalteinrichtung reduziert. Im Hinblick darauf ist das Thermofenster nach der Rechtsprechung des EuGH selbst dann nicht nach dem Ausnahmetatbestand des Art 5 Abs 2 Satz 2 lit a VO 715/2007/EG zulässig, wenn sie im konkreten Fall erst einsetzen würde, um den Motor vor Beschädigung oder Unfall zu schützen und den sicheren Betrieb des Fahrzeugs zu gewährleisten.
[20] Das mit dem Softwareupdate installierte Thermofenster fällt daher nicht unter die Verbotsausnahme des Art 5 Abs 2 Satz 2 lit a VO 715/2007/EG, die Abschalteinrichtung ist vielmehr jedenfalls unzulässig.
[21] 4.1 Zur Frage des Sachmangels hat der EuGH in der Entscheidung zu C-145/20, Porsche Inter Auto und Volkswagen (ÖJZ 2022/114 [Brenn]), ausgesprochen, dass ein Kraftfahrzeug, das im Zeitpunkt der bedungenen Übergabe mit einer gemäß Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EG verbotenen Abschalteinrichtung ausgestattet ist, nicht vertragskonform im Sinn der Verbrauchsgüterkauf-RL 1999/44/EG (konkret Art 2 Abs 2 lit d) ist, weil dieses nicht die Qualität aufweist, die bei Gütern der gleichen Art üblich ist und die der Verbraucher vernünftigerweise erwarten kann. Diese Beurteilung nach der Verbrauchsgüterkauf-RL führt auch zur Qualifikation eines solchen Kraftfahrzeugs als mangelhaft gemäß § 922 ABGB, weil es nicht die gewöhnlich vorausgesetzten Eigenschaften aufweist. Das Vorhandensein der Umschaltlogik sowie des Thermofensters begründet daher einen Mangel im Sinn des § 922 ABGB. Da es sich dabei um einen Mangel der Substanz des Fahrzeugs handelt, ist er als Sachmangel zu qualifizieren.
[22] Bei dem mit dem Softwareupdate installierten Thermofenster handelt es sich ebenfalls um eine verbotene Abschalteinrichtung im Sinn einer nach Art 5 Abs 2 Satz 2 VO 715/2007/EG, weshalb der Verbesserungsversuch der Beklagten nicht erfolgreich bzw untauglich war. Der bei Übergabe des Fahrzeugs bestehende Mangel wurde durch das Softwareupdate somit nicht behoben.
[23] 4.2 Nach ständiger Rechtsprechung kann der Übernehmer schon bei Misslingen (oder Ablehnung durch den Übergeber) des ersten Verbesserungsversuchs den sekundären Gewährleistungsbehelf (Wandlung oder Preisminderung) in Anspruch nehmen (RS0018722 [T2]; RS0018702 [T9]; 9 Ob 83/21b). Dasselbe muss gelten, wenn nur eine Maßnahme angeboten wird, die zur Herstellung eines einwandfreien Zustands nicht geeignet ist.
[24] Die Wandlung setzt gemäß § 932 Abs 4 ABGB überdies voraus, dass der Mangel nicht geringfügig ist. Dem Ausschluss des Wandlungsrechts bei Geringfügigkeit des Mangels liegt Art 3 Abs 6 Verbrauchsgüterkauf-RL 1999/44/EG zugrunde. Diese Bestimmung ist nach der Entscheidung des EuGH zu C-145/20, Porsche Inter Auto und Volkswagen (ÖJZ 2022/114 [Brenn]) dahin auszulegen, dass eine Vertragswidrigkeit, die darin besteht, dass ein Fahrzeug mit einer Abschalteinrichtung ausgerüstet ist, deren Verwendung nach Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EG verboten ist, nicht als „geringfügig“ eingestuft werden kann, selbst wenn der Verbraucher – falls er von der Existenz und dem Betrieb dieser Einrichtung Kenntnis gehabt hätte – dieses Fahrzeug dennoch gekauft hätte. Daraus folgt, dass eine im Zeitpunkt der Übergabe des Fahrzeugs an den Käufer vorhandene unzulässige Abschalteinrichtung einen Sachmangel begründet, der nicht geringfügig ist.
[25] 4.3 Nach Auflösung eines Vertrags durch Anfechtung oder Wandlung hat gemäß § 877 ABGB (bei Gewährleistung iVm § 932 ABGB) iVm §§ 1435 ff ABGB jeder Teil alles zurückzustellen, was er aus einem solchen Vertrag zu seinem Vorteil erlangt hat. Stehen beiden Teilen Rückforderungsansprüche zu, so brauchen diese nur Zug um Zug erfüllt zu werden (RS0016321; 4 Ob 70/18z; 8 Ob 59/16h).
[26] Die Rückabwicklung Zug um Zug ist nur auf Einrede zu beachten (RS0086350). Der Kläger kann die Zug-um-Zug-Verpflichtung allerdings auch selbst durch entsprechende Beifügung in der Klage anbieten (vgl RS0041069; 4 Ob 70/18z).
[27] Bei einem Kaufvertrag ist der primäre Bereicherungsanspruch des beklagten Verkäufers auf die Rückgabe der vom Käufer empfangenen Leistung, also auf Rückgabe der Sache in der Natur gerichtet (6 Ob 265/01s; 4 Ob 70/18z). Bereicherungsansprüche des beklagten Verkäufers können aber auch in Geld bestehen. Derartige Ansprüche des Beklagten sind somit grundsätzlich als Gegenforderungen einzuwenden (4 Ob 70/18z; vgl 8 Ob 74/13k; 10 Ob 32/15a).
[28] 4.4 Der Vorteil, den der klagende Käufer eines Kraftfahrzeugs erlangt hat, besteht im Gebrauchsnutzen, weshalb er dem Verkäufer ein Benützungsentgelt für die Nutzung des Fahrzeugs zu entrichten hat. Für die Ermittlung des Benützungsentgelts kommt es auf den konkret gezogenen Nutzen an. Nach der Rechtsprechung hat der klagende Käufer, der die Rückabwicklung nicht zu vertreten hat, aber weder die Wertminderung durch Zeitablauf noch die merkantile Wertminderung durch die verzögerte Rückabwicklung zu tragen (3 Ob 248/08d; 8 Ob 74/13k).
[29] Die konsequente Umsetzung dieser in der Rechtsprechung anerkannten Grundsätze spricht dafür, den Gebrauchsnutzen des Käufers eines Kraftfahrzeugs, der die Rückabwicklung nicht zu vertreten hat, grundsätzlich in Abhängigkeit von den gefahrenen Kilometern linear zu berechnen. Dafür gilt grundsätzlich die Formel „Bruttokaufpreis x gefahrene Kilometer : erwartete Gesamtlaufleistung“. Bei einem gebrauchten Fahrzeug ist es gleichermaßen sachgerecht, bei der Berechnung den konkret vereinbarten Kaufpreis heranzuziehen, wenn und weil dieser als angemessene Gegenleistung angesehen werden kann. Konsequenterweise ist dann bei der Berechnung nicht die Gesamtlaufleistung, sondern – wie dies der Oberste Gerichtshof in der Entscheidung 4 Ob 21/21y bereits gebilligt hat – die dem (als angemessen unterstellten) Kaufpreis zugrunde gelegte (geringere) erwartete Restlaufleistung zu berücksichtigen. Die Formel ist daher wie folgt anzupassen: „Tatsächlicher Kaufpreis x gefahrene Kilometer : erwartbare Restlaufleistung“.
[30] Im Einzelfall kann zur Bemessung des angemessenen Benützungsentgelts auch § 273 ZPO herangezogen werden (RS0018534 [T5]; 3 Ob 131/19i).
[31] 5.1 Als Ergebnis folgt für den Anlassfall, dass es sich sowohl bei der ursprünglich vorhandenen Umschaltlogik als auch bei dem mit dem Softwareupdate installierten Thermofenster um eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinn des Art 3 Z 10 VO 715/2007/EG handelt und der von der Beklagten vorgenommene Verbesserungsversuch durch Installation des Softwareupdates fehlgeschlagen ist bzw untauglich war. Die Beklagte kann sich daher nicht auf den Ausnahmetatbestand nach Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EG berufen.
[32] 5.2 Die Feststellungen des Erstgerichts, wonach zur Umschaltlogik nicht festgestellt werden könne, dass der Motor ohne diese die vorgeschriebenen Abgaswerte (Euro 5) nicht eingehalten hätte, und das Fahrzeug nach Durchführung des Softwareupdates (des Thermofensters) die Voraussetzungen für die Abgasnorm Euro 5 erfülle, sprechen nicht gegen dieses Ergebnis.
[33] Aus den Feststellungen selbst sowie aus der Beweiswürdigung des Erstgerichts ergibt sich deutlich, dass sich diese Feststellungen ausschließlich auf den NEF-Prüfzyklus (zu Laborbedingungen) beziehen. Zum Vorbringen des Klägers, dass das Fahrzeug die relevanten Emissionsgrenzwerte im Normalbetrieb (Realbetrieb) nicht erfülle, hat die Beklagte nur vorgebracht, dass es auf die Emissionsgrenzwerte im normalen Straßenbetrieb nicht ankomme. Damit hat sie die vom Kläger ausdrücklich behauptete Überschreitung der maßgebenden Grenzwerte im Normalbetrieb nicht bestritten.
[34] 5.3 Auch das weitere Argument der Beklagten, dass das Fahrzeug über eine aufrechte EU-Betriebsgenehmigung verfüge, ist nicht zielführend, weil dadurch allenfalls ein aktueller Rechtsmangel, nicht aber der in Rede stehende Sachmangel verneint werden könnte.
[35] 6.1 Aufgrund des nicht bloß geringfügigen Sachmangels wegen Fehlens einer gewöhnlich vorausgesetzten Eigenschaft und des fehlgeschlagenen bzw untauglichen Verbesserungsversuchs ist das Wandlungsbegehren des Klägers Zug um Zug gegen Rückstellung des Fahrzeugs berechtigt.
[36] 6.2 Die Beklagte hat im Sinn eines bereicherungsrechtlichen Vorteilsausgleichs eine Gegenforderung auf Zahlung eines Benützungsentgelts erhoben, die ihr im Grunde auch zusteht. Zur Ausmittlung der Höhe dieses Benützungsentgelts wurden von den Vorinstanzen bisher jedoch keine Feststellungen getroffen. Eine abschließende Beurteilung ist daher derzeit noch nicht möglich.
[37] 7.1 Die Besonderheit des Anlassfalls besteht darin, dass es sich beim Fahrzeug „des Klägers“ um ein Leasingfahrzeug handelt.
[38] 7.2 In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass beim Finanzierungsleasing die aus dem Kaufvertrag über den Leasinggegenstand resultierenden Rechte gegen den Lieferanten grundsätzlich dem Leasinggeber als Käufer und Eigentümer des Leasinggegenstands zustehen (RS0018690). Grundsätzlich hat der Leasingnehmer beim Finanzierungsleasing daher keine unmittelbaren eigenen Gewährleistungsansprüche gegen den Lieferanten der Leasingsache (6 Ob 217/09v).
[39] Zur Frage der Abtretung solcher Rechte ist zu beachten, dass die Abtretung eines Gestaltungsrechts grundsätzlich nur bei Abtretung des mit dem Gestaltungsrecht verbundenen Hauptanspruchs des Schuldverhältnisses möglich ist. Eine Ausnahme besteht nur in Fällen, in denen besondere Interessen für eine selbständige Abtretung sprechen. Eine solche Interessenlage wird in den Fällen des Finanzierungsleasings bejaht, weil die Gefahr der Unbrauchbarkeit der Sache den Leasingnehmer trifft, der Leasinggeber aber gerade deshalb und auch wegen der damit verbundenen Mühen an einer Ausübung von Gestaltungsrechten in der Regel nicht interessiert ist (vgl 6 Ob 639/88 unter Berufung auf P. Bydlinski, Die Übertragung von Gestaltungsrechten [1986] 155, und Krejci, Zur Gewährleistungspflicht des Leasinggebers, JBl 1988, 490). Dementsprechend ist anerkannt, dass Gewährleistungsansprüche an den Leasingnehmer abgetreten werden können (6 Ob 217/09v; Pesek, in Schwimann/Kodek5 § 1090 ABGB Rz 108, 114) und beim Finanzierungsleasing auch die selbständige Abtretung der zu den Gestaltungsrechten gehörenden Wandlungsansprüche des Leasinggebers an den Leistungsnehmer zulässig ist (RS0018590; 6 Ob 639/88). Aus einer solchen Zession stehen dem Leasingnehmer grundsätzlich dieselben Gewährleistungsansprüche zu, wie sie dem Leasinggeber gegenüber dem Lieferanten zukommen (RS0018590).
[40] In der Entscheidung zu 6 Ob 639/88 hat der Oberste Gerichtshof zur formularmäßigen Abtretung von – vom gewährleistungsrechtlichen Wandlungsanspruch zu unterscheidenden, durch dessen erfolgreiche Geltendmachung erst ausgelösten – bereicherungsrechtlichen Rückabwicklungsansprüchen Stellung genommen. Dazu wurde beurteilt, dass die formularmäßige Abtretung von Gewährleistungsrechten jedenfalls für den Wandlungsfall im Weg der ergänzenden Vertragsauslegung nicht zum Ergebnis führen könne, der Leasingnehmer habe zugleich auch den erst aus einer erfolgreichen Wandlung resultierenden Kondiktionsanspruch für sich zediert bekommen. Dies widerspräche nämlich dem – beiden Parteien bewussten – Sicherungsbedürfnis des Leasinggebers, welchem daher nicht ohne Weiteres zugesonnen werden dürfe, er habe damit auch einer Kaufpreiszahlung an den Leasingnehmer zustimmen wollen. Wenn von der Abtretung der Gewährleistungsrechte (insbesondere des Wandlungsanspruchs) auch der diesbezügliche Kondiktionsanspruch mitumfasst sein sollte – wofür immerhin die Überlegung spreche, dass der Leasinggeber ersichtlich mit dem Sachmängelstreit nichts zu tun haben wolle – so (grundsätzlich) nur in der Form, dass der Leasingnehmer den Rückforderungsanspruch zu Gunsten des Leasinggebers geltend machen könne. Er dürfe daher nur Zahlung an den Leasinggeber verlangen (RS0018696).
[41] Hat also der Leasinggeber seine Gewährleistungsansprüche „formularmäßig“ an den Leasingnehmer abgetreten, so bedeutet dies demnach nicht gleichzeitig, dass der Leasingnehmer damit auch den Kondiktionsanspruch zediert erhalten hat. Den Parteien des Leasingvertrags steht es aber naturgemäß frei, im Einzelfall eine konkrete Abtretungsregelung zu vereinbaren, deren Reichweite durch Auslegung zu ermitteln ist.
[42] Die Judikatur zur klauselrechtlichen Inhaltskontrolle beim Leasingvertrag, wonach die Überwälzung des Lieferrisikos auf den Leasingnehmer gröblich benachteiligend und die (erstmalige) Hauptverschaffungspflicht (Verschaffung der Gebrauchsmöglichkeit) des Leasinggebers unabdingbar ist (RS0016649), spricht nicht gegen das erzielte Ergebnis. Vielmehr wurde in der Entscheidung zu 2 Ob 1/09z festgehalten, dass die beurteilte Klauselnichtigkeit selbst dann gegeben ist, wenn die Käuferrechte dem Leasingnehmer abgetreten werden (6 Ob 507/95). Auch diese Entscheidung geht somit von der Abtretbarkeit der Käuferrechte an den Leasingnehmer aus. Die bereits zitierte Entscheidung zu 6 Ob 217/09v hält eine derartige Abtretung sogar für erforderlich, wenn Gewährleistungsansprüche des Leasingnehmers gegen den Leasinggeber ausgeschlossen werden sollen, weil dann dem Leasingnehmer die Rechte des Käufers und Leasinggebers gegenüber dem Lieferanten zustehen.
[43] 7.3 Im Anlassfall steht fest, dass die P* AG sämtliche zivilrechtlichen Ansprüche im Zusammenhang mit dem gegenständlichen Fahrzeug an den Kläger abgetreten und der Kläger diese Abtretung angenommen hat. Der Kläger hat in seinem Vorbringen die Abtretung auch der Kondiktionsansprüche behauptet, was von der Beklagten nicht bestritten wurde (§ 267 ZPO). Daraus folgt die Aktivlegitimation des Klägers für die zugrunde liegenden Klagsansprüche. Die umfassende Abtretung aller Ansprüche an den Kläger hat aufgrund des eindeutig erkennbaren Willens der Parteien des Abtretungsvertrags zur Folge, dass den Kläger auch die Pflicht zur Zahlung des Benützungsentgelts treffen soll, zumal sich eindeutig ergibt, dass die P* AG mit der Rückabwicklung des Vertrags über den Fahrzeugkauf nichts zu tun haben will.
[44] 8. Da sich das gegen die Beklagte erhobene Klagebegehren im Grunde bereits aus dem Titel der Gewährleistung als berechtigt erweist, muss auf die übrigen Rechtsgründe, auf die sich der Kläger stützt, nicht mehr eingegangen werden.
[45] 9. Das Klagebegehren bezieht sich auch auf die Rückzahlung des Betrags von 269,53 EUR, den der Kläger für den Austausch des Öldruckschalters durch die Beklagte am gezahlt hat.
[46] Darauf kommt der Kläger in der Revision nicht mehr zurück.
[47] 10. Die Entscheidungen der Vorinstanzen halten der Überprüfung durch den Obersten Gerichtshof somit nicht Stand. Zufolge der aufgezeigten sekundären Feststellungsmängel zur Höhe des Benützungsentgelts ist eine abschließende Beurteilung noch nicht möglich. In Stattgebung der Revision des Klägers waren die Entscheidungen der Vorinstanzen aufzuheben und dem Erstgericht eine neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufzutragen.
[48] Der Kostenvorbehalt stützt sich auf § 52 ZPO.
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Rechtsgebiet | Zivilrecht |
ECLI | ECLI:AT:OGH0002:2022:0030OB00146.22Z.0908.000 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
NAAAF-66747