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VwGH 26.03.2019, Ro 2019/16/0003

VwGH 26.03.2019, Ro 2019/16/0003

Entscheidungsart: Erkenntnis

Rechtssätze


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Normen
RS 1
Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 265 Abs. 1w FinStrG trat u.a. § 29 Abs. 6 mit in Kraft und ist § 29 in der Fassung der FinStrG-Novelle 2014 auf Selbstanzeigen anzuwenden, die nach dem erstattet werden. Damit bestimmt § 265 Abs. 1w FinStrG eindeutig - und als lex specialis und lex posterior gegenüber § 4 Abs. 2 FinStrG - den zeitlichen Bedingungsbereich des § 29 Abs. 6 FinStrG in der Fassung der FinStrG-Novelle 2014 für stafbefreiend wirkende Selbstanzeigen mit dem Zeitraum nach dem . Wie der Verfassungsgerichtshof im Erkenntnis vom , E 2751/2018, näher ausführte, obwalten auch keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen § 265 Abs. 1w und § 29 Abs. 6 FinStrG in der Fassung der FinStrG-Novelle 2014 und einem Verständnis in besagtem Sinn.
Norm
RS 2
Wie die ErläutRV zur FinStrG-Novelle 2014 (177 BlgNR XXV. GP 1) verdeutlichen, sollte generell Selbstanzeigen, die erst zu einem Zeitpunkt erstattet werden, in dem bei verständiger Würdigung der Sachlage mit der Tatentdeckung gerechnet werden muss, ohne zusätzliche Leistung keine strafbefreiende Wirkung mehr zukommen. Auch der Verfassungsgerichtshof (vgl. ) sah die Zielrichtung des § 29 Abs. 6 FinStrG dahin, mit der Selbstanzeige von vorsätzlich oder grob fahrlässig begangenen Finanzvergehen nicht erst bis zur (Ankündigung der) finanzbehördlichen Überprüfung zuzuwarten. Die Abgabenerhöhung schaffe einen Anreiz, Selbstanzeigen bereits frühzeitig, ohne konkreten Anlass einer behördlichen Überprüfung, zu erstatten.

Entscheidungstext

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zorn und die Hofräte Dr. Mairinger, Dr. Thoma und Mag. Straßegger sowie die Hofrätin Dr. Reinbacher als Richter unter Mitwirkung der Schriftführerin Galli, LL.M., über die Revision der M GmbH in S, vertreten durch die LeitnerLeitner GmbH Wirtschaftsprüfer und Steuerberater in 4040 Linz, Ottensheimer Straße 32, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes vom , RV/7102977/2017, betreffend Festsetzung einer Abgabenerhöhung nach § 29 Abs. 6 FinStrG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Finanzamt Wien 12/13/14 Purkersdorf), zu Recht erkannt:

Spruch

Die Revision wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

1 Unbestritten ist, dass das Finanzamt Wien 12/13/14 Purkersdorf (die vor dem Verwaltungsgericht belangte Behörde) im Oktober 2016 gegenüber der Revisionswerberin eine Außenprüfung betreffend Lohnabgaben, Kommunalsteuer und Sozialversicherungsbeiträge für den Zeitraum bis ankündigte. Vor Beginn der Außenprüfung erstattete die Revisionswerberin mit Schriftsatz vom eine Selbstanzeige über die Verkürzung der Lohnabgaben während des Zeitraumes November 2006 bis Oktober 2016. Mit "Bescheid über einen Prüfungsauftrag" vom verpflichtete das Finanzamt die Revisionswerberin gemäß § 147 BAO iVm § 99 Abs. 2 FinStrG zur Mitwirkung an der Außenprüfung für die Lohnabgaben für den Zeitraum von Jänner 2006 bis Dezember 2015; Gegenstand der finanzstrafrechtlichen Prüfung sei der Zeitraum der Jahre 2006 bis 2015.

2 Mit Bescheid vom setzte das Finanzamt gemäß § 29 Abs. 6 FinStrG eine Abgabenerhöhung in der Höhe von insgesamt EUR 88.776,-- fest, die die Revisionswerberin - unbestrittenermaßen rechtzeitig - gemäß § 29 Abs. 2 FinStrG entrichtete.

Gegen diesen Bescheid erhob die Revisionswerberin Beschwerde mit der Begründung, eine Abgabenerhöhung gemäß § 29 Abs. 6 FinStrG dürfe nur für den von der Behörde zur Prüfung angemeldeten Zeitraum, also für die Jahre 2011 bis 2013, vorgeschrieben werden. Jene Abgabenzeiträume, die erst nach Erstatten der Selbstanzeige in den Prüfungszeitraum einbezogen worden seien, seien für die Bemessung der Abgabenerhöhung auszuscheiden. Die Mehrbeträge an Lohnabgaben beliefen sich für den Zeitraum von bis  nur auf EUR 94.254,89, sodass lediglich eine Abgabenerhöhung von EUR 14.138,23 festzusetzen gewesen wäre.

3 Nach Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung und Erhebung eines Vorlageantrages wies das Bundesfinanzgericht mit dem angefochtenen Erkenntnis diese Beschwerde gemäß § 279 BAO als unbegründet ab und sprach aus, dass gegen dieses Erkenntnis eine Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig sei.

Nach Darstellung des Verfahrensganges sowie des - unstrittigen - Sachverhaltes erwog das Verwaltungsgericht in rechtlicher Hinsicht:

"Da im Zeitpunkt der Entrichtung der Abgabenschuldigkeiten über das mit Selbstanzeige zur zu erwartenden Abgabennachforderung eingebrachte Stundungsansuchen nicht entschieden worden war, bestand bis zur Entrichtung eine Hemmung und sie erfolgte fristgerecht.

In der Beschwerdeschrift wie im Vorlageantrag wird eingewendet, dass das Wort ‚anlässlich' in § 29 Abs. 6 FinStrG so zu interpretieren sei, dass lediglich jene Abgabenansprüche von einer Abgabenerhöhung betroffen seien, auf die sich die Prüfungsankündigung bzw. Bekanntmachung beziehe.

Im Vorlageantrag wird zudem vorgebracht, dass Abgabenerhöhungen die Anforderungen der Engel-Kriterien erfüllten und als strafrechtliche Anklage zu bewerten seien. Eine Auslegung, wonach das Wort ‚anlässlich' auch Zeiträume erfassen, die nicht in der Prüfungsankündigung enthalten gewesen seien, laufe daher Art 7 EMRK zuwider.

Zur Frage, ob eine Abgabenerhöhung eine Strafe darstelle, wurden durch das BFG bereits in und , Überlegungen angestellt, dazu ist beim Verfassungsgerichtshof eine Beschwerde zu E 210/2017 anhängig.

Einem Selbstanzeiger drohen aus der Festsetzung einer Abgabenerhöhung keine schwerwiegenden negativen Konsequenzen im Sinne einer Strafsanktion, da eine solche (anders als eine Strafe) gar nicht vollstreckbar werden kann, sondern freiwillig entrichtet wird.

Bei Festsetzung einer Abgabenerhöhung liegt auch keine Anklage iSd EMRK hinsichtlich eines Finanzvergehens vor, da der Selbstanzeiger mit dem diesbezüglichen Bescheid nicht informiert wird, dass ihm die Begehung einer Straftat angelastet werde. Vielmehr wird lediglich festgehalten, dass aufgrund seines Aktivwerdens in Form der Darlegung einer Verfehlung und seiner Geltendmachung eines Strafaufhebungsgrundes ein entstandener Nebenanspruch in einer bestimmten Höhe festgesetzt wird, womit eine Frist hinsichtlich der Verpflichtung zur Entrichtung einer Zusatzleistung neben der Schadensgutmachung zu laufen beginnt.

...

Die Einführung der Abgabenerhöhung nach § 29 Abs. 6 FinStrG verletzt auch nicht das Verbot des Zwanges sich nicht selbst beschuldigen zu müssen.

Die Darlegungsverpflichtung eines Selbstanzeigers ist in § 29 Abs. 1 FinStrG geregelt und hat durch die Normierung einer Abgabenerhöhung keine Änderung erfahren.

Aus § 29 Abs. 1 FinStrG ergibt sich, dass eine Verfehlung, die schuldhafte Begehung eines Finanzvergehens, in Form eines Anbringens des Selbstanzeigers darzulegen ist, um einen Strafaufhebungsgrund geltend zu machen.

Die Bekanntgabe einer Verfehlung ist auch nicht Gegenstand der Offenlegungs- und Wahrheitspflicht (§§ 119, 120 BAO, weil sie nicht von einer Abgabenvorschrift der BAO, sondern von einer Vorschrift des FinStrG verlangt wird, daher ist nach den Vorgaben des Finanzstrafrechts eine über abgabenrechtliche Bestimmungen hinausgehende Darlegungsverpflichtung zu einem Fehlverhalten gegeben. Nur wer vermeint straffällig geworden zu sein, kann eine Strafaufhebung anstreben.

Der Verwaltungsgerichtshof hatte zudem zu Ra 2017/16/0107 vom eine a.o. Revision zu einem Erkenntnis des BFG hinsichtlich einer Abgabenerhöhung nach § 29 Abs. 6 FinStrG zu behandeln und hatte dazu keine Einwände, dass eine Festsetzung einer Abgabenerhöhung durch die Abgabenbehörde erfolgt war und vom Bundesfinanzgericht im Rahmen eines Abgabenverfahrens und nicht im Rahmen eines Finanzstrafverfahrens ein Erkenntnis erlassen wurde.

, zweiter Rechtssatz zur Bedeutung des Wortes ‚anlässlich' in § 29 Abs. 6 FinStrG:

Die Bedeutung des Wortes ‚anlässlich' in § 29 Abs. 6 FinStrG ist nicht ident mit der Bedeutung dieses Wortes in § 29 Abs. 3 lit. c FinStrG:

Nach § 29 Abs. 3 lit. c FinStrG kann hinsichtlich der vom Prüfungsauftrag umfassten Zeiträume und Abgabenarten bei vorsätzlichen Finanzvergehen nur bei Prüfungsbeginn fristgerecht Selbstanzeige erstattet werden; durch das Wort ‚anlässlich' ergibt sich in diesem Zusammenhang, dass für nicht vom Prüfungsauftrag umfasste Zeiträume und Abgabenarten auch bei vorsätzlichen Finanzvergehen noch während einer Prüfung fristgerecht Selbstanzeige erstattet werden kann. Daher steht es in dieser Bestimmung in einem Zusammenhang mit dem Prüfungszeitraum.

Mit Schaffung des § 29 Abs. 6 FinStrG idFd FinStrG-Nov. 2014, BGBl I 2014/65 war es erklärtes Ziel des Gesetzgebers, jedwedes Taktieren bei der Erstattung von Selbstanzeigen hintanzuhalten und eine Rückkehr zur Steuerehrlichkeit bereits vor Anstoß durch die Behörde dadurch zu fördern, dass jede Selbstanzeige, die erst nach Ankündigung einer Prüfungshandlung erstattet wird, nunmehr mit einer Abgabenerhöhung als Nebenanspruch nach § 3 Abs. 2 lit. a BAO belegt wird. Das Wort ‚anlässlich' in § 29 Abs. 6 FinStrG nimmt daher keine Einschränkung auf den Prüfungszeitraum und die im Prüfungsauftrag genannten Abgaben vor.

Eine Selbstanzeige hat nach § 29 Abs. 1 FinStrG die Darlegung einer Verfehlung zu enthalten, da nur ‚hinsichtlich vorsätzlich oder grob fahrlässig begangener Finanzvergehen' eine Abgabenerhöhung nach § 29 Abs. 6 leg. cit. zu entrichten ist.

Ist als Anlass der Darlegung der Verfehlung für Zeiträume oder Abgabenarten, die nicht vom Prüfungsauftrag umfasst waren, ein Entdeckungsrisiko durch die Prüfungshandlung zu sehen, wird die Selbstanzeige auch ‚anlässlich' der Prüfung und nicht losgelöst von einer Prüfungshandlung aus eigenem Antrieb erstattet.

Ob ein Bezug zwischen Prüfungsmaßnahme und Selbstanzeigenerstattung gegeben ist, ist im Rahmen der freien Beweiswürdigung festzustellen.

Als Vergehen wurden in der Selbstanzeige die steuerfreie Auszahlung von Kilometergeldern an Mitarbeiter, obwohl diesen Personen für Dienstreisen Firmenfahrzeuge zur Verfügung gestanden seien und die Bezahlung von Überstunden zum Teil in Form von Einmalzahlungen als sonstige Bezüge, obwohl die Vergütung als laufender Bezug der Tarifbesteuerung unterlegen wäre, genannt.

...

Die Summe von EUR 295.920,95 als Verkürzungsbetrag = Mehrbetrag im Sinne des § 29 Abs. 6 FinStrG wird nur insoweit in Abrede gestellt, als nach Ansicht der Bf. der Zeitraum, für den eine Abgabenerhöhung festzusetzen ist, mit dem Prüfungszeitraum gleichzusetzen sein sollte, gegen die Berechnung und die Höhe der Summe der Mehrbeträge liegt kein Einwand vor.

Zum Wort ‚anlässlich' ist fallbezogen festzustellen:

Der Prüfungsauftrag lautete laut Prüfungsablaufdatenblatt zunächst auf die Jahre 2011 bis 2013. Die Anmeldung erfolgte am durch Frau B. Der Prüfungsbeginn ist mit , 9 Uhr angegeben. Die Selbstanzeige weist den handschriftlichen Vermerk am übernommen und am an den TL (Anmerkung = Teamleiter) übergeben auf. Am wurde nach Bekanntgabe der Einreichung einer Selbstanzeige bei Prüfungsbeginn an die Finanzstrafbehörde durch diese eine Prüfung nach § 99 Abs. 2 FinStrG angeordnet.

Der Bescheid über den Prüfungsauftrag nach § 99 Abs. 2 FinStrG betreffend die Jahre 2006 bis 2015 stammt vom .

Wenn nach Anmeldung einer Prüfung Verkürzungen durch die unrichtige Berechnung von Kilometergeldern und Prämien in einer bedeutsamen Größenordnung bei zahlreichen Personen einbekannt werden, liegt es nahe, dass dieses Vorgehen nicht erst im ersten Jahr des Prüfungszeitraumes begonnen hat. Dass die Verkürzungen lediglich auf Grund von schuldlosen Fehlberechnungen erfolgt seien, wurde im Beschwerdeverfahren nicht vorgebracht und damit das Vorliegen der subjektiven Tatseite für die bewirkten Finanzvergehen (unrichtige monatliche Meldungen bei 120 Fälligkeiten in 10 Jahren) nach § 33 Abs. 2 lit. b FinStrG oder § 49 Abs. 1 lit. a FinStrG (bei zumindest einem Täter) außer Streit gestellt.

Die Prüfung war daher nach freier Beweiswürdigung des Senates der Anlass auch für nicht vom Prüfungsauftrag umfasste Zeiträume Selbstanzeige zu erstatten, weil ein Prüfer bei Entgegennahme einer solchen Selbstanzeige den Prüfungszeitraum unzweifelhaft bei der Annahme von hinterzogenen Abgaben auf Vorzeiträume auszudehnen hatte.

Da sie somit anlässlich einer Prüfung erstattet wurde, sind die Voraussetzungen für die Festsetzung einer Abgabenerhöhung nach § 29 Abs. 6 FinStrG gegeben. Die Bemessungsgrundlage wurde richtig ermittelt und die Abgabenerhöhung nach § 29 Abs. 6 FinStrG zu Recht mit 30 % der Summe der Verkürzungsbeträge festgesetzt.

Die Beschwerde war als unbegründet abzuweisen."

4 Seinen Ausspruch über die Zulässigkeit einer Revision begründete das Verwaltungsgericht damit, zur Frage von grundsätzlicher Bedeutung, ob das Wort "anlässlich" in § 29 Abs. 6 FinStrG im Sinne der freien Beweiswürdigung durch die erkennende Abgabenbehörde und das Verwaltungsgericht auszulegen oder hinsichtlich des Anspruches auf eine Abgabenbehörde auf den Prüfungszeitraum abzustellen sei, gebe es bisher keine Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, weshalb eine ordentliche Revision zugelassen werde.

5 Gegen dieses Erkenntnis erhob die Revisionswerberin zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der mit Erkenntnis vom , E 2751/2018, aussprach, dass die Revisionswerberin durch das angefochtene Erkenntnis nicht in Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in ihren Rechten verletzt worden sei, die Beschwerde abwies und sie dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung darüber abtrat, ob die Revisionswerberin durch das angefochtene Erkenntnis in einem sonstigen Recht verletzt worden sei.

6 Tragend führte der Verfassungsgerichtshof aus:

"Die - zulässige - Beschwerde ist nicht begründet.

Der Verfassungsgerichtshof hat - entgegen dem Beschwerdevorbringen - keine Bedenken gegen die der angefochtenen Entscheidung zugrunde liegenden Rechtsvorschriften. Dies aus folgenden Gründen:

1. § 29 FinStrG sieht die Selbstanzeige als persönlichen Strafaufhebungsgrund für Finanzvergehen vor. Ein Strafaufhebungsgrund bewirkt, dass eine zunächst gegebene Strafbarkeit beseitigt wird (vgl Lässig, §29 FinStrG, in:

Höpfel/Ratz (Hrsg.), WK-StGB2, 2016, Rz 1 und §4 FinStrG, Rz 8).

Straffreiheit durch Selbstanzeige im Finanzstrafrecht wird nur erlangt, sofern sämtliche der Voraussetzungen des § 29 FinStrG erfüllt sind. § 29 FinStrG idF BGBl I 65/2014 stellt einerseits inhaltliche sowie andererseits zeitliche Anforderungen an die Selbstanzeige:

Der Anzeiger hat die Verfehlung in seiner Selbstanzeige darzulegen (§ 29 Abs 1 erster Satz FinStrG), die Umstände zur Feststellung der Beträge bei einer Abgabenverkürzung oder einem Einnahmenausfall offenzulegen (§ 29 Abs 2 erster Satz FinStrG) und die entsprechenden Abgabenbeträge innerhalb eines Monats ab der Selbstanzeige bzw ab Bekanntgabe durch die Behörde (§ 29 Abs 2 erster und zweiter Satz FinStrG) zu entrichten. Darüber hinaus wirkt die Selbstanzeige nur dann strafbefreiend, wenn sie bei der zuständigen Behörde (§ 29 Abs 1 zweiter Satz FinStrG) eingebracht wurde.

Unter dem Gesichtspunkt der Rechtzeitigkeit legt § 29 Abs 3 (und Abs 1 dritter Satz) FinStrG fest, bis zu welchem Zeitpunkt eine Selbstanzeige strafbefreiend erfolgen kann. Demgemäß kommt die Strafaufhebung durch eine Selbstanzeige nach § 29 FinStrG nicht zum Tragen, wenn der Täter auf frischer Tat ertappt wird (Abs 1 dritter Satz leg.cit.); wenn bereits Verfolgungshandlungen gegen den Anzeiger, andere Beteiligte oder Hehler gesetzt waren (Abs 3 lit a leg.cit.); wenn die Tat bereits (auch nur teilweise) entdeckt war (oder dies bei zollrechtlichen Verpflichtungen unmittelbar bevorstand) und dies dem Anzeiger bekannt war (Abs 3 lit b leg.cit.); oder wenn bereits hinsichtlich desselben Abgabenanspruches Selbstanzeige erstattet wurde (Abs 3 lit d leg.cit.).

§ 29 FinStrG lässt es grundsätzlich zu, dass

(strafbefreiende) Selbstanzeigen auch erst aus Anlass der Ankündigung oder sonstigen Bekanntgabe einer finanzbehördlichen Nachschau, Beschau, Abfertigung oder Prüfung von Büchern oder Aufzeichnungen erstattet werden. Für vorsätzlich begangene Finanzvergehen sieht § 29 Abs 3 FinStrG jedoch die zeitliche Einschränkung vor, dass die Selbstanzeige nicht später als bei Beginn der Amtshandlung zu erstatten ist (Abs 3 lit c leg.cit.). Für fahrlässig begangene Finanzvergehen gilt die Selbstanzeige (im Umkehrschluss) auch nach Beginn der Amtstätigkeit - sofern kein anderer Ausschlussgrund des § 29 Abs 3 (oder Abs 1 dritter Satz) FinStrG vorliegt - als rechtzeitig.

2. § 29 Abs 6 FinStrG sieht für Selbstanzeigen von vorsätzlich oder grob fahrlässig begangenen Finanzvergehen anlässlich einer finanzbehördlichen Nachschau, Beschau, Abfertigung oder Prüfung von Büchern oder Aufzeichnungen folgende weitere Voraussetzung für deren strafbefreiende Wirkung vor: ...

3. Die Abgabenerhöhung gemäß § 29 Abs 6 FinStrG wurde als (weitere) Voraussetzung für Selbstanzeigen, die anlässlich einer finanzbehördlichen Nachschau, Beschau, Abfertigung oder Prüfung von Büchern oder Aufzeichnungen nach deren Anmeldung oder sonstigen Bekanntgabe erstattet werden, im Zuge der Finanzstrafgesetznovelle 2014 mit BGBl I 65/2014 in das Regelungsregime des Strafaufhebungsgrundes der Selbstanzeige im Finanzstrafrecht eingeführt. Zuvor konnten Selbstanzeigen anlässlich der Ankündigung oder sonstigen Bekanntgabe einer finanzbehördlichen Nachschau, Beschau, Abfertigung oder Prüfung von Büchern oder Aufzeichnungen ohne Abgabenerhöhung - das Vorliegen der übrigen Anforderungen vorausgesetzt - strafbefreiend erstattet werden (§ 29 FinStrG idF vor BGBl I 65/2014). Eine Abgabenerhöhung von 25% war lediglich bei wiederholter Selbstanzeige vorgesehen (§ 29 Abs 6 FinStrG idF vor BGBl I 65/2014).

Im Zuge der Finanzstrafgesetznovelle 2014, BGBl I 65/2014, wurde die Möglichkeit, erneut eine Selbstanzeige betreffend denselben Abgabenanspruch zu erstatten, ausgeschlossen (§ 29 Abs3 litd FinStrG idF BGBl I 65/2014); die bisher in § 29 Abs6 FinStrG mit der Finanzstrafgesetznovelle 2010, BGBl I 104/2010, vorgesehene Abgabenerhöhung von 25% bei wiederholter Selbstanzeige ist entfallen. Neu hinzugekommen ist die dargelegte Abgabenerhöhung bei Selbstanzeigen hinsichtlich vorsätzlich oder grob fahrlässig begangener Finanzvergehen, die anlässlich einer finanzbehördlichen Prüfung erstattet werden (§ 29 Abs6 FinStrG idF BGBl I 65/2014).

Ziel der Einführung der Abgabenerhöhung iSd § 29 Abs 6 FinStrG idF BGBl I 65/2014 war die Senkung der Anzahl von Selbstanzeigen für vorsätzlich oder grob fahrlässig begangene Finanzdelikte anlässlich von Prüfungsmaßnahmen (AB 191 BlgNR 25. GP, 1). Es erschien dem Gesetzgeber - so die Materialien - nach der alten Rechtslage nicht gerechtfertigt, Selbstanzeigen, die zu einem Zeitpunkt erstattet werden, in dem bei verständiger Würdigung der Sachlage mit der Tatentdeckung gerechnet werden müsse, ohne zusätzliche Leistung strafbefreiende Wirkung zukommen zu lassen. Aus diesem Grund sollte Selbstanzeigen, die anlässlich von finanzbehördlichen Überprüfungen erstattet werden, die strafbefreiende Wirkung nur mehr bei Entrichtung eines Zuschlages der verkürzten Abgabe zuerkannt werden (Erläut zur RV 177 BlgNR 25. GP, 1).

Gemäß § 265 Abs 1w FinStrG tritt § 29 Abs 6 FinStrG idF BGBl I 65/2014 mit in Kraft und gilt für Selbstanzeigen, die nach dem erstattet werden.

4. Die vorliegende Beschwerde rügt die Verfassungswidrigkeit der Bestimmungen über die Abgabenerhöhung bei Selbstanzeigen iSd § 29 Abs 6 FinStrG idF BGBl I 65/2014 und begründet die Bedenken im Wesentlichen damit, dass es wegen der Übergangsbestimmung in § 265 Abs 1w FinStrG zu einer Art 7 EMRK (sowie § 4 FinStrG) widersprechenden Rückwirkung von materiell-rechtlichen Strafbestimmungen komme. Die aus § 265 Abs 1w FinStrG folgende Anwendung der Abgabenerhöhung gemäß § 29 Abs 6 FinStrG idF BGBl I 65/2014 auf Finanzvergehen, die vor der Kundmachung des BGBl I 65/2014 am begangen wurden, verstoße gegen das Rückwirkungsverbot gemäß Art 7 EMRK.

5. Der Verfassungsgerichtshof teilt die Bedenken der beschwerdeführenden Partei aus Sicht des Art 7 EMRK nicht. Dies aus folgenden Gründen:

5.1. Nach Art 7 Abs 1 EMRK kann niemand wegen einer Handlung oder Unterlassung verurteilt werden, die zur Zeit ihrer Begehung nach inländischem oder internationalem Recht nicht strafbar war. Ebenso darf keine höhere Strafe als die im Zeitpunkt der Begehung der strafbaren Handlung angedrohte Strafe verhängt werden (siehe bereits VfSlg 8087/1977, 8195/1977, 11.776/1988; zB auch VfSlg 19.920/2014).

Das aus Art 7 EMRK abgeleitete Rückwirkungsverbot strengerer Strafgesetze ist nur auf Bestimmungen anwendbar, die Straftaten und die jeweils drohende Strafe festlegen. Bestimmungen, die keinen materiell-strafrechtlichen Inhalt aufweisen, sind hingegen nicht vom Schutzbereich des Art 7 EMRK erfasst (Grabenwarter/Pabel, Europäische Menschenrechtskonvention6, 2016, § 24 Rz 147;  ua).

5.2. Im Hinblick auf § 29 FinStrG kann dahingestellt bleiben, ob es sich bei der Regelung des Strafaufhebungsgrundes der Selbstanzeige um eine materiell-strafrechtliche Bestimmung im Schutzbereich des Art 7 EMRK handelt, zumal die Einführung des § 29 Abs 6 FinStrG iVm § 265 Abs 1w FinStrG mit BGBl I 65/2014 - anders als dies die beschwerdeführende Partei meint - keine rückwirkende Abgabenerhöhung für Selbstanzeigen von Finanzvergehen bewirkt:

Gemäß § 265 Abs 1w FinStrG tritt das zusätzliche Erfordernis der Entrichtung eines Abgabenerhöhungsbetrages nach § 29 Abs 6 FinStrG mit in Kraft und gilt für ab dem erstattete Selbstanzeigen. Die Abgabenerhöhung ist daher nicht auf bereits vor Inkrafttreten des § 29 Abs 6 FinStrG erstattete Selbstanzeigen anwendbar.

5.3.  Soweit die beschwerdeführende Partei eine Rückwirkung darin erblickt, dass die Abgabenerhöhung gemäß § 29 Abs 6 iVm § 265 Abs 1w FinStrG idF BGBl I 65/2014 auf Selbstanzeigen von Finanzvergehen anzuwenden ist, die vor Inkrafttreten der Novelle BGBl I 65/2014 begangen wurden, teilt der Verfassungsgerichtshof diese Rechtsauffassung nicht. § 29 (Abs 6) FinStrG regelt, unter welchen Voraussetzungen das Nachtatverhalten strafbefreiend wirkt. Dies ist von Regelungen zum Sachverhalt der Tatbegehung - wie etwa betreffend der objektiven und subjektiven Tatseite eines (Finanz-)Deliktes, Rechtfertigungsgründe oder Schuldausschließungsgründe - zu trennen.

Es liegt in der Rechtsnatur des Strafaufhebungsgrundes der Selbstanzeige, dass dieser seine Rechtswirkung nicht im Tatzeitpunkt, sondern erst nach Verwirklichung der Tat - vorliegend im Zeitpunkt, in dem sich der Täter zur Erstattung einer Selbstanzeige gemäß § 29 FinStrG entschließt - entfaltet. Die zunächst gegebene Strafbarkeit eines Finanzvergehens wird zu einem späteren Zeitpunkt - etwa durch Verjährung (§ 31 FinStrG) oder durch ein bestimmtes Nachtatverhalten (§§ 29, 30, 30a FinStrG) - beseitigt (vgl Lässig, aaO, § 4 Rz 8; § 29 Rz 1).

Die Frage des Günstigkeitsvergleichs nach Art 7 EMRK - dessen Anwendbarkeit im konkreten Fall vorausgesetzt - stellte sich im Hinblick auf § 29 FinStrG nur dann, wenn das (nach der alten Rechtslage günstiger behandelte) Nachtatverhalten bereits gesetzt wurde und nach Inkrafttreten der Gesetzesänderung rückwirkend strengeren Anforderungen unterworfen wird (vgl im Hinblick auf die Verjährung OGH RS0116876; Lässig, aaO, § 4 Rz 8 mwN; siehe in diese Richtung bereits VfSlg 9382/1982). Eine solche Rückwirkung des § 29 Abs 6 FinStrG idF BGBl I 65/2014 auf bereits gesetztes Nachtatverhalten liegt jedoch nicht vor, weil die Regelung des § 29 Abs 6 FinStrG auf vor deren Inkrafttreten am bereits erstattete Selbstanzeigen nicht anwendbar ist.

5.4. Ein Widerspruch des § 265 Abs 1w und § 29 Abs 6 FinStrG idF BGBl I 65/2014 zu Art 7 EMRK liegt sohin nicht vor.

6. Der Verfassungsgerichtshof hegt auch aus Sicht des Art 6 EMRK keine Bedenken gegen § 29 FinStrG idF BGBl I 65/2014.

6.1. Art 6 EMRK gewährleistet ein Justiz- und Verfahrensgrundrecht, dessen Anwendungsbereich auf Verfahren über zivilrechtliche Ansprüche oder die Stichhaltigkeit einer strafrechtlichen Anklage begrenzt ist.

Die Verfahrensgarantien des Art 6 EMRK beziehen sich nicht auf die Erstattung einer Selbstanzeige gemäß § 29 FinStrG: In dem von § 29 FinStrG geregelten Tatbestand der Darlegung eines Finanzvergehens durch den Täter selbst (oder für ihn mit seiner Zustimmung iSd § 29 Abs 5 FinStrG) wird ein (gerichtliches oder behördliches) Verfahren gegen den Täter oder an der Tat Beteiligte gerade nicht geführt. § 29 FinStrG verlangt vielmehr unter dem Gesichtspunkt der Rechtzeitigkeit der Selbstanzeige, dass (noch) kein (finanz-)strafrechtliches Verfahren - eine Verfolgungshandlung iSd § 29 Abs 3 lit a iVm § 14 Abs 3 FinStrG - eingeleitet wurde (siehe Punkt III.1.).

Gleiches gilt für Selbstanzeigen gemäß § 29 Abs 6 FinStrG, die aus Anlass der Bekanntgabe einer behördlichen Überprüfung erfolgen und für die das Erfordernis der Entrichtung einer Abgabenerhöhung vorgesehen ist. Der Abgabenerhöhungsbetrag bestimmt sich anhand der vom Anzeiger selbst - noch vor Einleitung eines finanzbehördlichen Strafverfahrens - zur Anzeige gebrachten Abgabenbeträge (Mehrbeträge). Durch die rechtzeitige Entrichtung der Abgabenerhöhung und unter den übrigen Voraussetzungen des § 29 FinStrG (siehe Punkt III.2.) beseitigt der Anzeiger die Strafbarkeit der von ihm zur (Selbst-)Anzeige gebrachten Finanzvergehen, bevor eine Verfolgungshandlung iSd § 29 Abs 3 lit a iVm § 14 Abs 3 FinStrG gesetzt wurde. Die Garantien des Art 6 EMRK beziehen sich daher auch nicht auf die Selbstanzeige anlässlich der Bekanntgabe einer finanzbehördlichen Überprüfung gemäß § 29 Abs 6 FinStrG vor einem (finanz-)strafrechtlichen Verfahren.

6.2. Es ist für den Verfassungsgerichtshof auch sonst nicht erkennbar, dass der Gesetzgeber den ihm bei der Ausgestaltung von Strafaufhebungsgründen im Finanzstrafrecht zukommenden weiten rechtspolitischen Gestaltungsspielraum überschritten hat (vgl zuletzt ). Die Regelung des § 29 Abs 6 FinStrG stellt sich weder im Hinblick auf die Bemessung der Abgabenerhöhung als überschießend (vgl dazu VfSlg 10.517/1985, 10.617/1985, 10.903/1986) noch hinsichtlich dessen Adressatenkreis als gleichheitswidrig dar.

Mit den in § 29 Abs 6 zweiter Satz FinStrG vorgesehenen Prozentsätzen hat der Gesetzgeber eine hinreichend differenzierte Regelung geschaffen, die sich in die Systematik des § 29 FinStrG einfügt. Der Gesetzgeber hat einen gestaffelten Zuschlag vorgesehen, der sich nach den von der Selbstanzeige umfassten Abgabenverkürzungen berechnet. Der für den Höchstzuschlag von 30% bestimmte Schwellenbetrag von Mehrbeträgen über EUR 250.000,-- steht im Einklang mit den dem § 39 Abs 3 lit b FinStrG betreffend den qualifizierten Abgabenbetrug zugrunde liegenden Wertungen (vgl Erläut zur RV 177 BlgNR 25. GP, 1).

Die Höhe der Abgabenerhöhung knüpft sohin an die vom Anzeiger in seiner Selbstanzeige offengelegten Mehrbeträge. Es ist dem Gesetzgeber in dieser Hinsicht nicht entgegenzutreten, wenn er die jeweils zur Anwendung kommenden Prozentsätze von 5%, 15%, 20% oder 30% abhängig vom zur Anzeige gebrachten verkürzten Abgabenbetrag unterschiedlich regelt.

Es ist aus Sicht des Gleichheitsgrundsatzes verfassungsrechtlich ebenso wenig zu beanstanden, dass § 29 Abs 6 FinStrG die Abgabenerhöhung für die Selbstanzeige von vorsätzlich und grob fahrlässig begangenen Finanzvergehen gleichermaßen einbezieht und hinsichtlich der vorgesehen Prozentsätze nicht auf die Schuld des Selbstanzeigers abstellt. Dies ist vor dem Hintergrund zu sehen, dass die Abgabenerhöhung gemäß § 29 Abs 6 FinStrG keine Bestrafung darstellt, die eine Unterscheidung dieser Tätergruppen bedingte:

Die Abgabenerhöhung trägt dem Umstand Rechnung, dass sich der Täter in den Fällen des § 29 Abs 6 erster Halbsatz FinStrG - anders als in den übrigen Fällen, in denen Straffreiheit durch Selbstanzeige gemäß § 29 FinStrG erlangt wird - erst nach der finanzbehördlichen Ankündigung zur Selbstanzeige veranlasst sieht. Die in § 29 Abs 6 FinStrG vorgesehene Abgabenerhöhung soll dahingehend wirken, mit der Selbstanzeige von vorsätzlich und grob fahrlässig begangenen Finanzvergehen nicht erst bis zur (Ankündigung der) finanzbehördlichen Überprüfung zuzuwarten. Die Abgabenerhöhung schafft einen Anreiz, Selbstanzeigen bereits frühzeitig, ohne konkreten Anlass einer behördlichen Überprüfung, zu erstatten.

Im Rahmen der finanzbehördlichen Feststellung des Abgabenerhöhungsbetrages bei einer Selbstanzeige gemäß § 29 Abs 6 FinStrG wird - im Unterschied zur Verhängung einer Strafe im (Finanz-)Strafverfahren - kein Verschulden des Anzeigers festgestellt; die Schuld wird mit der Selbstanzeige gemäß § 29 FinStrG aufgehoben und die Strafbarkeit beseitigt. Es steht dem Gesetzgeber bei der Regelung des Strafaufhebungsgrundes frei, diesen ohne Bedachtnahme auf das Verschulden des Selbstanzeigers für das freiwillig zur Anzeige gebrachte Finanzvergehen vorzusehen."

7 In der sodann erhobenen Revision erachtet sich die Revisionswerberin in ihrem Recht auf Erlangung strafbefreiender Wirkung ohne Festsetzung einer Abgabenerhöhung nach § 29 Abs. 6 FinStrG infolge des Günstigkeitsvergleichs nach § 4 Abs. 2 FinStrG und auf Erlangung strafbefreiender Wirkung ohne Festsetzung einer Abgabenerhöhung nach § 29 Abs. 6 FinStrG für nicht angekündigte Prüfungszeiträume verletzt.

Die Zulässigkeit ihrer Revision legt sie unter Hinweis auf die Begründung des Verwaltungsgerichtes zu einem Ausspruch darin dar, eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung liege schon deshalb vor, weil es weder zur Anwendung des § 29 Abs. 6 FinStrG im Hinblick auf nicht angekündigte Prüfungszeiträume noch zur Anwendung des Günstigkeitsvergleichs nach § 4 Abs. 2 FinStrG auf Abgabenerhöhung im Sinn des § 29 Abs. 6 FinStrG höchstgerichtliche Rechtsprechung gebe. Vor dem Hintergrund - nach Geschäftszahlen zitierter - divergierender Rechtsprechung des Bundesfinanzgerichtes sowie fehlender "höchstgerichtlicher" Rechtsprechung liege eine über den Einzelfall hinausgehende Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung vor.

Die inhaltliche Rechtswidrigkeit erblickt die Revisionswerberin zusammengefasst in einem Verstoß gegen § 4 Abs. 2 FinStrG, der, im Gegensatz zu Art. 7 EMRK, keinen Spielraum biete. Der Zeitpunkt der Erstattung der Selbstanzeige sei nicht Teil des strafrechtlichen Handlungszeitpunktes. Folglich sei die Rechtslage zum Zeitpunkt der Erstattung der Selbstanzeige nicht als Tatzeit oder Tatzeitpunkt in den Günstigkeitsvergleich miteinzubeziehen. Das Recht zum Zeitpunkt der Selbstanzeige habe nach § 4 FinStrG keine Relevanz. Als Tatzeitpunkt sei im gegenständlichen Fall jeweils auf die zu niedrige Entrichtung der Lohnabgaben abzustellen und nach § 4 Abs. 2 FinStrG ein Vergleich zwischen der Rechtslage zum Tatzeitpunkt und jener im Zeitpunkt der Vorschreibung der Abgabenerhöhung anzustellen. Bezogen auf den jeweiligen Tatzeitpunkt hätte somit für verkürzte Lohnabgaben bis zum Tatzeitpunktablauf keine Vorschreibung einer Abgabenerhöhung erfolgen dürfen.

8 Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichtes lasse sich aus dem Wortlaut des § 29 Abs. 6 FinStrG nicht ableiten, dass sämtliche Abgabenmehrbeträge - auch für nicht angekündigte Prüfungszeiträume - vom Anwendungsbereich der Abgabenerhöhung erfasst seien. Der Begriff "anlässlich" § 29 Abs. 6 FinStrG lasse keine Rückschlüsse auf den Umfang der erfassten Mehrbeträge zu, bei jeder Selbstanzeige, die nach Anmeldung oder sonstiger Bekanntgabe einer Prüfung eingereicht werde, logisch zwingend auch "anlässlich" einer Prüfung erstattet werde. Dem Begriff "anlässlich" komme keine Abgrenzungsfunktion zu. § 29 Abs. 6 FinStrG spreche nur jene Prüfungsmaßnahmen an, die angemeldet oder sonst bekannt gegeben worden seien. Sowohl § 29 Abs. 6 erster Satz als auch zweiter Satz FinStrG stellten auf Selbstanzeigen ab und verwendeten - abweichend von den übrigen Regelungen in § 29 FinStrG den Plural. Werde Selbstanzeige für mehrere Finanzvergehen erstattet, lägen somit mehrere Selbstanzeigen vor. Es dürften daher nur die Mehrbeträge jener Selbstanzeigen zusammengezählt werden, für die es eine Prüfungsankündigung oder sonstige Bekanntgabe gegeben habe.

9 Mit Beschluss vom stellte das Verwaltungsgericht der vor ihm belangten Behörde und dem Bundesminister für Finanzen je eine Ausfertigung der ordentlichen Revision zu; Revisionsbeantwortungen wurden nicht erstattet.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem nach § 12 Abs. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

10 Die Zulässigkeit der Revision ist im Hinblick auf ein Fehlen von Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage der Maßgeblichkeit des angekündigten Prüfungszeitraumes für die Abgabenerhöhung nach § 29 Abs. 6 FinStrG in der Fassung der Finanzstrafgesetz-Novelle 2014, BGBl. I Nr. 65, gegeben.

11 Die Finanzstrafgesetz-Novelle 2010, BGBl. I Nr. 104, fügte § 29 FinStrG einen Abs. 6 an, der die strafbefreiende Wirkung einer weiteren Selbstanzeige für den selben Abgabenanspruch von der zusätzlichen Entrichtung einer Abgabenerhöhung abhängig machte. Damit sollten potentielle Selbstanzeiger dazu angeregt werden, eine vollständige Offenlegung ihrer Verfehlungen bereits bei der ersten Selbstanzeige vorzunehmen (vgl. die ErläutRV 874 BlgNR XXIV. GP, 8).

Mit der Finanzstrafgesetz-Novelle 2014, FinStrG-Novelle 2014, erhielt § 29 Abs. 6 folgende Fassung:

"(6) Werden Selbstanzeigen anlässlich einer finanzbehördlichen Nachschau, Beschau, Abfertigung oder Prüfung von Büchern oder Aufzeichnungen nach deren Anmeldung oder sonstigen Bekanntgabe erstattet, tritt strafbefreiende Wirkung hinsichtlich vorsätzlich oder grob fahrlässig begangener Finanzvergehen nur unter der weiteren Voraussetzung insoweit ein, als auch eine mit einem Bescheid der Abgabenbehörde festzusetzende Abgabenerhöhung unter sinngemäßer Anwendung des Abs. 2 entrichtet wird. Die Abgabenerhöhung beträgt 5 % der Summe der sich aus den Selbstanzeigen ergebenden Mehrbeträgen. Übersteigt die Summe der Mehrbeträge 33 000 Euro, ist die Abgabenerhöhung mit 15 %,

übersteigt die Summe der Mehrbeträge 100 000 Euro, mit 20 % und

übersteigt die Summe der Mehrbeträge 250 000 Euro, mit 30 % zu bemessen. Insoweit Straffreiheit nicht eintritt, entfällt die Verpflichtung zur Entrichtung der Abgabenerhöhung, dennoch entrichtete Beträge sind gutzuschreiben. Die Abgabenerhöhung gilt als Nebenanspruch im Sinne des § 3 Abs. 2 lit. a BAO."

12 Gemäß § 265 Abs. 1w leg.cit., angefügt durch die FinStrG-Novelle 2014, traten § 29 Abs. 3 und 6 mit in Kraft. § 29 in der Fassung dieser Novelle ist auf Selbstanzeigen, die nach dem erstattet werden, anzuwenden.

13 Die ErläutRV zur FinStrG-Novelle 2014, 177 BlgNR XXV. GP 1, führen zu § 29 Abs. 6 und § 265 Abs. 1w FinStrG aus:

"Es erscheint nicht gerechtfertigt, Selbstanzeigen, die zu einem Zeitpunkt erstattet werden, in dem bei verständiger Würdigung der Sachlage mit der Tatentdeckung gerechnet werden muss, ohne zusätzliche Leistung strafbefreiende Wirkung zukommen zu lassen. Daher soll Selbstanzeigen, die anlässlich von finanzbehördlichen Nachschauen, Beschauen, Abfertigungen oder Prüfungen von Büchern oder Aufzeichnungen erstattet werden, die strafbefreiende Wirkung nur mehr bei Entrichtung eines Zuschlages der verkürzten Abgaben zuzuerkennen. Dieser Zuschlag soll je nach Höhe der von der Selbstanzeige umfassten Abgabenverkürzung gestaffelt festgesetzt werden. Die Betragsgrenzen orientieren sich an den jeweiligen Wertgrenzen für die Zuständigkeit des Spruchsenates oder des Gerichtes. Der höchste Zuschlagssatz soll bei Verkürzungen über der Wertgrenze für Abgabenbetrug mit mehr als dreijähriger Freiheitsstrafdrohung zur Anwendung kommen. Im Falle bloß leichter Fahrlässigkeit soll kein Zuschlag als Voraussetzung für die Strafbefreiung zu entrichten sein. Eine Selbstanzeige wird jedenfalls dann als anlässlich einer solchen Amtshandlung erstattet, wenn diese bereits angekündigt war oder sonst bekanntgegeben worden ist. Die neue Rechtslage ist auf alle nach dem erstatteten Selbstanzeigen anzuwenden."

14 §§ 144 und 146 BAO treffen Bestimmungen über die Nachschau durch Abgabenbehörden, §§ 147 ff enthalten Bestimmungen über Außenprüfungen durch Abgabenbehörden.

Gemäß § 148 Abs. 1 BAO haben sich die von der Abgabenbehörde mit der Vornahme von Außenprüfungen beauftragten Organe zu Beginn der Amtshandlung unaufgefordert über ihre Person auszuweisen und den Auftrag der Abgabenbehörde auf Vornahme der Prüfung (Prüfungsauftrag) vorzuweisen.

Gemäß Abs. 5 leg.cit. sind Außenprüfungen dem Abgabepflichtigen oder seinem Bevollmächtigten tunlichst eine Woche vorher anzukündigen, sofern hiedurch der Prüfungszweck nicht vereitelt wird.

15 Gemäß § 99 Abs. 2 FinStrG ist die Finanzstrafbehörde auch befugt, zur Klärung des Sachverhaltes Nachschauen und Prüfungen im Sinne der Abgaben- oder Monopolvorschriften anzuordnen. Die einschränkenden Bestimmungen des § 148 Abs. 3 und 5 BAO gelten für solche Prüfungen nicht.

16 Die vorliegende Revision wendet sich nur insofern gegen die Höhe der Abgabenerhöhung, als sie diese nur für die von der "Ankündigung" von Oktober 2016 erfassten Zeiträume als gerechtfertigt erachtet, nicht jedoch für die darüber hinausgehenden.

Die Revision sieht die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Erkenntnisses zunächst in einem Verstoß gegen § 4 Abs. 2 FinStrG, der sich im Wortlaut und im Anwendungsbereich von Art. 7 EMRK unterscheide, weshalb § 29 Abs. 6 FinStrG in der Fassung der Finanzstrafgesetz-Novelle 2014 erst für die Tatzeitpunkte nach dem zur Anwendung gelangen dürfte.

17 Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 265 Abs. 1w FinStrG trat u.a. § 29 Abs. 6 mit in Kraft und ist § 29 in der Fassung der FinStrG-Novelle 2014 auf Selbstanzeigen anzuwenden, die nach dem erstattet werden. Damit bestimmt § 265 Abs. 1w FinStrG eindeutig - und als lex specialis und lex posterior gegenüber § 4 Abs. 2 FinStrG - den zeitlichen Bedingungsbereich des § 29 Abs. 6 FinStrG in der Fassung der FinStrG-Novelle 2014 für stafbefreiend wirkende Selbstanzeigen mit dem Zeitraum nach dem . Wie der Verfassungsgerichtshof im zitierten Erkenntnis vom näher ausführte, obwalten auch keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen § 265 Abs. 1w und § 29 Abs. 6 FinStrG in der Fassung der FinStrG-Novelle 2014 und einem Verständnis in besagtem Sinn.

Schon im Hinblick auf den eindeutigen Wortlaut des § 265 Abs. 1w FinStrG ist daher für die Frage der strafbefreienden Wirkung der in Rede stehenden Selbstanzeige vom § 29 Abs. 6 FinStrG in der Fassung der FinStrG-Novelle 2014 maßgeblich.

18 Entgegen der Revision ist auch aus der Verwendung des Plurals "Selbstanzeigen" in § 29 Abs. 6 FinStrG nicht die Unanwendbarkeit dieser Bestimmung auf den revisionsgegenständlichen

Fall abzuleiten. Wie die zitierten ErläutRV zur FinStrG-Novelle 2014 verdeutlichen, sollte generell Selbstanzeigen, die erst zu einem Zeitpunkt erstattet werden, in dem bei verständiger Würdigung der Sachlage mit der Tatentdeckung gerechnet werden muss, ohne zusätzliche Leistung keine strafbefreiende Wirkung mehr zukommen. Auch der Verfassungsgerichtshof sah die Zielrichtung des § 29 Abs. 6 FinStrG dahin, mit der Selbstanzeige von vorsätzlich oder grob fahrlässig begangenen Finanzvergehen nicht erst bis zur (Ankündigung der) finanzbehördlichen Überprüfung zuzuwarten. Die Abgabenerhöhung schaffe einen Anreiz, Selbstanzeigen bereits frühzeitig, ohne konkreten Anlass einer behördlichen Überprüfung, zu erstatten.

19 Die vollumfängliche Erfassung aller von der revisionsgegenständlichen Selbstanzeige vom abgedeckten Zeiträume und Abgaben bei der Festsetzung der Abgabenerhöhung nach § 29 Abs. 6 FinStrG in der Fassung der FinStrG-Novelle 2014 ist daher vom Telos der Novelle gedeckt. Somit waren die Abgabenbehörde und das Bundesfinanzgericht bei der Bemessung der Abgabenerhöhung nach § 29 Abs. 6 FinStrG in der Fassung der FinStrG-Novelle 2014 weder auf den Zeitraum ab dem In-Kraft-Treten dieser Novelle noch auf jenen in der Ankündigung vom Oktober 2016 beschränkt, sondern konnten prüfen, ob der Bemessung der Abgabenerhöhung sämtliche während des gesamten Zeitraumes der Selbstanzeige verkürzten Abgabenbeträge - die Höhe der einzelnen verkürzten Abgabenbeträge ist nicht strittig - zugrunde zu legen seien, weil die Selbstanzeige auch insoweit anlässlich der angekündigten Außenprüfung erstattet worden sei. Dass dies im Revisionsfall zutrifft, hat das Bundesfinanzgericht schlüssig begründet.

20 Die Revision ist daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Wien, am

Zusatzinformationen


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Normen
Schlagworte
Anzuwendendes Recht Maßgebende Rechtslage VwRallg2
ECLI
ECLI:AT:VWGH:2019:RO2019160003.J00
Datenquelle

Fundstelle(n):
YAAAF-48193