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VwGH vom 22.10.2015, Ro 2015/15/0035

VwGH vom 22.10.2015, Ro 2015/15/0035

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zorn und die Hofrätin Dr. Büsser sowie die Hofräte Mag. Dr. Köller, MMag. Maislinger und Mag. Novak als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Tanzer, über die Revision des Finanzamtes Linz in 4020 Linz, Bahnhofplatz 7, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom , Zl. RV/5100223/2012, betreffend Umsatzsteuer 2010 (mitbeteiligte Parteien: S und A K in N), zu Recht erkannt:

Spruch

Die Revision wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

Mit Bescheid des Finanzamtes vom (gemäß § 293 BAO berichtigt mit Bescheid vom ) wurde die Umsatzsteuer für den Zeitraum 10-12/2010 festgesetzt. Begründend führte das Finanzamt aus, die Festsetzung sei unter Zugrundelegung der Feststellungen der abgabenbehördlichen Prüfung, die der darüber aufgenommenen Niederschrift bzw. dem Prüfungsbericht zu entnehmen seien, erfolgt.

Die Mitbeteiligten erhoben gegen diesen Bescheid Berufung. Am legte das Finanzamt - ohne eine Berufungsvorentscheidung zu erlassen - die Berufung dem (damaligen) unabhängigen Finanzsenat zur Entscheidung vor.

Mit Bescheid vom setzte das Finanzamt die Umsatzsteuer für das Jahr 2010 fest. In der Begründung wurde darauf verwiesen, dass die Veranlagung unter Zugrundelegung der mit den Mitbeteiligten bzw. ihrem Vertreter aufgenommenen Niederschrift bzw. unter Zugrundelegung der Ergebnisse des Vorhalteverfahrens erfolgt sei. Weiters wurde angeführt, die Beschwerde gegen den Bescheid vom gelte gemäß "§ 274 BAO" als Beschwerde gegen den Jahresbescheid.

Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Bundesfinanzgericht der (eingeschränkten) Beschwerde Folge und setzte die Umsatzsteuer für das Jahr 2010 fest. Es erklärte die Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG als zulässig.

Das Bundesfinanzgericht führte - soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung - aus, entgegen der Ansicht von Ritz (taxlex 2015, 111) liege eine Aufhebung oder Abänderung iSd § 300 BAO nur dann vor, wenn das Finanzamt einen gegenteiligen Akt zur Erlassung setze, also genau jenen Bescheid aufhebe oder abändere, den es ursprünglich erlassen habe. Mit Erlassung eines Jahresbescheides setze das Finanzamt hingegen keinen derartigen gegenteiligen Akt (Hinweis auf Rauscher , SWK 2014, 1416). Sei eine Revision gegen eine Entscheidung über eine Beschwerde gegen eine Umsatzsteuerfestsetzung anhängig, dürfe sehr wohl ein Jahresbescheid erlassen werden. Auch wenn der Verwaltungsgerichtshof keine meritorische Entscheidung fällen dürfe, werde damit dennoch in die Entscheidungskompetenz des Verwaltungsgerichtshofes eingegriffen. Wenn nun die Erlassung eines Jahresbescheides sogar bei anhängiger Revision zulässig sei, wäre es nicht konsequent, die Erlassung eines Jahresbescheides bei einer beim Bundesfinanzgericht anhängigen Beschwerde als unzulässig bzw. als Nichtakt einzustufen. Da der Jahresbescheid somit kein Nichtakt sei, gelte die Beschwerde gegen die Festsetzung gemäß § 253 BAO als auch gegen den Jahresbescheid gerichtet. Gemäß § 323 Abs. 42 BAO sei das Bundesfinanzgericht im vorliegenden Fall auch dann zuständig, wenn vorher keine Berufungsvorentscheidung erlassen worden sei. Durch die Erlassung des Jahresbescheides entstehe auch keine "Doppelzuständigkeit".

Gegen dieses Erkenntnis wendet sich die ordentliche Revision des Finanzamtes. Das Finanzamt macht ausschließlich ("alleiniger Anfechtungspunkt") geltend, dem Umsatzsteuerbescheid 2010 komme keine Bescheidqualität zu, weil er während des beim Bundesfinanzgericht anhängigen Beschwerdeverfahrens gegen den Umsatzsteuerfestsetzungsbescheid für 10-12/2010 erlassen worden sei.

Die Mitbeteiligten haben sich am Revisionsverfahren nicht beteiligt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 21 Abs. 1 UStG 1994 hat der Unternehmer spätestens am 15. Tag (Fälligkeitstag) des auf einen Kalendermonat (Voranmeldungszeitraum) zweitfolgenden Kalendermonates eine Voranmeldung bei dem für die Einhebung der Umsatzsteuer zuständigen Finanzamt einzureichen, in der er die für den Voranmeldungszeitraum zu entrichtende Steuer (Vorauszahlung) oder den auf diesen Zeitraum entfallenden Überschuss selbst zu berechnen hat.

Nach § 21 Abs. 3 UStG 1994 hat das Finanzamt die Steuer festzusetzen, wenn der Unternehmer die Einreichung der Voranmeldung pflichtwidrig unterlässt oder wenn sich die Voranmeldung als unvollständig oder die Selbstberechnung als nicht richtig erweist. Eine Festsetzung kann nur so lange erfolgen, als nicht ein den Voranmeldungszeitraum beinhaltender Veranlagungsbescheid erlassen wurde.

Gemäß § 21 Abs. 4 UStG 1994 wird der Unternehmer nach Ablauf des Kalenderjahres zur Steuer veranlagt.

§ 300 BAO idF FVwGG 2012, BGBl. I Nr. 14/2013, lautet:

"§ 300. (1) Ab Stellung des Vorlageantrages bzw. in den Fällen des § 262 Abs. 2 bis 4 (Unterbleiben einer Beschwerdevorentscheidung) ab Einbringung der Bescheidbeschwerde können Abgabenbehörden beim Verwaltungsgericht mit Bescheidbeschwerde angefochtene Bescheide und allfällige Beschwerdevorentscheidungen bei sonstiger Nichtigkeit weder abändern noch aufheben. Sie können solche Bescheide, wenn sich ihr Spruch als nicht richtig erweist, nur dann aufheben,

a) wenn der Beschwerdeführer einer solchen Aufhebung gegenüber dem Verwaltungsgericht nach Vorlage der Beschwerde zugestimmt hat und

b) wenn das Verwaltungsgericht mit Beschluss die Zustimmungserklärung an die Abgabenbehörde unter Setzung einer angemessenen Frist zur Aufhebung weitergeleitet hat und

c) wenn die Frist (lit. b) noch nicht abgelaufen ist.

(2) Vor Ablauf der Frist des Abs. 1 lit. b kann das Verwaltungsgericht über die Beschwerde weder mit Erkenntnis noch mit Beschluss absprechen, es sei denn, die Abgabenbehörde teilt mit, dass sie keine Aufhebung vornehmen wird.

(3) Mit dem aufhebenden Bescheid ist der den aufgehobenen Bescheid ersetzende Bescheid zu verbinden.

(4) Aufhebungen (Abs. 1) sind bis zur abschließenden Erledigung der Bescheidbeschwerde durch das Verwaltungsgericht zulässig.

(5) Durch die Bekanntgabe der Aufhebung (Abs. 1) lebt die Entscheidungspflicht des § 291 wieder auf. Die Abgabenbehörde hat das Verwaltungsgericht unverzüglich von der Aufhebung zu verständigen."

In den Erläuterungen zur Regierungsvorlage (2007 BlgNR 24. GP, 21) wird hiezu ausgeführt:

"Aus verfassungsrechtlichen Überlegungen (vgl. zB Tanzer, Rechtsschutz im Steuerrecht, 16. ÖJT, Band IV/1, 40) darf keine gleichzeitige Zuständigkeit einer Abgabenbehörde (zB des Finanzamtes) und eines Verwaltungsgerichtes (zB des Bundesfinanzgerichtes) zur Abänderung (Änderung, Berichtigung) oder Aufhebung (etwa nach § 299 BAO oder im Wege des § 303 BAO) eines Bescheides bestehen. Eine solche konkurrierende Zuständigkeit wird im ersten Satz des § 300 BAO ausdrücklich ausgeschlossen.

Nur ausnahmsweise lässt § 300 BAO eine Aufhebung des angefochtenen Bescheides zu. Dies setzt einen hierauf gerichteten Willensakt des Beschwerdeführers voraus. Die im § 300 Abs. 1 lit. a BAO geforderte Zustimmungserklärung der Partei (§ 78 BAO) ist deshalb gegenüber dem Verwaltungsgericht abzugeben, um auszuschließen, dass dem Gericht ohne seine Kenntnis bzw. gegen seinen Willen die Zuständigkeit zur Beschwerdeerledigung entzogen wird.

Leitet das Gericht die Zustimmungserklärung nicht an die Abgabenbehörde weiter, so darf die Abgabenbehörde den angefochtenen Bescheid nicht aufheben.

Anlässlich dieser Weiterleitung setzt das Gericht eine Frist fest, während der die Abgabenbehörde befugt ist, die Aufhebung (verbunden mit der Erlassung eines 'Ersatzbescheides') vorzunehmen bzw. während der das Gericht auf die Zuständigkeit zur Erlassung eines Erkenntnisses verzichtet.

Die Aufhebung nach dem zweiten Satz des § 300 Abs. 1 BAO liegt im Ermessen der Abgabenbehörde."

Tanzer befasst sich an der in den Erläuterungen zur Regierungsvorlage angegebenen Stelle mit "zu weit scheinende(n) Eingriffsrechte(n) und Parallelzuständigkeiten". Er verweist darauf, dass die Aufhebung einer Berufungsvorentscheidung (nunmehr Beschwerdevorentscheidung, BVE) gemäß § 299 BAO nicht besonders geregelt sei. Das mehrmalige Beseitigen und Ersetzen einer BVE werde nach dieser Bestimmung zumindest nicht ausdrücklich ausgeschlossen. Die Behebung einer BVE in einem noch offenen Rechtsmittelverfahren werde nur ganz ausnahmsweise, nämlich als möglichst rasche Abhilfe gegenüber offenkundigen Sach- oder Rechtsfehlern in Betracht kommen. Ansonsten müsse der zweiten Instanz der Vortritt gelassen werden. Es wäre zu überlegen, die Anwendung von § 299 BAO hier überhaupt zu unterbinden, so schmal erscheine ein sachgerechter Anwendungsbereich dieser Vorschrift. Es stelle sich auch die Frage nach der Verfassungsmäßigkeit dieser "Doppelzuständigkeit", welche im Hinblick darauf, dass der unabhängige Finanzsenat keine Oberbehörde im Sinne einer Weisungsbefugnis sein könne, nicht einmal mittels Weisungen beeinflussbar sei. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes habe der Gesetzgeber aber gemäß dem Gebot der eindeutigen Festlegung des "gesetzlichen Richters" im Sinne von Art. 83 Abs. 2 B-VG präzise Anordnungen zu treffen.

Zweck des § 300 BAO ist nach den zitierten Erläuterungen (samt dem enthaltenen Verweis auf Tanzer ) die Vermeidung der gleichzeitigen Zuständigkeit einer Abgabenbehörde und eines Verwaltungsgerichtes (vgl. Ritz , taxlex 2015, 111 ff (113)). Damit erfolgt auch eine Abgrenzung zwischen abgabenbehördlicher und verwaltungsgerichtlicher Entscheidungsbefugnis (vgl. Fischerlehner, in FS-Ritz, 59 ff).

Diesem Zweck entsprechend wurde die Bestimmung des § 276 Abs. 8 BAO idF vor FVwGG 2012, wonach durch die Berufungsvorlage die sachliche Zuständigkeit der Abgabenbehörde zur Erlassung bestimmter Bescheide nicht erloschen ist (vgl. näher Ritz , BAO4, § 276 Tz 48), nicht in das neue Verfahrensrecht übernommen. Insbesondere dürfen (und können) Abgabenbehörden nunmehr nach Beschwerdevorlage keine (weitere) Beschwerdevorentscheidung erlassen. Wird von der Abgabenbehörde während des anhängigen Beschwerdeverfahrens etwa eine Außenprüfung nach §§ 147 ff BAO begonnen und abgeschlossen, so sind diese Feststellungen ausschließlich vom Bundesfinanzgericht in seinem Erkenntnis zu verwerten (vgl. Lenneis , in FS-Tanzer, 71 ff (86)). Auch die Auswirkungen von (geänderten) Grundlagenbescheiden (§ 295 Abs. 1 BAO) sind vom Bundesfinanzgericht in seinem Erkenntnis zu berücksichtigen (vgl. Lenneis , in Holoubek/Lang, Das Verfahren vor dem BVwG und dem BFG, 1 ff (11); zur Zulässigkeit eines Vorgehens nach § 295 BAO auch im Rechtsmittelverfahren vgl. das Erkenntnis vom , 83/13/0088, VwSlg. 5828/F).

Die Entscheidungsbefugnis des Bundesfinanzgerichtes ist aber durch die Sache des Beschwerdeverfahrens begrenzt (vgl. hiezu Ritz , BAO5, § 279 Tz 11 ff). Nur im Rahmen dieser "Sache" kann (und muss) das Bundesfinanzgericht Änderungen auch im Laufe des Beschwerdeverfahrens (etwa Erhebungsergebnisse des Finanzamtes aus Außenprüfungen) berücksichtigen. Über diese Sache hinaus besteht keine Entscheidungsbefugnis des Bundesfinanzgerichtes, sodass insoweit auch keine konkurrierenden Zuständigkeiten gegeben sind.

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sind Bescheide betreffend die Festsetzung von Umsatzsteuervorauszahlungen für bestimmte Zeiträume in vollem Umfang anfechtbar. Solche Bescheide haben aber insofern einen zeitlich begrenzten Wirkungsbereich, als sie durch Erlassung von diese Zeiträume umfassenden Umsatzsteuerjahresbescheiden außer Kraft gesetzt werden. Durch die Erlassung eines Umsatzsteuerjahresbescheides scheiden Bescheide betreffend Festsetzung von Umsatzsteuervorauszahlungen aus dem Rechtsbestand aus (vgl. das Erkenntnis vom , 2006/15/0339, VwSlg. 8314/F). Erfolgte die Erlassung des Umsatzsteuerjahresbescheides während eines gegen den Festsetzungsbescheid anhängigen Berufungsverfahrens, so trat der Jahresbescheid iSd § 274 erster Satz BAO (idF vor FVwGG 2012) an die Stelle des Festsetzungsbescheides (vgl. das Erkenntnis vom , 2004/13/0124, VwSlg. 8342/F).

Auch nach § 253 BAO idF FVwGG 2012 gilt die Bescheidbeschwerde als gegen den späteren Bescheid gerichtet, wenn ein Bescheid an die Stelle eines mit Bescheidbeschwerde angefochtenen Bescheides tritt. Dies gilt - nach Satz 2 dieser Bestimmung - auch dann, wenn der frühere Bescheid einen kürzeren Zeitraum als der ihn ersetzende Bescheid umfasst. Nach den Erläuterungen zur Regierungsvorlage (2007 BlgNR 24. GP, 17) verallgemeinert dieser zweite Satz die Umsatzsteuervorauszahlungsbescheide betreffende Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes.

Es entspricht sohin dem offenkundigen Willen des Gesetzgebers, dass Umsatzsteuerjahresbescheide während eines anhängigen Beschwerdeverfahrens an die Stelle eines Umsatzsteuerfestsetzungsbescheides treten können. Dass sich dies nur auf den Zeitraum bis zum Ergehen einer Beschwerdevorentscheidung bzw. bis zur Stellung des Vorlageantrages beziehen soll (vgl. Ritz , taxlex 2015, 111 ff (112)), ist nicht ersichtlich. Es ist dem Gesetzgeber auch nicht zu unterstellen, dass er eine Regelung hätte treffen wollen, die - im Hinblick auf die Unmöglichkeit der Erlassung eines Bescheides - eine Verjährung des Rechtes auf Abgabenfestsetzung hätte herbeiführen können, zu deren Abwehr Amtshandlungen notwendig wären, die keinen anderen Sinn als die Abwehr der Verjährung hätten (vgl. die Darstellung bei Rauscher , SWK 2014, 1416 ff (1417)).

Da die Erlassung eines Umsatzsteuerjahresbescheides eine andere Sache betrifft als jene eines Festsetzungsbescheides, auch wenn dessen Zeitraum im Zeitraum des Jahresbescheides beinhaltet ist, bestehen insoweit keine konkurrierenden Zuständigkeiten. Dieser Fall ist daher vom Regelungsziel des § 300 BAO nicht umfasst. Das Außer-Kraft-Setzen des Umsatzsteuerfestsetzungsbescheides durch die Erlassung des Jahresbescheides ist somit nicht als Aufhebung oder Abänderung im Sinne des § 300 Abs. 1 BAO zu beurteilen (in diesem Sinne auch Mayr/Ungericht , Umsatzsteuergesetz 19944, § 21 Anm. 11; Rauscher , aaO). Der Jahresbescheid tritt in derartigen Fällen gemäß § 253 BAO an die Stelle des Festsetzungsbescheides. Daraus ergibt sich auch, dass in diesen Fällen regelmäßig und systemkonform keine (weitere) Beschwerdevorentscheidung ergehen kann.

Die Revision war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Wien, am