VwGH vom 08.09.2022, Ra 2021/14/0186
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Grünstäudl und die Hofrätinnen Mag. Rossmeisel und Dr.in Sembacher als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Gnilsen, über die Revision des S H, vertreten durch Dr. Manfred Schiffner, Rechtsanwalt in 8054 Seiersberg-Pirka, Haushamer Straße 2/4. OG, gegen den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom , W195 2205193-2/12E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger von Bangladesch, stellte am einen ersten Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), den er mit einer Verfolgung aus politischen Gründen sowie mit Streitereien zwischen seiner Familie und nahestehenden Angehörigen begründete.
2Mit Erkenntnis vom wies das Bundesverwaltungsgericht diesen Antrag des Revisionswerbers im Beschwerdeverfahren in der Sache ab und erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung. Eine Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG erklärte es für unzulässig.
3Die Behandlung der gegen diese Entscheidung erhobenen Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof wurde mit Beschluss vom zu E 138/2020-5 abgelehnt.
4Aus dem Stande der Schubhaft stellte der Revisionswerber am den gegenständlichen Folgeantrag auf internationalen Schutz. Diesen Antrag begründete er mit Angst vor Verfolgung aufgrund regimekritischer Postings auf Facebook, die der Revisionswerber zuletzt einen Monat vor Antragstellung getätigt habe. Die Facebook-Postings habe er von 2015 bis 2020 verfasst, die Facebook-Profile seien jedoch nun gesperrt, weshalb er keine Ausdrucke dieser Postings vorlegen könne. Sein Heimatdorf sei nach regimekritischen Äußerungen eines anderen Bewohners angezündet worden und abgebrannt. Bei einer Rückkehr drohe ihm Verhaftung. Es gebe eine Anklageschrift gegen ihn, diese gründe aber auf einer Falschanzeige. Auch sei ein Haftbefehl gegen den Revisionswerber erlassen worden. Die Anzeige und in weiterer Folge die Anklageschrift legte der Revisionswerber in Kopie vor.
5Mit mündlich verkündetem Bescheid vom hob das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den faktischen Abschiebeschutz des zweiten Folgeantrags gemäß § 12a Abs. 2 AsylG 2005 auf und legte die Verfahrensakten dem Bundesverwaltungsgericht vor. Begründend führte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl aus, dass der Revisionswerber seinen Antrag auf Basis der Angaben aus dem Vorverfahren gestellt habe und die nunmehr genannten Gründe unglaubwürdig seien und nicht einmal einen glaubwürdigen Kern aufweisen würden. Das Facebook-Profil des Revisionswerbers habe keine derartige Reichweite und es sei nicht nachvollziehbar, dass zwei Profile des Revisionswerbers gesperrt worden seien und er sein privates Profil aber ohne Probleme weiter habe nutzen können. Hinsichtlich der vorgelegten Schriftstücke habe sich der Revisionswerber in Widersprüche verwickelt, aus denen sich die Unglaubwürdigkeit dieses Vorbringens ergebe. Ein entscheidungsrelevanter neuer Sachverhalt liege nicht vor, voraussichtlich werde eine Zurückweisung des Folgeantrags erfolgen.
6Mit Eingabe vom erstattete der Revisionswerber ein ergänzendes Vorbringen zu seinem Fluchtvorbringen. So sei der Haftbefehl am in einer näher genannten bengalischen Zeitung veröffentlicht worden und die Polizei habe bereits die Mutter des Revisionswerbers kontaktiert und ihr mitgeteilt, dass ihr Sohn vor Gericht erscheinen müsse und ihm Haft drohe. Eine Kopie des Zeitungsausschnittes legte der Revisionswerber unter einem vor.
7Das Bundesverwaltungsgericht veranlasste die Übersetzung des vorgelegten Zeitungsartikels sowie der vorgelegten Anzeige und stellte eine Anfrage an den Dolmetscher, in welcher Zeitung das Inserat geschaltet wurde und ob dem Dolmetscher bekannt sei, „ob und in welchen Zeitungen in Bangladesch üblicherweise derartige Inserate des ‚Obersten Gerichtshofes‘ geschaltet“ würden.
8Mit dem in Revision gezogenen Beschluss sprach das Bundesverwaltungsgericht aus, dass die Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes rechtmäßig und die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
9Begründend führte das Bundesverwaltungsgericht in seinen Feststellungen und seiner Beweiswürdigung aus, der Folgeantrag werde voraussichtlich wegen entschiedener Sache zurückzuweisen sein, da die Facebook-Postings aus 2015 stammen würden und somit bereits im ersten Verfahren hätten vorgebracht werden können. Die letzten Einträge würden ein Jahr zurückliegen und kein ausreichendes Substrat für eine politische Verfolgung darstellen. Die behaupteten neuen Fluchtgründe seien als Steigerung des bisherigen Vorbringens anzusehen und hätten ebenfalls bereits im ersten Verfahren vorgebracht werden können. Das Vorbringen zum niedergebrannten Dorf habe sich aufgrund einer Internetrecherche des Bundesverwaltungsgerichts auf „Google Maps/Satellitenaufnahmen“ als unrichtig erwiesen. Aus diesem Grund sei auch die angebliche Behauptung der Mutter des Revisionswerbers, er werde gesucht und bei Rückkehr verhaftet, unglaubwürdig. Aus dem vorgelegten Zeitungsausschnitt sei nicht erkennbar, in welcher Zeitung die Anzeige erschienen sei und wer dieses Inserat geschaltet habe. Zudem weise das Inserat wesentliche inhaltliche Fehler auf und finde sich die vom Revisionswerber angegebene Zeitung nicht in einer im Internet aufrufbaren Liste aller Zeitungen von Bangladesch. Die vorgelegte Falschanzeige habe der Revisionswerber selbst als Falschanzeige bezeichnet, weshalb es ihm „ohne weitere Schwierigkeiten“ gelingen werde, diese zu widerlegen. Der Wahrheitsgehalt der Anzeige sei „jedenfalls nicht vorliegend“, die Glaubwürdigkeit der Existenz einer derartigen Anzeige „schlichtweg nicht gegeben, weil eine Motivation zu einer derartigen Anzeige vom BF nicht glaubhaft dargelegt“ worden sei. Die vorgelegten Schriftstücke seien offensichtliche Fälschungen und würden von falsch bezeichneten Gerichten stammen. Infolge der „absoluten Unglaubwürdigkeit der vorgelegten Beweismittel“ seien keine weiteren Vor-Ort-Recherchen erforderlich gewesen. Das neue Vorbringen sei als Versuch der Steigerung des im ersten Verfahren behaupteten politischen Fluchtgrundes zu sehen. Es drohe dem Revisionswerber keine Verfolgung im Herkunftsstaat und bei einer Rückkehr auch keine Verletzung der durch Art. 2 und 3 EMRK gewährleisteten Rechte. Die missbräuchliche Antragstellung ergebe sich daraus, dass der Revisionswerber seine bisherigen und keine neuen Fluchtgründe geltend gemacht habe und es keine neuen, realen Tatsachen oder Beweise gebe. Die Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes sei infolge des Vorliegens der Voraussetzungen des § 12a Abs. 2 AsylG 2005 nicht rechtswidrig.
10Gegen diesen Beschluss wendet sich die vorliegende Revision.
Der Verwaltungsgerichtshof hat, nach Durchführung eines Vorverfahrens, in dem keine Revisionsbeantwortung erstattet wurde, in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
11Die Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit u.a. vor, das Bundesverwaltungsgericht sei von näher zitierter Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu § 12a Abs. 2 AsylG 2005 abgewichen, indem es nicht nur eine Grobprüfung vorgenommen habe, sondern sich umfangreich beweiswürdigend mit den Angaben des Revisionswerbers auseinandergesetzt und nicht bloß geringfügige ergänzende Ermittlungen durchgeführt habe.
12Die Revision ist zulässig und auch begründet.
13Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits in seinem Erkenntnis vom , Ra 2018/19/0010, auf dessen Entscheidungsgründe gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird, unter Hinweis auf seine Vorjudikatur die Voraussetzungen dargelegt, unter denen bei einem Folgeantrag der faktische Abschiebeschutz nach § 12a Abs. 2 AsylG 2005 aufgehoben werden kann.
14Der Verwaltungsgerichtshof hat insbesondere bereits mehrfach ausgesprochen, dass der Gesetzgeber - auch wenn es dem Bundesverwaltungsgericht nicht untersagt ist, eine Verhandlung durchzuführen oder sonst ergänzende Ermittlungen vorzunehmen - mit den in § 22 Abs. 1 und Abs. 3 BFA-VG enthaltenen Anordnungen, wonach über die vom Gesetz fingierte Beschwerde ohne Abhaltung einer mündlichen Verhandlung zu entscheiden ist, eine auf § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG gestützte Zurückverweisung nicht ergehen darf und die Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Aufhebung des Abschiebeschutzes binnen acht Wochen zu ergehen hat, vor Augen hatte, dass im Rahmen der bei der Aberkennung des faktischen Abschiebeschutzes vorzunehmenden Grobprüfung die Ergänzung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Bundesverwaltungsgericht die Ausnahme bleiben soll. Aus den Bestimmungen des § 22 AsylG 2005 und § 22 BFA-VG ergibt sich das vom Gesetzgeber verfolgte Ziel, dass die beschleunigte Abwicklung des Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht in erster Linie anhand des Ergebnisses der vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl bis dahin vorgenommenen Ermittlungen zu erfolgen hat. Lässt dieses Ermittlungsergebnis aber die einwandfreie Beurteilung im Rahmen der Grobprüfung nicht zu, sondern bedarf es dafür erheblicher ergänzender Ermittlungen, kann diese von der Behörde zu vertretende Mangelhaftigkeit nicht zum Nachteil des Fremden ausschlagen (vgl. , mwN).
15Der Verwaltungsgerichtshof hat ebenso mehrfach festgehalten, dass schon die Notwendigkeit, sich umfangreich beweiswürdigend mit den Angaben eines Asylwerbers auseinandersetzen und nicht bloß geringfügige ergänzende Ermittlungen durchführen zu müssen, dazu führt, dass nicht mehr davon gesprochen werden könne, es liege noch eine Grobprüfung vor und die (spätere) Zurückweisung des Folgeantrags liege auf der Hand (vgl. erneut grundlegend ; aus der jüngeren Rechtsprechung ebenso , Rz 26).
16Das Bundesverwaltungsgericht hat - anders als das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl - sämtliche vorgelegten Schriftstücke einer Übersetzung zugeführt und Ermittlungen zur Lage vor Ort durch Recherche zur Veröffentlichung von Haftbefehlen in Zeitungen, zur Existenz der Zeitung, in denen der Haftbefehl erschienen sein soll sowie zum Vorbringen des Niederbrennens des Dorfes durchgeführt. Damit hat es aber die Ermittlungen des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl und in weiterer Folge auch die - oben wiedergegebene - Beweiswürdigung nicht bloß geringfügig ergänzt. Da das Bundesverwaltungsgericht zur Lösung des vorliegenden Falles somit mehr als bloß geringfügige Ermittlungen für notwendig erachtete und durchführte, durfte es nach der zitierten hg. Judikatur nicht davon ausgehen, die Zurückweisung des Folgeantrages des Revisionswerbers „liege auf der Hand“ (vgl. abermals VwGH Ra 2018/19/0010 und Ra 2021/20/0329) und die Voraussetzungen des § 12a Abs. 2 AsylG 2005 für die Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes seien erfüllt.
17Der angefochtene Beschluss war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufzuheben.
18Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am
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ECLI: | ECLI:AT:VWGH:2022:RA2021140186.L00 |
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