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VwGH vom 20.02.2008, 2006/15/0161

VwGH vom 20.02.2008, 2006/15/0161

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Hargassner und die Hofräte Dr. Sulyok, Dr. Zorn, Dr. Büsser und Mag. Novak als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Trefil, über die Beschwerde des Finanzamtes Bregenz, gegen den Bescheid des unabhängigen Finanzsenates, Außenstelle Feldkirch, vom , GZ. RV/0179-F/04, betreffend Umsatzsteuer 1996 bis 2002 (mitbeteiligte Partei: F F in S, vertreten durch Dr. Arnulf Summer, Dr. Nikolaus Schertler und Mag. Nicolas Stieger, Rechtsanwälte in 6900 Bregenz, Kirchstraße 4), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

Die mitbeteiligte Partei betreibt ein Hotel, das unter anderem über Seminarräumlichkeiten (samt technischer Ausstattung) verfügt, die sowohl von Tagesgästen als auch von Gästen genutzt werden können, die im Hotel beherbergt werden.

Im Zuge einer bei der mitbeteiligten Partei durchgeführten abgabenbehördlichen Prüfung der Jahre 1996 bis 2002 stellte der Prüfer in Tz. 27 des Schlussberichts vom unter anderem Folgendes fest:

"In den in diesem Zusammenhang dem Veranstalter oder teils direkt dem Seminargast gegenüber verrechneten Seminar- und Tagungspauschalen sind u.a. auch Leistungen, wie Bereitstellung eines Seminarraumes samt Grundausstattung und Technik, Seminarbetreuung und Getränkeverabreichung (Mineral und Fruchtsäfte sowie im Rahmen der Pausenverpflegung Kaffee und Tee) enthalten, deren Entgeltanteile nach Ansicht der Betriebsprüfung allesamt umsatzsteuerlich dem Normalsteuersatz von 20% zu unterwerfen sind, da hiefür im UStG keine Begünstigung (Ausnahme von der Normalbesteuerung) vorgesehen ist. Bisher wurden diese Leistungen als unselbständige Nebenleistungen zur Beherbergung behandelt und zur Gänze dem ermäßigten Steuersatz von 10% unterzogen."

In der Berufung gegen die den Prüfungsfeststellungen folgenden neuen Umsatzsteuerbescheide der Jahre 1996 bis 2002 unternahm es die mitbeteiligte Partei einerseits, die nach ihrer Ansicht bestehende Verbindung zwischen den Seminarleistungen und den Beherbergungen aufzuzeigen (Anbieten von Seminarpauschalen, Fakturierung) und andererseits, die Begründungsgrundlage der Prüfungsfeststellungen, nämlich näher angeführte Erlässe des Bundesministers für Finanzen sowie die in Rz. 1200 der UStR 2000 getroffene Aussage (wonach die Zurverfügungstellung von Seminarräumen schon deshalb nicht als begünstigte Nebenleistung zur Beherbergung qualifiziert werden könne, weil die Räume üblicherweise einem Veranstalter und nicht dem einzelnen Hotelgast überlassen werden) als nicht schlüssig und unzutreffend zu belegen.

Nach Ergehen einer abweisenden Berufungsvorentscheidung setzte sich die mitbeteiligte Partei in ihrem Vorlageantrag mit den Ausführungen der Berufungsvorentscheidung auseinander, indem sie erneut - nach ihrer Meinung - misslungene Zitate des Finanzamtes aufzeigte und ihrerseits ergänzend weitere Judikatur- und Literaturnachweise zur Qualifikation der Beherbergung als Haupt- und der Seminarleistungen als Nebenleistung vorbrachte.

Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung der mitbeteiligten Partei statt und begründete dies im Wesentlichen damit, dass Seminarleistungen zu den "üblichen", regelmäßig mit der Beherbergung verbundenen Leistungen zählten. Es stehe für die belangte Behörde entgegen der Ansicht des Finanzamtes außer Frage, dass die Seminarleistungen erst die Hauptleistung (Beherbergung) ermöglicht hätten und die Leistungen nach dem Willen der Parteien so eng miteinander verbunden wären, dass die eine ohne die andere nicht erbracht werden könne, weshalb die Nebenleistung das steuerrechtliche Schicksal der Hauptleistung zu teilen habe und die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes damit zu Recht erfolgt sei. Nach den seitens des Finanzamtes unwidersprochen gebliebenen Berufungsausführungen habe die mitbeteiligte Partei ohnedies nur in jenen Fällen für die Bereitstellung der Seminarräume den begünstigten Steuersatz zur Anwendung gebracht, in denen die Seminargäste auch beherbergt worden seien. In Fällen, in denen nur die Seminarleistung ohne Beherbergung Leistungsgegenstand gewesen sei, stelle die erbrachte Seminarleistung tatsächlich eine selbständige Leistung dar, was von der mitbeteiligten Partei offensichtlich auch nicht bestritten werde.

Gegen diesen Bescheid wendet sich die vom Finanzamt gemäß § 292 BAO erhobene Beschwerde sowohl unter dem Gesichtspunkt inhaltlicher Rechtswidrigkeit als auch mit dem Vorbringen aktenwidriger Sachverhaltsannahme. Die belangte Behörde sei trotz Vorliegens aller sachdienlichen Informationen zu Unrecht davon ausgegangen, dass die mitbeteiligte Partei auf Seminarleistungen, die sie nicht in Verbindung mit einer Beherbergungsleistung erbracht habe, rechtsrichtig den Normalsteuersatz angewandt habe. Tatsächlich habe die mitbeteiligte Partei - wie in der Beschwerde näher aufgezeigt wird - auch reine "Tagungsarrangements" begünstigt besteuert, sodass die belangte Behörde ausgehend von der aktenwidrigen Behauptung der mitbeteiligten Partei nunmehr im angefochtenen Bescheid auch Seminarleistungen ohne Zusammenhang mit einer Beherbergungsleistung lediglich dem ermäßigten Steuersatz unterworfen habe, was selbst nach Ansicht der belangten Behörde rechtswidrig sei.

Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift, in welcher sie dem Vorwurf aktenwidriger Sachverhaltsannahme entgegnete, dass es Aufgabe des beschwerdeführenden Finanzamtes gewesen wäre, den aufgestellten Behauptungen der nunmehr mitbeteiligten Partei eben jene Rechts- und Tatsachenfeststellungen entgegenzuhalten, welche nunmehr in der Beschwerde erstmals aufgezeigt würden.

Auch die mitbeteiligte Partei erstattete eine Gegenschrift, in welcher sie - das bisher Vorgebrachte ergänzend - zur Behauptung inhaltlicher Rechtswidrigkeit ausführte, dass sich (auch) aus dem Verhältnis der Entgelte für Seminarleistungen gegenüber den Entgelten für Nächtigung und Verpflegung die Qualifikation der Seminarleistung als Nebenleistung und der Beherbergungsleistung als Hauptleistung ergebe. Eine allfällige aktenwidrige Sachverhaltsermittlung sei dem beschwerdeführenden Finanzamt zuzurechnen oder läge - wie näher ausgeführt - ohnedies nicht vor.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 10 Abs. 2 Z. 4 lit. b UStG 1994 ermäßigt sich die Steuer auf 10% für die Beherbergung in eingerichteten Wohn- und Schlafräumen und die regelmäßig damit verbundenen Nebenleistungen (einschließlich Beheizung), wobei als Nebenleistung auch die Verabreichung eines ortsüblichen Frühstücks anzusehen ist, wenn der Preis hiefür im Beherbergungsentgelt enthalten ist.

Die Bestimmung des § 10 Abs. 2 Z. 4 lit. b UStG 1994 ist in Umsetzung des Art. 12 in Verbindung mit Anhang H der Sechsten Mehrwertsteuerrichtlinie 77/388/EWG (im Folgenden: RL) ergangen. Nach Art. 12 Abs. 3 lit. a der RL (nunmehr Art. 98 Abs. 2 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem) dürfen die Mitgliedstaaten abweichend von dem Grundsatz, dass der normale Steuersatz gilt, einen oder zwei ermäßigte Sätze anwenden. Die ermäßigten Mehrwertsteuersätze können nach dieser Vorschrift nur auf Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen der im Anhang H genannten Kategorien angewandt werden. Anhang H "Verzeichnis der Gegenstände und Dienstleistungen, auf die ermäßigte Mehrwertsteuersätze angewandt werden können" nennt in Kategorie 11:

"Beherbergung in Hotels und ähnlichen Einrichtungen, einschließlich der Beherbergung in Ferienunterkünften, und Vermietung von Campingplätzen und Plätzen für das Abstellen von Wohnwagen".

Aus gemeinschaftsrechtlicher Sicht darf demnach für die Beherbergung in Hotels und ähnlichen Einrichtungen ein ermäßigter Steuersatz vorgesehen werden, wobei gemeinschaftsrechtlich nur von der "Beherbergung" selbst die Rede ist.

Die belangte Behörde vertritt im angefochtenen Bescheid die Ansicht, dass bei gleichzeitiger Inanspruchnahme von Beherbergungs- und Seminarleistungen vom Vorliegen einer einheitlichen Leistung auszugehen sei, weil in diesen Fällen die Seminarleistungen erst die Beherbergung ermöglicht hätten und sie daher als unselbständige Nebenleistungen zur Beherbergung anzusehen seien.

Steuerobjekt der Umsatzsteuer ist die einzelne Leistung. Der Umfang der einzelnen Leistung ist in wirtschaftlicher Betrachtungsweise zu bestimmen. Ist eine Leistungseinheit anzunehmen, so ist umsatzsteuerlich nur eine (einzige) Leistung gegeben. Die steuerlichen Folgen richten sich einheitlich nach dem wirtschaftlichen Gehalt der Gesamtleistung bzw. der Hauptleistung. Eine unselbständige Nebenleistung ist dann anzunehmen, wenn sie im Vergleich zur Hauptleistung nebensächlich ist, mit ihr eng zusammenhängt und in ihrem Gefolge üblicherweise vorkommt. Das ist zu bejahen, wenn die Leistung die Hauptleistung ermöglicht, abrundet oder ergänzt (vgl. das hg. Erkenntnis vom , 2000/15/0140).

Da unselbständige Nebenleistungen bereits nach allgemeinen Grundsätzen das Schicksal der Hauptleistung teilen, bezieht sich die Bestimmung des § 10 Abs. 2 Z. 4 lit. b UStG 1994 auf alle Leistungen, die wirtschaftlich als Nebenleistung zur Beherbergung angesehen werden können (vgl. Ruppe, UStG3, § 10, Rz. 73).

Bei Anwendung des nationalen Rechts, insbesondere der Vorschriften eines speziell zur Durchführung einer Richtlinie erlassenen Gesetzes, haben die nationalen Gerichte und Verwaltungsbehörden die Auslegung im Lichte des Wortlautes und des Zwecks der (gemeinschaftsrechtlichen) Richtlinie vorzunehmen (Grundsatz der richtlinienkonformen Auslegung; vgl. 80/86, Kolpinghuis Nijmegen, Slg. 1987, 3969). Beim Verständnis der "regelmäßig" mit einer (Haupt-)Beherbergungsleistung gemäß § 10 Abs. 2 Z. 4 lit. b UStG 1994 "verbundenen Nebenleistungen" kommt daher im Rahmen des gegebenen Interpretationsspielraumes auch dem Umstand Bedeutung zu, dass gemeinschaftsrechtlich lediglich von Beherbergungsleistungen die Rede ist.

Nach der Rechtsprechung des EuGH (vgl. das Urteil vom in der Rs. C-349/96, Card Protection Plan Ltd, Rz. 29 bis 32) ist jede Dienstleistung in der Regel als eigene selbständige Leistung zu betrachten. Es ist das Wesen des fraglichen Umsatzes zu ermitteln, um festzustellen, ob der Steuerpflichtige dem Verbraucher mehrere selbständige Hauptleistungen oder eine einheitliche Leistung erbringt, wobei auf die Sicht des Durchschnittsverbrauchers abzustellen ist. Eine einheitliche Leistung liegt insbesondere vor, wenn ein oder mehrere Teile die Hauptleistung, ein oder mehrere andere Teile aber Nebenleistungen darstellen, die das steuerliche Schicksal der Hauptleistung teilen. Nach dem , Primback Ltd, Rn. 45, ist eine Leistung als Nebenleistung zu einer Hauptleistung anzusehen, wenn sie für den Kunden keinen eigenen Zweck, sondern das Mittel darstellt, um die Hauptleistung des Leistungserbringers unter optimalen Bedingungen in Anspruch zu nehmen.

Sachverhaltsbezogen ist im Beschwerdefall unstrittig, dass die in Rede stehenden Beherbergungs- und Seminarleistungen unabhängig voneinander - jeweils als Hauptleistungen - in Anspruch genommen werden können und tatsächlich auch wurden. Dass es im Bestreben der mitbeteiligten Partei liegt, weitere - über die alleinige Beherbergung ihrer Gäste hinausgehende - Serviceleistungen am Markt anzubieten, um dadurch den erzielbaren Gesamtumsatz zu steigern, vermag die rechtlich geforderten Voraussetzungen für die Qualifikation der Seminarleistungen als mit der (Haupt-)Beherbergungsleistung "regelmäßig verbundene Nebenleistungen" nicht zu erfüllen. Es kann keine Rede davon sein, dass die Seminarleistungen im Sinne der aufgezeigten Rechtsprechung des EuGH für die Gäste keinen eigenen Zweck, sondern vielmehr das Mittel darstellten, um die Beherbergungsleistung unter optimalen Bedingungen in Anspruch nehmen zu können.

Die Möglichkeit, am Ort der Seminarveranstaltung auch zu nächtigen, mag Seminarteilnehmern den Besuch der angebotenen Seminare unter optimalen Bedingungen ermöglichen, keineswegs aber die Beherbergungsleistung abzurunden und solcherart die Seminarleistungen als bloße Nebenleistung zu erweisen. Wegen des Vorliegens selbständiger Hauptleistungen kommt es auch nicht darauf an, dass - wie in der Gegenschrift der mitbeteiligten Partei hervorgehoben - das Entgelt für die Bereitstellung der Seminareinrichtungen deutlich hinter dem Entgelt für die Nächtigung und Verpflegung zurückbleibt.

Indem die belangte Behörde die beschwerdegegenständlichen Seminarleistungen als unselbständige Nebenleistungen der Beherbergungsleistungen qualifiziert und die angenommene Gesamtleistung einheitlich dem begünstigten Steuersatz gemäß § 10 Abs. 2 Z. 4 lit. b UStG 1994 unterzogen hat, erweist sich der angefochtene Bescheid als inhaltlich rechtswidrig, sodass er gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.

Bei diesem Verfahrensergebnis kann der vom beschwerdeführenden Finanzamt erhobene Vorwurf aktenwidriger Sachverhaltsannahme in Bezug auf die Besteuerung jener Seminarleistungen, die nicht in Verbindung mit Beherbergungsleistungen erbracht wurden, auf sich beruhen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003.

Wien, am