VwGH vom 16.03.2011, 2008/08/0096
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Müller und die Hofräte Dr. Strohmayer, Dr. Lehofer, Dr. Doblinger und MMag. Maislinger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Peck, über die Beschwerde der F GmbH in L, vertreten durch Dr. Hellmut Prankl, Rechtsanwalt in 5020 Salzburg, Erzabt-Klotz-Straße 12/II, gegen den Bescheid der Landeshauptfrau von Salzburg vom , Zl. 3/05-V/14.538/5- 2008, betreffend Zuschlagsleistung gemäß § 25 BUAG (mitbeteiligte Partei: Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungskasse in 1051 Wien, Kliebergasse 1 A), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat der beschwerdeführenden Partei Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.286,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Die mitbeteiligte Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungskasse schrieb der Beschwerdeführerin mit Rückstandsausweis vom für Februar 2006 offene Zuschläge von EUR 194,24 sowie Nebengebühren von EUR 1,50 samt 7 % Zinsen seit vor.
Die Beschwerdeführerin erhob gegen den Rückstandsausweis am Einspruch. Der geforderte Zuschlag bestehe nicht zu Recht. Der betroffene Arbeitnehmer habe zwar die Lehrzeit als Hafner, Platten- und Fliesenleger absolviert, jedoch die Lehrabschlussprüfung noch nicht abgelegt; er sei daher als qualifizierter Helfer und nicht - wie von der mitbeteiligten Kasse angenommen - als Facharbeiter einzustufen.
Die mitbeteiligte Kasse führte hiezu aus, dem Rückstandsausweis sei zugrunde gelegt, dass der Kontrollor der mitbeteiligten Kasse den als qualifizierten Helfer gemeldeten M im Hinblick auf die Beendigung der Lehrzeit als Facharbeiter eingestuft habe. Für die Einstufung als Facharbeiter komme es nicht auf die (erfolgreiche) Ablegung der Lehrabschlussprüfung, sondern auf den Inhalt der Arbeit und die vorwiegend ausgeübte tatsächliche Tätigkeit an.
Die Bezirkshauptmannschaft S wies mit Bescheid vom den Einspruch der Beschwerdeführerin ab.
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die gegen diesen Bescheid erhobene Berufung ab. Gemäß § 21 Abs. 3 Berufsausbildungsgesetz (BAG) seien Personen, die eine Lehrabschlussprüfung erfolgreich abgelegt haben, berechtigt, sich als Facharbeiter oder als Gesellen zu bezeichnen. Dies bedeute aber nicht, dass Personen, die keine Lehrabschlussprüfung abgelegt hätten, nicht über die für die angeordneten Tätigkeiten notwendigen Kenntnisse und Fähigkeiten im Betrieb verfügten. Dem würde die Weiterbeschäftigung des M nach Lehrzeitende widersprechen, da das Lehrverhältnis nach Ablauf der im Lehrvertrag vereinbarten Dauer und nicht erst mit Ablegung der Lehrabschlussprüfung beendet werde. Die beschwerdeführende Partei habe dem nicht widersprochen und habe M nach der Lohnordnung des zur Anwendung kommenden Kollektivvertrages deswegen nicht als Lehrling, sondern in die Verwendungsgruppe der qualifizierten Helfer eingestuft. Gegen diese Einstufung spreche aber, dass ein Helfer nur für Hilfstätigkeiten ("zur Hilfe") ohne erforderliche Kenntnisse und Fähigkeiten eingesetzt werde. Ein qualifizierter Helfer müsse hingegen jedenfalls praktische Kenntnisse und Fähigkeiten in einem bestimmten Ausmaß vorweisen. Diese Kenntnisse und Fähigkeiten könnten aber keinesfalls den im Lauf einer Lehre erworbenen vielfältigen praktischen und auch theoretischen Kenntnissen und Fähigkeiten gleich gehalten werden, weil sich die durch einen herkömmlichen Lehrberuf vermittelte Ausbildung an Qualität und Umfang von einer Spezialisierung bestimmter Arbeitsvorgänge, wie sie ein qualifizierter Helfer vorweisen könne, deutlich unterscheide. Es stelle sich auch die Frage, inwieweit die Tätigkeit des M Teilbereiche des Berufsbildes eines Facharbeiters umfasse. Dass M zu qualifizierten Tätigkeiten herangezogen werde, die sich nicht von jenen unterschieden, für die er durch die Lehre qualifiziert worden sei, sei von der beschwerdeführenden Partei nicht bestritten worden. Dass der anzuwendende Kollektivvertrag nunmehr keine Bestimmungen darüber enthalte, ob die Einstufung und der konkrete Lohnanspruch eines Arbeiters primär anhand der tatsächlichen Tätigkeiten zu bestimmen sei, könne nicht als spezielles Zeichen gedeutet werden, dass die Kollektivvertragsparteien damit ein Zeichen hätten setzen wollen und der status quo, nämlich die Qualifikation eines Facharbeiters durch eine Lehrabschlussprüfung, aufrechterhalten habe bleiben sollen. Dies würde zudem einen Anreiz zur Beschäftigung von Personen bieten, bei denen sich der Arbeitgeber trotz gleicher Leistung die Lohndifferenz zum Facharbeiterlohn ersparen würde. Allein schon aus diesem Grund könne es nicht Absicht der Kollektivvertragsparteien gewesen sein, Lehrlinge nach Beendigung der für diesen Lehrberuf spezifischen Ausbildung und dadurch Erwerb aller notwendigen Kenntnisse und Fähigkeiten im Betrieb weiter zu beschäftigen und nicht nach ihrer, auch ohne Lehrabschlussprüfung, aber aufgrund der Lehrzeit erworbenen, Qualifikation einzustufen. Umgekehrt würde auch ein durch den Abschluss der Lehrabschlussprüfung qualifizierter Facharbeiter, der eine Tätigkeit ausübe, für die offenkundig keine qualifizierten Kenntnisse und Fähigkeiten erforderlich seien, in das Lohnschema nicht als Facharbeiter eingestuft und entlohnt werden. Auch der in einem erlernten oder angelernten Beruf erworbene Berufsschutz bleibe nur dann erhalten, wenn die Tätigkeit in ihrer Gesamtheit noch als Ausübung dieses erlernten oder angelernten Berufes anzusehen sei. Eine gesetzliche Verpflichtung, die Lehrabschlussprüfung abzulegen, bestehe für Lehrlinge nicht. Schon daraus folge, dass eine abgeschlossene Lehrzeit bereits dann vorliege, wenn ein Lehrling die für eine Berufssparte vorgesehene Lehrzeit zur Gänze absolviert habe. Entscheidend für die Einstufung in eine bestimmte kollektivvertragliche Entlohnungsgruppe sei die Art der tatsächlich überwiegend geleisteten Tätigkeit.
Gegen diesen Bescheid wendet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor, erstattete eine Gegenschrift und beantragt die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde. Auch die mitbeteiligte Kasse erstattete eine Gegenschrift, in der sie die Abweisung der Beschwerde beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Für die Auslegung des normativen Teiles eines Kollektivvertrages sind die §§ 6 ff ABGB maßgebend. Nach § 6 ABGB darf einem Gesetz (einem Kollektivvertrag) in der Anwendung kein anderer Verstand beigelegt werden, als welcher aus der eigentümlichen Bedeutung der Worte in ihrem Zusammenhange und aus der klaren Absicht des Gesetzgebers hervorleuchtet. Demgemäß hat jede Interpretation zunächst mit der wörtlichen Auslegung der strittigen Norm "in ihrem Zusammenhang", das heißt unter Beachtung der sachlich zusammengehörigen Normen, und der darin zum Ausdruck kommenden "Absicht des Gesetzgebers" (der Kollektivvertragsparteien) zu beginnen (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2007/08/0189; vgl. auch RIS-Justiz RS0008807, RS0010088).
Abgesehen von allgemeinen gesetzlichen Schranken sind die Parteien des Kollektivvertrages grundsätzlich frei, über die Voraussetzungen der Einstufung (also die Zuordnung eines konkreten Arbeitsverhältnisses zu den im Kollektivvertrag geregelten Mindestlöhnen) zu entscheiden. Maßgeblich für die Einstufungsmodelle der Kollektivverträge ist die Tätigkeit des Arbeitnehmers. Für die Einstufung kommt es daher in der Regel auf die Tätigkeitsmerkmale, auf den Inhalt der Arbeit und auf die tatsächlich vorwiegend ausgeübte Tätigkeit an. Die Kollektivverträge können aber außer auf die Tätigkeit des Arbeitnehmers auch auf die (facheinschlägige) Ausbildung oder auf eine unabhängig vom tatsächlichen Tätigkeitsbereich ausgeübte formale Funktion des Arbeitnehmers im Betrieb als Voraussetzung für die Einstufung abstellen. Der Grundsatz, dass sich die Einstufung in eine bestimmte Verwendungsgruppe eines Kollektivvertrages nach den tatsächlich geleisteten Diensten richtet, gilt nicht, wenn der Kollektivvertrag (zumindest auch) formale Voraussetzungen für die Einstufung ausdrücklich festlegt (vgl. das Zl. 8 ObA 20/09p, mwN; vgl. auch Resch, Die Einstufung im Kollektivvertrag, wbl 1999, 237 ff).
Der hier zu beurteilende Kollektivvertrag für Hafner-, Platten- und Fliesenlegergewerbe bzw. dessen Beilage (Lohnordnungen und rahmenrechtliche Änderung) unterscheidet zwischen Facharbeitern (diese abgestuft nach den Verwendungsjahren), qualifizierten Helfern und Helfern. Zum Begriff "Facharbeiter" findet sich in dieser Lohnordnung noch der Verweis "Hafner-, Platten- und Fliesenleger", darüber hinaus finden sich aber weder im Kollektivvertrag noch in der Lohnordnung Einstufungskriterien (wie etwa Tätigkeitsmerkmale).
Der Begriff "Facharbeiter" wird vom Gesetzgeber - soweit überblickbar - stets an die erfolgreiche Ablegung einer Lehrabschlussprüfung angeknüpft. So sind gemäß § 21 Abs. 3 lit. b BAG Personen, die eine Lehrabschlussprüfung erfolgreich abgelegt haben, berechtigt, sich als Facharbeiter oder als Gesellen oder mit der Berufsbezeichnung des Lehrberufes zu bezeichnen. In entsprechender Weise sieht auch § 7 Abs. 3 des Land- und forstwirtschaftlichen Berufsausbildungsgesetzes (BGBl. Nr. 298/1990 idF BGBl. I Nr. 102/1998) vor, dass die erfolgreiche Ablegung der Facharbeiterprüfung zur Führung der Berufsbezeichnung "Facharbeiter" in Verbindung mit der Bezeichnung des Lehrberufes berechtigt. Auch § 73 Abs. 3 sowie § 81 Abs. 3 und 4 des Land- und Forstarbeiter-Dienstrechtsgesetzes (BGBl. Nr. 280/1980) knüpfen die Berechtigung zur Führung der Berufsbezeichnung "landwirtschaftlicher Facharbeiter" (bzw. "Forstfacharbeiter" oder "Forstgartenfacharbeiter") an die erfolgreiche Ablegung der entsprechenden Facharbeiterprüfung.
Der gesetzliche Begriff des "Facharbeiters" setzt sohin eine erfolgreich abgelegte Lehrabschlussprüfung (Facharbeiterprüfung) voraus. Eine von einem gesetzlichen Begriff abweichende Bedeutung eines in einem Kollektivvertrag verwendeten Wortes muss aber klar und unmissverständlich zum Ausdruck gebracht werden (vgl. das Zl. 9 ObA 216/93).
Da die hier anwendbare Lohnordnung - anders als etwa die im Verwaltungsverfahren ebenfalls erwähnte Lohnordnung für das Bauhilfsgewerbe, welche zwischen Facharbeitern mit Lehrabschlussprüfung und Facharbeitern ohne Lehrabschlussprüfung unterscheidet - den Begriff Facharbeiter ohne weitere Einschränkungen verwendet und auch keine Einstufungskriterien enthält, aus denen allenfalls eine andere Bedeutung des Begriffes abgeleitet werden könnte, ist dieser Begriff im hier anzuwendenden Kollektivvertrag im Sinne des gesetzlichen Begriffes dahin auszulegen, dass nur Personen darunter fallen, welche die Lehrabschlussprüfung erfolgreich abgelegt haben (vgl. auch Resch, aaO, 244 zum Arbeiterkollektivvertrag für die eisen- und metallerzeugende und -verarbeitende Industrie, der freilich in diesem Zusammenhang ausdrücklich auf eine abgeschlossene Berufsausbildung (Lehrabschlussprüfung) verweist; der Begriff "Facharbeiter" wird aber auch dort - in Übereinstimmung mit dem gesetzlichen Begriff - nur für Personen mit Lehrabschlussprüfung verwendet). Personen, die lediglich die vereinbarte Dauer der Lehrzeit absolviert, die Lehrabschlussprüfung aber nicht erfolgreich abgelegt haben, sind daher der in der Lohnordnung mit Facharbeiter (Hafner, Platten- und Fliesenleger) bezeichneten Lohngruppe nicht zuzuordnen.
Der Kollektivvertrag verweist sohin durch seine begriffliche Anknüpfung an die Terminologie des BAG (auch) auf ein formales Anknüpfungskriterium, sodass es im hier zu beurteilenden Fall (zur Abgrenzung Facharbeiter oder qualifizierter Helfer) nicht allein auf die tatsächlich ausgeübte Tätigkeit des Dienstnehmers der Beschwerdeführerin ankommt, wobei zu wiederholen ist, dass der Lohnordnung insoweit auch keine anderen Abgrenzungskriterien entnommen werden könnten.
Wenn die belangte Behörde dagegen auf das Zl. 9 ObA 190/91, verweist, ist zu erwidern, dass dort eine Bestimmung in einem Kollektivvertrag zu beurteilen war, die eine Einstufung in eine Beschäftigungsgruppe an das Kriterium der "abgeschlossenen Lehrzeit" anknüpfte. Die Lehrzeit ist - wie auch aus § 14 Abs. 1 BAG hervorgeht - mit Ablauf der im Lehrvertrag vereinbarten Dauer der Lehrzeit abgeschlossen. Daraus kann aber nicht abgeleitet werden, dass damit eine Qualifikation als "Facharbeiter" (welche aber der hier zu beurteilende Kollektivvertrag verlangt) verbunden ist.
Weiters verweist die belangte Behörde auf das Zl. 8 ObA 13/98i. Darin hat sich der Oberste Gerichtshof mit einer Bestimmung des Kollektivvertrages für den Druckvorbereich auseinandergesetzt, welche unter bestimmten Voraussetzungen die Gleichstellung von Helfern mit Facharbeitern vorsieht. Eine derartige (Gleichstellungs )Bestimmung ist aber dem hier zu beurteilenden Kollektivvertrag nicht zu entnehmen.
Aus dem in der Gegenschrift von der belangten Behörde angeführten Zl. 10 ObS 124/01k, ist für den hier zu beurteilenden Fall schon deswegen nichts ableitbar, als aus den veröffentlichten Gründen nicht ersichtlich ist, ob die dort als "gelernte Fleischergesellen" den "Helfern" gegenüber gestellten Personen eine Lehrabschlussprüfung erfolgreich abgelegt haben (wofür freilich die Verwendung des Begriffes "Geselle" spricht, vgl. § 21 Abs. 3 lit. b BAG) oder nicht. Soweit in der Gegenschrift weiters auf das Zl. 9 ObA 130/94, verwiesen wird, so wird dort aber angeführt, dass die Kläger ihre Lehre jeweils "erfolgreich" beendet hätten. Ein bloßer Ablauf der im Lehrvertrag vereinbarten Dauer der Lehrzeit könnte aber nicht als "erfolgreiche" Beendigung beurteilt werden, sodass auch insoweit von einer erfolgreich abgelegten Lehrabschlussprüfung auszugehen wäre, die allein die Entlohnung als Facharbeiter zu begründen vermöchte (wobei im Übrigen die Bestimmungen des dort zu beurteilenden Kollektivvertrages der Entscheidung nicht entnommen werden können).
Da der Dienstnehmer M der Beschwerdeführerin mangels erfolgreich abgelegter Lehrabschlussprüfung nicht als "Facharbeiter" im Sinne der Lohnordnung (Hafner-, Platten- und Fliesenlegergewerbe) zu beurteilen ist, war der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.
Von der - von der beschwerdeführenden Partei beantragten - Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 6 VwGG abgesehen werden.
Wien, am