VwGH vom 17.12.2009, 2009/16/0221
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Steiner und die Hofräte Dr. Mairinger und Dr. Thoma als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Bayer, über die Amtsbeschwerde des Finanzamtes Wien 6/7/15, gegen den Bescheid des unabhängigen Finanzsenates, Außenstelle Wien, vom , Zl. RV/0205-W/09, betreffend Familienbeihilfe (mitbeteiligte Partei: M P, Wien), zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Begründung
Der Mitbeteiligte, Vater von A (und N) P, beantragte am die Zuerkennung von Familienbeihilfe für seine Kinder.
Mit Bescheid vom wies das Finanzamt Wien 6/7/15 den Antrag auf Gewährung von Familienbeihilfe für beide Kinder ab. Betreffend A P führte die Erstbehörde aus, für Kinder, die nicht österreichische "StaatsbürgerInnen" seien, bestehe gemäß § 3 Abs. 2 FLAG nur dann Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn sie sich nach §§ 8 und 9 NAG rechtmäßig in Österreich aufhielten.
In seiner Berufung brachte der Mitbeteiligte u.a. vor, dass sich seine Tochter A auf Grund einer gültigen Aufenthaltsbewilligung in Österreich aufhielte.
Mit Berufungsvorentscheidung vom wies das Finanzamt diese Berufung als unbegründet ab. Für Kinder, die nicht die österreichische Staatsbürgerschaft besäßen, bestehe - so die wesentliche Begründung - mangels intensiver Anbindung an Österreich kein Anspruch auf Familienbeihilfe, weil sie sich nach §§ 8 und 9 NAG zwar rechtmäßig, aber nur vorübergehend zu Ausbildungszwecken in Österreich aufhielten. A P verfüge über einen Aufenthaltstitel als Studierende, der nach den obigen Bestimmungen keinen Anspruch auf Familienbeihilfe rechtfertige.
Der Mitbeteiligte beantragte die Vorlage der Berufung an die Abgabenbehörde zweiter Instanz.
Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung teilweise Folge und hob den Erstbescheid sowie die Berufungsvorentscheidung betreffend die Tochter A auf (und wies die Berufung betreffend deren Bruder N ab).
Begründend führte die belangte Behörde zunächst im Rahmen der Darstellung des Verwaltungsgeschehens u.a. aus:
"Der Mitbeteiligte ist seit durchgehend in Österreich gemeldet und war laut AIS-DB2 in den Jahren 2007 und 2008 ganzjährig in Österreich unselbständig erwerbstätig.
Seine Tochter A ist seit in Österreich gemeldet und
studiert an der Universität Wien Erdwissenschaften. Eine
Inskriptionsbestätigung für das Sommersemester 2008 wurde dem
Finanzamt vorgelegt. Der Sohn N ... Die Frau des
Mitbeteiligten, M ..., ist seit in Österreich
gemeldet. Im Antrag auf Gewährung der Familienbeihilfe wurde
erklärt, M ... sei derzeit ohne Arbeitsplatz wegen Deutschkurs.
Sie war im Jahr 2008 von 30.10. bis 17.12. unselbständig erwerbstätig. Seit lebt die gesamte Familie an der Adresse in Wien. Sämtliche Personen haben laut Zentralmelderegister den Hauptwohnsitz an der genannten Adresse.
..."
Nach weiterer Darstellung des Verwaltungsverfahrens erwog die belangte Behörde unter Zitierung aus dem FLAG sowie aus dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz - NAG, die Kinder des Mitbeteiligten hätten im Zeitpunkt der Antragstellung unstrittig über eine gültige Aufenthaltsbewilligung als Studierende gemäß § 8 Abs. 1 Z. 5 NAG verfügt. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sei der ständige Aufenthalt im Sinne des § 5 Abs. 4 (nunmehr: § 5 Abs. 3) FLAG unter den Gesichtspunkten des Vorliegens eines gewöhnlichen Aufenthaltes nach § 26 Abs. 2 BAO zu beurteilen. Danach habe jemand den gewöhnlichen Aufenthalt im Sinne der Abgabenvorschriften dort, wo er sich unter Umständen aufhalte, die erkennen ließen, dass er an diesem Ort oder in diesem Land nicht nur vorübergehend verweile. Diese nicht auf den Mittelpunkt der Lebensinteressen abstellende Beurteilung sei nach objektiven Kriterien zu treffen. Ein Aufenthalt in dem genannten Sinne verlange grundsätzlich körperliche Anwesenheit. Daraus folge auch, dass eine Person nur einen gewöhnlichen Aufenthalt haben könne. Um einen gewöhnlichen Aufenthalt aufrecht zu erhalten, sei aber keine ununterbrochene Anwesenheit erforderlich. Abwesenheiten, die nach den Umständen des Falles nur als vorübergehend gewollt anzusehen seien, unterbrächen nicht den Zustand des Verweilens und daher auch nicht den gewöhnlichen Aufenthalt. Der Verwaltungsgerichtshof habe weiters im Falle eines Schulbesuches eines Kindes im Ausland, welcher auf (voraussichtlich) fünf Jahre angelegt gewesen sei, einen nicht bloß vorübergehenden Aufenthalt angenommen und für den gewöhnlichen Aufenthalt in diesem Fall auf ein zeitliches Überwiegen des Aufenthaltes in Österreich abgestellt. Das bloße Verbringen der Ferien in Österreich unterbräche den ständigen Aufenthalt im Ausland nicht.
Betreffend die Tochter des Mitbeteiligten erwog die belangte Behörde, diese
"hält sich unstrittig zu Studienzwecken in Österreich auf. Sie lebt im gemeinsamen Haushalt mit ihren Eltern und ist somit in Österreich körperlich anwesend. Sie hat zunächst einen Deutschkurs besucht und nach einem Jahr durch Ablegung einer Prüfung die Voraussetzungen für den Besuch der Universität als ordentlicher Hörer erfüllt. Sie hat in der Folge ein Studium an der Universität Wien gewählt, das mindestens sechs Semester dauert und auch eine Vielzahl von Prüfungen in diesem Studium abgelegt, die das gesetzlich geforderte Ausmaß übersteigen. Die geplante Dauer des Studiums von fünf bis sechs Jahren würde erreicht, wenn die Tochter des Mitbeteiligten nach Abschluss des Bakkalaureatsstudiums noch das Masterstudium belegen würde, welches vier Semester dauert. Von einem bloß vorübergehenden Aufenthalt in Österreich im Sinne des FLAG ist daher nach Ansicht des unabhängigen Finanzsenates nicht auszugehen. Die Tochter des Mitbeteiligten hat vielmehr den gewöhnlichen, und damit ständigen Aufenthalt derzeit in Österreich, auch wenn die Aufenthaltsgenehmigung fremdenrechtlich jeweils nur befristet erteilt wird. Kurzfristige Auslandsaufenthalte unterbrechen den ständigen Aufenthalt nicht. Auch die Bestimmung des § 3 Abs. 2 FLAG steht der Annahme eines ständigen Aufenthaltes in Österreich nicht entgegen, setzt diese Bestimmung doch lediglich einen nach §§ 8 und 9 des NAG rechtmäßigen Aufenthalt in Österreich voraus, jedoch keinen unbefristeten Aufenthaltstitel."
Aus den genannten Gründen gebühre die Familienbeihilfe im verfahrensgegenständlichen Zeitraum daher für die Tochter des Mitbeteiligten.
Gegen den die Tochter des Mitbeteiligten betreffenden Spruchabschnitt des angefochtenen Bescheides richtet sich die vorliegende Amtsbeschwerde, in der die Aufhebung des angefochtenen Bescheidteiles wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes begehrt wird.
Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem nach § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
Die Amtsbeschwerde sieht die inhaltliche Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides zusammengefasst in einer Verkennung des § 5 Abs. 3 FLAG durch die belangte Behörde. Danach bestehe nämlich kein Anspruch auf Familienbeihilfe für Kinder, die sich ständig im Ausland aufhielten, wobei sich ein Kind dann ständig im Ausland aufhalte, wenn es im Inland überhaupt keinen oder nur einen vorübergehenden Aufenthalt habe. Ein nur vorübergehender Aufenthalt eines Kindes im Inland spreche nicht gegen die Annahme eines ständigen Aufenthaltes im Ausland. Nur ein längerer Aufenthalt im Inland ohne absehbare zeitliche Begrenzung werde die Annahme eines ständigen inländischen Aufenthaltes rechtfertigen. Hiezu stehe vor allem die Aufenthaltsbewilligung "Studierender" in Widerspruch, da sich diese Personen nur für Ausbildungszwecke vorübergehend in Österreich aufhielten. Der Aufenthaltstitel nach § 8 NAG werde auch ausschließlich für Ausbildungszwecke und jeweils für ein Jahr befristet gewährt. Eine Verlängerung sei von einem gewissen Ausbildungserfolg abhängig und bis zum Abschluss der jeweiligen Ausbildung möglich. Darnach bestehe jedoch kein Rechtsanspruch auf Erhalt eines weiteren Aufenthaltstitels. Eine Änderung des Aufenthaltszwecks des Studierenden sei prinzipiell nur als "Niederlassungsbewilligung-Schlüsselkraft" im Rahmen der Quotenregelung möglich. Eine unbefristete Niederlassungsbewilligung in Form des Aufenthaltstitels "Daueraufenthalt-EG" könne durch eine Aufenthaltsbewilligung auch nach mehrmaliger Verlängerung jedenfalls nicht erreicht werden, da dies nur im Rahmen einer rechtmäßigen Niederlassung (über fünf Jahre) möglich sei. Wenn das NAG eine Aufenthaltsbewilligung zum Zweck der Familiengemeinschaft mit Rotationsarbeitskräften nur für minderjährige Kinder ermögliche, sei es nach Ansicht des Finanzamtes unzulässig, auf Basis eines unter wesentlich geringen Auflagen zu erwirkenden Aufenthaltstitels "Studierender" Ansprüche abzuleiten. Die Annahme eines ständigen Aufenthaltes erfordere, dass sich eine Person an einem Ort unter Umständen aufhalte, die darauf schließen ließen, dass diese an diesem Ort nicht nur vorübergehend verweile. Wenn nun auf Grund der Bestimmungen des NAG ein Aufenthaltstitel jeweils nur für ein Jahr befristet ausgestellt werde und auch kein Anspruch auf eine dauerhafte Verlängerung nach Abschluss der Ausbildung bestehe, untermauere dies die Ansicht, dass hier lediglich ein vorübergehender Aufenthalt für die Zeit der Ausbildung vorliege, unabhängig davon, dass sich ein Studium naturgemäß über mehrere Jahre erstrecke. Die im angefochtenen Bescheid erörterte Frage, ob sich der Mittelpunkt der Lebensinteressen der volljährigen Tochter des Mitbeteiligten in Österreich befinde, spiele bei der Beurteilung des Sachverhaltes nur mittelbar eine Rolle, da die Anspruchsvoraussetzung des Mittelpunkts der Lebensinteressen nach § 2 Abs. 8 FLAG ausschließlich von der bezugswerbenden Person zu erfüllen sei. Der Aufenthalt der Tochter des Mitbeteiligten in Österreich sei jedoch als zeitlich begrenzter Inlandsaufenthalt (vorübergehender) zu beurteilen, der nach § 5 Abs. 3 FLAG einen Anspruch auf Familienbeihilfe ausschließe. Dem Bezug der Familienbeihilfe stehe nicht die Anspruchsberechtigung des Mitbeteiligten entgegen, sondern der Ausschlussgrund des § 5 Abs. 3 FLAG.
Die vorliegende Amtsbeschwerde sieht die inhaltliche Rechtswidrigkeit somit ausschließlich darin, dass die belangte Behörde die Anwendbarkeit des Ausschlusstatbestandes des § 5 Abs. 3 FLAG verkannt habe. Sie zieht daher die Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen des § 2 Abs. 1 lit. b, § 3 Abs. 1 und 2 FLAG, insbesondere den rechtmäßigen Aufenthalt sowohl des Mitbeteiligten als auch dessen Tochter A, beruhend auf einem Aufenthaltstitel nach den §§ 8 und 9 NAG, nicht in Zweifel.
Nach § 5 Abs. 3 FLAG besteht kein Anspruch auf Familienbeihilfe für Kinder, die sich ständig im Ausland aufhalten.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist der ständige Aufenthalt im Sinne des § 5 Abs. 3 FLAG unter den Gesichtspunkten des Vorliegens eines gewöhnlichen Aufenthaltes nach § 26 Abs. 2 BAO zu beurteilen. Danach hat jemand den gewöhnlichen Aufenthalt im Sinne der Abgabenvorschriften dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Land nicht nur vorübergehend verweilt. Diese nicht auf den Mittelpunkt der Lebensinteressen abstellende Beurteilung ist nach objektiven Kriterien zu treffen. Ein Aufenthalt in dem genannten Sinne verlangt grundsätzlich körperliche Anwesenheit. Daraus folgt auch, dass eine Person nur einen gewöhnlichen Aufenthalt haben kann. Um einen gewöhnlichen Aufenthalt aufrecht zu erhalten, ist aber keine ununterbrochene Anwesenheit erforderlich. Abwesenheiten, die nach den Umständen des Falles nur als vorübergehend gewollt anzusehen sind, unterbrechen nicht den Zustand des Verweilens und daher auch nicht den gewöhnlichen Aufenthalt (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2008/15/0323, mwN).
Ein auf - voraussichtlich - mehrere Jahre angelegter Schulbesuch ist nicht mehr als bloß vorübergehender Aufenthalt zu beurteilen. Selbst das Verbringen von Ferien in einem anderen Land als jenem des Schulbesuches unterbricht diesen ständigen Aufenthalt nicht (vgl. insbesondere das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , Zl. 98/15/0016, betreffend die Beurteilung eines sich über einen Zeitraum von zwei Jahren erstreckenden Schulaufenthaltes, sowie die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 2002/13/0079, vom , Zl. 2001/13/0160, und vom , Zl. 2002/14/0103).
Ausgehend von den von der belangten Behörde getroffenen, von der Amtsbeschwerde nicht in Zweifel gezogenen Feststellungen hält sich die Tochter des Mitbeteiligten seit zum Zwecke der Absolvierung eines Bakkalaureat-Studiums in Österreich auf; die belangte Behörde hat keine Umstände festgestellt, die erkennen ließen, dass sich die Tochter des Mitbeteiligten überhaupt im Ausland aufhalten würde oder deren Aufenthalt in Österreich ungeachtet der voraussichtlichen Studiendauer nur von kürzerer Dauer sein sollte.
An dieser Beurteilung ändert auch der Umstand, dass die Tochter des Mitbeteiligten über eine Aufenthaltsbewilligung als Studierende nach § 8 Abs. 1 Z. 5 NAG verfügt, nichts, weil allein dieser Aufenthaltstitel dem tatsächlichen (ständigen) Aufenthalt der Tochter des Mitbeteiligten nicht schadet (vgl. die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 2009/16/0178, und vom , Zl. 2008/13/0072).
Unter Zugrundelegung der nach der wiedergegebenen Rechtsprechung maßgeblichen tatsächlichen Umständen kann der Beurteilung der belangten Behörde nicht entgegengetreten werden, wenn sie einen ständigen Aufenthalt der Tochter des Mitbeteiligten im Ausland nicht für gegeben erachtete.
Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.
Wien, am