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Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 03.02.2025, RV/7101203/2022

Anspruch auf Familienbeihilfe setzt zwingend den Status "des sich in Berufsausbildung Befindens" des Antragstellers voraus

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter Ri über die Beschwerde des ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, vom , gegen den Bescheid des Finanzamtes Österreich vom , betreffend Abweisung des Antrages auf Gewährung der Familienbeihilfe im Zeitraum vom bis zum , zu Recht erkannt:

Der Beschwerde wird teilweise Folge gegeben.

Der angefochtene Bescheid wird abgeändert.

Soweit sich die Abweisung des Antrages auf den Zeitraum vom bis zum bezieht, wird der angefochtene Bescheid aufgehoben.

Soweit sich die Beschwerde gegen die Abweisung des Antrages im Zeitraum vom bis zum richtet, wird diese als unbegründet abgewiesen.

Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

Verfahrensgang

Der Beschwerdeführer (Bf.), geb. Dez94, ist ***1*** Staatsangehöriger, hat in Österreich einen Aufenthaltstitel als Studierender und stellte am einen Eigenantrag auf Gewährung der Familienbeihilfe für den Zeitraum vom bis zum .

Dem Antrag war folgendes Schreiben beigelegt:

"Ich bin ***1*** Staatsangehöriger, geboren am Dez94 und kam 2013 nach Österreich. Seither lebe ich in Wien. Derzeit wohne ich in der ***2***.

Im Wintersemester 2013/2014 nahm ich das Bachelorstudium Elektro- und Informationstechnik an der Technischen Universität Wien auf und habe dieses 2019 erfolgreich abgeschlossen. Ich bin weiterhin auf der TU Wien und studiere im Masterstudiengang Energie- und Automatisierungstechnik. In den ersten beiden Semestern des Bachelors konnte ich Prüfungen von weit mehr als den geforderten 8 Semesterwochenstunden absolvieren und sollte damit auch die Anforderungen des Leistungsnachweises erfüllen. Auch nach diesem ersten Jahr an der TU Wien betreibe ich das Studium ernsthaft und zielstrebig, wie Sie meinem Sammelzeugnis entnehmen können.

Während des Bachelorstudiums erhielt ich noch manchmal eine geringe finanzielle Unterstützung (unregelmäßig 300 EUR, ca. alle 3-4 Monate) von meinen Eltern, welche in ***3*** leben und arbeiten. In meiner Zeit als Studierender - insbesondere im antragsgegenständlichem Zeitraum -trug ich selbst den überwiegenden Teil meines Unterhalts. Meinen Versicherungsdatenauszug mit den entsprechenden Arbeitgebern für die betroffene Zeit sende ich Ihnen zu. Ich erfülle daher auch die Anspruchsvoraussetzungen für einen Eigenanspruch auf Familienbeihilfe.

Meine monatlichen Ausgaben betrugen im antragsgegenständlichen Zeitraum ca. 500 Euro und setzten sich im Wesentlichen aus der Miete (inklusive sämtlicher Kosten wie Strom und Internet) iHv 315 Euro, Handykosten iHv 10 Euro sowie Lebensmittel-, Kleidungs- und Drogeriekosten iHv 170 Euro zusammen. Weiters war für das Semesterticket bei den Wiener Linien 75 Euro pro Semester zu zahlen.

Mein Anspruch auf Familienbeihilfe begründetet sich auf die gleichen Grundlagen wie bei Vollwaisen.

Gemäß § 6 Abs 2 FLAG besteht der Anspruch für Vollwaisen, die das 24. Lebensjahr noch nicht vollendet haben und für einen Beruf ausgebildet werden {gleichzusetzend mit einem Studium). § 2 Abs 1 lit b zweiter bis letzter Satz FLAG sind für diese ebenfalls anzuwenden. Dementsprechend besteht Anspruch auf Familienbeihilfe für die vorgesehene Studienzeit. Meinen 24. Geburtstag feierte ich am .

Der Durchführungsrichtlinie zum FLAG Teil 1 vom ist auf Seite 51 Punkt 2 unter dem Kapitel "06.05 Kinder, die Vollwaisen gleichgestellt sind" zu entnehmen:

"2. § 6 Abs. 5 FLAG 1967 bezweckt die Gleichstellung von Kindern, deren Eltern ihnen nicht überwiegend Unterhalt leisten, mit Vollwaisen, für die niemand unterhaltspflichtig ist und die deshalb einen eigenen Anspruch auf Familienbeihilfe haben. Der Gesetzgeber will mit der betreffenden Bestimmung in jenen Fällen Härten vermeiden, in denen Kinder sich weitgehend selbst erhalten müssen. Somit ist § 6 Abs. 5 FLAG 1967 auch dann anwendbar, wenn Eltern ihrer Unterhaltspflicht aus welchen Gründen immer nicht nachkommen.

Demnach ist nur entscheidend, ob das Kind eines Unterhaltes bedarf. Ob dieser Unterhaltsanspruch gegen den Unterhaltspflichtigen überhaupt realisiert werden kann, ist ohne Bedeutung (siehe ). Daher ist § 6 Abs. 5 FLAG 1967 zB auch anwendbar, wenn Eltern (ein Elternteil) mangels (ausreichendem) Einkommen gar nicht in der Lage sind (ist), den erforderlichen Unterhalt für das Kind tatsächlich zu leisten."

Die Bestimmung des § 3 Abs 1 Familienlastenausgleichsgesetz (FLAG) regelt die Frage der Gleichstellung zu österreichischen Staatsbürgerinnen. Die Bestimmung sieht eine Gleichstellung vor, sofern ein Aufenthaltstitel gemäß § 8 oder 9 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) vorliegt und sich die Person rechtmäßig in Österreich aufhält. Ich halte mich rechtmäßig in Österreich auf und hatte für die betroffene Zeit den Aufenthaltstitel Studierender.

§ 2 Abs 8 FLAG normiert den Mittelpunkt der Lebensinteressen im Bundesgebiet als Anspruchsvoraussetzung für die Familienbeihilfe. Nach der Rechtsprechung kommt es für die Frage des Mittelpunktes der Lebensinteressen nicht auf die Staatsangehörigkeit, den Zweck der Einreise und auch nicht auf einen ständigen Aufenthalt im Bundesgebiet an: : "Zur Frage des Mittelpunktes der Lebensinteressen im Sinn des § 2 Abs. 8 FLAG kommt es nach der hg. Rechtsprechung nicht darauf an, ob der Aufenthalt im Bundesgebiet ein ständiger ist (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , ZI. 2009/16/0124, mwN)." : "Demgegenüber hat der Verwaltungsgerichtshof etwa in den Erkenntnissen vom , ZI. 2008/15/0325, und vom , ZI. 2008/13/0218), auf deren Gründe gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG verwiesen wird, ausgesprochen, dass ein zu Studienzwecken lediglich vorübergehend währender Aufenthalt im Bundesgebiet die Beurteilung nicht ausschließt, der Studierende habe den Mittelpunkt der Lebensinteressen in Österreich."

Ich versuche meine Eltern zumindest in den Ferienzeiten zu sehen, d.h. im April und Dezember für je eine Woche -im Sommer für maximal zwei Wochen. Mein Leben in Österreich verbringe ich meist mit meinen Freunden und Kommilitonen sowie mit meiner Verlobten. Meine zukünftige Frau habe ich in Wien kennengelernt und seit 2020 sind wir verlobt. Meine engsten Kontakte, mein Studium sowie auch meine Dienstverhältnisse sind allesamt in Österreich - daher befindet sich auch mein Mittelpunkt meiner Lebensinteressen gemäß § 2 Abs 8 FLAG in Österreich.

Ich möchte weiters auf das Erkenntnis des . GZ. RV/7100660/2018 hinweisen.

Aufgrund der oben angeführten Tatsachen beantrage ich, rückwirkend von Oktober 2016 bis Dezember 2018 die Familienbeihilfe für mich selbst. Das sind insgesamt 27 Monate. Die rückwirkende Geltendmachung der Familienbeihilfe für bis zu fünf Jahre ist durch § 10 Abs 3 FLAG gedeckt."

Das Finanzamt wies den Antrag mit Bescheid vom mit folgender Begründung ab:

"Gemäß § 6 Abs. 5 Familienlastenausgleichsgesetz 1967 (FLAG 1967) haben Kinder, deren Eltern ihnen nicht überwiegend Unterhalt leisten und die sich nicht auf Kosten der Jugendwohlfahrtspflege oder der Sozialhilfe in Heimerziehung befinden, unter denselben Voraussetzungen Anspruch auf Familienbeihilfe, unter denen eine Vollwaise Anspruch auf Familienbeihilfe hat und können somit für sich selbst Familienbeihilfe beziehen.

Lebt ein Kind im Haushalt der Eltern {eines Elternteiles) oder finanzieren die Eltern überwiegend die Unterhaltskosten, haben die Eltern (hat der Elternteil) gemäß § 2 Abs. 2 Familienlastenausgleichsgesetz 1967 {FLAG 1967) vorrangig Anspruch auf Familienbeihilfe."


Der Bf. erhob gegen den Abweisungsbescheid am Beschwerde und brachte vor, dass er mit seinem Antrag auf Familienbeihilfe vom dem Finanzamt ausführlich seine persönliche Situation erläutert habe. Er habe seit dem Jahr 2013 sowohl den Mittelpunkt seiner Lebensinteressen als auch sein soziales Umfeld in Wien. Das Bachelor-Studium sei erfolgreich abgeschlossen worden und für seinen Unterhalt in dem betroffenen Zeitraum habe er selbst gesorgt. Sein Anspruch auf Gewährung der Familienbeihilfe gründe auf den gleichen Grundlagen wie bei Vollwaisen. Hierzu auch: § 6 Abs. 2 FLAG sowie § 6 Abs. 5 FLAG und dazugehöriger Durchführungsrichtlinie zum FLAG Teil 1 vom , S. 51 Punkt 2: "Der Gesetzgeber will mit der betreffenden Bestimmung in jenen Fällen Härten vermeiden, in denen Kinder sich weitgehend selbst erhalten müssen. "

Dem Antrag beigefügt sei sein Versicherungsdatenauszug, aus welchem das Finanzamt entnehmen könne, dass er im betroffenen Zeitraum angestellt gewesen sei und seine Lebenserhaltungskosten mit diesem Anstellungsverhältnis überwiegend selbst finanziert habe. Das Studium an der TU Wien habe er ernsthaft und zielstrebig verfolgt, als Nachweis dazu diene sein Sammelzeugnis sowie letztendlich sein Bachelordiplom.

Im antragsgegenständlichem Zeitraum sei der Lebensunterhalt von ihm überwiegend selbst finanziert worden - es erschließe sich für ihn daher nicht, warum der Anspruch auf Familienbeihilfe seinen Eltern zugesprochen werde, wenn diese nicht für seinen Unterhalt aufgekommen seien.

Er beantrage somit die Aufhebung des oben genannten Bescheides und die Erlassung eines neuen Bescheides, mit der Gewährung der Familienbeihilfe für den antragsgegenständlichen Zeitraum.


Das Finanzamt wies die Beschwerde mit Beschwerdevorentscheidung vom mit folgender Begründung ab:

"Gemäß § 3 (1) Familienlastenausgleichsgesetz 1967 haben Personen, die nicht österreichische Staatsbürger sind, nur dann Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn sie sich nach §§ 8 und 9 des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005 oder nach § 54 des Asylgesetzes 2005 (AsylG 2005), BGBl. I Nr. 100/2005 idF BGBl. I Nr. 87/2012 rechtmäßig in Österreich aufhalten.

Für ausländische Studierende / Schüler in Österreich mit einer Aufenthaltsbewilligung Student besteht trotz rechtmäßigem Aufenthalt kein österreichischer Familienbeihilfenanspruch, da sich diese Personen für Ausbildungszwecke in Österreich aufhalten.

Vom Finanzamt wird weiterhin ein beschränkter Aufenthalt angenommen, der allein zu Studienzwecken dient, da in erster Linie die für die Erteilung der Aufenthaltstitel zuständige Behörde über den jeweiligen Titel der Aufenthaltsbewilligung zu entscheiden hat."

Der Bf. stellte am einen Vorlageantrag an das Bundesfinanzgericht und beantragte die Durchführung einer mündlichen Verhandlung und/oder die Entscheidung durch den Senat. Hinsichtlich der Begründung verwies der Bf. auf seine Beschwerde vom .

Mit Eingabe des Bf. vom wurde der Antrag vom auf Behandlung des Rechtsmittels durch den Senat, sowie jener auf Anberaumung einer mündlichen Verhandlung zurückgenommen.

Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

1. Sachverhalt

Der seit dem Jahr 2013 in Österreich wohnhafte, als Staatsbürger ***6*** mit einer Aufenthaltsbewilligung "Student" versehene Bf. begann - im Anschluss an die im Jänner 2014 positiv erfolgte Absolvierung eines universitären Vorstudienlehrgangs mit den Prüfungsfächern "Mathematik sowie Physik für Elektrotechnik" - im SS/2014 an der TU Wien das Bachelorstudium "Elektrotechnik und Informationstechnik", welches er am , sprich sohin nach dem am erfolgten Ablauf eines Toleranzsemester), respektive nach Vollendung seines 24. Lebensjahres abgeschlossen hat.

Laut dem mit datierten Leistungsnachweis der TU Wien hat der Bf. im Bachelorstudium "Elektrotechnik und Informationstechnik" im Studienjahr 2015/2016 (sprich im Zeitraum vom bis zum ) positive Prüfungen im Ausmaß von 46 ECTS- Punkten abgelegt.

Der Abweisung seines den Zeitraum vom bis zum umfassenden Antrages auf Gewährung der Familienbeihilfe sowie der vermittels BVE erfolgten Abweisung der Beschwerde tritt der Bf. mit den Argumenten des Bestehens eines auf nahezu ausschließlicher Tragung der Unterhaltskosten durch seine Person fußenden Eigenanspruchs gemäß § 6 Abs. 5 FLAG 1967 sowie der - seitens der belangten Behörde in der BVE in Abrede gestellten - Tatsache, dem gemäß ob ausschließlichem Verbringens der Freizeit sowie sozialer Kontakte Österreich den Mittelpunkt seiner Lebensinteressen bilde, entgegen.

Dem im Beschwerdeverfahren nachgereichten Versicherungsdatenauszug sowie den Unterlagen der belangten Behörde ist zu entnehmen, dass der Bf. bezogen auf den Antragszeitraum vom bis zum als geringfügig Beschäftigter erwerbstätig war, wobei der Betrag der steuerpflichtigen Bezüge (laut KZ 245 des Lohnzettels) im Zeitraum vom bis auf 872,45 Euro, bzw. jener für den Zeitraum vom bis zum auf 3.125,41 Euro lautete, bzw. dieser ab dem bis zum bei der Fa. ***5*** angestellt war, wobei aus diesem Dienstverhältnis im Zeitraum vom bis zum steuerpflichtige Bezüge von 6.364,60 Euro erwirtschaftet wurden.

Abschließend ist festzuhalten, dass der Bf. nach Abschluss des Masterstudiums "Energie- und Automatisierungstechnik" nach wie vor in Österreich wohnhaft, respektive seit dem ebenda facheinschlägig erwerbstätig ist.

2. Beweiswürdigung

Der unter Punkt 1 dargelegte Sachverhalt ist unstrittig und basiert dieser auf der Aktenklage, dem Vorbringen des Bf. sowie den bereits an oberer Stelle explizit angeführten Unterlagen, wie dem Versicherungsdatenauszug, den Lohnzetteln sowie den Inskriptions- und Leistungsnachweisen der TU Wien.

3. Streitgegenstand

Unter nochmaliger Bezugnahme auf die Ausführungen unter Punkt 1 steht die Anspruchsberechtigung des Bf. auf Familienbeihilfe im Zeitraum vom bis zum auf dem Prüfstand des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens.

4. Rechtliche Beurteilung

4.1. Eigenanspruch auf Familienbeihilfe eines Studierenden mit einer Aufenthaltsbewilligung Student

§ 6 Abs. 5 FLAG 1967 normiert:

"Kinder, deren Eltern ihnen nicht überwiegend Unterhalt leisten und deren Unterhalt nicht zur Gänze aus Mitteln der Kinder- und Jugendhilfe oder nicht zur Gänze aus öffentlichen Mitteln zur Sicherung des Lebensunterhaltes und des Wohnbedarfes getragen wird, haben unter denselben Voraussetzungen Anspruch auf Familienbeihilfe, unter denen eine Vollwaise Anspruch auf Familienbeihilfe hat (Abs. 1 bis 3). Erheblich behinderte Kinder im Sinne des § 2 Abs. 1 lit. c, deren Eltern ihnen nicht überwiegend den Unterhalt leisten und die einen eigenständigen Haushalt führen, haben unter denselben Voraussetzungen Anspruch auf Familienbeihilfe, unter denen eine Vollwaise Anspruch auf Familienbeihilfe hat (Abs. 1 und 3)."

Unter nochmaliger Bezugnahme auf die unter Punkt 1 dargelegte im streitgegenständlichen Zeitraum entfaltete Erwerbstätigkeit des Bf. gelangt das BFG zur Überzeugung. dass dieser nahezu ausschließlich für seinen Unterhalt aufgekommen ist, wobei an diesem Faktum auch von diesem zwar zugestandene, aber in unregelmäßigen Abständen erfolgende Geldzuschüsse seiner Eltern keine Änderung herbeizuführen vermögen.

Demzufolge obwalten an der auf § 6 Abs. 5 FLAG 1967 fußenden Eigenanspruchsberechtigung des Bf. keinerlei Bedenken.

4.2. Ort des Mittelpunkts der Lebensinteressen

§ 2 Abs. 8 FLAG 1967 lautet:

"Personen haben nur dann Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn sie den Mittelpunkt der Lebensinteressen im Bundesgebiet haben. Eine Person hat den Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen in dem Staat, zu dem sie die engeren persönlichen und wirtschaftlichen Beziehungen hat."

Das Finanzamt vertritt die Ansicht, dass für ausländische Studierende / Schüler in Österreich mit einer Aufenthaltsbewilligung Student trotz rechtmäßigem Aufenthalt kein österreichischer Familienbeihilfenanspruch bestehe, da sich diese Personen nur für Ausbildungszwecke in Österreich aufhalten würden. Es werde betreffend Mittelpunkt der Lebensinteressen weiterhin ein beschränkter Aufenthalt angenommen, der allein zu Studienzwecken diene, da in erster Linie die für die Erteilung der Aufenthaltstitel zuständige Behörde über den jeweiligen Titel der Aufenthaltsbewilligung zu entscheiden habe.

Im Erkenntnis vom , Ra 2016/15/0008, stellte der VwGH fest, dass für die Beur-teilung der Frage, an welchem Ort (in welchem Staat) der Steuerpflichtige die engeren persönlichen und wirtschaftlichen Beziehungen habe, auf das Gesamtbild der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse abzustellen sei, wobei das Überwiegen der Beziehungen zum einen oder anderen Staat den Ausschlag gebe (Verweis auf Hofstätter/Reichel, § 1 EStG 1988, Tz 9). Wirtschaftlichen Beziehungen komme dabei in der Regel eine geringere Bedeutung zu als persönlichen Beziehungen. Unter letzteren seien all jene zu verstehen, die einen Menschen aus in seiner Person liegenden Gründen mit jenem Ort verbinden würden, an dem er einen Wohnsitz innehabe. Von Bedeutung seien dabei familiäre Bindungen sowie Betätigungen gesellschaftlicher, religiöser und kultureller Art und andere Betätigungen zur Entfaltung persönlicher Interessen und Neigungen (Verweis auf ), aber auch Verbindungen zu Sachgesamtheiten, wie Privatsammlungen, und die Mitgliedschaft in Vereinen und andere soziale Engagements (vgl. Vogel/Lehner, DBA5 (2008), Art 4 Rn 192). Der Mittelpunkt der Lebensinteressen sei durch eine zusammenfassende Wertung aller Umstände zu ermitteln. Entscheidend sei letztlich, welcher Vertragsstaat für die Person der bedeutungsvollere sei.

Der VwGH hat wiederholt ausgesprochen, dass der Umstand, dass ein Aufenthalt zu Studienzwecken begrenzt ist, der Beurteilung, der Mittelpunkt der Lebensinteressen liege am Ort des Studiums, nicht entgegen steht (, , , ) oder dass der Umstand einer bloß befristeten Aufenthalts­berechtigung unerheblich ist (vgl. , , ). Es mag zwar in vielen Fällen typisch sein, dass der Lebensmittelpunkt von Studierenden, die sich nur zu Studienzwecken in Österreich aufhalten, weiterhin in ihrem Herkunftsland liege. Daraus lasse sich aber nicht zwingend ableiten, dass dies in jedem Fall so sein müsse, da alle Umstände des Einzelfalles zu betrachten seien. Im Zweifel sei lediglich ein Vergleich zwischen den Beziehungen zu den in Betracht kommenden Staaten zu ziehen. § 2 Abs 8 FLAG 1967 verlange nicht, dass die persönlichen und wirtschaftlichen Beziehungen ausschließlich Österreich gelten oder gar, dass der Mittelpunkt der Lebensinteressen für immer im Bundesgebiet beibehalten werden müsse (vgl. ).

Im Streitfall geht das Bundesfinanzgericht - basierend auf dem angeführten Sachverhalt und der Judikatur des VwGH - davon aus, dass sich der Lebensmittelpunkt des Bf auf Grund seines langjährigen Aufenthaltes in Österreich befindet und somit - aus diesem Blickwinkel heraus - die Voraussetzung für die Gewährung der Familienbeihilfe im Zeitraum Oktober 2016 bis Dezember 2018 gegeben sind.

Es lassen sich keine Umstände erkennen, dass die Bindung an ***3*** stärker ist wie jene an Österreich. Der Bf. wohnt, arbeitet und studiert seit dem Sommersemester 2014 in Österreich, was allein schon für die Annahme eines Lebensmittelpunktes im Inland ausreicht.

4.3. Berufsausbildung als Anspruchsvoraussetzung der Familienbeihilfe

4.3.1. Allgemeines

§ 2 Abs 1 lit b FLAG 1967 normiert im ersten Satz den Anspruch auf Familienbeihilfe für Personen, deren volljährige Kinder, die das 24. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, für einen Beruf ausgebildet werden.

Der zweite und die weiteren Sätze der genannten Gesetzesbestimmung enthalten sodann besondere Ausführungen zum Besuch einer in § 3 des Studienförderungsgesetzes 1992 genannten Einrichtung.

4.3.2. Studium gemäß § 3 des Studienförderungsgesetzes 1992

Ein - im vorliegenden Fall exklusiv relevanter - Anspruch ab dem zweiten Studienjahr besteht, wenn für das vorhergehende Studienjahr die Ablegung von Prüfungen aus Pflicht- und Wahlfächern des betriebenen Studiums im Gesamtumfang von acht Semesterwochenstunden oder im Ausmaß von 16 ECTS-Punkten nachgewiesen wird.

Hierbei ist der Studienerfolgsnachweis dann erbracht, wenn im betriebenen Studium Prüfungen im erforderlichen Ausmaß positiv beurteilt wurden (vgl Hebenstreit / Lenneis /Reinalter in Lenneis/Wanke (Hrsg), FLAG, 2. Aufl. 2020, § 2, III.)

4.3.3. Berücksichtigung von Toleranzzeiten bei Betreiben eines Bachelorstudiums

Nach dem zweiten Satz des § 2 Abs. 1 lit. b FLAG 1967 ist bei volljährigen Kindern, die eine in § 3 des Studienförderungsgesetzes 1992, BGBl. Nr. 305 genannte Einrichtung besuchen, eine Berufsausbildung nur dann anzunehmen, wenn sie die vorgesehene Studienzeit pro Studienabschnitt um nicht mehr als ein Semester oder die vorgesehene Ausbildungszeit um nicht mehr als ein Studienjahr überschreiten.

Das primäre Abstellen auf Toleranzsemester (und nicht auf "Toleranzjahre") bei allen Studien, die in Semester (und nicht in Ausbildungsjahre) gegliedert sind, ergibt sich nach Ansicht des Bundesfinanzgerichtes auch nach der Einführung der beihilfenrechtlich als zwei getrennt zu betrachtende Studien anzusehenden (sh. ; ) Bachelor- und Masterstudien daraus, dass diese im Ergebnis eine Zweiteilung der vormals bestehenden (einheitlichen, aber in Studienabschnitte gegliederten) Diplomstudien darstellen (sh. § 51 Abs. 1 Z 3 UG zu Diplomstudien und § 51 Abs. 1 Z 4 und 5 UG zu Bachelor- und Masterstudien). Es kann dem Gesetzgeber nicht unterstellt werden, dass er mit der Einführung der (in Studiensemester eingeteilten, aber nicht in Studienabschnitte gegliederten) Bachelor- und Masterstudien im Vergleich zu den vormals (und zum Teil immer noch aktuellen gleichartigen) in Semester und Studienabschnitte eingeteilten Diplomstudien die Bezugsdauer der Familienbeihilfe um jeweils ein zweites Toleranzsemester verlängern wollte, was im Ergebnis zu einer sachlich nicht begründbaren ungleichen Behandlung der Studentinnen und Studenten führen würde.

In der Rechtsprechung (vgl. die zur Thematik "Studienwechsel" ergangene Entscheidung , unter Hinweis auf ) wird ebenfalls klar die Rechtsansicht vertreten, dass bei allen Studien, die in Semester eingeteilt sind, regelmäßig auf Semester abzustellen ist. Daraus folgt für die gegenständliche Problematik auf Grund der vergleichbaren gesetzlichen Regelung, dass bei in Semestern eingeteilten Studien die Verlängerung der vorgesehenen Studienzeit (nur) um ein Toleranzsemester bzw. bei Bestehen mehrerer Studienabschnitte um eine entsprechende Anzahl von Toleranzsemestern möglich ist. Nur wenn diese Semestereinteilung nicht vorliegen würde, kommt eine Verlängerung um ein Ausbildungsjahr in Frage. Insoweit ist diese Auslegung auch verfassungskonform.

Der Gesetzestext steht dieser (verfassungskonformen) Auslegung jedenfalls nicht entgegen, da bei in Semestern gegliederten Studien, die nicht in (mehrere) Studienabschnitte unterteilt sind, eben nur ein Studienabschnitt, der (nur) ein Toleranzsemester vermittelt, vorliegt.

Für den Beschwerdefall bedeuten vorstehende Ausführungen, dass der Bf. sein Studium bis zum Ende des Sommersemester 2017 hätte absolvieren müssen (vgl. ).

4.4. Konsequenzen der Ausführungen unter Punkt 4.3. auf das temporäre Ausmaß des Anspruchs auf Familienbeihilfe

4.4.1.Anspruch des Bf. auf Familienbeihilfe im Antragszeitraum vom bis zum30. September2017

Das Bachelorstudium, Elektro- und Informationstechnik an der Technischen Universität Wien umfasst einen Zeitraum von sechs Semester (180 ECTS-Punkte).

Der Bf. hat im Sommersemester 2014 sein Bachelorstudium "Elektro- und Informationstechnik" an der Technischen Universität Wien (E 033 235) begonnen, sprich, das Studium hätte - gemäß den Ausführungen unter Punkt 4.3.3.3 - mit Ablauf des SS 2017 (SS 2014, WS 2014/15, SS 2015, WS 2015/16, SS 2016, WS 2016/2017, plus ein Toleranzsemester) beendet sein müssen.

Umgekehrt gesprochen bedeutet die Berücksichtigung eines Toleranzsemesters in Zusammenschau mit der Tatsache, dass der Bf. das Bachelorstudium tatsächlich erst nach Vollendung seines 24. Lebensjahres beendet hat, dass der Anspruch des Bf. auf Familienbeihilfe mit Ablauf des 30.September 2017 jedenfalls erloschen ist.

Der Bf. erreichte - wie bereits an oberer Stelle ausgeführt -, im für den Anspruch im Zeitraum vom 1.Oktober 2016 bis zum - relevanten Studienjahr 2015/201646 ECTS-Punkte.

Demzufolge hat der Bf. im Zeitraum vom bis zum Anspruch auf Familienbeihilfe, weswegen korrespondierend damit der angefochtene Bescheid betreffend nämlichen Zeitraum aufzuheben war.

4.5. Anspruch des Bf. auf Familienbeihilfe im Zeitraum vom bis zum

Da wie an obere Stelle ausgeführt, das Bachelorstudium evidenter Maßen - nach Überschreitung eines Toleranzsemester respektive nach Vollendung des 24. Lebensjahres des Bf. absolviert wurde, bestand - mangels Erfüllung des Anspruchstatus des "sich in Berufsausbildung Befindens" im Zeitraum vom bis zum kein Anspruch des Bf. auf Familienbeihilfe, weswegen die Abweisung des Antrages betreffend nämlichen Zeitraum in völligem Einklang mit der Rechtsvorschriften des FLAG 1967 erfolgte.

Zusammenfassend war daher wie im Spruch zu befinden.

Unzulässigkeit der Revision:

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Eine derartige Rechtsfrage liegt nicht vor, da sowohl Anspruchsberechtigung, als auch Nichtanspruchsberechtigung des Bf. auf Familienbeihilfe direkt auf den Rechtsgrundlagen des FLAG 1967 gründen. Demzufolge war eine ordentliche Revision nicht zuzulassen.

Wien, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
ECLI
ECLI:AT:BFG:2025:RV.7101203.2022

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at

Fundstelle(n):
DAAAF-46969