VwGH vom 10.10.1996, 94/15/0089
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pokorny und die Hofräte Dr. Wetzel, Dr. Steiner, Dr. Mizner und Dr. Zorn als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Hajicek, über die Beschwerde des Präsidenten der Finanzlandesdirektion für Steiermark, gegen den Bescheid (Berufungsentscheidung) der Finanzlandesdirektion für Steiermark (Berufungssenat) vom , Zl. B 138-3/93, betreffend Einkommen- und Gewerbesteuer der mitbeteiligten Partei (K in L) für die Jahre 1987 bis 1991, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Begründung
Anläßlich einer die Jahre 1987 bis 1991 umfassenden abgabenbehördlichen Prüfung stellte der Prüfer u. a. fest, daß die von dem eine Tankstelle betreibenden Mitbeteiligten im Gesamtausmaß von S 2,2 Mio gebildete Rückstellung (Dotierung in den Jahren 1987 und 1988: je S 700.000,--, 1990: S 600.000,-- und 1991: S 200.000,--) für "Erdreich- und Wasserschäden" steuerlich nicht anzuerkennen sei; dies deshalb, weil in den genannten Jahren aus einer öffentlich-rechtlichen Pflicht keine zu einer Rückstellungsbildung berechtigende Belastung gedroht hätte. Der Prüfer ging davon aus, daß die Rückstellung nur hätte gebildet werden dürfen, "wenn am Bilanzstichtag ein Auftrag der Gewerbebehörde vorliegen bzw. ein diesbezügliches Verfahren laufen würde".
Das Finanzamt schloß sich in den großteils in wiederaufgenommenen Verfahren erlassenen Einkommen- und Gewerbesteuerbescheiden für die Streitjahre der Rechtsansicht des Prüfers an.
In seiner dagegen erhobenen Berufung führte der Mitbeteiligte im wesentlichen aus, anläßlich der letzten Sanierung der Tanks habe sich herausgestellt, daß Mineralöle aus den alten Tankanlagen das darunterliegende Erdreich verschmutzt hätten. Ergänzend hiezu schilderte er den maßgebenden Sachverhalt laut der vom Finanzamt hierüber aufgenommenen Niederschrift vom folgendermaßen:
"In den Jahren 1985 und 1986 wurden die bisher 4 verwendeten unterirdischen Kessel außer Betrieb gesetzt, wovon einer ausgebaut und entsorgt wurde. 3 dieser Kessel befinden sich demnach nach wie vor im Erdreich. Sie wurden gereinigt, entgast und mit Magerbeton gefüllt. Nicht saniert wurde in diesem Zusammenhang das umliegende Erdreich. Die alten Kessel stammen aus 1926 und waren nicht wie die neuen doppelwandig, sondern einwandig und genietet. Außerdem erfolgte die Befüllung nicht zentral wie es heute gehandhabt wird, sondern jeder einzelne Kessel für sich. Es ist aus den oben angeführten Gründen mit keinen weiteren Schäden zu rechnen, aber mit Sicherheit davon auszugehen, daß in der Vergangenheit Schäden entstanden sind. Eine Untersuchung des Erdreiches erfolgte in den Jahren 1985 und 1986 nicht, da dies unter Umständen die gewerbebehördliche Schließung der Tankstelle zur Folge gehabt hätte. Nach der jetzigen Gesetzeslage dürfen unterirdische Kessel nicht mehr stillgelegt werden, sondern müssen ausgebaut und das umliegende Erdreich entsorgt werden, weil in 90 % der Fälle durch die Einzelbefüllung Erdreich kontaminiert ist. Es ist daher nicht auszuschließen, daß ein nachträglicher Ausbau und die Sanierung erfolgen müssen. Bei der erstmaligen Rückstellungbildung (1987) ist man nach Rücksprache bei einer Baufirma davon ausgegangen, daß in diesem Fall 1.600 m3 Erdreich entsorgt werden müßten. Der Preis wurde damals mit S 2.500,--/m3 veranschlagt. Trotz Bemühens hat sich keine Versicherungsgesellschaft bereit erklärt diese Altlasten zu versichern. Auch für die neuen Kesselanlagen besteht derzeit noch keine Versicherung."
Nach der Aktenlage wurde dem Mitbeteiligten mit Bescheid des Amtes der Steiermärkischen Landesregierung vom die gewerbebehördliche Genehmigung für die Zulegung von drei unterirdischen Doppelwandbehältern bei der seinerzeit mit Bescheid genehmigten Tankstelle nach Maßgabe der mit dem Genehmigungsvermerk versehenen Pläne und unter Zugrundelegung von Auflagen erteilt.
In der abweislichen Berufungsvorentscheidung heißt es zum Streitpunkt, eine Rückstellung für Umweltschäden sei nur zulässig, wenn die Beseitigung für BESTEHENDE Schäden gesetzlich vorgeschrieben sei und die Durchsetzung dieser Verpflichtung auch tatsächlich drohe. Im vorliegenden Fall bestehe aber nur die vage Vermutung über das Bestehen von Umweltschäden.
In seinem Antrag auf Entscheidung durch die Abgabenbehörde zweiter Instanz führte der Mitbeteiligte aus, es bestehe nicht bloß eine vage Vermutung über das Bestehen von Umweltschäden, sondern sei das Erdreich (unter den Tanks) mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit verschmutzt. Die Beseitigung der bestehenden Umweltschäden sei gesetzlich vorgeschrieben. Die Durchsetzung diese Verpflichtung drohe dann, wenn von der "zuständigen Behörde die Auflage erteilt wird und mittels Bescheid vorgeschrieben wird". Ein solcher Bescheid sei allerdings bisher nicht ergangen. Es werde beantragt, die "Rückstellung für Altlastensanierung" in der gebildeten Höhe anzuerkennen.
Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung statt. Zur strittigen Rückstellungsbildung führte die belangte Behörde begründend aus, eine Rückstellung für Altlastensanierung sei grundsätzlich "bei Vorliegen eines konkreten Verwaltungsaktes der Behörde oder einem laufenden, diesbezüglichen verwaltungsbehördlichen Verfahren" steuerlich zulässig. Ausnahmsweise sei eine Rückstellung auch ohne behördliche Aktivität dann geboten, wenn die Beseitigung der Schäden gesetzlich vorgeschrieben sei und die Durchsetzung der gesetzlichen Verpflichtung auch tatsächlich drohe bzw. die Inanspruchnahme einer Sanierung zumindest wahrscheinlich sei. Bloße Vermutungen über das Vorhandensein von Altlasten reichten aber für eine Rückstellungsbildung nicht aus.
Im vorliegenden Fall bestehe die für eine Rückstellungsbildung ausreichende Wahrscheilichkeit, daß "das Erdreich tatsächlich kontaminiert ist" und den Mitbeteiligten "spätestens bei Auflösung der Tankstelle (Betriebseinstellung) eine gesetzliche Sanierungspflicht trifft". Das Bejahen einer für die Rückstellungsbildung ausreichenden Wahrscheinlichkeit gründe sich dabei nicht zuletzt auf die bei vergleichbaren Flächen festgestellten Altlasten sowie den bekannt unzureichenden technischen Stand der alten Tankanlage (einwandig, genietet etc.) und auf Vorgänge (Einzelbefüllung).
Gegen diesen Bescheid richtet sich die Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Präsidentenbeschwerde. Der angefochtene Bescheid wird insoweit angefochten, als die belangte Behörde die zum gebildete Rückstellung für Erdreich- und Wasserschäden und die zu den Bilanzstichtagen , und erfolgte Aufstockung dieser Rückstellung anerkannt hat.
Begründend heißt es in der Beschwerde, selbst ein erwiesener Umweltschaden reiche nicht aus, eine Rückstellung für Umweltschäden zu bilden. Zum erwiesenen oder in hohem Maße wahrscheinlichen Umweltschaden müsse nämlich hinzukommen, daß das behördliche Eingreifen in hohem Maße wahrscheinlich sei. Da der Mitbeteiligte nicht einmal behauptet habe, daß ein Eingreifen der (über das Vorliegen eines Umweltschadens ohnehin in Unkenntnis befindlichen) Behörde zu den Bilanzstichtagen bis gedroht habe und auch die belangte Behörde ein solches Eingreifen erst anläßlich der (zeitlich nicht absehbaren) Einstellung der Tankstelle für wahrscheinlich halte, sei die Bildung bzw. Aufstockung der in Rede stehenden Rückstellung zu den genannten Bilanzstichtagen unzulässig gewesen. Im übrigen sei auch aus den Verwaltungsakten zu entnehmen, daß die Stillegung bzw. Entfernung der Tanks unter behördlicher Aufsicht erfolgt sei und daß hiebei kein Auftrag zur Beseitigung von Umweltschäden erteilt worden sei. Da weiters eine Rückstellung in dem Jahr zu bilden sei, in dem der rückstellungsbegründende Umstand eingetreten sei, sei in Ansehung der in den Jahren 1985 und 1986 erfolgten Stillegung bzw. Entfernung der alten Kessel auch nicht einzusehen, warum die Rückstellung erst in der Bilanz zum gebildet bzw. in den Bilanzen zum bis aufgestockt worden sei.
Der Verwaltungsgerichtshof hat unter Bedachtnahme auf die vom Mitbeteiligten erstattete Gegenschrift erwogen:
Wie der Verwaltungsgerichtshof erst jüngst in seinem Erkenntnis vom , Zl. 93/15/0223, ausgeführt hat, müssen nach den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung - von hier nicht in Bedracht kommenden Ausnahmen abgesehen - für künftige Ausgaben, die wirtschaftlich mit einem abgelaufenen Wirtschaftsjahr in einem ursächlichen Zusammenhang stehen, Rückstellungen in Form eines für die Bilanz des betreffenden Jahres einzusetzenden Passivums gebildet werden. Bei der Bildung einer Rückstellung handelt es sich also um ein Gewinnkorrektivum, das allerdings steuerrechtlich nur in der Höhe anerkannt wird, in der der Erfolg des betreffenden Wirtschaftsjahres voraussichtlich mit künftigen Ausgaben belastet wird. Voraussetzung für die Einsetzung einer steuerrechtlich anzuerkennenden Rückstellung in eine Bilanz ist also stets, daß ein wirtschaftlich die Vergangenheit betreffender Aufwand bestimmter Art ernsthaft droht, also mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit voraussehbar ist, oder daß der Aufwand schon sicher und nur der Höhe nach unbestimmt ist. Da die Bildung der Rückstellung in der Bilanz dazu dient, den Erfolg des betreffenden Wirtschaftsjahres richtig auszuweisen, setzt sie zwar nicht das Bestehen einer rechtsverbindlichen Verpflichtung zum Bilanzstichtag, wohl aber die Wahrscheinlichkeit voraus, daß eine wirtschaftlich das abgelaufene Jahr betreffende Schuld entstehen wird, wogegen die bloß entfernte Möglichkeit einer Inanspruchnahme oder eines Verlustes für die Bildung der Rückstellung nicht genügt. In dem zitierten Erkenntnis heißt es weiters, daß es u.a. Aufgabe der (damals) belangten Behörde gewesen wäre, unter Einbindung der Mitwirkungspflicht des damaligen Beschwerdeführers im einzelnen zu ermitteln, ob und auf welcher Rechtsgrundlage diesem bezogen auf den Zeitraum, für den er die Rückstellung gebildet hat, ernsthaft eine erfolgreiche Inanspruchnahme aus den von ihm getätigten mangelhaften Lieferungen drohte.
Schon zuvor hat der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom , Zl. 89/14/0266, zu der von einer holzverarbeitenden Gesellschaft gebildeten Rückstellung für Umweltschutz obige Grundsätze für die Rückstellungsbildung dargelegt und ausgeführt, daß ausgehend von dem im damals angefochten gewesenen Bescheid festgestellten Sachverhalt - wonach nicht feststehe, daß zu den maßgebenden Bilanzstichtagen die Tatbestandsvoraussetzungen der §§ 79, 79a GewO 1973 verwirklicht gewesen seien, die Gewerbebehörde also berechtigt gewesen wäre, der beschwerdeführenden Partei die Errichtung neuer emissionsverhindernder Anlagen (Naßentstaubungsanlage oder etwas Gleichwertiges) aufzutragen, oder daß die Behörde gegenüber der beschwerdeführenden Partei ein Verfahren geführt hätte, aus dem sich wenigstens entnehmen ließe, daß sie eine derartige Verpflichtung der beschwerdeführenden Partei zur Errichtung neuer emissionsverhindernder Anlagen behaupte - eine ausreichende Gewißheit und damit eine hinreichende Wahrscheinlichkeit dafür fehle, daß in den betreffenden Wirtschaftsjahren der beschwerdeführenden Partei aus einer öffentlich-rechtlichen Pflicht die Belastungen drohten, für die die Rückstellung gebildet worden sei. Die Forderungen von Nachbarn oder der Druck der Öffentlichkeit, denen selbst dem Grunde nach keine rechtlichen Verpflichtungen der beschwerdeführenden Partei korrespondierten, berechtigten grundsätzlich nicht zur Bildung von Rückstellungen.
Bei Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Fall zeigt sich, daß die belangte Behörde ihre Entscheidung auf der Grundlage eines nicht ausreichend ermittelten Sachverhaltes getroffen hat; denn weder hat der Mitbeteiligte im Abgabenverfahren hinreichend konkretisiert noch auch die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid festgestellt, ob jenem auf dem Boden bestimmter Rechtsvorschriften bezogen auf den Zeitraum, für den er die Rückstellung gebildet bzw. aufgestockt hat, ernsthaft eine erfolgreiche Inanspruchnahme wegen behaupteter Kontaminierung des Erdreichs unter den stillgelegten Tanks gedroht hat. Es fehlt insbesondere an der erforderlichen Tatsachengrundlage zur Lösung der Rechtsfrage, auf Grund welcher Rechtsvorschriften eine die Bildung bzw. Aufstockung der in Rede stehenden Rückstellung rechtfertigende öffentlich-rechtliche Leistungspflicht des Mitbeteiligten zu den maßgebenden Bilanzstichtagen anzunehmen war.
Grundsätzlich ist zu sagen, daß auch eine öffentlich-rechtliche Verpflichtung Gegenstand einer Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten sein kann, wenn die Verpflichtung nach ihrem Inhalt und insbesondere ihrem Entstehungszeitpunkt hinreichend konkretisiert ist; dies ist anzunehmen, wenn die Verpflichtung unmittelbar auf dem Gesetz oder auf einem besonderen Verwaltungsakt beruht und wenn an die Verletzung der öffentlich-rechtlichen Verpflichtung Sanktionen geknüpft sind. Ob die zuständige Behörde bereits ein Verfahren auf Geltendmachung der öffentlich-rechtlichen Leistungspflicht in die Wege geleitet hat, ist hingegen nicht entscheidend. Ist eine Leistungspflicht dem Entstehungsgrund und der Leistungsart gesetzlich in dem Maß vorgezeichnet, daß sie absehbar und abschätzbar ist, sowie daß ihre bescheidmäßige Anforderung zufolge Tatbestandverwirklichung zulässig und - entsprechend dem zwingenden Charakter der verpflichtenden Vorschriften - geboten ist, dann belasten die künftigen Ausgaben wirtschaftlich die Zeiträume der Entstehung von Verbindlichkeiten dieser Art und sind in der Bilanz als Passivposten auszuweisen, wenn der für die Einforderung einer zwingenden Leistungspflicht zuständigen Behörde die sachverhaltsmäßigen Voraussetzungen für die Geltendmachung der Pflicht bekannt sind oder mit hoher Wahrscheinlichkeit bekannt werden (vgl. hiezu Quantschnigg/Schuch, Einkommensteuer-Handbuch, Tz 51 zu § 5, S 263, Doralt, EStG-Kommentar, § 6 Tz 289, und Honzak, Bilanzielle Vorsorgen für die Sanierung von Altlasten und Altanlagen, ÖStZ 1991, 31 f).
Der angefochtene Bescheid weist außerdem noch insofern einen Begründungsmangel auf, als er in keiner Weise darauf eingeht, warum die Bildung bzw. Aufstockung der Rückstellung in den einzelnen Streitjahren auch aus zeitlichen Gründen gerechtfertigt war; dies wäre aber unter dem Gesichtspunkt des sogenannten "Nachholverbotes" (vgl. hiezu abermals Honzak, a. a.O.) geboten gewesen.
Auf Grund des Gesagten mußte der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben werden.