zurück zu Linde Digital
TEL.: +43 1 246 30-801  |  E-MAIL: support@lindeverlag.at
Suchen Hilfe
VwGH vom 25.09.2001, 99/14/0217

VwGH vom 25.09.2001, 99/14/0217

Beachte

Besprechung in:

AnwBl 5/2002, S 285 - S 289;

SWI 2001, S 466 - S 472;

ÖStZ 2001, S 569 - 571;

SWI 2001, S 514 - S 522;

SWI 2002, S 86 - 94;

SWI 2001, S 505 - S 508;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Weiss sowie die Hofräte Dr. Karger, Mag. Heinzl, Dr. Zorn und Dr. Robl als Richter, im Beisein des Schriftführers MMag. Dr. Urtz, über die Beschwerde der S K in W, vertreten durch Doralt Seist Csoklich, Rechtsanwalts-Partnerschaft (OEG) in 1090 Wien, Währinger Straße 2-4, gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland, Berufungskommission für Wien, Berufungssenat VI, vom , RV/280-16/04/98 betreffend Einkommensteuer für das Jahr 1996, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen von 15.000 S binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die in Österreich unbeschränkt steuerpflichtige Beschwerdeführerin erwirtschaftete im Streitjahr neben (positiven) inländischen Einkünften von rund 3,8 Mio S einen Verlust als Mitunternehmerin einer deutschen OHG von rund 142.000 S.

Strittig ist, wie der in Deutschland erwirtschaftete Verlust unter Bedachtnahme auf das DBA-Deutschland bei der Ermittlung des Einkommens gemäß § 2 Abs 2 EStG 1988 und damit bei der Berechnung der (österreichischen) Einkommensteuer zu berücksichtigen ist.

In dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid vertritt die belangte Behörde die Ansicht, der in Deutschland erwirtschaftete Verlust sei bei der Ermittlung des Einkommens gemäß § 2 Abs 2 EStG 1988 gar nicht, sondern lediglich im Weg des (negativen) Progressionsvorbehaltes bei der Berechnung der Einkommensteuer zu berücksichtigen.

Hingegen meint die Beschwerdeführerin, der in Deutschland erwirtschaftete Verlust sei bei der Ermittlung des Einkommens und damit bei der Berechnung der Einkommensteuer mindernd zu berücksichtigen. Gemäß § 2 Abs 2 EStG 1988 seien bei der Ermittlung des Einkommens Verluste aus einzelnen Einkunftsarten auszugleichen. Aus dem DBA-Deutschland könne nichts Gegenteiliges für in Deutschland erwirtschaftete Verluste abgeleitet werden.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die zunächst an den Verfassungsgerichtshof gerichtete und von diesem mit dem ablehnenden Beschluss vom , B 844/99, ihm abgetretene Beschwerde erwogen:

Art 1 Abs 1 DBA-Deutschland lautet:

"Durch dieses Abkommen soll vermieden werden, dass Personen, die in einem der beiden oder in beiden Vertragstaaten einen Wohnsitz haben, doppelt zu Steuern herangezogen werden, die nach der Gesetzgebung jedes der beiden Staaten unmittelbar vom Einkommen oder vom Vermögen oder als Gewerbesteuern oder Grundsteuern für die Vertragstaaten, die Länder, die Gemeinden oder Gemeindeverbände (auch in Form von Zuschlägen) erhoben werden."

Art 1 Abs 1 DBA-Deutschland legt das Ziel und den Zweck des Abkommens fest. Das Abkommen bezweckt ausschließlich die Vermeidung der Doppelbesteuerung. Es richtet sich daher gegen die überhöhte Besteuerung durch mehrfache Erfassung der Einkünfte. Dies schließt aber auch den Zweck der Vermeidung einer begünstigenden Wettbewerbsverzerrung durch Nichtbesteuerung bestimmter Einkünfte ein. Es soll bei grenzüberschreitenden Sachverhalten grundsätzlich eine solche Besteuerung wie bei rein innerstaatlichen Sachverhalten erfolgen. Die Verwirklichung dieses Abkommenszieles stößt insofern auf Grenzen, als rein innerstaatliche Sachverhalte, je nachdem, ob sie nach österreichischem oder nach deutschem Steuerrecht beurteilt werden, nicht völlig deckungsgleiche Besteuerungsfolgen hervorrufen. Zu denken ist dabei insbesondere an unterschiedliche Bemessungsgrundlagen und Steuersätze. Diese systembedingten Grenzen kann das DBA-Deutschland nicht überwinden. Im Übrigen soll es aber mit dem DBA-Deutschland gelingen, grenzüberschreitende Sachverhalte nicht höher oder niedriger zu besteuern als vergleichbare rein innerstaatliche Sachverhalte.

Vor diesem Hintergrund ist zu prüfen, welche Besteuerungsfolgen sich für einen in Österreich unbeschränkt Steuerpflichtigen ergeben, der neben inländischen Einkünften auch einen Verlust in Deutschland erwirtschaftet. Gibt es keinen Verlustrücktrag hat ein in Deutschland erwirtschafteter Verlust zunächst keine Auswirkung auf die Steuerbelastung.

Art 4 Abs 1 DBA-Deutschland lautet:

"Bezieht eine Person mit Wohnsitz in einem der beiden Vertragstaaten als Unternehmer oder Mitunternehmer Einkünfte aus einem gewerblichen Unternehmen, dessen Wirkungen sich auf das Gebiet des anderen Staates erstreckt, so hat der andere Staat das Besteuerungsrecht für diese Einkünfte nur insoweit, als sie auf eine dort befindliche Betriebsstätte des Unternehmens entfallen."

Art 15 Abs 1 DBA-Deutschland lautet:

"Der Wohnsitzstaat hat kein Besteuerungsrecht, wenn es in den vorhergehenden Artikeln dem anderen Vertragstaate zugewiesen worden ist."

Bei einem rein innerstaatlichen Sachverhalt werden gemäß § 2 Abs 2 EStG 1988 Verluste aus einzelnen Einkunftsarten idR ausgeglichen. Nur das Einkommen, also die saldierte Größe, wird der Besteuerung unterworfen. Etwas anderes kann aber auch für grenzüberschreitende Sachverhalte unter Berücksichtigung des DBA-Deutschland nicht gelten. Dies ergibt sich aus Art 1 Abs 1 DBA-Deutschland. Es liegt nämlich kein Fall einer dort angesprochenen Doppelbesteuerung vor. Durch die Berücksichtigung des in Deutschland erwirtschafteten (nach den Bestimmungen des österreichischen Steuerechtes ermittelten) Verlustes bei der Ermittlung des (österreichischen) Einkommens, wie dies durch die innerstaatliche Norm des § 2 Abs 2 EStG 1988 vorgeschrieben wird, wird der Steuerpflichtige nicht iSd Art 1 Abs 1 DBA-Deutschland "doppelt zu Steuern herangezogen". Das DBA-Deutschland steht somit einer Berücksichtigung des in Deutschland erwirtschafteten Verlustes bei der Ermittlung des Einkommens gemäß § 2 Abs 2 EStG 1988 und damit bei der Berechnung der (österreichischen) Einkommensteuer nicht entgegen.

Zum gleichen Ergebnis führt die Überlegung, dass DBA bloß eine Schrankenwirkung insofern entfalten, als sie eine sich aus dem innerstaatlichen Steuerrecht ergebende Steuerpflicht begrenzen. Sie führen keineswegs zu einer erweiterten Steuerpflicht ("negative Wirkung" von Doppelbesteuerungsabkommen, vgl Doralt/Ruppe, Steuerrecht II4, 326; Vogel, DBA3 Einl Rz 46). Ob Steuerpflicht besteht, ist also zunächst stets nach innerstaatlichem Steuerrecht zu beurteilen. Ergibt sich aus dem innerstaatlichen Steuerrecht eine Steuerpflicht, ist in einem zweiten Schritt zu beurteilen, ob das Besteuerungsrecht durch ein DBA eingeschränkt wird. Ein DBA vermag also den sich aus dem innerstaatlichen Steuerrecht ergebenden Besteuerungsanspruch einzuschränken, nicht aber einen im innerstaatlichen Steuerrecht gar nicht bestehenden Besteuerungsanspruch zu begründen. Das innerstaatliche Einkommensteuerrecht erfasst im Beschwerdefall aber nur das um den in Deutschland erwirtschafteten Verlust verminderte Einkommen gemäß § 2 Abs 2 EStG 1988 als Bemessungsgrundlage für die Einkommensteuer.

Zur Vermeidung einer Wettbewerbsverzerrung und somit um den in Art 1 Abs 1 DBA-Deutschland festgelegten Zweck zu entsprechen, muss allerdings sichergestellt sein, dass ein in Deutschland erwirtschafteter Verlust nicht doppelt - in einem Jahr im Wohnsitzstaat und in einem anderen Jahr im Betriebsstättenstaat - verwertet wird. Vom Zweck des DBA und der offenkundigen Absicht der Vertragsparteien ist die Schaffung ungerechtfertigter Vorteile für grenzüberschreitende im Vergleich zu rein innerstaatlichen Sachverhalten - insbesondere in Form der mehrfachen Verlustverwertung - nicht gedeckt. Die "einfache" Verlustverwertung kann aus Art 4 DBA-Deutschland abgeleitet werden. Diese Bestimmung räumt dem "anderen" Staat (Betriebsstättenstaat) ein Besteuerungsrecht ein. Entsteht im "anderen" Staat in einem Folgejahr ein Gewinn, so wird im Rahmen der Einkommensbesteuerung in diesem "anderen" Staat der Gewinn nach dessen innerstaatlichem Recht um den Verlustvortrag gekürzt. Dem Begriff der Einkünfte iSd Art 4 DBA-Deutschland ist nun vor dem Hintergrund des Art 1 Abs 1 leg cit die Bedeutung beizumessen, dass die um den Verlustvortrag gekürzte Größe gemeint ist. Der Wohnsitzstaat hat im Rahmen der Ermittlung des Einkommens und damit der Berechnung der Einkommensteuer nur Einkünfte in diesem Sinn gemäß Art 15 DBA-Deutschland aus dem von ihm zu erfassenden Einkommen gemäß § 2 Abs 2 EStG 1988 (Welteinkommen) auszuscheiden.

Der Verwaltungsgerichtshof gelangt somit zu dem Ergebnis, dass das DBA-Deutschland einerseits sicherstellt, dass ein in Deutschland erwirtschafteter Verlust im Jahr seines Entstehens im Wohnsitzstaat Österreich im Rahmen der Ermittlung des Einkommens gemäß § 2 Abs 2 EStG 1988 und damit bei der Berechnung der (österreichischen) Einkommensteuer berücksichtigt wird, anderseits gewährleistet, dass eine Wettbewerbsverzerrung durch eine doppelte Verlustverwertung unterbleibt (vgl Tumpel, SWI 2001, 55 ff).

Mit der Verweigerung des Ausgleiches des in Deutschland erwirtschafteten Verlustes bei der Berechnung des Einkommens gemäß § 2 Abs 2 EStG 1988 für die in Österreich unbeschränkt steuerpflichtige Beschwerdeführerin hat die belangte Behörde somit die Rechtslage verkannt. Daraus ergibt sich, dass der Verwaltungsgerichtshof seine Rechtsprechung nicht mehr aufrechterhält, die er in den Erkenntnissen vom , 83/14/0107, und vom , 85/14/0001, zum Ausdruck gebracht hat. Diesen Erkenntnissen, die zu Art 4 bzw Art 3 sowie Art 15 DBA-Deutschland im Zusammenhang mit Bestimmungen des EStG 1972 ergangen sind, liegt die Auffassung zugrunde, dass in Deutschland erwirtschaftete Verluste bei der Ermittlung des Einkommens gemäß § 2 Abs 2 EStG 1988 gar nicht, sondern lediglich im Weg des (negativen) Progressionsvorbehaltes bei der Berechnung der Einkommensteuer zu berücksichtigen sind. Da sich mit dem EStG 1988 und dem Beitritt Österreichs zur EU mit die Rechtslage insbesondere im Hinblick auf Art 43 EG gegenüber jener, die den eben erwähnten hg Erkenntnissen zugrunde lag, geändert hat, ergeht das gegenständliche Erkenntnis nicht in einem nach § 13 Abs 1 VwGG gebildeten (verstärkten) Senat.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl Nr 416/1994.

Wien, am