VwGH vom 08.10.1990, 90/15/0134
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Simon und die Hofräte Dr. Schubert, Dr. Wetzel, Dr. Steiner und Dr. Mizner als Richter, im Beisein des Schriftführers Kommissär Dr. Lebloch, über die Beschwerde der X-Gesellschaft m.b.H. gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom , Zl. GA 11-635/10/90, betreffend Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Begründung
Aus der Beschwerde und dem angefochtenen Bescheid ergibt sich folgender Sachverhalt:
Mit den am zugestellten Bescheiden des Finanzamtes Wien-Umgebung wurden gegenüber der Beschwerdeführerin die Straßenverkehrsbeiträge für die Jahre 1984 bis 1986 festgesetzt. Die gegen diese Bescheide erhobene, am zur Post gegebene Berufung richtete die durch eine Wirtschaftsberatungsgesellschaft m.b.H. vertretene Beschwerdeführerin an das Finanzamt für Körperschaften. Dieses leitete den am eingelangten Berufungsschriftsatz am dem Finanzamt Wien-Umgebung weiter, wo er am eintraf. Mit dem Bescheid vom wies das Finanzamt Wien-Umgebung die Berufung gemäß § 273 Abs. 1 BAO zurück.
Die Beschwerdeführerin beantragte die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist. Sie führte aus, der zuständige Sachbearbeiter ihres Bevollmächtigten, Prokurist M., habe den von einem Kanzleimitarbeiter verfaßten Textentwurf der Berufung überarbeitet unter handschriftlicher Hinzufügung des Berufungsadressaten an eine "mehrjährige Kanzleimitarbeiterin" übergeben. In der zur Einreichnung bestimmten Ausfertigung der Berufung habe diese Mitarbeiterin aus Versehen das Finanzamt für Köperschaften in Wien eingesetzt. Diese Fehlleistung lasse sich einerseits auf urlaubsbedingte Belastung, andererseits auf den Umstand zurückführen, daß kurz zuvor dieses Finanzamt eine Betriebsprüfung durchgeführt habe, was trotz eindeutiger und klarer Weisung zu Verwechslungen Anlaß gegeben habe. Der Sachbearbeiter habe die Berufung am ohne weitere Prüfung unterfertigt. Die Unterfertigung sei früh morgens erfolgt, weil der Gesundheitszustand der achtzigjährigen Großmutter des Sachbearbeiters einen Spitalsbesuch in Baden habe notwendig erscheinen lassen.
Das Finanzamt wies den Wiedereinsetzungsantrag ab. In ihrer dagegen erhobenen Berufung brachte die Beschwerdeführerin vor, die Fristversäumnis infolge Einreichung der Berufung bei einer unzuständigen Behörde sei ausschließlich auf die Fehlleistung einer bis zum Anlaßfall äußerst gewissenhaften Kanzleikraft zurückzuführen.
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung als unbegründet ab. Begründend führte sie nach Darlegung des Verfahrensganges und der Rechtslage im wesentlichen aus, ein Verschulden des Bevollmächtigten hindere die Wiedereinsetzung nur dann nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handle. Die Vorgangsweise des Sachbearbeiters der Vertreterin der Beschwerdeführerin, der die zur Absendung bestimmte Ausfertigung der Berufung ohne weitere Prüfung unterfertigt habe, stelle eine Außerachtlassung der zumutbaren Sorgfalt dar, die nicht mehr als minderer Grad des Versehens angesehen werden könne.
Die vorliegende Beschwerde macht Rechtswidrigkeit des Inhaltes des angefochtenen Bescheides geltend.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Die Beschwerdeführerin vertritt zunächst die Auffassung, den Tatsachenfeststellungen der belangten Behörde könne insofern nicht gefolgt werden, als der zuständige Sachbearbeiter der steuerlichen Vertretung der Beschwerdeführerin, Prokurist M., keinesfalls die nicht von ihm verfaßte Berufung ohne weitere Prüfung unterfertigt habe. Er habe vielmehr, wie die Beschwerdeführerin bereits im Wiedereinsetzungsantrag vorgebracht habe, die von einem anderen Kanzleimitarbeiter verfaßte Berufungsschrift nach seiner Rückkehr von einem dreiwöchigen Urlaub überarbeitet und insbesondere durch handschriftliches Hinzufügen des Berufungsadressaten ergänzt. Jene Kanzleimitarbeiterin, die in der Folge entgegen diesem handschriftlichen Vermerk das Finanzamt für Körperschaften als unrichtigen Berufungsadressaten hinzugefügt habe, habe sohin lediglich die Aufgabe gehabt, das Rechtsmittel in Reinschrift zu übertragen. Da die Berufungsschrift unter Zuhilfenahme einer Textverarbeitungsanlage verfaßt worden sei und die mit der Reinschrift beauftragte Kanzleikraft sich im Rahmen ihrer langjährigen Tätigkeit stets als äußerst verläßlich erwiesen habe, habe für Prokurist M. nicht die geringste Veranlassung bestanden, die Richtigkeit der in Reinschrift übertragenen Endfassung der Berufung nochmals zu prüfen.
Diese Ausführungen verkennen, daß die Beschwerdeführerin in ihrem Wiedereinsetzungsantrag selbst darlegte - und sich auch aus den oben wiedergegebenen Ausführungen der Beschwerde ergibt -, daß Prokurist M. die von einer Kanzleikraft hergestellte Ausfertigung des Berufungsschriftsatzes ohne weitere Prüfung unterfertigte. Diese Sachverhaltsbehauptung der Beschwerdeführerin hat die belangte Behörde auch ihrer rechtlichen Beurteilung zu Grunde gelegt. Bei der Beurteilung, ob für Prokurist M. - insbesondere im Hinblick darauf, daß er zuvor den Entwurf der Berufung überarbeitet und handschriftlich den "Berufungsadressaten" hinzugefügt hatte - nicht die geringste Veranlassung bestand, die Richtigkeit der in Reinschrift übertragenen Endfassung der Berufung anläßlich der Unterfertigung zu prüfen, wie die Beschwerdeführerin meint, handelt es sich hingegen um die Lösung einer Rechtsfrage, auf die im folgenden einzugehen sein wird.
Gemäß § 308 Abs. 1 BAO ist gegen die Versäumung einer Frist (§§ 108 bis 110) auf Antrag der Partei, die durch die Versäumung einen Rechtsnachteil erleidet, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn die Partei glaubhaft macht, daß sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert war, die Frist einzuhalten. Daß der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.
Die zitierte Vorschrift entspricht inhaltlich § 46 VwGG; die für die Auslegung dieser Vorschrift in der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes entwickelten Grundsätze können daher auch hier zur Anwendung kommen.
Ein Verschulden der Partei an der Fristversäumung, das über einen minderen Grad des Versehens hinausgeht, schließt die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aus. Der Begriff des minderen Grades des Versehens ist als leichte Fahrlässigkeit im Sinne des § 1332 ABGB zu verstehen. Der Wiedereinsetzungswerber darf also nicht auffallend sorglos gehandelt, d.h. die im Verkehr mit Behörden und für die Einhaltung von Terminen und Fristen erforderliche und ihm nach seinen persönlichen Fähigkeiten zumutbare Sorgfalt außer acht gelassen haben (vgl. z. B. den hg. Beschluß vom , Zl. 89/17/0116).
Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist das Verschulden des Vertreters einer Partei an der Fristversäumung dem Verschulden der Partei selbst gleichzuhalten, während das Verschulden eines Kanzleibediensteten eines bevollmächtigten Rechtsanwaltes dem Verschulden der Partei oder des bevollmächtigten Rechtsanwaltes nicht gleichgesetzt werden darf. Das Versehen eines Kanzleibediensteten stellt für den Rechtsanwalt und damit für die von ihm vertretene Partei dann ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis im Sinne des § 308 Abs. 1 BAO dar, wenn der Rechtsanwalt der ihm zumutbaren und nach der Sachlage gebotenen Überwachungspflicht gegenüber dem Kanzleibediensteten nachgekommen ist (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 86/16/0194, und die Beschlüsse vom , Zlen. 88/08/0270, 0271, und 88/08/0278).
Die dargelegten Grundsätze über die Zurechnung des Verschuldens im Falle einer Fristversäumung, hervorgerufen durch einen Fehler des Kanzleipersonals, gelten auch für Wirtschaftstreuhänder (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 86/16/0236).
Ist der Parteienvertreter eine juristische Person im Sinne
der §§ 2 Abs. 3, 29 Abs. 2 und 5 Wirtschaftstreuhänder-Berufsordnung (vgl. die hg. Erkenntnisse vom , Slg. 10369/A, und vom , Slg. 6054/F), ist das Verschulden jenes Organs bzw. Vertreters der juristischen Person, der nach den gesetzlichen Vorschriften (im vorliegenden Fall § 49 HGB in Verbindung mit § 33 Abs. 1 lit. c WT-BO) und den Organisationsnormen der juristischen Person zu deren Vertretung berufen ist und deren Eingaben an Behörden unterfertigt, dem Verschulden des berufsmäßigen Parteienvertreters - und nicht jenem des Kanzleipersonals desselben - gleichzuhalten. Das Verschulden des Prokuristen einer Wirtschaftstreuhand- bzw. Steuerberatungsgesellschaft m.b.H., der eine Eingabe unterfertigt, ist somit der vertretenen Partei zuzurechnen.
Die inhaltliche Kontrolle - insbesondere des notwendigen Inhaltes - eines nach Diktat oder auf der Grundlage eines Konzeptes verfaßten Schriftsatzes bzw. von dessen Reinschrift anläßlich der Unterfertigung des für die Behörde bestimmten Exemplares gehört zu den zumutbaren und gebotenen Überwachungspflichten des berufsmäßigen Parteienvertreters. Bei Fallkonstellationen wie der vorliegenden hat der Verwaltungsgerichtshof daher bereits wiederholt ausgesprochen, daß es ein nicht als minderer Grad des Versehens zu qualifizierendes Verschulden des berufsmäßigen Parteienvertreters bedeutet, wenn dieser einen Schriftsatz unterfertigt, ohne ihn zu lesen, und dadurch - allenfalls auf weisungswidriges Verhalten des Kanzleipersonals zurückzuführende - Mängel des Schriftsatzes, etwa die unrichtige Behördenbezeichnung, unbemerkt bleiben (vgl. z.B. die hg. Beschlüsse vom , Zl. 88/18/0059, 0060, vom , Zl. 88/13/0231, 0232, und vom , Zl. 89/18/0202, 0203).
Daß der Prokurist der Vertreterin der Beschwerdeführerin vor der Ausfertigung des Schriftsatzes das Konzept überarbeitete und die richtige Bezeichnung der Behörde handschriftlich hinzufügte, ist bei dieser Sachlage somit ohne Bedeutung.
Die Berufung der Beschwerdeführerin auf den am erforderichen Spitalsbesuch des Prokuristen ihrer Vertreterin bei dessen Großmutter ist im vorliegenden Zusammenhang schon deshalb nicht zielführend, weil nicht ersichtlich ist, inwiefern der Spitalsbesuch die inhaltliche Prüfung des Berufungsschriftsatzes während der gesamten bis zum Ablauf der Berufungsfrist am noch zur Verfügung stehenden Zeit verhindert haben sollte.
Das Vorliegen von Wiedereinsetzungsgründen ist nur in jenem Rahmen zu untersuchen, der durch die Behauptungen des Wiedereinsetzungswerbers im Weidereinsetzungsantrag gesteckt wird (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Slg. 11312/A, und den Beschluß vom , Zl. 90/11/0052).
Die belangte Behörde hat somit, weil dem Vorbringen der Beschwerdeführerin kein tauglicher Wiedereinsetzungsgrund zu entnehmen war, den Antrag zu Recht abgewiesen.
Da bereits der Inhalt der Beschwerde erkennen läßt, daß die von der Beschwerdeführerin behauptete Rechtsverletzung nicht vorliegt, war die Beschwerde gemäß § 35 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.