VwGH vom 24.06.2003, 2000/14/0178
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Höß und die Hofräte Mag. Heinzl, Dr. Zorn, Dr. Robl und Dr. Büsser als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Pfau, über die Beschwerde des Präsidenten der Finanzlandesdirektion für Kärnten gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Kärnten (Berufungssenat I) vom , GZ. RV 640/1-7/98, betreffend Feststellung von Einkünften für 1990 (mitbeteiligte Partei: J H GesmbH & Co. KG, J H Straße, K) zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Begründung
Die mitbeteiligte Partei betrieb in der Rechtsform einer GesmbH & Co KG bis einen Lebensmittelgroßhandel. Im Zuge einer die Jahre 1988 bis 1991 umfassenden Betriebsprüfung stellte der Prüfer fest, dass die wesentlichen Betriebsgrundlagen mit Wirksamkeit zum an die Komplementär-GesmbH entgeltlich übertragen worden seien. Die KG habe ihre Beteiligungen, das Warenlager, den Firmenwert (Kundenstock, Firmenwortlaut und Geschäftskontakte) und die Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens, mit Ausnahme zweier Pkw und der bisher im Sonderbetriebsvermögen der Gesellschafterin G.N. befindlichen Betriebsliegenschaft in der J.H. Straße, in der G.N. auch ihren Hauptwohnsitz habe, veräußert. Die Arbeitnehmeransprüche seien von der Käuferin unter Anrechnung auf den Kaufpreis übernommen worden. Sämtliche Forderungen und Verbindlichkeiten seien bei der Mitbeteiligten verblieben.
Das Finanzamt beurteilte den Vorgang als Betriebsveräußerung. Die anlässlich der Überführung des betrieblich genutzten Gebäudeteiles in das Privatvermögen der Kommanditistin aufgedeckten stillen Reserven seien Teil des steuerpflichtigen Veräußerungsgewinnes. § 24 Abs. 6 EStG 1988 komme nicht zur Anwendung, weil diese Begünstigungsbestimmung eine Betriebsaufgabe voraussetze und gegenständlich keine Aufgabe, sondern eine Veräußerung des Betriebes vorliege.
In der dagegen erhobenen Berufung brachte die mitbeteiligte Partei vor, dass die Liegenschaft keine wesentliche Betriebsgrundlage gebildet und deren Zurückbehaltung und Überführung ins Privatvermögen eine Teilbetriebsaufgabe dargestellt habe, für die die Begünstigungsvorschrift des § 24 Abs. 6 EStG 1988 zur Anwendung käme.
Nach Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung gab die belangte Behörde der Berufung statt, weil es für die Anwendung des § 24 Abs. 6 EStG 1988 entscheidend sei, dass der betrieblich genutzte Gebäudeteil nicht veräußert worden und es so zu keiner Einnahmenerzielung gekommen sei.
Gegen diesen Bescheid, der an die ehemaligen Gesellschafter der KG gerichtet worden war, erhob der Präsident der Finanzlandesdirektion für Kärnten Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof, welche mit Beschluss vom zurückgewiesen wurde. Begründend führte der Verwaltungsgerichtshof aus, ein noch nicht abgeschlossenes Feststellungsverfahren nach § 188 BAO verhindere den Verlust der Parteifähigkeit der Personenvereinigung, sodass der Bescheid an die KG und nicht an deren ehemalige Gesellschafter hätte ergehen müssen. Nach neuerlich durchgeführter mündlicher Verhandlung gab die belangte Behörde der Berufung mit derselben Begründung abermals Folge.
Dagegen wendet sich die vom beschwerdeführenden Präsidenten gemäß § 292 BAO idF vor der Änderung durch das AbgRmRefG, BGBl. I Nr. 97/2002, erhobene Beschwerde. Der Beschwerdeführer bringt vor, die Bestimmung des § 24 EStG 1988 unterscheide zwischen der Veräußerung und der Aufgabe eines Betriebes (Teilbetriebes). Die Parteien des abgabenbehördlichen Verfahrens seien zu Recht von einer Betriebsveräußerung ausgegangen, weil bei einem Großhandelsbetrieb - also einer kundengebundenen Tätigkeit - der Standort nicht zu den wesentlichen Betriebsgrundlagen gehöre und die wesentlichen Betriebsgrundlagen an einen Erwerber veräußert worden seien. Aus dem klaren Gesetzeswortlaut des § 24 Abs. 6 EStG 1988 ergäbe sich, dass die Begünstigung im Falle einer Betriebsveräußerung nicht zustehe, auch wenn das Betriebsgebäude selbst nicht veräußert worden sei, weshalb die belangte Behörde insoweit die Rechtslage verkannt habe.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
§ 24 EStG 1988 in der im Beschwerdefall anzuwendenden Stammfassung BGBl. Nr. 400/1988 lautet:
"(1) Veräußerungsgewinne sind Gewinne, die erzielt werden bei
1. der Veräußerung
- des ganzen Betriebes
- eines Teilbetriebes
- eines Anteiles eines Gesellschafters, der als
Unternehmer
(Mitunternehmer) des Betriebes anzusehen ist
2. der Aufgabe des Betriebes (Teilbetriebes).
(2) Veräußerungsgewinn im Sinne des Abs. 1 ist der Betrag, um den der Veräußerungserlös nach Abzug der Veräußerungskosten den Wert des Betriebsvermögens oder den Wert des Anteils am Betriebsvermögen übersteigt. Dieser Gewinn ist für den Zeitpunkt der Veräußerung oder der Aufgabe nach § 4 Abs. 1 oder § 5 zu ermitteln. Im Falle des Ausscheidens eines Gesellschafters, der als Unternehmer (Mitunternehmer) des Betriebes anzusehen ist, ist als Veräußerungsgewinn jedenfalls der Betrag seines negativen Kapitalkontos zu erfassen, den er nicht auffüllen muss.
(3) Werden die einzelnen dem Betrieb gewidmeten Wirtschaftsgüter im Rahmen der Aufgabe des Betriebes veräußert, so sind die Veräußerungserlöse anzusetzen. Werden die Wirtschaftsgüter nicht veräußert, so ist der gemeine Wert im Zeitpunkt ihrer Überführung ins Privatvermögen anzusetzen. Bei Aufgabe eines Betriebes, an dem mehrere Personen beteiligt waren, ist für jeden einzelnen Beteiligten der gemeine Wert jener Wirtschaftsgüter anzusetzen, die er bei der Auseinandersetzung erhalten hat.
(4) Der Veräußerungsgewinn ist nur insoweit steuerpflichtig, als er bei der Veräußerung (Aufgabe) des ganzen Betriebes den Betrag von 100 000 S und bei der Veräußerung (Aufgabe) eines Teilbetriebes oder eines Anteiles am Betriebsvermögen den entsprechenden Teil von 100 000 S übersteigt.
(5) Die Einkommensteuer vom Veräußerungsgewinn wird im Ausmaß der sonst entstehenden Doppelbelastung der stillen Reserven auf Antrag ermäßigt oder erlassen, wenn der Steuerpflichtige den Betrieb oder Teilbetrieb oder den Anteil am Betriebsvermögen innerhalb der letzten drei Jahre vor der Veräußerung (Aufgabe) erworben und infolge des Erwerbes Erbschafts- oder Schenkungssteuer entrichtet hat.
(6) Wird der Betrieb aufgegeben, weil der
Steuerpflichtige
- gestorben ist,
- erwerbsunfähig ist oder
- das 55. Lebensjahr vollendet hat und seine
Erwerbstätigkeit
einstellt,
dann unterbleibt auf Antrag hinsichtlich der zum
Betriebsvermögen gehörenden Gebäudeteile die Erfassung der stillen
Reserven. Dazu müssen folgende Voraussetzungen vorliegen:
1. Das Gebäude muss bis zur Aufgabe des Betriebes der
Hauptwohnsitz
des Steuerpflichtigen gewesen sein,
2. das Gebäude darf weder
- ganz oder zum Teil veräußert werden,
- ganz oder zum Teil einem anderen zur Erzielung
betrieblicher
Einkünfte überlassen noch
- überwiegend selbst zur Einkunftserzielung verwendet
werden und
3. auf das Gebäude dürfen keine stillen Reserven
übertragen worden
sein.
Wird das Gebäude innerhalb von fünf Jahren nach Aufgabe des Betriebes vom Steuerpflichtigen oder seinem Rechtsnachfolger veräußert, unter Lebenden unentgeltlich übertragen oder zur Einkunftserzielung im Sinne des zweiten Satzes verwendet oder überlassen, dann sind die nicht erfassten stillen Reserven in diesem Jahr unter Anwendung des ermäßigten Steuersatzes nach § 37 Abs. 1 zu versteuern."
Zu Recht weist der Beschwerdeführer darauf hin, dass das EStG 1988 zwischen der Veräußerung und der Aufgabe eines Betriebes unterscheidet. In § 24 Abs. 1 leg.cit. wird die Aufgabe des Betriebes (Teilbetriebes) als eigener Tatbestand angeführt, der zu einem Veräußerungsgewinn führen kann und in den Absätzen 4 und 5 der Veräußerung des Betriebes gleich gestellt.
Sowohl der Tatbestand der Betriebsveräußerung als auch der der Betriebsaufgabe sind mit dem Schicksal der wesentlichen Betriebsgrundlagen des Unternehmens verbunden. Die Veräußerung eines Betriebes im Ganzen liegt vor, wenn der Erwerber ein lebendes bzw. lebensfähiges Unternehmen, somit alle wesentlichen Betriebsgrundlagen, übernimmt. Bei der Aufgabe hört der Betrieb hingegen zu bestehen auf. Eine Aufgabe des Betriebes liegt vor, wenn die wesentlichen Betriebsgrundlagen in einem einheitlichen Vorgang entweder an verschiedene Erwerber entgeltlich oder unentgeltlich übertragen oder in das Privatvermögen übernommen oder wenn einzelne der wesentlichen Betriebsgrundlagen an verschiedene Dritte übergehen und einzelne solcher (wesentliche Betriebsgrundlagen ausmachenden) Wirtschaftsgüter in das Privatvermögen des bisherigen Betriebsinhabers übertragen werden (vgl. Hofstätter/Reichel, Einkommensteuer, Kommentar, Tz. 13 und Tz. 31 zu § 24, Quantschnigg/Schuch, Einkommensteuer-Handbuch, Tz. 25 und Tz. 28 zu § 24).
Die Veräußerung eines Betriebes im Ganzen setzt nicht den Verkauf des gesamten Betriebsvermögens, sondern nur die Übereignung der wesentlichen Grundlagen des Betriebes voraus. Welche Betriebsmittel zu den wesentlichen Grundlagen gehören, bestimmt der jeweilige Betriebstypus (vgl. das hg. Erkenntnis vom , 91/13/0152). Die Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens stimmen darin überein, dass das in das Privatvermögen überführte Gebäude gegenständlich nicht zu den wesentlichen Grundlagen des Großhandelsbetriebes gehörte und damit von einer Betriebsveräußerung im Ganzen auszugehen sei.
Werden anlässlich einer Betriebsveräußerung (oder -aufgabe) unwesentliche Betriebsgrundlagen zurückbehalten, ändert dies an der Beurteilung des begünstigten Veräußerungsvorganges nichts, weil sich sowohl die Betriebsveräußerung als auch die Betriebsaufgabe nur am Schicksal der wesentlichen Betriebsgrundlagen orientieren (vgl. Quantschnigg/Schuch, aaO, Tz. 27 und Tz. 32 zu § 24).
Der hier strittige Abs. 6 leg. cit. wurde aus dem EStG 1972 übernommen, in welches die entsprechende Regelung über Anregung der Steuerreformkommission mit dem Abgabenänderungsgesetz 1980, BGBl. Nr. 563/1980, Eingang fand. In den Materialien wird dazu ausgeführt (457 BlgNR 15. GP):
"Im Rahmen einer Betriebsaufgabe sind hinsichtlich der Verwertung der bisher betrieblich genutzten Anlagegüter verschiedene Möglichkeiten gegeben. Diese reichen vom vollständigen über einen teilweisen Verkauf bis zu einer vollständigen Übernahme der Anlagegüter ins Privatvermögen. Eine Verwertung durch Verkauf wird insbesondere dann nicht in Betracht kommen, wenn ein Gebäude bisher sowohl der Wohnsitz des Unternehmers (Mitunternehmers) als auch betrieblich genutzt war und der Betrieb infolge Todes, Berufsunfähigkeit oder Erreichen des Pensionsalters aufgegeben wird. Zur Vermeidung von Härten sieht der Entwurf in bestimmten Fällen der Betriebsaufgabe auf Antrag eine Ausscheidung der stillen Reserven betrieblich genutzter Gebäudeteile aus dem steuerpflichtigen Aufgabegewinn vor."
Gesetzestext und Materialien sprechen im Zusammenhang mit der Sonderbehandlung des Wohngebäudes nur den Fall der Betriebsaufgabe an. Durch die Begünstigung des § 24 Abs. 6 EStG 1988 sollen soziale Härten vermieden werden, wenn der Unternehmer im Betriebsgebäude seinen Hauptwohnsitz hat und anlässlich der Betriebsaufgabe stille Reserven versteuern müsste, die er nicht realisieren kann, ohne gleichzeitig seinen Wohnsitz aufzugeben.
Zum Vorbringen der mitbeteiligten Partei im Verwaltungsverfahren, auch bei der Betriebsaufgabe fänden Veräußerungen statt, ist zu sagen, dass es - wie oben ausgeführt - bei der Betriebsaufgabe zur Zerschlagung der betrieblichen Einheit kommt, während der Betrieb bei der Betriebsveräußerung im Ganzen erhalten bleibt und der Erwerber durch den Vorgang die Möglichkeit der Betriebsfortführung erhält. Solcherart werden dem Unternehmer, der seinen Betrieb im Ganzen veräußern kann, bei Beendigung der Tätigkeit im Regelfall mehr Mittel zufließen, als dies bei einer Betriebsaufgabe (mit etwaiger Veräußerung einzelner Wirtschaftsgüter) der Fall sein wird, sodass der Veräußerer eines Betriebes (in der typisierenden Betrachtungsweise des EStG 1972 und 1988) weniger schutzwürdig erscheint.
Indem die belangte Behörde die auf die ehemalige Betriebsliegenschaft entfallenden stillen Reserven zu Unrecht gemäß § 24 Abs. 6 EStG 1988 steuerfrei belassen hat, hat sie den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes belastet.
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Wien, am