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VfGH vom 16.06.1987, g52/87

VfGH vom 16.06.1987, g52/87

Sammlungsnummer

11368

Leitsatz

Ausschluß der Leistung eines Heiratsgutes (einer Ausstattung) von der Begünstigung für außergewöhnliche Belastungen in § 34 Abs 2 zweiter Satz EStG 1972; das Kriterium der Außergewöhnlichkeit ist auch dann gegeben, wenn eine Belastung eine große Gruppe von Steuerpflichtigen in einer spezifischen Situation (hier: Eltern, deren Kinder heiraten) in gleicher Weise trifft; keine sachlich rechtfertigenden Gründe für die Abweichung von den Grundsätzen des § 34; Verstoß des § 34 Abs 2 zweiter Satz gegen den Gleichheitsgrundsatz

Spruch

Der zweite Satz des § 34 Abs 2 des BG vom über die Besteuerung des Einkommens natürlicher Personen (Einkommensteuergesetz 1972 - EStG 1972), BGBl. Nr. 440 in der Fassung der Nov. BGBl. Nr. 587/1983, wird als verfassungswidrig aufgehoben.

Frühere gesetzliche Bestimmungen treten nicht wieder in Wirksamkeit.

Der Bundeskanzler ist zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung im Bundesgesetzblatt verpflichtet.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom hat die Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland dem Bf. durch Hingabe einer Heiratsausstattung an seinen Sohn entstandene Aufwendungen im Kalenderjahr 1984 nicht als außergewöhnliche Belastung anerkannt. Die Finanzbehörde stützte ihre Entscheidung auf § 34 Abs 2 EStG 1972 in der Fassung der Nov. BGBl. 587/1983, wonach die Leistung eines Heiratsgutes (einer Ausstattung) keine außergewöhnliche Belastung darstelle.

Gegen diesen Berufungsbescheid richtet sich im Anlaßfall die Beschwerde, in welcher sich der Bf. im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt erachtet und die Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt.

2. Aus Anlaß dieses beim VfGH unter B643/85 protokollierten Beschwerdefalles hat der Gerichtshof am beschlossen, gemäß Art 140 Abs 1 B-VG von Amts wegen die Verfassungsmäßigkeit des zweiten Satzes des § 34 Abs 2 EStG 1972 in der Fassung der Nov. BGBl. 587/1983 zu prüfen.

3. Die Bundesregierung hat im Gesetzesprüfungsverfahren von der Erstattung einer meritorischen Äußerung Abstand genommen.

II. Der VfGH hat erwogen:

1. Der erste Satz des § 34 Abs 2 EStG 1972 lautet:

"Eine außergewöhnliche Belastung, die zu einer Ermäßigung der Einkommensteuer führt, liegt vor, wenn einem Steuerpflichtigen zwangsläufig (Abs3) größere Aufwendungen als der Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstandes erwachsen."

Durch ArtI Z 4 des Abgabenänderungsgesetzes 1983, BGBl. 587, wurde diesem Satz folgender zweiter Satz angefügt:

"Die Leistung eines Heiratsgutes (einer Ausstattung) ist keine außergewöhnliche Belastung."

Die bel. Beh. im Anlaßfall hat diese Bestimmung dem angefochtenen Bescheid zugrunde gelegt. Auch der VfGH wird diesen Satz bei Prüfung der Beschwerde anzuwenden haben.

Da auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen vorliegen, ist das Gesetzesprüfungsverfahren zulässig.

2. Der seine verfassungsrechtlichen Bedenken wie folgt begründet:

"2.a) Die Einfügung des in Prüfung gezogenen Satzes in den § 34 Abs 2 EStG wurde vom Finanz- und Budgetausschuß wie folgt begründet (90 dB Sten.Prot. NR. XVI. GP):

'Im Hinblick darauf, daß die Verpflichtung zur Leistung eines Heiratsgutes bzw. einer Ausstattung alle Elternteile mit heiratsfähigen Kindern trifft, erscheint es gerechtfertigt, eine gesetzliche Fiktion aufzustellen, daß solche Leistungen nicht außergewöhnlich sind.'

Daneben scheint es noch andere Motive für die Einführung dieser Bestimmung gegeben zu haben: Eine - neben Steuermehreinnahmen - erhebliche Verwaltungsvereinfachung (im Hinblick auf die erforderlichen Überprüfungen und häufigen Rechtsstreitigkeiten im Zusammenhang mit der steuerlichen Berücksichtigung eines Heiratsgutes) sowie eine angeblich oft zu beobachtende mißbräuchliche Inanspruchnahme der Begünstigung (siehe hiezu Kohler, 'Heiratsgut keine außergewöhnliche Belastung', RdW 1983/3, S 91f).

b) § 34 Abs 1 erster Satz EStG 1972 räumt dem Steuerpflichtigen grundsätzlich einen Rechtsanspruch auf Ermäßigung der Einkommensteuer bei Aufwendungen ein, die außergewöhnlich sind, dem Steuerpflichtigen zwangsläufig erwachsen und eine wesentliche Beeinträchtigung seiner wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit bewirken. Die Außergewöhnlichkeit der Belastung wird in Abs 2 des § 34 dahin umschrieben, daß dem Steuerpflichtigen größere Aufwendungen als der Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstandes erwachsen müssen. Mit dem in Prüfung gezogenen zweiten Satz des Absatzes 2 wird die Begünstigung (einzig und allein) für eine bestimmte Art von Aufwendungen (Heiratsgut, Ausstattung) von vorne herein ausgeschlossen, weil - so das Motiv des Gesetzgebers - diese Aufwendungen nicht außergewöhnlich seien.

Dieser Prämisse kann sich der VfGH - vorläufig - nicht anschließen: Zwar trifft es zu, daß die (zivilrechtlich erzwingbare) Verpflichtung zur Leistung eines Heiratsgutes bzw. einer Ausstattung alle Elternteile von Kindern trifft, die eine Ehe eingehen (nicht aber, wie es im zitierten Ausschußbericht unzutreffend heißt, alle Elternteile mit 'heiratsfähigen' Kindern). Es ist auch einzuräumen, daß die Rechtsprechung des VwGH und die Lehre die Frage der Außergewöhnlichkeit einer Belastung überwiegend so ausgelegt haben, daß es sich um Belastungen handeln muß, die nicht in den allgemeinen Verhältnissen, sondern in den besonderen Verhältnissen des einzelnen Steuerpflichtigen oder einer kleinen Minderheit von Steuerpflichtigen begründet sind (VwSlg. 2677/F, Zapletal-Hofstätter zu § 33 EStG 1967, TZ 6, siehe hiezu auch VfSlg. 8341/1978, S 453).

Der Gesetzgeber hat sich jedoch im Rahmen des § 34 EStG 1972 schon bei Schaffung der im letzten Satz des Abs 3 enthaltenen Rechtsvermutung durch die EStG-Nov. 1962 nicht mehr von den Kriterien 'besondere Verhältnisse des einzelnen Steuerpflichtigen' und 'kleine Minderheit von Steuerpflichtigen' leiten lassen. Der VfGH hat dieser Entwicklung auch Rechnung getragen, indem er seinem Erkenntnis VfSlg. 9374/1982 die Annahme zugrunde gelegt hat, es sei sachlich gerechtfertigt, den von Seiten eines wiederverheirateten an den geschiedenen Ehegatten geleisteten Unterhalt als außergewöhnlich entstandene Aufwendung einzustufen. Es scheint daher bei einer zusammenschauenden Betrachtung der im § 34 EStG 1972 enthaltenen Bestimmungen, daß das Kriterium der Außergewöhnlichkeit auch dann gegeben ist, wenn eine Belastung eine große Gruppe von Steuerpflichtigen in einer spezifischen Situation (hier: die Eltern, deren Kinder heiraten) in gleicher Weise trifft. Ansonsten wäre es wohl auch nicht vertretbar, dieses Merkmal für alle Unterhaltsleistungen Wiederverheirateter an deren geschiedene Ehegatten gelten zu lassen.

Ausgehend von dieser Überlegung ergeben sich folgende - vorläufige - verfassungsrechtliche Bedenken gegen die in Prüfung gezogene Regelung:

Es steht dem Gesetzgeber sicherlich frei, Begünstigungen wie etwa die im § 34 EStG 1972 enthaltenen zu schaffen (siehe VfSlg. 9374/1982, S 276). Es stünde dem Gesetzgeber auch frei, die in § 34 EStG 1972 enthaltene Begünstigung als solche abzuschaffen, wenn er den damit verbundenen Einnahmenentfall oder den Verwaltungsaufwand als zu hoch erachtet. Wenn der Gesetzgeber aber die Begünstigung nach einem bestimmten - dem Sachlichkeitsgebot entsprechenden - System gewährt, bedarf ein Abweichen von einem solchen System (wie hier bei Heiratsgut und Ausstattung) abermals einer sachlichen Rechtfertigung (vgl. hiezu die Rechtsprechung des VfGH, zB VfSlg. 8572/1979, 9138/1981, siehe auch Korinek, 'Gedanken zur Bindung des Gesetzgebers an den Gleichheitsgrundsatz nach der Judikatur des Verfassungsgerichtshofes' in: FS Melichar, 1983, S 49).

Es scheint, daß keine sachlich rechtfertigenden Gründe für die - mit der in Prüfung gezogenen Bestimmung erfolgte Abweichung von den Grundsätzen des § 34 EStG 1972 vorhanden sind.

Wenn man nämlich - wie oben dargelegt - davon ausgeht, daß auch die Hingabe eines Heiratsgutes oder einer Ausstattung die Kriterien der Außergewöhnlichkeit aufweisen kann, dann scheint kein sachlicher Grund vorhanden zu sein, gerade diese Art (und nur diese Art) von Aufwendungen grundsätzlich und ausnahmslos von der Begünstigung auszunehmen (vgl. im gegebenen Zusammenhang auch Beiser, 'Nichtabzugsfähigkeit des Heiratsgutes - verfassungswidrig?', ÖStZ 1984, S 234ff). Es liegt auf der Hand, daß die Aufhebung einer Steuerbegünstigung dem eigentlichen Zweck einer Abgabe, der Einnahmenerzielung, zugute kommt, doch kann dies nicht in Form einer - wovon der VfGH vorläufig ausgeht - in sich nicht sachlichen Teilaufhebung der Begünstigung erfolgen. Die Berücksichtigung der Verwaltungsvereinfachung bei Beurteilung der Sachlichkeit einer Regelung dürfte wohl auch nicht so weit gehen, daß damit eine in sich unsachliche Durchbrechung eines Systems gerechtfertigt wird; mit anderen Worten: es scheint nicht anzugehen, daß der Gesetzgeber eine Begünstigung unter gewissen Voraussetzungen gewährt, die Begünstigung aber in jenen Fällen ausschließt, bei denen die Überprüfung der Voraussetzungen einen seiner Auffassung nach zu hohen Aufwand erfordert. Auch eine allfällige mißbräuchliche Inanspruchnahme der Begünstigung scheint an der Gleichheitswidrigkeit des in Prüfung gezogenen Satzes nichts ändern zu können, weil das Abstellen auf ein Angehörigenverhältnis nach der ständigen Rechtsprechung des VfGH nicht ausreicht, eine steuerliche oder sozialversicherungsrechtliche Schlechterstellung sachlich zu begründen (siehe zB VfSlg. 8709/1979, S 418 und 10157/1984, S 213)."

3. Im Gesetzesprüfungsverfahren ist nichts vorgebracht worden und auch sonst nicht hervorgekommen, daß die oben wiedergegebenen Bedenken unzutreffend wären.

Es ist daher auszusprechen, daß der zweite Satz des § 34 Abs 2 EStG 1972 als verfassungswidrig aufgehoben wird.

4. Die übrigen Aussprüche beruhen auf Art 140 Abs 5 und 6 B-VG.

Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VerfGG in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.