zurück zu Linde Digital
TEL.: +43 1 246 30-801  |  E-MAIL: support@lindeverlag.at
Suchen Hilfe
VfGH vom 16.12.2010, g259/09

VfGH vom 16.12.2010, g259/09

Sammlungsnummer

19281

Leitsatz

Aufhebung einer Regelung der Strafprozessordnung betreffend ein (generelles) Einspruchsrecht an das Gericht gegen kriminalpolizeiliche (Zwangs-)Maßnahmen ohne gerichtliche Bewilligung bzw staatsanwaltschaftliche Anordnung; Verstoß gegen den Grundsatz der Gewaltentrennung durch einfachgesetzliche Anordnung der gerichtlichen Überprüfung eines Verwaltungsakts

Spruch

I. Die Wortfolge "oder Kriminalpolizei" im ersten Satz des § 106 Abs 1 der Strafprozessordnung 1975, BGBl. Nr. 631 idF des Strafprozessreformgesetzes BGBl. I Nr. 19/2004, wird als verfassungswidrig aufgehoben.

Die aufgehobene Wortfolge ist nicht mehr anzuwenden.

Frühere gesetzliche Bestimmungen treten nicht wieder in Kraft.

Der Bundeskanzler ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche im Bundesgesetzblatt I verpflichtet.

II. Im Übrigen werden die Anträge zurückgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Zur Rechtslage:

1.1. Relevante Bestimmungen des Bundes-Verfassungsgesetzes (B-VG) lauten auszugsweise (Art90a B-VG, eingefügt mit BGBl. I 2/2008; Art 129a Abs 1 B-VG, eingefügt mit BGBl. 685/1988):

"Drittes Hauptstück

Vollziehung des Bundes

...

B. Gerichtsbarkeit

...

Artikel 90a. Staatsanwälte sind Organe der Gerichtsbarkeit. In Verfahren wegen mit gerichtlicher Strafe bedrohter Handlungen nehmen sie Ermittlungs- und Anklagefunktionen wahr. Durch Bundesgesetz werden die näheren Regelungen über ihre Bindung an die Weisungen der ihnen vorgesetzten Organe getroffen.

...

Siebentes Hauptstück

Garantien der Verfassung und Verwaltung

...

A. Unabhängige Verwaltungssenate in den Ländern

Artikel 129a. (1) Die unabhängigen Verwaltungssenate in den Ländern erkennen nach Erschöpfung des administrativen Instanzenzuges, sofern ein solcher in Betracht kommt,

1. ...

2. über Beschwerden von Personen, die behaupten, durch die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt in ihren Rechten verletzt zu sein, ausgenommen in Finanzstrafsachen des Bundes,

3. - 4. ..."

1.2. § 67a Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 (AVG) lautet:

"§67a. Die unabhängigen Verwaltungssenate in den Ländern entscheiden:

1. ...

2. über Beschwerden von Personen, die behaupten, durch die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt in ihren Rechten verletzt zu sein, ausgenommen in Finanzstrafsachen des Bundes.

..."

1.3. Vorschriften der Strafprozessordnung 1975 (StPO), BGBl. 631, in der maßgeblichen Fassung BGBl. I 109/2007 (die - hervorgehobenen - angefochtenen Teile der §§106 Abs 1 und 107 Abs 1 haben durch BGBl. I 19/2004 ihre hier relevante Fassung erhalten):

"1. Teil

Allgemeines und Grundsätze des Verfahrens

1. Hauptstück

Das Strafverfahren und seine Grundsätze

Das Strafverfahren

§1. (1) Die Strafprozessordnung regelt das Verfahren zur Aufklärung von Straftaten, über die Verfolgung verdächtiger Personen und über damit zusammenhängende Entscheidungen. ...

(2) Das Strafverfahren beginnt, sobald Kriminalpolizei oder Staatsanwaltschaft zur Aufklärung des Verdachts einer Straftat gegen eine bekannte oder unbekannte Person ermitteln oder Zwang gegen eine verdächtige Person ausüben. Das Strafverfahren endet durch Einstellung oder Rücktritt von der Verfolgung durch die Staatsanwaltschaft oder durch gerichtliche Entscheidung.

...

2. Hauptstück

Kriminalpolizei, Staatsanwaltschaft und Gericht

1. Abschnitt

Kriminalpolizei

Kriminalpolizei

§18. (1) Kriminalpolizei besteht in der Wahrnehmung von Aufgaben im Dienste der Strafrechtspflege (Art10 Abs 1 Z 6 B-VG), insbesondere in der Aufklärung und Verfolgung von Straftaten nach den Bestimmungen dieses Gesetzes.

(2) Kriminalpolizei obliegt den Sicherheitsbehörden, deren Organisation und örtliche Zuständigkeit sich nach den Vorschriften des Sicherheitspolizeigesetzes über die Organisation der Sicherheitsverwaltung richten. Aufgaben und Befugnisse, die den Sicherheitsbehörden in diesem Gesetz übertragen werden, stehen auch den ihnen beigegebenen, zugeteilten oder unterstellten Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes zu.

(3) Soweit in diesem Gesetz der Begriff Kriminalpolizei verwendet wird, werden damit die Sicherheitsbehörden und -dienststellen sowie ihre Organe (Abs2) in Ausübung der Kriminalpolizei bezeichnet.

2. Abschnitt

Staatsanwaltschaften und ihre Zuständigkeiten

Allgemeines

§19. (1) ...

(2) Die Staatsanwaltschaften üben ihre Tätigkeit als Organe der Rechtspflege durch Staatsanwälte aus.

(3) Soweit dieses Gesetz im Einzelnen nichts anderes bestimmt, richten sich Organisation und Aufgaben der Staatsanwaltschaften nach den Vorschriften des Staatsanwaltschaftsgesetzes (StAG), BGBl. Nr. 164/1986.

Staatsanwaltschaft

§20. (1) Die Staatsanwaltschaft leitet das Ermittlungsverfahren; ihr allein steht die Erhebung der öffentlichen Anklage zu. Sie entscheidet, ob gegen eine bestimmte Person Anklage einzubringen, von der Verfolgung zurückzutreten oder das Verfahren einzustellen ist.

(2) - (3) ...

...

2. Teil

Das Ermittlungsverfahren

6. Hauptstück

Allgemeines

1. Abschnitt

Zweck des Ermittlungsverfahrens

Zweck des Ermittlungsverfahrens

§91. (1) Das Ermittlungsverfahren dient dazu, Sachverhalt und Tatverdacht durch Ermittlungen soweit zu klären, dass die Staatsanwaltschaft über Anklage, Rücktritt von der Verfolgung oder Einstellung des Verfahrens entscheiden kann und im Fall der Anklage eine zügige Durchführung der Hauptverhandlung ermöglicht wird.

(2) Ermittlung ist jede Tätigkeit der Kriminalpolizei, der Staatsanwaltschaft oder des Gerichts, die der Gewinnung, Sicherstellung, Auswertung oder Verarbeitung einer Information zur Aufklärung des Verdachts einer Straftat dient. Sie ist nach der in diesem Gesetz vorgesehenen Form entweder als Erkundigung oder als Beweisaufnahme durchzuführen.

...

7. Hauptstück

Aufgaben und Befugnisse der Kriminalpolizei, der
Staatsanwaltschaft und des Gerichts

1. Abschnitt

Allgemeines

Allgemeines

§98. (1) Kriminalpolizei und Staatsanwaltschaft haben das Ermittlungsverfahren nach Maßgabe dieses Gesetzes soweit wie möglich im Einvernehmen zu führen. Kann ein solches nicht erzielt werden, so hat die Staatsanwaltschaft die erforderlichen Anordnungen zu erteilen, die von der Kriminalpolizei zu befolgen sind (§99 Abs 1).

(2) Das Gericht wird im Ermittlungsverfahren auf Antrag, von Amts wegen gemäß den §§104 und 105 Abs 2 oder auf Grund eines Einspruchs tätig.

2. Abschnitt

Kriminalpolizei im Ermittlungsverfahren

Ermittlungen

§99. (1) Die Kriminalpolizei ermittelt von Amts wegen oder auf Grund einer Anzeige; Anordnungen der Staatsanwaltschaft und des Gerichts (§105 Abs 2) hat sie zu befolgen.

(2) Ist für eine Ermittlungsmaßnahme eine Anordnung der Staatsanwaltschaft erforderlich, so kann die Kriminalpolizei diese Befugnis bei Gefahr im Verzug ohne diese Anordnung ausüben. In diesem Fall hat die Kriminalpolizei unverzüglich um Genehmigung anzufragen (§100 Abs 2 Z 2); wird diese nicht erteilt, so hat die Kriminalpolizei die Ermittlungshandlung sogleich zu beenden und den ursprünglichen Zustand soweit wie möglich wieder herzustellen.

(3) Erfordert die Anordnung jedoch eine gerichtliche Bewilligung, so ist die Ermittlungsmaßnahme bei Gefahr im Verzug ohne diese Bewilligung nur dann zulässig, wenn das Gesetz dies ausdrücklich vorsieht.

(4) - (5) ...

...

3. Abschnitt

Staatsanwaltschaft im Ermittlungsverfahren

Aufgaben

§101. (1) Die Staatsanwaltschaft leitet das Ermittlungsverfahren und entscheidet über dessen Fortgang und Beendigung. Gegen ihren erklärten Willen darf ein Ermittlungsverfahren weder eingeleitet noch fortgesetzt werden.

(2) - (4)...

...

Ermittlungen

§103. (1) Soweit dieses Gesetz im Einzelnen nichts anderes bestimmt, obliegt es der Kriminalpolizei, die Anordnungen der Staatsanwaltschaft durchzuführen. Die Staatsanwaltschaft kann sich an allen Ermittlungen der Kriminalpolizei beteiligen und dem Leiter der kriminalpolizeilichen Amtshandlung einzelne Aufträge erteilen, soweit dies aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen, insbesondere wegen der Bedeutung der Ermittlungen für die Entscheidung über die Fortsetzung des Verfahrens, zweckmäßig ist.

(2) Die Staatsanwaltschaft kann auch selbst Ermittlungen (§91 Abs 2) durchführen oder durch einen Sachverständigen durchführen lassen.

4. Abschnitt

Gericht im Ermittlungsverfahren

...

Einspruch wegen Rechtsverletzung

§106. (1) Einspruch an das Gericht steht im Ermittlungsverfahren jeder Person zu, die behauptet, durch Staatsanwaltschaft oder Kriminalpolizei in einem subjektiven Recht verletzt zu sein, weil

1. ihr die Ausübung eines Rechtes nach diesem Gesetz verweigert oder

2. eine Ermittlungs- oder Zwangsmaßnahme unter Verletzung von Bestimmungen dieses Gesetzes angeordnet oder durchgeführt wurde.

Eine Verletzung eines subjektiven Rechts liegt nicht vor, soweit das Gesetz von einer bindenden Regelung des Verhaltens von Staatsanwaltschaft oder Kriminalpolizei absieht und von diesem Ermessen im Sinne des Gesetzes Gebrauch gemacht wurde.

(2) Soweit gegen die Bewilligung einer Ermittlungsmaßnahme Beschwerde erhoben wird, ist ein Einspruch gegen deren Anordnung oder Durchführung mit der Beschwerde zu verbinden. In einem solchen Fall entscheidet das Beschwerdegericht auch über den Einspruch.

(3) Der Einspruch ist bei der Staatsanwaltschaft einzubringen. In ihm ist anzuführen, auf welche Anordnung oder welchen Vorgang er sich bezieht, worin die Rechtsverletzung besteht und auf welche Weise ihm stattzugeben sei. Sofern er sich gegen eine Maßnahme der Kriminalpolizei richtet, hat die Staatsanwaltschaft der Kriminalpolizei Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben.

(4) Die Staatsanwaltschaft hat zu prüfen, ob die behauptete Rechtsverletzung vorliegt, und dem Einspruch, soweit er berechtigt ist, zu entsprechen sowie den Einspruchswerber davon zu verständigen, dass und auf welche Weise dies geschehen sei und dass er dennoch das Recht habe, eine Entscheidung des Gerichts zu verlangen, wenn er behauptet, dass seinem Einspruch tatsächlich nicht entsprochen wurde.

(5) Wenn die Staatsanwaltschaft dem Einspruch nicht entspricht oder der Einspruchswerber eine Entscheidung des Gerichts verlangt, hat die Staatsanwaltschaft den Einspruch unverzüglich an das Gericht weiter zu leiten. Stellungnahmen der Staatsanwaltschaft und der Kriminalpolizei hat das Gericht dem Einspruchswerber zur Äußerung binnen einer festzusetzenden, sieben Tage nicht übersteigenden Frist zuzustellen.

§107. (1) Nach Beendigung des Ermittlungsverfahrens ist ein Einspruch nicht mehr zulässig. Zuvor erhobene Einsprüche gemäß § 106 Abs 1 Z 1 sind als gegenstandslos zu betrachten. Im Falle, dass Anklage eingebracht wurde, hat über den Einspruch jenes Gericht zu entscheiden, das im Ermittlungsverfahren zuständig gewesen wäre. Unzulässige Einsprüche und solche, denen die Staatsanwaltschaft entsprochen hat, sind zurückzuweisen. Im Übrigen hat das Gericht in der Sache zu entscheiden.

(2) Sofern sich die Umstände der behaupteten Rechtsverletzung nur durch unmittelbare Beweisaufnahme klären lassen, kann das Gericht von Amts wegen eine mündliche Verhandlung anberaumen und in dieser über den Einspruch entscheiden. Diese Verhandlung ist nicht öffentlich, doch hat das Gericht jedenfalls dem Einspruchswerber, der Staatsanwaltschaft und, sofern sich der Einspruch gegen sie richtet, der Kriminalpolizei Gelegenheit zur Teilnahme und Stellungnahme zu geben.

(3) Der Staatsanwaltschaft und dem Einspruchswerber steht Beschwerde zu; diese hat aufschiebende Wirkung. Das Oberlandesgericht kann die Behandlung einer Beschwerde ablehnen, es sei denn, dass die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Gericht von der Rechtsprechung des Oberlandesgerichts oder des Obersten Gerichtshofs abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung nicht einheitlich beantwortet wird.

(4) Im Falle, dass das Gericht dem Einspruch stattgibt, haben Staatsanwaltschaft und Kriminalpolizei den entsprechenden Rechtszustand mit den ihnen zu Gebote stehenden Mitteln herzustellen.

...

3. Teil

Beendigung des Ermittlungsverfahrens

10. Hauptstück

Einstellung, Abbrechung und Fortführung des Ermittlungsverfahrens

Einstellung des Ermittlungsverfahrens

§ 190. Die Staatsanwaltschaft hat von der Verfolgung einer Straftat abzusehen und das Ermittlungsverfahren insoweit einzustellen, als

1. die dem Ermittlungsverfahren zu Grunde liegende Tat nicht mit gerichtlicher Strafe bedroht ist oder sonst die weitere Verfolgung des Beschuldigten aus rechtlichen Gründen unzulässig wäre oder

2. kein tatsächlicher Grund zur weiteren Verfolgung des Beschuldigten besteht.

Einstellung wegen Geringfügigkeit

§191. (1) Von der Verfolgung einer Straftat, die nur mit Geldstrafe, mit einer Freiheitsstrafe bedroht ist, deren Höchstmaß drei Jahre nicht übersteigt, oder mit einer solchen Freiheitsstrafe und Geldstrafe hat die Staatsanwaltschaft abzusehen und das Ermittlungsverfahren einzustellen, wenn

1. in Abwägung der Schuld, der Folgen der Tat und des Verhaltens des Beschuldigten nach der Tat, insbesondere im Hinblick auf eine allfällige Schadensgutmachung, sowie weiterer Umstände, die auf die Strafbemessung Einfluss hätten, der Störwert der Tat als gering anzusehen wäre und

2. eine Bestrafung oder ein Vorgehen nach dem 11. Hauptstück nicht geboten erscheint, um den Beschuldigten von der Begehung strafbarer Handlungen abzuhalten oder der Begehung strafbarer Handlungen durch andere entgegen zu wirken.

(2) ..."

2. Die Erläuterungen zur Regierungsvorlage zum Strafprozessreformgesetz, BGBl. I 19/2004, (RV 25 BlgNR 22. GP) lauten auszugsweise:

2.1. Zum Allgemeinen Teil (RV 25 BlgNR 22. GP, 17 ff. - Hervorhebungen im Original):

"... Verfassungsrechtliche Fragen

Die vorgeschlagene Strukturreform des strafprozessualen Vorverfahrens soll zunächst in ihrem einfach gesetzlichen Zusammenhang auf parlamentarischer Ebene beraten werden. Eine auf Grund des Ergebnisses dieser Diskussion allenfalls erforderliche verfassungsrechtliche Absicherung wird einem gesonderten - im Einvernehmen mit dem zuständigen Verfassungsdienst des Bundeskanzleramtes zu veranlassenden - Gesetzgebungsverfahren vorbehalten.

Allerdings wurden die verfassungsrechtlichen Problembereiche im Begutachtungsentwurf bereits konkret angesprochen. Auf Grund der dazu ergangenen Stellungnahmen sowie der wissenschaftlichen Auseinandersetzung lassen sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt folgende Aussagen treffen:

...

* Anklagegrundsatz - Art 90 Abs 2 B-VG

Gegenüber dem der geltenden StPO zu Grunde liegenden Verständnis des Anklagegrundsatzes als formalem Antragsprinzip zur Veranlassung richterlicher Inquisition nach dem Grundsatz 'Wo kein Kläger, da kein Richter' will der Entwurf das materielle Prinzip der Stoffsammlung betonen. Dieses materielle Verständnis des Anklagegrundsatzes wird nach herrschender Lehre mit Art 90 Abs 2 B-VG als vereinbar erachtet. Die der Staatsanwaltschaft übertragene Verantwortung für die Beschuldigung einer bestimmten Person, somit die Subsumtion eines Lebenssachverhalts unter einen Rechtssatz, setzt eben voraus, dass die Staatsanwaltschaft auch für die Ermittlung dieses Sachverhalts zuständig und verantwortlich ist. Insoweit ist davon auszugehen, dass kein Anpassungsbedarf des Art 90 Abs 2 B-VG besteht.

Zudem ist für den zur Auslegung des Art 90 Abs 2 B-VG maßgeblichen Versteinerungszeitpunkt davon auszugehen, dass ein Vorverfahren unter der Leitung des Richters nicht notwendiger Bestandteil des Anklagegrundsatzes ist. ...

Die vorgeschlagene Betrauung der Staatsanwaltschaft mit der Leitung des Ermittlungsverfahrens greift nicht in ein verfassungsrechtlich garantiertes, änderungsfestes Organisations- und Aufgabengefüge ein. Der Grundsatz der Trennung von Gerichtsbarkeit und Verwaltung und das Anklageprinzip als die beiden festen Elemente dieses Gefüges werden durch die Zuweisung von kriminalpolizeilichen Ermittlungsaufgaben an die staatsanwaltschaftlichen Behörden und Organe nicht beeinträchtigt.

* Zum Trennungsgrundsatz (Art94 B-VG)

Das Anklageprinzip legitimiert ein Zusammenwirken von Gerichten und Verwaltungsorganen im Strafprozess. Es entspricht dem Anklageprinzip, wenn Verwaltungsbehörden wie die Staatsanwaltschaften zur Strafverfolgung berufen und mit dem Anklagemonopol ausgestattet werden. Die Ausübung dieser Funktion ist selbst noch kein Eingriff in die Gewaltentrennung. Das Anklageprinzip legitimiert aber auch Formen des Zusammenwirkens, die formeller Gewaltentrennung widersprechen, wie z.B. die Entscheidung über einen Einspruch gegen die Anklageschrift. Hier handelt es sich um einen gewaltenüberschreitenden Instanzenzug, dessen verfassungsrechtliche Legitimation im Hinblick auf Art 94 B-VG mit Hilfe von historisch-systematischen Überlegungen zu suchen und zu finden ist. Die Ausnahme darf aber nicht extensiv interpretiert werden. Der vorgesehene Einspruch wegen Rechtsverletzung (§106), wonach im Ermittlungsverfahren jede Person, die sich durch eine Anordnung oder durch unmittelbaren Zwang in einem subjektiven Recht verletzt fühlt, Einspruch an das Gericht erheben kann, könnte aus diesem Grund mit Art 94 B-VG nicht vereinbar sein."

2.2. Zum 4. Abschnitt "Gericht im Ermittlungsverfahren" (RV 25 BlgNR 22. GP, 141 ff. - Hervorhebungen im Original):

"Zu den §§106 und 107 ('Einspruch wegen Rechtsverletzung')

Nach geltendem Recht ist der Rechtsschutz auf das gerichtliche Vorverfahren konzentriert. Nach § 113 StPO steht 'allen' die Möglichkeit der Beschwerde gegen 'eine Verfügung oder Verzögerung des Untersuchungsrichters' zu; gegen Art und Inhalt staatsanwaltschaftlicher Ersuchen und polizeilicher Ermittlungen bietet die geltende StPO keine Handhabe.

Der Entwurf will diesen Mangel an Möglichkeiten zur Durchsetzung von Verfahrensrechten beheben und - insofern in Anlehnung an § 113 StPO - im Ermittlungsverfahren jeder in einem subjektiven Recht unmittelbar betroffenen Person den unbefristeten Einspruch wegen Rechtsverletzung an das Gericht gewähren.

...

Zu § 106

Nach Abs 1 Z 1 und 2 soll jede (tatsächliche oder rechtliche) Handlung der Kriminalpolizei oder Staatsanwaltschaft oder eines ihrer Organe, durch welche sich der Einspruchswerber unmittelbar in einem subjektiven Recht verletzt erachtet, Anlass für einen Einspruch wegen Rechtsverletzung bieten können. Als subjektive Rechte sind solche zu verstehen, welche die Voraussetzungen und Bedingungen festlegen, die bei Ausübung von Zwang gegenüber Betroffenen nach diesem Bundesgesetz konkret einzuhalten sind (Z2), oder welche dem Betroffenen einen Anspruch auf ein bestimmtes Verfahrensrecht nach diesem Bundesgesetz einräumen (Z1; z.B. Akteneinsicht, Beweisantragsrecht oder Recht auf Beiziehung einer Person des Vertrauens). In subjektive Rechte kann daher nicht nur durch Anordnungen oder unmittelbare Ausübung von Zwang selbst, sondern auch durch die Art und Weise der Durchführung rechtswidrig eingegriffen werden, beispielsweise wenn der von einer Hausdurchsuchung betroffenen Person die Anwesenheit oder die Beiziehung von Personen ihres Vertrauens verweigert wird. Die Bestimmung des Abs 1 Z 1 und 2 soll daher den individuellen Anspruch sichern, dass in subjektive Rechte eingreifende Ermittlungen nur in den Fällen und auf die Weise ausgeübt werden, die der Strafprozessordnung entsprechen. Hingegen soll beispielsweise eine Verletzung der in der Richtlinien-Verordnung (RLV) generell für die Aufgabenerfüllung im Rahmen des Exekutivdienstes vorgeschriebenen Bedingungen für das Einschreiten kriminalpolizeilicher Organe keinen Gegenstand eines zulässigen Einspruchs bilden, mag der Einspruchwerber auch von der Verletzung 'betroffen' sein. Gleichermaßen wäre ein ausschließlich auf Befugnisse nach dem SPG gestütztes Vorgehen der Kriminalpolizei nicht im Wege des Einspruchs bekämpfbar. Auch soweit 'doppelfunktionale' Ermittlungen betroffen sind, hätte das Gericht die Einhaltung der Bedingungen und Förmlichkeiten des SPG nicht zu prüfen; insoweit wäre nach wie vor die Kognitionsbefugnis des UVS nach § 88 SPG gegeben.

...

Damit soll ein einheitliches Rechtsschutzsystem innerhalb der StPO geschaffen und der bislang bestehende Rechtszug zu den Unabhängigen Verwaltungssenaten für die Ausübung unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt durch Exekutivorgane bei Gefahr im Verzug (d.h. ohne gerichtlichen Befehl) beseitigt werden. Die gerichtliche Kontrolle soll nicht mehr davon abhängen, ob eine gerichtlich bewilligte Anordnung vorliegt oder diese wegen Gefahr im Verzug nicht eingeholt werden kann. Es soll sichergestellt werden, dass über die Frage der Rechtmäßigkeit eines Eingriffs in ein subjektives Recht durch Ausübung einer Befugnis nach dieser Strafprozessordnung einheitlich durch Justizorgane entschieden wird. Für die Kontrolle dieser Grundrechtseingriffe sowie der Verweigerung von Verfahrensrechten soll unterstrichen werden, dass es sich beim gesamten Ermittlungsverfahren um ein justizielles Verfahren mit Ingerenz der Staatsanwaltschaft handelt, für das die Bestimmungen der StPO und nicht jene des SPG gelten und das schon deshalb der Kontrolle der ordentlichen Gerichte unterliegt. ..."

2.3. Der Bericht des Justizausschusses (AB 406 BlgNR 22. GP, 6) lautet auszugsweise (Hervorhebungen im Original):

"In verfassungsrechtlicher Sicht schließt sich der

Justizausschuss ... der von Funk/Öhlinger vertretenen Rechtsansicht

an, wonach die Neugestaltung des Zusammenwirkens von Kriminalpolizei und Staatsanwaltschaft auf keine Einwände stößt. Die Zuweisung von Ermittlungsaufgaben an die Staatsanwaltschaft bedeutet zwar eine wesentliche Veränderung des bestehenden gesetzlichen Modells, dem zufolge die Funktionen der Anklage (Verfolgung) und des Ermittelns getrennt sind. Ein verfassungsrechtlicher Funktionsschutz, der eine Übertragung von Ermittlungsaufgaben an die Staatsanwaltschaft ausschließt oder beschränkt, besteht jedoch nicht. Die Ausdehnung der staatsanwaltschaftlichen Verantwortung auf das gesamte Ermittlungsverfahren wird den Zielen des Anklageprinzips besser gerecht als das bestehende Modell. Die Neugestaltung des Zusammenwirkens von Kriminalpolizei, Staatsanwaltschaft und Gericht im Ermittlungsverfahren steht im Spannungsfeld zweier Grundsätze: der Trennung von Gerichtsbarkeit und Verwaltung (Art94 B-VG) und dem Anklagegrundsatz (Art90 Abs 2 B-VG). Von einem historisch-teleologisch geprägten Verfassungsverständnis ausgehend ergibt sich jedoch, orientiert am System der Gewaltentrennung und des Anklageprozesses, dass das Zusammenwirken von Kriminalpolizei, Staatsanwaltschaft und Gericht im (reformierten) Ermittlungsverfahren als historisch und final systemkonforme Fortentwicklung in verfassungsrechtlicher Hinsicht gut legitimiert ist. Auch der staatsfunktionsüberschreitende Rechtsschutz kann als vom Anklageprinzip gedeckt angesehen werden (vgl. Funk/Öhlinger, Strafprozessreform und Verfassungsrecht, Schriftenreihe des BMJ, Bd 112, 85 f.). Die Fragen der verfassungsrechtlichen Bestands- und Funktionsgarantie der Staatsanwaltschaft sowie der verfassungsrechtlichen Verankerung gerichtlichen Rechtsschutzes gegenüber Kriminalpolizei im Dienst der Strafjustiz und Staatsanwaltschaft werden schließlich in den Beratungen des Österreich-Konvents berücksichtigt."

2.4. Zu §§106 bis 108 StPO wird im Ausschussbericht weiters ausgeführt (AB 406 BlgNR 22. GP, 16 - Hervorhebungen im Original):

"1. Im § 106 Abs 1 soll in Analogie zu Art 130 Abs 2 B-VG klargestellt werden, dass eine Verletzung eines subjektiven Rechts nicht vorliegt, wenn Kriminalpolizei und Staatsanwaltschaft bei Wahrnehmung ihrer Befugnisse nicht willkürlich, also im Rahmen des gesetzlich eingeräumten Ermessens vorgegangen sind. Damit wird berücksichtigt, dass mitunter rasch und bei noch zu konkretisierender Verdachtslage Entscheidungen über Zwangsmaßnahmen oder Einschränkung gewisser Rechte zu treffen sind, die nachträglich jeweils vom Standpunkt ex-ante und nicht ex-post zu prüfen sein sollen.

2. Hat die Staatsanwaltschaft dem Einspruchsbegehren des Betroffenen entsprochen, so soll dieser nur dann eine gerichtliche Entscheidung begehren können, wenn er behauptet, dass seinem Begehren tatsächlich nicht oder nicht vollständig entsprochen wurde. Trifft dies nicht zu, so soll das Gericht den Einspruch ohne weitere meritorische Prüfung als unzulässig zurückzuweisen haben (§§106 Abs 4 letzter Halbsatz und 107 Abs 1 dritter Satz)."

II. 1. Die Anträge:

1.1. Im Verfahren G259/09 stellte der Unabhängige Verwaltungssenat Wien (UVS Wien) aus Anlass einer bei ihm anhängigen Maßnahmenbeschwerde gemäß Art 140 Abs 1 B-VG den Antrag, der Verfassungsgerichtshof möge die Z 2 des § 106 Abs 1 StPO idF des Strafprozessreformgesetzes, BGBl. I 19/2004, in eventu die Wortfolgen "oder Kriminalpolizei" in § 106 Abs 1 erster Halbsatz leg.cit. sowie "oder durchgeführt" in § 106 Abs 1 Z 2 leg.cit., in eventu den ersten Satz des § 107 Abs 1 leg.cit., als verfassungswidrig aufheben.

Mit der Maßnahmenbeschwerde wandte sich der Beschwerdeführer gegen seine durch Polizeibeamte auf einem Wiener U-Bahngelände "eigenmächtig" erfolgte (von Verletzungsfolgen begleitete) Festnahme und (unfreiwillige) Durchsuchung seines Rucksacks; die Amtshandlung beruht unstrittig auf einer Verwechslung des (tatsächlich keiner Straftat verdächtigen) Beschwerdeführers mit einer des Suchtgifthandels verdächtigen Person, gegen die im Dienste der Strafrechtspflege ermittelt wurde. Die bekämpften Zwangsmaßnahmen seien nach der "rechtlichen Einschätzung" des UVS von Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes "auf Grundlage der StPO" vorgenommen worden, es handle sich somit um "iSd § 106 Abs 1 StPO" von der Kriminalpolizei durchgeführte Zwangsmaßnahmen.

Das gegen den wahren Verdächtigen eingeleitete Strafverfahren sei zum Zeitpunkt der (rechtzeitigen) Einbringung der Maßnahmenbeschwerde bereits rechtskräftig abgeschlossen gewesen, sodass ein Einspruch nach § 106 StPO zufolge der Vorschrift des § 107 Abs 1 StPO nicht mehr zulässig gewesen wäre. Gegen den Beschwerdeführer sei kein Strafverfahren anhängig gemacht worden.

1.2. In den Verfahren G19/10 bis G21/10 stellte der Verwaltungsgerichtshof mit Beschlüssen vom (jeweils) , Zlen. A2010/0004-1 (2009/17/0217), A2010/0005-1 (2009/17/0273), A2010/0006, 0007-1 (2009/17/0252, 0253, früher 2009/06/0195, 0199), aus Anlass bei ihm anhängiger Beschwerden gegen Bescheide Unabhängiger Verwaltungssenate iZm polizeilichen Amtshandlungen gemäß Art 140 Abs 1 B-VG jeweils den Antrag, in § 106 Abs 1 der Strafprozessordnung 1975, BGBl. 631 idF BGBl. I 19/2004, im Eingang die Worte "oder Kriminalpolizei" als verfassungswidrig aufzuheben.

Diese Verfahren beruhen nach dem jeweiligen Antragsvorbringen auf folgenden Sachverhalten:

1.2.1. Im Anlassfall G19/10 sei in einem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren gegen den Lebensgefährten der Beschwerdeführerin wegen Verdachts des gewerbsmäßigen Diebstahls in der gemeinsamen Wohnung eine gerichtlich bewilligte Hausdurchsuchung durch die Kriminalpolizei durchgeführt worden. Nach Abschluss der Hausdurchsuchung habe die Beschwerdeführerin das Fehlen eines in der Wohnung verwahrten Geldbetrages bemerkt, weshalb sie bei der Staatsanwaltschaft eine Sachverhaltsdarstellung eingebracht habe; das Verfahren sei anhängig. In diesem Konnex habe die Beschwerdeführerin Kenntnis von der Abhörung ihres Telefonanschlusses durch die Bundespolizeidirektion Wien erlangt; eine richterliche Genehmigung für diese Maßnahme könne nicht festgestellt werden; dagegen habe die Beschwerdeführerin beim UVS Wien Maßnahmenbeschwerde wegen Verletzung von Vorschriften der StPO, der Richtlinien-Verordnung (§31 SPG) und des Datenschutzgesetzes 2000 erhoben; sie sei von der Herstellung der Tonbandaufnahmen und Tonbandprotokolle (die zwischenzeitig vernichtet worden seien) nicht informiert worden; gegen sie sei weder ein Strafverfahren anhängig gewesen noch sei ein Auftrag oder ein Anlass zum Abhören ihrer Telefongespräche vorgelegen.

Der UVS Wien (belangte Behörde im Anlassverfahren) habe die Maßnahmenbeschwerde, gestützt auf § 106 StPO, zurückgewiesen.

1.2.2. Dem Antrag des Verwaltungsgerichtshofes zu G20/10 liegt ein Maßnahmenbeschwerdeverfahren wegen einer gegen den Beschwerdeführer im Anlassverfahren durch die Bundespolizeidirektion Innsbruck iR einer Demonstration vorgenommene Amtshandlung zugrunde, welche die zwangsweise erkennungsdienstliche Behandlung, die Durchsuchung der Person und des Rucksacks sowie die Anfertigung von Fotos des Beschwerdeführers zum Gegenstand gehabt habe; in der dagegen (zusätzlich zu einem Einspruch nach § 106 Abs 1 StPO) beim Unabhängigen Verwaltungssenat Tirol (UVS Tirol) eingebrachten Maßnahmenbeschwerde sei die Verletzung subjektiver Rechte gemäß § 88 Abs 1 und 2 SPG durch Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt seitens der einschreitenden Polizeibeamten behauptet worden. Der UVS Tirol habe die Maßnahmenbeschwerde gemäß § 88 Abs 1 und 2 SPG zurückgewiesen, weil die bekämpften Akte iZm einem während der Demonstration gegen den Beschwerdeführer aufgetretenen Diebstahlsverdacht vorgenommen worden seien und damit ausschließlich auf Rechtsgrundlagen der StPO (§§118, 119) beruhen würden, wogegen beim Landesgericht Innsbruck Einspruch nach § 106 StPO eingebracht worden sei; eine darüber hinausgehende Beschwerdemöglichkeit "im Sinne des SPG" bestehe nicht.

Den Ausführungen des Verwaltungsgerichtshofes zufolge lag "eigenmächtiges" Handeln von Organen der Bundespolizei auf Grund des Verdachts einer gerichtlich strafbaren Handlung zugrunde; der Beschwerdeführer des Anlassverfahrens mache geltend, dass die in Beschwerde gezogenen Handlungen nicht nur oder nicht mehr auf die Bestimmungen der StPO gestützt werden könnten, sondern auch oder ausschließlich als Maßnahmen nach dem SPG zu werten seien: Die einzelnen Maßnahmen seien zum einen Bestimmungen der StPO iZm dem Verdacht strafbaren Verhaltens (§§118, 119 - Personendurchsuchung, Identitätsfeststellung), zum anderen solchen des SPG iZm Gefahrenabwehr (§40 - Durchsuchung, § 50 - unmittelbare Zwangsgewalt, § 65 - erkennungsdienstliche Behandlung) zugeordnet worden.

Nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes wirft dieser Beschwerdefall insbesondere Fragen der Abgrenzung der Zuständigkeiten nach § 106 StPO und nach § 67a Abs 1 Z 2 AVG auf, weil sich die Handlung sowohl auf Vorschriften der StPO als auch auf sicherheitspolizeiliche Rechtsgrundlagen stütze; zudem könnte der Verwaltungsgerichtshof hinsichtlich der Qualifikation der Handlungen zu einem anderen Ergebnis als die belangte Behörde gelangen.

1.2.3. Hintergrund des Antrags des Verwaltungsgerichtshofes zu G21/10 sind als "Maßnahmen- und Richtlinienbeschwerden" bezeichnete Rechtsbehelfe an den Unabhängigen Verwaltungssenat Oberösterreich (UVS OÖ) iZm der Festnahme mehrerer Beschwerdeführer durch Polizeibeamte "aus eigenem" wegen des Verdachts des (qualifizierten) Diebstahls, wobei u.a. ein Verstoß gegen Regelungen der Richtlinien-Verordnung geltend gemacht worden sei. Die im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof belangte Behörde stellte - gestützt auf § 106 StPO - ihre Unzuständigkeit fest und leitete die Beschwerden gemäß § 6 Abs 1 AVG an die Staatsanwaltschaft Linz weiter. Der Verwaltungsgerichtshof hob im ersten Rechtsgang den feststellenden Teil der angeführten Entscheidung des UVS auf; dieser wies die Beschwerden im zweiten Rechtsgang zur Gänze - dh. auch hinsichtlich der behaupteten Verletzungen der Richtlinien-Verordnung - mangels funktioneller Zuständigkeit gemäß Art 129a Abs 1 Z 2 B-VG iVm § 67a Abs 1 Z 2 AVG und §§106, 107 StPO zurück; das Vorbringen der Beschwerdeführer, dass die gegen sie anhängig gewesenen Strafverfahren zwischenzeitig (nach Einlangen der [Maßnahmen]Beschwerden bei der Staatsanwaltschaft) eingestellt worden seien, ändere nach Ansicht des UVS OÖ nichts an ihrer Unzuständigkeit.

Das Landesgericht Linz habe die Eingaben nach den Ausführungen des Verwaltungsgerichtshofes als Einsprüche gemäß § 106 Abs 1 Z 2 StPO gewertet und abgewiesen; den dagegen erhobenen Beschwerden sei vom Oberlandesgericht Linz (vor Erlassung des beim Verwaltungsgerichtshof bekämpften Bescheides) der Erfolg versagt worden; zum "übrigen Beschwerdevorbringen" habe das Gericht ausgeführt, dass ihm hinsichtlich der behaupteten Verletzungen der Bestimmungen nach § 81 Abs 2 SPG bzw. nach § 35 VStG und der Richtlinien-Verordnung keine Entscheidungsbefugnis zukomme, weil insoweit gemäß § 88 SPG der UVS zuständig sei.

1.3. Ebenfalls mit Beschluss vom , Z A2010/0001-1 (2009/17/0282, früher 2009/09/0074) begehrte der Verwaltungsgerichtshof aus Anlass einer bei ihm anhängigen Beschwerde gegen einen Bescheid des UVS OÖ im zu G22/10 protokollierten Antrag gemäß Art 140 Abs 1 B-VG, § 107 Abs 1 ersten Satz StPO, BGBl. 631/1975 idF BGBl. I 19/2004, in eventu § 107 Abs 1 ersten und zweiten Satz StPO, in eventu in § 106 Abs 1 StPO im Eingang die Worte "oder Kriminalpolizei" und § 107 Abs 1 ersten Satz StPO, in eventu in § 106 Abs 1 StPO im Eingang die Worte "oder Kriminalpolizei" und § 107 Abs 1 ersten und zweiten Satz StPO, als verfassungswidrig aufzuheben.

Dieser Antrag bezieht sich auf eine beim Verwaltungsgerichtshof anhängige Beschwerde gegen eine (als Bescheid beurteilte) Erledigung des UVS OÖ über eine Maßnahmenbeschwerde; der Beschwerdeführer im Anlassverfahren sei in Linz durch Exekutivbeamte "aus eigenem" wegen Verdachts der Begehung einer gerichtlich strafbaren Handlung (Vergehen des Widerstandes gegen die Staatsgewalt nach § 269 StGB) festgenommen und mehrere Stunden angehalten worden. Der UVS OÖ habe unter Berufung auf § 106 Abs 1 StPO seine Unzuständigkeit zur Behandlung der Maßnahmenbeschwerde festgestellt und diese gemäß § 6 Abs 1 AVG der Staatsanwaltschaft Linz zugeleitet.

Das strafrechtliche Ermittlungsverfahren gegen den Beschwerdeführer sei von der Staatsanwaltschaft gemäß § 190 Z 2 StPO eingestellt worden; für den Beschwerdeführer sei der Festnahmegrund nicht klar gewesen bzw. habe sich dieser allenfalls auch auf § 81 Abs 2 SPG und § 35 VStG gestützt.

Das Landesgericht Linz habe die ihr von der Staatsanwaltschaft übermittelte (Maßnahmen)Beschwerde als Einspruch iSd § 106 Abs 1 StPO gewertet und diesen gemäß § 107 Abs 1 StPO als unzulässig zurückgewiesen.

1.4. Schließlich brachte der Unabhängige

Verwaltungssenat Salzburg (UVS Salzburg) im Verfahren G106/10 aus Anlass einer bei ihm zur Z UVS 6/10273/15-2010 anhängigen Maßnahmenbeschwerde gemäß Art 140 Abs 1 B-VG den Antrag ein, der Verfassungsgerichtshof möge die Wortfolge "oder Kriminalpolizei" im ersten Halbsatz des § 106 Abs 1 StPO, BGBl. 631/1975 idF BGBl. I 19/2004, sowie (wegen untrennbaren Zusammenhanges) die beiden ersten Sätze des § 107 Abs 1 StPO, in eventu (nur) die zuerst genannte Wendung in § 106 Abs 1 StPO, als verfassungswidrig aufheben.

Der Beschwerdeführer im Anlassverfahren wendet sich gegen die "eigenmächtige" Festnahme und Anhaltung durch Organe der Bundespolizeidirektion Salzburg wegen des Verdachts der Begehung einer gerichtlich strafbaren Handlung (Vergehen des versuchten Widerstandes gegen die Staatsgewalt nach § 269 StGB), allenfalls auch wegen sicherheitspolizeilicher Gefahrenabwehr.

Nach Einlangen der Maßnahmenbeschwerde habe die Staatsanwaltschaft gegen den Beschwerdeführer wegen des angeführten Tatbestandes Strafantrag erhoben, das Landesgericht Salzburg sei in der Folge mit Freispruch vorgegangen.

2. Zu den Prozessvoraussetzungen:

2.1. Im Verfahren zu G259/09 führt der antragstellende UVS Wien zur Frage der Präjudizialität aus:

"Der Verfassungsgerichtshof hat aus dem Wortlaut des ... Art 129a Abs 1 Z 2 B-VG geschlossen, dass es dem Gesetzgeber offen stehe, ein eigenes, nicht von den UVS durchzuführendes Administrativ(!)verfahren zu schaffen und die betreffenden Verwaltungsakte damit der Zuständigkeit der UVS zu entziehen (VfSlg 16.815/2003). Demgemäß war der jedenfalls überwiegende Teil der Lehre der Meinung, die Schaffung eines (zwar nicht administrativen, sondern) gerichtlichen Einspruchsverfahrens für kriminalpolizeiliche und staatsanwaltliche Akte würde die diesbezügliche Zuständigkeit der unabhängigen Verwaltungssenate auch ohne entsprechende Verfassungsbestimmung verdrängen; auf Grundlage dieses Verständnisses wurde letztlich durch das Strafprozessreformgesetz ein solches Einspruchsrecht mit eingeführt.

Geht man von diesem ... Verständnis aus, dann verdrängt § 106

Abs1 Z 2 StPO die Zuständigkeit der unabhängigen Verwaltungssenate,

über Beschwerden gegen kriminalpolizeiliche Maßnahmen iSd Art 129a

Abs1 Z 2 B-VG ... zu erkennen. § 106 Abs 1 Z 2 StPO ... ist daher

präjudiziell.

Präjudiziell ist außerdem die Bestimmung des § 107 Abs 1 StPO, insofern diese die Einspruchsmöglichkeit mit der 'Beendigung des Ermittlungsverfahrens' begrenzt. Danach müsste somit die Zuständigkeit der unabhängigen Verwaltungssenate wieder aufleben,

jedenfalls wenn ... die Zulässigkeit eines Einspruchs vor Ablauf der

sechswöchigen Beschwerdefrist nach § 67c Abs 1 AVG geendet hat."

2.2. In den zu G19/10 bis G21/10 protokollierten Anträgen bringt der Verwaltungsgerichtshof zur Frage der Präjudizialität vor, dass er bei Beurteilung der Rechtmäßigkeit der jeweils bei ihm angefochtenen Bescheide die Reichweite des § 106 Abs 1 StPO, soweit er sich auf Akte der Kriminalpolizei ohne Auftrag der Staatsanwaltschaft bezieht, und seine Bedeutung für die Zulässigkeit einer Maßnahmen- oder Richtlinienbeschwerde vor dem UVS zu prüfen habe. Da die eigenmächtigen Handlungen der Kriminalpolizei im Dienste der Strafjustiz erfolgt seien, und sich die Rechtsfolge, dass derartige Handlungen grundsätzlich von § 106 Abs 1 StPO erfasst werden, aus der Wendung "oder Kriminalpolizei" im Einleitungssatz ergebe, sei diese Wortfolge anzuwenden; den Bedenken wäre durch deren Aufhebung ausreichend entsprochen.

2.3. Im zu G22/10 protokollierten Antrag führt der Verwaltungsgerichtshof aus, dass er im Anlassfall primär den ersten Satz des § 107 Abs 1 StPO anzuwenden habe, weshalb sich der Hauptantrag darauf beziehe. Mit dem ersten Eventualantrag werde zudem der zweite Satz des § 107 Abs 1 StPO unter der Prämisse mit angefochten, dass dieser vom ersten Satz nicht trennbar sei. Der zweite Eventualantrag geht davon aus, dass die §§106 und 107 StPO eine Gesamtregelung darstellen, auf Grund derer die Frage, wie weit eine Maßnahmenbeschwerde im Fall autonomen Einschreitens von Verwaltungsorganen im Dienste der Strafjustiz ausgeschlossen ist, zu beantworten sei. Präjudiziell seien die Bestimmungen aber nur insoweit, "als sie das Verhalten der Kriminalpolizei betreffen, welches nicht der Staatsanwaltschaft zuzurechnen" sei. Den Bedenken könne durch Aufhebung der Wortfolge "oder Kriminalpolizei" im Eingangssatz des § 106 Abs 1 StPO Rechnung getragen werden. Mit Eliminierung der (gesamten) Z 2 würde ein überschießendes Ergebnis erzielt, weil "die Z 2 dann auch für den Fall des Einschreitens der Staatsanwaltschaft aus dem Rechtsbestand entfernt" würde. Bei Beurteilung der Frage, ob die belangte Behörde zu Recht ihre Zuständigkeit zur Behandlung der Maßnahmenbeschwerde abgelehnt hat, sei auch zu prüfen, ob § 106 Abs 1 StPO die Zuständigkeit des UVS zur Entscheidung über eine Maßnahmenbeschwerde gegen Akte der Kriminalpolizei, gegen die Einspruch bei Gericht erhoben werden könne, ausschließt. Wörtlich heißt es:

"[D]ie Beantwortung der Frage, ob nach Ablauf der in § 107 Abs 1 erster Satz StPO genannten Frist, eine Maßnahmenbeschwerde zulässig wäre, [erfordert] eine den systematischen Zusammenhang beachtende Prüfung der Reichweite der Anordnung des § 106 Abs 1 StPO

... . Aus dem bloßen Umstand, dass eine Frist, innerhalb derer ein

bestimmtes Rechtsmittel einzubringen ist, verstrichen ist, folgt noch nicht, dass nach Verstreichen der Frist ein anderes Rechtsmittel (das nach der Sach- und Rechtslage im Beschwerdefall schon auf Grund Art 129a Abs 1 Z 2 B-VG, aber auch nach § 67a Abs 1 Z 2 AVG zustünde, wenn nicht eine die zuletzt genannten Regelungen verdrängende Vorschrift wie § 106 Abs 1 StPO vorhanden wäre) - gleichsam 'sukzessive' - erhoben werden könnte (...). Ob den §§106 und 107 StPO die Bedeutung zukommt, die Erhebung einer Maßnahmenbeschwerde nach Art 129a Abs 1 Z 2 B-VG und § 67a Abs 1 Z 2 AVG jedenfalls auszuschließen, oder aber nur bis zum Ablauf der in § 107 Abs 1 erster Satz StPO genannten Frist, ist erst im Auslegungsweg zu ermitteln.

Daraus folgt jedoch, dass selbst dann, wenn ... der

angefochtene Bescheid auch im Lichte des § 107 Abs 1 StPO zu prüfen ist, auch § 106 Abs 1 StPO präjudiziell ist."

2.4. Im zu G106/10 protokollierten Antrag führt der UVS Salzburg zur Frage der Präjudizialität aus, dass die Schaffung des Rechtsbehelfes des Einspruchs in § 106 StPO unter der Prämisse, dass im Sinne der Judikatur des Verfassungsgerichtshofes (VfSlg. 16.815/2003) nicht nur im Administrativverfahren, sondern auch im gerichtlichen Verfahren eine Einschränkung der Entscheidungsbefugnis des UVS durch einfaches Gesetz normiert werden könne, im Anlassverfahren zur Unzuständigkeit des UVS führe, weshalb § 106 StPO präjudiziell sei. § 107 Abs 1 StPO sei insoweit präjudiziell, als die Zuständigkeit des UVS nach Beendigung des Ermittlungsverfahrens wieder entstehen könne, sofern nicht von einem völligen Ausschluss der Möglichkeit eines Rechtsbehelfs ausgegangen werde.

3. Zum Vorbringen in der Sache:

3.1. Der UVS Wien bringt im Verfahren zu G259/09 (überwiegend mit der Frage des Anfechtungsumfanges verknüpft) vor, dass die Überprüfung sog. doppelfunktionaler Amtshandlungen der Kriminalpolizei entgegen der Intention des Gesetzgebers zu einer Doppelgleisigkeit des Rechtszuges - einerseits durch den unabhängigen Verwaltungssenat, andererseits durch das Gericht - führe. Die "durch das StrafprozessreformG geschaffene Kompetenzrechtslage" führe zu einer unklaren Festlegung der Behördenzuständigkeit und verstoße daher gegen Art 83 Abs 2 B-VG.

Im (vorliegenden) Fall der Einstellung des Ermittlungsverfahrens (gegen den wahren Tatverdächtigen) durch die Staatsanwaltschaft müsse - zumal die sechswöchige Beschwerdefrist des § 67c Abs 1 AVG noch nicht verstrichen war - "das durch den Einspruch verdrängte Beschwerderecht nach Art 129a Abs 1 Z 2 B-VG wieder aufgelebt" und der UVS Wien "nachträglich zuständig geworden sein". Ein solcher Zuständigkeitsübergang "vom gerichtlichen Einspruchs- zum administrativen Beschwerdeverfahren" scheine "per se" mit Art 94 B-VG nicht vereinbar.

Weiters meint der UVS Wien (Hervorhebungen im Original):

"... [B]is zum waren die Staatsanwälte nach ...

unbestrittener Meinung zwar Organe der Strafrechtspflege (insoweit sie durch Anträge, insb. auch durch Anklagen das Gericht zu Entscheidungen veranlassen, was ihre Hauptaufgabe darstellt); die wenigen normativen Akte mit Außenwirkung, die ihnen die bis dahin geltende StPO ermöglichte, trafen sie jedoch kraft ihrer Eingliederung in eine Hierarchie samt Weisungsbindung als Verwaltungsbehörden (vgl VfSlg 10.559/1985, 11.113/1986 und 12.800/1991). Seit diesem Zeitpunkt bezeichnet sie die Bundesverfassung als 'Organe der Gerichtsbarkeit', obwohl ihnen bzw ihren Entscheidungen nach wie vor sämtliche allgemein anerkannten Merkmale der Richterlichkeit und somit der Zugehörigkeit zur Justiz fehlen. ...

Aus diesem Grund wird in erster Linie die Aufhebung der gesamten Ziffer 2 des § 106 Abs 1 StPO beantragt.

Sollte der Verfassungsgerichtshof jedoch zu der Auffassung gelangen, dass die Anordnung von Zwangsmaßnahmen durch Staatsanwälte seit als quasi untersuchungsrichterlicher Akt der Justiz zuzurechnen sei, und die Bedenken - jedenfalls soweit sie Art 94 B-VG betreffen - diesbezüglich unbegründet sind, so beantragt der Unabhängige Verwaltungssenat Wien in eventu die Aufhebung lediglich der Wortfolgen 'oder Kriminalpolizei' und 'oder durchgeführt'. Im Zusammenhang wird darauf hingewiesen, dass es sich im Anlassfall um eine von der Kriminalpolizei aus eigener Macht getroffene Maßnahme handelt. Diese ist somit zweifellos einer Verwaltungsbehörde zuzuordnen. Das aus Art 94 B-VG abzuleitende grundsätzliche Verbot einer Überprüfung von Verwaltungsakten durch die Justiz mag zwar im Hinblick auf die Staatsanwaltschaft, welche als Strafverfolgungsbehörde immer schon mit dem Gericht zusammenwirken musste, durchbrochen sein; für die Kriminalpolizei gilt dies jedoch keineswegs.

Wie Ennöckl (JBl. 2008, 409 ff.) zutreffend festhält, kann aus Art 90 Abs 2 B-VG daher für die Durchbrechung des Trennungsgrundsatzes in Bezug auf sicherheitsbehördliches Handeln, welches mangels entsprechender Anordnung nicht der Staatsanwaltschaft zuzurechnen ist, nichts gewonnen werden: weder ist ein Zusammenwirken von Gericht und Kriminalpolizei ein Erfordernis des Anklageverfahrens, noch finden sich für eine Überprüfung sicherheitsbehördlicher Akte durch die gerichtlichen Instanzen im österreichischen Strafprozessrecht historische Ansätze. ...

Sollten die verfassungsrechtlichen Bedenken des Unabhängigen Verwaltungssenats Wien sich hinsichtlich staatsanwaltlicher Anordnungen nicht als stichhaltig erweisen, so wäre die Verfassungswidrigkeit somit lediglich den beiden zitierten Wortfolgen zuzuordnen, deren Aufhebung in eventu beantragt wird.

... Falls hingegen der gesamte § 106 Abs 1 StPO der

verfassungsgerichtlichen Prüfung standhalten sollte, verbliebe immer noch die Tatsache, dass § 107 Abs 1 erster Satz StPO die Zulässigkeit des Einspruchs mit dem Ende des Ermittlungsverfahrens begrenzt, welches erstens für andere Personen als den Beschuldigten nur schwer eruierbar ist, und zweitens im Wesentlichen vom Staatsanwalt (der überdies im Verfahren nach den §§106 ff. Parteistellung genießt!) bestimmt wird. Dieser hat es über die Dauer des Ermittlungsverfahrens in der Hand, die Einspruchsfrist so kurz zu halten, dass ein

Einspruch ... nicht mehr zulässig ist.

...

Als weiterer Eventualantrag wird daher begehrt, den ersten Satz des § 107 Abs 1 StPO aufzuheben, falls nicht schon die Z 2 des, oder die obzitierten Wortfolgen in § 106 Abs 1 StPO als verfassungswidrig erkannt werden sollten."

3.2. Der Verwaltungsgerichtshof bringt im zu G22/10 protokollierten Antrag (dessen Inhalt mit Blick auf den im Vergleich zu den übrigen Anträgen des Verwaltungsgerichtshofes umfänglichsten Anfechtungsgegenstand vorangestellt wiedergegeben wird) unter Hinweis auf die Rechtslage vor Inkrafttreten des Strafprozessreformgesetzes, BGBl. I 19/2004, in der Sache gegen die Wendung "oder Kriminalpolizei" im ersten Satz des § 106 Abs 1 StPO im Hinblick auf das Legalitätsprinzips nach Art 18 Abs 1 iVm Art 83 Abs 2 B-VG und den Trennungsgrundsatz nach Art 94 B-VG vor:

"4.1. ...

Seit Inkrafttreten des Strafprozessreformgesetzes ... besteht für die von einer Maßnahme des Gerichts, der Staatsanwaltschaft oder der Kriminalpolizei Betroffenen gemäß § 106 Abs 1 StPO die Möglichkeit der Erhebung eines Einspruchs, den der Staatsanwalt zu prüfen hat (...) oder aber (...) das Gericht zu entscheiden hat.

4.2. Nach überwiegender Auffassung ist damit die Zuständigkeit der unabhängigen Verwaltungssenate dergestalt eingeschränkt worden, dass nunmehr gegen Akte der Staatsanwaltschaft oder der Kriminalpolizei auf der Grundlage der Strafprozessordnung der Einspruch gemäß § 106 StPO an das Gericht und nicht mehr die Maßnahmenbeschwerde an den unabhängigen Verwaltungssenat erhoben

werden kann (... vgl. z.B. Ennöckl, Der Rechtsschutz gegen

sicherheitsbehördliche Maßnahmen nach Inkrafttreten des Strafprozessreformgesetzes, JBl. 2008, 409, hier: 414, der insofern auf die Materialien [EB RV 25 BlgNR, 22. GP, 143; ...] verweist;

...).

4.3.1. Im Hinblick auf die Subsidiarität des Rechtsbehelfs nach Art 129a Abs 1 Z 2 B-VG ergeben sich jedoch schwierige Auslegungsfragen betreffend die Reichweite der Ausschlusswirkung des § 106 Abs 1 StPO.

Insbesondere stellt sich die Frage, ob gegen ein und dieselbe Handlung der Kriminalpolizei gegebenenfalls parallel sowohl der Einspruch nach § 106 Abs 1 StPO als auch nach Art 129a Abs 1 Z 2 B-VG Maßnahmenbeschwerde an den UVS erhoben werden könnte (etwa im Hinblick auf eine unterschiedliche Rechtsverletzungsbehauptung bzw. im Zusammenhang mit einer 'Doppelfunktionalität' der bekämpften

Maßnahme). Darüber hinaus ist aber auch zu klären, ob ... eine

sukzessiv eintretende Kompetenz des unabhängigen Verwaltungssenates gegeben sein könnte, wenn die Erhebung eines Einspruches gemäß § 107 Abs 1 erster Satz StPO nicht mehr zulässig ist oder nach § 107 Abs 1 zweiter Satz ein erhobener Einspruch als gegenstandslos anzusehen ist.

...

4.4.1. Unter Einbeziehung der Ausführungen in den Materialien (EB RV 25 BlgNR, 22. GP, 91 ff), lässt sich zur Auslegung des § 106 StPO zunächst festhalten, dass der Gesetzgeber den Einspruch gegen alle Akte der Ermittlungsbehörden, also auch der Kriminalpolizei, durch die sich der Betroffene in seinen subjektiven Rechten verletzt erachtet, eröffnen wollte. ...

...

4.4.4. ...

Der Gesetzgeber hat auch ausdrücklich festgehalten, dass mit der Neuregelung der Rechtszug an den unabhängigen Verwaltungssenat gegen die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt durch Exekutivorgane (...) bei Gefahr im Verzug ausgeschlossen werden sollte (a.a.O., 92; aus dem allgemeinen Zusammenhang und der Bezugnahme auf ein einheitliches Rechtsschutzinstrumentarium 'innerhalb der StPO' ergibt sich, dass es nur um Maßnahmen im Dienste der Strafjustiz geht; soweit etwa eine Festnahme auch auf das VStG gestützt wurde oder hätte werden können, wäre aber zu klären, ob und unter welchen konkreten Voraussetzungen der Gesetzgeber mit dem Hinweis auf die Doppelfunktionalität von Maßnahmen eine Kumulation der Rechtsmittel vorsehen wollte).

4.5. Es ist daher als Zwischenergebnis festzuhalten, dass nunmehr auch jene Akte der Polizeibehörden und der Sicherheitsorgane im Dienste der Strafjustiz, die ohne gerichtlichen Auftrag und ohne Auftrag der Staatsanwaltschaft (die nunmehr gemäß Art 90a B-VG der

Staatsgewalt Gerichtsbarkeit zuzuzählen ist) ergehen, ... mit

Einspruch nach § 106 StPO bekämpft werden können. Daneben besteht aber in bestimmten Fällen auch eine parallele Zuständigkeit der unabhängigen Verwaltungssenate und gibt es schließlich Fälle, in denen keine Zuständigkeit nach § 106 StPO gegeben ist (weil die Handlung sich nicht auf die StPO stützt), aber die Maßnahmenbeschwerde an den unabhängigen Verwaltungssenat möglich ist.

...

4.6. ...

Dass auch auf dem Boden dieser Annahme die Kompetenzabgrenzung jedoch problematisch sein kann, zeigt der Hinweis von Ennöckl, a.a.O., 419, dass sich die Anforderungen der Richtlinien-Verordnung nach dem SPG und jene nach der StPO überschnitten. Insofern bestehen Bedenken an der hinreichenden Klarheit der Kompetenzabgrenzung.

...

4.14. Schließlich bestehen gegen § 106 Abs 1 StPO auch Bedenken im Lichte des Art 94 B-VG (vgl. Ennöckl, a.a.O., 420f). Geht man von der bisherigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes aus, der zu Folge ein Handeln eines Verwaltungsorgans ohne gerichtlichen Auftrag, selbst wenn dieses Handeln im Dienste der Strafjustiz erfolgte, der Verwaltung zuzurechnen ist, bestünden Bedenken gegen die Bestimmung. Sie entspräche nur dann Art 94 B-VG, wenn man annehmen wollte, dass durch die Einfügung des Art 90a B-VG insofern eine Änderung eingetreten sei, als auch ein Handeln von Verwaltungsorganen im Dienste der Strafjustiz ohne Auftrag der Staatsanwaltschaft wegen seines intentional auf Strafverfolgung gerichteten Charakters nicht mehr der Verwaltung, sondern der Gerichtsbarkeit zuzurechnen sei. Dafür scheinen aber entsprechende Anhaltspunkte sowohl im Wortlaut des Art 90a B-VG als auch in den Materialien zu dieser Novelle zu fehlen (vgl. den Ausschussbericht zur B-VG-Novelle BGBl. I Nr. 2/2008, 370 BlgNR 23. GP, 4, wo lediglich paraphrasierend festgehalten wird, dass die Staatsanwälte im Hinblick auf ihre 'steigende Bedeutung als Organe der Gerichtsbarkeit' in der 'Bundesverfassung ausdrücklich erwähnt werden', ohne dass die mit dieser 'Erwähnung' beabsichtigten bzw. verbundenen Konsequenzen erörtert werden)."

3.3. Das Vorbringen des Verwaltungsgerichtshofes in den zu G19/10 bis G21/10 protokollierten Anträgen gegen die Wendung "oder Kriminalpolizei" im ersten Satz des § 106 Abs 1 StPO gleicht in der Sache im Hinblick auf das Legalitätsprinzips nach Art 18 Abs 1 iVm Art 83 Abs 2 B-VG und den Trennungsgrundsatz nach Art 94 B-VG jenem (eben wiedergegebenen) im Verfahren zu G22/10. Ferner werden in den Verfahren G19/10 und G20/10 aus der Sicht des Legalitätsprinzips Abgrenzungsprobleme im Verhältnis zur Zuständigkeit der Datenschutzkommission nach § 31 DSG geltend gemacht.

3.4. Im Verfahren G106/10 bringt der antragstellende UVS Salzburg in der Sache ebenfalls Bedenken gegen die Klarheit der Zuständigkeitsfestlegung gemäß Art 83 Abs 2 B-VG vor. Die Entscheidungskompetenz des UVS bzw. des Gerichts hänge vor allem davon ab, in welchem Stadium sich das Ermittlungsverfahren befinde und auf welche Weise dieses zum Abschluss gelange. Im Kern gleichen die Bedenken gegen die bekämpften Teile der Vorschriften der §§106 und 107 StPO im Hinblick auf das Legalitätsprinzip jenen des zu G22/10 protokollierten Antrags des Verwaltungsgerichtshofes.

4. Die Bundesregierung erstattete in Bezug auf die Anträge G19/10 bis G21/10 eine gemeinsame Äußerung, zu den übrigen Anträgen jeweils gesonderte Äußerungen (im Verfahren G106/10 verwies die Bundesregierung ausdrücklich auf ihre Äußerung zu G22/10) und begehrt in allen Fällen primär die Zurückweisung der Anträge als unzulässig; in eventu wird beantragt, die angefochtenen Bestimmungen nicht als verfassungswidrig aufzuheben; im Fall der Aufhebung beantragt die Bundesregierung für das Außerkrafttreten die Festsetzung einer Frist von achtzehn Monaten.

Im Wesentlichen tritt die Bundesregierung den antragstellenden UVS sowie dem Verwaltungsgerichtshof mit folgenden Argumenten entgegen:

4.1. Zu den Prozessvoraussetzungen:

4.1.1. Im Verfahren zu G259/09 (Antrag des UVS Wien):

"Nach Auffassung der Bundesregierung ist das Verständnis des UVS Wien, dass § 106 Abs 1 Z 2 StPO die Zuständigkeit der unabhängigen Verwaltungssenate nach Art 129a Abs 1 Z 2 B-VG einschränke und somit bei der Beurteilung seiner Zuständigkeit im Anlassfall anzuwenden sei, verfehlt. Vielmehr wird Art 129a B-VG von § 106 StPO überhaupt nicht berührt: Art 129a Abs 1 Z 2 B-VG regelt die Zuständigkeit zur Entscheidung über Beschwerden gegen Akte unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt; § 106 StPO hingegen regelt die Zuständigkeit zur Entscheidung über Beschwerden gegen Maßnahmen der Staatsanwaltschaft (und der unter ihrer Leitung tätigen Kriminalpolizei ...), also von Organen der Gerichtsbarkeit (vgl. Art 90a B-VG). Eine Einschränkung der Zuständigkeit der UVS durch die einfachgesetzliche Bestimmung des § 106 StPO stieße im Übrigen auf verfassungsrechtliche Bedenken: Die vom antragstellenden UVS in diesem Zusammenhang zitierte Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes betrifft die Beschränkung der Zuständigkeit der UVS zur Entscheidung über Akte unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt durch die Vorschaltung eines Administrativverfahrens, wie es im Einleitungssatz des § 129a Abs 1 B VG ausdrücklich erwähnt wird ('nach Erschöpfung des administrativen Instanzenzuges'); in derartigen Fällen wird über die Zulässigkeit eines Akts unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt mit Bescheid abgesprochen, gegen den letztlich wiederum Beschwerde an den Verfassungs- oder Verwaltungsgerichtshof bzw. (nach Maßgabe des Art 129 Abs 1 Z 3 B-VG) gegen den UVS zulässig ist. Für die Zulässigkeit eines das Verfahren vor den UVS ersetzenden oder diesem vorgeschalteten justiziellen Verfahrens bietet Art 129a B-VG hingegen keinen Anhaltspunkt.

... Mit der Einführung des gerichtlichen

Einspruchsverfahrens hat sich an der abstrakten Zuständigkeit der UVS nach Art 129a Abs 1 Z 2 B-VG nichts geändert. Schon bisher stellte eine Maßnahme nur dann einen vor den UVS bekämpfbaren Akt unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt dar, wenn er von einem Verwaltungsorgan im Rahmen der Hoheitsverwaltung gesetzt worden ist. Maßnahmen, die einer anderen Staatsfunktion oder einer nicht staatlichen Tätigkeit zuzuordnen sind, stellten und stellen keine Akte unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt dar.

Im Ergebnis ist es daher nach Auffassung der Bundesregierung offenkundig unrichtig (denkunmöglich), dass die angefochtene generelle Norm des § 106 Abs 1 Z 2 StPO (und daran anknüpfend des § 107 Abs 1 erster Satz StPO) die Zuständigkeit der UVS begrenzt und somit eine Voraussetzung der Entscheidung des antragstellenden UVS Wien im Anlassfall bildet. ...

... Außerdem ist nach Auffassung der Bundesregierung der

Anfechtungsumfang unrichtig abgegrenzt."

Hierzu wird unter Bezugnahme auf Erkenntnisse des Verfassungsgerichtshofes (VfSlg. 13.739/1994, 13.964/1994) vorgebracht, dass im Hauptantrag auch die Aufhebung des Wortes "oder" am Ende der Z 1 beantragt hätte werden müssen sowie im zweiten Eventualantrag in § 107 Abs 1 StPO ebenso dessen zweiter Satz, um nicht einen unverständlichen Torso entstehen zu lassen.

4.1.2. Im Verfahren zu G22/10 (Antrag des Verwaltungsgerichtshofes) argumentiert die Bundesregierung zur Frage der Präjudizialität wie im Verfahren G259/09. Darüber hinaus bringt sie vor (Hervorhebungen im Original):

"... Für die Zulässigkeit eines das Verfahren vor den UVS

ersetzenden oder diesem vorgeschalteten gerichtlichen Verfahrens bietet Art 129a B-VG hingegen keinen Anhaltspunkt; nur für den Anwendungsbereich des Art 6 des Bundesverfassungsgesetzes über den Schutz der persönlichen Freiheit wird vertreten, dass die Maßnahmenbeschwerde auch gegenüber gerichtlichen Kontrollverfahren subsidiär ist (vgl. Kopetzki, Unterbringungsrecht I [1995], 223 f)."

Zum Anfechtungsumfang meint die Bundesregierung zu G22/10, der Hauptantrag und der zweite Eventualantrag würden sich als zu eng erweisen, da mit der Aufhebung nur des ersten Satzes des § 107 Abs 1 StPO dessen zweiter Satz "zum unverständlichen Torso" werde.

4.1.3. Im Verfahren G19/10 (Antrag des Verwaltungsgerichtshofes) führt die Bundesregierung überdies zur Präjudizialität des § 106 Abs 1 StPO iZm der Kompetenzabgrenzung zwischen Gericht und Datenschutzkommission Näheres aus, worauf - mit Blick auf das Ergebnis - nicht weiter eingegangen werden muss.

4.2. Die Einwände der Bundesregierung gegen die von den antragstellenden UVS und vom Verwaltungsgerichtshof jeweils in der Sache vorgetragenen Bedenken sind in den wesentlichen Punkten vergleichbar.

4.2.1. Im Hinblick auf die Bedenken des Verwaltungsgerichtshofes betreffend Art 94 B-VG und Art 18 iVm Art 83 Abs 2 B-VG führt die Bundesregierung (am weit reichendsten zu G22/10, im Folgenden wiedergegeben) nach teilweiser Wiedergabe der Gesetzesmaterialien insbesondere aus (Hervorhebungen im Original):

"[D]as Handeln der Kriminalpolizei im strafprozessualen

Ermittlungsverfahren [kann] ... insgesamt der Gerichtsbarkeit

zugerechnet werden. Nach der wohl hM sind ohne Anordnung der Staatsanwaltschaft gesetzte Akte der Kriminalpolizei zwar als Verwaltungshandeln zu qualifizieren (vgl. zB - mwN - Burgstaller in: Korinek/Holoubek, Bundesverfassungsrecht, Rz 18 zu Art 90a B-VG, ...); dem steht aber entgegen, dass - auch wenn nicht in jedem Fall ausdrückliche Anordnungen ergehen - das gesamte Ermittlungsverfahren unter der Leitung der Staatsanwaltschaft steht. Dies ergibt sich insbesondere aus § 101 Abs 1 StPO ('Die Staatsanwaltschaft leitet das Ermittlungsverfahren und entscheidet über dessen Fortgang und Beendigung. Gegen ihren erklärten Willen darf ein Ermittlungsverfahren weder eingeleitet noch fortgesetzt werden.'; s. zur Leitungsbefugnis der Staatsanwaltschaft auch Pilnacek/Pleischl, Vorverfahren, Rz 395, 411), wobei das Ermittlungsverfahren schon mit der ersten gegen eine bekannte oder unbekannte Person gerichteten Handlung zur Aufklärung des Verdachts einer Straftat beginnt (§1 Abs 2 StPO). Im gesamten Ermittlungsverfahren gibt es keine Handlung, die ausschließlich der Kriminalpolizei vorbehalten ist: Die Staatsanwaltschaft hat das Ermittlungsverfahren zwar nach Möglichkeit im Einvernehmen mit der Kriminalpolizei zu führen, kann ein solches aber nicht erzielt werden, unterliegt die Kriminalpolizei generell - also nicht nur bei bestimmten Maßnahmen wie etwa Sicherstellungen (§110 Abs 2 StPO) - den Anordnungen der Staatsanwaltschaft; umgekehrt kann die Kriminalpolizei stets eine Anordnung oder Genehmigung der Staatsanwaltschaft verlangen, wenn eine solche zweckmäßig erscheint (§100 Abs 2 Z 2 StPO).

... Die jeweils von der Anwendung von Zwang betroffene

Person hat überdies ein Recht zu erfahren, welchen Anlass und welchen Zweck das gegen sie erfolgte Einschreiten hat (§§6 Abs 2, 93 Abs 5, 121 Abs 1, 122 Abs 3, 171 Abs 3 StPO bzw. § 30 SPG iVm §§7 und 10 RLV). Der jeweils Betroffene hat daher einen gesetzlich gewährleisteten Anspruch auf Information und Rechtsbelehrung (siehe insbesondere § 171 Abs 3 StPO), weshalb es ihm auch erkennbar gemacht werden muss, auf Grund welcher Bestimmungen das Einschreiten erfolgte und welche Rechte er im Verfahren hat. Die zeitliche Beschränkung des Rechts, Einspruch zu erheben, mit der Beendigung des Ermittlungsverfahrens

... schaden insoweit nicht, als § 107 Abs 1 StPO bloß klarstellt, dass

Einsprüche wegen der Verweigerung von Verfahrensrechten nicht mehr zu behandeln sind, wenn bereits das Hauptverfahren eröffnet wurde, in dem der Betroffene ohnehin seine Rechte neuerlich geltend machen kann. Einsprüche gegen die Anwendung unmittelbaren Zwangs sollen zur Vermeidung einer Vorbefasstheit und damit Befangenheit des Gerichts des Hauptverfahrens noch von dem Gericht entschieden werden, das im Ermittlungsverfahren zuständig wäre (siehe dazu Bericht des Justizausschusses, AB 406 BlgNR 22. GP, S. 16).

1.3. Abgrenzung der Zuständigkeit von UVS und Gerichten:

...

Wie bereits ausgeführt, sollte nach den Erläuterungen zur Regierungsvorlage (RV 25 BlgNR 22. GP, S. 5 f) und nach dem Bericht des Justizausschusses (AB 406 BlgNR 22. GP, S. 6) der Verfassungsgesetzgeber allenfalls eine verfassungsrechtliche Verankerung des gerichtlichen Rechtsschutzes gegenüber der Kriminalpolizei im Dienst der Strafjustiz vorsehen. Eine solche erfolgte in dieser Form jedoch letztlich nicht, die Kognitionsbefugnis des UVS nach Art 129a Abs 1 Z 2 B-VG blieb unverändert bestehen. Mit der B-VG-Novelle BGBl. I Nr. 2/2008 wurde allerdings - mit Wirkung vom - Art 90a B-VG neu eingeführt, wonach Staatsanwälte Organe der Gerichtsbarkeit sind.

Vor diesem Hintergrund ... erscheint die

verfassungsrechtliche Zulässigkeit des gerichtlichen Einspruchsverfahrens nach § 106 StPO nicht mehr zweifelhaft."

Ferner führt die Bundesregierung gegen die Behauptung der Unklarheit der Regelung für Rechtsunterworfene insbesondere die in der StPO geregelten Verständigungs- und Belehrungspflichten ins Treffen.

5. Über Einladung des Verfassungsgerichtshofes gab der UVS OÖ eine Äußerung zu den zu G19/10 bis G22/10 protokollierten Anträgen ab; im Verfahren zu G106/10 äußerte sich die mitbeteiligte Partei. Der UVS Wien hat von der ihm gebotenen Äußerungsmöglichkeit keinen Gebrauch gemacht.

III. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - in sinngemäßer Anwendung der §§187 und 404 ZPO iVm § 35 VfGG zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung verbundenen - Anträge erwogen:

A. Zu den Anträgen in Bezug auf § 106 Abs 1 StPO:

1. Zur Zulässigkeit:

1.1. In Gesetzesprüfungsverfahren, die durch Antrag eines dazu ermächtigten Gerichtes eingeleitet werden, ist der Verfassungsgerichtshof nicht berechtigt, durch seine Präjudizialitätsentscheidung das antragstellende Gericht an eine bestimmte Rechtsauslegung zu binden, weil er damit indirekt der Entscheidung dieses Gerichtes in der Hauptsache vorgreifen würde. Gemäß der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes darf daher ein solcher Antrag im Sinne des Art 140 B-VG nur dann wegen mangelnder Präjudizialität zurückgewiesen werden, wenn es offenkundig unrichtig (denkunmöglich) ist, dass die - angefochtene - generelle Norm eine Voraussetzung der Entscheidung des antragstellenden Gerichtes im Anlassfall bildet (vgl. etwa VfSlg. 10.640/1985, 12.189/1989, 15.237/1998, 16.245/2001 und 16.927/2003).

1.2. Der Verfassungsgerichtshof hat darüber hinaus in ständiger Judikatur ausgesprochen, dass der Umfang der zu prüfenden und allenfalls aufzuhebenden Bestimmungen derart abzugrenzen ist, dass einerseits nicht mehr aus dem Rechtsbestand ausgeschieden wird, als Voraussetzung für den Anlassfall ist, dass aber andererseits der verbleibende Teil keine Veränderung seiner Bedeutung erfährt; da beide Ziele gleichzeitig niemals vollständig erreicht werden können, ist in jedem Einzelfall abzuwägen, ob und inwieweit diesem oder jenem Ziel der Vorrang vor dem anderen gebührt (VfSlg. 7376/1974, 9374/1982, 11.506/1987, 15.599/1999, 16.195/2001).

Die Grenzen einer (möglichen) Aufhebung müssen auch in einem auf Antrag eingeleiteten Verfahren so gezogen werden, dass einerseits der verbleibende Gesetzesteil nicht einen völlig veränderten Inhalt bekommt und dass andererseits die mit der aufzuhebenden Gesetzesstelle in untrennbarem Zusammenhang stehenden Bestimmungen auch erfasst werden (VfSlg. 12.465/1990, 13.965/1994 mwN, 16.542/2002, 16.911/2003).

1.3. In allen hier maßgeblichen Fällen handelt es sich nach dem Antragsvorbringen um ohne Anordnung der Staatsanwaltschaft und/oder Bewilligung des Gerichts seitens der Kriminalpolizei (zumindest auch) im Dienste der Strafjustiz durchgeführte (Zwangs-)Maßnahmen.

1.3.1. Zu den Anträgen des UVS Wien (G259/09):

Dem Vorbringen des UVS Wien zufolge ist der Beschwerdeführer im Anlassverfahren von den einschreitenden Polizeibeamten "aus eigener Macht" (ohne staatsanwaltschaftliche Anordnung und/oder ohne richterliche Bewilligung) "auf Grundlage der Strafprozessordnung" festgenommen und durchsucht worden. Der UVS legt seinem Antrag somit eine durch die Kriminalpolizei von sich aus durchgeführte strafprozessuale Zwangsmaßnahme zugrunde.

1.3.2. Gemäß Art 129a Abs 1 Z 2 B-VG iVm § 67a Abs 1 Z 2 AVG erkennen die UVS nach Ausschöpfung des administrativen Instanzenzuges (sofern ein solcher in Betracht kommt) über Beschwerden von Personen, die auf Grund unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt in ihren Rechten verletzt zu sein behaupten.

Nach ständiger Rechtsprechung der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts stellt die Maßnahmenbeschwerde einen subsidiären Rechtsbehelf dar, der in Bezug auf Zwangsakte zum Tragen kommt, wenn es sich um solche handelt, die der Staatsfunktion Verwaltung zuzurechnen sind (zB VfSlg. 16.815/2003; ), hinsichtlich derer keine andere Rechtschutzmöglichkeit besteht (vgl. auch Köhler in: Korinek/Holoubek [Hrsg.], Österreichisches Bundesverfassungsrecht, 1999, Art 129a Rz 51).

1.3.3. Nun hat der Wortlaut der Bestimmung des Art 129a Abs 1 Z 2 B-VG (bzw. jener des § 67a AVG) zwar - insoweit iSd Äußerung der Bundesregierung - durch das Strafprozessreformgesetz keine Änderung erfahren; dennoch ist davon auszugehen, dass das mit dem Strafprozessreformgesetz eingeführte (einheitliche) Rechtsschutzsystem Auswirkungen auf die - subsidiäre - Zuständigkeit der Unabhängigen Verwaltungssenate im Fall der Vornahme amtswegiger polizeilicher Zwangsmaßnahmen im Dienste der Strafjustiz entfalten kann.

Der Auffassung des UVS Wien, dass er deshalb bei seiner Entscheidung über die Zulässigkeit der bei ihm anhängigen Maßnahmenbeschwerde die angefochtenen Teile des § 106 Abs 1 StPO und des § 107 Abs 1 erster Satz StPO heranzuziehen habe, kann aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht entgegengetreten werden; der von der Bundesregierung in ihrer Äußerung vertretenen Annahme zuwider ist die Anwendung der angefochtenen Bestimmungen daher jedenfalls denkmöglich.

1.3.4. Allerdings erweist sich der auf Aufhebung der gesamten Z 2 des § 106 Abs 1 StPO abzielende Hauptantrag mit Blick auf die (jeweils polizeiliche Maßnahmen ohne staatsanwaltschaftliche Anordnung oder gerichtliche Bewilligung betreffenden) Anlassfälle als zu weit gefasst: Die bekämpfte Vorschrift bezieht sich nämlich auch auf das (mit der Regelung des Einspruchs gegen autonome kriminalpolizeiliche Zwangsmaßnahmen nicht untrennbar zusammenhängende) Einspruchsrecht gegen die (hier nicht präjudizielle) Durchführung eigener Ermittlungsmaßnahmen der Staatsanwaltschaft (vgl. § 91 Abs 2 iVm § 103 Abs 2 StPO) sowie gegen die (ebenfalls nicht präjudizielle) Vornahme polizeilicher Maßnahmen auf Grund einer Anordnung der Staatsanwaltschaft. Im Fall der Aufhebung des § 106 Abs 1 Z 2 StPO würde daher mehr aus dem Rechtsbestand ausgeschieden als zur allfälligen Beseitigung der auf den gerichtlichen Rechtsschutz gegen autonome kriminalpolizeiliche Zwangsmaßnahmen bezogenen verfassungsrechtlichen Bedenken notwendig wäre.

Ebenso ist das erste Eventualbegehren überschießend, weil auch hier (neben der Wendung "oder Kriminalpolizei" im Einleitungssatz des § 106 Abs 1 StPO) die Aufhebung der Wortfolge "oder durchgeführt" in Z 2 leg.cit. begehrt wird. Allerdings macht eine zu weite Fassung des Antrags diesen (im Gegensatz zu einem zu eng gefassten) nicht unzulässig, sondern führt zu seiner teilweisen Zurückweisung (VfSlg. 16.636/2002).

1.3.5. Von den Anträgen des UVS Wien zu G259/09 ist daher nur der erste Eventualantrag, soweit er sich gegen die Wortfolge "oder Kriminalpolizei" im ersten Satz des § 106 Abs 1 StPO richtet, - da auch die übrigen Prozessvoraussetzungen vorliegen - zulässig; im Übrigen sind die Anträge als unzulässig zurückzuweisen.

1.4. Zu den Anträgen des Verwaltungsgerichtshofes (G19/10 bis G22/10):

1.4.1. Der Einschätzung des Verwaltungsgerichtshofes, dass er in allen vier Anlassverfahren den Einleitungssatz des § 106 Abs 1 StPO (jedenfalls soweit sich diese Vorschrift auf amtswegig vorgenommene Maßnahmen der Kriminalpolizei im Dienste der Strafrechtspflege bezieht) bei Entscheidung über die bei ihm anhängigen Beschwerden zur Lösung der Frage der Richtigkeit der (jeweils ausdrücklich auf diese strafprozessuale Bestimmung gestützten) Annahme der Unzuständigkeit der belangten Behörden zu beachten und somit zumindest denkmöglich anzuwenden habe, ist aus verfassungsrechtlicher Sicht ebenfalls nicht entgegenzutreten. Obschon die unmittelbare Anwendung der angefochtenen Vorschriften ausschließlich den (Straf-)Justizbehörden zukommt, sind diese Vorschriften mithin (anders als die Bundesregierung meint) in den jeweiligen Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof als präjudiziell anzusehen (vgl. zB VfSlg. 16.816/2003).

1.4.2. In Bezug auf die allein die Wendung "oder Kriminalpolizei" im ersten Satz des § 106 Abs 1 StPO betreffenden Anträge des Verwaltungsgerichtshofes zu G19/10 bis G21/10 sind auch im Übrigen keine Zweifel am Vorliegen der Prozessvoraussetzungen entstanden; die Anträge sind daher zulässig.

1.4.3. Der zu G22/10 protokollierte Antrag erweist sich in dem Umfang, als er sich (gleichfalls) gegen die Wortfolge "oder Kriminalpolizei" im ersten Satz des § 106 Abs 1 StPO richtet, im Lichte der obigen Ausführungen (Pkt. 1.3.4.) ebenfalls als zulässig, da vor dem Hintergrund des Anlassfalles und der vorgetragenen Bedenken die Anwendung dieser mit dem dritten Eventualantrag (neben § 107 Abs 1 StPO erster und zweiter Satz) angefochtenen Wendung (die mit den ersten beiden Sätzen des § 107 Abs 1 StPO in einem engen Sachzusammenhang steht) jedenfalls denkmöglich ist. Da keine Zweifel am Vorliegen der sonstigen Prozessvoraussetzungen entstanden sind, ist der dritte Eventualantrag zu G22/10 im aufgezeigten Umfang zulässig.

1.5. Zu den Anträgen des UVS Salzburg (G106/10):

Mit Blick auf das eben Gesagte (Pkt. 1.4.3.) erweist sich jedenfalls der auf die Wortfolge "oder Kriminalpolizei" im ersten Satz des § 106 Abs 1 StPO bezogene Eventualantrag - da keine Zweifel am Vorliegen der sonstigen Prozessvoraussetzungen bestehen - als zulässig.

2. In der Sache:

In einem auf Antrag eingeleiteten Verfahren hat sich der Verfassungsgerichtshof zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes gemäß Art 140 B-VG auf die Erörterung der aufgeworfenen Fragen zu beschränken (vgl. VfSlg. 12.691/1991, 13.471/1993, 14.895/1997, 16.824/2003). Er hat sohin ausschließlich zu beurteilen, ob die angefochtene Bestimmung aus den in der Begründung des Antrags dargelegten Erwägungen verfassungswidrig ist (VfSlg. 15.193/1998, 16.374/2001, 16.538/2002, 16.929/2003).

2.1. Im Ergebnis sind die vom UVS Wien und vom Verwaltungsgerichtshof (schon) mit Blick auf Art 94 B-VG vorgetragenen Bedenken begründet:

Der UVS Wien und der Verwaltungsgerichtshof wenden insbesondere ein, dass durch § 106 Abs 1 StPO in Bezug auf im jeweiligen Anlassfall relevante kriminalpolizeiliche Maßnahmen "aus eigener Macht" ein verfassungsrechtlich verpönter Rechtszug von einer Verwaltungsbehörde zum Gericht geschaffen worden sei.

2.2. Gemäß dem mit der Novelle BGBl. 685/1988 eingefügten Art 129a Abs 1 Z 2 B-VG erkennen die UVS in den Ländern über Beschwerden von Personen, die behaupten, durch Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt (ausgenommen Finanzstrafsachen des Bundes) in ihren Rechten verletzt zu sein. Die Zulässigkeit einer Maßnahmenbeschwerde setzt mithin ein Verwaltungshandeln sowie gegebenenfalls die Erschöpfung des administrativen Instanzenzuges voraus.

2.3. Gegen polizeiliche Maßnahmen im Rahmen des strafprozessualen Vorverfahrens war vor Inkrafttreten des Strafprozessreformgesetzes, BGBl. I 19/2004, mit kein einheitliches Rechtsmittel vorgesehen: Handlungen des Untersuchungsrichters (im Rahmen von Vorerhebungen bzw. der Voruntersuchung) waren gemäß § 113 StPO aF bei der Ratskammer bekämpfbar, "aus eigener Macht" gesetzte polizeiliche Akte im Dienste der Strafjustiz (auf Grund der Generalermächtigung des § 24 StPO aF) hingegen - ebenso wie (eindeutiges) Überschreiten eines gerichtlichen Befehls ("Exzess" vgl. zB VfSlg. 17.046/2003, 12.072/1989; ) - (seit der B-VG-Novelle 1988) beim UVS, und zwar, soweit Befehls- und/oder Zwangsgewalt ausgeübt wurde, gemäß Art 129a Abs 1 Z 2 B-VG iVm § 67a AVG, im Übrigen (seit Geltung des SPG 1991) gemäß § 88 Abs 2 SPG.

Auch schon vor Inkrafttreten der B-VG-Novelle 1988, BGBl. 685, (mit ) wurde nach der Judikatur des Verfassungsgerichtshofes im Ermittlungsstadium einer gerichtlichen Straftat danach unterschieden, ob einer von der Sicherheitsbehörde vorgenommenen (Zwangs-)Maßnahme eine richterliche Anordnung zugrunde lag oder nicht: Zwangsweises polizeiliches Handeln auf Grund (und in den Grenzen) eines richterlichen Befehls wurde funktionell der Gerichtsbarkeit zugerechnet, im Dienste der Strafjustiz ohne gerichtliche Anordnung vorgenommene Zwangsmaßnahmen (iSd §§24, 88 StPO aF) - ebenso wie eindeutiges Überschreiten einer gerichtlichen Ermächtigung - als faktische Amtshandlung gewertet und gemäß Art 144 Abs 1 zweiter Satz B-VG idF der Novelle BGBl. 302/1975 der Überprüfbarkeit durch den Verfassungsgerichtshof unterworfen (vgl. zB VfSlg. 10.975/1986 mwN, 8826/1980).

2.4. Vorrangiges Ziel des Strafprozessreformgesetzes - das eine gänzlich neue "Rollenverteilung" zwischen Staatsanwaltschaft, Kriminalpolizei und Gericht gebracht hat - ist die Schaffung eines einheitlichen, ausschließlich den Regeln der StPO unterworfenen justiziellen Ermittlungsverfahrens. Der Beginn des Strafverfahrens wurde gegenüber der früher geltenden Rechtslage insoweit vorverlegt, als bereits die erste iZm der Aufklärung des Verdachts einer Straftat stehende Ermittlung oder Maßnahme der Kriminalpolizei das strafrechtliche Ermittlungsverfahren in Gang setzt (§§1 Abs 2; 18, 91 StPO; RV 25 BlgNR 22. GP, 24 ff., 40 f.).

Die Regelung des § 106 Abs 1 StPO eröffnet somit in Bezug auf polizeiliches Handeln bei (behaupteter) Verletzung der Bestimmungen der StPO den Rechtszug an das Gericht; im Dienste der Strafjustiz (also zur Aufklärung des Verdachts einer Straftat) durchgeführte Akte der Kriminalpolizei sind demnach von Anfang an - ab der ersten Ermittlung gegen eine bekannte oder unbekannte Person bzw. mit der Ausübung von Zwang gegen eine verdächtige Person bei Gefahr im Verzug mithin auch schon vor einer allfälligen Anordnung der Staatsanwaltschaft bzw. Bewilligung des Gerichts - nach § 106 Abs 1 StPO im Wege der Staatsanwaltschaft (vor dem Hintergrund ihrer potentiellen Leitungsbefugnis - § 101 StPO) mittels Einspruchs gerichtlich überprüfbar.

2.5. Es ist daher zu prüfen, ob das in § 106 Abs 1 StPO geregelte generelle Einspruchsrecht an das Gericht - soweit es ohne gerichtlichen oder staatsanwaltschaftliche Auftrag durchgeführte kriminalpolizeiliche Zwangsmaßnahmen erfasst - gegen Art 94 B-VG verstößt.

Wie der Verfassungsgerichtshof in ständiger Judikatur ausgesprochen hat (zB VfSlg. 2778/1954, 2902/1955, 3236/1957, 3424/1958, 4455/1963, 5630/1967, 6537/1971, 7273/1974, 7882/1976, 9590/1982, 10.300/1984, 10.452/1985, 11.259/1987, 16.772/2002, 17.083/2003 [S 1134 f.]), ergibt sich aus dem in Art 94 B-VG verankerten Prinzip der Trennung der Justiz von der Verwaltung die Verpflichtung des Gesetzgebers, eine Angelegenheit - zur Gänze - zur Vollziehung entweder den Gerichten oder den Verwaltungsbehörden zuzuweisen. Daraus folgt, dass über ein und dieselbe Frage nicht sowohl Gerichte als auch Verwaltungsbehörden, sei es im gemeinsamen Zusammenwirken, sei es im instanzenmäßig gegliederten Nacheinander, entscheiden dürfen; jede verfahrensrechtliche Verflechtung von Gerichten und Verwaltungsbehörden zu einer organisatorischen Einheit ist als unzulässig anzusehen.

2.5.1. Der Verfassungsgerichtshof teilt zunächst die Auffassung des UVS Wien und des Verwaltungsgerichtshofes, dass Handlungen der Kriminalpolizei im Dienste der Strafrechtspflege ohne staatsanwaltschaftlichen Auftrag oder ohne gerichtliche Ermächtigung (das sind auch solche kriminalpolizeilichen Handlungen, die durch eine staatsanwaltschaftliche Anordnung oder eine gerichtliche Ermächtigung nicht gedeckt sind) - weiterhin - als Verwaltungsakte iSd Art 20 Abs 1 B-VG anzusehen sind (vgl. mwN Burgstaller in: Korinek/Holoubek [Hrsg.], aaO, 2009, Art 90a Rz 18). Dafür, dass der Gesetzgeber mit Einführung des einheitlichen gerichtlichen Rechtsschutzsystems im Strafprozessreformgesetz kriminalpolizeiliche Akte, die ohne staatsanwaltschaftliche Anordnung und/oder gerichtliche Bewilligung für Zwecke der Strafverfolgung vorgenommen werden, funktionell der Gerichtsbarkeit zugerechnet wissen wollte (worauf die Bundesregierung in ihrer Äußerung abzielt), ergibt sich auch aus den Materialien kein Anhaltspunkt.

Mit dem im Strafprozessreformgesetz eingeführten Einspruchsrecht wird daher in Hinblick auf hier (allein) maßgebliche - ohne staatsanwaltschaftliche Anordnung oder gerichtliche Bewilligung vorgenommene - polizeiliche (Zwangs-)Maßnahmen einfachgesetzlich die Überprüfung verwaltungsbehördlicher Akte durch die ordentlichen Gerichte angeordnet. Ein solcher Rechtszug verletzt aber nach der dargestellten Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (vgl. zB VfSlg. 10.452/1985 - gerichtliche Überprüfung verwaltungsbehördlich festgesetzter Entschädigungen nach dem Ktn. Naturschutzgesetz) das in Art 94 B-VG angelegte Verbot der Behandlung einer identen Sache durch Vollziehungsorgane verschiedenen Typs. Wie die Materialien zeigen, hat der Gesetzgeber die diesbezügliche Problematik auch erkannt und eine - letztlich jedoch nicht zustande gekommene - verfassungsgesetzliche Absicherung angestrebt (s. RV 25 BlgNR 22. GP, 17, 22).

2.5.2. Ausnahmen vom Grundsatz der Trennung der Justiz von der Verwaltung nach Art 94 B-VG bedürfen einer expliziten verfassungsrechtlichen Regelung. Eine solche liegt hinsichtlich jener Angelegenheiten vor, in denen die Überprüfung von Verwaltungshandeln durch ein Gericht im B-VG ausnahmsweise vorgesehen ist (zB Justizverwaltungsangelegenheiten - Art 87 Abs 2 B-VG; die Gerichtsbarkeit des öffentlichen Rechts - Art 131, 144 B-VG; die Kompetenz des Asylgerichtshofes - Art 129c B-VG;

Schadenersatzansprüche gegen Verwaltungshandeln nach dem Amtshaftungsgesetz - Art 23 iVm Art 82 ff. B-VG).

Der (einfachgesetzlichen) Vorschrift des gerichtlichen Einspruchrechts nach § 106 Abs 1 StPO fehlt jedoch eine derartige verfassungsrechtliche Grundlage. Diese wäre - wie der antragstellende UVS Wien zu Recht dartut - auch deshalb erforderlich, weil der unverändert gebliebene Art 129a Abs 1 Z 2 B-VG die Überprüfung verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsmaßnahmen jeder Art - ausgenommen solche "in Finanzstrafsachen des Bundes" - der Zuständigkeit der Unabhängigen Verwaltungssenate zuordnet.

Mit Blick darauf führt die Vorschrift des § 106 Abs 1 StPO über das gerichtliche Einspruchsrecht hinsichtlich kriminalpolizeilicher Zwangsakte, die zwar im Dienste der Strafjustiz, aber ohne gerichtliche bzw. staatsanwaltschaftliche Anordnung vorgenommen werden, zu einer Verletzung des bereits durch den Trennungsgrundsatz des Art 94 B-VG grundgelegten und in den Vorschriften des Siebenten Hauptstückes des Bundes-Verfassungsgesetzes ausgestalteten Rechtsschutzsystems der Bundesverfassung, wonach für Akte unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt der Verwaltung eine Zuständigkeit der Unabhängigen Verwaltungssenate und der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts besteht.

2.5.3. Die Verfassungskonformität der (zulässigerweise) angefochtenen Regelung kann - entgegen der auf Funk/Öhlinger (Verfassungsrechtliche Beurteilung des Entwurfes eines Strafprozessreformgesetzes [Neugestaltung des Vorverfahrens] - Rechtsgutachten, 2002, 37 f.) gestützten Auffassung der Bundesregierung in ihrer Äußerung - auch nicht aus dem Anklageprinzip (Art90 Abs 2 B-VG) iVm dem historischen Konzept der Strafprozessordnung abgeleitet werden:

Zwar war das Gericht schon in der Strafprozessordnung 1873 (Reichsgesetzblatt 119) gemäß § 211 Abs 1 zuständig, bei Einbringung des Rechtsbehelfs des Anklageeinspruchs die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft (vorläufig) zurückzuweisen, wenn dies zur Beseitigung eines Formgebrechens oder zur besseren Aufklärung des Sachverhaltes für notwendig erachtet wurde. Aus dieser bei In-Kraft-Treten des B-VG am vorgefundenen Regelung lässt sich jedoch das gerichtliche Einspruchsrecht gegen kriminalpolizeiliche Handlungen verfassungsrechtlich nicht legitimieren: Weder stellt das hier relevante Zusammenwirken von Gericht und Kriminalpolizei ein Erfordernis des Anklagegrundsatzes bzw. des (in Art 90 Abs 2 B-VG - als Durchbrechung von Art 94 B-VG - zugrunde gelegten) Anklagemonopols der Staatsanwaltschaft dar, noch ist der Rechtszug gegen die Ausübung von Zwang durch die Kriminalpolizei ohne gerichtlichen oder staatsanwaltschaftlichen Auftrag an das Gericht (ungeachtet des staatsanwaltschaftlichen "Vorprüfungsrechtes") mit dem Institut des Anklageeinspruchs vergleichbar.

Auch die in der StPO 1873 in Bezug auf das Vorverfahren angelegte Kooperation von Gericht, Staatsanwaltschaft und Kriminalpolizei in den §§24, 141, 177 StPO aF ist nicht geeignet, dem staatsfunktionsüberschreitenden Rechtsschutzsystem des § 106 Abs 1 StPO (jedenfalls in Bezug auf die gerichtliche Überprüfung "eigenmächtiger" kriminalpolizeilicher Akte) die erforderliche verfassungsrechtliche Absicherung zu geben.

2.5.4. Soweit der Verfassungsgerichtshof in seiner bisherigen Rechtsprechung bestimmte (einfachgesetzliche) Regelungen unter dem Aspekt des Art 94 B-VG für unbedenklich erachtet hat (zB VfSlg. 16.195/2001 zur Zuständigkeit des BMJ betreffend die Anerkennung ausländischer Scheidungsurteile; VfSlg. 4359/1963, 9737/1983, 10.452/1985 zur sukzessiven Zuständigkeit, wenn der Bescheid außer Kraft tritt und das Gericht die Sache neu entscheidet), lagen jeweils andere, mit den hier zu beurteilenden nicht vergleichbare Konstellationen zugrunde.

3. Die unter dem Aspekt des Grundsatzes der Trennung der Justiz von der Verwaltung vorgetragenen Bedenken des UVS Wien zu G259/09 und des Verwaltungsgerichtshofes zu G19/10 bis G22/10 haben sich mithin als zutreffend erwiesen. Die Worte "oder Kriminalpolizei" in § 106 Abs 1 erster Satz StPO waren daher schon wegen Verstoßes gegen Art 94 B-VG aufzuheben; eines Eingehens auf die darüber hinaus (vor allem mit Blick auf Art 18 Abs 1 iVm Art 83 Abs 2 B-VG) dargelegten Bedenken bedurfte es demgemäß nicht.

4. Angesichts der Aufhebung der angeführten Wortfolge in § 106 Abs 1 StPO erübrigt sich auch ein Eingehen auf die gegen diese Wendung (allein aus der Sicht des Legalitätsprinzips - Art 18 Abs 1 iVm Art 83 Abs 2 B-VG) erhobenen Bedenken des UVS Salzburg im zu G106/10 protokollierten Antrag.

B. Zum Antrag des Verwaltungsgerichtshofes zu G22/10 betreffend § 107 Abs 1 StPO:

Im Hinblick auf das oben unter Pkt. A. dargestellte Verfahrensergebnis erweist sich der zu G22/10 protokollierte dritte Eventualantrag in dem Umfang, als er sich auf die Aufhebung des ersten und zweiten Satzes des § 107 Abs 1 StPO bezieht, als nunmehr unzulässig und ist daher insoweit mangels Präjudizialität zurückzuweisen.

IV. 1. Der Ausspruch, dass frühere gesetzliche Bestimmungen nicht wieder in Kraft treten, beruht auf Art 140 Abs 6 erster Satz B-VG.

2. In Anbetracht der Art der festgestellten Verfassungswidrigkeit (nämlich wegen Verstoßes gegen Art 94 B-VG) und des Erfordernisses der Rechtssicherheit sieht sich der Verfassungsgerichtshof veranlasst, gemäß Art 140 Abs 7 zweiter Satz B-VG auszusprechen, dass die aufgehobene Wortfolge nicht mehr anzuwenden ist.

3. Die Verpflichtung des Bundeskanzlers zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung und der damit in Zusammenhang stehenden sonstigen Aussprüche erfließt aus Art 140 Abs 5 erster Satz B-VG und § 64 Abs 2 VfGG.

V. Diese Entscheidungen konnten gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VfGG

ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.