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VfGH vom 22.06.2006, g147/05

VfGH vom 22.06.2006, g147/05

Sammlungsnummer

17886

Leitsatz

Gleichheitswidrigkeit einer Bestimmung des Einkommensteuergesetzes betreffend Ausweitung des Dienstreisebegriffes durch lohngestaltende Vorschriften und damit einer weitergehenden Möglichkeit der Auszahlung von steuerfreien Reisekostenersätzen des Arbeitgebers wegen unsachlicher Differenzierung zwischen verschiedenen Gruppen von Arbeitnehmern; in der Folge Aufhebung der Reisekostenverordnung des Bundesministers für Finanzen mangels gesetzlicher Grundlage; Fristsetzung

Spruch

I. In § 26 Z 4 EStG 1988, BGBl. Nr. 400 idF BGBl. Nr. 818/1993, wird der vierte Satz als verfassungswidrig aufgehoben.

Die Aufhebung tritt mit Ablauf des in Kraft.

Frühere gesetzliche Bestimmungen treten nicht wieder in Kraft.

Der Bundeskanzler ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche im Bundesgesetzblatt I verpflichtet.

II. Die Verordnung des Bundesministers für Finanzen betreffend Reisekostenvergütungen gemäß § 26 Z 4 EStG 1988 auf Grund einer lohngestaltenden Vorschrift im Sinne des § 68 Abs 5 Z 1 bis 6 EStG 1988, BGBl. II Nr. 306/1997, wird als gesetzwidrig aufgehoben.

Die Aufhebung tritt mit Ablauf des in Kraft.

Der Bundesminister für Finanzen ist verpflichtet, diesen Ausspruch unverzüglich im Bundesgesetzblatt II kundzumachen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Beim Verfassungsgerichtshof ist zu Zl. B1153/04 ein Verfahren anhängig, dem folgender Sachverhalt zugrunde liegt:

Die beschwerdeführende Gesellschaft ist ein Mietwagenunternehmen, das für seine im Raum Wien tätigen Chauffeure "Taggelder" auf Grund von mit jedem einzelnen Arbeitnehmer geschlossenen Vereinbarungen bezahlt und diese als Vergütungen iSd § 26 Z 4 EStG 1988 behandelt hat. Im Zuge einer Lohnsteuerprüfung wurde festgestellt, dass - mangels Vorliegens einer Dienstreise - diese Vergütungen zu Unrecht nach § 26 Z 4 leg.cit. begünstigt worden seien. Die beschwerdeführende Gesellschaft wurde zur Haftung für Lohnsteuer herangezogen sowie der Dienstgeberbeitrag zum Ausgleichsfonds für Familienbeihilfe und der Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag in bestimmter Höhe festgesetzt. Mit dem angefochtenen Bescheid des Unabhängigen Finanzsenates, Außenstelle Wien (in der Folge: UFS), wurde die Berufung dagegen als unbegründet abgewiesen.

Die belangte Behörde verneinte - mit Verweisen auf die einschlägige Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes - sowohl das Vorliegen einer lohngestaltenden Vorschrift iSd § 68 Abs 5 Z 1 bis 6 EStG 1988 (keine "Betriebsvereinbarung") als auch das Vorliegen einer "Dienstreise" bzw. einer "beruflich veranlassten Reise", weil sich die Dienstnehmer der beschwerdeführenden Gesellschaft ganzjährig (nur) an einem Ort, nämlich in Wien, aufhielten.

2. Gegen diesen Bescheid richtete die beschwerdeführende Gesellschaft eine auf Art 144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz sowie in Rechten wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes behauptet wird. Die Gleichheitswidrigkeit des § 26 Z 4 EStG 1988 erblickt die beschwerdeführende Gesellschaft insbesondere darin, dass diese Norm nur auf die Ziffern 1 bis 6 des § 68 Abs 5 leg.cit. und nicht auch auf die Ziffer 7 verweise.

3. Die belangte Behörde hat in diesem Verfahren eine Gegenschrift erstattet, in der sie den Beschwerdebehauptungen entgegentritt und die Verfassungswidrigkeit des § 26 Z 4 EStG 1988 bestreitet.

4. Bei Behandlung der Beschwerde sind beim Verfassungsgerichtshof Bedenken einerseits ob der Verfassungsmäßigkeit des 4. Satzes des § 26 Z 4 EStG 1988, andererseits ob der Gesetzmäßigkeit der hiezu ergangenen Reisekostenverordnung des Bundesministers für Finanzen, BGBl. II 306/1997, entstanden. Er hat daher am die Einleitung eines Verfahrens zur Prüfung der Verfassungs- bzw. Gesetzmäßigkeit der genannten Bestimmungen beschlossen. Die Bedenken hat der Gerichtshof in diesem Beschluss wie folgt dargelegt:

"2.3. Nach dem 4. Satz des § 26 Z 4 EStG 1988 ist dann, wenn eine lohngestaltende Vorschrift iSd § 68 Abs 5 Z 1 bis 6 EStG 1988 eine besondere Regelung des Begriffes Dienstreise enthält, diese besondere Regelung (offenbar an Stelle des gesetzlichen Begriffes) anzuwenden. Gegen diese Vorschrift sind im Schrifttum verfassungsrechtliche Bedenken aus der Sicht des Gleichheitssatzes geäußert worden, weil diese Norm den Umfang der Steuerbefreiung an die Kollektivvertragspartner delegiere, ohne dass sich damit eine unterschiedliche Besteuerung rechtfertigen lasse (Doralt, Tagesgelder: Höhe und Anknüpfung an Kollektivverträge verfassungswidrig?, RdW 1989, 171; vgl. auch derselbe, Kommentar zum EStG4, § 26 Rz 59). Der Verwaltungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis vom , Zl. 96/15/0097, dazu folgende Auffassung vertreten: 'Die von der Beschwerdeführerin vorgetragenen Bedenken betreffend den Verstoß gegen den Gleichheitssatz durch die Regelung der Übernahme lohngestaltender Vorschriften in § 26 Z 4 EStG 1988 müßten in der Tat als begründet angesehen werden, wenn diese Vorschrift dahingehend zu verstehen wäre, daß lohngestaltende Vorschriften uneingeschränkt Fiktionen aufstellen könnten.' Der Verwaltungsgerichtshof vermeidet die sich daraus ergebende Konsequenz, indem er der Vorschrift 'in verfassungskonformer Auslegung' die Bedeutung beimisst, 'daß lohngestaltende Vorschriften - für steuerliche Zwecke - eine Dienstreise nicht anders festlegen können als durch das Abstellen auf das Verlassen des tatsächlichen Dienstortes, daß sie aber einzelne Merkmale des in § 26 Z 4 EStG 1988 festgelegten Dienstreisebegriffes, so etwa das Erfordernis des Arbeitgeberauftrages, modifizieren können'. Im Erkenntnis vom , Zl. 95/13/0167, bekräftigt der Verwaltungsgerichtshof diese Position und vertritt konkret die Auffassung, § 26 Z 4 leg.cit. sei nicht so zu verstehen, dass lohngestaltende Vorschriften etwa Tätigkeiten am Dienstort als Dienstreise qualifizieren könnten. Auch hier wird die Meinung vertreten, dass der Begriff Dienstort einer Vereinbarung im Rahmen einer lohngestaltenden Vorschrift nicht zugänglich sei. Als Dienstort ist dabei nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes der regelmäßige Mittelpunkt des tatsächlichen dienstlichen Tätigwerdens des Arbeitnehmers anzusehen (z.B. Zl. 88/13/0005).

2.4. Der Verfassungsgerichtshof geht vorläufig davon aus, dass der Wortlaut der in Rede stehenden Bestimmung, da sie anscheinend ohne Einschränkung jede (in lohngestaltenden Vorschriften nach § 68 Abs 5 Z 1 bis 6 EStG 1988 enthaltene) besondere Regelung des Begriffes der Dienstreise an die Stelle des Dienstreisebegriffes des § 26 Z 4 leg.cit. treten lässt, einer solchen verfassungskonformen Deutung entgegensteht.

2.5. Auch die Finanzverwaltung dürfte von einer Deutung des Gesetzesinhaltes ausgehen, die nicht mit der vom Verwaltungsgerichtshof vertretenen Interpretation übereinstimmt:

So wird in § 1 der ebenfalls in Prüfung zu ziehenden Reisekostenverordnung, BGBl. II 306/1997, ausdrücklich angeordnet, dass als Dienstort der sich aus dem Kollektivvertrag ergebende Dienstort maßgebend sei.

Die Lohnsteuerrichtlinien 2002 des Bundesministers für Finanzen, AÖF 255/2001, die nach ihren einleitenden Worten einen Auslegungsbehelf zum Einkommensteuergesetz darstellen, der im Interesse einer einheitlichen Vorgangsweise mitgeteilt wird, vertreten in diesem Zusammenhang (u.a.) folgende Rechtsmeinungen:


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Auf Grund des Verweises in § 26 Z 4 EStG 1988 werden lohngestaltende Vorschriften im Sinne des § 68 Abs 5 Z 1 bis 6 leg.cit. zum unmittelbaren Gesetzesinhalt, sofern sie hinsichtlich des Dienstreisebegriffes günstiger sind als das EStG 1988. 'Gegenüber dem Begriff der Dienstreise nach der Legaldefinition des § 26 Z 4 EStG 1988 hat demnach ein günstigerer Dienstreisebegriff im Sinne einer lohngestaltenden Vorschrift Vorrang.' (Rz 735).


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Einen für steuerliche Zwecke anzuerkennenden Dienstreisebegriff können nur die im Arbeitsverfassungsgesetz gesetzlich geregelten Betriebsvereinbarungen enthalten, nicht aber sog. 'freie Betriebsvereinbarungen' oder einzelne Dienstverträge (Rz 735 am Ende).


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Für Dienstreisen nach lohngestaltenden Vorschriften sind die für den Dienstreisebegriff nach der Legaldefinition geltenden zeitlichen Beschränkungen nicht anzuwenden (Rz 737).


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Auch für die Zumutbarkeit der täglichen Rückkehr zum Wohnort sind die jeweiligen arbeitsrechtlichen Bestimmungen maßgebend (Rz 737).


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3. Der Verfassungsgerichtshof hegt gegen den 4. Satz des § 26 Z 4 EStG 1988 vorläufig folgende Bedenken:

3.1. § 26 Z 4 EStG 1988 ermöglicht es dem Arbeitgeber, dem Arbeitnehmer bei Dienstreisen den Reisekostenaufwand in bestimmter, gesetzlich vorgesehener (pauschalierter) Höhe ohne Einbehaltung von Lohnsteuer zu ersetzen, da diese Leistungen insoweit nicht als Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit angesehen werden. Dem Arbeitnehmer ist der Abzug von Werbungskosten insoweit nicht möglich. Werden Reisekosten nicht oder nur teilweise ersetzt, sondern (zur Gänze oder teilweise) vom Arbeitnehmer getragen, so sind sie - bei ausschließlich beruflich veranlassten Reisen - ohne Nachweis ihrer Höhe als Werbungskosten anzuerkennen, soweit sie die sich aus § 26 Z 4 EStG 1988 ergebenden Beträge nicht übersteigen; höhere Aufwendungen für Verpflegung sind nicht zu berücksichtigen (§16 Abs 1 Z 9 EStG 1988). Maßgebend für den Werbungskostenabzug ist in diesem Fall anscheinend der in der zitierten Vorschrift verwendete Begriff der 'Reise' und nicht der in § 26 Z 4 leg.cit. verwendete (weitere) Begriff der 'Dienstreise'.

Fehlen lohngestaltende Vorschriften und werden die Reisekosten vom Arbeitgeber ersetzt, so dürfte der Arbeitgeber also lediglich die Möglichkeit haben, Reisekostenersätze im Rahmen des § 26 Z 4 EStG 1988, das heißt unter Bindung an den dort verwendeten Begriff der Dienstreise und dessen Auslegung durch die Judikatur, steuerfrei auszubezahlen. Liegt hingegen eine lohngestaltende Vorschrift vor, die eine günstigere Definition des Begriffes Dienstreise enthält, kann die Möglichkeit der Ausbezahlung steuerfreier Reisekostenersätze anscheinend im dadurch eröffneten - weiteren - Ausmaß genutzt werden.

Nun ist dem Gerichtshof wenigstens vorderhand nicht einsichtig, dass solche lohngestaltenden Vorschriften generell geeignet sein könnten, die Höhe der an sich steuerlich als Werbungskosten in Betracht kommenden Reisekosten genauer zu bestimmen als die gesetzliche Vorschrift. Der Verweis auf die lohngestaltenden Vorschriften dürfte (so nimmt der Gerichtshof vorläufig an) auch nicht bloß bezwecken, die gesetzliche Pauschalierung im Hinblick auf die Verhältnisse bei den jeweiligen Berufsgruppen zu 'verfeinern' (wobei die Ausklammerung der individuellen Vereinbarungen dann möglicherweise damit gerechtfertigt werden könnte, dass missbräuchliche Veränderungen des Dienstreisebegriffes durch Einzelvertrag verhindert werden sollen). Die Regelung dürfte es vielmehr (auch) ermöglichen, durch lohngestaltende Vorschriften den Dienstreisebegriff auszuweiten und auf diese Weise Bezugsteile, die an sich steuerpflichtig wären (weil sie nach allgemeinen abgabenrechtlichen Grundsätzen nicht als steuerfreie Reisekostenersätze anzuerkennen wären bzw. ihnen keine Werbungskosten entsprechen), steuerfrei zu belassen. Eine solche Differenzierung zwischen verschiedenen Gruppen von Arbeitnehmern (die wegen ihrer Auswirkung auf die Lohnkosten auch die Wettbewerbssituation der Arbeitgeber beeinflussen dürfte) kann aber anscheinend nicht auf Umstände im Tatsächlichen zurückgeführt werden; sie dürfte ausschließlich von dem (nicht frei gestaltbaren) Umstand abhängen, ob für eine bestimmte Gruppe von Arbeitnehmern eine lohngestaltende Vorschrift vorliegt und welche inhaltlichen Aussagen in ihr getroffen wurden. Für eine derartige Regelung scheint aber eine sachliche Rechtfertigung zu fehlen, so dass sie dem aus dem Gleichheitssatz abzuleitenden Sachlichkeitsgebot zuwiderlaufen dürfte.

3.2. Der Verfassungsgerichtshof hegt ferner das Bedenken, dass die hier gewählte Rechtstechnik, nämlich den Inhalt lohngestaltender Vorschriften - zu denen auch Betriebsvereinbarungen und bestimmte Arbeitsordnungen gehören - zum unmittelbaren Gesetzesinhalt zu machen, dem rechtsstaatlichen Prinzip zuwiderläuft. Diese Technik dürfte nämlich zur Folge haben, dass der Umfang der Steuerschuld, anders als es Art 18 B-VG und § 5 F-VG 1948 fordern, sich nicht auf Grund des Gesetzes ergibt, sondern zur Disposition von Kollektivvertragspartnern, von juristischen Personen des öffentlichen Rechts oder gar von Vereinen steht, der Gesetzesinhalt somit letztlich von den Normadressaten bestimmt werden kann.

4. Erwiesen sich die gegen die in Prüfung gezogene Gesetzesvorschrift dargelegten verfassungsrechtlichen Bedenken als gerechtfertigt, so wäre die Verordnung des Bundesministers für Finanzen betreffend Reisekostenvergütungen gemäß § 26 Z 4 EStG 1988 auf Grund einer lohngestaltenden Vorschrift im Sinne des § 68 Abs 5 Z 1 bis 6 EStG 1988, BGBl. II 306/1997, da sie sich ausschließlich auf diese Vorschrift stützen dürfte, anscheinend mit dem Mangel einer ausreichenden gesetzlichen Grundlage behaftet. Sollte hingegen - entgegen den vorläufigen Annahmen des Gerichtshofes (s. oben) - eine verfassungskonforme Deutung des § 26 Z 4 EStG 1988 möglich sein, bestünde das Bedenken, dass die Verordnung sich nicht im Rahmen dieses verfassungskonformen Gesetzesinhaltes hält. Sie war daher gemäß Art 139 B-VG gleichfalls in Prüfung zu ziehen."

5.1. Beim Verwaltungsgerichtshof ist zu Zl. 2002/15/0096 eine Beschwerde anhängig, die die Inanspruchnahme der beschwerdeführenden Gesellschaft für die Einbehaltung und Abfuhr von Lohnsteuer betrifft. An mehrere Arbeitnehmer ausbezahlte Beträge seien von der beschwerdeführenden Gesellschaft nach § 26 Z 4 EStG 1988 behandelt worden, nach Auffassung der belangten Behörde jedoch mangels Aufzeichnungen der Besteuerung zu unterziehen.

Der Verwaltungsgerichtshof stellte aus Anlass dieses Verfahrens - unter Bezugnahme auf den Prüfungsbeschluss des Verfassungsgerichtshofes vom - gemäß Art 140 B-VG den Antrag, den vierten Satz des § 26 Z 4 EStG 1988, BGBl. 400 idF BGBl. 818/1993, als verfassungswidrig aufzuheben. Weiters stellte er den Antrag, die Reisekostenverordnung des Bundesministers für Finanzen, BGBl. II 306/1997, als gesetzwidrig aufzuheben. Diese Anträge sind beim Verfassungsgerichtshof zu den Zlen. G12/06, V7/06 anhängig.

5.2. Ein weiterer Antrag des Verwaltungsgerichtshofes (protokolliert zu G4/06) auf Aufhebung des vierten Satzes der Z 4 des § 26 EStG 1988 in der Stammfassung, BGBl. 400, erging aus Anlass eines Beschwerdeverfahrens betreffend die Sozialversicherungspflicht von Tagesgeldern im Sinne des § 49 Abs 3 Z 1 ASVG (welcher auf § 26 Z 4 EStG 1988 verweist). Dieser - in der Frage des Sitzes der behaupteten Verfassungswidrigkeit und im Hinblick auf die anzuwendende Fassung des EStG 1988 anders gelagerte - Antrag bleibt einer gesonderten Entscheidung vorbehalten.

6.1. Die Bundesregierung erstattete aufgrund ihres Beschlusses vom eine Äußerung, in der sie das Vorliegen der Prozessvoraussetzungen nicht in Frage stellt, jedoch den Bedenken des Gerichtshofes hinsichtlich des Gleichheitssatzes sowie im Hinblick auf das Rechtsstaatsprinzip folgendermaßen entgegentritt:

Die Bundesregierung weist zunächst darauf hin, dass der Gleichheitsgrundsatz es (auch) gebiete, wesentliche Unterschiede im Tatsächlichen zu berücksichtigen. Die Regelung des vierten Satzes des § 26 Z 4 EStG 1988 entspreche diesem Gebot, indem sie die unterschiedlichen Arbeitsbedingungen in den einzelnen Branchen (die Reisetätigkeiten in unterschiedlichem Ausmaß und unter unterschiedlichen Bedingungen erforderten) berücksichtige; der Gesetzgeber habe damit versucht, Unterschiede im Faktischen durch Anknüpfen an bestimmte lohngestaltende Vorschriften differenziert zu regeln. Soweit sich daraus eine Ungleichbehandlung zwischen verschiedenen Gruppen von Arbeitnehmern ergebe, könnten dafür als Rechtfertigung Verwaltungsvereinfachung und Rechtssicherheit ins Treffen geführt werden. Die in Prüfung gezogene Vorschrift ermögliche eine einfachere und weniger belastende Rechtsbefolgung durch den Arbeitgeber, weil damit ein Gleichklang zwischen arbeits- und steuerrechtlichen Aspekten erreicht werden könne. Es sei zur Vereinfachung der Verpflichtungen für den Arbeitgeber gerechtfertigt, denselben Dienstreisebegriff, der arbeitsrechtlich die Anspruchsvoraussetzungen regle, auch bei der steuerlichen Behandlung der Reisekostenersätze anzuwenden. Für die Finanzverwaltung bewirke die Anknüpfung an lohngestaltende Vorschriften eine deutliche Verwaltungsvereinfachung:

"Angesichts des Umstandes, dass insbesondere auf kollektivvertragliche Regelungen Bedacht zu nehmen ist, erfolgt die Berücksichtigung der steuerfreien Reisekostenersätze im Wesentlichen durch die Arbeitgeber. Die Prüfung erfolgt im Rahmen der Prüfung lohnabhängiger Abgaben durch Außenprüfer und gestaltet sich insoweit einfach und zielführend, als die Feststellung der richtigen Berechnung der Sozialversicherungsbeiträge ebenfalls auf Grund der maßgeblichen Ansprüche aus lohngestaltenden Vorschriften (insbesondere auf Grund von Kollektivverträgen) zu erfolgen hat.

Zwar besteht auch die Möglichkeit der Geltendmachung von 'Differenzwerbungskosten', also von höheren steuerfreien Reisekostenersätzen nach der allgemeinen Regelung des § 26 Z 4 EStG 1988 als jenen, die auf Grund von Kollektivverträgen vom Arbeitgeber zu zahlen sind. Sie führt aber derzeit für die Verwaltung nur zu einem geringen administrativen Aufwand, da auf Grund der existierenden kollektivvertraglichen Regelungen steuerfreie Reisekosten regelmäßig im vollen Umfang ausgeschöpft werden. Ein Abgehen von der Anknüpfung an arbeitsrechtliche Vorschriften hätte daher zur Folge, dass ein erheblicher administrativer Mehraufwand für die Finanzverwaltung entstünde, dem wohl wieder nur durch Pauschalierungen begegnet werden könnte."

Diese von lohngestaltenden Vorschriften losgelösten Pauschalierungen wären wesentlich ungenauer als das derzeitige System.

Die Bundesregierung führt im Übrigen ins Treffen, dass die Bezugnahme auf kollektivvertragliche Regelungen sich auch an anderen Stellen des EStG 1988 finde, und verweist auf die Behandlung von Zuschlägen und Zulagen nach § 68,§ 67 Abs 3 sowie auf § 3 Abs 1 Z 8 leg.cit. Der VfGH selbst habe in VfSlg. 13.785/1993 ausgesprochen, dass dem Gesetzgeber nicht entgegengetreten werden könne, wenn er für Jubiläumsgelder und Geburtstagsprämien eine Passivierung nur zulasse, wenn Kollektivverträge zur Zahlung zwängen.

Der vierte Satz des § 26 Z 4 EStG 1988 führe in Verbindung mit der Reisekostenverordnung des Bundesministers für Finanzen, BGBl. II 306/1997, "lediglich dazu, dass Reisekostenersätze über einen längeren Zeitraum steuerfrei belassen werden können. (...) Während hinsichtlich der Höhe der pauschalen Mehraufwendungen bei auswärtiger Tätigkeit (Tagesgelder) eine Differenzierung entfallen kann, ist eine derartige Durchschnittsbetrachtung hinsichtlich der Dauer der Gewährung steuerfreier Tagesgelder angesichts der angeführten unterschiedlichen Bedingungen in den verschiedenen Branchen nach Auffassung der Bundesregierung nicht zulässig. Würde die Aufgabe dieser Differenzierung vom Gesetzgeber bzw. den betroffenen Behörden wahrgenommen werden, würde dies zu einer überbordenden Kasuistik verbunden mit einem nicht zu rechtfertigenden Verwaltungsaufwand führen."

Die Anknüpfung an die in § 68 Abs 5 Z 1 bis 6 EStG 1988 genannten lohngestaltenden Vorschriften sei auch nicht unsachlich, da die Kollektivvertragspartner einen umfassenden Überblick und eine genaue Kenntnis der tatsächlichen Verhältnisse in ihrer Branche hätten. Die große Zahl der Kollektivverträge mit den differenzierten Regelungen auch im Hinblick auf Dienstreisen ließen es geboten erscheinen, diese bei der steuerrechtlichen Beurteilung zu berücksichtigen. Der vierte Satz des § 26 Z 4 EStG 1988 in Verbindung mit der Reisekostenverordnung gehe davon aus, dass die Festlegung des Zeitraumes, für den Ansprüche auf Reisekostenersätze entweder vom Gesetz- bzw. Verordnungsgeber oder von den Kollektivvertragspartnern eingeräumt würden, in einer Höhe erfolge, die den tatsächlichen Verhältnissen entspreche. Dadurch werde dem Umstand einer sachgerechten Differenzierung unterschiedlicher Reiseerfordernisse Rechnung getragen.

Die Bundesregierung verweist in der Folge auf die Bedeutung der Kollektivverträge, deren Publizität und die Kontrollmöglichkeiten sowie ihren (materiellen) Gesetzescharakter. Sie betont u.a., dass der Kollektivvertrag für die Einheitlichkeit der Arbeitsbedingungen sowie für eine Gleichbehandlung der Arbeitnehmer innerhalb einer Branche sorge und insoweit auch auf Arbeitgeberseite eine Wettbewerbsverzerrung verhindere.

Es bestehe kein Anlass zur Befürchtung, dass Kollektivverträge in unsachlicher Weise lohnsteuerfreie Ansprüche begründen würden oder könnten: "Die Lohnsteuer-Begünstigung ist nur gegeben, wenn zwingende arbeitsrechtliche Ansprüche durch kollektivvertragliche Regelungen über Reisekostenersätze geschaffen werden. Die Arbeitgebervertretung wird nicht leichtfertig, lediglich aus steuerrechtlichen Hintergedanken, einer 'großzügigen' Regelung zustimmen, weil sie in diesem Umfang die Mitgliedsbetriebe zu tatsächlichen Zahlungen verpflichtet".

Die Bestimmung des § 68 Abs 5 Z 7 EStG 1988 sei vom Gesetzgeber mit guten Gründen nicht im vierten Satz des § 26 Z 4 leg.cit. angeführt worden. Hier handle es sich nicht um Normen des kollektiven Arbeitsrechts, sondern um privatrechtliche Vereinbarungen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Die Präzisierung des Dienstreisebegriffes könne nicht einer rein zivilrechtlichen Vereinbarung überlassen werden, für die es keinerlei Publizitätsvorschriften und weitere Kontrolle gebe. Es erscheine daher sachlich geboten, derartige Vereinbarungen - anders als die Normen des kollektiven Arbeitsrechts, die auch für gleiche Wettbewerbsbedingungen innerhalb eines Wirtschaftszweiges sorgen sollen - steuerlich nicht anzuerkennen.

Die Bundesregierung sieht auch das Rechtsstaatsprinzip nicht als verletzt an. Der vierte Satz des § 26 Z 4 EStG 1988 mache - entgegen der Wortwahl der Lohnsteuer-Richtlinien - nicht den Inhalt lohngestaltender Vorschriften zum unmittelbaren Gesetzesinhalt, sondern knüpfe lediglich an die von einer anderen Autorität geschaffene Rechtslage an (VfSlg. 12.384/1990). Die lohngestaltenden Vorschriften seien lediglich im Sachverhaltsbereich zu berücksichtigen. "Nach Auffassung der Bundesregierung macht daher § 26 Z 4 EStG 1988 vorhandene lohngestaltende Vorschriften nur zu einem Tatbestandselement der Regelung (nämlich das Vorliegen einer Dienstreise), die Rechtsfolge der Steuerfreiheit der Reisekostenersätze ergibt sich weiterhin allein aus dem EStG 1988."

Das Anknüpfen des EStG an den Begriff der Dienstreise im Verständnis einer lohngestaltenden Vorschrift könne auch als Bezugnahme auf Tatsachen des Wirtschaftslebens iSv VfSlg. 11.281/1987 gesehen werden.

Die Steuerfreiheit der Reisekostenersätze ergebe sich dabei weiterhin aus dem Gesetz. Es könne nicht davon gesprochen werden, dass der Umfang der Steuerpflicht zur Disposition der Normunterworfenen stehe. Im Ergebnis könne nur jene Steuerfreistellung bewirkt werden, die in ihren Grundsätzen bereits in § 26 Z 4 EStG 1988 festgelegt worden sei.

6.2. Für den Fall der Aufhebung stellt die Bundesregierung den Antrag, für das Außer-Kraft-Treten eine Frist von mindestens einem Jahr zu bestimmen, weil die Aufhebung einen weit reichenden Einschnitt sowohl in die gegenwärtige Besteuerungspraxis als auch in das bestehende Entlohnungssystem bedeuten würde und neue und umfangreiche Regeln getroffen werden müssten. Eine Neuregelung sollte nicht unterjährig in Kraft treten.

7. Der Bundesminister für Finanzen erstattete am zu G147/05 und G12/06 ebenfalls eine Äußerung, in der er - inhaltlich gleich und weitgehend wörtlich identisch mit der Äußerung der Bundesregierung - die Verfassungskonformität des vierten Satzes des § 26 Z 4 EStG 1988 verteidigt. Für die ebenfalls in Prüfung gezogene bzw. angefochtene Reisekostenverordnung, BGBl. II 306/1997, hätten die zur Verfassungskonformität des § 26 Z 4 vierter Satz EStG 1988 getroffenen Aussagen entsprechend Gültigkeit.

In einer weiteren Äußerung vom zu den Verfahren V111/05, V7/06 schließt sich der Bundesminister für Finanzen vollinhaltlich der Äußerung der Bundesregierung in den Gesetzesprüfungsverfahren an. Ergänzend wird ausgeführt, dass bereits seit dem EStG 1953 Dienstreiseentschädigungen immer als Aufwandsentschädigungen gesehen worden seien, die - bei Vorliegen einer Dienstreise und Leistungsverpflichtung des Dienstgebers - nicht zu den Einkünften gehörten. Diese Auslegung habe dem Willen des Gesetzgebers entsprochen, was den - wenn auch jeweils geringfügig anderslautenden - gesetzlichen Regelungen seit dem EStG 1953, insb.

§26 Z 7 EStG 1972, eindeutig zu entnehmen sei. Der Verwaltungsgerichtshof habe festgestellt ( Zl. 94/15/0218), dass unabhängig von § 26 Z 4 EStG 1988 eine Dienstreise im Sinne dieser Bestimmung nur eine solche sein könne, die sich aus dem steuerlichen Dienstreisebegriff ableite. Der Dienstreisebegriff sei bis zu der in Prüfung befindlichen Verordnung vom Verwaltungsgerichtshof in zahlreichen Entscheidungen zunehmend restriktiver und enger ausgelegt worden. "Lohngestaltende Vorschriften sehen steuerfreie Dienstreiseentschädigungen gegenüber der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes in wesentlich häufigeren Fällen bzw. für einen längeren Zeitraum vor. (...) Seitens der betroffenen Arbeitnehmer bzw. deren Interessensvertretung - ebenso wie seitens der Wirtschaft - wurde daher zur Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes vorgebracht, dass sich an der gesetzlichen Regelung des § 26 Z 4 EStG 1988 nichts geändert hat, sodass an der bisherigen Verwaltungspraxis weiterhin festzuhalten sei. Durch die in Prüfung gezogene Verordnung wurde der Inhalt der Bestimmung über die Wirkungsweise der lohngestaltenden Vorschrift somit lediglich klargestellt, weil ansonsten entsprechend der zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes der lohngestaltenden Vorschrift hinsichtlich der Dauer, für die zu zahlende Reisekostenersätze vom Arbeitgeber steuerfrei zu belassen waren, keine Bedeutung zugekommen wäre."

8. Der UFS als belangte Behörde im zugrunde liegenden Anlassfall B1153/04 teilte in einer Stellungnahme vom zu G147/05, V111/05 mit, dass er die Bedenken des Verfassungsgerichtshofes teile und sich den Ausführungen im Prüfungsbeschluss vollinhaltlich anschließe.

9. Zur Rechtslage:

9.1. Nach § 26 EStG 1988 gehören bei Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit verschiedene Leistungen des Arbeitgebers nicht zu den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit. Ziffer 4 dieser Vorschrift betrifft Reisekosten und lautet in der Fassung BGBl. 818/1993 (der in Prüfung gezogene Satz ist hervorgehoben):

"Beträge, die aus Anlaß einer Dienstreise als Reisevergütungen (Fahrtkostenvergütungen, Kilometergelder) und als Tagesgelder und Nächtigungsgelder gezahlt werden. Eine Dienstreise liegt vor, wenn ein Arbeitnehmer über Auftrag des Arbeitgebers


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seinen Dienstort (Büro, Betriebsstätte, Werksgelände, Lager usw.) zur Durchführung von Dienstverrichtungen verläßt oder


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so weit weg von seinem ständigen Wohnort (Familienwohnsitz) arbeitet, daß ihm eine tägliche Rückkehr an seinen ständigen Wohnort (Familienwohnsitz) nicht zugemutet werden kann.

Bei Arbeitnehmern, die ihre Dienstreise vom Wohnort aus antreten, tritt an die Stelle des Dienstortes der Wohnort (Wohnung, gewöhnlicher Aufenthalt, Familienwohnsitz). Enthält eine lohngestaltende Vorschrift im Sinne des § 68 Abs 5 Z 1 bis 6 eine besondere Regelung des Begriffes Dienstreise, ist diese Regelung anzuwenden.

a) Als Kilometergelder sind höchstens die den Bundesbediensteten zustehenden Sätze zu berücksichtigen.

b) Das Tagesgeld für Inlandsdienstreisen ...

(...)"

9.2. Lohngestaltende Vorschriften nach § 68 Abs 5 Z 1 bis 6 EStG 1988 sind:

"1. [...] gesetzliche Vorschriften,


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2.
[...] von Gebietskörperschaften erlassene Dienstordnungen,
3.
[...] aufsichtsbehördlich genehmigte Dienst(Besoldungs)ordnungen der Körperschaften des öffentlichen Rechts,
4.
[... die] vom Österreichischen Gewerkschaftsbund für seine Bediensteten festgelegte Arbeitsordnung,
5.
[...] Kollektivverträge oder Betriebsvereinbarungen, die auf Grund besonderer kollektivvertraglicher Ermächtigungen abgeschlossen worden sind,
6.
[...] Betriebsvereinbarungen, die wegen Fehlens eines kollektivvertragsfähigen Vertragsteiles auf
der Arbeitgeberseite zwischen einem einzelnen
Arbeitgeber und dem kollektivvertragsfähigen Vertragsteil auf der Arbeitnehmerseite abgeschlossen wurden."

Vereinbarungen mit allen oder bestimmten Gruppen von Arbeitnehmern, die die vorstehend geforderten Qualitäten nicht haben (§68 Abs 5 Z 7 EStG 1988), sind nicht geeignet, den Begriff der Dienstreise zu modifizieren.

9.3. Die ebenfalls in Prüfung gezogene, auf § 26 Z 4 EStG 1988 gestützte Reisekostenverordnung des Bundesministers für Finanzen, BGBl. II 306/1997, hat folgenden Wortlaut:

"§1. Sieht eine lohngestaltende Vorschrift im Sinne des § 68 Abs 5 Z 1 bis 6 EStG 1988 vor, daß ein Arbeitnehmer, der über Auftrag des Arbeitgebers

1. seinen Dienstort (Büro, Betriebsstätte, Werksgelände, Lager usw.) zur Durchführung von Dienstverrichtungen verläßt oder

2. so weit weg von seinem ständigen Wohnort (Familienwohnsitz) arbeitet, daß ihm eine tägliche Rückkehr an seinen ständigen Wohnort (Familienwohnsitz) nicht zugemutet werden kann,

Tagesgelder zu erhalten hat, sind diese im Rahmen der Bestimmungen des § 26 Z 4 litb und d EStG steuerfrei. Als Dienstort gilt der sich aus dem Kollektivvertrag ergebende Dienstort.

§ 2. Fahrtkostenvergütungen, die aus Anlaß einer nach einer lohngestaltenden Vorschrift (§1) vorliegenden Dienstreise gezahlt werden, bleiben insoweit steuerfrei, als sie der Höhe nach die tatsächlichen Kosten oder bei Verwendung eines arbeitnehmereigenen Kraftfahrzeuges die Sätze gemäß § 26 Z 4 lita EStG nicht übersteigen."

II. Der Verfassungsgerichtshof hat die zu G147/05, V111/05 und zu G12/06, V7/06 protokollierten Gesetzes- und Verordnungsprüfungsverfahren gemäß § 35 Abs 1 VfGG iVm § 187 ZPO zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung verbunden.

1. Die Gesetzesprüfungsverfahren sind zulässig.

Es haben sich keine Anhaltspunkte ergeben, die gegen die vorläufige Annahme des Verfassungsgerichtshofes über die Zulässigkeit der zu Zl. B1153/04 protokollierten Beschwerde und die Präjudizialität der in Prüfung gezogenen Bestimmungen sprächen. Es ist auch nichts hervorgekommen, was daran zweifeln ließe, dass der antragstellende Verwaltungsgerichtshof in dem bei ihm anhängigen Verfahren die angefochtenen Bestimmungen anzuwenden hätte.

Auch die Bundesregierung geht in ihrer Äußerung vom Vorliegen der Prozessvoraussetzungen in den zur Entscheidung verbundenen Verfahren aus.

2. In der Sache:

2.1. In seinem Prüfungsbeschluss hat der Gerichtshof zunächst das Bedenken geäußert, dass ein Arbeitgeber bei Fehlen (qualifizierter) lohngestaltender Vorschriften seinem Arbeitnehmer Reisekostenersätze (lediglich) im Rahmen des § 26 Z 4 EStG 1988, das heißt unter Bindung an den dort verwendeten Begriff der Dienstreise und dessen Auslegung durch die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, steuerfrei ausbezahlen könne; bei Vorliegen einer lohngestaltenden Vorschrift, die eine günstigere Definition des Begriffes der Dienstreise enthält, könne die Möglichkeit der Ausbezahlung steuerfreier Reisekostenersätze anscheinend in einem weiteren Ausmaß genutzt werden.

Die Bundesregierung bestreitet diesen Effekt an sich nicht. Im Zusammenhang mit der Reisekostenverordnung des Bundesministers für Finanzen räumt sie sogar selbst ein, dass der vierte Satz des § 26 Z 4 EStG 1988 dazu führe, dass Reisekostenersätze über einen längeren Zeitraum (als den in § 26 Z 4 leg.cit. nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes vorgesehenen) steuerfrei belassen werden können. Sie vertritt aber zunächst die Auffassung, dass die gesetzliche Regelung nicht auf die Unterschiede in den faktischen Arbeitsbedingungen Rücksicht nehme und erst durch den Verweis auf die Regelung in den lohngestaltenden Vorschriften den unterschiedlichen Arbeitsbedingungen (Reisetätigkeiten) in den verschiedenen Branchen sachgerecht Rechnung getragen werde. Insbesondere sei eine Durchschnittsbetrachtung hinsichtlich der Dauer der Gewährung steuerfreier Tagesgelder angesichts der unterschiedlichen Bedingungen in den verschiedenen Branchen nicht zulässig. Die Regelung ist nach Auffassung der Bundesregierung daher geradezu gleichheitsrechtlich geboten.

2.2. Der Gerichtshof kann dieser Argumentation nicht folgen. Zunächst ist schon fragwürdig, warum eine Vorschrift wie die des § 26 Z 4 EStG 1988, die einen ohnehin weit gefassten Begriff der Dienstreise vorsieht und eine Pauschalierung von Tagesgeldern zulässt, nicht geeignet sein soll, den unterschiedlichen Arbeitsbedingungen in verschiedenen Branchen Rechnung zu tragen. Dabei ist zu bedenken, dass der in Prüfung gezogene Satz erst durch das AbgÄG 1984, BGBl. 531, eingefügt und in den Materialien keineswegs mit verfassungsrechtlichen Erwägungen, sondern lediglich mit dem - wenig aussagekräftigen - Hinweis begründet wurde, die neue Vorschrift solle Abgrenzungsschwierigkeiten bei Reisetätigkeiten im Baugewerbe vorbeugen (420 BlgNR XVI. GP, 21).

Entscheidend ist aber, ob die durch den Verweis auf lohngestaltende Vorschriften bewirkte - auch von der Bundesregierung nicht in Abrede gestellte - Differenzierung zwischen verschiedenen Gruppen von Arbeitnehmern sachlich gerechtfertigt werden kann. Dabei ist vorauszuschicken, dass es bei § 26 Z 4 EStG 1988, soweit die Tagesgelder betroffen sind, nicht etwa um eine begünstigte steuerliche Behandlung von Bezugsteilen geht, die dem Arbeitnehmer für allgemeine Erschwernisse oder Belastungen im Zusammenhang mit Reisetätigkeiten bezahlt werden, sondern um die Abgeltung des durch die Reisetätigkeit ausgelösten Verpflegungsmehraufwandes: Gäbe es die Vorschrift des § 26 Z 4 EStG 1988 nicht, so wären Reisekostenersätze des Arbeitgebers steuerpflichtiger Arbeitslohn. Der Arbeitnehmer könnte dann die durch Dienstreisen veranlassten Aufwendungen als Werbungskosten geltend machen, soweit es sich um "Mehraufwendungen des Steuerpflichtigen für Verpflegung und Unterkunft bei ausschließlich beruflich veranlassten Reisen" handelt (§16 Abs 1 Z 9 EStG 1988). § 26 Z 4 leg.cit., der den Reisekostenersatz des Arbeitgebers an den Arbeitnehmer nicht zu den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit zählt, verfolgt unter diesem Aspekt offenbar in erster Linie einen Vereinfachungszweck, indem er Aufwandsersätze, die bloß abzugsfähige Werbungskosten abdecken, von vornherein nicht zum Arbeitslohn zählt (womit die Geltendmachung von Werbungskosten entfallen kann). Daraus folgt zum einen, dass gegen die Regelung keine verfassungsrechtlichen Bedenken bestehen, soweit der steuerfreie Aufwandsersatz lediglich ansonsten abziehbare Werbungskosten erfasst, d.h. tatsächlich (typisierend) die durch eine berufliche Reise veranlassten Verpflegungsmehraufwendungen abdeckt, zum anderen aber, dass die Regelung bedenklich ist, soweit sie es zulässt, unter dem Titel Reisekostenersatz Beträge zuzuwenden, denen - auch bei typisierender Betrachtung - keine entsprechenden Verpflegungsmehraufwendungen gegenüberstehen.

Dabei ist für das Verständnis des gesetzlichen Dienstreisebegriffs und daher für die verfassungsrechtliche Beurteilung der durch den Verweis des § 26 Z 4 EStG 1988 eröffneten Abweichungsmöglichkeit von entscheidender Bedeutung, welche Interpretation diesem Begriff zukommt und wo die gesetzlichen Grenzen eines steuerfreien Reisekostenersatzes (speziell im Hinblick auf die Begründung eines neuen Mittelpunktes der Arbeitstätigkeit bei längerer Auswärtsbeschäftigung) liegen. Der Verweis des § 26 Z 4 EStG 1988 auf lohngestaltende Vorschriften hat vor diesem Hintergrund gerade den Effekt, einen steuerfreien Aufwandsersatz zuzulassen, der den gesetzlichen Rahmen (im Verständnis der höchstgerichtlichen Judikatur) überschreitet. Dem entspricht auch die vom Bundesminister für Finanzen vertretene Interpretation der Rechtslage, wie sie in Rz 737 der Lohnsteuer-Richtlinien vertreten wird: "Liegt eine Regelung des Dienstreisebegriffes auf Grund einer lohngestaltenden Vorschrift vor, unterliegt die Dienstreise keiner zeitlichen Begrenzung, sodass die für den Dienstreisebegriff nach der Legaldefinition geltenden zeitlichen Beschränkungen nicht anzuwenden sind. Auch für die Beurteilung der Zumutbarkeit der täglichen Rückkehr zum Wohnort (analog zum 2. Dienstreisetatbestand) sind die jeweiligen arbeitsrechtlichen Bestimmungen maßgebend."

2.3. Die Bundesregierung räumt im Ergebnis selbst ein, dass es auf Grund dieser Rechtslage zu einer Ungleichbehandlung zwischen verschiedenen Gruppen von Arbeitnehmern kommt, führt dafür jedoch die Aspekte der Verwaltungsvereinfachung und Rechtssicherheit ins Treffen. Der Gerichtshof bezweifelt nicht, dass eine nähere gesetzliche Bestimmung des Begriffes der Dienstreise im Interesse der Rechtssicherheit liegt und dem Arbeitgeber den Lohnsteuerabzug erleichtert. Warum aber die Rechtssicherheit größer wird, wenn in einer lohngestaltenden Vorschrift ein anderer (weiterer) Begriff der Dienstreise als im Gesetz verwendet wird, ist nicht einsichtig. Gesichtspunkte der Verwaltungsökonomie sind zwar ein aus der Sicht des Gleichheitssatzes anzuerkennendes Motiv des Gesetzgebers (VfSlg. 8696/1979; 12.642/1991; 13.659/1993 mwN). Verwaltungsökonomische Überlegungen können aber nicht jegliche Regelung rechtfertigen; es muss ein angemessenes Verhältnis zu den in Kauf genommenen Rechtsfolgen eingehalten werden (zB VfSlg. 11.201/1986). Daran fehlt es hier: Der Umstand, dass es durch den Gleichklang von arbeitsrechtlichem und steuerrechtlichem Dienstreisebegriff zu Vereinfachungen für die Finanzverwaltung oder für die Arbeitgeber kommt, rechtfertigt für sich allein nicht eine deutliche steuerliche Privilegierung von Bezugsteilen bestimmter Arbeitnehmergruppen.

2.4. Der Gerichtshof kann auch nicht erkennen, warum als Alternative zum gegenwärtigen Rechtszustand lediglich ein System von großzügigen und ungenauen Pauschalierungen in Betracht kommen soll. Dieses Argument scheint von der Vorstellung auszugehen, dass § 26 Z 4 EStG 1988 in Verbindung mit einer sachgerechten Auslegung durch den Verwaltungsgerichtshof für sich allein nicht in der Lage ist, die bei Dienstreisen in Betracht kommenden Verpflegungsmehraufwendungen zu erfassen. Für die Richtigkeit dieser Annahme gibt es aber keinen Hinweis.

2.5. Soweit die Bundesregierung auf Normen des EStG 1988 verweist, in denen ebenfalls auf lohngestaltende Vorschriften Bezug genommen wird, ist dies von vornherein ungeeignet, die Sachlichkeit des § 26 Z 4 EStG 1988 zu erweisen, da diese Normen ebenfalls verfassungsrechtlichen Bedenken ausgesetzt sein könnten. Im Übrigen geht es in den genannten Vorschriften im Wesentlichen um die begünstigte Besteuerung von Bezugsteilen, deren Umfang in qualifizierten Quellen des Arbeitsrechtes festgelegt ist, und nicht - wie hier im Ergebnis - um eine Ausweitung des Werbungskostenbegriffes.

2.6. Der in Prüfung gezogene vierte Satz in § 26 Z 4 EStG 1988 war daher schon aus diesem Grund als verfassungswidrig aufzuheben, ohne dass auf die weiteren im Prüfungsbeschluss aufgeworfenen Bedenken einzugehen war.

2.7. Nach der ständigen Judikatur des Verfassungsgerichtshofes (zB VfSlg. 9535/1982, 17.341/2004) hat die Verfassungswidrigkeit jener Gesetzesbestimmung, die eine Verordnung trägt, zur Folge, dass die betreffende Verordnung der erforderlichen gesetzlichen Deckung entbehrt. Die auf § 26 Z 4 EStG 1988 gegründete Verordnung des Bundesministers für Finanzen betreffend Reisekostenvergütungen gemäß § 26 Z 4 EStG 1988 auf Grund einer lohngestaltenden Vorschrift im Sinne des § 68 Abs 5 Z 1 bis 6 EStG 1988, BGBl. II 306/1997, war demnach als gesetzwidrig aufzuheben.

3. Die Verpflichtung des Bundeskanzlers zur unverzüglichen Kundmachung der Aussprüche in Spruchpunkt I stützt sich auf Art 140 Abs 5 erster Satz B-VG und §§64 Abs 2 und 65 VfGG.

4. Die Verpflichtung des Bundesministers für Finanzen zur unverzüglichen Kundmachung des Ausspruches in Spruchpunkt II beruht auf Art 139 Abs 5 erster Satz B-VG und §§60 Abs 2 und 61 VfGG.

5. Die Bestimmung einer Frist für das Außerkrafttreten der aufgehobenen Gesetzesbestimmung gründet sich auf Art 140 Abs 5 dritter und vierter Satz B-VG. Die Bundesregierung hat die Notwendigkeit einer umfangreichen legistischen Überarbeitung sowie einer Anpassung der lohngestaltenden Vorschriften im Fall der Gesetzesaufhebung plausibel dargelegt; ebenso ist es plausibel, dass eine Rechtsänderung dieser Art nicht unterjährig in Kraft treten sollte. Im Hinblick auf die Bestimmung einer Frist für das Außerkrafttreten der zugrunde liegenden Gesetzesbestimmung war - gestützt auf Art 139 Abs 5 dritter und vierter Satz B-VG - auch die Bestimmung einer Frist für das Außerkrafttreten der aufgehobenen Verordnung erforderlich (vgl. VfSlg. 102/1922, 5310/1966, 11.731/1988).

6. Der Ausspruch, dass frühere gesetzliche Bestimmungen nicht wieder in Kraft treten, beruht auf Art 140 Abs 6 erster Satz B-VG.