OGH vom 06.11.2014, 13Os56/14f
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Lässig und Dr. Nordmeyer sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Michel und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl in Gegenwart der Richteramtsanwärterin MMag. Spunda als Schriftführerin in der Verbandsverantwortlichkeitssache der P***** GmbH wegen Finanzvergehen der Abgabenhinterziehung nach § 33 Abs 2 lit a FinStrG iVm § 28a Abs 1 FinStrG über die Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft sowie die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des belangten Verbands gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom , GZ 16 Hv 89/13t 30, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreter der Generalprokuratur, Generalanwältin Prof. Dr. Aicher, der Finanzstrafbehörde, Mag. Winkler, und des belangten Verbands, Christian Haas und Mag. Lukas zu Recht erkannt:
Spruch
In teilweiser Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde des belangten Verbands wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im Ausspruch über die Verbandsgeldbuße aufgehoben und in diesem Umfang in der Sache selbst erkannt:
Die P***** GmbH (vormals Re***** GmbH) wird für die Finanzvergehen des Johannes R*****, für die sie mit dem angefochtenen Urteil als im Sinn des § 3 Abs 1 Z 1 und Abs 2 VbVG verantwortlich erkannt worden ist, unter Anwendung des § 21 Abs 1 und 2 FinStrG nach § 33 Abs 5 FinStrG iVm § 28a Abs 1 FinStrG zu einer
Verbandsgeldbuße von 60.000 Euro (sechzigtausend Euro) verurteilt.
Gemäß § 7 VbVG iVm § 28a Abs 1 FinStrG wird ein Bußteil von 45.000 Euro (fünfundvierzigtausend Euro) unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen.
Die Nichtigkeitsbeschwerde des belangten Verbands im Übrigen sowie jene der Staatsanwaltschaft werden verworfen.
Mit seiner Berufung wird der belangte Verband auf die Neubemessung der Verbandsgeldbuße verwiesen.
Dem belangten Verband fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde die P***** GmbH (vormals Re***** GmbH) gemäß § 3 Abs 1 Z 1 und Abs 2 VbVG für nachstehende, § 33 Abs 2 lit a FinStrG zu unterstellende Taten, die ihr Geschäftsführer Johannes R***** zu ihren Gunsten rechtswidrig und schuldhaft begangen hatte, verantwortlich erkannt. Dieser hatte nach dem Referat im Urteilstenor (§ 260 Abs 1 Z 1 StPO) für die Monate Jänner 2012 bis September 2012 im Zuständigkeitsbereich des Finanzamts Wien ***** vorsätzlich unter Verletzung der Verpflichtung zur Abgabe von § 21 UStG entsprechenden Voranmeldungen eine (im Ersturteil nach Voranmeldungszeiträumen gegliederte) Verkürzung an Umsatzsteuer um insgesamt 159.808,82 Euro bewirkt und dies nicht nur für möglich, sondern für gewiss gehalten.
Rechtliche Beurteilung
Ihre dagegen erhobenen Nichtigkeitsbeschwerden stützen die Staatsanwaltschaft auf Z 5 und 10, der belangte Verband auf Z 5, 9 lit a und 11 des § 281 Abs 1 StPO. Erstere geht fehl, Letztere ist teilweise im Recht.
Zur Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft:
Mängelrüge (Z 5) und Subsumtionsrüge (Z 10) zielen im Ergebnis auf die rechtliche Unterstellung der Entscheidungsträgertaten (§ 3 Abs 2 VbVG) als Finanzvergehen der gewerbsmäßigen Abgabenhinterziehung nach §§ 33 Abs 2 lit a, 38 Abs 1 FinStrG. Dabei streben sie (eine neue Hauptverhandlung und sodann) entsprechende Feststellungen zur Begehung solcher Finanzvergehen durch den mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom (ON 29) vom diesbezüglichen Anklagevorwurf freigesprochenen Mag. Dr. G***** an.
Im Hinblick darauf, dass der Oberste Gerichtshof mit der zu AZ 13 Os 55/14h ergangenen Entscheidung vom die gegen diesen Freispruch gerichtete Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft zurückgewiesen hat, entziehen sich die (der Sache nach auf dieses Rechtsmittel verweisenden) Beschwerdeargumente einer inhaltlichen Erwiderung.
Zur Nichtigkeitsbeschwerde des belangten Verbands:
Indem die Mängelrüge (Z 5) einräumt, dass das Erstgericht die Aussage des Zeugen Christian H***** erörtert hat (siehe US 11), aber aus dieser Zeugenaussage ihrerseits unter Einbeziehung der aktenfremden Prämisse von angeblichen Vereinbarungen „mit einem Herrn W***** vom zuständigen Finanzamt“ für den belangten Verband günstige Schlüsse ableitet, wendet sie sich nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen Schuldberufung in unzulässiger Weise gegen die tatrichterliche Beweiswürdigung (§ 258 Abs 2 StPO).
Das Wesen der Rechtsrüge (Z 9 lit a) besteht darin, anhand methodischer Ableitung aus dem Gesetz (RIS Justiz RS0116565 und RS0116569) rechtliche Fehler bei der Beurteilung des der angefochtenen Entscheidung zu Grunde liegenden Sachverhalts (RIS Justiz RS0099810) aufzuzeigen.
Mit der Behauptung, das VbVG sei „verfassungswidrig“ und verstoße „gegen diverse Grundrechte“, wird die Beschwerde diesen Anfechtungskriterien nicht gerecht (siehe auch RIS Justiz RS0053859 und RS0099654).
Hinzugefügt sei, dass der in diesem Zusammenhang erhobene Einwand, die Verfahrensbestimmungen des VbVG seien nicht fair (Art 6 MRK), weil sie den belangten Verband vom Verfahren gegen den Entscheidungsträger ausschließen und ihm gegen das diesbezügliche Urteil kein Rechtsmittel einräumen würden, nicht zutrifft (§ 15 Abs 1 zweiter Satz VbVG, dazu eingehend Hilf/Zeder in WK² VbVG § 15 Rz 4 f).
Fallbezogen wurde die Hauptverhandlung gegen den belangten Verband und dessen Entscheidungsträger gemeinsam geführt (§§ 15 Abs 1, 22 Abs 1 VbVG) und war der belangte Verband in dieser Hauptverhandlung (gesetzeskonform) vertreten (ON 28).
Aus welchem Grund die Sanktionierung zweier unterschiedlicher Rechtssubjekte (nämlich einerseits des Entscheidungsträgers und andererseits des belangten Verbands) gegen Art 4 des 7. ZPMRK verstoßen soll, ist nicht ersichtlich (vgl auch Hilf/Zeder in WK² VbVG § 3 Rz 53).
Da § 4 StGB nicht im Verfassungsrang steht, ist die Bezugnahme auf diese Bestimmung im gegebenen Zusammenhang unverständlich.
Im bisher behandelten Umfang war die Nichtigkeitsbeschwerde des belangten Verbands daher ebenso wie jene der Staatsanwaltschaft (zur Gänze) zu verwerfen.
Hingegen zeigt die Sanktionsrüge (Z 11) im Ergebnis zutreffend auf, dass das Erstgericht bei der Beurteilung des Umfangs der Zulässigkeit bedingter Strafnachsicht zum Nachteil des belangten Verbands zu Unrecht von der in § 26 Abs 1 dritter Satz FinStrG enthaltenen Begrenzung ausgegangen ist (US 14 [Z 11 erster Fall]):
Gemäß § 1 Abs 1 VbVG ist das VbVG auf Finanzvergehen nur insoweit anzuwenden, als es im FinStrG vorgesehen ist. Mit Blick auf diese Verweisungsnorm ordnet § 28a Abs 1 erster Satz FinStrG für das gerichtliche Finanzstrafrecht die Geltung des ersten und des zweiten Abschnitts (§§ 1 bis 12) des VbVG mit der Maßgabe an, dass die Verbandsgeldbuße (abgesehen von hier nicht relevanten Sonderregelungen) „nach der für das Finanzvergehen, für das der Verband verantwortlich ist, angedrohten Geldstrafe“ zu bemessen ist. Damit wird ausgedrückt, dass die Buße nicht wie in § 4 VbVG vorgesehen nach dem Tagessatzsystem, sondern dem Sanktionensystem des FinStrG folgend zu bestimmen ist (EBRV 1187 BlgNR 22. GP 26, Lässig in WK² FinStrG § 28a Rz 2).
Hieraus folgt zunächst, dass in Verbandsverantwortlichkeitssachen, denen gerichtlich strafbare Finanzvergehen zu Grunde liegen, eine gänzlich bedingte Nachsicht der Geldbuße nicht möglich ist, weil § 6 VbVG eine solche nur für nach Tagessätzen bemessene Geldbußen vorsieht (in diesem Sinn auch Fellner , FinStrG § 28a Rz 35; Kert in Leitner , Finanzstrafrecht 2006, 9 [33]; Reger/Nordmeyer/Hacker/Kuroki , FinStrG 4 § 28a Rz 24 und Tannert , FinStrG § 28a Anm 15; aM Leitner/Toifl/Brandl , Österreichisches Finanzstrafrecht³ Rz 734 und Seiler/Seiler , FinStrG 4 § 28a Rz 7).
Für die in der Beschwerde primär vertretene, auf eine vereinzelte Lehrmeinung ( E. Steininger VbVG § 6 Rz 15) gestützte Variante, eine nach dem FinStrG verhängte Geldsummenbuße sei fiktiv auf eine nach dem Tagessatzsystem ausgemessene Buße umzurechnen und sei anhand dessen die allfällige Überschreitung der in § 6 Abs 1 erster Satz VbVG normierten Grenze (70 Tagessätze) und solcherart die Möglichkeit der Gewährung gänzlicher bedingter Strafnachsicht zu prüfen, bietet das Gesetz keine Anhaltspunkte.
Zutreffend ist hingegen der eventualiter vorgebrachte Einwand, die Grenzen der Zulässigkeit teilweiser bedingter Nachsicht seien (nicht nach § 26 Abs 1 FinStrG, sondern) nach § 7 VbVG zu beurteilen (so auch Fellner , FinStrG § 28a Rz 35; Kert in Leitner , Finanzstrafrecht 2006, 9 [34]; Reger/Nordmeyer/ Hacker/Kuroki , FinStrG 4 § 28a Rz 24). Die Bestimmungen des ersten Abschnitts (§§ 1 bis 52) des FinStrG sind nämlich nach § 28a Abs 1 zweiter Satz FinStrG neben jenen des ersten und des zweiten Abschnitts des VbVG (§ 28a Abs 1 erster Satz FinStrG) bloß „im Übrigen“ anzuwenden, womit das Gesetz eine subsidiäre Geltung der bezeichneten Normen (§§ 1 bis 52 FinStrG) anordnet ( Lässig in WK² FinStrG § 28a Rz 4). Da aber § 7 VbVG die Gewährung teilbedingter Nachsicht der Verbandsgeldbuße ohne Einschränkung auf das Tagessatzsystem ausdrücklich regelt, kommt die subsidiäre Anwendung des § 26 Abs 1 FinStrG in diesem Bereich gerade nicht in Betracht (gegenteilig Tannert , FinStrG § 28a Anm 15 sowie insoweit vereinzelt geblieben 13 Os 13/12d).
Die angefochtene Entscheidung war somit in teilweiser Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde im Ausspruch über die Verbandsgeldbuße aufzuheben.
Der hiedurch erforderlichen Neubemessung derselben ist voranzustellen, dass § 5 VbVG die Bemessung der „Anzahl der Tagessätze“ regelt und daher auf Verbandsgeldbußen nach dem FinStrG nicht unmittelbar anwendbar ist. Da die subsidiär anzuwendende (§ 28a Abs 1 zweiter Satz FinStrG) Norm des § 23 Abs 2 FinStrG hinsichtlich der besonderen Erschwerungs und Milderungsgründe auf §§ 33 und 34 StGB verweist und diese Bestimmungen bloß demonstrative Aufzählungen enthalten ( Ebner in WK² StGB § 33 Rz 1 und § 34 Rz 1), steht aber einer Heranziehung der in § 5 Abs 2 und 3 VbVG genannten Erschwerungs und Milderungsgründe bei der Bemessung (auch) einer nach dem FinStrG zu bestimmenden Verbandsgeldbuße nichts entgegen. Dies liegt sogar nahe, weil die besonderen Strafbemessungsgründe des StGB großteils ausschließlich auf natürliche Personen anwendbar sind und solcherart in Finanzstrafsachen nach dem VbVG nicht herangezogen werden können (§ 28a Abs 1 zweiter Satz FinStrG).
Fallbezogen waren kein Umstand erschwerend, mildernd die Umstände, dass der Verband schon vor der Tat Vorkehrungen zur Verhinderung solcher Taten getroffen (§ 5 Abs 3 Z 1 VbVG), nach der Tat erheblich zur Wahrheitsfindung beigetragen (§ 5 Abs 3 Z 3 VbVG), die Folgen der Tat gutgemacht (§ 5 Abs 3 Z 4 VbVG) und wesentliche Schritte zur zukünftigen Verhinderung ähnlicher Taten unternommen (§ 5 Abs 3 Z 5 VbVG) und dass die Tat bereits gewichtige Nachteile für den Verband oder seine Eigentümer nach sich gezogen (§ 5 Abs 3 Z 6 VbVG) hat.
Hievon ausgehend war die Verbandsgeldbuße unter Anwendung des § 21 Abs 1 und 2 FinStrG auf der Basis der Strafdrohung des § 33 Abs 5 FinStrG (§ 28a Abs 1 erster Satz FinStrG) bei einem strafbestimmenden Wertbetrag (§ 53 Abs 1 FinStrG) von 159.808,82 Euro mit 60.000 Euro zu bemessen.
Da dem weder spezialpräventive noch generalpräventive Erwägungen entgegenstehen, waren gemäß § 7 VbVG iVm § 28a Abs 1 erster Satz FinStrG drei Viertel dieser Buße (also 45.000 Euro) unter Bestimmung einer dreijährigen Probezeit bedingt nachzusehen.
Mit seiner Berufung war der belangte Verband auf die Neubemessung der Verbandsgeldbuße zu verweisen.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.
European Case Law Identifier
ECLI:AT:OGH0002:2014:0130OS00056.14F.1106.000