OGH vom 17.11.1999, 9ObA213/99k
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Maier als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Steinbauer und Dr. Spenling sowie durch die fachkundigen Laienrichter Mag. Dr. Jörg Krainhöfner und Gerhard Loibl als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Parteien 1. Milena K*****, Stubenmädchen, ***** 2. Vladimir D*****, Kellner, ***** 3. Andrea W*****, Kellnerin, ***** 4. Paul H*****, Buchhalter, ***** 5. Pavol St*****, Koch, ***** alle vertreten durch Dr. August Lahnsteiner und andere, Rechtsanwälte in Ebensee, wider die beklagte Partei Claudia P*****, Gastwirtin, ***** vertreten durch Dr. Hans Rieger, Rechtsanwalt in Bad Ischl, wegen S 93.388,37 sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 12 Ra 161/98b-22, womit über Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Wels als Arbeits- und Sozialgericht vom , in den verbundenen Rechtssachen GZ 17 Cga 211/97f-11 (17 Cga 212/97b, 17 Cga 213/97z, 17 Cga 214/17x, 17 Cga 216/97s, 17 Cga 217/97p), bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei ist schuldig, den Klägern die mit S 7.608 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten S 1.268 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die Kläger waren bereits vor dem bei Rosemarie P*****, der Mutter der Beklagten, in deren Gasthof "Kirchenwirt" beschäftigt. Infolge finanzieller Schwierigkeiten verkaufte Rosemarie P***** mit Kaufvertrag vom die Liegenschaft samt Zubehör und Inventar mit Stichtag an die Sparkasse B*****. Von dieser pachtete die Beklagte mit Pachtvertrag vom die genannte Liegenschaft samt Inventar ab auf unbestimmte Zeit und verpflichtete sich gleichzeitig in den bestehenden Getränkebezugsvertrag mit der Stiegl-Brauerei mit allen Rechten und Pflichten einzutreten. Laut Punkt IV des Kaufvertrages wird mit dem Kaufvertrag kein Vermögen oder Unternehmen im Sinne des § 1409 ABGB übertragen, weshalb eine Haftung der Käuferin nach § 1409 ABGB ausgeschlossen ist. Die Pächterin verpflichtete sich, das Pachtobjekt in vollem Umfang als gastgewerbliches Unternehmen zu führen. Ab arbeiteten die Kläger bei der Beklagten. Im Gasthausbetrieb trat durch diesen Inhaberwechsel außer dekorativen Elementen keine Änderung ein. Eine Betriebsstillegung erfolgte nicht. Den bisher bei Rosemarie P***** beschäftigten Mitarbeitern, darunter auch den fünf Klägern, wurde im Mai von Rosemarie P***** und der Beklagten mitgeteilt, daß der Betrieb aus finanziellen Gründen nicht mehr weitergeführt werden könne, daß die Dienstverhältnisse beendet werden müßten, jedoch die Möglichkeit bestehe, bei der Beklagten weiterzuarbeiten. Die Arbeitnehmer sollten sich bemühen, Lohnrückstände über die Arbeiterkammer und den Insolvenzentgeltsicherungsfonds zu erhalten. Die Mitarbeiter erhoben gegen diese Mitteilung keine Einwände und arbeiteten fortan bei der Beklagten weiter. Sie wurden mit Stichtag 31. 5. endabgerechnet, bei der Gebietskrankenkasse abgemeldet und ab bei der Beklagten neu angemeldet. Die eingeklagten Ansprüche sind unberichtigt. Der Fünftkläger wurde am 11. 6. zum gekündigt. Eine Lösung im Einvernehmen oder ein Urlaubskonsum stehen nicht fest.
Strittig ist die Haftung der Beklagten für die bis zum Beginn des Pachtverhältnisses entstandenen Arbeitnehmeransprüche gegen Rosemarie P*****, die Frage ob ein Betriebsübergang gemäß § 3 Abs 1 AVRAG stattgefunden hat und ob die Beklagte im Falle eines Betriebsüberganges im Sinne des § 6 Abs 1 AVRAG und § 1409 ABGB nur eingeschränkt für die Altschulden hafte.
Erst- bis Fünftkläger machen Lohnansprüche bis (Zeitpunkt des Verkaufes und des Pachtbeginnes) und darüber hinaus der Fünftkläger Kündigungsentschädigung und Urlaubsabfindung geltend.
Die beklagte Partei bestritt das Klagebegehren und beantragte die Abweisung der Klagebegehren.
Das Erstgericht gab den Klagebegehren im vollen Umfang statt.
Es führte aus, daß ein Betriebsübergang im Sinne des § 3 Abs 1 AVRAG gegeben sei. Es komme auf eine bestimmte Rechtsform des Betriebsüberganges nicht an. In Kenntnis der unterschiedlichen Literaturmeinungen über den Umfang der Haftung nach § 6 Abs 1 AVRAG iVm § 1409 ABGB sei im Sinne einer richtlinienkonformen Auslegung bei Übergang der Arbeitsverhältnisse eine Haftung des Pächters auch für Altschulden zu bejahen.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten nicht Folge und sprach aus, daß die ordentliche Revision zulässig sei.
Die §§ 3 bis 6 AVRAG seien in Ausführung der Richtlinie des Rates 77/187 EWG für das österreichische Arbeitsrecht ergangen. Auch bei Nichtbestehen einer vertraglichen Beziehung zwischen Veräußerer (Rosemarie P*****) und Erwerber (beklagte Partei) sei durchaus ein Betriebsübergang anzunehmen, soferne die betroffene wirtschaftliche Einheit ihre Identität bewahre, was der Fall sei. Die hier vorgelegene Übertragung in zwei Schritten sei als Übergang von der ersten auf die dritte Person anzusehen, weil die dazwischengetretene Person (Sparkasse B*****) die tatsächliche wirtschaftliche Verfügungsmacht nicht erlangt habe. Die Beklagte sei daher als Arbeitgeber mit allen Rechten und Pflichten in die bestehenden Arbeitsverhältnisse eingetreten. Welcher Art die Auflösung der Arbeitsverhältnisse durch Rosemarie P***** gewesen sei, sei nicht maßgeblich, weil jedenfalls die Auflösung im unmittelbaren Zusammenhang mit der Betriebsübernahme erfolgt sei, so daß dadurch die Eintrittsautomatik nicht ausgeschlossen werden könne. Auch eine einvernehmliche Beendigung wäre in diesem Zusammenhang unwirksam. Nach der Literatur gebe es verschiedene Auslegungsvarianten des § 6 Abs 1 AVRAG, wonach der Erwerber für Altschulden überhaupt nur nach § 1409 ABGB sowohl hinsichtlich der Tatbestandsvoraussetzungen als auch bezüglich des Haftungsumfanges hafte, wonach Tatbestandsmerkmal für die Haftung ein Betriebsübergang nach § 3 Abs 1 AVRAG sei, der Haftungsmaßstab sich jedoch nach § 1409 ABGB richte oder wonach der Erwerber aufgrund des Eintritts in das Arbeitsverhältnis gemäß § 3 Abs 1 AVRAG umfassend für Altschulden hafte und § 6 Abs 1 ABGB mit seiner Beschränkung des Haftungsumfangs auf § 1409 ABGB nur auf jene Schulden anzuwenden sei, die nicht gemäß § 3 Abs 1 AVRAG übergegangen seien. Dieser letztgenannten Meinung sei Vorrang zu geben, woraus folge, daß die Haftung der beklagten Partei für die Altschulden zu bejahen sei.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der beklagten Partei wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung und dem Antrag, das angefochtene Urteil abzuändern und die Klagebegehren abzuweisen; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die klagenden Parteien stellen den Antrag, der Revision der beklagten Partei nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist nicht berechtigt.
In Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des EuGH zu RL 77/187 EWG knüpft § 3 Abs 1 AVRAG nicht an ein Rechtsgeschäft bzw einen Eigentumswechsel, sondern schlicht an den Übergang eines Betriebes oder Betriebsteiles "auf einen anderen Erwerber" an (DRdA 1999/32 [Wachter]; 9 ObA 192/99x). Der Begriff der Betriebsübernahme läßt sich nicht auf rechtsgeschäftliche Verfügungen reduzieren. Unter einem Übertragungsvorgang ist jeder Akt zu verstehen, durch den die unternehmerische Dispositionsbefugnis in Bezug auf ein Übertragungsobjekt von einem Verantwortlichen auf einen anderen übertragen wird. Das AVRAG ist daher von einem weiten Übertragungsbegriff geprägt (DRdA 1999/24 [Gahleitner]). Auch der EuGH verlangt hiefür weder Veräußerung noch Eigentumswechsel. Es kommt nicht darauf an, ob zwischen Veräußerer und Erwerber vertragliche Beziehungen bestehen (DRdA 1999/24 [Gahleitner]; 9 ObA 153/98k = ASoK 1999, 267). Es reicht vielmehr aus, daß der für die Geschicke des Betriebes Verantwortliche ("Inhaber") wechselt (DRdA 1999/32 [Wachter], ohne daß der Wechsel der Betriebsinhaberschaft auf einen ausdrücklich auf Betriebsübergang gerichteten Willensakt beruhen muß. Selbst wenn alle Beteiligten einen Betriebsübergang nicht gewollt hätten und auch keinen vertraglichen Übertragungsakt gesetzt haben, liegt bei Zutreffen der im Sinne eines beweglichen Systems zu gewichtenden objektiven Tatbestandsmerkmale ein Betriebsübergang vor. Folgende Merkmale haben sich in der Judikatur herausgebildet:
1. Das übertragene Gebilde muß eine wirtschaftliche Einheit darstellen. Dies ist eine organisierte Gesamtheit von Personen und Sachen zur Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit mit eigener Zielsetzung. Diese Tätigkeit darf nicht auf die Ausübung eines bestimmten Vorhabens beschränkt sein;
2. Fortführung derselben wirtschaftlichen Einheit (Betriebsidentität);
3. Übernahme von materiellen oder/und immateriellen Betriebsmitteln,
4. gleichbleibende oder zumindest ähnliche Geschäftstätigkeit,
5. Übernahme der Kundschaft,
6. Übernahme des nach Zahl und Sachkunde wesentlichen Teils der Belegschaft (DRdA 1999/32 [Wachter]; 9 ObA 192/99x).
Unabhängig von der im vorliegenden Fall gegebenen Konstellation, daß der Veräußerer das Unternehmen nicht an den Käufer veräußert hat und dieser auch nur die Liegenschaft und nicht ein Unternehmen verpachtet hat, liegt daher ein Betriebsübergang vor. Die rechtliche Konstruktion, die dem Betriebsinhaberwechsel zugrundeliegt, darf nämlich nicht zur Umgehung der Zwecke des AVRAG führen (Ind 1997/2386). Der Zweck der richtlinienkonform auszulegenden Bestimmungen des AVRAG (DRdA 1996/52 [Gahleitner]) besteht darin, die Aufrechterhaltung der Rechte der Arbeitnehmer bei einem Wechsel des Betriebsinhabers soweit wie möglich zu gewährleisten (DRdA 1997/12 [Kirschbaum] = SZ 68/187). Ein Sachverhalt, bei dem die objektiven Merkmale eines Betriebsüberganges überwiegen, ist daher ungeachtet der von den Vertragsparteien gewählten Vertragsform und unabhängig davon, ob überhaupt eine direkte Vertragsbeziehung zwischen Veräußerer und Erwerber vorliegt, jenem Regime zu unterstellen, das für einen "klassischen" Betriebsübergang gilt (Krejci, Betriebsübergang 52).
Nach dem Inhalt der Verträge war keine wirtschaftliche Einheit eines Gasthausbetriebes Vertragsgegenstand, sondern lediglich die Liegenschaft samt Zubehör und Inventar. In Wahrheit ging jedoch die organisatorische Einheit nahtlos auf die Beklagte über, die den Gasthof unter demselben Namen in gleicher Art und Weise und im selben Umfang weiterführte und neben dem Kundenstock auch das gesamte Inventar und den vertraglich überbundenen Getränkebezugsvertrag übernahm und dieselben Arbeitnehmer beschäftigte. Mit Ausnahme der Dekoration sind Betriebsmittel und Betriebsgegenstand gleichgeblieben. Es gibt daher keinen Zweifel am Vorliegen eines Betriebsüberganges.
Da die Arbeitsverhältnisse mit den beim Veräußerer beschäftigten Arbeitnehmern auf seine Initiative zum beendet und abgerechnet wurden, die Beklagte ab den Betrieb mit den aufgrund eines "neuen Arbeitsvertrages" beschäftigten Arbeitnehmern weitergeführt hat, steht die Beendigung in einem objektiven Zusammenhang mit dem Betriebsübergang. Das verpönte Motiv, die zwingenden Bestimmungen des AVRAG zu unterlaufen, stehen daher prima facie fest, ohne daß die Beklagte dieses entkräftet hätte (DRdA 1998/39 [Reissner]; ASoK 1999, 267). Die Beendigung der Arbeitsverhältnisse ist daher unwirksam (DRdA 1996/52 [Gahleitner]; DRdA 1999/24 [Gahleitner]), so daß die Arbeitsverträge der Kläger ipso iure aufgrund des Betriebsüberganges auf die Beklagte übergangen sind (EuGHSlg 1996 I-5927; ASoK 1999, 267). Veräußerer und Erwerber haften für die Verpflichtungen aus dem Arbeitsverhältnis, die vor dem Betriebsübergang begründet wurden aufgrund der zwingenden Eintrittsautomatik zur ungeteilten Hand (WBl 1999, 324).
Der neue Inhaber wird gemäß § 3 Abs 1 AVRAG aufgrund des ex-lege-Überganges aller Rechte und Pflichten des alten Arbeitgebers selbst Arbeitgeber und Schuldner aller Ansprüche aus den übergegangenen im Zeitpunkt des Überganges bestehenden Arbeitsverhältnissen. Er haftet auch für die Erfüllung. Die Pflichten des Veräußerers gemäß Art 3 Abs 1 der Richtlinie 77/187 gegenüber den im Zeitpunkt des Überganges beschäftigten Arbeitnehmern umfassen diejenigen Schulden, die vor dem Zeitpunkt des Überganges bestanden haben und aus dem Arbeitsverhältnis mit dem Veräußerer entstanden sind (EuGHSlg 1985, 479 f). Dieses von der EG-Richtlinie vorgegebene Prinzip ist durch die sehr weit gefaßte Anordnung des § 3 Abs 1 AVRAG übernommen worden. Zu dieser Bestimmung des § 3 Abs 1 AVRAG steht § 6 Abs 1 AVRAG, wonach hinsichtlich der mit dem Veräußerer bestehenden Haftung zur ungeteilten Hand für Verpflichtungen aus einem Arbeitsverhältnis zum Veräußerer die vor dem Zeitpunkt des Überganges begründet wurden, § 1409 ABGB anzuwenden ist, in einem gewissen Spannungsverhältnis (Rummel in Tomandl, Der Betriebs-(teil)übergang im Arbeitsrecht 99). Die Literaturmeinungen hiezu sind nicht einheitlich (Grießer, Insolvenz, Sicherung und Haftung des Unternehmenserwerbers gemäß § 6 AVRAG RdW 1998, 617 f).
Schrank (ecolex 1993, 542) und Konecny (ecolex 1993, 839) beschränken die nach § 3 Abs 1 AVRAG begründete Haftung im Sinne des § 1409 ABGB im Rahmen des "Kennens und Kennenmüssens" und umfänglich durch die "pro viribus"-Haftung. Runggaldier (RdW 1992, 379) und Rechberger (in Tomandl aaO 66) teilen diese Meinung. Grillberger (WBl 1993, 315) und offenbar auch Schima (RdW 1993, 216 ff, 221) sehen eine Haftung des Erwerbers gemäß § 1409 ABGB im Rahmen des § 6 Abs 1 AVRAG begründet, wenn die Voraussetzungen des § 1409 ABGB (wenn ein Unternehmen übereignet wurde) erfüllt sind. Gahleitner (ecolex 1994, 694 f), Binder (DRdA 1996, 12 f), Rummel (aaO 96), Wagnest (Die Haftung bei Übergang eines Unternehmens oder Betriebes 37 f), Weber (Arbeitsverhältnisse in Insolvenzverfahren 204 ff), W. Schwarz (DRdA 1996, 473 f), Holzer/Reissner, AVRAG 161 f und Nowotny (in FS 100 Jahre Wirtschaftsuniversität Wien, Umgründungen und Haftung für Arbeitnehmeransprüche aus Betriebsübergang 16 ff, 25 ff) hingegen sehen eine unbeschränkte Haftung bei jedem § 3 Abs 1 AVRAG unterfallenden Übergang. Die Erwähnung des § 1409 in § 6 Abs 1 AVRAG beziehe sich nur auf diejenigen Schulden, die nicht ohnedies nach § 3 AVRAG übernommen werden.
Es gibt demnach im wesentlichen drei Auslegungsvarianten (Holzer/Reissner aaO 161):
1. Der Erwerber haftet für Altschulden überhaupt nur nach § 1409. Dies soll sowohl hinsichtlich der Tatbestandsvoraussetzungen als auch bezüglich des Haftungsumfanges gelten.
2. Tatbestandsmerkmal für die Haftung ist ein Betriebsübergang nach § 3 Abs 1 AVRAG. Das Haftungsausmaß richtet sich nach § 1409 ABGB.
3. Der Erwerber haftet aufgrund des Eintrittes in das Arbeitsverhältnis gemäß § 3 Abs 1 AVRAG umfassend für Altschulden. § 6 Abs 1 AVRAG mit seiner Beschränkung des Haftungsumfangs auf § 1409 ABGB ist nur auf jene Schulden anzuwenden, die nicht gemäß § 3 Abs 1 AVRAG übergegangen sind.
Die Erläuternden Bemerkungen (1077 BlgNR 18. GP 14) sehen § 6 Abs 1 AVRAG als Konkretisierung des Art 3 Abs 1 der Richtlinie, der sich auf die Erwerberhaftung für Ansprüche übergeleiteter Arbeitnehmer bezieht. Wörtlich wird ausgeführt, daß "in die bestehende Haftungsregelung des § 1409 ABGB für den Erwerber nicht eingegriffen werden soll".
Die scheinbar im Umfang der Haftung widersprüchlichen Bestimmungen des § 3 Abs 1 und § 6 Abs 1 AVRAG lassen sich bei der gegebenen Notwendigkeit richtlinienkonformer Auslegung im Sinne der überwiegenden Literaturmeinung harmonisieren. § 3 Abs 1 AVRAG ist die Umsetzung des Art 3 Abs 1 der Richtlinie, wonach der Erwerber in alle Rechte und Pflichten der zur Zeit des Überganges aufrechten Dienstverhältnisse eintritt. Eine Einschränkung der Haftung des Erwerbers im Sinne des § 1409 ABGB durch § 6 Abs 1 AVRAG würde nach überwiegender Auffassung mit den Grundsätzen der Richtlinie in Widerspruch stehen. Einfache Normen müssen aber so verstanden werden, daß sie vor höherrangigen, wie beispielsweise europarechtlichen Normen, Bestand haben können (Binder aaO 13). Die Haftungsbeschränkung kann sich daher nur auf solche nicht aufgrund des § 3 Abs 1 AVRAG übernommenen Verpflichtungen beziehen, sohin auf solche aus zum Zeitpunkt des Überganges nicht mehr bestehenden Arbeitsverhältnissen. In diesem Sinne ist die in den Erläuternden Bemerkungen enthaltene Aussage, daß in die bestehende Haftungsregelung des § 1409 ABGB nicht eingegriffen werden soll, zu verstehen. Dafür spricht, daß "dies insbesondere für Leistungen aus betrieblichen Pensionszusagen des Veräußerers gilt, die im Zeitpunkt des Betriebsüberganges bereits erbracht wurden". Auch hier liegt ein zum Zeitpunkt des Betriebsüberganges nicht mehr aufrechtes Arbeitsverhältnis vor. Daß die Haftungsbeschränkung nicht mit der Richtlinie in Widerspruch stehen soll, ergibt sich daraus, daß die beispielhafte Anführung der betrieblichen Pensionszusage sich im Rahmen der nach Art 3 Abs 3 lit a der Richtlinie zulässigen, die Übernahmsautomatik ausschließbaren Ausnahmeregelungen bewegt und daher klar erkennbar ist (...insbesondere...), daß nur in vergleichbaren eine Ausnahmeregelung zulässigen Bereichen eine Haftungsbeschränkung beabsichtigt ist.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 Abs 1 ZPO.