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OGH vom 30.06.2005, 8ObA72/04b

OGH vom 30.06.2005, 8ObA72/04b

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Langer als Vorsitzende, durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Rohrer und den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Spenling sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Peter Zeitler und Robert Maggale als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Arbeiterbetriebsrat der Alfred W***** AG, ***** vertreten durch Dr. Gert Ragossnig, Rechtsanwalt in Graz, wider die beklagte Partei Alfred W***** AG, ***** vertreten durch Binder, Grösswang Rechtsanwälte OEG in Wien, wegen Feststellung, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 7 Ra 7/04k-14, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz als Arbeits- und Sozialgericht vom , GZ 38 Cga 76/03v-10, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil, das in seinem die Mitarbeitergruppe „Besitzstandswahrer" betreffenden klagsstattgebenden Teil als unangefochten unberührt bleibt, wird darüber hinaus, sohin insoweit es die Mitarbeitergruppe „betriebliches Entgegenkommen" betrifft, dahin abgeändert, dass das Ersturteil wiederhergestellt wird.

Die beklagte Partei ist schuldig, der Kammer für Arbeiter und Angestellte für Steiermark an Aufwandsersatz für das Berufungsverfahren EUR 330 zu bezahlen und der klagenden Partei die mit EUR 686,88 (darin EUR 114,48 USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Im Unternehmen der Beklagten gab es Mitarbeiter, auf die der Kollektivvertrag für das graphische Gewerbe anzuwenden war. Diese Mitarbeiter wurden mit in den Geltungsbereich des Kollektivvertrages der papier- und pappeverarbeitenden Industrie übernommen. Grundlage für die Änderung der Kollektivvertragszugehörigkeit war eine „Betriebsvereinbarung", in der festgeschrieben wurde, dass mit Stichtag Rechte aus dem Kollektivvertrag für das graphische Gewerbe, die günstiger sind als jene des Kollektivvertrags für die papier- und pappeverarbeitende Industrie, solange weiter gelten sollten, als sie im aktuellen Kollektivvertrag für das graphische Gewerbe Bestand haben. Die Gruppe der von dieser Vereinbarung betroffenen und im Einzelnen namentlich festgehaltenen Mitarbeiter wurde in der Folge im Unternehmen als „Besitzstandswahrer" bezeichnet.

Dieser Mitarbeitergruppe wurde unter anderem die auf dem Kollektivvertrag für das graphische Gewerbe basierende Druckwerkszulage unverändert weiter gewährt. Diese Zulage war und ist davon abhängig, dass Mitarbeiter mit einer bestimmten Qualifikation Druckmaschinen bedienen.

Eine weitere Gruppe bilden jene Mitarbeiter der Beklagten, die nach dem eingetreten sind. Auf diese Mitarbeiter ist der Kollektivvertrag für die papier- und pappeverarbeitende Industrie, der keine Druckwerkszulage vorsieht, anzuwenden. Diesen Mitarbeitern wurden nach dem gewisse Sonderleistungen des Kollektivvertrags für das graphische Gewerbe betreffend Nachtzulagen, Überstunden, Sonn- und Feiertagsarbeit, verkürzte Ruhezeiten, Urlaubszuschuss sowie Weihnachtsremuneration zugestanden. Im Jahre 1991 erhielten sie aufgrund einer internen mündlichen Abmachung als freiwillige Leistung auch die Druckwerkszulage. Diese Mitarbeitergruppe hat unternehmensintern die Bezeichnung „betriebliches Entgegenkommen".

Beiden Mitarbeitergruppen wurde die Druckwerkszulage nur für Aktiv-Zeiten ausbezahlt. Für die Entgeltfortzahlung wurde die Druckwerkszulage nicht als Berechnungsgrundlage herangezogen. Sie wurde auch nicht während des Urlaubs, während des Krankenstandes, während gesetzlicher Feiertage oder bei anderen Dienstverhinderungsgründen ausbezahlt.

Eine dritte Mitarbeitergruppe im Unternehmen der Beklagten wird ausschließlich nach dem Kollektivvertrag für die papier- und pappeverarbeitende Industrie entlohnt. Die beschriebenen Sonderregelungen finden auf sie keine Anwendung. Diese Mitarbeitergruppe hat die Bezeichnung „Rein PPV".

Mit seiner am beim Erstgericht eingebrachten Klage begehrte der Arbeiterbetriebsrat der Beklagten die Feststellung, dass die regelmäßig gewährte Druckwerkszulage als Entgelt für Zeiten, in denen die Arbeitsleistung wegen Urlaubs, Krankenstandes, gesetzlicher Feiertage oder Dienstverhinderungsgründen gemäß §§ 1154b ABGB iVm der jeweiligen kollektivvertraglichen Regelung ausgefallen ist, fortzubezahlen sei. Trotzdem die Druckwerkszulage Entgelt sei, werde sie während des Urlaubs und Krankenstandes nicht fortbezahlt. Ebenso werde sie nicht für Tage gewährt, an welchen die Arbeitsleistungen wegen eines gesetzlichen Feiertags oder einer Dienstverhinderung nicht erbracht wird. Der Kläger habe den Entgeltfortzahlungsanspruch für sämtliche betroffenen Arbeitnehmer erfolglos bei der Beklagten geltend gemacht. Von dieser Rechtsfrage seien bei weitem mehr als drei Arbeiter, die vom Arbeiterbetriebsrat vertreten werden, betroffen.

Die Beklagte wendete ein, es sei zwischen den Mitarbeitergruppen „Besitzstandswahrer" und „betriebliches Entgegenkommen" zu unterscheiden. Während den erstgenannten Mitarbeitern die Druckwerkszulage als Pauschale in Form des Differenzbetrags zwischen Ist-Lohn und Kollektivvertragslohn auch in Fällen der Entgeltfortzahlung vereinbarungskonform geleistet werde, stelle die Druckwerkszulage für die zweitgenannte Mitarbeitergruppe eine erst ab Jänner 1991 gewährte freiwillige Leistung dar, welche nur für aktive Dienstzeiten geleistet werde. Der Kollektivvertrag der papier- und pappeverarbeitenden Industrie kenne einen „Zuschlag für die Bedienung von zusätzlichen Druckwerken" nicht. Die Rechtmäßigkeit sowohl der Berechnung als auch der Nichtauszahlung des Zuschlags während Abwesenheitszeiten sei auch bei den Beitragsprüfungen der Gebietskrankenkasse anerkannt worden. Die freiwillige Zuerkennung der auf aktive Dienstzeiten beschränkten Druckwerkszulage stelle die Dienstnehmer im Vergleich zu der kollektivvertraglichen Regelung günstiger, ohne dass ein Rechtsanspruch auf Erbringung dieser freiwilligen Leistung auch für Zeiten der Abwesenheit bestehe. Durch den über Jahrzehnte hindurch gleichbleibenden Abrechnungsmodus sei die Druckwerkszulage niemals Entgeltbestandteil für Abwesenheitszeiten geworden. Ein gesetzlicher oder kollektivvertraglicher Anspruch darauf bestehe nicht.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Es traf die eingangs wiedergegebenen Feststellungen und führte zur rechtlichen Beurteilung aus, dass die Druckwerkszulage als Entgeltbestandteil anzusehen sei, der nach dem Ausfallsprinzip auch für Zeiten der Dienstverhinderung zustehe, welcher Anspruch nicht abdingbar sei. Eine allenfalls entgegenstehende „betriebliche Übung" könne dem klägerischen Anspruch schon deshalb nicht entgegengesetzt werden, weil dadurch zwingende gesetzliche Bestimmungen nicht umgangen werden könnten.

Diese Entscheidung erwuchs hinsichtlich der Mitarbeitergruppe „Besitzstandswahrer" in Rechtskraft. Das somit nur hinsichtlich der Klagsstattgebung in Ansehung der Mitarbeitergruppe „betriebliches Entgegenkommen" angerufene Berufungsgericht änderte das Ersturteil insoweit in eine Klagsabweisung ab. Es sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei. Die hier umstrittene Druckwerkszulage sei unzweifelhaft als Leistungszulage zu werten und demnach dem Entgeltbegriff zu unterstellen. Nach den Grundsätzen des (fiktiven) Ausfallsprinzips sei dem Arbeitnehmer jenes regelmäßige Entgelt zu zahlen, welches ihm gebührt hätte, wenn keine Dienstverhinderung eingetreten wäre. Der an seiner Arbeitsleistung verhinderte Arbeitnehmer solle keine Entgelteinbuße dadurch erleiden, dass er die Arbeit nicht verrichten könne. Die Bestimmungen über das Ausfallsprinzip seien zwingend und könnten weder durch Kollektivvertrag noch durch Einzeldienstvertrag umgangen werden. Sie erfassten alle als Gegenleistung für die Überlassung der Arbeitskraft gewährten Leistungen wie etwa Zulagen, Zuschläge und Ähnliches. Die Beklagte könne sich jedoch mit Erfolg darauf berufen, dass die der Mitarbeitergruppe „betriebliches Entgegenkommen" gewährte Druckwerkszulage als freiwillige Leistung dem Ausfallsprinzip nicht unterliege. Im Ergebnis handle es sich dabei um eine freiwillige Entgeltzusage, die nach Ansicht des Berufungsgerichts von der Beklagten zulässigerweise von der Bedingung der tatsächlichen Arbeitsleistung abhängig gemacht wurde. Bei der Gewährung freiwilliger Leistungen sei es zulässig, den Anspruch auf effektive Beschäftigungszeiten zu beschränken. Anderenfalls wäre der Anreiz für Arbeitgeber, solche besondere Leistungszusagen zu machen, wohl gänzlich beseitigt, was zweifellos nicht im Interesse der Arbeitnehmer gelegen sein könne. Eine Ausdehnung der Zulage auf jene Zeiten, für die diese ausdrücklich und nach jahrelanger betrieblicher Übung nicht gewährt worden sei, komme demnach nicht in Betracht. Der Zulage komme nicht der Charakter einer „Anwesenheitsprämie" zu, weil sie den Arbeitnehmer nicht dazu verleiten solle, etwa trotz Krankheit zur Arbeit zu erscheinen. Vielmehr solle den Arbeitnehmern bei Verrichtung bestimmter Arbeiten an bestimmten Maschinen eine besondere freiwillig gewährte und vom Kollektivvertrag nicht vorgesehene Zulage zukommen, die nach betrieblicher Übung auf Zeiten der effektiven Beschäftigung beschränkt sei.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen erhobene Revision des Klägers ist zulässig und berechtigt.

Das Feststellungsbegehren nach § 54 Abs 1 ASGG ist zulässig, da unstrittigerweise bei zumindest drei Arbeitnehmern unmittelbarer Anlass zur Klagsführung gegeben ist und auch die Höhe der Entlohnung aus einem Arbeitsverhältnis als quantitativer Teil der gesamten Rechtsbeziehungen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer feststellungsfähig ist (EvBl 1992/120; 8 ObA 248/94 ua).

Entgelt umfasst nach dem auf dem Gebiet des Arbeitsrechts üblichen Sprachgebrauch jede Leistung, die der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber dafür bekommt, dass er ihm seine Arbeitskraft zur Verfügung stellt (RIS-Justiz RS0031505). Der Begriff Entgelt ist weit auszulegen und umfasst neben dem eigentlichen Gehalt auch die übrigen ordentlichen und außerordentlichen Leistungen zusätzlicher Art, selbst wenn diese auf die tatsächliche Mehrleistung des einzelnen Arbeitnehmers abgestellt und daher, wie im Falle einer Provisionsvereinbarung, variabel sind (RIS-Justiz RS0027975). So wurde etwa die Auslandsverwendungszulage ebenso als Entgelt angesehen (9 ObA 101/03y), wie ein Organisationspauschale (9 ObA 19/93). Entgeltcharakter kommt nach der Rechtsprechung auch jährlich ausbezahlten Leistungsprämien (8 ObA 15/03v) oder der Schichtzulage (9 ObA 295/00y) zu.

Nicht unter dem arbeitsrechtlichen Entgeltbegriff subsumiert werden Aufwandsentschädigungen, die der Abgeltung eines mit der Arbeitsleistung verbundenen finanziellen Aufwands dienen (RIS-Justiz RS0058528). Dass die hier gewährte Druckwerkszulage Aufwandsentschädigung wäre, wurde im Verfahren weder behauptet noch ist Derartiges sonst hervorgekommen. Die Beklagte hat vielmehr den Entgeltcharakter dieser Zulage niemals substantiiert in Frage gestellt und es ergibt sich aus der unbestritten gebliebenen Feststellung des Erstgerichts, dass die Zulage an Mitarbeiter bestimmter Qualifikation für die Bedienung von Druckmaschinen bezahlt werde, völlig unzweifelhaft, dass es sich hier um das Äquivalent für die Zurverfügungstellung von Arbeitskraft und somit um Entgelt im eingangs dargestellten Sinn handelt.

Es ist ständige Rechtsprechung, dass Vereinbarungen unzulässig sind, wonach der an der Arbeitsleistung etwa durch Krankheit verhinderte Arbeitnehmer letztlich eine Entgelteinbuße dadurch erleidet, dass Voraussetzung für den Erhalt des Entgelts in voller Höhe die tatsächliche und ununterbrochene Arbeit während eines bestimmten Zeitraums ist und somit Fehlzeiten zum Entfall oder zur Minderung von Entgelt ohne Rücksicht darauf führen, ob es sich um berechtigte oder unberechtigte Fehlzeiten gehandelt hat. Wie bereits wiederholt ausgesprochen wurde, liegt gerade im Krankheitsfall das Bedenkliche an den sogenannten Anwesenheitsprämien in der Reizwirkung, dass auch wirklich kranke Arbeitnehmer um finanzielle Einbußen zu vermeiden, auf ihre Krankheit keine Rücksicht nehmen und „Raubbau" mit ihrer Gesundheit treiben (RIS-Justiz RS0058567; 9 ObA 295/00y). Wie der Kläger zutreffend darstellt, steht die Vereinbarung von Anwesenheitsprämien in unüberbrückbarem Widerspruch zur zwingenden (§ 12 UrlG) Bestimmung des § 6 UrlG, der ebenso unabdingbaren (§ 6 EFZG) Bestimmung des § 2 EFZG und der nicht minder verbindlichen (§ 40 AngG) Bestimmung des § 8 AngG. Eine ausdrückliche oder konkludente Vereinbarung über die Nichtberücksichtigung von Fehlzeiten bei Berechnung der Höhe von Prämien oder Zuschlägen ist daher teilnichtig (RIS-Justiz RS0058620; SZ 61/251; RdW 2002/162; 8 ObA 15/03v). Bei dieser Rechtslage ist es aber entgegen der vom Berufungsgericht vertretenen Rechtsansicht unerheblich, ob der als Anwesenheitsprämie gestaltete Entgeltteil vom Arbeitgeber freiwillig gewährt wurde oder nicht, weil die genannten gesetzlichen Bestimmungen unabhängig von der Rechtsgrundlage, aufgrund derer die Leistung erbracht wird, unabdingbare sind und zudem der verpönte Effekt des Anreizes zur Arbeitsleistung trotz Krankheit oder zustehender Freizeit in jedem Falle gegeben ist.

Der Revision ist daher Folge zu geben. Bei Wiederherstellung des von der berufungsgerichtlichen Abänderung betroffenen Teiles des Ersturteils bedurfte es entgegen dem Vorbringen der Beklagten in ihrer Berufung keiner engeren Neufassung des Spruchs, weil sich daraus in Zusammenhalt mit den Entscheidungsgründen mit hinreichender Deutlichkeit ergibt, dass nur jene Mitarbeitergruppen betroffen sein können, denen die Druckwerkszulage gewährt wird und dass sich somit das Urteil auf die dritte Mitarbeitergruppe „Rein PPV" in keinem Fall beziehen kann.

Die Entscheidung über die Kosten des Berufungs- und Revisionsverfahrens gründet auf §§ 50, 41 ZPO. Da als Ausgangspunkt für die Ermittlung der Bemessungsgrundlage der höchstmögliche Zweifelsstreitwert für Arbeitsrechtssachen nach § 54 Abs 1 ASGG von 21.800 EUR (§ 10 Z 6a RATG) zugrundezulegen ist, kann in Anbetracht der rechtskräftigen Teilabweisung im Revisionsverfahren nur mehr die Hälfte dieses Ansatzes Bemessungsgrundlage sein.