OGH vom 24.03.2014, 8ObA54/13v
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Spenling als Vorsitzenden und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Kuras sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Tarmann Prentner und die fachkundigen Laienrichter Dr. Reinhard Drössler und Dr. Gerda Höhrhan Weiguni als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei O***** L*****, vertreten durch Held Berdnik Astner Partner Rechtsanwälte GmbH in Graz, gegen die beklagten Parteien 1. K***** GmbH, vertreten durch Dr. Paul Wuntschek, Rechtsanwalt in Graz, als Insolvenzverwalter im Konkurs über das Vermögen der D*****, 2. D*****, wegen 7.698,52 EUR sA, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 6 Ra 41/13s 41, mit dem über Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Arbeits- und Sozialgericht vom , GZ 8 Cga 29/12z 35, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt und beschlossen:
Spruch
Der Revision wird Folge gegeben.
1. Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden hinsichtlich der Erstbeklagten aufgehoben. Die Arbeitsrechtssache wird insoweit zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen. Die darauf entfallenden Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
2. Im Übrigen nämlich hinsichtlich der zweitbeklagten Partei werden die Entscheidungen der Vorinstanzen dahin abgeändert, dass sie als Teilurteil zu lauten haben:
„Die Zweitbeklagte ist schuldig, der klagenden Partei 7.698,52 EUR samt 8,8 % Zinsen seit binnen 14 Tagen zu zahlen.“
Die Entscheidung über die hierauf entfallenden Kosten bleibt der Endentscheidung vorbehalten.
Text
Entscheidungsgründe:
Der klagende Pilot, ein französischer Staatsbürger, war vom bis als Co Pilot bei der früher erstbeklagten KG beschäftigt, deren Komplementär die Zweitbeklagte ist. Das Dienstverhältnis endete durch Entlassung.
Der Dienstvertrag enthält in die deutsche Sprache übersetzt unter anderem folgenden Passus:
„ 22. Ansprüche aus diesem Dienstverhältnis sind schriftlich beim Dienstgeber innerhalb von drei Monaten nach deren Auftreten geltend zu machen, andernfalls verfallen sie. Bei schriftlicher Geltendmachung solcher Ansprüche bleiben die gesetzlichen Verjährungs und Verfallsfristen gewahrt. “
Der Kläger hat die im vorliegenden Verfahren geltenden Ansprüche erstmals mit Schreiben vom gegenüber seiner früheren Arbeitgeberin geltend gemacht.
Der Kläger begehrte zunächst von beiden Beklagten die Zahlung von 7.698,52 EUR brutto. Er bestritt die Berechtigung seiner Entlassung und begehrte Kündigungsentschädigung einschließlich der darin enthaltenen Sonderzahlungen samt Urlaubsersatzleistung. Er habe die Klage fristgerecht innerhalb der Frist des § 34 AngG eingebracht. Die Verkürzung der Verfallsfrist nach Punkt 22 seines Dienstvertrags sei unwirksam.
Über das Vermögen der erstbeklagten KG wurde nach Einbringung der Mahnklage das Insolvenzverfahren eröffnet. Das durch die Insolvenzeröffnung unterbrochene Verfahren wurde über Antrag des Klägers mit Beschluss vom gegenüber dem beklagten Insolvenzverwalter fortgesetzt. Gegen diesen begehrte der Kläger nunmehr die Feststellung, dass seine bestrittene Forderung im Konkursverfahren über das Vermögen der erstbeklagten Partei mit 6.973 EUR netto zu Recht bestehe.
Die Beklagten bestritten das Klagebegehren und wendeten Verfall ein. Die Entlassung sei im Übrigen gerechtfertigt gewesen, da der Kläger interne Betriebsinformationen weitergegeben und unzulässigerweise die Firmenkreditkarte privat verwendet habe.
Das Erstgericht wies die Klagebegehren ab. Nach seinen Feststellungen hat der Kläger weder Kundendaten weitergegeben, noch hat er die Firmenkreditkarte privat verwendet. Die Ansprüche des Klägers seien aber aufgrund der Vereinbarung im Dienstvertrag verfallen. Die Begünstigung durch die fristwahrende Wirkung der außergerichtlichen Geltendmachung sei wesentlich bedeutsamer als die Fristverkürzung. Die dreimonatige Frist biete einem Arbeitnehmer auch ausreichend Zeit für Überlegungen.
Das Berufungsgericht gab der gegen dieses Urteil erhobenen Berufung des Klägers nicht Folge. Es handle sich bei den vom Kläger geltend gemachten Ansprüchen um solche, die unter die Ausschlussfrist des § 34 AngG fallen würden. Eine Verfallsklausel sei nur dann sittenwidrig, wenn sie die Geltendmachung von Ansprüchen ohne sachlichen Grund übermäßig erschwere. Gerade § 34 AngG bezwecke eine möglichst rasche Bereinigung der nach Auflösung des Arbeitsverhältnisses noch offenen Ansprüche. Da § 34 AngG aber eine gerichtliche Geltendmachung erfordere, sei es durchaus zulässig und üblich, in Kollektivverträgen oder Einzelverträgen andere Fristen zu vereinbaren. Dies sei insoweit zulässig, als die Geltendmachung der Ansprüche nicht unbillig erschwert werde. Fristen von drei Monaten seien keine unbillige Erschwerung. Auch sei die Möglichkeit der Geltendmachung von Ansprüchen in einem bloß außergerichtlichen Aufforderungsschreiben günstiger als die gerichtliche Geltendmachung. In diesem Sinn habe der Oberste Gerichtshof zu 9 ObA 141/05h bereits ausgesprochen, dass n ach der gemäß § 1164 ABGB bzw § 40 AngG anzustellenden Gesamtbeurteilung eine kollektivvertragliche Bestimmung, wonach sämtliche Ansprüche verfallen, wenn sie nicht innerhalb einer Frist von vier Monaten nach Fälligkeit schriftlich beim Arbeitgeber geltend gemacht werden, wobei bei rechtzeitiger Geltendmachung die gesetzliche dreijährige Verjährungsfrist gewahrt bleibt, insgesamt günstiger als die Präklusivbestimmung des § 1162d ABGB (bzw § 34 AngG) und daher uneingeschränkt anzuwenden sei. Dies gelte auch für die hier vereinbarte Verkürzung der Verfallsfrist auf drei Monate.
Im Hinblick auf die bereits vorliegende Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs erachtete das Berufungsgericht die ordentliche Revision als nicht zulässig.
Rechtliche Beurteilung
Die gegen das Urteil erhobene Revision des Klägers ist zulässig, weil der vorliegende Fall mit dem in der zitierten Vorentscheidung zu beurteilenden Sachverhalt nicht vergleichbar ist. Anders als zu 9 ObA 141/05h soll nämlich nach der hier zu beurteilenden Verfallsbestimmung obwohl die Ansprüche innerhalb von drei Monaten außergerichtlich geltend gemacht werden müssen danach weiter die gesetzliche Verfallsfrist gelten.
Die Revision ist auch berechtigt.
I. Der Oberste Gerichtshof erachtet in ständiger Rechtsprechung auch bei unabdingbaren Ansprüchen eine Vereinbarung über die Verkürzung der gesetzlichen Verjährungsfrist für deren außergerichtliche Geltendmachung als zulässig (zuletzt ausführlich und unter Auseinandersetzung mit der teilweise kritischen Lehre 9 ObA 1/14h). Dies ist darauf zurückzuführen, dass der Oberste Gerichtshof zwischen der Frage der Unabdingbarkeit eines Anspruchs und dessen Geltendmachung unterscheidet und davon ausgeht, dass hinsichtlich der allgemeinen gesetzlichen Verjährungsfrist Unabdingbarkeit nicht vorgesehen ist (ausführlich 9 ObA 1/14h).
II. Diese Überlegung trifft aber auf die Frist des § 34 AngG nicht zu. § 40 AngG bestimmt, dass eine Einschränkung der Rechte der Arbeitnehmer unter anderem auch aus der Bestimmung des § 34 AngG unzulässig ist. Daher ist eine Verkürzung der Sechsmonatsfrist für die gerichtliche Geltendmachung der Kündigungsentschädigung bei einer unberechtigten Entlassung (§ 34 AngG) zum Nachteil des Arbeitnehmers grundsätzlich nicht wirksam.
III. Der vom Berufungsgericht zitierten Entscheidung 9 ObA 141/05h lag eine Kollektivvertragsklausel zugrunde, die vorsah, dass sämtliche Ansprüche verfallen, wenn sie nicht innerhalb einer Frist von vier Monaten nach Fälligkeit schriftlich beim Arbeitgeber geltend gemacht werden, wobei dann aber bei rechtzeitiger Geltendmachung die gesetzliche dreijährige Verjährungsfrist gewahrt bleiben sollte. Dies bedeutet, dass wenn innerhalb der viermonatigen Frist die Ansprüche außergerichtlich geltend gemacht werden wieder die ursprüngliche dreijährige gesetzliche Verjährungsfrist Geltung haben soll.
Zur Beurteilung, ob durch diese Klausel eine unzulässige „Einschränkung der Rechte“ des Arbeitnehmers im Sinne des § 1162d ABGB (§ 40 AngG) erfolgt, hat der Oberste Gerichtshof in sinngemäßer Anwendung des § 3 Abs 2 ArbVG einen Günstigkeitsvergleich angestellt. Dabei ist nicht auf die subjektive Einschätzung des einzelnen Arbeitnehmers oder Arbeitgebers abzustellen, sondern darauf, ob der Gesamtkomplex der jeweils zusammenhängenden Bestimmungen bei einer ex ante Betrachtung für die Arbeitnehmer günstiger ist (9 ObA 141/05h mzwN).
In der Entscheidung 9 ObA 141/05h ging der Oberste Gerichtshof davon aus, dass eine viermonatige Frist für die außergerichtliche Geltendmachung seiner Ansprüche dem durchschnittlichen Arbeitnehmer ausreicht, um zu entscheiden, ob er Ansprüche in dieser wenig aufwändigen Art geltend machen will oder nicht. Schließlich wird vom Angestellten dabei ja nichts anderes verlangt, als ein formloses und in jeder Hinsicht risikoloses Schreiben. Insoweit bedarf es auch keiner weiteren eingehenden Überlegungen und rechtskundiger Beratungen, sodass der Nachteil aus der verkürzten Frist gering ist, dem Arbeitnehmer dann aber die dreijährige Verjährungsfrist und nicht bloß die sechsmonatige Verfallsfrist des § 1162d ABGB zusteht. Bei dieser Entscheidung wurde also dem Nachteil aus einer vorweg kürzeren Frist für eine bloß form- und risikolose außergerichtliche Geltendmachung der Vorteil aus der dann festgelegten längeren Frist von drei Jahren für die gerichtliche Geltendmachung gegenübergestellt.
IV. Genau an diesem Vorteil aus einer Verlängerung der Frist für die gerichtliche Geltendmachung bei vorweg formloser außergerichtlicher Geltendmachung mangelt es hier jedoch, sollen doch auch nach der rechtzeitigen formlosen außergerichtlichen Geltendmachung weiter die gesetzlichen Verfalls- und Verjährungsregeln gelten, und damit auch die Sechsmonatsfrist des § 34 AngG. Dem Nachteil aus dem Erfordernis der Einhaltung der vereinbarten Dreimonatsfrist für die außergerichtliche Geltendmachung steht also kein Vorteil gegenüber. Eine Klausel, wonach eine schriftliche Geltendmachung innerhalb von drei Monaten erforderlich ist, ohne dass eine Verlängerung der sechsmonatigen Verfallsfrist vorgesehen wird, hält aber dem Günstigkeitsvergleich nicht stand und ist daher unwirksam (RIS-Justiz RS0021731).
V. Da die Klage auf Kündigungsentschädigung innerhalb der Sechsmonatsfrist des § 34 AngG eingebracht wurde, liegt daher der von den Vorinstanzen herangezogene Abweisungsgrund nicht vor.
VI. Die von den Beklagten behaupteten Entlassungsgründe wurden nach den erstgerichtlichen Feststellungen nicht nachgewiesen. Obwohl sich der Kläger in seiner Berufung auf diese Feststellungen bezogen hat, wurden sie von den Beklagten in zweiter Instanz nicht bekämpft (§ 468 Abs 2 ZPO). Sie sind daher der Entscheidung zugrunde zu legen, womit sich aber die Entlassung als unberechtigt erweist, sodass die geltend gemachte Kündigungsentschädigung dem Grunde nach zu Recht besteht.
VII. Die Berechnung der Höhe der geltend gemachten Ansprüche haben die Beklagten außer Streit gestellt, sodass gegen die Zweitbeklagte ein der Klage stattgebendes Teilurteil ergehen konnte (vgl etwa Rechberger in Rechberger ZPO 3 §§ 391-392 Rz 2 sowie Fucik in Rechberger ZPO 3 § 14 Rz 5). Aus der außer Streit gestellten Berechnung lässt sich jedoch der gegen den Erstbeklagten begehrte Nettobetrag nicht ableiten. Da insoweit Feststellungen fehlen, waren die Entscheidungen der Vorinstanzen soweit sie den Erstbeklagten betreffen aufzuheben und die Arbeitsrechtssache in diesem Umfang an das Erstgericht zurückzuverweisen, das die Höhe des Klagebegehrens mit den Streitteilen zu erörtern und sodann festzustellen haben wird.
VIII. Die Kostenentscheidung hinsichtlich der Zweitbeklagten gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO, hinsichtlich des Erstbeklagten auf § 52 Abs 4 ZPO.
European Case Law Identifier
ECLI:AT:OGH0002:2014:008OBA00054.13V.0324.000