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OGH vom 28.11.2019, 9ObA33/19x

OGH vom 28.11.2019, 9ObA33/19x

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden, den Hofrat Dr. Hargassner und die Hofrätin Mag. Korn sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Thomas Stegmüller und Mag. Michaela Puhm als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei E*****, vertreten durch Robathin & Partner Rechtsanwalts GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei Dr. C*****, als Insolvenzverwalter in der Insolvenz der Schuldnerin M***** GmbH, *****, (AZ ***** HG Wien), wegen 17.300 EUR sA, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 9 Ra 83/18v-20, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

1. Das unterbrochene Verfahren wird aufgenommen. Die Bezeichnung der beklagten Partei wird wie im Kopf der Entscheidung ersichtlich berichtigt.

2. Die außerordentliche Revision wird zurückgewiesen.

3. Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 86,58 EUR (darin enthalten 14,43 EUR USt) bestimmten Kosten des Fortsetzungsantrags binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung:

I. Zur Fortsetzung und Berichtigung der Parteienbezeichnung:

Über das Vermögen der vormals beklagten Schuldnerin wurde nach Erhebung der Revision mit Beschluss des Handelsgerichts Wien vom , AZ *****, das Insolvenzverfahren eröffnet und der nunmehrige Beklagte zum Insolvenzverwalter bestellt. Die Klägerin meldete die verfahrensgegenständliche Forderung im Insolvenzverfahren an. In der am abgehaltenen Prüfungstagsatzung wurde die Forderung vom Insolvenzverwalter bestritten. Die Klägerin beantragte daraufhin mit Schriftsatz vom die Fortsetzung des unterbrochenen Verfahrens.

Rechtliche Beurteilung

Ist die Unterbrechung des Verfahrens gemäß § 7 Abs 1 IO im Revisionsstadium eingetreten, dann ist der Oberste Gerichtshof zur Entscheidung über den Aufnahmeantrag und die Berichtigung der Bezeichnung der Partei, über deren Vermögen das Insolvenzverfahren eröffnet wurde, berufen (§ 165 Abs 1 ZPO; RS0097353).

II. Zur außerordentlichen Revision des Beklagten:

1. Es liegt nicht schon deshalb eine erhebliche Rechtsfrage vor, weil gleiche oder ähnliche Auslegungsfragen in mehreren Verfahren zu lösen sind (RS0042742 [T9]). Der Oberste Gerichtshof ist ausschließlich als Rechtsinstanz zur Überprüfung von Rechtsfragen tätig (RS0123663 [T2]). Der Umstand, dass die Tatsacheninstanzen in mehreren ähnlich gelagerten Verfahren zu abweichenden Tatsachenfeststellungen gelangen, kann nicht an den Obersten Gerichtshof herangetragen werden.

2.Unter Entgelt wird im Arbeitsrecht jede Art von Leistung verstanden, die dem Dienstnehmer für die Zurverfügungstellung seiner Arbeitskraft gewährt wird. Leistungen Dritter sind dem Arbeitsentgelt zuzurechnen, wenn zwischen dem Dienstgeber und dem Dienstnehmer entsprechende vertragliche Vereinbarungen getroffen wurden oder wenn sich eine Zuordnung der Leistungen aus den sonstigen Umständen ergibt; so wenn sie etwa für Tätigkeiten gewährt werden, die zu den dienstvertraglich geschuldeten zählen. Im Gegensatz dazu stehen Leistungen, die einem Dienstnehmer nur aus Gelegenheit seines Dienstverhältnisses von Dritten zufließen, die aber nicht Bestandteil des geschuldeten Entgelts sind. Diese Leistungen sind zwar als Einkommen des Dienstnehmers anzusehen, aber in die Ermittlung des arbeitsrechtlichen Entgeltsanspruchs nicht einzubeziehen (9 ObA 249/94 mwN). Die Vereinbarung der Teilhabe von Arbeitnehmern, die nicht unmittelbar Trinkgelder beziehen, an den Trinkgeldern jener Arbeitnehmer, die regelmäßig Trinkgelder beziehen, wird von der Rechtsprechung als zulässig angesehen. Dies wird unter anderem damit begründet, dass ein solches System dem Ansatz des § 27 Abs 3 und 4 Glücksspielgesetz nachempfunden ist, der die Aufteilung der „Cagnotte“ auf die Gesamtheit der Arbeitnehmer eines Konzessionärs gestattet (9 ObA 37/10x).

3. Im zwischen den Parteien geschlossenen Dienstvertrag ist festgehalten, dass realisierte Trinkgelder ausschließlich dem Dienstnehmer zustehen.

Dessen ungeachtet musste nach den Feststellungen die Klägerin so wie andere Spielleiter aufgrund einer Vorgabe der Geschäftsführung und entsprechender Weisung durch die Vorgesetzten einen bestimmten Betrag aus den eingenommenen Trinkgeldern als „Tischgeld“ an die Spielinspektoren abführen, das dann an andere Mitarbeiter der Beklagten verteilt wurde.

Soweit sich der Beklagte daher in der außerordentlichen Revision darauf beruft, dass es den Mitarbeitern frei steht, untereinander eine Vereinbarung über die Aufteilung von Trinkgeldern zu treffen, entfernt er sich vom festgestellten Sachverhalt, aus dem eine derartige Vereinbarung gerade nicht abgeleitet werden kann. Dasselbe gilt für die Ausführungen in der außerordentlichen Revision, die von einer betrieblichen Übung zwischen den Mitarbeitern und nicht von einer Weisung durch Vorgesetzte ausgehen.

Richtig ist, dass von einer schriftlichen Vereinbarung auch mündlich oder schlüssig abgegangen werden kann. Dass die Schuldnerin mit der Klägerin aber eine vom Dienstvertrag abweichende Vereinbarung über die Verwendung von Trinkgeldern getroffen hat, wurde weder in erster Instanz behauptet, noch lässt sich eine solche Vereinbarung den Feststellungen entnehmen.

4. Der Revisionswerber missversteht die Ausführungen des Berufungsgerichts, wenn er meint, dass dieses von einer unechten Trinkgeldvereinbarung, also Trinkgeld als von der Schuldnerin geschuldetem Entgelt, ausgeht. Vielmehr hat das Berufungsgericht das Abführen eines Tischgeldes als rechtsgrundlose Vermögensverschiebung angesehen, die einen Bereicherungsanspruch der Klägerin begründet. Da die Zahlung der Klägerin aufgrund einer Vorgabe der Geschäftsführung, einer Anweisung des Betriebsleiters und einer Weisung der Spielinspektoren erfolgte und damit auf ausdrückliche Anweisung der Schuldnerin, ist diese bzw der Beklagte für einen solchen Kondiktionsanspruch auch passivlegitimiert. Wofür die Schuldnerin das Geld letztlich verwendet hat, ist in diesem Zusammenhang nicht von Relevanz, weshalb ein Widerspruch zum Parallelverfahren nicht vorliegt (vgl 8 ObA 18/19y).

5. Soweit die außerordentliche Revision auf die Entscheidungen 8 ObA 283/99x und 9 ObA 37/10x verweist, hat schon das Berufungsgericht dargestellt, dass diesen Entscheidungen ein anderer Sachverhalt, nämlich eine konkrete Vereinbarung über die Aufteilung des Trinkgeldes, zugrunde lag. Aus dem Umstand, dass der Oberste Gerichtshof in diesen Entscheidungen ein der „Cagnotte“ nachgebildetes Trinkgeldsystem für zulässig erachtete, lassen sich für den vorliegenden Fall, der gerade durch das Fehlen einer solchen Vereinbarung gekennzeichnet ist, keine Rückschlüsse ziehen. Aus diesen Entscheidungen lässt sich daher für den Beklagten nichts gewinnen.

6. Mangels einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO ist die außerordentliche Revision zurückzuweisen. Einer weiteren Begründung bedarf diese Zurückweisung nicht (§ 510 Abs 3 Satz 3 ZPO).

III. Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der beklagten Partei kann zwar gegen diese während des Insolvenzverfahrens ein Leistungsurteil nicht erwirkt werden. Durch die Aufnahme des zunächst unterbrochenen Verfahrens wird der bisherige Leistungsprozess gemäß § 113 IO zu einem Prüfungsprozess nach § 110 IO. Die deshalb notwendige Klagsänderung ist ohne Bedachtnahme auf die sonstigen Voraussetzungen einer derartigen Prozesshandlung zulässig. Sie ist auf Antrag oder auch von Amts wegen in jeder Lage des Verfahrens, also selbst noch im Revisionsstadium, vorzunehmen (8 ObA 104/01d ua). Entscheidet daher der Oberste Gerichtshof in einem solchen Fall in der Sache selbst – sei es bestätigend oder abändernd, sei es klagsstattgebend oder klagsabweisend –, ist der Urteilsspruch auf (Nicht)Feststellung einer Insolvenzforderung umzustellen beziehungsweise ist die angefochtene Entscheidung mit einer solchen Maßgabe zu bestätigen (6 Ob 35/14m mwN).

Keine Umstellung bzw Maßgabebestätigung hat jedoch zu erfolgen, wenn der Oberste Gerichtshof eine außerordentliche Revision zurückweist (6 Ob 35/14m ua).

IV. Für die Revisionsbeantwortung stehen der Klägerin keine Kosten zu, da eine vor Zustellung der Mitteilung nach § 508a Abs 2 Satz 1 ZPO erstattete Beantwortung nicht zu honorieren ist (RS0043690).

Im Übrigen gründet sich die Kostenentscheidung auf § 41, 50 ZPO. Die Masse hat die Kosten jener Verfahrenshandlungen zu ersetzen, die die Klägerin nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens gesetzt hat (§ 113 iVm § 112 Abs 2 IO), im konkreten Fall daher die Kosten des Fortsetzungsantrags. Dieser war allerdings nur nach TP 1 zu honorieren.

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:OGH0002:2019:009OBA00033.19X.1128.000

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