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OGH vom 29.01.2013, 9ObA26/12g

OGH vom 29.01.2013, 9ObA26/12g

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden, den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Ziegelbauer sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Andreas Mörk und AR Angelika Neuhauser als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei V***** R*****, vertreten durch Dr. Walter Reichholf, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei ***** U***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Thomas Jappel, Rechtsanwalt in Wien, wegen 4.897,79 EUR brutto sA (Revisionsinteresse 4.810,21 EUR), über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen vom , GZ 7 Ra 93/11i 47, womit das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichts Wien vom , GZ 18 Cga 75/08t 43, in der Hauptsache bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision der beklagten Partei wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 447,98 EUR (darin 74,66 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

In der Revisionsentscheidung kann die Wiedergabe des Parteivorbringens und der tatsächlichen Entscheidungsgrundlagen auf das beschränkt werden, was zum Verständnis der Rechtsausführungen des Revisionsgerichts erforderlich ist (§ 510 Abs 3 Satz 1 ZPO). Danach ist Folgendes voranzustellen:

Der Kläger war bei der Beklagten ab beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis wurde durch Entlassung des Klägers am beendet. Der Kläger hat weder Paletten gestohlen noch sie sonst verbracht. Der in der EDV eines in Geschäftsverbindung zur Beklagten stehenden, im Ersturteil näher bezeichneten Spediteurs aufscheinende Fehlbestand an Lademitteln insbesondere Paletten korreliert nicht mit dem tatsächlichen Bestand an Lademitteln.

Der Kläger begehrte mit der vorliegenden Klage nach Einschränkung des Klagebegehrens zuletzt den Betrag von 4.897,79 EUR brutto sA für restlichen Lohn, Überstunden, Kündigungsentschädigung, Sonderzahlungen, Urlaubsersatzleistung, Diäten und auf die offenen Entgeltforderungen entfallende Abfertigungsbeiträge. Die Entlassung sei nicht gerechtfertigt gewesen. Der Kläger sei weder für einen Lademittelfehlbestand verantwortlich, noch existiere ein solcher. Das direkte Begehren der Abfertigung vom Arbeitgeber sei (bei der „Abfertigung neu“) im Gesetz nach Klärung der zustehenden Ansprüche vorgesehen.

Die Beklagte bestritt das Klagebegehren, beantragte dessen Abweisung und wendete soweit für das Revisionsverfahren relevant ein, dass sie bezüglich der begehrten Abfertigung nicht passiv legitimiert und diese auch noch nicht fällig sei. Im Übrigen habe der Kläger einen Fehlbestand an Lademitteln (Paletten, Gitterboxen) zu verantworten, der dazu geführt habe, dass die Beklagte von einer Spedition mit Kosten von 2.671,80 EUR belastet worden sei. Die Beklagte habe diese Kosten beglichen und Teilbeträge von 391,40 EUR und 1.190,43 EUR von den Entgeltforderungen des Klägers abgezogen. Der Restbetrag von 1.089,97 EUR werde als Gegenforderung gegen die Klageforderung aufrechnungsweise eingewendet.

Das Erstgericht stellte in seinem Urteil fest, dass die Klageforderung mit 4.810,21 EUR brutto sA zu Recht bestehe, wohingegen die Gegenforderung der Beklagten von 1.089,97 EUR nicht zu Recht bestehe. Es erkannte daher die Beklagte schuldig, dem Kläger den Betrag von 4.810,21 EUR brutto sA zu zahlen, während es das Mehrbegehren von 87,58 EUR brutto sA abwies. Die Entlassung sei nicht gerechtfertigt gewesen. Die Ansprüche des Klägers bestünden überwiegend zu Recht. Der Kläger sei nach § 6 Abs 3 BMSVG nicht gehalten, die Abfertigung gesondert einzuklagen. Ein ersatzfähiger Schaden der Beklagten liege nicht vor.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten nur im Kostenpunkt Folge. In der Hauptsache wurde das Ersturteil bestätigt. Es trat der rechtlichen Beurteilung des Erstgerichts, die es noch weiter vertiefte, im Wesentlichen bei. Die ordentliche Revision wurde mit der Begründung zugelassen, dass zur Auslegung des § 6 Abs 3 BMSVG oberstgerichtliche Rechtsprechung fehle.

Gegen die Berufungsentscheidung richtet sich die Revision der Beklagten wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung im Sinn der gänzlichen Abweisung des Klagebegehrens abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Kläger beantragt, die Revision, soweit sie über die begehrte Abfertigung von 74,88 EUR hinausgehe, mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der Beklagten ist gemäß § 502 Abs 1 ZPO (zur Gänze) zulässig; sie ist jedoch nicht berechtigt.

Im Revisionsverfahren geht es um zwei Fragen, nämlich die vom Kläger begehrten Abfertigungsbeiträge und die von der Beklagten teils außergerichtlich aufgerechnete, teils gerichtlich aufrechnungsweise geltend gemachte Gegenforderung. Davon abgesehen sind die einzelnen Teilforderungen der Klageforderung im Revisionsverfahren nicht mehr strittig. Auch die von den Vorinstanzen verneinte Rechtfertigung der Entlassung des Klägers wird von der Revisionswerberin nicht mehr releviert.

Zur Abfertigung:

Der Kläger begehrte zuletzt von der Beklagten neben den mit der vorliegenden Klage geltend gemachten diversen Entgeltansprüchen auch die direkte Zahlung der von diesen Ansprüchen abgeleiteten Abfertigungsbeiträge in der Höhe von 74,88 EUR. Von diesem Betrag wies das Erstgericht im Rahmen der oben erwähnten teilweisen Abweisung des Klagebegehrens von 87,58 EUR sA auch einen auf die Abfertigung entfallenden Teilbetrag von 2,39 EUR sA ab. Die Teilabweisung erwuchs in Rechtskraft. Strittig ist daher im Revisionsverfahren nur mehr eine Abfertigung von 72,49 EUR sA.

Das Abfertigungsbegehren des Klägers beruht auf § 6 Abs 3 Satz 2 BMSVG. Diese Bestimmung, die ab mit Novelle BGBl I 2007/102 eingeführt wurde, lautet wie folgt:

„ Sind vom Arbeitgeber (Bund) noch Beiträge nach dem BMSVG für bereits vergangene Beitragszeiträume samt Verzugszinsen aus einem bereits beendeten Arbeitsverhältnis aufgrund eines rechtskräftigen Gerichtsurteils oder eines gerichtlichen Vergleiches (§ 204 der Zivilprozessordnung, RGBl. Nr. 113/1895) zu leisten, sind diese Beiträge samt Verzugszinsen als Abfertigung direkt an den Arbeitnehmer auszuzahlen. “

Mit dieser Bestimmung wurde eine Art Direktabfertigung innerhalb des Systems „Abfertigung neu“ geschaffen ( Resch in Mayr/Resch , BMSVG² § 6 Rz 103). Die Auslegung dieser Bestimmung durch die Revisionswerberin, wonach der Arbeitnehmer zuerst ein rechtskräftiges Gerichtsurteil über restliche Entgeltansprüche über bereits vergangene Beitragszeiträume aus einem bereits beendeten Arbeitsverhältnis erwirken müsse, bevor er dann den Arbeitgeber in einem zweiten Prozess auf Zahlung der Beiträge als Abfertigung belangen könne, greift zu kurz. Die Revisionswerberin missversteht den Wortlaut der Regelung und lässt deren Zweck unberücksichtigt.

Von der in § 6 Abs 3 BMSVG geregelten nachträglichen Beitragszahlung war bis zur erwähnten Novelle nur der Fall der Sozialversicherungsprüfung nach § 41a ASVG erfasst. Mit der Einführung des Satzes 2 in § 6 Abs 3 BMSVG sollten nun auch jene Fälle erfasst werden, in denen aufgrund eines Gerichtsurteils oder eines gerichtlichen Vergleichs durch den Arbeitgeber Entgeltnachzahlungen und Beiträge samt Verzugszinsen nachträglich nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu leisten sind. Diese sollen allerdings nicht über den Träger der Krankenversicherung an die Betriebliche Vorsorgekasse (BV Kasse) geleistet werden, sondern aus Kostengründen (Verwaltungskosten des Krankenversicherungsträgers und der BV Kasse) direkt vom Arbeitgeber an den Arbeitnehmer als Abfertigung ausgezahlt werden. Die Weiterleitung derartiger Beiträge könnte entweder gar nicht oder nur mit einem unverhältnismäßig hohen administrativen Aufwand seitens der Krankenversicherungsträger bewerkstelligt werden. Zusätzlich waren diese Beiträge in den meisten Fällen bloße verrechnungstechnische „Durchlaufposten“. Daher wurde in diesen Fällen der Weg der Direktauszahlung gewählt. Ausgenommen von der Direktzahlung sollten jene Fälle bleiben, in denen Beitragszahlungen aufgrund eines Gerichtsurteils oder eines gerichtlichen Vergleichs noch im aufrechten Arbeitsverhältnis zu leisten sind (etwa im Fall der Anfechtung einer Kündigung oder Entlassung des Arbeitnehmers, wenn das Gericht der Klage stattgibt). In diesen Fällen sind die Beiträge im Weg des Krankenversicherungsträgers an die BV Kasse zu überweisen und vom Arbeitgeber eine entsprechende Korrektur der Beitragsmeldungen vorzunehmen (RV 300 BlgNR 23. GP 6, 17).

Damit wurde klargestellt, dass im Fall des § 6 Abs 3 Satz 2 BMSVG Verwaltungskosten und unnötiger administrativer Aufwand gespart werden sollen ( Resch in Mayr/Resch , BMSVG² § 6 Rz 104). Die Auslegung der Revisionswerberin, wonach der Arbeitnehmer gegen den Arbeitgeber zwei aufeinander folgende Prozesse führen müsse, um eine Direktzahlung einer Abfertigung iSd § 6 Abs 3 Satz 2 BSMVG durchzusetzen, gibt dem Wortlaut der Regelung eine Bedeutung, die dieser nicht hat, und läuft der von der BMSVG Novelle beabsichtigten Vereinfachung der Abwicklung zuwider. Richtig ist, dass die Bestimmung auf ein „rechtskräftiges Gerichtsurteil“ (oder einen Vergleich) abstellt. Entgegen der Auffassung der Revisionswerberin spricht § 6 Abs 3 Satz 2 BMSVG aber vom Gerichtsurteil nicht als einer Voraussetzung der Einklagung der restlichen Beiträge, sondern als einer Voraussetzung der Auszahlung (arg „ Sind vom Arbeitgeber … noch Beiträge nach dem BMSVG … aufgrund eines rechtskräftigen Gerichtsurteils … zu leisten, sind diese Beiträge … als Abfertigung direkt an den Arbeitnehmer auszuzahlen “). Die Voraussetzungen des § 6 Abs 3 Satz 2 BSMVG für die Auszahlung sind daher durchaus im Rahmen einer gemeinsamen Einklagung restlicher Entgeltansprüche und der daraus abgeleiteten Beiträge als Abfertigung erreichbar ( Neubauer/Rath in Neubauer/Rath/Hofbauer/Choholka , BMSVG § 6 Rz 145 ff). Das für die Auszahlung erforderliche rechtskräftige Urteil über die BMSVG Beiträge liegt, weil die Beklagte auch den Revisionsweg beschritt, jedenfalls mit Zustellung der Revisionsentscheidung an die Parteien vor.

Entgegen der Auffassung der Revisionswerberin ergibt sich auch nichts Gegenteiliges aus der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs zu 8 ObS 5/09g. Dort ging es um die Anwendung der Spezialbestimmung des § 13d Abs 1 IESG.

Zur Gegenforderung:

Die Beklagte macht den Kläger für einen Fehlbestand von Lademitteln bei einem Dritten verantwortlich. Ihren Schaden leitet sie daraus ab, dass sie den ihr von diesem Dritten in Rechnung gestellten Schaden beglichen habe. Richtig ist der Hinweis der Revisionswerberin, dass der Schadenersatzanspruch nicht von der Rechtfertigung der Entlassung abhängt. Dass das genannte Dreiecksverhältnis in der Schadensabwicklung aber auch nichts daran ändert, dass der Kläger nur für einen Schaden haftet, den er verursacht und verschuldet hat, bedarf auch keiner besonderen Erörterung (§§ 1293 ff ABGB). Diese Voraussetzungen liegen allerdings, wie das Berufungsgericht zutreffend begründete und zusammenfasste, nicht vor. Auf die Ausführungen des Berufungsgerichts wird daher verwiesen (§ 510 Abs 3 Satz 2 ZPO). Dass die bloße Rechnung eines Dritten nicht ausreicht, um einen Schadenersatzanspruch der Beklagten gegen den Kläger zu begründen, bedarf keiner besonderen Erörterung. Die Behauptung, dass der Kläger gar nicht bestritten habe, dass ein Fehlbestand vorgelegen sei, trifft nicht zu. Auf den vorbereitenden Schriftsatz des Klägers (ON 8, Punkt 1.) wird verwiesen.

Zusammenfassend erweist sich die Revision der Beklagten als unbegründet. Sie muss daher ohne Erfolg bleiben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 2 ASGG, 41, 50 Abs 1 ZPO.

European Case Law Identifier

ECLI:AT:OGH0002:2013:009OBA00026.12G.0129.000