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OGH vom 12.07.2006, 9ObA129/05v

OGH vom 12.07.2006, 9ObA129/05v

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Rohrer als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Spenling und Dr. Hradil sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Manfred Engelmann und Dr. Klaus Mayr als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Elisabeth L*****, Angestellte, *****, vertreten durch Dr. Sabine Berger, Rechtsanwältin in Salzburg, gegen die beklagte Partei G***** F***** OHG, *****, vertreten durch Pallauf Pullmann Meißnitzer & Partner, Rechtsanwälte in Salzburg, wegen EUR 2.695,16 sA (eingeschränkt), über die Revision (Revisionsinteresse EUR 2.694,16) der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 11 Ra 37/05y-25, womit das Urteil des Landesgerichtes Salzburg als Arbeits- und Sozialgericht vom , GZ 56 Cga 47/04k-21, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, dass das Urteil des Erstgerichtes einschließlich der Kostenentscheidung wiederhergestellt wird.

Die beklagte Partei ist schuldig, der Kammer für Arbeiter und Angestellte für Salzburg, Markus-Sittikusstraße 10, 5020 Salzburg, an Aufwandersatz (§ 58a ASGG) für das Verfahren zweiter Instanz EUR 340,-- binnen 14 Tagen zu zahlen.

Die beklagte Partei ist weiters schuldig, der klagenden Partei die mit EUR 598,12 (darin EUR 55,52 USt und EUR 265,-- Pauschalgebühr) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin war seit in einer Filiale der Beklagten als „Erste Verkäuferin" tätig. In der Filiale sind sechs Personen beschäftigt, es ist kein Betriebsrat eingerichtet. Ab Herbst 2003 kam es in der Filiale bei den Kassenabrechnungen immer wieder zu beachtlichen Fehlbeträgen, wobei darunter die Differenzbeträge zwischen den als Eingang eingegebenen Beträgen und den dann tatsächlich in der Kassenlade vorhandenen Barbeträgen zu verstehen sind. Der Klägerin war dies auf Grund von Bemängelungen durch die Beklagte bekannt und sie beließ daher teilweise auch ihr Trinkgeld (zuletzt im Gesamtbetrag von EUR 6,--) in der Kasse, um das Auftreten weiterer Fehlbeträge zu vermindern. Letztlich entschloss sich die Beklagte ohne die davon betroffenen Arbeitnehmer zu informieren, eine Videoüberwachung der Filiale durch ein Detektivbüro vornehmen zu lassen. Tatsächlich wurde ab diese Videoüberwachung ohne Kenntnisnahme durch die Arbeitnehmer durchgeführt. Auf dem hiedurch erlangten Videomaterial war zweimal zu erkennen, dass sich die Klägerin Kundenrabatte zueignete, indem sie nachträglich, das heißt, nachdem der jeweilige Kunde das Geschäft verlassen hatte, über eine Tastenkombination eine Berechtigung dieses Kunden zum Bezug von Kundenrabatt in Höhe von 3 % eintippte und diese Summe der Kasse entnahm und sich aneignete. In Summe erzielte die Klägerin so im Zeitraum Dienstag vor Ostern 2004 bis rund eineinhalb Wochen nach Ostern einen Gesamtbetrag von EUR 1,--. Diese von der Klägerin - unrechtmäßig - verrechneten und vereinnahmten Kundenrabatte scheinen in den Kassenberichten der Beklagten auf, sodass es dadurch nicht zu den vorgenannten Fehlbeträgen kam, welche für die Durchführung der Videoüberwachung ursächlich gewesen waren. Es kann auch nicht festgestellt werden, dass die Klägerin jemals konkreten Anlass zum Verdacht gegeben habe, sie habe sich Geld aus der Kassenlade angeeignet und dadurch einen Fehlbetrag, wie er eingangs erwähnt wurde, verursacht.

Die Überwachungsvideobänder lagen der Beklagten am vor. Nach deren Durchsicht wurde die Klägerin mit dem Inhalt konfrontiert. Sie hatte keine Erklärung für die vorgehaltenen Vorgänge. Noch am selben Tag wurde ihr Arbeitsverhältnis mit sofortiger Wirkung beendet. In dem von der Beklagten angestrengten Strafverfahren verantwortete sich die Klägerin von Anfang an geständig. Die Durchsicht der Videoaufzeichnungen hatte auch ergeben, dass sich das in derselben Filiale beschäftigte Lehrmädchen einen zuvor aus der Kasse entnommenen Geldbetrag zugeeignet hatte. Auch das Lehrmädchen wurde daher am selben Tage entlassen. Für die Videoüberwachung musste die Beklagte der beauftragten Detektei EUR 4.805,-- zahlen, 50 % der Kosten wurden vom Lehrmädchen ersetzt. Um das Videomaterial dem Gericht in komprimierter Form vorlegen zu können, beauftragte die Beklagte die Detektei auch mit einem Zusammenschnitt der Videobänder. Dies verursachte Kosten in Höhe von weiteren EUR 429,--. Die Klägerin begehrte zuletzt den Betrag von EUR 2.695,16 netto an ausständigem Lohn. Dieser Betrag ist der Höhe nach unstrittig. Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und wendete bis zur Höhe desselben eine Gegenforderung, bestehend aus den Videoüberwachungs- und Schneidekosten sowie einen „beweisbaren" weiteren Schadensbetrag von EUR 70,-- ein. Die Videoüberwachung sei notwendig gewesen, da die Klägerin trotz der ihr bekannten Fehlbestände keine befriedigende Aufklärung habe geben können. Die Videoüberwachung sei auch nicht rechtswidrig gewesen, weil kein gelinderes Mittel zur Aufklärung der Diebstähle zur Verfügung gestanden sei. Diese Maßnahme sei zu Beweiszwecken auch sinnvoll gewesen, ein Beweismittelverbot sei nicht ersichtlich. Dem hielt die Klägerin entgegen, dass das Vorgehen der Beklagten gegen § 10 AVRAG und § 16 ABGB verstoßen habe. Aus ihrem eigenen rechtswidrigen Verhalten könne die Beklagte daher keinen Schaden geltend machen. Im Übrigen habe die Klägerin die Videoüberwachung nicht kausal verursacht, weil ein ihr nicht zurechenbares Fehlverhalten einer anderen Arbeitnehmerin zur Einrichtung dieser Maßnahme geführt habe, das Aufdecken des eigenen, anders gelagerten Fehlverhaltens sei ein Zufallsprodukt gewesen. Der Beklagten komme auch keine Rechtfertigung ihres Vorgehens zu Gute, zumal die Klägerin ja geständig gewesen sei. Insbesondere habe sie zur weiteren Bearbeitung der Videobänder keinen Anlass gegeben, weil zu diesem Zeitpunkt bereits ihr Geständnis bei der Sicherheitsbehörde vorgelegen sei.

Das Erstgericht erkannte die Klageforderung als mit EUR 2.695,16 netto samt 9,47 % Zinsen seit , die Gegenforderung mit EUR 1,-- als zu Recht bestehend und verurteilte die Beklagte daher zur Zahlung eines Betrages von EUR 2.694,16 samt 9,47 % Zinsen seit . Es vertrat die Rechtsauffassung, dass das - wenn auch rechtswidrige - Verhalten der Klägerin in keinem adäquaten Ursachenzusammenhang mit der Einrichtung der Videoüberwachung gestanden sei, weil diese ausschließlich deshalb erfolgt sei, um Fehlbestände herauszufinden, welche sich aus der Differenz zwischen den eingetippten Beträgen und den tatsächlich in der Kassenlade vorhandenen Barbeträgen ergeben hatten. Auf die Rechtmäßigkeit der Videoüberwachung brauche daher nicht eingegangen zu werden. Das Berufungsgericht erkannte in Stattgebung der Berufung der Beklagten auch deren Gegenforderung bis zur Höhe der Klagsforderung als zu Recht bestehend an und wies daher das Klagebegehren ab. Es bejahte im Gegensatz zum Erstgericht einen adäquaten Kausalzusammenhang, weil die Klägerin ja als „Erste Verkäuferin" und somit Filialverantwortliche nicht in der Lage gewesen sei, die Fehlbestände aufzuklären. Damit habe auch sie eine Ursache für die Einrichtung der Videoüberwachung gesetzt. Im Übrigen erachtete es zwar diese Maßnahme als Eingriff in das Persönlichkeitsrecht nach § 16 ABGB und als grundsätzlich nach § 10 AVRAG von der Zustimmung der betroffenen Arbeitnehmer abhängige Maßnahme (zumal ja kein Betriebsrat eingerichtet war). Die Beklagte habe sich aber in einer Notstandssituation befunden, weil ihr sonst die Aufklärung der Diebstähle nicht möglich gewesen wäre. Eine Information der Arbeitnehmer hätte daher einen Erfolg verhindert. Sowohl zu Aufklärungs- als auch zu Beweiszwecken sei die Videoüberwachung zulässig gewesen, auch der Zusammenschnitt sei zweckdienlich gewesen. Da die Klägerin durch die Überwachung tatsächlich einer strafbaren Handlung überführt worden sei, könne die Beklagte aus dem Titel des Schadenersatzes die für die Entdeckung erforderlichen Kosten begehren.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass die Revision zulässig sei, weil zur Frage der Ersatzpflicht eines Arbeitnehmers für Videoüberwachungskosten keine Rechtsprechung bestehe. Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision der Klägerin mit dem Antrag, das Urteil des Erstgerichtes wiederherzustellen, hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig und berechtigt.

Die in der Revision behauptete Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens und die behauptete Aktenwidrigkeit des Berufungsurteiles wurden geprüft, sie liegen nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO).

Hingegen ist die Rechtsrüge berechtigt.

Die höchstgerichtliche Judikatur in Arbeitsrechtssachen hatte sich bereits mehrfach (4 Ob 20/79 = SZ 52/138; 4 Ob 67/80 = EvBl 1981/121

ua) mit Detektivkosten im Zusammenhang mit vertrags- und treuwidrigen Handlungen von Arbeitnehmern auseinander zu setzen. In Anlehnung an die Judikatur über Detektivkosten auf Grund ehewidriger Beziehungen wurde dabei ausgeführt, dass einem Arbeitgeber dann der Ersatz von Nachforschungskosten im Rahmen eines adäquaten typischen Kausalzusammenhanges zusteht, wenn der Arbeitnehmer zunächst ausreichende Anhaltspunkte für ein vertragswidriges, den Interessen des Arbeitgebers zuwiderlaufenden Verhaltens gegeben hat, die den Arbeitgeber veranlassten, sich durch geeignete Nachforschungen noch weitere Klarheit zu verschaffen (so insbesondere 4 Ob 67/80). Ein solches Verhalten hat aber, wie das Erstgericht zutreffend ausgeführt hat, die Klägerin nicht gesetzt. Ihre geringfügigen und nach ganz anderem Verhaltensmuster abgelaufenen Malversationen waren nicht die Ursache für die vom Arbeitgeber organisierte Videoüberwachung und konnten dies auch gar nicht sein. Ursache waren Diebstähle gewesen, welche dadurch hervorgekommen waren, dass der eingegebene Kassenstand vom Barstand abwich. Solche Taten hatte wohl das später entlassene Lehrmädchen, nicht jedoch die Klägerin begangen. Soweit sich das Berufungsgericht auf eine Überwachungspflichtverletzung der Klägerin als Mitursache stützt, sind diese Erwägungen durch den Akteninhalt nicht gedeckt. Das Erstgericht konnte nämlich ausdrücklich nicht feststellen, dass die Klägerin ihre Überwachungspflicht vernachlässigt habe bzw die Diebstahlsursachen aufklären hätte können. Wohl deshalb verlangte die im Verfahren erster Instanz unterlegene Beklagte auch in der Beweis- bzw Mängelrüge ihrer Berufung keine entsprechende konkrete Alternativfeststellung. Damit ist aber der Zusammenhang zwischen der festgestellten Verfehlung der Klägerin und der Videoüberwachung nicht anders zu sehen, als wenn der Arbeitgeber ein Überwachungssystem, sei es durch Videoüberwachung, sei es durch einen Detektiv, eingerichtet hätte, um generell Diebstählen in der Filiale vorzubeugen bzw diese aufklären zu können. Die Lehre steht dem Ersatz derartiger, nicht durch eine konkrete Tat verursachter Überwachungskosten negativ gegenüber: So lehrt Koziol (Haftpflichtrecht I3 Rz 3/19), dass derjenige, der einen Einbruchsversuch oder einen Ladendiebstahl unternahm und durch die Vorkehrungen von seinem Vorhaben abgehalten oder danach ertappt wurde, diese Aufwendungen nicht verursacht hat. Sie entstanden schon vor seinem Schädigungsversuch und daher unabhängig von diesem. Ähnlich argumentiert Welser (zur Ersetzbarkeit von Detektivkosten beim Warenhausdiebstahl in ÖJZ 1977, 645, 649, 654). Im Anschluss an die vorgenannten Autoren vertritt auch Thiele („Ersatz von Detektivkosten" in RdW 1999, 769 f) dieselbe Meinung. Auch Apathy (in Apathy/Riedler, Bürgerliches Recht III, 115) lehrt, dass ein Schaden zwar auch in Aufwendungen bestehen kann, die Kausalität aber dann zu verneinen ist, wenn die Aufwendungen schon vorsorglich vorgenommen wurden, wie zB Alarmanlagen zum Schutz gegen Einbruchsdiebe oder die Anstellung eines Detektives im Kaufhaus. Diesen Erwägungen ist in Bezug auf die vorliegende Videoüberwachung und die dadurch entstandenen Kosten zu folgen. Die, wenn auch durch die Überwachung, bei einer Rechtswidrigkeit ertappte Klägerin hat die Überwachung nicht adäquat verursacht, dem Arbeitgeber für die Überwachung entstandene Aufwendungen können daher nicht auf die Klägerin überwälzt werden.

Eine differenziertere Betrachtung verdienen die für das Schneiden der Videobänder angefallenen Kosten in Höhe von EUR 429,--. Hiebei handelt es sich nämlich um sogenannte Folgekosten, welche adäquat verursacht sein können (Welser aaO 654). Die Chronologie zeigt aber, dass diese zur Überführung der Klägerin, wie von ihr auch eingewendet, nicht mehr notwendig waren: Schon anlässlich ihrer Einvernahme vor der Gendarmerie am legte sie nämlich ein umfassendes, in der Folge nicht mehr widerrufenes Geständnis ab. Wie sich aus der Abrechnung Beilage./5 ergibt, erfolgte die Auswertung des Videobandes aber erst in der Zeit vom 5. 5. bis . Trotz der Einwendungen der Klägerin im Verfahren erster Instanz konnte die Beklagte dazu keine befriedigende Aufklärung geben. Selbst wenn man daher hinsichtlich der Schneidekosten die Kausalität der Handlungen der Klägerin bejahen wollte, scheitert ein Ersatz an der Notwendigkeit dieser Aufwendungen.

Damit steht aber die Nichtberechtigung der eingewendeten Kompensandoforderung fest, ohne dass es eines weiteren Eingehens auf die vom Berufungsgericht erwähnte Judikatur zur „Beweisnot" oder zur Güter- und Interessensabwägung (6 Ob190/01m; 3 Ob 131/00m uva) oder auf die jüngst ergangene Entscheidung zur „Verhältnismäßigkeit" bei Videoüberwachungen (8 Ob 108/05y) bedarf.

Der Kostenzuspruch gründet sich hinsichtlich des Verfahrens zweiter Instanz auf § 58a ASGG, hinsichtlich des Revisionsverfahrens auf §§ 41, 50 Abs 1 ZPO.