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OGH vom 07.06.2006, 9ObA115/05k

OGH vom 07.06.2006, 9ObA115/05k

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Rohrer als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Spenling und Dr. Hradil sowie die fachkundigen Laienrichter Peter Ammer und Mag. Michael Zawodsky als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Jasminka M*****, Buffetkassierin, *****, vertreten durch Dr. Sabine Berger, Rechtsanwältin in Salzburg, gegen die beklagte Partei L***** Tankstellenbetriebs GmbH, *****, vertreten durch Dr. Robert Galler, Rechtsanwalt in Salzburg, wegen EUR 2.326,34 brutto sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 12 Ra 28/05g-11, womit das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Arbeits- und Sozialgericht vom , GZ 17 Cga 159/04v-7, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Arbeitsrechtssache wird zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Die Klägerin war seit als Buffetkassierin (Arbeiterin) bei der Beklagten beschäftigt. Vom bis war sie infolge einer Krankheit arbeitsunfähig. Mit Schreiben vom kündigte die Beklagte das Dienstverhältnis zum auf. Es wurde eine Endabrechnung unter Berücksichtigung von Abfertigung und Sonderzahlungen erstellt und ausbezahlt. Der Monatslohn der Klägerin betrug zuletzt EUR 1.260,29 brutto. Die Beklagte rechnete die Ansprüche der Klägerin so ab, dass sie dieser vom an für acht Wochen volles Entgelt und vier Wochen halbes Entgelt (einschließlich Sonderzahlung) zuerkannte und bezahlte. Mit der vorliegenden Klage begehrte die Klägerin unter Berufung auf § 5 EFZG die Differenz, die sich aus dem ausbezahlten Betrag zu dem Anspruch ergibt, der sich daraus errechnet, dass per von einem neuen Arbeitsjahr auszugehen sei, sodass für das neue Arbeitsjahr ein neuer Entgeltfortzahlungsanspruch entstanden sei (konkret: volles Entgelt für acht Wochen und halbes Entgelt für zwei Wochen und zwei Tage bis zum tatsächlichen Ende des Krankenstandes). Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Der Klägerin sei das Entgelt für acht Wochen voll und für vier Wochen halb ausbezahlt worden. Infolge der Dienstgeberkündigung, welche vor Beginn des nächsten Arbeitsjahres wirksam geworden sei, habe sich der Entgeltfortzahlungsanspruch nicht erneuern können.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es vertrat die Rechtsauffassung, dass sich die Regelung des § 5 EFZG nur auf Entgeltfortzahlungsansprüche im laufenden Arbeitsjahr beziehe. Die während des Krankenstandes ausgesprochene Kündigung habe aber eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis ins nächste Arbeitsjahr verhindert.

Das Berufungsgericht bestätigte das Ersturteil, wobei es sich insbesondere auf die Lehrmeinung von Rauch (ASok 2005, 122, 125) stützte. Es sprach aus, dass die Revision zulässig sei, weil zur Frage, ob sich im Anwendungsbereich des § 5 EFZG bei fiktivem Beginn eines neuen Arbeitsjahres auch der Entgeltfortzahlungsanspruch erneuere, keine Judikatur bestehe.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen diese Entscheidung erhobene Revision der Klägerin ist aus den vom Berufungsgericht genannten Gründen zulässig; sie ist im Umfang eines im jeden Abänderungsantrag enthaltenen Aufhebungsantrages auch berechtigt.

Wird gemäß § 5 (des hier anzuwendenden) EFZG der Arbeitnehmer während einer Arbeitsverhinderung gemäß § 2 EFZG gekündigt, ohne wichtigen Grund vorzeitig entlassen oder trifft den Arbeitgeber ein Verschulden an dem vorzeitigen Austritt des Arbeitnehmers, so bleibt der Anspruch auf Fortzahlung des Entgelts für die nach diesem Bundesgesetz vorgesehene Dauer bestehen, wenngleich das Arbeitsverhältnis früher endet. Czerny/Kallab (Entgeltfortzahlungsgesetz4 § 5 Erl 8) schließen aus den von der Judikatur entwickelten Grundsätzen zum Neuaufleben des Entgeltfortzahlungsanspruches bei Hineinreichen eines fortdauernden Krankenstandes in ein neues Arbeitsjahr darauf, dass § 5 EFZG so zu verstehen ist, dass im Falle einer Kündigung, die während eines fortdauernden Krankenstandes ausgesprochen und noch vor Beginn des neuen Arbeitsjahres wirksam wird, dennoch mit Beginn des neuen Arbeitsjahres für die Dauer des weiter fortdauernden Krankenstandes ein neuer Entgeltfortzahlungsanspruch entsteht. Demgegenüber tritt Rauch „Auflösung des Arbeitsverhältnisses während eines Krankenstandes ..." in ASok 2003, 410 ff; „Jüngste Judikatur zum Krankenstand ..." in ASok 2005, 122 ff, die Meinung, dass eine während des Krankenstandes ausgesprochene und noch vor Ende des laufenden Arbeitsjahres wirksame Kündigung zwar Anspruch auf Entgeltfortzahlung bis zur Ausschöpfung des Kontingents im laufenden Arbeitsjahr gebe, ein solcher Anspruch aber im neuen Arbeitsjahr nicht entstehen könne. Der Entgeltfortzahlungsanspruch im neuen Arbeitsjahr hänge nämlich davon ab, dass in diesem noch ein Arbeitsverhältnis aufrecht sei. Gerade dies sei aber bei einer vorher wirksam gewordenen Kündigung nicht mehr der Fall. Drs („Zeller Kommentar" § 5 Rz 8) vertritt die Auffassung, dass es für den Anspruch auf Entgeltfortzahlung darauf ankomme, dass er nur innerhalb des Arbeitsverhältnisses entstehe. Es reiche deshalb aus, wenn noch während der Kündigungsfrist ein neues Arbeitsjahr beginne, welches einen neuen Entgeltfortzahlungsanspruch nach dem EFZG auslöse. Nach der - mittlerweile einhelligen, in ausdrücklicher Abkehr von der Entscheidung 8 ObA 2132/96d ergangenen - Judikatur entsteht bei ununterbrochen fortdauernder krankheitsbedingter Arbeitsverhinderung mit Beginn des nächsten Arbeitsjahres ein neuer Entgeltfortzahlungsanspruch auch dann, wenn der Arbeitnehmer zuerst wegen Ausschöpfung des Entgeltfortzahlungsanspruches kein Entgelt mehr erhalten hatte (RIS-Justiz RS0111429; insbes SZ 72/17). Nach der Rechtsprechung soll der auf dem Arbeitsvertrag beruhende Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall, der nur besteht, so lange das Arbeitsverhältnis aufrecht ist, auch über die rechtliche Dauer des Arbeitsverhältnisses hinaus gewahrt werden. Für die Frage der Entgeltleistung wird in diesem Fall die Abwicklung des Arbeitsverhältnisses ohne den Hinderungsgrund fingiert; die vereinbarte Arbeit gilt als geleistet. Sonst könnte der Arbeitgeber über die Kündigungsfrist bzw den Zeitpunkt der Entlassung zeitlich hinausgehende Ansprüche des Arbeitnehmers zunichte machen (9 ObA 396/97v in RIS-Justiz RS0109426). Diese Regelung soll verhindern, dass sich der Arbeitgeber von der Pflicht zur Entgeltfortzahlung an den Arbeitnehmer dadurch befreit, dass er während der Arbeitsverhinderung das Dienstverhältnis durch Kündigung oder ungerechtfertigte Entlassung löst (8 ObA 13/04a in RIS-Justiz RS0109426). Die von Rauch (aaO) vorgeschlagene und von den Vorinstanzen vertretene Lösung hätte genau diesen Effekt: Während die Klägerin infolge Eintrittes ihrer Erkrankung knapp vor dem Ende des Arbeitsjahres das laufende Kontingent gar nicht ausschöpfen könnte, weil die Entgeltfortzahlung für jedes Arbeitsjahr gesondert zu beurteilen ist (9 ObA 144/03x), würde ein neuer Anspruch - anders als bei fortbestehendem Dienstverhältnis - nicht entstehen können.

§ 5 EFZG stellt bei der Fortzahlung des Entgelts auf die „nach diesem Bundesgesetz vorgesehene Dauer" ab, „wenngleich das Arbeitsverhältnis früher endet". Nach der eingangs erwähnten Judikatur zu § 2 EFZG ist unter dieser „Dauer" nicht nur das Arbeitsjahr zu verstehen, in welchem der Krankenstand seinen Ausgang nimmt, sondern auch die weitere Zeit eines ununterbrochen fortdauernden Krankenstandes. Stellt man daher nur auf das laufende Arbeitsjahr ab, lässt man dabei das Element des fortdauernden Krankenstandes völlig außer Betracht. Eine derartige Absicht kann aber dem Gesetzgeber nicht unterstellt werden, der verhindern wollte, dass sich der Arbeitgeber von der Pflicht zur Entgeltfortzahlung durch Auflösung des Arbeitsverhältnisses während des Krankenstandes löst. Auf den von den Vorinstanzen skizzierten, wenig realistischen Extremfall eines langjährig andauernden durchgehenden Krankenstandes braucht hier nicht eingegangen zu werden, zumal im vorliegenden Fall die fiktiven Entgeltfortzahlungsräume nicht nur ineinander übergriffen, sondern auch die vorübergehende Natur der Arbeitsverhinderung feststand. Die Sache ist aber noch nicht entscheidungsreif, weil das Erstgericht keine Feststellungen zur Richtigkeit der von der Klägerin ermittelten und von der Beklagten bestrittenen Höhe des Differenzanspruchs getroffen hat.

Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 Abs 1 ZPO.