VfGH vom 20.06.1994, B1908/93

VfGH vom 20.06.1994, B1908/93

Sammlungsnummer

13790

Leitsatz

Keine Verletzung des Gleichheitssatzes durch die Höhe der Strafsätze für die unerlaubte Beschäftigung von Ausländern; kein rechtspolitischer Exzeß; keine Verletzung des Grundsatzes der Verhängung schwerwiegender Strafen ausschließlich durch die Strafgerichte; kein Verstoß gegen das Anklageprinzip und die Unschuldsvermutung durch die Regelung der Fahrlässigkeit hinsichtlich der Verpflichtung des Täters zur Glaubhaftmachung des fehlenden Verschuldens; keine Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte durch das Verfahren und die Strafbemessung bei der Verhängung von Geldstrafen für die unerlaubte Beschäftigung von Ausländern

Spruch

Die Beschwerdeführerin ist durch die angefochtenen Bescheide weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in ihren Rechten verletzt worden.

Die Beschwerden werden abgewiesen und dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung darüber abgetreten, ob die Beschwerdeführerin durch die angefochtenen Bescheide in einem sonstigen Recht verletzt worden ist.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. Nach § 28 Abs 1 Z 1 lita Ausländerbeschäftigungsgesetz in der Fassung der Novelle BGBl. 231/1988 (AuslBG) begeht eine Verwaltungsübertretung, wer entgegen dem § 3 einen Ausländer beschäftigt, für den weder eine Beschäftigungsbewilligung (§4) erteilt noch eine Arbeitserlaubnis (§14a) oder ein Befreiungsschein (§15) ausgestellt wurde. Die Strafe beträgt nach dem zweiten Teil der Z 1 für jeden unberechtigt beschäftigten Ausländer von 5.000 S bis zu 60.000 S, im Falle der erstmaligen und weiteren Wiederholung von 10.000 S bis zu 120.000

S und bei unberechtigter Beschäftigung von mehr als drei Ausländern für jeden unberechtigt beschäftigten Ausländer von 10.000 S bis zu 120.000 S, im Falle der erstmaligen und weiteren Wiederholung von 20.000 S bis zu 240.000 S. Die Dauer der illegalen Beschäftigung ist bei der Strafbemessung zu berücksichtigen (/0134, und vom , Z 91/09/0098).

Über die Beschwerdeführerin als zur Vertretung des Arbeitgebers nach außen Berufene iSd § 9 Abs 1 VStG wurden mit den angefochtenen Bescheiden des Unabhängigen Verwaltungssenates nach zwei rechtskräftigen einschlägigen Vorstrafen unter Anwendung des höchsten Strafsatzes (zu B1908/93) wegen Beschäftigung von zwölf Ausländern am zwölf Geldstrafen zu je 40.000 S und (zu B1971/93) wegen Beschäftigung von elf Ausländern am elf Geldstrafen zu je 20.000 S verhängt; die Beiträge zu den Verfahrenskosten wurden mit 48.000 S und 96.000 S bzw. 22.000 S und 44.000 S bestimmt.

In den gegen diese Bescheide erhobenen Beschwerden wird die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf ein faires Verfahren (offenbar nach Art 6 EMRK) und der als verfassungsgesetzlich gewährleistet behaupteten Rechte "auf eine verfassungskonforme Gesetzeslage, auf verhältnismäßige Strafbemessung und auf sachgerechte Festlegung des Verfahrenskostenbeitrages" gerügt. Die Anwendung des § 5 VStG verstoße gegen das Anklageprinzip und die Unschuldsvermutung, die Strafbestimmungen und die Bestimmungen über den Verfahrenskostenbeitrag seien unverhältnismäßig.

Die Gegenschrift der belangten Behörde nimmt zum Vorwurf der Verletzung der Unschuldsvermutung Stellung, beruft sich aber im übrigen auf den ihr obliegenden Vollzug des Gesetzes.

II. Die Beschwerden sind nicht begründet.

1. Gegen die gesetzlichen Grundlagen der angefochtenen Bescheide bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken.

a) Die in § 28 Abs 1 Z 1 zweiter Teil AuslBG vorgesehenen Strafsätze für die unerlaubte Beschäftigung von Ausländern verletzen - entgegen der Behauptung der Beschwerden - den Gleichheitssatz nicht etwa deshalb, weil sie im Verhältnis zum Strafbedürfnis des Staates unangemessen hoch wären. Bei Festsetzung der Strafdrohung für Verwaltungsübertretungen dieser Art darf der Gesetzgeber insbesondere für Fälle einer lang dauernden Fortsetzung oder wiederholten Begehung der Straftat den möglichen wirtschaftlichen Nutzen in Betracht ziehen, den der Täter durch das verbotene Verhalten erzielt (vgl. die Erläuterungen zur Regierungsvorlage, 449 BlgNR 17.GP, 15). Andernfalls kann es bei ausreichend hohem wirtschaftlichem Interesse dazu kommen, daß der Strafbetrag als bloßer Preis des erwarteten Nutzens kalkuliert wird und die Strafdrohung ihren Zweck verfehlt. Der Verfassungsgerichtshof kann nicht erkennen, daß das öffentliche Interesse an der Durchsetzung der Vorschriften über die Kontrolle der Ausländerbeschäftigung Strafen dieser Höhe nicht rechtfertigen würde. Von einem Exzeß kann in Ansehung der Strafsätze angesichts des möglichen Nutzens einer längerdauernden Beschäftigung und im Hinblick darauf, daß im einzelnen Strafsatz auch sehr lange Zeit hindurch fortgesetzte Straftaten erfaßt werden müssen, nicht die Rede sein.

Eine exzessive - unverhältnismäßige - Maßnahme könnte unter diesen Umständen allenfalls die Strafverhängung im Einzelfall darstellen, wenn die Behörde auch bei kurzfristigen Beschäftigungen zu höheren Strafen griffe.

Eine andere Frage ist, ob der Gesetzgeber, der sich zur Androhung hoher Strafen veranlaßt sieht, die Übertretung nicht zu einem gerichtlich strafbaren Tatbestand erklären muß. In diese Richtung weist die mit VfSlg. 12151/1989 begonnene und in VfSlg. 12282/1990, 12389/1990, 12471/1990 und 12546/1990 fortgesetzte Linie der Rechtsprechung, wonach Art 91 B-VG die Verhängung schwerwiegender Strafen den Strafgerichten vorbehält. In den von dieser Rechtsprechung betroffenen Fällen war allerdings jede einzelne in der Hinterziehung von Abgaben bestehende Straftat mit einer Strafe in der Höhe eines Vielfachen des Verkürzungsbetrages bedroht, was zu außerordentlich hohen Strafen für die einzelne Tat führen konnte.

Solches läßt sich indessen von den hier in Rede stehenden Strafdrohungen trotz deren Höhe nicht sagen. Denn diese ist nur die Folge des Umstandes, daß die Straftatbestände auf die - gegebenenfalls lange fortgesetzte - Beschäftigung mehrerer Ausländer und die darin liegende Vervielfachung des Unrechtsgehaltes auf eine Weise Bedacht nehmen, die der Häufung von Straftaten und damit dem für das Verwaltungsstrafverfahren charakteristischen Kumulationsprinzip entspricht. Was die Strafsätze betrifft, führt das hier gewählte System nämlich zu einem ähnlichen Ergebnis wie der in § 22 VStG niedergelegte Grundsatz, daß die durch mehrere Übertretungen verwirkten Strafen nebeneinander zu verhängen sind. Seit VfSlg. 4496/1963 bis herauf zu VfSlg. 12997/1992 hat der Verfassungsgerichtshof § 22 VStG jedoch in ständiger Rechtsprechung als verfassungsrechtlich unbedenklich erachtet. Die Beschwerde gibt keinen Anlaß, von dieser - sinngemäß auch auf die vorliegende Erscheinung übertragbaren - Auffassung abzugehen. Der bloße Umstand, daß es bei der verbotenen Beschäftigung von Ausländern leicht zur Vervielfachung des Unrechtsgehaltes kommen kann, ist kein Grund, an der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit der Verhängung gebündelter Strafen zu zweifeln. Auch die Gestaltung der Straftatbestände bietet vor dem Hintergrund des Kumulationsprinzips keinen Anlaß zu Bedenken. Langdauernde Beschäftigungen werden nicht etwa willkürlich in eine Vielzahl von Einzeltaten aufgesplittert. Die einer Hintanhaltung der schon erwähnten möglichen Verrechnung der riskierten Strafe mit dem erwarteten Nutzen dienende Entscheidung des Gesetzgebers aber, die verbotene Beschäftigung eines Ausländers wie eine selbständige Tat zu ahnden, kann angesichts der Individualität jedes einzelnen Beschäftigungsverhältnisses nicht als Mißbrauch gesetzgeberischer Gestaltungsmöglichkeiten gewertet werden.

b) Nach § 64 Abs 2 VStG beträgt der vom Bestraften zu leistende Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens für das Verfahren erster Instanz 10 % der verhängten Strafe, für das Berufungsverfahren weitere 20 %. Der Verfassungsgerichtshof hat auch dieser Regelung - und zwar gerade im Vergleich mit anderen Systemen der Kostentragung durch den Bestraften - bereits die verfassungsrechtliche Unbedenklichkeit bescheinigt (VfSlg. 9409/1982).

c) Die Beschwerden vermögen schließlich auch keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen den zweiten Satz des § 5 Abs 1 VStG zu erwecken.

Nach dieser Bestimmung ist bei Zuwiderhandeln gegen ein Verbot dann ohne weiteres Fahrlässigkeit anzunehmen, wenn zum Tatbestand einer Verwaltungsübertretung der Eintritt eines Schadens oder einer Gefahr nicht gehört und der Täter nicht glaubhaft macht, daß ihn an der Verletzung der Verwaltungsvorschrift kein Verschulden trifft. Die Beschwerden sehen darin einen Verstoß gegen das Anklageprinzip (Art90 Abs 2 B-VG) und gegen die Unschuldsvermutung (Art6 Abs 2 EMRK).

Was das aus dem Anklageprinzip abgeleitete Verbot der Selbstbezichtigung betrifft (zB VfSlg. 9950/1984, 11829/1988, 11923/1988, 12454/1990), ist allerdings nicht erkennbar, inwiefern § 5 VStG eine Selbstbezichtigung verlangen soll. Der Vorwurf eines Verstoßes gegen die Unschuldsvermutung des Art 6 Abs 2 EMRK ist angesichts des Umstandes, daß eine Strafbestimmung von der Art des § 28 Abs 1 Z 1 lita AuslBG im Vorbehalt Österreichs zu Art 5 EMRK keine Deckung findet (VfSlg. 12948/1991), freilich nicht mehr mit dem Hinweis auf diesen Vorbehalt (zB VfSlg. 7210/1973 und 10687/1985) abzutun. Der Verfassungsgerichtshof geht indessen davon aus, daß § 5 Abs 1 zweiter Satz VStG nicht etwa bewirkt, daß ein Verdächtiger seine Unschuld nachzuweisen hat (VfSlg. 11195/1986 Landstreicherei). Vielmehr hat die Behörde die Verwirklichung des (objektiven) Tatbestandes durch den Beschuldigten nachzuweisen und bei Vorliegen von Anhaltspunkten, die an seinem Verschulden zweifeln lassen, auch die Verschuldensfrage von Amts wegen zu klären (vgl. Ringhofer, Die österreichischen Verwaltungsverfahrensgesetze II, Anm. 10 zu § 5 VStG). Das Gesetz befreit sie also in Anbetracht der regelmäßigen Sachlage nur insoweit von weiteren Nachforschungen über die subjektive Tatseite (insbesondere einen Irrtum über den Sachverhalt oder die allfällige Unmöglichkeit, das Verbot zu beachten), als das entgegen dem Anschein behauptete Fehlen des Verschuldens nicht glaubhaft ist. Eine solche, der Lebenserfahrung Rechnung tragende Regelung ist nicht von vornherein durch Art 6 Abs 2 EMRK ausgeschlossen. Erst in der konkreten Handhabung, bei der nur im Einzelfall zu beantwortenden Frage, welche Zweifel Anlaß für amtswegige Ermittlungen geben müssen und welche Anforderungen an die Glaubhaftmachung durch den Beschuldigten zu stellen sind, kann es zur Verletzung des Art 6 Abs 2 EMRK kommen (vgl. EKMR 19116/91 vom , Newsletter 1993/6, S. 19 f).

2. Die Beschwerden erwecken auch gegen die Vollziehung des Gesetzes keine verfassungsrechtlichen Bedenken.

Die belangte Behörde hat den nicht näher substantiierten Einwand der Beschwerdeführerin im Verwaltungsverfahren, die auf ihrer Baustelle bei der Arbeit betretenen Ausländer seien nicht für sie, sondern für einen von ihrer Gesellschaft beauftragten Subunternehmer tätig gewesen, nach Einvernahme von Zeugen als unglaubwürdig und eine ausschließlich der Verfahrensverschleppung dienende Schutzbehauptung angesehen. Anhaltspunkte, daß die Beschwerdeführerin an der Verletzung der Verwaltungsvorschrift (subjektiv) kein Verschulden träfe, hat diese gar nicht vorgebracht. Unter diesen Umständen kann von einem Verstoß gegen die Unschuldsvermutung keine Rede sein. Auch die an der Untergrenze der Strafsätze verbleibende Strafbemessung läßt keinen vom Verfassungsgerichtshof wahrzunehmenden Mangel erkennen.

Da die behaupteten Rechtsverletzungen nicht vorliegen und auch keine vom Verfassungsgerichtshof wahrzunehmende Rechtsverletzung hervorgekommen ist, sind die Beschwerden abzuweisen und antragsgemäß dem Verwaltungsgerichtshof abzutreten.

Von einer mündlichen Verhandlung hat der Verfassungsgerichtshof abgesehen, weil davon eine weitere Klärung der Rechtssache nicht zu erwarten war (§19 Abs 4 VerfGG).