OGH vom 21.01.2020, 10ObS147/19v
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten Univ.Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Fichtenau und Dr. Faber sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Martin Gleitsmann (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Mag. Werner Pletzenauer (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei C*****, gegen die beklagte Partei Österreichische Gesundheitskasse, 1030 Wien, Haidingergasse 1, vertreten durch Dr. Helmut Destaller und Dr. Gerald Mader und Mag. Philipp Pall, Rechtsanwälte in Graz, wegen Familienzeitbonus, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen vom , GZ 6 Rs 37/19m11, mit dem infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Arbeits- und Sozialgericht vom , GZ 42 Cgs 86/18m-8, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Text
Entscheidungsgründe:
Die Bezeichnung der Beklagten war gemäß § 23 Abs 1 und § 538t Abs 1 ASVG von Amts wegen auf „Österreichische Gesundheitskasse“ zu berichtigen.
Verfahrensgegenstand ist der Anspruch des Klägers auf Familienzeitbonus (§ 2 Familienzeitbonusgesetz – FamZeitbG BGBl I 2016/53) für den Zeitraum von 8. 10. bis .
Der Kläger und seine Lebensgefährtin sind die Eltern der am geborenen Tochter V*****. Die Entbindung erfolgte in einem Krankenhaus; die Lebensgefährtin des Klägers und das Kind verließen die Klinik am und begaben sich in die bereits zuvor vom Kläger und seiner Lebensgefährtin gemeinsam bewohnte Wohnadresse (Familienwohnadresse).
Die Lebensgefährtin des Klägers wurde aufgrund einer durch die Geburt ausgelösten bipolaren Störung von 2. 10. bis , 11 Uhr, von , 20 Uhr bis und von 4. 11. bis stationär in einer Krankenanstalt behandelt.
Der Kläger hatte seinem Dienstgeber ursprünglich einen späteren Antritt der Familienzeit bekannt gegeben. Aufgrund des unvorhergesehenen stationären Aufenthalts seiner Lebensgefährtin stellte er nach entsprechender Vereinbarung mit dem Dienstgeber am den Antrag auf Familienzeitbonus für den Zeitraum von 8. 10. bis (31 Tage). In dieser Zeit kümmerte er sich ausschließlich und intensiv um seine Familie. Er führte die Pflege der Tochter durch und besuchte mit der Tochter im größtmöglichen Ausmaß seine Lebensgefährtin, soweit dies deren Gesundheitszustand zuließ. Diese Besuche erfolgten mehrmals wöchentlich und dauerten jeweils rund zwei Stunden.
Mit vom wies die Steiermärkische Gebietskrankenkasse den Antrag des Klägers mit der Begründung ab, während der Dauer der Anstaltspflege der Lebensgefährtin sei die Anspruchsvoraussetzung der Familienzeit nicht vorgelegen.
Das gab der dagegen erhobenen Klage statt.
Das gab der Berufung der Beklagten nicht Folge. Es ließ die Revision zu, weil die Frage, ob ein Krankenhausaufenthalt nur der Mutter dem Anspruch des Vaters auf Familienzeitbonus entgegen stehe, höchstgerichtlich nicht beantwortet sei.
Dagegen richtet sich die der Beklagten, mit der sie die Abweisung des Klagebegehrens anstrebt.
Der Kläger beteiligte sich nicht am Revisionsverfahren.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht angeführten Grund zulässig. Sie ist nicht .
1.1. Als „Familienzeit“ iSd § 2 Abs 4 FamZeitbG versteht man den Zeitraum zwischen 28 und 31 Tagen, in dem sich ein Vater aufgrund der kürzlich erfolgten Geburt seines Kindes ausschließlich seiner Familie widmet und dazu die Erwerbstätigkeit unterbricht, keine andere Erwerbstätigkeit ausübt, keine Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung sowie keine Entgeltfortzahlung aufgrund von oder Leistungen bei Krankheit erhält.
1.2. Wie sich dazu aus den Gesetzesmaterialien (ErläutRV 1110 BlgNR 25. GP 1) ergibt, sollen erwerbstätige Väter, die sich direkt nach der Geburt ihres Kindes intensiv und ausschließlich der Familie widmen, eine finanzielle Unterstützung erhalten. Dies trägt dem Umstand Rechnung, dass die Familiengründungszeit wichtig ist, damit das Neugeborene rasch eine sehr enge emotionale Bindung (auch) zum Vater aufbauen kann. Der Vater soll seine unter den Auswirkungen der gerade erfolgten Geburt stehende Partnerin bei der Pflege und Betreuung des Säuglings, bei den Behördenwegen, bei Haushaltsarbeiten etc bestmöglich unterstützen, um den Zusammenhalt in der Familie von Anfang an zu stärken.
1.3. Im Hinblick auf diesen Gesetzeszweck ist der Anspruch auf Familienzeitbonus eines Vaters für sein Kind (ua) an die Voraussetzung geknüpft, dass der Vater, das Kind und der andere Elternteil im gemeinsamen Haushalt leben (§ 2 Abs 1 Z 4 FamZeitbG) und sich der Vater im gesamten von ihm gewählten Anspruchszeitraum in Familienzeit befindet (§ 2 Abs 1 Z 3 FamZeitbG; 10 ObS 109/18d).
1.4. Ein gemeinsamer Haushalt iSd § 2 Abs 3 FamZeitbG liegt nur dann vor, wenn der Vater, das Kind und der andere Elternteil in einer dauerhaften Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft an derselben Wohnadresse leben und alle drei an dieser Adresse auch hauptwohnsitzlich gemeldet sind, wobei eine bis zu zehn Tagen verspätet erfolgte Hautpwohnsitzmeldung des Kindes an dieser Wohnadresse nicht schadet.
1.5. Die Familienzeit und der beantragte Bezugszeitraum müssen sich decken. Die Familienzeit darf nicht kürzer andauern als der gewählte Familienzeitbonus-Anspruchszeitraum (10 ObS 109/18d mwN).
2.1. Der Oberste Gerichtshof hat bereits mehrfach klargestellt, dass während des Krankenhausaufenthalts von Mutter und Kind nach der Geburt kein gemeinsamer Haushalt iSd § 2 Abs 3 FamZeitbG vorliegt, weil in dieser Zeit die Pflege und Betreuung des Kindes durch Leistungen der Krankenanstalt abgedeckt wird (10 ObS 101/19d; RS0132377).
2.2. Mit der Novelle zum FamZeitbG BGBl I 2019/24 wurde mit § 2 Abs 3a FamZeitbG eine – auf Geburten nach dem anzuwendende (§ 12 Abs 3 FamZeitbG) – Ausnahmebestimmung geschaffen, nach der ausnahmsweise der gemeinsame Haushalt iSd § 2 Abs 3 FamZeitbG angenommen wird, wenn bei einem medizinisch indizierten Krankenhausaufenthalt des Kindes dieses durch den Vater und den anderen Elternteil im Mindestausmaß von jeweils durchschnittlich vier Stunden täglich persönlich gepflegt und betreut wird.
3.1. Im vorliegenden Fall kann daran, dass sich der Kläger in Familienzeit iSd § 2 Abs 4 FamZeitbG befindet, kein Zweifel bestehen. Diese Bestimmung stellt ausschließlich auf die Unterbrechung der Erwerbstätigkeit durch den Vater (bzw beziehenden Elternteil), die von diesem bezogenen Leistungen sowie darauf ab, dass er sich im relevanten Zeitraum ausschließlich der Familie widmet. Ob auch der andere Elternteil Betreuungsleistungen erbringt, ist für das Vorliegen von Familienzeit iSd § 2 Abs 4 FamZeitbG irrelevant.
3.2. Entscheidend für den geltend gemachten Anspruch ist vielmehr ausschließlich das Vorliegen eines gemeinsamen Haushalt iSd § 2 Abs 3 FamZeitbG.
4.1. Der Oberste Gerichtshof hat zur Auslegung dieser Bestimmung bereits ausgesprochen, dass eine „dauerhafte Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft“ – als Teil der Definition des gemeinsamen Haushalts gemäß § 2 Abs 3 FamZeitbG – dann vorliegt, wenn eine Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft tatsächlich aufgenommen wird und dies in der Absicht geschieht, sie auf Dauer zu führen (10 ObS 50/19d). Eine dauerhafte Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft kann daher bereits ab dem ersten Tag vorliegen (10 ObS 50/19d).
4.2. Die zu 10 ObS 50/19d von der dortigen Beklagten vertretene Ansicht, eine „dauerhafte Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft“ setze – trotz der wesentlich kürzeren Bezugsdauer des Familienzeitbonus – einen gemeinsamen Haushalt in der Dauer von mindestens 91 Tagen voraus, wurde vom Obersten Gerichtshof ausdrücklich abgelehnt. Auf die tatsächliche Dauer einer Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft kommt es im Anwendungsbereich des § 2 Abs 3 FamZeitbG nur insofern an, als diese zumindest während des Bezugs des Familienzeitbonus bestehen muss (10 ObS 50/19d).
5.1. Damit wurde aber keineswegs für einen Fall wie den vorliegenden, in dem sich die Mutter des Kindes einer nicht vorhersehbaren, vorübergehenden stationären Heilbehandlung unterziehen muss, eine abschließende Beurteilung getroffen. Eine vergleichbare Situation war zu 10 ObS 50/19d nämlich nicht zu beurteilen: Die Ausführungen zum Erfordernis der tatsächlichen Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft waren im dort beurteilten Sachverhalt – in dem Vater, Mutter und Kind während der beantragten Bezugsdauer ohnehin an der Familienadresse zusammen wohnten – nicht tragend. Vielmehr wurde bloß auf jene Rechtsprechung Bezug genommen und diese zusammengefasst, die einen gemeinsamen Haushalt des Vaters mit dem Kind während des Krankenhausaufenthalts von Mutter und Kind nach der Geburt verneint (vgl RS0132377).
5.2. Diese Rechtsprechung gründet auf der Erwägung, dass während des Krankenhausaufenthalts der Mutter und des Kindes nach der Geburt die Pflege und Betreuung des Kindes durch Leistungen der Krankenanstalt abgedeckt wird (10 ObS 101/19d). Der den Familienbonus beantragende Vater erbringt daher während dieser Zeit im Normalfall keine Betreuungsleistungen, sodass der vom Gesetzgeber intendierte Leistungszweck während dieses Zeitraums nicht erreichbar ist (10 ObS 109/18d).
5.3. Das Erfordernis der Erbringung von Betreuungsleistungen als Anspruchsvoraussetzung wird auch durch den mit BGBl I 2019/24 neu eingeführten § 2 Abs 3a FamZeitbG zusätzlich zum Ausdruck gebracht.
5.4. Die dargestellten Erwägungen schlagen aber in einem Fall wie dem vorliegenden, in dem nicht das Kind, sondern allein die Mutter des Kindes stationär in einer Krankenanstalt aufgenommen ist, nicht durch. Vielmehr erbringt der Vater, der mit dem Kind an der Familienwohnadresse aufhältig ist, dort allein den Haushalt führt und das Kind versorgt – anstatt, wie es die Materialien vorsehen, bloß seine Partnerin dabei zu unterstützen (vgl ErläutRV 1110 BlgNR 25. GP 1) – die vom FamZeitbG vorausgesetzten Leistungen in einem besonders hohen Ausmaß.
5.5. Die Zielsetzung des FamZeitbG, Familien zu stärken, den Aufbau einer emotionalen Beziehung des Neugeborenen zum Vater zu fördern und erwerbstätigen Vätern, die sich nach der Geburt des Kindes intensiv und ausschließlich der Familie widmen, finanziell zu unterstützen (vgl ErläutRV 1110 BlgNR 25. GP 1), ist in einem Fall wie dem vorliegenden daher in einem besonders hohen Ausmaß verwirklicht.
6.1. § 2 Abs 3 FamZeitbG verlangt, dass der Vater, das Kind und der andere Elternteil „in einer dauerhaften Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft an derselben Wohnadresse leben“.
6.2. Im Fall des stationären Krankenhausaufenthalts des anderen Elternteils ist zwar die tatsächliche Wohngemeinschaft der Eltern für die Dauer des Aufenthalts aufgehoben. Das ändert aber nichts daran, dass bei einem zeitlich begrenzten Krankenhausaufenthalt das für die Annahme einer „dauerhaften Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft“ wesentliche Element der Absicht, diese auf Dauer zu führen (vgl 10 ObS 50/19d), nicht beseitigt wird. Ebenso wenig ist das gemeinsame Wirtschaften beendet, ändert doch ein vorübergehender Krankenhausaufenthalt nichts an der Notwendigkeit der Aufrechterhaltung eines auf drei Personen ausgelegten Haushalts.
7.1. Gemessen am klaren Gesetzeszweck des FamZeitbG ist im Fehlen einer Ausnahmeregel vom Erfordernis des tatsächlichen Aufenthalts des „anderen Elternteils“ an der Familienwohnadresse in Fällen eines unvorhersehbaren, medizinisch erforderlichen stationären Krankenhausaufenthalts dieses Elternteils eine verdeckte Gesetzeslücke zu erkennen, die eine teleologische Reduktion (vgl RS0008979; RS0008839) des § 2 Abs 3 FamZeitbG erforderlich macht. Der überschießende, keine Ausnahme vorsehende Gesetzeswortlaut ist daher dahin zu reduzieren, dass in einem solchen Fall der gemeinsame Haushalt iSd § 2 Abs 1 Z 3, Abs 3 FamZeitbG weiterbesteht.
8. Im Fall eines unvorhersehbaren, medizinisch erforderlichen stationären Krankenhausaufenthalts des „anderen Elternteils“ während der Familienzeit des Vaters liegt ein gemeinsamer Haushalt iSd § 2 Abs 1 Z 3, Abs 3 FamZeitbG vor.
9. Der Revision der Beklagten war daher nicht Folge zu geben.
Zusatzinformationen
Tabelle in neuem Fenster öffnen
ECLI: | ECLI:AT:OGH0002:2020:010OBS00147.19V.0121.000 |
Dieses Dokument entstammt dem Rechtsinformationssystem des Bundes.