OGH vom 24.04.2013, 9Ob49/12i
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kuras und Mag. Ziegelbauer, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Dehn und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Hargassner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei A***** AG, *****, vertreten durch Tinzl Frank Rechtsanwälte-Partnerschaft in Innsbruck, gegen die beklagte Partei mj B***** H*****, vertreten durch Mag. Martin Singer, Rechtsanwalt in Schwaz/Tirol, wegen 20.484,63 EUR sA und Feststellung (6.000 EUR; Revisionsinteresse: 16.242,32 EUR), über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck vom , GZ 10 R 54/12k-19, mit dem der Berufung der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck vom , GZ 11 Cg 122/11f 12, teilweise Folge gegeben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit 1.049,04 EUR (darin 174,84 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Am ereignete sich im Bereich des Bahnendes der von der Liftanlagen Z***** GmbH Co KG (idF: Rodelbahnbetreiberin) in ***** betriebenen Sommerrodelbahn ein Unfall, bei dem der damals achtjährige Beklagte auf eine vor ihm fahrende Rodlerin (idF: Geschädigte) auffuhr. Diese wurde dabei schwer verletzt. Die Klägerin ist die Haftpflichtversicherin der Rodelbahnbetreiberin.
Die Geschädigte machte ihre unfallkausalen Ansprüche zunächst gegenüber dem Beklagten geltend (Bezirksgericht Kufstein, AZ 5 C 1822/04a). Das Klagebegehren wurde mit der Begründung abgewiesen, dass eine Haftung des Beklagten nach § 1310 ABGB nur subsidiär in Frage komme und die Geschädigte die tatsächlichen Voraussetzungen für die ausnahmsweise Heranziehung des unmündigen Schädigers zur Haftung nicht behauptet und bewiesen habe.
Aufgrund dessen brachte die Geschädigte gegen die Rodelbahnbetreiberin, deren persönlich haftende Gesellschafterin sowie die Eltern des Beklagten eine Klage ein (Landesgericht Innsbruck, AZ 11 Cg 180/06b). Das Klagebegehren wurde hinsichtlich der Eltern des Beklagten rechtskräftig abgewiesen, weil keine Aufsichtspflichtverletzung vorgelegen sei. Hingegen wurden die Rodelbahnbetreiberin und ihre persönlich haftende Gesellschafterin zu einer Zahlung von 23.801,27 EUR sA an die Geschädigte verpflichtet und mit Teilanerkenntnisurteil ihre Haftung für künftige Schäden festgestellt.
Diesem Verfahrensergebnis lagen zusammengefasst folgende Feststellungen zugrunde:
Nach der Beförderungsordnung dürfen Kinder unter acht Jahren die Bahn nur zusammen mit Älteren (über acht Jahre) auf zweisitzigen Rodelschlitten benützen. Gemäß der Betriebsvorschrift befinden sich im Bereich des Einstiegs zur Rodelbahn bei der Mittelstation umfassende, gut leserliche und erkennbar angebrachte Hinweisschilder, unter anderem solche mit gleichem Inhalt wie bei der Talstation sowie folgende weitere: „Achtung, bei nasser Fahrbahn längerer Bremsweg mehr Abstand“ und „15 m Abstand halten!!“. Außerdem sind die Beförderungsbedingungen samt skizzenhafter Darstellung der Rodelhaltung angeschlagen. Daneben befindet sich für jede der beiden Rodelbahnen eine Ampel, die jeweils mit Rot- und Grünphase ausgestattet ist. Bei der Abfahrt im Verlauf der Rodelbahn befinden sich vor Kurven Dreieckstafeln mit der Aufforderung „Bremsen!“. In der Dreieckstafel findet sich ein Piktogramm, das zeigt, dass durch Ziehen des Hebels zum Körper die Bremse betätigt wird. Bei der Zieleinfahrt kann man die Talstation der Seilbahn spätestens in der vorletzten Kurve klar sehen. Vor dieser Kurve befindet sich ein Banner mit den Aufschriften „Langsam slow ralentir ralentare“ rund um ein Dreieck mit Rufzeichen, ähnlich einem Vorschriftszeichen nach der StVO. Vor der letzten Kurve ist über der Bahn ein Gestell mit orangefarbenen Bändern angeordnet; darüber findet sich die Aufschrift „Langsam, noch 30 m bis Bahnende“. Zehn Meter vor dem Bahnende befindet sich nochmals ein Gestell mit orangefarbenen herabhängenden Bändern. Die Erkennbarkeit, dass man sich dem Ziel nähert, ist eindeutig gewährleistet. Im Zielhaus hängt ein Hinweisschild „Rasch aussteigen“. Bei Befolgung der Anordnungen ist die Bahnbenützung ohne Weiteres möglich. Besondere Gefahrenmomente liegen nicht vor. Ein allfälliger Rückstau beim Bahnende ist auch vor Durchfahren des zweiten Gestells mit orangefarbenen herabhängenden Bändern erkennbar. Zwar ist aus einer Entfernung von ca 18,5 m vor dem Bahnende das Zielhaus nicht einsehbar, die Bahnstrecke davor bis zum Förderband ist jedoch frei zu erkennen. Durch die herabhängenden orangefarbenen Bänder wird die Aufmerksamkeit des Nutzers der Sommerrodelbahn auf das nahende Bahnende gelegt. Die Bänder dienen dazu, dass sich der jeweilige Nutzer auf den Bremsvorgang konzentriert. Die Bauweise der Rodelbahn ist so geartet, dass die Rodelbahn auch für einen Achtjährigen beherrschbar ist.
Als sich die Eltern des Beklagten mit ihm zur Sommerrodelbahn begaben, fragte der Vater beim Kauf der Fahrkarte nach, ob der Beklagte alleine fahren dürfe. Dies wurde vom Personal bejaht. Die Eltern lasen in der Folge bei der Mittelstation vor Benützung der Rodelbahnanlage dem Beklagten die Beförderungsbedingungen vor und erklärten ihm die Handhabung der Rodel. Sie gingen mit ihm Punkt für Punkt die Beförderungsbedingungen durch. Der Beklagte verstand diese Anweisungen. Bei der ersten Fahrt fuhr der Vater voraus, der Beklagte folgte ihm mit einer Einsitzrodel nach. Bei dieser ersten Abfahrt drehte sich der Vater manchmal um, um mit dem Beklagten in Sichtkontakt zu bleiben. Der Vater fuhr sodann vor ihm in die Talstation ein und auf das Förderband auf. Beide stiegen aus dem Schlitten aus. Nach der ersten Fahrt hatte der Vater den Eindruck, dass der Beklagte die Rodel sicher beherrscht. Daraufhin begab sich die Familie wiederum zum Einstieg der Rodelbahn. Nachdem die Geschädigte losgefahren war, wartete der Beklagte auf Geheiß seiner Eltern vier Ampelphasen ab, bevor er sich auf die Rodelbahn begab. Der Vater nahm die nächste Rodel hinter dem Beklagten und fuhr ihm nach. Vor dem Beklagten fuhren die Geschädigte, ihre Schwester und ihr Schwager und vor diesen ein älterer Herr, auf den die Schwester und der Schwager der Geschädigten bereits in etwa in Mitte der Rodelbahn aufgeschlossen hatten. Als der ältere Herr in etwa mit der Hälfte der Rodel in das Zielhäuschen eingefahren war, blieb er stehen und verließ die Rodel. Die Schwester und der Schwager der Geschädigten mussten daraufhin hinter dieser Rodel stehen bleiben, konnten also nicht ins Zielhäuschen einfahren. Dahinter hielt die Geschädigte die von ihr gelenkte Rodel an. Nicht festgestellt werden konnte, wie viel Zeit zwischen dem Erreichen der Stillstandsposition durch die Geschädigte und dem nachfolgenden Aufprall des ihr nachfolgenden Beklagten mit seiner Rodel verging. Der Beklagte bremste jedenfalls vor den gegen Ende der Rodelbahn befindlichen herabhängenden Streifenvorhängen. Die konkrete Fahrgeschwindigkeit vor dem Aufprall auf die Rodel der Geschädigten konnte ebenso wenig festgestellt werden wie welches konkrete Bremsverhalten der Beklagte vor der Kollision gesetzt hatte. Der Abstand vom Heck der Rodel der Geschädigten bis zum (letzten) orangefarbenen Bändervorhang lag zwischen 6,4 und 5,3 m. Der Abstand zwischen dem Beginn des Bremsbandes im Zielbereich und dem orangen Bändervorhang beträgt ca 10 m. Zwischen der Bildung des Rückstaus bis zum Auffahren des Beklagten lag jedenfalls eine Zeitspanne von rund zehn Sekunden. Im Zielbereich befindet sich in einiger Entfernung vom Zielhäuschen dort, wo der Lift die Rodler zur Mittelstation bringt und die Rodeln hinauftransportiert werden, ein die Rodeln kontrollierender Mitarbeiter.
In rechtlicher Hinsicht wurde in jenem Verfahren die Haftung der Rodelbahnbetreiberin und der persönlich haftenden Gesellschafterin für das Unfallgeschehen bejaht, weil die Rodelbahnbetreiberin zusammengefasst verpflichtet gewesen wäre, zumindest einen Bediensteten abzustellen, der im Bereich des Zielhäuschens die Strecke und die Zieleinfahrt beobachtet und darauf hinwirkt, dass alle Benützer der beiden parallel geführten Sommerrodelbahnen ohne vorheriges Anhalten in das Zielhäuschen auf das Bremsförderband fahren, damit es zu keinem Rückstau und keinen Auffahrunfällen kommt. Der so installierte Bedienstete wäre dann auch gehalten, Benützern, die vor Bahnende anhalten, rasch entsprechende Anweisungen zu geben und diesen Hilfestellungen zu leisten, etwa durch Anschieben, damit diese mit ihren Schlitten auch auf das Förderband gelangen und die Rodel weiter bis zur Liftanlage transportiert wird. Diese Problematik sei der Rodelbahnbetreiberin im Hinblick auf bereits zuvor geschehene gleichartige Unfälle bekannt gewesen. Auch sei es als Sorgfaltsverstoß zu werten, dass es keine Hinweisschilder gebe, wonach die Benützer der Rodelbahn auf das Bremsförderband auffahren müssten, damit ihr Schlitten nicht in der Bahn stehen bleibe und die Zieleinfahrt für nachkommende Rodler frei sei.
Im vorliegenden Verfahren begehrte die Klägerin vom Beklagten die Zahlung von 20.484,63 EUR (= zwei Drittel des an die Geschädigte geleisteten Betrags) sowie die Feststellung der Haftung des Beklagten für alle Folgen und Nachteile der Geschädigten aufgrund ihrer Deckungspflicht als Haftpflichtversicherin der Rodelbahnbetreiberin im Umfang von zwei Dritteln. Infolge Zahlung seien die Ersatzansprüche der Rodelbahnbetreiberin gegenüber dem Beklagten auf die Klägerin gemäß § 67 VersVG übergegangen. Der Beklagte verfüge über einen Versicherungsschutz und habe daher Vermögen iSd § 1310 ABGB. Ihn treffe aber auch ein massives Mitverschulden am Vorfall, weil er unter Missachtung sämtlicher Warnhinweise ungebremst auf die vor ihm befindliche Rodel aufgefahren sei, obwohl er dort die Staubildung habe erkennen müssen. Eine interne Haftungsteilung gemäß § 896 ABGB von 2:1 zu Gunsten der Klägerin sei angemessen.
Der Beklagte bestritt, beantragte Klagsabweisung und wandte ein, dass ihn keinerlei Mitverschulden treffe. Vielmehr habe die Rodelbahnbetreiberin durch fehlende Maßnahmen im Zielbereich den Auffahrunfall veranlasst.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Dabei ging es unter anderem davon aus, dass der Beklagte entgegen den Warnhinweisen im unteren Streckenabschnitt mit zu hoher Geschwindigkeit in den Zielbereich eingefahren sei, wodurch es zu einem Auffahren auf die Geschädigte gekommen sei. Eine Bindungswirkung an die Rechtskraft der Entscheidung im Verfahren des Bezirksgerichts Kufstein, 5 C 1822/04a, bestehe nicht, weil die dortige Klagsabweisung aus formaljuristischen Gründen erfolgt sei. Im Rahmen der Prüfung der Billigkeitshaftung nach § 1310 ABGB sei ein Verschulden des damals achtjährigen Beklagten zu bejahen. Aufgrund der Einschulung durch seine Eltern und der ersten Fahrt hinter seinem Vater habe ihm klar sein müssen, dass gerade im Zielbereich ein Fahren auf Sicht notwendig sei und die Fahrgeschwindigkeit erheblich herabgesetzt werden müsse. Für ihn stehe eine Haftpflichtversicherungssumme von 726.728 EUR zur Verfügung. Der Betreiberin der Liftanlagen sei eine Verletzung von Schutz- und Sorgfaltspflichten anzulasten, weil sie die zur Verhütung gefährlicher Situationen bei einem Rückstau vor der Zielfahrt erforderlichen Maßnahmen unterlassen habe. Das Fehlverhalten sei im Verhältnis 2:1 zu Lasten des Beklagten zu berücksichtigen.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei teilweise Folge und änderte das Ersturteil im Sinne einer Schadensteilung im Verhältnis 2:1 zu Gunsten des Beklagten ab. Einer Subsidiarität der Billigkeitshaftung Deliktsunfähiger nach § 1310 ABGB für den Fall, dass von einem Dritten, nicht Aufsichtspflichtigen, voller Ersatz verlangt werden könne, stehe die klare Textierung des § 1310 ABGB entgegen, wonach der Geschädigte auf den Minderjährigen greifen könne, wenn der Geschädigte „auf solche Art“, dh nach Maßgabe des § 1309 ABGB, Ersatz nicht erhalten könne. Sonst ergäbe sich auch ein Wertungswiderspruch zur von der Rechtsprechung bejahten Schadensteilung zwischen dem Geschädigten und dem Minderjährigen (§ 1304 ABGB) für den Fall, dass beide unabhängig voneinander Bedingungen für die Entstehung des Schadens gesetzt hätten. Die Geschädigte habe den Schaden auch nicht iSd § 1308 ABGB herausgefordert. Bei einem erwachsenen Sommerrodelbahnbenützer wäre eine Schadensteilung im Ausmaß 1:1 angemessen, beim Beklagten sei eine Reduktion der Haftung auf ein Drittel billig. In diesem Umfang bestehe daher auch seine Regresspflicht iSd § 896 ABGB. Die Revision sei mangels jüngerer Rechtsprechung insbesondere zur Frage der Subsidiarität des § 1310 ABGB, wenn voller Ersatz von einem dritten Schädiger erlangt werden könne, zulässig.
In seiner dagegen gerichteten Revision beantragt der Beklagte, das Berufungsurteil im Sinn einer Klagsabweisung abzuändern, hilfsweise stellt er einen Aufhebungsantrag.
Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen, in eventu, ihr keine Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist zulässig , jedoch nicht berechtigt .
1. In seiner Revision macht der Beklagte einen Verstoß gegen die Rechtskraft des abweisenden Urteils, das im Verfahren der Geschädigten gegen den Beklagten gefällt wurde, nicht mehr geltend. Das Berufungsgericht hat über die Einrede der Rechtskraft wenn auch nur in den Entscheidungsgründen auch bindend abgesprochen (vgl RIS Justiz RS0042917, RS0043405 [T9, T 10, T 21, T 23, T 37]).
2. Ein Regressanspruch der Klägerin gegen den Beklagten setzt voraus, dass dem Versicherungsnehmer (= Rodelbahnbetreiber) ein Schadenersatzanspruch gegen den Beklagten zusteht, der durch die Erbringung der Versicherungsleistung auf die Klägerin als Versicherer übergegangen ist (§ 67 VersVG). Der Anspruch des Rodelbahnbetreibers gegen den Beklagten ist hier zwar kein Schadenersatzanspruch im eigentlichen Sinn, sondern ein Rückgriffsanspruch aus der Schadenszufügung durch den Rodelbahnbetreiber und den Beklagten iSd § 1302 letzter Halbsatz ABGB, auf den § 896 ABGB zur Anwendung kommt (RIS-Justiz RS0017514). Auch dieser unterliegt aber dem Übergang nach § 67 VersVG.
Allgemein wird der Regressanspruch als selbstständiger Anspruch gesehen, dessen Art und Umfang sich nach dem zwischen den Streitteilen bestehenden „besonderen Verhältnis“ richtet (RIS-Justiz RS0122266; vgl auch RS0026698; RS0026803). Dies hindert aber nicht, dass dann, wenn mehrere Personen an einem Schadensfall schuld sind und der Haftpflichtversicherer des einen die Ansprüche des geschädigten Dritten zur Gänze befriedigt, die Forderung auf Ersatz des dem Verschuldensanteil entsprechenden Teils des bezahlten Betrags gegen den anderen Schädiger auf den Versicherer übergeht (RIS-Justiz RS0017371).
3. Ein iSd § 67 VersVG auf die Klägerin übergegangener Rückgriffsanspruch des Rodelbahnbetreibers setzt die Mithaftung des Beklagten gegenüber der Geschädigten voraus (vgl RIS-Justiz RS0026803). Zu prüfen ist daher, ob der Geschädigten auch gegenüber dem Beklagten ein Schadenersatzanspruch zugestanden wäre.
Deliktsunfähige Schädiger trifft grundsätzlich keine Haftung. Allerdings ordnet § 1310 ABGB eine Haftung Deliktsunfähiger nach Maßgabe der Billigkeit an. Nach dieser Bestimmung soll das Gericht mit Erwägung des Umstands, ob dem Beschädiger, ungeachtet er gewöhnlich seines Verstandes nicht mächtig ist, in dem bestimmten Falle nicht dennoch ein Verschulden zur Last liege, oder, ob der Beschädigte aus Schonung des Beschädigers die Verteidigung unterlassen habe, oder endlich, mit Rücksicht auf das Vermögen des Beschädigers und des Beschädigten, auf den ganzen Ersatz, oder doch einen billigen Teil desselben erkennen. Eine Ersatzpflicht besteht aber selbst dann nicht, wenn der Geschädigte vom Aufsichtspflichtigen Ersatz wegen einer von diesem zu verantwortenden Pflichtverletzung erhalten kann (§ 1309 ABGB). Denn § 1310 ABGB macht die Ersatzpflicht davon abhängig, dass der Beschädigte „auf solche Art den Ersatz nicht erhalten“ kann. Aus § 1310 ABGB ergibt sich somit, dass die Haftung des Deliktsunfähigen gegenüber der Haftung eines Aufsichtspflichtigen subsidiär ist (etwa Harrer in Schwimann , ABGB 3 § 1310 Rz 1 f). Sie erfasst nach herrschender Meinung sowohl jene Fälle, in denen den Aufsichtspflichtigen mangels Verschuldens keine Ersatzpflicht trifft, als auch jene der nicht erfolgreichen Durchsetzung und Einbringlichkeit eines an sich bestehenden Ersatzanspruchs.
4. Der Beklagte meint, die Bahnbetreiberin habe die ihr vertraglich übertragene partielle Aufsichtspflicht gegenüber dem Beklagten verletzt, sodass ihn auch deshalb keine Schadenersatzpflicht treffe.
Aufsichtspflichtige Personen sind zunächst jene Personen, denen kraft Gesetzes die Obsorge für das Kind obliegt. Das sind in erster Linie die Eltern (§§ 144, 146 ABGB). Während des Unterrichts und bei Schulveranstaltungen trifft auch Lehrer eine Aufsichtspflicht (§ 51 SchUG). Ferner kann sich die Aufsichtspflicht aus einer rechtsgeschäftlichen Verpflichtung ergeben ( Schacherreiter in Kletečka/Schauer , ABGB-ON 1.00 § 1309, Rz 4; Karner in KBB³, ABGB § 1309 Rz 4; Reischauer in Rummel ³, ABGB § 1309 Rz 2; Harrer in Schwimann , ABGB³ § 1309 Rz 2 f).
In der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs wurden als aufsichtspflichtige Personen iSd § 1309 ABGB ua Kindergärtnerinnen (1 Ob 8/91, 10 Ob 2441/96k), Betreuer in einem Jugendwohnheim (6 Ob 1/60, 7 Ob 251/06x), Erzieher (6 Ob 851/82), Lehrer (7 Ob 752/80, 8 Ob 115/00w, 1 Ob 91/08a) und der Lenker eines Kfz im Hinblick auf minderjährige Beifahrer (2 Ob 45/60) angesehen. In der Entscheidung 3 Ob 35/98p verlangte der Oberste Gerichtshof für eine rechtsgeschäftliche Übernahme der Aufsicht ein Anbot, auf die aufsichtsbedürftige Person aufzupassen, und dessen eindeutige Annahme durch Übergabe des Minderjährigen zur Aufsicht.
Der vorliegende Sachverhalt ist mit der rechtsgeschäftlichen Übernahme der Aufsicht durch Kindergärtner, Kindermädchen oder auch sonstige Personen jedoch nicht vergleichbar. Im Gegensatz zu den genannten Fällen verpflichtet sich ein Rodelbahnbetreiber allein durch den Verkauf von Fahrkarten gerade nicht dazu, die den Eltern zukommende Aufsichtspflicht über einen Minderjährigen für die Zeit der Rodelbahnfahrt zu übernehmen. Die Anwendbarkeit des § 1310 ABGB ist hier daher nicht wegen einer vorrangigen Aufsichtspflichtverletzung iSd § 1309 ABGB ausgeschlossen.
5. Nach überwiegender Ansicht betrifft die Subsidiarität des § 1310 ABGB nur die Ansprüche gegenüber den in § 1309 ABGB genannten Personen und nicht gegenüber sonstigen Ersatzpflichtigen. Die Haftung eines Dritten, der etwa deshalb schadenersatzpflichtig wird, weil er den Unmündigen zur Schädigung veranlasst hat, steht einer Anwendung des § 1310 ABGB nicht entgegen ( Koziol , Haftpflichtrecht II 2 311; Karner in KBB 3 § 1310 Rz 2; Wolff in Klang , ABGB Bd VI 2 § 1310 S 78; Schacherreiter ABGB ON § 1310 Rz 6).
Reischauer in Rummel ABGB 3 § 1310 Rz 2, vertritt dagegen, dass nach der ratio der §§ 1308 und 1309 ABGB Subsidiarität wohl auch gegeben sei, wenn von einem Dritten, nicht Aufsichtspflichtigen, voll Ersatz erlangt werden könne. Für diesen Standpunkt spricht zwar, dass das Vermögen Deliktsunfähiger dergestalt noch weitergehend Schutz fände. Dagegen lässt sich aber einwenden, dass eine haftungsbegründende Verletzung der Aufsichtspflicht in der Regel in einem inneren Zusammenhang mit der Schadenszufügung durch den Deliktsunfähigen steht, während der Dritte wie hier keine Pflicht und häufig auch keine Möglichkeit zur Einflussnahme auf den Deliktsunfähigen hat, sodass sein schadenskausales Verhalten von jenem des Deliktsunfähigen auch unabhängig sein kann.
6. Auch die Rechtsprechung entspricht der herrschender Ansicht:
- Bereits in der Entscheidung 2 Ob 129/70 (verstärkter Senat) wurde ausgesprochen, dass dann, wenn für die Schädigung ein Deliktsfähiger iSd § 1301 ABGB mitverantwortlich war und Letzterer zufolge der Bestimmungen des § 1302 ABGB vom Geschädigten in Anspruch genommen wurde, auch der Deliktsunfähige so weit regresspflichtig ist, als seine Haftung nach § 1310 ABGB reicht (= RIS-Justiz RS0026589).
- Zu 2 Ob 115/80 wurde ausgesprochen, dass ein Mitverschulden des Geschädigten nicht zum gänzlichen Erlöschen seines Ersatzanspruchs führt. Vielmehr ist die Schadensteilung nach § 1304 ABGB gemäß § 1308 ABGB nur dann ausgeschlossen, wenn der Geschädigte das schädigende Verhalten des Unmündigen geradezu veranlasst hat. Wenn jedoch der Geschädigte und der Unmündige unabhängig voneinander Bedingungen für die Entstehung des Schadens gesetzt haben, bleibt es bei der Schadensteilung nach § 1304 ABGB. Eben dazu hat das Berufungsgericht zutreffend darauf hingewiesen, dass ein Wertungswiderspruch entstünde, wenn ein Mitverschulden des Geschädigten den Ersatzanspruch gegenüber dem Deliktsunfähigen nicht ausschließt, das Mitverschulden eines Dritten hingegen schon.
- In den Entscheidungen 7 Ob 31/95 und 7 Ob 514/96 wurde bei gemeinsamer Schadensverursachung durch mündige und unmündige Minderjährige eine solidarische Haftung nach § 1302 ABGB bejaht: Es gebe jedenfalls dann keinen Anlass, von dem in § 1302 ABGB verankerten Grundsatz der solidarischen Haftung mehrerer zusammenwirkenden Schädiger abzuweichen, wenn eine Haftpflichtversicherung zugunsten des in Anspruch genommenen Minderjährigen bestehe.
- Schließlich wurde im Hinblick auf den Versicherungsregress Versicherern von nach dem EKHG haftenden Kfz-Haltern im Regressweg Ersatz durch deliktsunfähige (Mit-)Schädiger zugebilligt (8 Ob 48/75; 7 Ob 52/83).
Da danach aber kein hinreichender Grund besteht, von dieser Rechtsprechung abzukehren und die Subsidiarität des § 1310 ABGB generell auf Fälle eines deliktsfähigen Mit- oder Nebentäters auszuweiten, ist eine Haftung des Beklagten nicht prinzipiell ausgeschlossen.
7. Das Ausmaß der Ersatzpflicht im Innenverhältnis iSd § 1302 ABGB richtet sich grundsätzlich nach dem jeweiligen Verursachungs-, Rechtswidrigkeits- und Schuldanteil jedes einzelnen Mitschuldners am Entstehen der Gesamtschuld (RIS-Justiz RS0017514 [T12]). Im Hinblick auf deliktsunfähige Mitschuldner ist auch die Wertung des § 1310 ABGB zu berücksichtigen, sodass im vorliegenden Fall zu prüfen ist, ob und inwieweit eine Ersatzpflicht des Beklagten mit Rücksicht auf sein Vermögen hier die bestehende Haftpflichtversicherung sowie darauf, ob ihm nicht doch ein Verschulden zur Last zu legen ist, der Billigkeit entspricht.
Die dazu von der Rechtsprechung geprägten Grundsätze der Haftung wurden vom Berufungsgericht umfassend dargelegt und zutreffend auf den konkreten Fall übertragen. Auf sie kann daher verwiesen werden (§ 510 Abs 3 ZPO). Die Revision gibt keinen Grund, die vom Berufungsgericht im Rahmen seines Ermessens vorgenommene Schadensteilung abzuändern.
8. Soweit sich der Beklagte auf § 1308 ABGB beruft, weil die Bahnbetreiberin selbst schuldhaft Veranlassung zur Schädigung gegeben habe, so steht dem entgegen, dass eine „Veranlassung“ iSd § 1308 ABGB nur gegeben ist, wenn der Geschädigte das schädigende Verhalten geradezu herausgefordert hat, nicht aber, wenn der Geschädigte und der Deliktsunfähige unabhängig voneinander Bedingungen für die Entstehung des Schadens gesetzt haben (2 Ob 115/80 ua; s auch Karner in KBB 3 § 1308 Rz 3). Von einer in diesem Sinn qualifizierten „Veranlassung“ ist aber weder bei der Geschädigten noch beim Rodelbahnbetreiber auszugehen.
9. Insgesamt hat das Berufungsgericht die Haftung des Beklagten danach zutreffend bejaht. Der Revision ist daher keine Folge zu geben.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.
European Case Law Identifier
ECLI:AT:OGH0002:2013:0090OB00049.12I.0424.000