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OGH vom 24.11.1993, 7Ob33/93

OGH vom 24.11.1993, 7Ob33/93

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Warta als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Niederreiter, Dr.Schalich, Dr.Tittel und Dr.I.Huber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Markus K*****, vertreten durch Dr.Karl Mayer und Dr.Hans-Georg Mayer, Rechtsanwälte in Klagenfurt, wider die beklagte Partei Z***** Versicherungs-AG, ***** vertreten durch Dr.Anton Knees, Rechtsanwalt in Klagenfurt, wegen Feststellung (Streitwert S 100.000,--) infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes vom , GZ 2 R 77/93-18, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt vom , GZ 24 Cg 179/92-14, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben und das Urteil des Berufungsgerichtes dahin abgeändert, daß die Entscheidung des Erstgerichtes wiederhergestellt wird.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 2.996,90 (darin S 566,10 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens und die mit S 11.377,-- (darin S 1.132,-- Umsatzsteuer und S 6.000,-- Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Am kam es durch einen Frostaufbruch der Wasserleitungen in der Mansardenwohnung eines Hauses in Klagenfurt zu einem Leitungswassergebrechen und anschließend zu einer Überflutung der darunterliegenden Wohnungen. Der Kläger hat dieses Haus erst einige Jahre vor dem Schadensfall erworben. Für dieses Haus besteht bei der beklagten Partei eine Leitungswasserschadensversicherung, der die AWB 1986 zugrundeliegen. In Ergänzung zu Art. 3 der ABS (Verletzt der Versicherungsnehmer gesetzliche, polizeiliche oder vereinbarte Sicherheitsvorschriften, oder duldet er ihre Verletzung ...) schreibt Art. 6 Abs. 2 der AWB 1986 vor: "Der Versicherungsnehmer übernimmt ferner die Verpflichtung, in nicht benutzten und nicht beaufsichtigten Baulichkeiten die Wasserleitungsanlagen und sonstige wasserführende Anlagen abzusperren. Während der möglichen Heizperiode sind zusätzlich sämtliche wasserführenden Leitungen und Anlagen zu entleeren, sofern die Heizung nicht durchgehend in Betrieb gehalten wird. Das gleiche gilt für vorübergehend außer Betrieb gesetzte Anlagen."

Die in einem Teil des Dachgeschoßes des Hauses ausgebaute Mansardenwohnung war längere Zeit vor dem Schadensfall nicht bewohnt. Bereits im Winter 1990/91 kam es dort zu einem Frostschaden samt Wasseraustritt in die darunterliegende Wohnung. Aus diesem Grund wurden im Auftrag des Klägers von einer Installationsfirma am alle Wasserleitungen der Mansardenwohnung entleert. Der Monteur der Installationsfirma fand die Wohnung unversperrt vor. Der nicht in Klagenfurt wohnende Kläger besucht das Haus nur ca. einmal im Jahr. Vor dem gegenständlichen Wasserschaden war der Kläger zuletzt im August 1991 dort, weil er über Rat seines Architekten eine Dachbodenentrümpelung veranlaßte. Gleichzeitig gab er einen Schlösseraustausch hinsichtlich der nicht bewohnten Mansardenwohnung in Auftrag, um Gleichsperrigkeit zu erreichen. Diese Arbeiten wurden von einem Bauleiter des Büros des Architekten beaufsichtigt. Der Kläger hat sich bei seinem damaligen Besuch nicht darum gekümmert, ob die Wasserleitungsanlagen in der Mansardenwohnung nach wie vor abgesperrt waren. Die Mieter des Hauses haben am nicht ausgebauten Dachbodenteil Benützungsrechte. Sie können diesen Teil des Dachbodens aber nur über die Mansardenwohnung betreten. Dementsprechend haben die Mieter Wohnungsschlüssel zu dieser Wohnung. Es konnte nicht festgestellt werden, wer die in der Mansardenwohnung abgesperrten Wasserleitungen wieder aufgedreht hat. Am war die Dachbodenwohnung versperrt; die Feuerwehr mußte die Schlösser aufbrechen.

Der Kläger begehrt gegenüber der Beklagten die Feststellung, daß diese für den Wasserschaden vom deckungspflichtig sei.

Die beklagte Partei beantragt die Klagsabweisung und wendet ein, daß die Wohnung ein Jahr lang unbewohnt gewesen und nicht beaufsichtigt worden sei; der Kläger habe nicht für eine ordnungsgemäße Entleerung der wasserführenden Anlagen gesorgt. Die Wohnung habe sich in einem katastrophalen Zustand befunden, was einer Gefahrenerhöhung gleichzuhalten sei. Dem Kläger wurde grobe Fahrlässigkeit vorgeworfen.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Dem Kläger falle keine grobe Fahrlässigkeit zur Last, weil er seiner Verpflichtung, die Wasserleitung in der unbewohnten Dachbodenwohnung entleeren zu lassen, nachgekommen sei. Es sei für den Kläger nicht voraussehbar gewesen, daß entweder einer der Handwerker oder ein Mieter seines Hauses den Absperrhahn wieder aufdrehe.

Das Berufungsgericht gab mit der angefochtenen Entscheidung der Berufung der beklagten Partei Folge und wies das Klagebegehren ab. Es bewertete den Streitgegenstand als mit S 50.000,-- übersteigend und erklärte die Revision für unzulässig. Das Berufungsgericht vertrat den Standpunkt, daß dem Kläger zufolge unterlassener Kontrolle der Wasserleitungsanlage der Mansardenwohnung (zu Winterbeginn) grobe Fahrlässigkeit zur Last zu legen sei. Der Kläger hatte damit rechnen müssen, daß irgendeine der zum Zutritt berechtigten Personen das Absperrventil wieder aufdreht.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision des Klägers ist zulässig und berechtigt.

Die eingangs zitierten Versicherungsbedingungen wurden von den Vorinstanzen zwar nicht festgestellt, jedoch der Entscheidung zugrundegelegt; beide Parteien gehen von der Anwendbarkeit dieser Versicherungsbedingungen aus. Da feststeht, daß der Kläger der Obliegenheit, die Wasserleitungsanlage zu entleeren, nachgekommen ist, ist zu prüfen, ob die regelmäßige Kontrolle einer nicht bewohnten Wohnung und damit auf die Kontrolle, ob die Wasserleitungsanlagen auch entleert geblieben sind, eine zusätzliche Obliegenheit des Versicherungsnehmers darstellt, die er im vorliegenden Fall verletzt hätte. Eine Rechtsprechung zur vorliegenden Fallkonstellation fehlt. Der Entscheidung 7 Ob 4/84 (= VersR 1985, 556) lag die Versicherungsbedingung zugrunde, nach der bei einem unbewohnten und unbeaufsichtigten Gebäude während der Versicherungsmonate die Wasserleitungsanlage abzusperren "und entleert zu halten" war. Diese Entscheidung kann auch deshalb nicht für den vorliegenden Fall herangezogen werden, weil ihr zwar ein unbewohntes Haus zugrundelag, vom Versicherungsnehmer aber nicht eine Entleerung der Wasserleitungsanlage vorgenommen, sondern die durchgehende Beheizung einer Kontrollperson, die zwei- bis dreimal pro Woche das Haus beaufsichtigen sollte, überlassen worden war. Auch die deutschen Versicherungsbedingungen (AWB 1987, VHB 1984 und VGB 1988) sind mit den vorliegend vereinbarten Versicherungsbedingungen im strittigen Punkt nicht vergleichbar, weil sie neben dem Absperren und Entleeren der Wasserleitungsanlage auch die Verpflichtung des Versicherungsnehmers vorsehen, die Anlage entleert zu halten. Eine ständige Kontrollpflicht des Versicherungsnehmers wird für die als Alternative zur vorliegenden strittigen Obliegenheit vorgesehene ausreichende Beheizung hervorgehoben (vgl. Martin SVR3 M I Rz 70 ff). In der deutschen Rechtsprechung zu den AWB 1968 war früher fraglich, ob die Obliegenheit des Entleerens auch als Vorsorge gegen Böswilligkeit Dritter gedacht war, doch bildete sich als herrschende Ansicht heraus, daß sie nur der Frostvorsorge zu dienen hat (vgl. Martin aaO Rz 80 f). Die AWB 1987 verlangen für nicht benützte Gebäude und Gebäudeteile sogar das Entleeren usw. der Anlage auch außerhalb der kalten Jahreszeit oder eine "genügend häufige" Kontrolle der nicht benützten Gebäude, was aber in der Lehre auf Kritik stieß (vgl. Martin aaO Rz 86). Den zu diesen Bedingungen ergangenen deutschen Entscheidungen lagen aber jeweils Fälle zugrunde, in denen der Versicherungsnehmer die Wasserleitungsanlage nicht entleert hatte, sondern sich für die durchgehende Beheizung und deren Kontrolle durch eine Kontrollperson entschieden hatte. All diese Fälle sind daher mit dem vorliegenden Sachverhalt nicht vergleichbar. Die österreichischen AWB 1986 sehen keine den deutschen AWB 1987 und VGB 1988 entsprechende Kontrollpflicht "für nicht genutzte Gebäude" (darunter sind unter Umständen auch nicht genutzte Gebäudeteile, die eine selbständige Entleerung der Wasserleitungsanlagen erlauben, zu verstehen) vor. Für den Kläger bestand sohin weder eine vertraglich vereinbarte noch eine gesetzlich gebotene Verpflichtung zur Kontrolle der Wasserleitungsanlagen. Noch weniger läßt sich Art. 6 Abs. 2 der AWB 1986 als ein an den Versicherungsnehmer gerichtetes Gebot im Sinne einer Vorsorge zur Abwendung von Schäden, die durch unbefugte, möglicherweise auch böswillige Eindringlinge verursacht werden, interpretieren. Die ihn treffende Obliegenheit, die Wasserleitungsanlage zu entleeren, hat der klagende Versicherungsnehmer im vorliegenden Fall befolgt. Nach den gegebenen Umständen kann aber dem Kläger auch keine grobe Fahrlässigkeit zur Last gelegt werden. Grob fahrlässig handelt, wer im täglichen Leben die erforderliche Sorgfalt gröblich, in hohem Grad, aus Unbekümmertheit oder Leichtfertigkeit außer acht läßt, wer nicht beachtet, was unter den gegebenen Umständen jedem einleuchten mußte; grobe Fahrlässigkeit ist gegeben bei schlechthin unentschuldbaren Pflichtverletzungen, die das gewöhnliche Maß an nie ganz vermeidbaren Fahrlässigkeitshandlungen des täglichen Lebens ganz erheblich übersteigen. Dabei muß die Schadenswahrscheinlichkeit so groß sein, daß es bei Anwendung eines objektiven Maßstabes ohne weiteres nahelag, zur Vermeidung des drohenden Schadensfalles ein anderes Verhalten als das geübte zu setzen, das Verhalten des Schädigers muß auch subjektiv schwerstens vorwerfbar sein (vgl. Prölss-Martin VVG25, 126 ff, 466 ff sowie Reischauer in Rummel ABGB2 § 1324 Rz 3). Nachdem zur Mansardenwohnung und damit zum Wasserabsperrventil nur ein beschränkter und keineswegs vertrauensunwürdiger Personenkreis (selbstbestellte Handwerker und die Mieter des Hauses) Zutritt hatte, lag für den Kläger kein Grund für die eher unwahrscheinliche Annahme vor, daß eine dieser Personen das Wasserabsperrventil mutwillig öffnet und die Wasserleitungsanlagen anschließend nicht mehr entleert. Die Annahme grober Fahrlässigkeit durch das Berufungsgericht ist daher rechtlich verfehlt.

Der Revision des Klägers war daher Folge zu geben und das Ersturteil wiederherzustellen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41 und 50 ZPO.