TEL.: +43 1 246 30-801  |  E-MAIL: support@lindeverlag.at
Suchen Hilfe
OGH vom 17.09.2014, 6ObA1/14m

OGH vom 17.09.2014, 6ObA1/14m

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr.

Pimmer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schramm und Univ. Prof. Dr. Kodek sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Hallas und Mag. Schönhofer als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Betriebsrat der T***** GmbH Co KG, vertreten durch Dr. Stephan Rainer, Rechtsanwalt in Innsbruck, gegen die beklagte Partei T***** Nfg GmbH Co KG, *****, vertreten durch Dr. Paul Delazer, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen Einsichtnahme nach § 89 Z 1 ArbVG, Mitteilung nach § 99 Abs 4 ArbVG und Feststellung, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom , GZ 13 Ra 11/14 29, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Text

Begründung:

Die Klägerin begehrt als Betriebsrat im Unternehmen der Beklagten Einsicht in Gehalts und Lohnabrechnungen aller Mitarbeiter. Da sich mehrere Mitarbeiter sowohl mündlich als auch schriftlich gegenüber der Geschäftsführung gegen die Übermittlung derartiger Unterlagen an den Betriebsrat aussprachen und um Geheimhaltung ihrer Daten ersuchten, gewährte die Beklagte der Klägerin keine Einsicht. Dagegen richtet sich die vorliegende Klage.

Das Erstgericht gab dem aufgrund eines Teilvergleichs eingeschränkten Klagebegehren auf Einsicht des Betriebsrats in die von der Beklagten geführten Aufzeichnungen über Bezüge der Arbeitnehmer, die sich gegen eine Einsicht ausgesprochen hatten, in die zur Berechnung dieser Bezüge erforderlichen Unterlagen, in alle auf diese Bezüge bezugnehmenden Auszahlungsunterlagen sowie in sämtliche Aufzeichnungen, deren Führung durch Rechtsvorschriften vorgesehen ist, insbesondere in Urlaubskarteien und Krankenstandsaufzeichnungen (§ 89 Z 1 ArbVG), statt. Weiters erklärte es die Beklagte schuldig, der Klägerin Einsicht in Arbeitszeiterfassungen dieser Arbeitnehmer zu geben sowie die Klägerin von jeder seit erfolgten Einstellung von Dienstnehmern zu informieren, wobei diese Mitteilung Angaben über die vorgesehene Verwendung und Einstufung des Arbeitnehmers, den Lohn oder das Gehalt sowie eine allfällige vereinbarte Probezeit oder Befristung des Arbeitsverhältnisses zu enthalten hat. Weiters sprach das Erstgericht aus, dass die Beklagte gemäß § 99 Abs 4 ArbVG verpflichtet ist, die Klägerin von jeder erfolgten Neueinstellung eines Arbeitnehmers zu informieren, wobei die Mitteilung wiederum Angaben über die vorgesehene Verwendung und Einstufung des Arbeitnehmers, den Lohn oder das Gehalt sowie eine allfällige vereinbarte Probezeit oder Befristung des Arbeitsverhältnisses zu enthalten hat.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und erklärte die Revision für nicht zulässig.

Rechtliche Beurteilung

Hierzu hat der Oberste Gerichtshof erwogen:

Die Revision ist nicht zulässig.

1. Nach ständiger Rechtsprechung reicht für das Vorliegen einer gesicherten Rechtsprechung bereits eine einzige ausführlich begründete Entscheidung, die im Schrifttum nicht auf Kritik gestoßen ist (vgl RIS Justiz RS0103384). Selbst bei Fehlen einer Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs liegt bei einer eindeutigen gesetzlichen Regelung keine erhebliche Rechtsfrage vor (RIS Justiz RS0042656).

2. Die Verfassungsbestimmung des § 1 Abs 1 DSG 2000 normiert, dass jedermann Anspruch auf Geheimhaltung der ihn betreffenden personenbezogenen Daten hat, soweit ein schutzwürdiges Interesse daran besteht (Grundrecht auf Datenschutz). „Daten“ („personenbezogene Daten“) definiert § 4 Z 1 DSG 2000 als Angaben über Betroffene, deren Identität bestimmt oder bestimmbar ist. „Sensible Daten“ („besonders schutzwürdige Daten“) sind Daten natürlicher Personen über ihre rassische und ethnische Herkunft, politische Meinung, Gewerkschaftszugehörigkeit, religiöse oder philosophische Überzeugung oder ihr Sexualleben (§ 4 Z 2 DSG 2000).

3.1. § 31 DSG 1978 sah vor, dass die dem Betriebsrat nach dem Arbeitsverfassungsgesetz zustehenden Befugnisse durch das Datenschutzgesetz nicht berührt werden. Eine derartige ausdrückliche Norm fehlt im DSG 2000. Der Betriebsrat wird nur noch in § 9 Z 11 DSG 2000 erwähnt. Diese Bestimmung regelt die Frage der Zulässigkeit der Verwendung von sensiblen Daten. Die Bestimmung enthält eine taxative Aufzählung von 13 Gründen, in denen sensible Daten verwendet werden dürfen. Sie sieht im Unterschied zur Verhältnismäßigkeitsprüfung nach § 8 DSG 2000 für nicht sensible Daten einen Rechtfertigungsgrund der überwiegenden berechtigten Interessen des Auftraggebers nicht vor. Nach Z 11 dieser Bestimmung werden schutzwürdige Geheimhaltungsinteressen bei Verwendung sensibler Daten dann nicht verletzt, wenn die Verwendung erforderlich ist, um den Rechten und Pflichten des Auftraggebers auf dem Gebiet des Arbeits oder Dienstrechts Rechnung zu tragen, und sie nach besonderen Rechtsvorschriften zulässig ist, wobei die dem Betriebsrat nach dem Arbeitsverfassungsgesetz zustehenden Befugnisse im Hinblick auf die Datenverwendung unberührt bleiben.

3.2. Der erkennende Senat hat bereits ausgesprochen, dass der Betriebsrat dadurch in allfälligen Befugnissen nach dem Arbeitsverfassungsgesetz nicht beschnitten wird und dazu auf den letzten Halbsatz dieser Bestimmung verwiesen (6 ObA 1/06z). Diese Entscheidung wurde mehrfach veröffentlicht (ecolex 2006/376; ARD 5726/7/06; wbl 2006/263; RdW 2007/43; DRdA 2007/45; SZ 2006/99) und von Hattenberger (DRdA 2007/45) rezensiert, wobei diese der Entscheidung vollinhaltlich zustimmte.

3.3. Dass die Befugnisse des Betriebsrats durch das DSG 2000 nicht berührt werden, entspricht auch der einhelligen Auffassung im Schrifttum ( Reissner in Zeller Kommentar 2 § 89 ArbVG Rz 17; Czerny in Czerny/Gahleitner/Preiss/Schneller , Arbeitsverfassungsrecht 4 § 89 Erl 4; Löschnigg , Arbeitsrecht 11 Rz 9/039; ders , Datenermittlung im Arbeitsverhältnis 271; ebenso zur Vorläuferbestimmung des § 31 DSG Kuderna in FS Floretta 584 f sowie Strasser/Jabornegg , ArbVG 3 § 89 E 11 und 12).

4.1. Für diese Auffassung spricht auch eine historische Interpretation. Nach § 31 DSG 1978 wurden die Einsichtsrechte des Betriebsrats nach § 89 Z 1 ArbVG und bei Zustimmung des Arbeitnehmers nach § 89 Z 4 ArbVG sowie die Zustimmungsrechte des Betriebsrats nach § 96 Abs 1 ArbVG durch dieses Bundesgesetz nicht berührt. Im Hinblick auf die von Kuderna (FS Floretta 585) geäußerte Kritik an dieser Formulierung wurde mit Art I Z 23 der DSG Novelle 1986 § 31 DSG dahin umformuliert, dass klargestellt wurde, dass die den Betriebsrat nach dem ArbVG zustehenden Befugnisse durch das DSG nicht berührt werden.

4.2. Ungeachtet des Fehlens einer ausdrücklichen § 31 DSG 1978 entsprechenden Bestimmung im DSG 2000 besteht nicht der geringste Anhaltspunkt dafür, dass der Gesetzgeber mit Erlassung des DSG 2000 am Verhältnis zwischen dem Datenschutzrecht und dem Arbeitsverfassungsrecht etwas ändern wollte. Vielmehr war der Gesetzgeber offenbar der Meinung, dass die Regelung des § 9 Z 11 DSG ausreicht. Diese Regelung bezieht sich allerdings lediglich auf sensible Daten. Dieser Bestimmung kommt jedoch eine umfassendere Bedeutung zu als es aufgrund ihrer systematischen Stellung im DSG den Anschein hat (ausführlich Löschnigg , Datenermittlung im Arbeitsverhältnis 270 f; im Ergebnis ebenso Strohmaier , Personalinformationssysteme und Mitbestimmung 150). Sie ist im heutigen System des DSG als Fortschreibung des früher ausdrücklich statuierten Grundsatzes, dass die Befugnisse des Betriebsrats durch das DSG nicht berührt werden, anzusehen.

5.1. Das Überwachungsrecht des Betriebsrats gemäß § 89 Z 1 ArbVG besteht auch ohne Zustimmung des betroffenen Arbeitnehmers ( Reissner aaO § 89 ArbVG Rz 17; Mosler aaO § 91 ArbVG Rz 13). Lediglich zur Einsicht in Personalakten ist gemäß § 89 Z 4 ArbVG die Zustimmung des betroffenen Arbeitnehmers erforderlich (§ 89 Z 4 und § 91 Abs 2 Z 3 ArbVG).

5.2. Das ArbVG enthält ein abgestuftes Model der Rechte der Einsichtnahme und Information des Betriebsrats und nimmt damit Rücksicht auf die schutzwürdigen Interessen der Dienstnehmer. Zutreffend verweist schon das Berufungsgericht darauf, dass etwa die Einsichtnahme in den Personalakt ausdrücklich an die Zustimmung des Dienstnehmers geknüpft ist (§ 89 Z 4 ArbVG). Weiters bildet auch § 99 Abs 4 ArbVG nach überwiegender Auffassung ( Resch aaO § 99 ArbVG Rz 57) keine Rechtsgrundlage für eine Befugnis zur Überwachung von Individualarbeitsverträgen. Insbesondere hat der Betriebsrat aufgrund dieser Bestimmung kein Recht auf Einsichtnahme in die Dienstzettel gemäß § 2 AVRAG.

5.3. Würde man hier eine individuelle Zustimmung der Dienstnehmer für erforderlich halten, würde dies die Tätigkeitsmöglichkeiten des Betriebsrats im Bereich seiner Pflichtkompetenz aushöhlen. Dadurch bestünde auch die Gefahr, dass einzelne Dienstnehmer vom Arbeitgeber unter Druck gesetzt werden, um entsprechende Einsichtnahmen und Kontrolltätigkeiten des Betriebsrats zu verhindern. Auch diese ergänzende Überlegung spricht dafür, dass die von der vorliegenden Klage umfassten Befugnisse des Betriebsrats nicht an die individuelle Zustimmung der betroffenen Dienstnehmer gebunden sind.

5.4. Entgegen der in der Revision vertretenen Rechtsauffassung ist eine individuelle Interessenabwägung aufgrund des eindeutigen Gesetzeswortlauts nicht vorzunehmen. Diese Regelung widerspricht weder der Verfassungsbestimmung des § 1 Abs 2 DSG noch Art 8 EMRK. Gemäß § 8 Abs 1 Z 1 DSG 2000 werden schutzwürdige Geheimhaltungsinteressen bei Verwendung nicht sensibler Daten dann nicht verletzt, wenn eine ausdrückliche gesetzliche Ermächtigung oder Verpflichtung zur Verwendung der Daten besteht. Nachdem § 89 Z 1 ArbVG nach völlig herrschender Ansicht eine Pflichtbefugnis des Betriebsrats darstellt, der Betriebsrat also zur Ausübung dieser Befugnisse verpflichtet ist, hat eine Interessenabwägung iSd § 8 Abs 1 Z 4 DSG nicht mehr stattzufinden ( Reissner in Zeller Kommentar 2 § 89 ArbVG Rz 4 mwN; Mosler in Tomandl , ArbVG § 89 Rz 2).

5.5. Im vorliegenden Fall sind mit Ausnahme der Krankenstandsaufzeichnungen sämtliche vom Begehren der Klägerin betroffenen Daten nicht als sensible, sondern (bloß) als personenbezogene Daten iSd § 4 Z 1 DSG 2000 zu qualifizieren. Die Zulässigkeit ihrer Verwendung ist daher nach § 8 DSG 2000 zu beurteilen. Nach § 8 Abs 1 Z 1 DSG 2000 sind aber schutzwürdige Geheimhaltungsinteressen bei Verwendung nicht sensibler Daten dann nicht verletzt, wenn eine ausdrückliche gesetzliche Ermächtigung oder Verpflichtung zur Verwendung der Daten besteht.

6.1. Zutreffend hat auch bereits das Berufungsgericht auf die Verschwiegenheitspflicht der Betriebsratsmitglieder hingewiesen, die durch eine Verwaltungsstrafe (§ 115 Abs 4 ArbVG) und den Entlassungsgrund des § 122 Abs 1 Z 4 ArbVG, allenfalls auch durch § 122 StGB sowie durch einen gerichtlich klagbaren Unterlassungsanspruch, gegebenenfalls auch Schadenersatzansprüche (dazu Mosler in Zeller Kommentar 2 § 115 ArbVG Rz 50; Schneller in Czerny/Gahleitner/Preiss/Schneller , Arbeitsverfassungsrecht 4 § 115 ERl 9; Kuderna in FS Floretta 589 f) sanktioniert ist.

6.2. Im Hinblick auf diese vielfältigen Sanktionen im Fall der Verletzung der Verschwiegenheitspflicht durch ein Betriebsratsmitglied ist jedenfalls davon auszugehen, dass der Gesetzgeber angemessene Garantien für die Wahrung des Datenschutzes auch durch den Betriebsrat geschaffen hat.

6.3. Dies entspricht auch Art 8 Abs 2 lit b der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz RL). Nach Art 8 Abs 2 lit b dieser Richtlinie findet dessen Abs 1 keine Anwendung, wenn die Verarbeitung erforderlich ist, um den Rechten und Pflichten des für die Verarbeitung Verantwortlichen auf dem Gebiet des Arbeitsrechts Rechnung zu tragen, sofern dies aufgrund von einzelstaatlichem Recht, das angemessene Garantien vorsieht, zulässig ist.

7. Zusammenfassend bringt daher die Beklagte keine Rechtsfrage der in § 502 Abs 1 ZPO geforderten Bedeutung zur Darstellung, sodass die Revision spruchgemäß zurückzuweisen war.

European Case Law Identifier

ECLI:AT:OGH0002:2014:006OBA00001.14M.0917.000