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OGH vom 07.07.2008, 6Ob103/08b

OGH vom 07.07.2008, 6Ob103/08b

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Pimmer als Vorsitzenden und durch die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Schenk sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler und Univ.-Prof. Dr. Kodek als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. Siegfried K*****, 2. Angela K*****, beide *****, beide vertreten durch Hosp, Hegen Rechtsanwaltspartnerschaft in Salzburg, gegen die beklagte Partei A***** GmbH, *****, vertreten durch Kraft & Winternitz Rechtsanwälte-Gesellschaft mbH in Wien, wegen 13.000 EUR sA, Feststellung (Streitwert 5.000 EUR) und Rechnungslegung (Streitwert 1.000 EUR, Gesamtstreitwert 19.000 EUR, Rekursinteresse 18.000 EUR), über den Rekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom , GZ 1 R 96/07f-19, womit das Urteil des Handelsgerichts Wien vom , GZ 41 Cg 19/06m-14, teilweise aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Die Kläger hatten 1994 einen Kredit bei der Sparkasse P***** über 1 Mio S aufgenommen, welcher 1999 mit 800.000 S aushaftete. Im Jahr 1999 erarbeitete ein Mitarbeiter der Beklagten mit den Klägern ein Umschuldungs- und Sanierungskonzept. Nach diesem Konzept nahmen die Kläger einen Fremdwährungskredit in Schweizer Franken in Höhe von

167.148 EUR auf. Davon investierten sie 65.405 EUR in eine fondsgebundene Lebensversicherung (Wealthmaster Noble von der Clerical Medical Investment Group Ltd) und 36.336 EUR in einen Aktienfonds (Convest 21 der Schweizer Privatbank AIG Privat Bank). Weitere 58.138 EUR wurden zur Tilgung des Altkredits verwendet. Die restliche Kreditvaluta von ca 7.269 EUR entfiel auf Nebenkosten. Die Laufzeit betrug jeweils 20 Jahre. Es war geplant, aus den Ausschüttungen des Convest 21 die Zinsen des Fremdwährungskredits zu bedienen und die Endtilgung durch den Wealthmaster Noble vorzunehmen. Der Mitarbeiter der beklagten Partei versicherte mehrmals, dass das geplante Finanzierungskonzept kein Risiko mit sich bringe. Tatsächlich war dieses Finanzierungsprojekt jedoch jedenfalls risikoträchtig.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Der Schadenersatzanspruch der Kläger sei verjährt. Die dreijährige Verjährungsfrist habe mit dem Zeitpunkt zu laufen begonnen, zu dem die Kläger Kenntnis davon erlangt hätten, dass der von ihnen erworbene Aktienfonds auch Kursschwankungen nach unten, und zwar unter den Einkaufspreis, unterworfen sei. Dies sei bereits im Jahr 2000 der Fall gewesen. Bereits damals hätte ihnen klar sein müssen, dass sie statt der von ihnen gewünschten risikolosen Finanzierung ein Finanzierungskonzept mit hohem Risiko abgeschlossen hätten. Daher wäre die Klagseinbringung bereits mit dem Entstehen der ersten Kursverluste nach dem Ankauf der Aktien indiziert gewesen.

Das Berufungsgericht hob - soweit für das Rekursverfahren von Belang - das angefochtene Urteil zur Verfahrensergänzung auf. Die Verjährungsfrist des § 1489 Satz 1 ABGB beginne zu laufen, wenn dem Geschädigten der Schaden und die Person des Beschädigers bekannt geworden seien. Dabei müsse dem Geschädigten der Sachverhalt so weit bekannt sein, dass er mit Aussicht auf Erfolg klagen könne. Die Kenntnis müsse den ganzen den Anspruch begründenden Sachverhalt umfassen, insbesondere auch die Kenntnis des Ursachenzusammenhangs zwischen dem Schaden und einem bestimmten, dem Schädiger anzulastenden Verhalten, in Fällen der Verschuldenshaftung daher auch jene Umstände, aus denen sich das Verschulden des Schädigers ergibt (6 Ob 273/98k; RIS-Justiz RS0034951; M. Bydlinski in Rummel, ABGB3 § 489 Rz 3).

Die Verjährungsfrist beginne nach nunmehr ständiger Rechtsprechung nicht vor dem tatsächlichen Eintritt des Schadens zu laufen (verstärkter Senat SZ 68/238; RIS-Justiz RS0083144, RS0050338, RS0087615 ua). Nach der Entscheidung 7 Ob 253/97z sei „Nachteil am Vermögen" im Sinne des Schadensbegriffs des § 1293 ABGB jede Vermögensveränderung nach unten, der kein entsprechendes Äquivalent gegenüberstehe. Folge man den Behauptungen des Klägers, habe dieser gewünscht, sein Kapital „risikolos" anzulegen. An diesen Vorstellungen und Vorgaben des Klägers sei die Beratung durch den Anlageberater zu messen. Der behauptete Schaden sei schon dadurch entstanden, dass der Kläger kein wertstabiles, sondern ein Kursschwankungen unterliegendes Wertpapier erworben habe. Dieser Zeitpunkt sei unabhängig davon, ob nach einer Zukunftsprognose aus damaliger Sicht auf eine positivere Kursentwicklung zu hoffen gewesen sei oder nicht, als maßgebender Termin für den Schadenseintritt anzusehen.

Die Grundgedanken dieser Entscheidung seien auf den vorliegenden Fall jedoch nicht unmittelbar übertragbar. Den Klägern sei nämlich die Risikolosigkeit des Finanzierungskonzepts, nicht jedoch die Risikolosigkeit bzw Wertstabilität der einzelnen Tilgungsträger zugesichert worden. Über Kursschwankungen seien die Kläger nach den Feststellungen sogar aufgeklärt worden.

Nach den derzeitigen Verfahrensergebnissen könne nicht mit der erforderlichen Sicherheit beurteilt werden, ob und wann den Klägern ein Primärschaden entstanden und ob Verjährung ihrer allfälligen Schadenersatzansprüche eingetreten sei. Im fortgesetzten Verfahren seien nähere Feststellungen dazu zu treffen, wie das Finanzierungsmodell im Einzelnen funktionieren sollte. Dabei sei auch festzustellen, wie das Finanzierungsziel nach den Angaben der Beklagten erreicht werden sollte, dh welche Annahmen über die Entwicklung der Tilgungsträger und der Zinsen des Fremdwährungskredits dem Modell zugrundelagen und mit welchen monatlichen Zahlungen die Kläger belastet sein sollten. Ferner sei festzustellen, wie die festgestellte Aufklärung der Kläger über die Punkte Kursschwankungen, Bindefrist-Verfügbarkeit, Renditeerwartung, Währungsrisiko, Belastung bei vorzeitiger Beendigung und Rückkaufswert inhaltlich gestaltet gewesen sei. Schließlich habe die Beklagte bis zuletzt den Eintritt eines finanziellen Schadens für die Kläger bestritten. Es werde daher - zweckmäßigerweise durch Beiziehung eines Sachverständigen - zu klären sein, ob das Ziel des Sanierungskonzepts (bei Einhaltung der vorgesehenen Laufzeit von 20 Jahren) noch erreicht werden könne oder ob dies - allenfalls aufgrund unrealistischer Annahmen des Beraters - von Beginn an ausgeschlossen gewesen sei.

Der Rekurs an den Obersten Gerichtshof sei zulässig, weil dieser die Frage, ob bei einem auf bestimmte Dauer angelegten, vom Anlageberater als risikolos empfohlenen Umschuldungs- und Finanzierungskonzept der für den Beginn des Laufes der Verjährungsfrist maßgebliche Primärschaden in Analogie zu der Entscheidung 7 Ob 253/97z bereits dann eingetreten sei, wenn der Kunde als Tilgungsträger kein wertstabiles, sondern ein Kursschwankungen unterliegendes Wertpapier erworben hat, noch nicht zu entscheiden hatte.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist aus dem vom Berufungsgericht angeführten Grund zulässig; er ist aber nicht berechtigt:

1. Vorweg ist festzuhalten, dass der Oberste Gerichtshof nicht Tatsacheninstanz ist; er kann daher, wenn die rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichts zutreffend ist, dessen Ansicht, der Sachverhalt sei noch erörterungsbedürftig, nicht entgegentreten (RIS-Justiz RS0042179, RS0043814).

2.1. Entgegen den Rekursausführungen der beklagten Partei ist das Berufungsgericht von den Grundsätzen der Entscheidung 7 Ob 253/97z nicht abgewichen. Nach dieser Entscheidung liegt der den Lauf der Verjährungsfrist auslösende Primärschaden bereits darin, dass der Kunde kein wertstabiles, sondern ein Kursschwankungen unterliegendes Wertpapier erworben hat. Dies entspricht dem weiteren Schadensbegriff des ABGB, wonach jeder rechtliche Nachteil einen Schaden darstellt, somit jeder Zustand, an dem ein geringeres rechtliches Interesse als am bisherigen besteht (RIS-Justiz RS0022537). Demgemäß wäre es auch etwa ein Vermögensnachteil, wenn anstelle des Besitzes eines Bargeldbetrages eine gleich hohe Geldforderung getreten ist, es sei denn, der Schuldner wäre bereit und imstande, seine Verbindlichkeit unverzüglich abzutragen (9 ObA 2300/96t = SZ 70/104; Lindner, GesRZ 2008, 26 [Anmerkung zu 3 Ob 59/07h]; vgl bereits Kletecka, ÖBA 1999, 388 [392]).

2.2. Das Berufungsgericht hat diese Grundsätze folgerichtig auf den vorliegenden Fall übertragen, in dem nach den bisherigen Verfahrensergebnissen nicht die Risikolosigkeit einzelner Anlageformen, sondern (nur, aber immerhin) die Risikolosigkeit des Gesamtfinanzierungskonzepts zugesichert wurde. Entgegen den Rekursbehauptungen hat das Erstgericht gerade keine Zusage hinsichtlich der Risikolosigkeit einzelner Komponenten des Gesamtfinanzierungskonzepts festgestellt; es hat vielmehr nur festgestellt, dass das geplante Finanzierungskonzept insgesamt kein Risiko mit sich bringe (US 7).

3.1. Entscheidend für den Lauf der Verjährungsfrist ist daher im vorliegenden Fall, zu welchem Zeitpunkt die Kläger erkannten, dass das Gesamtkonzept - entgegen der festgestellten Zusage der beklagten Partei - nicht risikolos war. Eine derartige Risikoträchtigkeit des Gesamtkonzepts lag jedenfalls dann vor, wenn sich dieses rein rechnerisch nicht mehr ohne zusätzliche Vermögensverminderung im Vergleich zur (herkömmlichen) Tilgung der Darlehen und Geldmittelbeschaffung vor dem Umschuldungs- und Finanzierungskonzept entwickeln konnte.

3.2. Ein nach Erkennen der Risikoträchtigkeit des gewählten Finanzierungskonzepts eintretender weiterer Schaden ist als bloßer Folgeschaden zu qualifizieren, dessen Verjährung gleichfalls mit der Kenntnis vom Eintritt des Erstschadens beginnt (F. Bydlinski, Schadensentstehung und Verjährungsbeginn im österreichischen Recht, FS Steffen [1995] 65; Koziol, Haftpflichtrecht³ I Rz 15/12 mwN). Selbst nach der vor allem von Riedler (Verstärkter Senat zum Verjährungsbeginn im Schadenersatz, ecolex 1996, 87) vertretenen Gegenmeinung, die für jeden Folgeschaden eine eigene Verjährungsfrist annimmt, würde im vorliegenden Fall nichts anderes gelten. Riedler (JBl 1994, 757) hält es nämlich für möglich, dass ein Folgeschaden dann nicht zu ersetzen ist, wenn er ausschließlich aus der Nichtbeseitigung eines Primärschadens resultiert und der Anspruch auf Ersatz des Primärschadens bereits verjährt ist (vgl Kletecka, ÖBA 1999, 392 [Anmerkung zu 7 Ob 253/97z]). Beurteilt man das Eingehen des risikoträchtigen Finanzierungskonzepts bereits als realen Schaden, der durch die - hier eventualiter begehrte - Rückabwicklung behoben werden kann, so stellt sich ein durch weitere Kursverluste eintretender (zusätzlicher) Schaden als bloße Folge der Nichtbehebung des Erstschadens dar (Kletecka aaO).

4.1. Freilich hat bereits das Berufungsgericht zutreffend darauf hingewiesen, dass der Lauf der Verjährungsfrist des § 1489 Satz 1 ABGB erst zu dem Zeitpunkt beginnt, zu dem der Geschädigte den Sachverhalt so weit kennt, dass er mit Aussicht auf Erfolg klagen kann. Die Kenntnis muss dabei den ganzen anspruchsbegründenden Sachverhalt umfassen, insbesondere auch die Kenntnis des Ursachenzusammenhangs zwischen dem Schaden und einem bestimmten, dem Schädiger anzulastenden Verhalten, in Fällen der Verschuldenshaftung daher auch jene Umstände, aus denen sich das Verschulden des Schädigers ergibt (M. Bydlinski in Rummel, ABGB3 § 1489 Rz 3; RIS-Justiz RS0034951; 6 Ob 273/98k).

4.2. Eine bestimmte Kursentwicklung kann ein Indikator für die Risikoträchtigkeit einer bestimmten Anlageform sein (Kletecka, ÖBA 1999, 391 ff). Allerdings ist zu beachten, dass der anspruchsbegründende Sachverhalt dem Geschädigten zwar nicht in allen Einzelheiten, aber doch so weit bekannt sein muss, dass er in der Lage ist, das zur Begründung seines Ersatzanspruchs erforderliche Sachvorbringen konkret zu erstatten (6 Ob 273/98k; RIS-Justiz RS0034524). Bloße Mutmaßungen über die angeführten Umstände reichen für die Auslösung der Verjährungsfrist nicht aus.

4.3. In diesem Zusammenhang werden insbesondere die festgestellten mehrfachen Beschwichtigungsversuche seitens der beklagten Partei zu berücksichtigen sein, zumal die Mitarbeiter der beklagten Partei aufgrund ihrer eigenen Berechnung noch im Jahr 2005 von der Erfolgsträchtigkeit der empfohlenen Finanzierungsform überzeugt waren und die Kläger weiterhin beruhigten. Derartigen Beschwichtigungsversuchen kann im vorliegenden Fall in zweierlei Hinsicht Bedeutung zukommen:

Zum einen kann dadurch auf der Tatsachenebene die Erkennbarkeit des Schadenseintritts und damit der Beginn der Verjährungsfrist hinausgeschoben werden. Zum anderen können jedoch selbst bei früherer Erkennbarkeit des Schadenseintritts derartige Beschwichtigungsversuche nach der Rechtsprechung dazu führen, dass dem Verjährungseinwand der beklagten Partei die Replik der Arglist

entgegengehalten werden kann (3 Ob 40/07i = ÖBA 2008, 196 [Madl]; 9

Ob 17/07a = ÖBA 2008, 202 = Zak 2007, 342). Zum selben Ergebnis führt

die Auffassung P. Bydlinskis (Haftung für fehlerhafte Anlageberatung: Schaden und Schadenersatz, ÖBA 2008, 159 [173]), wonach das Abhalten von der Anspruchsverfolgung durch „In-Sicherheit-Wiegen" als Hemmungsgrund einzustufen sei.

5. Im fortgesetzten Verfahren wird das Erstgericht allerdings auch den Grundsatz der Subsidiarität des Feststellungsbegehrens (vgl nur RIS-Justiz RS0038849; 9 ObA 184/92 ua) zu beachten haben (dazu ausführlich P. Bydlinski, Haftung für fehlerhafte Anlageberatung:

Schaden und Schadenersatz, ÖBA 2008, 159 [163]). Soweit daher bereits ein - subsidiär ohnedies geltend gemachter - Anspruch auf Rückabwicklung des abgeschlossenen Geschäfts besteht, bleibt für eine Feststellungsklage kein Raum.

6. Damit erweist sich der angefochtene Beschluss aber als frei von Rechtsirrtum, sodass dem unbegründeten Rekurs ein Erfolg zu versagen war.

Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO.