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Berufungsentscheidung - Steuer (Referent), UFSS vom 21.06.2012, RV/0204-S/12

Wechsel von beschränkter in unbeschränkte Einkommensteuerpflicht: 1. Getrennte Veranlagungsbescheide mit Zeitraumangabe 2. Res iudicata

Rechtssätze


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Stammrechtssätze
RV/0204-S/12-RS1
Im Falle des Wechsels von der beschränkten in die unbeschränkte Einkommensteuerpflicht ist das Kalenderjahr in zwei Zeiträume zu teilen und in zwei Einkommensteuerbescheiden über zwei Sachen abzusprechen (1. Einkommensteuer für die Zeit der beschränkten Steuerpflicht und 2. Einkommensteuer für die Zeit der unbeschränkten Steuerpflicht). Diese Zeiträume dürfen sich nicht überschneiden (res iudicata).

Entscheidungstext

Berufungsentscheidung

Der Unabhängige Finanzsenat hat über die Berufung des VN Bw, Anschrift_Bw, vertreten durch die Ernst & Young Steuerberatungs- und Wirtschaftsprüfungsgesellschaft m.b.H., 5020 Salzburg, Sterneckstraße 31-33, vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Salzburg-Stadt, vertreten durch Dr. Karl Brejcha, vom betreffend Einkommensteuer 2010 in der mit Bescheid vom berichtigten Fassung entschieden:

Der angefochtene Bescheid wird aufgehoben.

Entscheidungsgründe

1 Verfahrensgang und Parteienvorbringen

Der Berufungswerber war bis nicht in Österreich wohnhaft. Ab verlegte er - laut Behördenanfrage aus dem Zentralen Melderegister - seinen Hauptwohnsitz nach Österreich.

Mit Schreiben vom reichte er eine Steuererklärung 2010 bei beschränkter Steuerpflicht (E 7) beim Finanzamt ein. Dieser legte er eine "Beilage zu den Einkommensteuererklärungen 2010 - Zuzug nach Österreich am " bei und schlüsselte die Einkünfte für die Zeit bis März und ab April 2010 auf.

Weiters kündigte er die elektronische Übermittlung der Steuererklärung über die unbeschränkte Steuerpflicht an und gab bekannt, dass in der dortigen Kennzahl 803 eine Avalprovision aufgenommen worden sei, obwohl er die Ansicht vertrete, dass es sich dabei um nicht steuerbare Einkünfte handle.

Mit erließ das Finanzamt einen "Einkommensteuerbescheid 2010" und sprach aus, dass die Einkommensteuer für das Jahr 2010 mit EUR 3.936,89 festgesetzt wird. Als Steuernummer scheint darauf ###/###1 auf.

Mit Schreiben vom reichte der Berufungswerber daraufhin auch die Steuererklärung 2010 bei unbeschränkter Steuerpflicht (E 1) ein. Das Finanzamt erließ nun mit einen (weiteren) "Einkommensteuerbescheid 2010" und sprach aus, dass die Einkommensteuer für das Jahr 2010 mit EUR 9.277,15 festgesetzt wird. Als Steuernummer scheint darauf ###/###2 auf.
Mit erließ das Finanzamt einen "Einkommensteuerbescheid 2010 Berichtigung gem. § 293 BAO zu Bescheid vom " und setzte die Einkommensteuer für das Jahr 2010 mit EUR 15.332,70 fest. Mit diesem Bescheid brachte es zusätzliche Einkünfte aus Gewerbebetrieb in Höhe von EUR 13.626,00 in Ansatz.

Mit Schreiben vom gab der Berufungswerber bekannt, dass der Einkommensteuerbescheid 2010 vom am zugestellt worden sei, ergriff dagegen Berufung und beantragte eine mündliche Verhandlung. Die Berufung rügt im Kern die Einstufung der Avalprovision als sonstige Einkünfte und deren Besteuerung.

Anlässlich der persönlichen Vorsprache der steuerlichen Vertreterin vom wurde auf die Abhaltung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.

Über die Berufung wurde erwogen:

Die Entscheidung des Unabhängigen Finanzsenats basiert auf folgendem Sachverhalt, der in den Akten des Finanzamts und der Rechtsmittelbehörde abgebildet und unbestritten ist.

Der Berufungswerber bezog bereits im ersten Quartal 2010 Einkünfte im Sinne des § 98 EStG 1988, verlegte aber erst mit seinen Wohnsitz aus dem Ausland nach Österreich. Er wechselte damit von der beschränkten Steuerpflicht (§ 1 Abs. 3 EStG 1988) in die unbeschränkte (§ 1 Abs. 2 EStG 1988).

Zwei Veranlagungszeiträume

§ 39 ff EStG 1988 regelt die Veranlagung der unbeschränkt steuerpflichtigen natürlichen Personen, § 102 EStG 1988 die der beschränkt steuerpflichtigen. Verlegt ein Steuerpflichtiger seinen Wohnsitz während eines Kalenderjahres ins Inland und wird er dadurch unbeschränkt steuerpflichtig, so müssen für den Zeitraum der beschränkten Steuerpflicht und für den der unbeschränkten Steuerpflicht zwei getrennte Veranlagungen durchgeführt werden, weil sowohl hinsichtlich der Erfassung und Ermittlung der Steuerbemessungsgrundlagen, als auch hinsichtlich ihrer Besteuerung jeweils unterschiedliche gesetzliche Bestimmungen vorgesehen sind.

Bei der Veranlagung für den Zeitraum der beschränkten Steuerpflicht sind die inländischen Einkünfte zugrunde zu legen, soweit bei diesen die Steuer nicht bereits durch Steuerabzug abgegolten ist (§§ 1 Abs. 2 iVm 98 und 102 EStG 1988). Der Veranlagung für den Zeitraum der unbeschränkten Steuerpflicht ist das Einkommen zugrunde zu legen, das der Steuerpflichtige in diesem Zeitraum bezogen hat ().

Hat die Steuerpflicht nicht während des vollen Veranlagungszeitraumes bestanden, so wird das während der Dauer der Steuerpflicht bezogene Einkommen zugrunde gelegt. Bei Wegfall der Steuerpflicht kann die Veranlagung sofort vorgenommen werden (§ 39 Abs. 2 EStG 1988). § 102 EStG 1988 enthält davon abweichende Regeln für die Veranlagung beschränkt Steuerpflichtiger. Auch in diesem Bereich sind aber die Bestimmungen über die allgemeine Veranlagung und den Veranlagungszeitraum (§ 39 EStG 1988) sinngemäß anzuwenden (Doralt, EStG15, § 102 Tz 1).

Im Jahr des Übergangs von der beschränkten auf die unbeschränkte Steuerpflicht und umgekehrt kommt es damit zu einem (u.U. auch progressionsschonenden) Splitting des Einkommens. Dieses Kalenderjahr zerfällt damit in zwei Ermittlungs- und Veranlagungszeiträume (Doralt, EStG15, § 39 Tz 7; vgl. auch BFH , I R 78/95 zur bis 1995 vergleichbaren Rechtslage des § 2 Abs. 7 dEStG idF bis zur Änderung durch das JStG 1996).

Das Finanzamt setzte diese Regel entsprechend der Verwaltungsübung (vgl. EStR 2000 Rz 20) um und erließ zwei Einkommensteuerbescheide 2010.
Diese beiden Bescheide unterscheiden sich äußerlich nur durch die Angabe verschiedener Steuernummern und sprechen beide aus, dass sie die "Einkommensteuer für das Jahr 2010 festsetzen". Sie beurteilen damit - nach dem klaren Wortlaut des Spruchs der Bescheide - dieselbe Sache.

Identität der Sache - res iudicata

Die materielle Rechtskraft eines Bescheides bedeutet seine Unwiderrufbarkeit, Unwiederholbarkeit und Verbindlichkeit. Sie bezieht sich auf die Sache des Bescheides und hat zur Folge, dass über diese Sache nicht neuerlich abgesprochen werden darf (Grundsatz der entschiedenen Sache bzw. res iudicata). Ergeht nach (materieller) Rechtskraft eines Bescheides ein zweiter Bescheid, der über dieselbe Sache abspricht, so ist dieser zu beseitigen (Stoll, BAO, 946 Abs. 1).

Die Sache muss deshalb im erstinstanzlichen Bescheid klar und unmissverständlich umschrieben sein. Die Sache in Bezug auf eine zeitraumbezogen erhobene Abgabe wie die Einkommensteuer wird durch ihren Schuldner und die Angabe des Zeitraumes bestimmt, für den der Abgabenanspruch als entstanden beurteilt wird (vgl. , VwGH 82/14/0248).
Im Falle des Wechsels von der beschränkten in die unbeschränkte Einkommensteuerpflicht ist das Kalenderjahr in zwei Zeiträume zu teilen und in zwei Einkommensteuerbescheiden über zwei Sachen abzusprechen (1. Einkommensteuer für die Zeit der beschränkten Steuerpflicht und 2. Einkommensteuer für die Zeit der unbeschränkten Steuerpflicht). Die Zeiträume, über die dabei abgesprochen wird, dürfen sich nicht überschneiden (res iudicata).

Im konkreten Fall erging der nunmehr bekämpfte Bescheid vom nach dem Bescheid vom . Beide Bescheide sprechen über die Einkommensteuer für das Jahr 2010 ab. Darunter kann nur das gesamte Kalenderjahr 2010 verstanden werden (vgl. Schwaiger, SWK 32/2009, S 947 Punkt 3.4). Beide Bescheide weisen damit dieselbe Abgabe (Einkommensteuer), denselben Zeitraum (2010) und denselben Schuldner (VN Bw) aus und sprechen deshalb über dieselbe Sache ab.

Die unterschiedliche Steuernummer taugt insofern nicht zur Unterscheidung zweier Sachen, als sie nichts über den Inhalt des Bescheides, sondern bestenfalls zur besseren Identifizierung des Bescheidadressaten beitragen kann. Dieser ist aber unzweifelhaft bei beiden Steuernummern ein und dieselbe Person.

Der zweite Bescheid verletzt damit den Grundsatz der entschiedenen Sache ("res iudicata") und war ersatzlos zu beseitigen bzw. aufzuheben.

Wird ein mit Berufung angefochtener Bescheid berichtigt, so umfasst die Berufung den Bescheid in seiner berichtigten Fassung; es bedarf somit keiner neuerlichen Berufung, um die Rechtswidrigkeit der Berichtigung geltend zu machen (). Durch die Aufhebung des berichtigten Bescheides vom verliert auch der berichtigende Bescheid vom seine rechtliche Grundlage (vgl. , 0092; , 97/13/0038).

Um in der Folge über die Zeit der beschränkten und unbeschränkten Steuerpflicht getrennt absprechen zu können, wird es nötig sein, die Sache des ersten Bescheids vom nach Maßgabe der verfahrensrechtlichen Möglichkeiten von (1. Jänner bis 31. Dezember) 2010 auf den Zeitraum der beschränkten Steuerpflicht (1. Jänner bis ) einzuschränken. Erst danach ist der Weg frei, um mit einem zweiten Bescheid über den restlichen Zeitraum ( bis ) zu entscheiden.

Inhaltlich kann sich das Finanzamt bzw. die Rechtsmittelbehörde erst dann mit dem Berufungsbegehren auseinandersetzen.

Salzburg, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
Finanzstrafrecht Verfahrensrecht
betroffene Normen
§ 1 Abs. 2 EStG 1988, Einkommensteuergesetz 1988, BGBl. Nr. 400/1988
§ 1 Abs. 3 EStG 1988, Einkommensteuergesetz 1988, BGBl. Nr. 400/1988
§ 39 EStG 1988, Einkommensteuergesetz 1988, BGBl. Nr. 400/1988
§ 98 EStG 1988, Einkommensteuergesetz 1988, BGBl. Nr. 400/1988
§ 102 EStG 1988, Einkommensteuergesetz 1988, BGBl. Nr. 400/1988
§ 293 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
Verweise

BFH , I R 78/95
EStR 2000, Einkommensteuerrichtlinien 2000 Rz 20

VwGH, 82/14/0248

Zitiert/besprochen in
UFSjournal 11/2012, 396
Spies in ecolex 2015/296

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at