Erkenntnis des BFG zu EuGH 13.10.2022, Rs C-199/21, DN gegen Finanzamt Österreich (Renten, Kumulierung, Rechtfertigung)
Revision (Amtsrevision) beim VwGH anhängig zur Zahl Ro 2023/16/0015. Zurückweisung mit Beschluss vom .
Rechtssätze
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Stammrechtssätze | |
RV/7100487/2016-RS1 | Aus Art 1 lit s VO 883/2004 ergibt sich, dass für die Zwecke dieser Verordnung der Begriff „zuständiger Mitgliedstaat“ den Mitgliedstaat bezeichnet, in dem der zuständige Träger seinen Sitz hat, wobei der zuständige Träger in Art 1 lit q insbesondere als der Träger definiert wird, bei dem die betreffende Person zum Zeitpunkt der Stellung des Antrags auf Leistungen versichert ist oder jener, gegenüber dem die betreffende Person einen Anspruch auf Leistungen hat oder hätte, wenn sie selbst oder ihr Familienangehöriger bzw. ihre Familienangehörigen in dem Mitgliedstaat wohnen würden, in dem dieser Träger seinen Sitz hat. Daher kann der Begriff „zuständiger Mitgliedstaat“ für die Anwendung von Art 67 Satz 2 VO 883/2004 nicht auf den Mitgliedstaat beschränkt werden, der zur Leistung einer Rente an den Betroffenen verpflichtet ist, weil dieser in der Vergangenheit im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats sein Recht auf Arbeitnehmerfreizügigkeit ausgeübt hat (, Rn 30, 31). |
RV/7100487/2016-RS2 | Für Rentenbezug enthält Art 67 Satz 2 leg.cit. eine Sonderregelung, wonach ein Rentner in einem solchen Fall „Anspruch auf Familienleistungen nach den Rechtsvorschriften des für die Rentengewährung zuständigen Mitgliedstaats [hat]“ (, Rn 29 mwN). Der Grundsatz der Exklusivität (es gibt nur einen zuständigen Mitgliedstaat) trifft auf Familienleistungen nicht zu (Gebhart in Lenneis/Wanke (Hrsg.), FLAG2, § 4 Rz 11f). Das gilt auch bei Rentenbezug. |
RV/7100487/2016-RS3 | Entfällt in einem nach Art 67, 68 Abs 1 HS 1 VO 883/2004 zuständigen Mitgliedstaat die Verpflichtung zur Leistung der dortigen Familienleistungen, weil zB nicht sämtliche materiellen Voraussetzungen (hier: Verdienstgrenze) erfüllt werden, verbleibt der andere Mitgliedstaat als allein zuständiger Mitgliedstaat. Die Leistung einer Differenzzahlung nach Art 68 Abs 2 VO 883/2004 kommt diesfalls nicht in Betracht (, DN gegen FAÖ, Rentenfall Rn 38; aA ). Der allein zuständige Mitgliedstaat erbringt die Familienleistung nach seinen Rechtsvorschriften, womit im konkreten Fall auch die Prüfung der Kumulierung nach § 4 Abs 1 und 2 FLAG 1967 (Ausgleichszahlung) auf sich beruhen kann. |
RV/7100487/2016-RS4 | Das Unionsrecht garantiert dem Unionsbürger auch als Rentenbezieher ohne Kumulierung die Familienleistungen im höchstmöglichen Ausmaß, und sei es durch Zuzahlung (, Gebhart in BFGjournal 2022, S 367). |
RV/7100487/2016-RS5 | Die günstigen sozialen Folgen der Ausübung der Arbeitnehmerfreizügigkeit soll nicht an Formalien, wie der Antragstellung durch die Person, die nach den Rechtsvorschriften des vorrangig zuständigen Mitgliedstaates dazu nicht berechtigt ist, scheitern. Die Vermeidung einer Abweisung eines Antrages auf Familienleistungen aus rein formalen Gründen, weil Antragsteller nicht die Person ist, der nach den mitgliedstaatlichen Rechtsvorschriften dieses Recht zukommt, ist Normzweck des Art 60 Abs 1 Satz 3 DVO 987/2009. |
RV/7100487/2016-RS6 | Den nach dem FLAG vorrangigen Anspruch des haushaltsführenden Elternteils oder im Fall der Scheidung den alleinigen Anspruch des Elternteiles, in dessen Haushalt das Kind lebt, kann die Beihilfenbehörde nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs nur im Antragsverfahren des anderen Elternteils durchsetzen. Voraussetzung ist die Durchführung eines mängelfreien Verfahrens, das die Abweisung des Antrages trägt. Von dieser Befugnis hat die belangte Behörde im Antragsverfahren des Bf, worauf der EuGH hinweist, keinen Gebrauch gemacht, weshalb die gegenüber dem Bf erfolgte Antragserledigung mit Art 60 Abs 1 Satz 3 VO 987/2009 in Einklang steht. (, Finanzamt Österreich, Rn 49, 50). |
RV/7100487/2016-RS7 | Nach der Rechtsprechung des EuGH kommt es bei der Auswahl des anderen Elternteils in dessen Antragsverfahren auf die überwiegende Tragung der Unterhaltskosten für das Kind nicht an. Damit ist jedoch nicht gesagt, dass die Beihilfenbehörde solches nicht prüfen kann. Die Auswahl des anderen Elternteils iSd Art 60 Abs 1 Satz 3 VO 883/2004 ist aber auch dann legitim, wenn die Beihilfebehörde den vorrangigen oder alleinigen Anspruch der Kindesmutter/des haushaltsführenden Elternteils nicht gewahrt hat und den anderen Elternteil bewusst ausgewählt hat und das auch wollte (, Rn 45, 46, 50). |
RV/7100487/2016-RS8 | Die Weiterleitung der Familienbeihilfe an die nach dem FLAG berechtigte Person ist im Geltungsbereich der unionsrechtlichen sozialen Koordinierung ein tauglicher Rechtfertigungsgrund im gegen den Beihilfenempfänger, der die Unterhaltslast für das Kind überwiegend trägt, eingeleiteten Rückforderungsverfahren, sofern die übrigen Voraussetzungen (zB Studienerfolg des Kindes) erfüllt sind. Diesfalls haben die Familienleistungen ihr unionsrechtliches Ziel des Ausgleichs von Kinderlasten tatsächlich erreicht, sodass ihre Rückforderung dem Zweck von Art 60 Abs 1 Satz 3 VO 987/2009 zuwiderliefe“ (, Rn 56, 57). |
RV/7100487/2016-RS9 | Es darf dem Arbeitnehmer aus einem anderen Mitgliedstaat nicht zum Nachteil gereichen, dass der österreichische Gesetzgeber oder zumindest die österreichische Behörde in ihren Dienstanweisungen keine klaren Regeln zu Art 60 Abs 1 VO 987/2009 vorsieht. Zu Recht weist der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung – bislang vergebens - auf diese Pflichten des Gesetzgebers hin (, jeweils mwN). Auch wenn eine Unionsverordnung nicht wie eine Richtlinie in mitgliedstaatliches Recht umzusetzen ist, ist das mitgliedstaatliche Recht an das Unionsrecht anzupassen, wozu auf die oben erwähnte EuGH-Rechtsprechung zum unionsrechtlich gebotenen „Erfordernis der Rechtssicherheit und der Transparenz“ verwiesen wird ( C-43, Fassbender-Firman). Gerade zu einer Norm wie Art 60 Abs 1 VO 987/2009, die so viel Deutungsmöglichkeiten zulässt, sind klare Anordnungen zu treffen, zumal das Unionsrecht, anders als das österreichische FLAG, zur Geltendmachung von Ansprüchen nicht zwischen verheirateten und geschiedenen Elternteilen unterscheidet. Ziel des Unionsrechts ist der Ausgleich für das Tragen von Kinderlasten, was nach der Scheidung vermehrt den zum Geldunterhalt verpflichteten Elternteil trifft. |
RV/7100487/2016-RS10 | Die Tochter ist Familienangehörige des Bf nach Art 60 Abs 1 Satz 3 VO 883/2004 und nach § 2 Abs 3 FLAG 1967. Nach der Rechtsprechung des EuGH ist auch die Weiterleitung der Familienbeihilfe an das volljährige Kind, das dem Haushalt des anderen Elternteiles zugehört, ein tauglicher Rechtfertigungsgrund im gegen den nach dem FLAG nicht berechtigten anderen Elternteil geführten Rückforderungsverfahren (, DN gegen FAÖ). Der Verwaltungsgerichtshof hat in seiner Rechtsprechung bislang nur auf die Personen des § 2 Abs 2 FLAG 1967 Bezug genommen. |
Entscheidungstext
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin Silvia Gebhart in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, vertreten durch Dip.Ing. Ryszard Hawrylak, Willhelm-Kress-Platz 29-30/71/7, 1110 Wien, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Wien 2/20/21/22 vom , nunmehr Finanzamt Österreich, Rückforderung von nach der unionsrechtlichen sozialen Koordinierung gewährten Familienbeihilfe in Form der Ausgleichszahlung und Kinderabsetzbetrag für das Kind ***8***, geboren ***9***, für den Zeitraum Januar bis August 2013 über EUR 1.468,84, Steuernummer ***BF1StNr1***, zu Recht erkannt:
I. Der Beschwerde wird gemäß § 279 BAO Folge gegeben. Der angefochtene Bescheid wird - ersatzlos - aufgehoben.
II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) zulässig.
Entscheidungsgründe
I. Verfahrensgang
Im Beschwerdefall ist mit RE/7100001/2019, ein Ersuchen um Vorabentscheidung an den Gerichtshof der Europäischen Union ergangen, das der EuGH mit Urteil , beantwortet hat. Die Fragen hatten
1) die Familienleistungen bei Rentenbezug aus zwei Mitgliedstaaten,
2) die Anwendung der Kumulierungsvorschriften gemäß Art 68 Abs 1 VO 883/2004, wenn nach den Rechtsvorschriften des anderen Mitgliedstaates (Wohnmitgliedstaates) kein Anspruch auf Familienleistungen besteht,
3) die Auslegung des Begriffes "anderer Elternteil" gemäß Art 60 Abs 1 Satz 3 DVO 987/2009 sowie unter welchen Voraussetzungen der andere Elternteil als Partei des Beihilfenverfahrens zu berücksichtigen ist und damit verbunden die Frage, ob die Rückforderung unter den besonderen Umständen des Ausgangsfalles gerechtfertigt ist,
zum Gegenstand.
Der aus Polen gebürtige Beschwerdeführer (Bf) stellte mit dem Formular Beih38 für die Jahre 2012 und 2013 den Antrag auf Ausgleichszahlung, der am bei der belangten Behörde einlangte, für seine in Polen im Haushalt der Kindesmutter lebende, studierende und volljährige Tochter. Die belangte Behörde gab dem Antrag statt und gewährte mit Mitteilung vom die Familienbeihilfe in Form der Ausgleichszahlung und Kinderabsetzbeträgen unter Abzug des polnischen Kindergeldes bis August 2013, dem Erreichen der Altersgrenze.
Als Arbeitgeber führte der Bf die PVA an und seine Staatsbürgerschaft gab er mit "Österreich" an. Seinen Familienstand bezeichnete er als "dauernd getrennt lebend" und "geschieden" seit "2011". Die Formulare E410 und E411 legte der Bf vorausgefüllt seinem Antrag bei, wobei der die vom polnischen Träger auszufüllenden Teile freiließ. Zum Anspruch der "Ex-Partnerin" auf das Kindergeld in Polen verwies er auf das vom österreichischen Träger zu beschaffende Unionsformular E411, das er vorausgefüllt dem Antrag beilegte. Im Formular E401 bezeichnete er sich als "Rentner (Arbeitnehmersystem)". Das vom Bf beigelegte Unionsformular E411 übermittelte die belangte Behörde dem polnischen Träger nicht, sodass die polnischen Verhältnisse unbekannt waren.
Mit dem angefochtenen Bescheid forderte die belangte Behörde für den Zeitraum Jänner bis August 2013 Ausgleichszahlung- und Kinderabsetzbeträge über insgesamt EUR 1.468,84 mit der Begründung zurück, dass der Bf seit November 2009 in Polen und in Österreich Renten beziehe, die Tochter jedoch in Polen lebe, sodass nach dem Grundsatz der Exklusivität gemäß Art 11 Abs 1 VO 883/2004 ausschließlich Polen für die Familienleistungen zuständig sei.
Mit Schriftsatz vom focht die rechtsfreundliche Vertretung unter Berufung auf die erteilte Vollmacht form- und fristgerecht den Bescheid vom zur Gänze wegen Rechtswidrigkeit an. Mit Bezug auf den "Auszahlungsbescheid vom " wurde vorgetragen, der Bf habe die bezogene Familienbeihilfe im guten Glauben an die Tochter überwiesen, es liege auf Seiten des Bf weder Vorsatz noch Fahrlässigkeit vor, weshalb eine Rückforderung unzulässig sei. Gestellt wurde der Beschwerdeantrag "den Bescheid über die Rückforderung … ersatzlos zu streichen".
In dem vom Bf verfassten Schriftsatz vom , mit dem ebenfalls der Bescheid wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit zur Gänze angefochten und dessen Behebung beantragt wurde, wurde darüber hinaus ausgeführt, dass weder er noch die Kindesmutter in Polen nach den polnischen Rechtsgrundalgen Anspruch auf die polnischen Familienleistungen hätten, weil das sog. Einkommensniveau pro Familienmitglied, das im Jahre 2013 noch bei PLN 539,00 gelegen sei, durch den Bezug der viel höheren österreichischen Pension weit überschritten sei. Die polnische Pension betrage lediglich € 74,99, was durch den beigelegten Kontoauszug vom August 2013 nachgewiesen wurde. Darin wurde der Umrechnungskurs für EUR 1,00 mit PLN 4,2255 angegeben. Weiters beigelegt war eine Bestätigung der Stadtanstalt für Sozialhilfe von ***1*** vom ***2***, worin diese bestätigt, dass "Frau ***10*** und [der Bf], beide wohnhaft in ***1***, ***11***, von unserem Amt keinen Familienzuschuss für die Tochter bezogen haben und weiter nicht beziehen."
Laut von der belangten Behörde eingeholter Auskunft der PVA (E-Mail vom ) betrug im Jahr 2013 ein Monatsbruttobezug € 829,65, abzüglich € 45,55 Krankenversicherung ergab netto € 784,10.
Mit Beschwerdevorentscheidung vom wurde die Beschwerde unter Hinweis auf Art 11, 68 Abs 1 lit b VO 883/2004 als unbegründet abgewiesen, wogegen mit Schriftsatz vom seitens der rechtsfreundlichen Vertretung form- und fristgerecht Vorlageantrag erhoben wurde. Die Rückforderung entbehre jeder rechtlichen und tatsächlichen Grundlage und sei rechtswidrig und rechtsmissbräuchlich.
Mit Vorlagebericht vom wurde die Beschwerde zur Entscheidung dem Bundesfinanzgericht vorgelegt. Darin wurden zunächst als Gründe für die vormalige Antragsbewilligung ausgeführt: "Der Beschwerdeführer (Bf), polnischer Staatsbürger, ist laut Aktenlage seit 2011 von der in Polen mit der Tochter lebenden Kindesmutter geschieden. Als Hauptwohnsitz wird die Adresse in [...] Wien […] angegeben. Der Familienwohnsitz befindet sich in [Polen]. Als Bezüge auszahlende Stelle wurde vom Bf die PVA angegeben. Aufgrund dieser Angaben wurde daher ursprünglich antragsgemäß eine Ausgleichszahlung für den Zeitraum Jänner bis August 2013, dem Ausbildungsende der Tochter, gewährt." Anlässlich einer Überprüfung sei festgestellt worden, dass der Bf nicht nur eine Berufsunfähigkeitspension aus Österreich, sondern seit November 2011 auch eine Pension aus Polen beziehe. Der Bezug einer Rente in Polen, wo sich auch der Wohnort der Tochter befinde, mache Polen gemäß Art 11, 68 Abs 1 lit b VO 883/2004 zum allein zuständigen Mitgliedstaat für Familienleistungen.
Anlässlich des am stattgefundenen Erörterungsgesprächs, zu dem die rechtsfreundliche Vertretung des Bf nicht erschien, weil sie den Bf nicht mehr vertrete, gab das BFG zu verstehen, dass es angesichts der vom EuGH in ständiger Judikatur zur VorgängerVO 1408/71 vertretenen Rechtsansicht, beabsichtige, der Beschwerde stattzugeben, wobei auf das Erkenntnis , hingewiesen wurde.
Auf Ersuchen des BFG führte die belangte Behörde mit dem Bf eine Amtshandlung durch, worüber sie die Niederschrift vom aufnahm und diese mitsamt den vorgelegten Beweismitteln dem BFG vorlegte. Darunter befand sich die Ablichtung einer Bescheinigung eines näher bezeichneten Krankenhauses vom , wonach die ehemalige Ehefrau vom bis dort als Oberreferentin beschäftigt war bzw sein werde.
Anlässlich des am stattgefundenen Erörterungsgesprächs führte die belangte Behörde als eventuellen Rückforderungsgrund ins Treffen, dass der Bf seit der Scheidung nach dem FLAG keinen Anspruch auf die Familienbeihilfe habe, weil die Tochter nach der Aktenlage bei der Kindesmutter haushaltszugehörig sei. Bei diesem Familienstand könne die Kindesmutter auch nicht verzichten, auf die Tragung der Unterhaltslasten komme es wegen gegebener Haushaltszugehörigkeit bei der Mutter nicht an. Auf Befragen des BFG gab der Bf an, dass er während aufrechter Ehe niemals von der belangten Behörde aufgefordert worden sei, eine Verzichtserklärung der Kindesmutter als haushaltsführendem Elternteil beizubringen. Die belangte Behörde bestätigte, dass der Bf tatsächlich niemals zur Vorlage der Verzichtserklärung der Kindesmutter aufgefordert worden war. Er sagte weiters aus, das die Kindesmutter für die Tochter keinen Unterhalt geleistet habe. Er gab weiters an, dass über die seit der Scheidung bestehende Geldunterhaltspflicht des Bf weder eine behördliche/gerichtliche Urkunde noch eine Privaturkunde zwischen ihm und der Kindesmutter errichtet wurde. Bis zur Volljährigkeit der Tochter hat der Bf die österr Familienleistungen an die Mutter, danach direkt an die Tochter weitergeleitet. Seit der Scheidung bezahlt er darüber hinaus auch Unterhalt für die Tochter, den er ihr ebenfalls direkt überweist.
Weiters wurde festgestellt, dass im BFG zur Familienleistung bei Bezug von Renten aus verschiedenen Mitgliedstaaten eine uneinheitliche Rechtsprechung vorherrscht, die belangte Behörde in keinem Aufhebungsfall den Verwaltungsgerichtshof angerufen hat.
Unter diesen Umständen hatte das BFG beschlossen, das Beschwerdeverfahren auszusetzen und den EuGH gemäß Art 267 AEUV um Vorabentscheidung zu ersuchen. Auf den diesbezüglichen RE/7100001/2019, wird zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen. Der Gerichtshof der Europäischen Union hat die vorgelegten Fragen mit , DN gegen Finanzamt Österreich, beantwortet, sodass das Beschwerdeverfahren fortzusetzen ist.
Fortsetzung des Beschwerdeverfahrens nach
Mit hg Beschluss vom wurde der Bf binnen dreiwöchiger Frist aufgefordert, die behauptete Weiterleitung der Familienbeihilfe und die Leistung des Unterhalts an die Tochter für die Monate Jänner bis August 2013 durch Überweisung nachzuweisen, indem die Kontoauszüge mit den Abbuchungen vorzulegen seien. Sollte das nicht möglich sein, könne ersatzweise eine Bestätigung der Tochter vorgelegt werden, in der diese den Erhalt der Familienbeihilfe und des Unterhalts für die Monate Jänner bis August 2013 unter Angabe von Betrag (wenn möglich auch mit Angabe des Tages) des Erhalts mit ihrer Unterschrift bestätigt. Weiters wurde um Aufklärung ersucht, weshalb der Bf in der Bestätigung der Stadtanstalt für Sozialhilfe in ***1*** vom ***2*** als dort "wohnhaft" bezeichnet wurde, da er geschieden sei und Wien als seinen einzigen Wohnort bezeichnete.
In Beantwortung des Beschluss wurden mit Schriftsatz vom , hg postalisch eingelangt am , die Kopie der Vommacht vom sowie elf Zahlungsanweisungen, die im Zeitraum Jänner bis August 2013 monatlich nachweislich bei der Bank eingereicht worden waren, vorgelegt. Der Bf als Liegenschaftseigentümer sei in Polen seit wegen seiner österreichischen Staatsbürgerschaft als EU-Bürger mit dem Status "Nebenwohnsitz" registriert. Die Ehefrau und die Tochter haben in Polen in seinem Haus gewohnt, er lebte, arbeitete und wohnte in Wien. Die Übersetzung mit dem Begriff "wohnhaft" in der Bestätigung der Stadt ***1*** sei nicht korrekt.
Die vorgelegten Beweismittel wurden der belangten Behörde zur Stellungnahme übermittelt. In ihrer mit E-Mail vom getätigten Stellungnahme führte die belangte Behörde aus, dass die vorliegenden Zahlungsanweisungen nicht belegen würden, dass das Geld der Tochter tatsächlich zugekommen ist. Des Weiteren sei anhand der Zahlungsanweisungen nicht ersichtlich, ob es sich dabei um die FBH oder um andere Zahlungen wie zB Unterhaltsleistungen handele.
Am hat der Vertreter über Aufforderung des BFG die Vollmacht im Original zur Einsicht vorgelegt. Der Bf habe als Fleischhauer in einer Lebensmittelkette gearbeitet und beherrsche die deutsche Sprache kaum, lediglich etwa 50 Wörter der Berufssprache. Der Vertreter gab weiters an, dass dem Bf inzwischen eine 80%ige Behinderung bescheinigt werde und er einen Behindertenparkplatz sowie einen Rollstuhl benötige. Nachdem der Bf mit Vollendung des 25. Lebensjahres der Tochter die Unterhaltszahlungen eingestellt habe, sei der Kontakt zur geschiedenen Ehefrau und zur Tochter gänzlich abgebrochen. Das Einfamilienhaus habe er später veräußert und seiner geschiedenen Ehefrau die Hälfte des Verkaufserlöses gegeben, wovon diese eine Eigentumswohnung erworben habe. Die Kontoauszüge habe der Bf nicht bis heute aufbewahrt, er sei der Meinung gewesen, die bei der Bank eingereichten Zahlungsanweisungen würden auch die Abbuchung von seinem Konto beweisen. Die Widmungen in den Zahlungsanweisungen wurden vom Vertreter übersetzt. Über die Vorsprache des Vertreters wurde eine Niederschrift aufgenommen.
Am fand am BFG, Sitz, mit der Vertreterin der belangten Behörde ein Erörterungsgespräch statt, worüber folgende Niederschrift aufgenommen wurde, die auszugsweise lautet:
"Die Amtsvertreterin informiert, dass das BKA beabsichtige, eine Stellungnahme zum EuGH Urteil C-199/21 abzugeben. Sie selbst sei nicht befugt, Rechtsansichten zu vertreten, und wird diese Niederschrift dem BKA weiterleiten.
…
Der EuGH hat zu drei für Österreich relevante Rechtsfragen Aussagen getroffen:
1. Für den Rentenstaat ist Titel II (Art 11 bis 16) VO 883/2004 nicht einschlägig und ist damit dem Vorabentscheidungsbeschluss gefolgt. Bei Rentenbezug erfolgt vom Titel I VO 883/2004 direkt ein Sprung in den Titel III, Kapitel VIII, Art 67 VO 883/2004. …. Ob dem Rentenbezug eine unionsrechtlich relevante Erwerbstätigkeitvorausgegangen ist, ist unerheblich. ... Im konkreten Fall zahlen beide MS Renten aus und somit beide MS sind gemäß Art 67 2. Satz VO 883/2004 grundsätzlich zu Familienleistungen verpflichtet.
2. Da in Polen die Verdienstgrenzen überschritten werden, besteht nach polnischem Recht kein Anspruch auf die dortigen Familienleistungen. Somit scheidet Polen aus, Art 68 Abs 1 VO 883/2004 wird nicht erfüllt und es droht eine Kumulierung von Leistungen aus zwei MS nicht konkret. Eine Prüfung nach Art 68 VO 883/2004 hat diesfalls nicht zu erfolgen. Im konkreten Fall ist Österreich allein zur Leistung verpflichtet. Diese Rechtsansicht hat eine lange Tradition in der EuGH-Rechtsprechung zur VorgängerVO 1408/71. Das Erfordernis, dass eine Kumulierung tatsächlich drohen muss, wird vom VwGH nicht beachtet, weshalb er im Fall der Überschreitung der in den Rechtsvorschriften des Beschäftigungsstaates vorgesehenen Altersgrenze zur einer Differenzzahlungspflicht nach Art 68 Abs 2 VO 883/2004 für Österreich kam ( RA 2015/16/0089). Art 67 VO 883/2004 wurde im zitierten Erkenntnis vom VwGH nicht als rechtserheblich wiedergegeben. …
3. Zurückgehend auf eine lange und gesicherte Rechtssprechungslinie des VwGH ist im Ergebnis eine Rückforderung nach § 26 Abs 1 FLAG 1967 immer möglich, wenn der Wortlaut des Gesetzes objektiv erfüllt ist. Jedwede Rechtfertigungsgründe wurden bisher abschlägig beschieden (vgl 0486/68 gutgläubiger Verbrauch; 85/14/0130; 2012/16/0047, Weiterleitung an berechtigten Elternteil). Diese ausnahmslose Zulassung der Rückforderung verstößt nach Ansicht des BFG im selben Maße gegen Unionsrecht, wie die Wortfolge "oder die Auszahlung von Leistungen irrtümlich erfolgte," in § 31 Abs 2 KBGG (Kinderbetreuungsgeldgesetz) idF BGBl I 100/2018 gegen die Verfassung verstößt ( G 181/2022ua).
Mit Urteil C-199/21 hat der EuGH dem BFG aufgetragen, unter den in Rn 42 bis 57 des Urteils, mit den auf die Rn 34, 38 und 39-41 der Schlussanträge des Generalanwaltes verwiesen wurde, genannten Voraussetzungen zu prüfen, ob die Rückforderung im konkreten Fall gerechtfertigt wird. Zu prüfen ist die Erfüllung des unionsrechtlichen Normzwecks (Rn 57).Die Richterinbeabsichtigte die in Deutschland gängige Verwaltungspraxis, die inzwischen vom BFH geprüft und für rechtskonform erachtet wurde, in Österreich bei gleicher Rechtfertigungssachlage auf Inlandssachverhalte anzuwenden (BFH , III R 82/08, BFH , III R 16/20). Weist der Bf nach, dass er FB/KAB zur Gänze an die Tochter weitergeleitet hat, wird das BFG von einer RF Abstand nehmen, wobei der dRSpr als Nachweis nicht die Überweisungsbelege genügen, sondern eine Empfängerbestätigung als materiell-rechtliches Tatbestandsmerkmalverlangt wird. In diesem Fall wird der Bf jedenfalls gerechtfertigt sein.
Nach Ansicht des BFG könnte die nach "Einreichung eines Antrags auf Familienleistungen und "Anspruch auf diese Leistungen" differenzierende EuGH-RSpr auch eine Entscheidung ermöglichen, dass der die Freizügigkeit ausübende Arbeitnehmer den Antrag stellt, der österr Träger den Antrag bewilligt, aber bei Fehlen der Verzichtserklärung die Auszahlung an die Mutter vornimmt.
Ebenso wäre es nach Ansicht des BFG vertretbar gewesen, dass der Bf den Antrag gestellt und das FAÖ in Bewilligung des Antrages die Auszahlung an die vj Tochter vorgenommen hätte, für die § 14 FLAG 1967 ein Bezugsrecht einräumt. Die vj Tochter zählt zum Familienangehörigenbegriff nach österr Recht und nach Unionsrecht und ist Teil der umfassenden Sichtweise laut Rn 52 des Urteils und kommt nach Ansicht des BFG als Empfänger von FB/KAB in Betracht.
Folglich besteht nach Unionsrecht auch bei dieser Betrachtung kein haltbarer Rückforderungsgrund.
4. …
5. Das BFG wird die ordentliche Revision zulassen. …
6. …
7. Das BFG hat laut EuGH zu prüfen, ob der Bf im Sinne der Rn 45 des Urteils als Anspruchsberechtigter nach Art 60 Abs 1 Satz 3 DVO anerkannt wurde. Die Amtsvertreterin hat ausgesagt, dass sich heute im konkreten Fall nicht mehr feststellen lasse, weshalb während aufrechter Ehe die Verzichtserklärung nicht abverlangt wurde und weshalb dem Bf, der in seinem Antrag für die Jahre 2012 und 2013 den Familienstand "geschieden" angekreuzt hatte, FB/KAB gewährt und ausbezahlt wurden, ohne dessen überwiegende Unterhaltsleistung zu prüfen. Die Amtsvertreterin bezweifelte, dass der Bf von der belangten Behörde willentlich im Sinne der Rn 45 des Urteils als Anspruchsberechtigter nach Art 60 Abs 1 Satz 3 DVO anerkannt wurde. Das BKA wird um Auskunft ersucht, welche Vorgangsweise die Dienstvorschriften in der fraglichen Zeit für Fälle wie in der Ausgangssituation angeordnet haben und seit wann Art 60 DVO in der Verwaltungspraxis berücksichtigt wird oder ob Art 60 DVO erst mit der Rs Trapkowski () in die Entscheidungspraxis der Behörde Eingang gefunden hat. Die Dienstvorschriften in der damaligen Fassung sind vorzulegen.
8. ....
Die Niederschrift wurde nach der Besprechung erstellt und elektronisch zugestellt."
Nach verlängerter Frist gab die belangte Behörde folgende Stellungnahme vom ab:
"Der vorliegende Sachverhalt wäre nach nunmehriger ho. Ansicht unter Anwendung der unionsrechtlichen Vorschriften und in Umsetzung des EuGH-Urteiles C-199/21 wie folgt rechtlich zu beurteilen:
Die Gleichstellung des Antragszeitpunktes (Antragsgleichstellung) soll Fristversäumnisse und Verjährungsverluste durch verspätete Antragstellungen in anderen Staaten verhindern (Art 68 Abs 3 lit b (für Familienleistungen) und Art 81 (allgemein) der VO).
Die Definition des Begriffes "Antragstellung" in Zusammenhang mit der VO wird vom EuGH bisher als sehr weit gefasst angesehen und jedenfalls als Geltendmachung von Ansprüchen in allen potentiell zuständigen Staaten verstanden. Darüber hinaus gilt der Zeitpunkt der Beantragung der Familienbeihilfe eines Elternteiles in einem Mitgliedstaat auch für den anderen Elternteil als fristwahrend und anspruchswahrend und somit verjährungsvermeidend (EuGH C-378/14).
Es liegt im vorliegenden Fall ein Antrag der Kindesmutter auf österreichische Familienbeihilfe dem Grunde nach in Form des Antrages auf die polnische Familienbeihilfe vor (der aufgrund der Überschreitung der Einkommensgrenze offenbar von den polnischen Behörden abgelehnt worden ist, weshalb keine polnische Familienbeihilfe gewährt wurde). Damit ist im vorliegenden Fall die Anwendung von Art 60 Abs 1 Satz 3 der DVO ausgeschlossen.
Der Beschwerdeführer hat die Rückzahlung der zu Unrecht bezogenen Familienbeihilfe zu leisten und der Kindesmutter ist die Familienbeihilfe (nach Übermittlung der dazu nötigen Daten und Unterlagen) auszuzahlen. Das Finanzamt Österreich wird dazu aktiv an die Kindesmutter herantreten.
Der vom EuGH befürchtete Verlust des österreichischen Familienbeihilfenanspruches der Kindesmutter aufgrund Verjährung, welcher die Rückforderung beim getrenntlebenden Elternteil verhindern würde, liegt nicht vor.
Allgemein darf noch Folgendes angemerkt werden:
Es kann dieser Kindesmutter und allen anderen in anderen Mitgliedstaaten mit dem Kind lebenden alleinerziehenden Elternteilen, die in einem der beteiligten Mitgliedstaaten einen Antrag auf die Familienbeihilfe gestellt haben, nicht stillschweigend und unter Verletzung des Parteiengehörs unterstellt werden, sie seien entweder "nicht berechtigt, Anspruch auf die Leistungen zu erheben" oder würden "ihr Recht, den Anspruch auf die Leistungen zu erheben, nicht wahrnehmen".
Die Intention von Art 60 Abs 1 Satz 3 der DVO ist es nämlich nicht, die Familienleistungen den anspruchsberechtigten Elternteilen zu entziehen, um sie nicht anspruchsberechtigten Personen (auch, wenn sie der andere Elternteil sind) auszuzahlen. Dies gilt selbst dann, wenn diese Personen die Familienbeihilfe für das Kind (zusätzlich neben etwaigen Unterhaltszahlungen) verwenden, würden damit dennoch die Rechte des anspruchsberechtigten Elternteiles in unzulässigerweise beschränkt werden.
Es steht dem anspruchsberechtigten Elternteil frei, zu entscheiden, in welcher Form er die ihm zustehenden Familienleistungen für das Kind, das er allein erzieht, einsetzt und verwendet. Andere Personen, seien es auch die anderen (getrenntlebenden) Elternteile, haben kein Recht, über den Umweg des Art 60 Abs 1 Satz 3 der DVO über den Einsatz der Familienbeihilfe für das Kind zu entscheiden.
Zusätzlich müssen auch die weiteren Folgen des Nichtbezuges der Familienbeihilfe durch den alleinerziehenden Elternteil berücksichtigt werden. Viele andere Ansprüche, Rechte und Leistungen hängen am Anspruch und dem Bezug der österreichischen Familienbeihilfe (zB Kinderbetreuungsgeld, Steuererleichterungen etc.).
Art 60 Abs 1 Satz 3 der DVO ist daher mit Bedacht und nur auf Ausnahmefälle anzuwenden. Keinesfalls darf es dadurch zu Beschneidungen der Rechte der anspruchsberechtigten, alleinerziehenden Elternteile kommen.
Es bestehen und bestanden keine konkreten Dienstvorschriften zur Anwendung des Art 60 Abs 1 Satz 3 der DVO.
Bis dato lagen nach ho. Kenntnis keine Anwendungsfälle des Art 60 Abs 1 Satz 3 der DVO vor."
Der Vertreter erteilte am auf Fragen des BFG folgende Auskunft:
Die Kindesmutter habe in den Jahren 2005-2009 mindestens 2.000,00 PLN verdient, was damals viel gewesen sei. Sie habe dieses Geld nur für eigene Zwecke (für sich selbst - Kleidung, Schuhe etc.) ausgegeben. Die Tochter habe von der Kindesmutter fast kein Geld bekommen, alles nur vom Bf. Neben den Überweisungen habe die Tochter anlässlich von Besuchen des Bf in Polen darüber hinaus extra Geld bekommen.
Der Bf habe das in seinem Alleineigentum stehende Haus in Polen verkauft und vom Verkaufserlös der Kindesmutter 50% gegeben. Die Finanzierung habe er alleine getragen. Dafür habe der Bf in Österreich Kredite aufgenommen und die Restverbindlichkeiten mit seinem Anteil am Verkaufserlös getilgt (ca. EUR 50.000,00 bis 60.000,00 sowie ca. ATS 200.000,00). Die Kindesmutter habe zur Finanzierung des Hauses nichts beigetragen.
Den Unterhalt der Tochter habe der Bf bezahlt.
Als die Tochter volljährlich geworden sei, habe sie ein eigenes Bankkonto eröffnet und die Geldüberweisungen auf das eigene Konto erhalten. Familienbeihilfe plus Unterhalt seien ausreichend gewesen, damals zum Leben mehr als genug.
Ein Mal im Jahr sei er auch nach der Scheidung nach Polen gefahren und habe darüber hinaus sämtliche Geldrückstände, die das Haus betroffen haben (Steuer und diverse andere offene Zahlungen), als auch private Schulden der Kindesmutter bezahlt.
Die Kindesmutter habe NICHTS bezahlt, das habe sie nicht interessiert.
Die Kindesmutter habe fast ihr ganzes Leben in Polen gearbeitet. Wann die Kindesmutter in Pension gegangen sei, wisse der Bf nicht. Es könnte bereits mit Erreichen des 55. Lebensjahres (2011) gewesen sein.
II. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:
1. Rechtsgrundlagen
Unionsrecht
1.1. Verordnung (EG) Nr 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit, ABl-EU L 166/1ff vom (kurz "VO 883/2004")
Art 1 VO 883/2004 bestimmt auszugsweise:
q),zuständiger Träger':
i)den Träger, bei dem die betreffende Person zum Zeitpunkt der Stellung des Antrags auf Leistungen versichert ist,
…
s),zuständiger Mitgliedstaat' den Mitgliedstaat, in dem der zuständige Träger seinen Sitz hat;
Art 2 Abs 1 VO 883/2004 lautet:
"Diese Verordnung gilt für Staatsangehörige eines Mitgliedstaats, Staatenlose und Flüchtlinge mit Wohnort in einem Mitgliedstaat, für die die Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten gelten oder galten, sowie für ihre Familienangehörigen und Hinterbliebenen."
TITEL II trägt die Überschrift "BESTIMMUNG DES ANWENDBAREN RECHTS" und die Allgemeine Regelung enthält Artikel 11
Art 11 Abs 1 VO 883/2004 lautet:
"(1) Personen, für die diese Verordnung gilt, unterliegen den Rechtsvorschriften nur eines Mitgliedstaats. Welche Rechtsvorschriften dies sind, bestimmt sich nach diesem Titel."
Art 67 VO 883/2004, der das Kapitel 8 ("Familienleistungen") des Titels III ("Familienangehörige, die in einem anderen Mitgliedstaat wohnen") einleitet, bestimmt:
"Eine Person hat auch für Familienangehörige, die in einem anderen Mitgliedstaat wohnen, Anspruch auf Familienleistungen nach den Rechtsvorschriften des zuständigen Mitgliedstaats, als ob die Familienangehörigen in diesem Mitgliedstaat wohnen würden. Ein Rentner hat jedoch Anspruch auf Familienleistungen nach den Rechtsvorschriften des für die Rentengewährung zuständigen Mitgliedstaats."
Art 68 VO 883/2004 sieht in den Abs 1 und 2 auszugsweise vor:
"(1)Sind für denselben Zeitraum und für dieselben Familienangehörigen Leistungen nach den Rechtsvorschriften mehrerer Mitgliedstaaten zu gewähren, so gelten folgende Prioritätsregeln:
a)Sind Leistungen von mehreren Mitgliedstaaten aus unterschiedlichen Gründen zu gewähren, so gilt folgende Rangfolge: an erster Stelle stehen die durch eine Beschäftigung oder eine selbstständige Erwerbstätigkeit ausgelösten Ansprüche, darauf folgen die durch den Bezug einer Rente ausgelösten Ansprüche und schließlich die durch den Wohnort ausgelösten Ansprüche.
b)Sind Leistungen von mehreren Mitgliedstaaten aus denselben Gründen zu gewähren, so richtet sich die Rangfolge nach den folgenden subsidiären Kriterien:
…
ii)bei Ansprüchen, die durch den Bezug einer Rente ausgelöst werden: der Wohnort der Kinder, unter der Voraussetzung, dass nach diesen Rechtsvorschriften eine Rente geschuldet wird, und subsidiär gegebenenfalls die längste Dauer der nach den widerstreitenden Rechtsvorschriften zurückgelegten Versicherungs- oder Wohnzeiten;
…"
1.2. Verordnung (EG) Nr 987/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom zur Festlegung der Modalitäten für die Durchführung der Verordnung (EG) Nr 883/2004 über die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit, ABl-EU L 284/1ff vom (kurz "DVO 987/2009")
Art 60 Abs 1 VO 987/2009 lautet:
"Die Familienleistungen werden bei dem zuständigen Träger beantragt. Bei der Anwendung von Artikel 67 und 68 der [Verordnung Nr. 883/2004] ist, insbesondere was das Recht einer Person zur Erhebung eines Leistungsanspruchs anbelangt, die Situation der gesamten Familie in einer Weise zu berücksichtigen, als würden alle beteiligten Personen unter die Rechtsvorschriften des betreffenden Mitgliedstaats fallen und dort wohnen. Nimmt eine Person, die berechtigt ist, Anspruch auf die Leistungen zu erheben, dieses Recht nicht wahr, berücksichtigt der zuständige Träger des Mitgliedstaats, dessen Rechtsvorschriften anzuwenden sind, einen Antrag auf Familienleistungen, der von dem anderen Elternteil, einer als Elternteil behandelten Person oder von der Person oder Institution, die als Vormund des Kindes oder der Kinder handelt, gestellt wird."
Österreichisches Recht
Gemäß § 2 Abs 2 FLAG 1967 hat Anspruch auf Familienbeihilfe für ein im Abs. 1 genanntes Kind die Person, zu deren Haushalt das Kind gehört. Eine Person, zu deren Haushalt das Kind nicht gehört, die jedoch die Unterhaltskosten für das Kind überwiegend trägt, hat dann Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn keine andere Person nach dem ersten Satz anspruchsberechtigt ist.
§ 2 Abs 3 FLAG 1967 bestimmt [für Zwecke der Familienbeihilfe] als Kinder einer Person ua deren Nachkommen.
§ 2a FLAG 1967 lautet:
"(1) Gehört ein Kind zum gemeinsamen Haushalt der Eltern, so geht der Anspruch des Elternteiles, der den Haushalt überwiegend führt, dem Anspruch des anderen Elternteiles vor. Bis zum Nachweis des Gegenteils wird vermutet, daß die Mutter den Haushalt überwiegend führt.
(2) In den Fällen des Abs. 1 kann der Elternteil, der einen vorrangigen Anspruch hat, zugunsten des anderen Elternteiles verzichten. Der Verzicht kann auch rückwirkend abgegeben werden, allerdings nur für Zeiträume, für die die Familienbeihilfe noch nicht bezogen wurde. Der Verzicht kann widerrufen werden."
§ 4 FLAG 1967 idFBFGl 201/1996 lautete auszugsweise:
"(1) Personen, die Anspruch auf eine gleichartige ausländische Beihilfe haben, haben keinen Anspruch auf Familienbeihilfe.
(2) Österreichische Staatsbürger, die gemäß Abs. 1 oder gemäß § 5 Abs. 3 vom Anspruch auf die Familienbeihilfe ausgeschlossen sind, erhalten eine Ausgleichszahlung, wenn die Höhe der gleichartigen ausländischen Beihilfe, auf die sie oder eine andere Person Anspruch haben, geringer ist als die Familienbeihilfe, die ihnen nach diesem Bundesgesetz ansonsten zu gewähren wäre.
(3) Die Ausgleichszahlung wird in Höhe des Unterschiedsbetrages zwischen der gleichartigen ausländischen Beihilfe und der Familienbeihilfe, die nach diesem Bundesgesetz zu gewähren wäre, geleistet.
(4) Die Ausgleichszahlung ist jährlich nach Ablauf des Kalenderjahres, wenn aber der Anspruch auf die gleichartige ausländische Beihilfe früher erlischt, nach Erlöschen dieses Anspruches über Antrag zu gewähren.
(5) Die in ausländischer Währung gezahlten gleichartigen ausländischen Beihilfen sind nach den vom Bundesministerium für Finanzen auf Grund des § 4 Abs. 8 des Umsatzsteuergesetzes 1972, BGBl. Nr. 223/1972, in der "Wiener Zeitung" kundgemachten jeweiligen Durchschnittskursen in inländische Währung umzurechnen.
(6) Die Ausgleichszahlung gilt als Familienbeihilfe im Sinne dieses Bundesgesetzes; die Bestimmungen über die Höhe der Familienbeihilfe finden jedoch auf die Ausgleichszahlung keine Anwendung.
…."
§ 14 FLAG 1967 lautet auszugsweise:
"(1) Ein volljähriges Kind, für das Anspruch auf die Familienbeihilfe besteht, kann beim Finanzamt Österreich beantragen, dass die Überweisung der Familienbeihilfe auf sein Girokonto erfolgt. Der Antrag kann sich nur auf Zeiträume beziehen, für die noch keine Familienbeihilfe ausgezahlt wurde.
…
(3) Es kann auch die Person, die Anspruch auf die Familienbeihilfe für ein Kind hat, beantragen, dass die Überweisung der Familienbeihilfe auf ein Girokonto dieses Kindes erfolgt. Der Antrag kann sich nur auf Zeiträume beziehen, für die noch keine Familienbeihilfe ausgezahlt wurde. Dieser Antrag kann jederzeit widerrufen werden, allerdings nur für Zeiträume, für die noch keine Familienbeihilfe ausgezahlt wurde.
…"
§ 26 Abs 1 FLAG 1967 bestimmt:
"Wer Familienbeihilfe zu Unrecht bezogen hat, hat die entsprechenden Beträge zurückzuzahlen."
2. Sachverhalt
Aufgrund des Ergebnisses des vom BFG ergänzend durchgeführten Sachverhalts steht folgender Sachverhalt fest:
Der aus Polen gebürtige Beschwerdeführer (Bf) besaß seit 2001 die österreichische Staatsbürgerschaft und hatte seither seinen Wohnsitz und Mittelpunkt der Lebensinteressen ausschließlich in Österreich. Bevor er im Jahr 1989 in Österreich nichtselbständig erwerbstätig war, hatte er bereits in Polen Versicherungszeiten erworben. Die in Polen lebende Ehefrau war mit der ***9*** geborenen gemeinsamen Tochter, die beide polnische Staatsangehörige sind, in Polen wohnhaft.
Seit November 2009 bezog der Bf von Polen und von Österreich vorgezogene Altersrenten.
Im Zeitpunkt der erstmaligen Stellung eines Antrags auf die österreichische Familienbeihilfe, der mit Mai 2004 anzunehmen ist, war der Bf noch verheiratet. Im Jahr 2011 erfolgte die Scheidung.
Bei der polnischen Wohnanschrift handelt es sich um ein Einfamilienhaus, das im Eigentum des Bf stand. In diesem Einfamilienhaus wohnten die Ehefrau und die Tochter weiterhin nach der Scheidung. Der Bf war dort nach der Scheidung als EU-Bürger lediglich mit "Nebenwohnsitz" registriert, hat dort aber nicht gewohnt. Die Kosten für das Liegenschaftsobjekt trug der Bf. Seinen Wohnsitz hatte der Bf seit der Scheidung ausschließlich in Österreich.
In Polen bestand kein Anspruch auf die polnischen Familienleistungen, weil die nach dem dortigen Recht vorgesehene Verdienstgrenze überschritten wurde. Die belangte Behörde hat den für das Jahr 2013 am gestellten Antrag dahin erledigt, dass sie für den Streitzeitraum Jänner bis August, dem Ausbildungsende der Tochter, mit Mitteilung vom die Familienbeihilfe in Form der Ausgleichszahlung und Kinderabsetzbeträgen gewährte. Bei der Ermittlung des Auszahlungsbetrages wurde die polnische Familienleistung abgezogen. Der Auszahlungsbetrag ergab sich aus der Mitteilung nicht.
Mit dem angefochtenen Bescheid forderte die belangte Behörde die österreichischen Familienleistungen mit der Begründung zurück, dass nach der sozialen Koordinierung bei Rentenbezug nur ein Mitgliedstaat zur Familienleistung verpflichtet sei. Im Fall des Bf sei Polen wegen des dortigen Wohnsitzes der Tochter allein zur Erbringung der Familienleistung zuständig. Österreich sei unionsrechtlich der unzuständige Mitgliedstaat.
Das BFG gab zu verstehen, dass es die Rechtsansicht der belangten Behörde nicht teile und der Beschwerde stattgeben wolle. Sodann führte die belangte Behörde in eventu als Rückforderungsgrund ins Treffen, dass im Scheidungsfall nur die haushaltsführende Kindesmutter, bei der die Tochter wohnhaft sei, Anspruch auf die österreichische Familienbeihilfe habe. Auf Befragen des BFG gab der Bf an, dass die Beihilfenbehörde weder während der Ehe die Verzichtserklärung der Kindesmutter als haushaltsführenden Elternteil abverlangt noch ihn zu Anträgen, die sich auf Zeiträume nach der Scheidung beziehen, darauf hingewiesen hat, dass nach österreichischem FLAG diesfalls ausschließlich die Kindesmutter anspruchsberechtigt ist.
Laut Vorlagebericht ist die belangte Behörde bei der positiven Antragserledigung von der Scheidung ausgegangen.
Das Formular E411 liegt dem vorgelegten Verwaltungsakt lediglich in unvollständiger Form ein. Der Bf hat es in teilweise ausgefüllter Form (Punkte 1-3) seinem Antrag beigelegt, die belangte Behörde hat es nicht an den polnischen Träger übermittelt. Die Punkte 4-5 des A-Teiles (Bescheinigungsersuchen) wurde nicht von der belangten Behörde ausgefüllt, die Punkte 6-9 des B-Teiles (Bescheinigung des Trägers des Wohnortstaates) sind ebenfalls leer. Ob die geschiedene Ehefrau im Jahr 2013 noch aktiv erwerbstätig war, ist mangels Einholung des EU-Formulars E411 unbekannt.
Der Bf hat seiner Tochter ***8*** im Streitzeitraum regelmäßig monatlich EUR 300,00 bzw in den Monaten Juli und August je EUR 250,00 an Unterhalt überwiesen. Diese Zahlungen hat er auf den Zahlungsanweisungen als Unterhalt bezeichnet. Die laufenden Unterhaltszahlungen betragen insgesamt EUR 2.300,00. Darüber hinaus hat er zB für Kleidung, Belohnungsprämie für Studienerfolg, Geburtstagsgeschenk, Londonreise, Kinderfreiertag EUR 570,00 nachweislich überwiesen. Die gesamten nachgewiesenen Unterhaltszahlungen betrugen EUR 2.870,00, denen ein Rückforderungsbetrag von EUR 1.468,84 gegenübersteht. Darüber hinaus hat der Bf seiner Tochter anlässlich von Aufenthalten in Polen Geldbeträge in bar gegeben, deren Höhe nicht bekannt ist.
Eine Urkunde über die Aufteilung des Geldunterhalts für die erwachsene Tochter wurde von den Eltern nicht errichtet, weder vor einem Zivilgericht noch privat. Die Kindesmutter hat sich am Unterhalt für die Tochter nicht beteiligt. Der Geldunterhalt für die erwachsene Tochter wurde vom Bf fast ausschließlich allein bestritten.
Die Nettopensionen des Bf für sich allein ergaben in Summe monatlich EUR 859,09. Demnach hat der Bf 42% seiner Nettopension an seine Tochter überwiesen.
Es wurden nur die Zahlungsanweisungen, nicht aber die Kontoauszüge aufbewahrt.
Der Bf ist seit geraumer Zeit zu 80% behindert und benötigt einen Rollstuhl, ein behinderungsgerechtes Kfz und einen Behindertenparkplatz.
Mit Vollendung des 25. Lebensjahres seiner Tochter (das war im Jahr 2016) stellte er die Unterhaltszahlungen ein. Seither haben die Tochter und die geschiedene Ehefrau nach seinen Angaben den Kontakt zum Bf abgebrochen.
Dass in Polen von der Kindesmutter ein Antrag für den Streitzeitraum gestellt wurde und vom polnischen Träger die polnischen Leistungen bezogen wurden, hat die belangte Behörde in ihrer Stellungnahme vom Dezember 2022 zwar behauptet, aber nicht nachgewiesen.
3. Beweismittel und Beweiswürdigung
3.1. Verwaltungsakt, Parteienvorbringen, Bestätigung der Stadtanstalt für Sozialhilfe in ***1*** vom ***2***, ***3***, in beglaubigter Übersetzung, Kontoauszüge zum Nachweis der Höhe der polnischen Pension, Bescheide des Magistrats der Stadt Wien vom über die Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft und Staatsbürgerschaftsnachweis, Scheidungsurteil des Kreisgerichts ***4*** vom , Arbeitsbescheinigung für die Kindesmutter 2005 bis 2009, Zahlungsanweisungen betreffend Überweisungen an die Tochter in den Monaten 1-8/2013, E-Mail des Bf vom und vom , Aktenvermerk über Telefonat vom .
3.2. Die Feststellungen waren, soweit sie sich nicht zweifelsfrei und schlüssig aus den Beweismitteln ergaben, aufgrund folgender Überlegungen zu treffen:
Der Annahme, dass die belangte Behörde im Antragsverfahren das Formular E411 nicht vom polnischen Träger abverlangt hat, liegt die Überlegung zugrunde, dass das Formular E411 dem vorgelegten Verwaltungsakt lediglich in unvollständiger Form einliegt. Der Bf hat es in teilweise ausgefüllter Form (Punkte 1-3) seinem Antrag beigelegt. Die Punkte 4-5 des A-Teiles (Bescheinigungsersuchen) wurde nicht von der belangten Behörde ausgefüllt, die Punkte 6-9 des B-Teiles (Bescheinigung des Trägers des Wohnortstaates) sind ebenfalls leer. Ein weiteres Exemplar des Formulars E411 ist nicht aktenkundig.
Die Feststellung, dass nach den polnischen Rechtsvorschriften kein Anspruch auf das dortige Kindergeld bestand, beruht darauf, dass die polnische Rechtslage als materielles Tatbestandsmerkmal ein Einkommenskriterium vorsah, das im Beschwerdefall nicht erfüllt war. Nach dem Beschwerdevorbringen betrug die maßgebliche Einkommensgrenze im Jahr 2013 PLN 539,00 je Familienangehörigem. Bei Heranziehung des von der Bank für die polnische Pension verwendeten Umrechnungskurses von EUR 4,2255 für 1 PLN ergibt das EUR 127,59 bzw für drei Familienangehörige EUR 382,77. Die Summe der monatlichen Nettopensionen des Bf betrugen EUR 859,09 und überstiegen, worauf in der Beschwerde ausdrücklich hingewiesen wurde, das Einkommenskriterium bei weitem. Die Einkünfte der Ehefrau in Polen sind da noch unberücksichtigt.
Die Feststellung, dass in Polen kein Kindergeld bezogen wurde, beruht einerseits auf der Bestätigung der Stadtanstalt für Sozialhilfe von ***1*** vom ***2*** und andererseits auf der Überlegung, dass nicht anzunehmen ist, dass der polnische Träger entgegen seinen Rechtsvorschriften das Kindergeld zuerkannt hat. Der von der Stadtanstalt für Sozialhilfe von ***1*** in der Bestätigung vom ***2*** verwendete Begriff "Familienzuschuss" wird in den MISSOC-Tabellen der Europäischen Union nicht verwendet (Quelle: https://ec.europa.eu/social/main.jsp?catId=1124&langId=de&intPageId=4718#:~:text=Das%20Erziehungsgeld%20wird%20unabh%C3%A4ngig%20von%20der%20festgelegten%20Einkommensgrenze%20gezahlt.&text=Leistung%20%E2%80%9EGuter%20Start%E2%80%9C%3A%20300,sind%20von%20der%20Einkommensteuer%20befreit, abgerufen am ). Die der Familienbeihilfe gleichartige Familienleistung Polens wird in den Unionsunterlagen als Kindergeld bezeichnet. Nach Überzeugung des BFG ist bei verständiger Würdigung anzunehmen, dass mit dem verwendeten Begriff "Familienzuschuss" das polnische Kindergeld gemeint ist, das mit der Familienbeihilfe und dem Kinderabsetzbetrag vergleichbar ist und folglich nach Art 68 VO 883/2004 und § 4 FLAG 1967 grundsätzlich mit der Familienbeihilfe und dem Kinderabsetzbetrag konkurrieren kann.
Bei der Bestätigung der Stadtanstalt für Sozialhilfe von ***1*** handelt es sich um eine öffentliche Urkunde des polnischen Mitgliedstaates, der deshalb Beweiskraft zukommt, weil die belangte Behörde das Formular E411, das der Bf in den Punkten 1-3 vorausgefüllt seinem Antrag beigelegt hatte, im Antragsverfahren nicht an den polnischen Träger weitergeleitet hat, aus dem sich diese Fakten ergeben würden, obwohl dieses vom zuständigen Träger des vorrangig verpflichteten Mitgliedstaates von Amts wegen zu beschaffen ist. Teil A des Formulars ist das Bescheinigungsersuchen des vorrangig verpflichteten Mitgliedstaates (Punkte 1-5) und Teil B ist die Bescheinigung des Wohnortstaates (Punkte 6-9). Amtshilfersuchen können nur von Behörden gestellt werden. Unter Punkt 6 des Formulars gibt der zuständige Träger des Wohnortstaates an, ob Anspruch auf die dortigen Familienleistungen besteht oder nicht, und wenn kein Anspruch besteht, aus welchen Gründen kein Anspruch besteht. Unter Punkt 7 hat der Träger des Wohnortstaates Art, Höhe und Zeitraum der von ihm gewährten Familienleistungen angeben müssen.
Die Feststellung der regelmäßigen, monatlichen Unterhaltsleistung an die studierende Tochter beruht auf den in den Zahlungsanweisungen vom Bf vorgenommenen Widmungen.
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Widmung laut Zahlungsanweisung | ||||
Zeitraum | Person, Gegenstand | Betrag | Einreichdatum | laufende Zahlung |
I 2013 | Tochter | 300,00 | 300,00 | |
I 2013 | Tochter extra | 70,00 | ||
II 2013 | Tochter II plus extra EUR 100,00 Prämie I Semester | 400,00 | 300,00 | |
na II Luty = für II Februar | extra na=extra für, Odziez=Kleidung buty=Schuhe | 100,00 | ||
III 2013 | Tochter | 300,00 | 300,00 | |
IV 2013 | Tochter plus extra EUR 50,00 IV i V= IV und V | 350,00 | 300,00 | |
V 2013 | Tochter extra Reise-London na dzien dziecka =für Kinderfeiertag | 150,00 | ||
V 2013 | Tochter | 300,00 | 300,00 | |
VI 2013 | Tochter plus dzien dziecka 2013 | 350,00 | 300,00 | |
VII 2013 | Tochter | 250,00 | 250,00 | |
VIII 2013 | Tochter plus EUR 50,00 urodziny 22.=22. Geburtstag | 300,00 | 250,00 | |
Summe Überweisungen Jänner-August 2013 | 2.870,00 | 2.300,00 |
Der Vertreter hat am vorgetragen, der Bf sei der Ansicht gewesen, dass mit den Zahlungsanweisungen auch die Überweisung, sprich der Geldabfluss, nachgewiesen werde. Aus diesem Grund habe er lediglich die Zahlungsanweisungen, nicht aber die Kontoauszüge aufbewahrt. In seiner Aktivzeit war der Bf als Fleischhauer (Metzger) in einer namhaften Lebensmittelkette sowie in einer Gebäudereinigungsfirma beschäftigt. Angesichts dessen ist es glaubhaft, dass der Bf der Auffassung war, die Zahlungsanweisungen seien neben ihrer Widmung auch geeignet, den Zahlungsfluss nachzuweisen.
Zu den in der Stellungnahme vom seitens der belangten Behörden ausgeführten Bedenken, die vorliegenden Zahlungsanweisungen würden nicht belegen, dass das Geld der Tochter tatsächlich zugekommen ist, ist auszuführen, dass gemäß § 4 Z 9 ZaDiG 2018 (Bundesgesetz über die Erbringung von Zahlungsdiensten 2018, Zahlungsdienstegesetz 2018 - ZaDiG 2018), BG vom , BGBl. I Nr. 17/2018 idgF, Zahlungsempfänger ist: eine natürliche oder juristische Person, die den Geldbetrag, der Gegenstand eines Zahlungsvorgangs ist, als Empfänger erhalten soll. Gemäß § 4 Z 23 ZaDiG 2018 ist Überweisung: ein auf Aufforderung des Zahlers ausgelöster Zahlungsdienst zur Erteilung einer Gutschrift auf das Zahlungskonto des Zahlungsempfängers zulasten des Zahlungskontos des Zahlers in Ausführung eines oder mehrerer Zahlungsvorgänge durch den Zahlungsdienstleister, der das Zahlungskonto des Zahlers führt.
Aus sämtlichen Zahlungsanweisungen geht der Bf als Aussteller klar hervor. Sie sind demnach echt. Auf sämtlichen Zahlungsanweisungen ist die Tochter namentlich genannt. Daneben wurden als Empfangskonto auf sämtlichen Zahlungsanweisungen die polnische IBAN ***5*** und der BIC ***6*** angeführt. Die Kontonummer des Kontos, zu dessen Lasten die Überweisungen beauftragt wurden, ist ebenfalls auf allen Belegen dasselbe. Auf der Rückseite der Zahlungsanweisungen ist der Eingangsstempel der Bank abgedruckt. Die Zahlungsanweisungen sind als Urkunde deutlich verständlich und die rechtliche Tatsache der Überweisung eines Geldbetrages von einem Konto auf ein anderes ergibt sich aus den zuvor zitierten Rechtsgrundlagen. Bis zum Gegenbeweis liefert eine ordnungsgemäß erstellte Zahlungsanweisung nach der Rechtsauffassung des BFG den Beweis, dass sie echt ist und die darin gemachten Angaben wahr sind. Einen solchen Gegenbeweis hat die belangte Behörde in ihrer Stellungnahme vom nicht ins Treffen geführt. Das BFG sieht es aufgrund des zuvor Gesagten als erweisen an, dass der Bf seiner Tochter ***8*** in den Streitmonaten den Geldunterhalt iHv EUR 2.870,00 tatsächlich durch Überweisung geleistet hat. Ist der Beweis nicht möglich, so reicht Glaubhaftmachung.
Insgesamt hat der Bf im Rückforderungszeitraum EUR 2.870,00 nachweislich an Geldunterhalt an seine Tochter überwiesen, das ergibt einen monatlichen Durchschnittsbetrag von EUR 358,75. Von diesem Betrag konnte die erwachsene Tochter nach den hg bekannten Lebenshaltungskosten, dem Lohn- bzw Gehaltsniveau und den Kaufkraftverhältnissen in Polen, worauf der Vertreter namens des Bf am hinwies, gut leben. Der monatliche Durchschnittsüberweisungsbetrag erreichte eine Höhe, in der in Polen bereits monatliche Pensionseinkünfte lagen.
Der vom Bf monatlich an die Tochter geleistete Betrag von EUR 358,75 entspricht bei obigem Umrechnungskurs PLN 1.514,00. Während ihrer Aktivzeit hat die Mutter im Jahr 2009 PLN 2.000,00 verdient. Die Mindestpension betrug in Polen ab März 2013 PLN 831,15 (Quelle: https://www.oecd-ilibrary.org/docserver/pension_glance-2013-73-de.pdf?expires=1675765278&id=id&accname=guest&checksum=E46C1BD99C7240B052FB10EFF777C211, abgerufen am ). Der monatliche Unterhalt für die Tochter betrug PLN 1.514,00 und überstieg die Mindestrente um mehr als 80% und erreichte fast den Aktivbezug der Kindesmutter von PLN 2.000,00. Selbst als aktiv Erwerbstätige konnte sie einen Unterhaltsbeitrag von monatlich zumindest PLN 1.515,00 leisten. Ein Betrag für tatsächliche Unterhaltskosten (Unterhaltsbedarf) der Tochter von monatlich PLN 3.029,00 wäre unrealistisch.
Für das BFG liegt es im Einklang mit den allgemein bekannten Verhältnissen Polens und ist daher glaubhaft, dass die Kindesmutter keinen oder so gut wie keinen Beitrag zum Geldunterhalt der Tochter geleistet hat. Anlässlich eines Erörterungstermins erschien der Bf persönlich, sein angeschlagener Gesundheitszustand war bereits damals erkennbar. Er hat sich im Gespräch als glaubwürdig erwiesen und das vom Bf erstattete Vorbringen zu den Unterhaltsleistungen der Kindesmutter sind nach Ansicht des BFG auch glaubhaft. Der tatsächliche Nachweis der geleisteten Unterhaltszahlungen stärkt Glaubwürdigkeit.
4. Rechtliche Beurteilung
4.1. Zu Spruchpunkt I.
Am wurde die Vollmacht vom Vertreter im Original zur Einsicht vorgelegt und wieder zurückgegeben, worüber eine Niederschrift ausgefertigt wurde. Eine allgemeine Vollmacht beinhaltet auch in Bezug auf einen nicht beruflichen Parteienvertreter eine Zustellvollmacht, worauf der Vertreter hingewiesen wurde.
Beschwerde und Vorlageantrag sind form- und fristgerecht sowie darüber hinaus begründet.
Der Bf fällt in den persönlichen Anwendungsbereich der VO 883/2004, die nach ihrem Art 2 Abs 1 für Staatsangehörige eines Mitgliedstaats mit Wohnort in einem Mitgliedstaat gilt, für die die Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten gelten oder galten, sowie für ihre Familienangehörigen und Hinterbliebenen. Bei der Familienbeihilfe nach dem Familienlastenausgleichsgesetz und dem Kinderabsetzbetrag handelt es sich um "Familienleistungen" im Sinne von Art 3 Abs 1 Buchst j VO 883/2004, sodass auch der sachliche Anwendungsbereich der VO 883/2004 erfüllt ist. Mit dem Bezug von Renten aus zwei verschiedenen Mitgliedstaaten der Union wird schließlich das räumliche Element erfüllt.
Zu den Streitpunkten im Einzelnen:
4.1. Familienleistungen bei Rentenbezug aus zwei Mitgliedstaaten (Rn 26 bis 30 des Urteils)
Die belangte Behörde hat zu dieser Rechtsfrage in ihrer Stellungnahme keine Äußerung abgegeben.
In den zuvor dargestellten Rechtsgrundlagen wurde, anders als es der EuGH im Urteil EuGH C-199/21 darstellt, auch Art 11 VO 883/2004, der Titel II der VO 883/2004 einleitet, wiedergegeben, obgleich Titel II bei Rentenbezug nicht einschlägig ist, wie das BFG in seinem Vorabentscheidungsersuchen dargelegt hatte. Leg.cit. ist deshalb entscheidungsrelevant, weil die belangte Behörde im Fall des Rentenbezuges in ihrer Dienstanweisung und im angefochtenen Bescheid Art 11 Abs 1 VO 883/2004, wonach "Personen, für die diese Verordnung gilt, den Rechtsvorschriften nur eines Mitgliedstaats [unterliegen], als tragende Begründung herangezogen hat.
Aus Art 1 lit s VO 883/2004 ergibt sich, dass für die Zwecke dieser Verordnung der Begriff "zuständiger Mitgliedstaat" den Mitgliedstaat bezeichnet, in dem der zuständige Träger seinen Sitz hat, wobei der zuständige Träger in Art 1 lit q insbesondere als der Träger definiert wird, bei dem die betreffende Person zum Zeitpunkt der Stellung des Antrags auf Leistungen versichert ist oder jener, gegenüber dem die betreffende Person einen Anspruch auf Leistungen hat oder hätte, wenn sie selbst oder ihr Familienangehöriger bzw. ihre Familienangehörigen in dem Mitgliedstaat wohnen würden, in dem dieser Träger seinen Sitz hat. Daher kann der Begriff "zuständiger Mitgliedstaat" für die Anwendung von Art 67 Satz 2 VO 883/2004 nicht auf den Mitgliedstaat beschränkt werden, der zur Leistung einer Rente an den Betroffenen verpflichtet ist, weil dieser in der Vergangenheit im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats sein Recht auf Arbeitnehmerfreizügigkeit ausgeübt hat (, Rn 30, 31).
Für Rentenbezug enthält Art 67 Satz 2 leg.cit. eine Sonderregelung, wonach ein Rentner in einem solchen Fall "Anspruch auf Familienleistungen nach den Rechtsvorschriften des für die Rentengewährung zuständigen Mitgliedstaats [hat]" (, Rn 29 mwN). Der Grundsatz der Exklusivität (es gibt nur einen zuständigen Mitgliedstaat) trifft auf Familienleistungen nicht zu (Gebhart in Lenneis/Wanke (Hrsg.), FLAG2, § 4 Rz 11f). Das gilt auch bei Rentenbezug.
Der Bf bezieht sowohl nach den österreichischen als auch nach den polnischen Rechtsvorschriften Renten und die Tochter wohnt in Polen im Haushalt der Kindesmutter. Dieser Sachverhalt fällt unmittelbar, dh unter Außerachtlassung des Titel II der VO, unter Art 67 Satz 1 VO 883/2004, weil die Kinder im anderen Mitgliedstaat wohnen (Rn 30 des Urteils). Art 67 Satz 2 VO 883/2004 wird ebenso erfüllt, weil beide Renten von zuständigen Trägern in zuständigen Mitgliedstaaten geleistet werden.
Da gem Art 67 VO 883/2004 zwei Mitgliedstaaten, konkret Österreich und Polen, zur Leistung ihrer Familienleistungen verpflichtet sind, weil nach dem generellen-objektiven Recht beider Mitgliedstaaten Familienleistungen vorgesehen sind, sind beide Mitgliedstaaten nach dieser Norm zuständig. Die endgültige Zuständigkeit ist auf dieser Stufe jedoch noch ungewiss.
4.2. Keine Anwendung der Kollisionsnormen des Art 68 Abs 1 VO 883/2004, wenn nur in einem Mitgliedstaat Anspruch auf Familienleistungen besteht (Rn 31 bis 37)
Die belangte Behörde hat auch zu dieser Rechtsfrage in ihrer Stellungnahme keine Äußerung abgegeben.
In einem nächsten Schritt ist zur Vermeidung einer ungerechtfertigten Doppelgewährung eine Prüfung nach Art 68 Abs 1 VO 883/2004 vorzunehmen. Zu diesem Zweck ist der Anspruch nach den Rechtsvorschriften beider Mitgliedstaaten anhand der gegebenen Faktenlage zu prüfen.
Österreich knüpft den Anspruch auf die gegenständlichen Familienleistungen ausschließlich an Erfordernisse der Gebietsansässigkeit. Österreich ist folglich ein typischer Wohnortstaat. Der Bf hat ausschließlich aufgrund des vorrangig anzuwendenden Unionsrechts Anspruch auf die österreichischen Familienleistungen FB und KAB. Der Bf erfüllte sämtliche materiellen und formellen Voraussetzungen einschließlich der fristgerechten Stellung des Antrages in Österreich. Der Anspruch auf die österreichischen Familienleistungen besteht.
Die polnischen Rechtsvorschriften sehen ein Einkommenskriterium vor, bei dessen Überschreitung der Bezug des Kindergeldes entfällt. Diese Verdienstgrenze betrug im Jahr 2013 PLN 539,00 je Familienangehörigem bzw EUR 127,59 und wurde vom Bf allein aufgrund der in Österreich bezogenen Pension bei Weitem überschritten. Der Bf erfüllt in Polen nicht sämtliche materiellen Voraussetzungen der dortigen Rechtsvorschriften. Der Anspruch auf die polnischen Familienleistungen besteht nicht.
Somit wird der erste Halbsatz des Art 68 Abs 1 VO 883/2004 nicht erfüllt, dass für denselben Zeitraum und für dieselben Familienangehörigen Leistungen nach den Rechtsvorschriften mehrerer Mitgliedstaaten zu gewähren sind. Es erübrigt sich die Anwendung der nachfolgenden Prioritätsregeln, da die Kumulierung nicht konkret droht. Nunmehr ist die Zuständigkeit gewiss und endgültig: Österreich ist weder vorrangig noch nachrangig, sondern nach Art 67, 68 Abs 1 HS 1 VO 883/2004 allein zuständig für die Gewährung der Familienleistungen.
Entfällt in einem nach Art 67, 68 Abs 1 HS 1 VO 883/2004 zuständigen Mitgliedstaat die Verpflichtung zur Leistung der dortigen Familienleistungen, weil zB nicht sämtliche materiellen Voraussetzungen (hier: Verdienstgrenze) erfüllt werden, verbleibt der andere Mitgliedstaat als allein zuständiger Mitgliedstaat. Die Leistung einer Differenzzahlung nach Art 68 Abs 2 VO 883/2004 kommt diesfalls nicht in Betracht (, DN gegen FAÖ, Rentenfall Rn 38; aA ). Der allein zuständige Mitgliedstaat erbringt die Familienleistung nach seinen Rechtsvorschriften, womit im konkreten Fall auch die Prüfung der Kumulierung nach § 4 Abs 1 und 2 FLAG 1967 (Ausgleichszahlung) auf sich beruhen kann.
Das Unionsrecht garantiert dem Unionsbürger auch als Rentenbezieher ohne Kumulierung die Familienleistungen im höchstmöglichen Ausmaß, und sei es durch Zuzahlung (, Gebhart in BFGjournal, N 11/12 2022, S 367). Die gegenteilige Judikaturlinie des BFG verletzt demnach Unionsrecht.
Basierend auf dem 733/79, Laterza, dem , Gravina, und dem , Rossi, die auch das BFG in seinem Erkenntnis RV/7103009/2015 als zentrale Rechtsprechung des EuGH bei Rentenbezug aus zwei Mitgliedstaaten herangezogen hat, erging der Beschluss Nr 122 vom der Verwaltungskommission zur Anwendung des Artikels 77, des Artikels 78 und des Artikels 79 Absatz 3 der Verordnung (EWG) Nr 1408/71 und des Artikels 10 Absatz 1 Buchstabe b) der Verordnung (EWG) 574/72, ABl-EU vom , Nr C 295/4, mit dem die Vorgangsweise der Mitgliedstaaten bei Rentenbezug geregelt wurde.
Im vorausgegangenen Antragsverfahren lagen die Voraussetzungen für eine Kürzung der Familienbeihilfe um das polnische Kindergeld nicht vor, und zwar mangels Erfüllung der materiellen Voraussetzungen sowohl nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (bereits , Rossi; , Ragazzoni Rn 12) als auch nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs (, mHa , Grundsatz iura novit curia) nicht vor. Im Rückforderungsverfahren ist die zu Unrecht erfolgte Kürzung nicht durch das BFG sanierbar. Die Rechtswidrigkeit der Kürzung wird durch die Stellungnahme bestätigt, wo die belangte Behörde ihrer Vermutung Ausdruck verleiht, dass der Antrag der Kindesmutter vom polnischen Träger abgewiesen worden sei.
Nach Ansicht des BFG ist viel mehr davon auszugehen, dass die Kindesmutter in Polen keinen Antrag gestellt hat, weil sie nach der langjährigen Dauer der Ausübung einer Beschäftigung in Österreich durch ihren Ehemann um dessen Aussichtslosigkeit wusste. Zum Antrag bzw fehlenden Antrag im anderen Mitgliedstaaten besteht eine lang zurückreichende und beständige Judikatur des EuGH.
Was die Erfüllung der materiellen Voraussetzungen des Antrages im anderen Mitgliedstaat anbelangt, gehen EuGH und VwGH konform. Für den EuGH müssen weiters die formellen Voraussetzungen erfüllt sein, damit von einem konkreten Drohen gleichartiger Familienleistungen iSd Art 68 Abs 1 VO 883/2004 ausgegangen werden kann. Der Europäische Gerichtshof hat klargestellt, dass zu den formellen Voraussetzungen auch die tatsächliche Antragstellung im Wohnmitgliedstaat zählt (, F. A. Salzano vs Bundesanstalt für Arbeit - Kindergeldkasse, Rn 7, 8; , Ferrailoli, Rn 12; aA zu Art 76 VO 1408/71).
Auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zur Rechtsfrage, wie der fehlende, aussichtsreiche Antrag im anderen Mitgliedstaat zu beurteilen ist, wurde erstmals in jüngerer Lehre eingegangen (Gebhart in Lenneis/Wanke (Hrsg.), FLAG2, § 4 Rz 11f).
Zum fehlenden Antrag im Wohnortstaat hat der EuGH zu Recht erkannt, dass Art 76 Abs 2 VO 1408/71 dem Beschäftigungsstaat lediglich erlaubte, die Nichtstellung eines aussichtsreichen Antrages im Wohnortstaat zu Lasten des Antragstellers zu behandeln, sofern der Beschäftigungsstaat in seinen Rechtsvorschriften ausdrücklich auf diese Rechtsfolge hingewiesen hat (, Hudzinski und Wawrzyniak). Anders als Deutschland hat Österreich seine Rechtslage dem Unionsrecht nicht angepasst. Der EuGH spricht jedoch vom unionsrechtlich gebotenen "Erfordernis der Rechtssicherheit und der Transparenz" (ausführlich C-43, Fassbender-Firman Rn 35-38, 41, 43, 44, 46, 49), sodass ohne ausdrücklichen Hinweis im FLAG die Nichtstellung eines aussichtsreichen Antrages vom Träger des Beschäftigungsstaates nicht zu Lasten des Antragswerbers berücksichtigt werden darf. § 53 FLAG erfüllt keinesfalls das vom EuGH geforderte Erfordernis der Rechtssicherheit und der Transparenz.
Der Verwaltungsgerichtshof hat zu Recht erkannt, dass "§ 4 Abs 1 bis 4 FLAG 1967 jeweils auf einen ,Anspruch' auf ausländische Beihilfe ab[stellen]. Es ergibt sich auch nichts anderes aus Art 76 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71. Das Vorbringen, die zuverlässige Beurteilung eines Anspruches in einem anderen Staat sei nur möglich, wenn in jenem Staat ein Antrag tatsächlich gestellt worden sei, ist unzutreffend" (). Mit der Übertragung der zu § 4 FLAG geprägten Rechtsprechung auf das Unionsrecht hat der Verwaltungsgerichtshof die Rechtsprechung des EuGH zum fehlenden Antrag im Wohnortstaat nicht beachtet.
Bemerkt wird, dass die Verwaltungskommission mit Beschluss Nr 147 vom zur Durchführung der Artikels 76 der Verordnung (EWG) Nr 1408/71 (91/425/EWG), ABl-EU , L 235/21, die Vorgangsweise der Mitgliedstaaten iZm der Differenzzahlung regelte. Demgemäß war eine jährliche Zahlung der Differenzzahlung vorgesehen. Auf diesen Beschluss, der noch in Kraft ist, wird in den EU-Formularen E411 nach wie vor Bezug genommen.
4.3. Rückforderung nach § 26 Abs 1 FLAG 1967
4.3.1. Stellungnahme der belangten Behörde vom
Darin ist die belangte Behörde auf die Ausführungen des EuGH nicht eingegangen, sondern vertritt die Ansicht, dass der von der Kindesmutter in Polen gestellte Antrag nach Österreich geholt werden müsse, damit der vom österreichischen FLAG für die Kindesmutter eingeräumte Alleinanspruch durchgesetzt werde.
Diesem Vorschlag der belangten Behörde steht zunächst entgegen, dass das zu Grunde liegende Verwaltungsverfahren ein Rückforderungsverfahren ist, und kein Antragsverfahren ist. Die gegenüber dem Bf erfolgte stattgebende Antragserledigung durch Rückforderung allein aus dem Grund zu beseitigen, um für die Kindesmutter den ihr nach innerstaatlichem Recht vorgesehenen ausschließlichen Anspruch durchzusetzen, hat der EuGH nach Ansicht des BFG klar und unmissverständlich als unzulässig beurteilt. Diese Variante stünde laut EuGH nur dann offen, wenn die belangte Behörde den Bf nicht bewusst und gewollt als "anderen Elternteil" am Stelle der anspruchsberechtigten Kindesmutter ausgewählt und anerkannt hätte oder in eventu der Bf nicht durch Weiterleitung der Familienbeihilfe bzw überwiegender (hauptsächlicher) Leistung des gesetzlichen Geldunterhaltes gerechtfertigt wäre, dessen Prüfung der EuGH dem BFG aufgetragen hat.
Aus der Bestätigung der Stadt ***1*** ergibt sich, dass weder der Bf noch seine geschiedene Ehefrau vom polnischen Träger Kindergeld bezogen haben. Demnach wurde entweder der von der Kindesmutter gestellte Antrag in Polen abgewiesen und damit erledigt, wovon auch die belangte Behörde in ihrer Stellungnahme ausgeht, oder der Antrag wurde gar nicht erst gestellt, wie zuvor ausgeführt wurde. Da die belangte Behörde das Formular E411 nicht beschafft nicht, wozu sie von Amts wegen verpflichtet war, kommt dieser Bestätigung Beweiskraft zu (aA ). Weder ein abweislich erledigter Antrag noch ein nichtgestellter Antrag könnten von der belangten Behörde wie vorgeschlagen "aktiv" von Polen beschafft werden, um in Österreich zu Gunsten der Kindesmutter erledigt zu werden. Der Grundsatz der entschiedenen Sache (res iudicata) zählt zu den allgemeinen Rechtsgrundsätzen der gemeinsamen Rechtstradition der Mitgliedstaaten und ist auch im Unionsecht beachtlich.
Weiters ist zu der vorgeschlagenen Falllösung zu sagen, dass sich aus dem Verwaltungsakt kein Hinweis ergibt, dass die Kindesmutter in Polen tatsächlich einen Antrag auf das dortige Kindergeld gestellt hat. Klarheit zu diesem Punkt hätte nur die Bescheinigung des Trägers des Wohnortstaates verschafft, denn in Punkt 7 des Formulars E411 ist gegebenenfalls anzugeben, dass "die in Feld 2 genannte Person keinen Antrag gestellt hat" (). Das Formular E411 ist im Antragsverfahren vom Träger des vorrangig zuständigen Mitgliedstaates von Amts wegen anzufordern, was die belangte Behörde zu beschaffen verabsäumt hat. Darüber hinaus ist bei lebensnaher Interpretation der Sachlage davon auszugehen, dass die Kindesmutter aufgrund der seit langem ausgeübten Beschäftigung des (ehemaligen) Ehemannes in Österreich und der Höhe seiner Einkünfte um die Aussichtslosigkeit eines solchen Antrages gewusst und deshalb einen solchen nicht gestellt hat. Die unterlassene Stellung eines aussichtslosen Antrages darf auch nach der Rechtsprechung des VwGH nicht Lasten des Antragstellers gehen (s nochmals zuvor zitierte VwGH- und EuGH-Judikatur, aA nochmals UFS RV/2630-W/09).
Mit den weiteren rechtlichen Einwänden wird die Unionsrechtslage von der belangten Behörde verkannt. Art 68 Abs 3 lit a und b VO 883/2004 bilden eine Einheit und sind gemeinsam in dem Fall anzuwenden, der einleitend in Art 68 Abs 3 beschrieben wird. Die Trennung in lit a und lit b in Art 68 Abs 3 VO 883/2004 erfolgt nur aus dem Grund, dass lit a die Vorgangsweise für den zuständigen Träger des Mitgliedstaats, dessen Rechtsvorschriften nachrangig gelten, und lit b die Vorgangsweise für den zuständigen Träger des Mitgliedstaats, dessen Rechtsvorschriften vorrangig gelten, beschreibt. Leg.cit. ist im konkreten Fall nicht anwendbar, denn im konkreten Fall war Österreich allein zuständig, wozu zur Vermeidung von Wiederholungen auf obige Ausführungen (Punkt 4.2.) verwiesen wird.
Art 81 VO 883/2004 ist ebenfalls nicht einschlägig, denn diese Norm regelt den Fall, dass in einem Mitgliedstaat (hier: Polen) bei einem bestimmten Träger ein an den Träger eines anderen Mitgliedstaates (hier: Österreich) gerichteter Antrag eingebracht wurde, damit der Antrag an den Träger des zweitgenannten Mitgliedstaates fristwahrend weitergeleitet werde. Den Nachweis eines solchen Antrages, der an den österreichischen Träger gerichtet wurde und der überdies noch unerledigt sein müsste, blieb die belangte Behörde schuldig.
Nach all dem ist ein Antrag in Polen unerheblich.
Dass "bis dato nach Kenntnis [der belangten Behörde] keine Anwendungsfälle des Art 60 Abs 1 Satz 3 der DVO vor[gelegen seien]", kann angesichts der unter Punkt 4.3.2 und 4.3.4 dargestellten Rechtsprechung des VwGH nicht nachvollzogen werden. Im Parallelfall , trug jene Amtsvertreterin vor, dass angesichts der jüngeren Judikatur des VwGH im Antragsverfahren des anderen Elternteils ohne Verzichtserklärung des haushaltsführenden Elternteils dieser zur Einreichung eines Antragsformulars aufgefordert werde, sodass der vom anderen Elternteil eingereichte Antrag berücksichtigt werde, jedoch der von der Kindesmutter nachgereichte Antrag materiell erledigt werde. An die Kindesmutter ergingen sodann Mitteilung und Geldanweisung. Daraus ist abzuleiten, dass es sehr wohl Anwendungsfälle des Art 60 Abs 1 Satz 3 VO 987/2009 gab und gibt.
4.3.2. Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs zur Rückforderung von Familienbeihilfe nach § 26 FLAG 1967 im Inlandsfall
Es besteht zur Rückforderung von zu Unrecht bezogener Familienbeihilfe gemäß §26 Abs 1 FLAG 1967 eine beständige und gesicherte sowie rigorose Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes. Laut ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes "[normiert d]ie Rückzahlungspflicht … eine objektive Erstattungspflicht desjenigen, der die Familienbeihilfe zu Unrecht bezogen hat. Die Verpflichtung zur Rückerstattung unrechtmäßiger Beihilfenbezüge ist von subjektiven Momenten unabhängig. Entscheidend ist somit lediglich, ob der Empfänger die Beträge zu Unrecht erhalten hat. Ob und gegebenenfalls, wie der Bezieher die erhaltenen Beträge verwendet hat, ist unerheblich" (stellvertretend für viele 904/62; VwGH 160.2.1988, 85/14/0130; jeweils mwN). Der von der rechtsfreundlichen Vertretung angesprochene Vertrauensschutz der Weiterleitung der Familienbeihilfe hat bislang keine Ausnahme in der Rechtsprechung des VwGH bewirkt, Rechtfertigungsgründe hat der Verwaltungsgerichtshof bislang nicht anerkannt (zB )
Die Rückforderung von Familienbeihilfe bei dem einen Elternteil, bloß damit sie dem anderen, berechtigten Elternteil gewährt werden könne, wäre im Inlandsfall somit durch die Rechtsprechung des VwGH gedeckt.
In unionsrechtlichen Rückforderungsfällen wurde dem Verwaltungsgerichtshof noch nicht die Frage vorgetragen, ob Rechtfertigungsgründe, wie sie der EuGH im Urteil Rs C-199/21 ausgesprochen hat, gegen eine Rückforderung sprechen könnten.
Zum Unionsrecht hat der Verwaltungsgerichtshof zur VorgängerVO 1408/71 in ständiger Rechtsprechung den anderen, geschiedenen Elternteil, der in Österreich einer Erwerbstätigkeit nachging, ausschließlich unter der Voraussetzung als anspruchsberechtigte Person anerkannt, dass dieser die Geldunterhaltslasten überwiegend iSd § 2 Abs 2 FLAG 1967 getragen hat (; , , ). Die zitierten Entscheidungen betragen Antragserledigungen.
"Zu[r] vergleichbaren Konstellationen hat der Verwaltungsgerichtshof im Anwendungsbereich der VO 883/2004 einen Anspruch des in einem anderen Mitgliedstaat im gemeinsamen Haushalt mit dem Kind wohnenden Elternteils dann verneint, wenn der in Österreich eine Beschäftigung oder selbständige Erwerbstätigkeit ausübende Elternteil, zu dessen Haushalt das Kind nicht gehört, die Unterhaltskosten für das Kind überwiegend trägt" (, , , ).
Bei Inlandssachverhalten geht im Scheidungsfall das Recht derjenigen Person, zu deren Haushalt das Kind gehört, absolut vor und ist auch nicht durch eine Verzichtserklärung abänderbar. Bei Haushaltszugehörigkeit des Kindes zu einer Person iSd § 2 Abs 3 FLAG 1967 im Fall getrenntlebender Eltern verschafft die überwiegende Tragung der Unterhaltslasten nach § 2 Abs 2 FLAG 1967 der Person, zu deren Haushalt das Kind nicht gehört, unter keinen Umständen einen Anspruch auf die Familienleistungen FB und KAB. Diesfalls hat die Haushaltszugehörigkeit absoluten Vorrang vor der überwiegenden Tragung der Unterhaltslasten.
Die zuvor zitierte Rechtsprechung des VwGH zu unionsrechtlichen Sachverhalten ist demnach konträr zur Rechtsprechung des VwGH zu gleichgelagerten Inlandssachverhalten. Methodisch dürfte der Verwaltungsgerichtshof nach der Rechtsauffassung des BFG eine Lücke im Unionsrecht durch richtlinienkonforme Auslegung des nationalen Rechts geschlossen haben, was eine contra-legem-Interpretation des nationalen Rechts zur Folge hatte bzw hat. Nach Ansicht des BFG konfligiert diese Rechtsprechung mit dem Gebot der Inländergleichbehandlung gemäß Art 4 und 5 VO 883/2004 bzw Art 3 VO 1408/71.
Soweit das BFG feststellen konnte, hatte der VwGH im Antragsverfahren den anderen Elternteil als anspruchsberechtigte Person nur unter der Voraussetzung dessen überwiegender Tragung der Unterhaltslasten anerkannt. Mit dem Vorabentscheidungsersuchen wollte das BFG auch in Erfahrung bringen, ob der Bf als anderer Eltern nach Ansicht des EuGH darüber hinaus im Antragsverfahren nur aufgrund seiner persönlichen Eigenschaft als anderer Elternteil als anspruchsberechtigte Person angesehen und ihm die Familienbeihilfe ausgezahlt werden durfte. Auch wenn der EuGH dem Gegenstand des angefochtenen Bescheides entsprechend die Fragen vier und fünf so umformuliert hat, dass die Frage nunmehr dahin geht, ob die Auslegung der Rückforderungsnorm mit dem Unionsrecht in Einklang steht, hat der EuGH nach der Ansicht des BFG auch Aussagen zum Antragsverfahren getroffen.
4.3.3. Die Kindesmutter als in der Ausgangssituation nach dem FLAG grundsätzlich allein anspruchsberechtigte Person (Rn 49, 50 des Urteils)
Im Beschwerdefall hat das BFG nach der Verzichtserklärung gefragt, um in Erfahrung zu bringen, ob die belangte Behörde während aufrechter Ehe den gesetzlich vorgesehenen Vorrang der Kindesmutter beachtet hatte, was aber nicht der Fall war. Ausgehend vom Beitrittszeitpunkt Polens im Mai 2004 bis zur Ausstellung der Mitteilung am ist das ein Zeitraum von neun Jahren, in dem die belangte Behörde den vorrangigen bzw ab 2011 alleinigen Rechtsanspruch der Kindesmutter nicht berücksichtigt hat. Da der Bf bereits vor dem Betritt in Österreich nichtselbständig beschäftigt war, fiel er nicht unter die vorübergehende Beschränkung der Arbeitnehmerfreizügigkeit.
Hinzuweisen ist darauf, dass der Bf den Umstand der Scheidung im Antragsformular ordnungsgemäß offengelegt hat, und dieser nicht nachträglich hervorgekommen ist. Die Scheidung wurde seitens der belangten Behörden erst im Beschwerdeverfahren und erst sechs Jahre nach Erlassung der Mitteilung als Eventualgrund für die Rückforderung genannt.
Nach hg Auffassung hat der Gerichtshof der Europäischen Union mit seinem , Grundsätze ausgesprochen, wie die in Art 60 Abs 1 Satz 3 DVO 987/2004 genannten Personen und die in § 2 Abs 3 FLAG 1967 genannten Personen im Einzelfall unter Beachtung der mitgliedstaatlichen Zielsetzungen und jener der Union zu berücksichtigen sind. In der Ausgangssituation geht es ausschließlich um den nach dem FLAG berechtigten Elternteil (konkret die Kindesmutter) und dem Bf als anderen Elternteil.
Die Beihilfenbehörde ist nach Art 60 Abs 1 Satz 3 VO 987/2009 keinesfalls verpflichtet, den haushaltsführenden Elternteil oder den Elternteil, in dessen Haushalt das Kind lebt, was in der Regel die Kindesmutter ist, zu übergehen und jedenfalls den anderen Elternteil anstelle der anspruchsberechtigten Person zu wählen, auch wenn dieser überwiegend den Geldunterhalt leistet (aA ; , , zur VO 1408/71 sowie , , , , zur VO 883/2004).
Den nach dem FLAG vorrangigen Anspruch des haushaltsführenden Elternteils oder im Fall der Scheidung den alleinigen Anspruch des Elternteiles, in dessen Haushalt das Kind lebt, kann die Beihilfenbehörde nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs nur im Antragsverfahren des anderen Elternteils durchsetzen. Voraussetzung ist die Durchführung eines mängelfreien Verfahrens, das die Abweisung des Antrages trägt. Von dieser Befugnis hat die belangte Behörde im Antragsverfahren des Bf, worauf der EuGH hinweist, keinen Gebrauch gemacht, weshalb die gegenüber dem Bf erfolgte Antragserledigung mit Art 60 Abs 1 Satz 3 VO 987/2009 in Einklang steht. (, Finanzamt Österreich, Rn 49, 50).
Bereits aus diesem Grund wurde die Rückforderung zu Unrecht ausgesprochen. Nach Auffassung des BFG ist das Urteil EuGH C-199/21 dahin zu verstehen, dass diesfalls weder die überwiegende Tragung der Unterhaltskosten noch die Weiterleitung der Familienbeihilfe durch den anderen Elternteil gegeben sein müssen.
Die von der belangten Behörde in der Stellungnahme genannten Gründe, weshalb der Alleinanspruch der Kindesmutter im Rückforderungsverfahren durchgesetzt werden müsse, konnte sie demnach nur bei Erledigung des vom Bf gestellten Antrages verfolgen.
Die belangte Behörde ist befugt, den im Wohnmitgliedstaat der Familie verbliebenen Elternteil auch dann als anspruchsberechtigte Person aufgrund eines vom anderen Elternteil gestellten Antrages auf Familienbeihilfe heranzuziehen, wenn der in Österreich beschäftigte oder von Österreich eine Rente beziehende andere Elternteil überwiegend die Unterhaltskosten für das Kind trägt (, Finanzamt Österreich, Rn 49, 50), was nach der Rechtsprechung des VwGH nicht zulässig zu sein scheint (, , , , zur VO 883/2004).
4.3.4. Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs zu Art 60 Abs Satz 3 VO 987/2009
Mit Erkenntnis , hat der Verwaltungsgerichtshof zu Recht erkannt:
"Zum Familienbeihilfenanspruch eines in Österreich Beschäftigten oder selbständig Erwerbstätigen, dessen Kind in einem anderen Mitgliedstaat wohnt und zu dessen Haushalt es nicht gehört, hat der VwGH bereits zur Vorgängerregelung der VO 883/2004 darauf abgestellt, ob der in Österreich lebende Elternteil die Unterhaltskosten für das in einem anderen Mitgliedstaat wohnende Kind überwiegend trägt (vgl. etwa 2009/13/0240; 2009/13/0241; 2009/13/0243; 2004/15/0049, VwSlg 8225 F/2007). Zu vergleichbaren Konstellationen hat der VwGH im Anwendungsbereich der VO 883/2004 einen Anspruch des in einem anderen Mitgliedstaat im gemeinsamen Haushalt mit dem Kind wohnenden Elternteils dann verneint, wenn der in Österreich eine Beschäftigung oder selbständige Erwerbstätigkeit ausübende Elternteil, zu dessen Haushalt das Kind nicht gehört, die Unterhaltskosten für das Kind überwiegend trägt (vgl. Ro 2014/16/0067; 2012/16/0135). Der VwGH hat weiters ausgesprochen, dass seine Rechtsprechung auch nicht durch die Rechtsprechung des EuGH ( C-378/14, Tomislaw Trapkowski) überholt ist (vgl. Ra 2019/16/0133).
Nationales Recht, das in einer konkreten Konstellation im Widerspruch zu unmittelbar anwendbarem Unionsrecht steht, wird für diese Konstellation verdrängt. Nationales Rechtbleibt insoweit unangewendet, als ein Verstoß gegen unmittelbar anwendbares Unionsrecht gegeben ist. Die Verdrängungswirkung des Unionsrechts hat zur Folge, dass die nationale gesetzliche Regelung in jener Gestalt anwendbar bleibt, in der sie nicht mehr im Widerspruch zum Unionsrecht steht. Die Verdrängung erreicht dabei bloß jenes Ausmaß, das gerade noch hinreicht, um einen unionsrechtskonformen Zustand herbeizuführen (vgl. 2010/15/0065, VwSlg 8795 F/2013; und , VwSlg 8332 F/2008).
Lässt das Unionsrecht für eine bestimmte Konstellation mehrere Lösungen zu, ist es Aufgabe des Gesetzgebers, innerhalb des vom Unionsrecht vorgegebenen Rahmens eine nationale Regelung zu normieren. Solange der Gesetzgeber diese Entscheidung nicht getroffen hat, und soweit dem Unionsrecht unmittelbare Anwendbarkeit zukommt, muss der Rechtsanwendereine "bereinigte Rechtslage" zur Anwendung bringen. Bestehen mehrere gleichwertige unionsrechtskonforme Lösungen, hat der Rechtsanwender nicht ein freies Wahlrecht, sondern hat jene Lösung zur Anwendung zu bringen, mit welcher materiell am wenigsten in das nationale Recht eingegriffen wird. Soweit als möglich ist die normative Anordnung des nationalen Gesetzgebers aufrechtzuerhalten (vgl. 2010/15/0065, VwSlg 8795 F/2013; und 2011/15/0070, VwSlg 8674 F/2011, mwN).
Die VO 987/2009 und die VO 883/2004 bestimmen nicht, welche Personen Anspruch auf Familienleistungen haben, auch wenn sie die Regeln festlegen, nach denen diese Personen bestimmt werden können. Welche Personen Anspruch auf Familienleistungen haben, bestimmt sich nämlich, wie aus Art. 67 der VO 883/2004 klar hervorgeht, nach dem nationalen Recht (, Tomislaw Trapkowski, Rn 43 und 44).
Gemäß § 2 Abs. 2 zweiter Satz FLAG besteht der Anspruch auf Familienbeihilfe des Elternteils, welcher im Bundesgebiet wohnt und die Unterhaltskosten des Kindes überwiegend trägt, wenn der andere Elternteil, zu dessen Haushalt das Kind gehört, im Bundesgebiet weder Wohnsitz noch gewöhnlichen Aufenthalt hat und somit die Voraussetzung des § 2 Abs. 1 FLAG nicht erfüllt. Insoweit bedarf es einer Verdrängung der nationalen Bestimmung des Wohnsitzerfordernisses in § 2 Abs. 1 FLAG durch Art. 60 Abs. 1 zweiter Satz der VO 987/2009 nicht, um den Anspruch für das Kind zu begründen. Erst wenn der in Österreich wohnhafteElternteil die Unterhaltskosten für das Kind nicht überwiegend trägt und deshalb aus § 2 Abs. 2 zweiter Satz FLAG keinen Anspruch ableiten kann, und auch sonst nach nationalem Recht keine andere Person in Betracht käme, greift die Verdrängung des Wohnsitzerfordernisses in § 2 Abs. 1 FLAG für einen in § 2 Abs. 2 erster Satz FLAG genannten Anspruchsberechtigten."
Aus dem Erkenntnis , ergibt sich darüber hinaus:
"Aus der VO 987/2009 ergeben sich keine verfahrensrechtlichen Vorgaben, wie der zuständige Träger bei der Berücksichtigung eines Antrages gemäß Art. 60 Abs. 1 Satz 3 der VO 987/2009 vorzugehen hat.
In so einem Fall hat das Finanzamt als zuständiger Träger den Antrag auf Familienleistungen der anderen Person (anderer Elternteil, einer als Elternteil behandelten Person oder Person oder Institution, die als Vormund des Kindes handelt) als Antrag der anspruchsberechtigten, den Anspruch nicht wahrnehmenden Person zu prüfen und die für die Berücksichtigung des Antrages erforderlichen Ermittlungen nach nationalem Verfahrensrecht anzustellen. Diese Verpflichtung des zuständigen Trägers ergibt sich dabei unmittelbar aus Art. 60 Abs. 1 Satz 3 VO 987/2009. Das Finanzamt als zuständiger Träger hat den Antrag auf Familienleistungen einer Person in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen als Antrag einer anderen Person zu berücksichtigen, wenn sich Hinweise darauf ergeben, dass die Person, die berechtigt ist, Anspruch auf Leistungen zu erheben, dieses Recht nicht wahrnimmt. Da die Verpflichtung des Finanzamtes bereits unmittelbar auf Grund des Unionsrechts in Verbindung mit dem Erledigungsanspruch nach dem FamLAG 1967 auf Grund eines Antrages besteht, steht der Person, die berechtigt ist, Anspruch auf Leistungen zu erheben, und dieses Recht nicht wahrnimmt, ein Verfahren nach nationalem Recht zur Verfügung. Kommt das Finanzamt in diesem Fall - erforderlichenfalls nach Durchführung weiterer Ermittlungen - zum Ergebnis, dass die Voraussetzungen für die Auszahlung der Familienleistung vorliegen, ist die Leistung gemäß § 11 Abs. 1 FamLAG 1967 auszuzahlen. Soweit dem als Antrag einer Person, die berechtigt ist, Anspruch auf die Leistung zu erheben und dieses Recht nicht wahrnimmt, mangels Erfüllung der gesetzlichen Voraussetzungen für die Auszahlung der Familienbeihilfe nicht oder nicht vollständig stattzugeben ist, ist gemäß § 13 FamLAG 1967 ein Bescheid zu erlassen.
Erweist sich der Antrag der Person, die berechtigt ist, Anspruch auf die Leistung zu erheben, und dieses Recht nicht wahrnimmt, nach den Bestimmungen des FamLAG 1967 als berechtigt, wird Familienbeihilfe gemäß § 10 Abs. 3 FamLAG 1967 höchstens für fünf Jahre rückwirkend vom Beginn des Monats der Antragstellung gewährt. Als maßgeblicher Zeitpunkt gilt dabei der Zeitpunkt der Antragstellung durch die andere Person (anderer Elternteil, einer als Elternteil behandelten Person oder Person oder Institution, die als Vormund des Kindes handelt)."
4.3.5. der andere Elternteil (Rn 45, 46, 50 des Urteils)
Die günstigen sozialen Folgen der Ausübung der Arbeitnehmerfreizügigkeit soll nicht an Formalien, wie der Antragstellung durch die Person, die nach den Rechtsvorschriften des vorrangig zuständigen Mitgliedstaates dazu nicht berechtigt ist, scheitern. Die Vermeidung einer Abweisung eines Antrages auf Familienleistungen aus rein formalen Gründen, weil Antragsteller nicht die Person ist, der nach den mitgliedstaatlichen Rechtsvorschriften dieses Recht zukommt, ist Normzweck des Art 60 Abs 1 Satz 3 DVO 987/2009.
Art 60 Abs 1 Satz 3 DVO 987/2009 nennt neben den nach den mitgliedstaatlichen Rechtsvorschriften anspruchsberechtigte Personen als zur Antragstellung berechtigt ausdrücklich ua "den anderen Elternteil". Mit Erkenntnis , erkannte das BFG zu Recht, dass Art 60 Abs 1 Satz 3 DVO 987/2009 den Kreis der nach den mitgliedstaatlichen Rechtsvorschriften anspruchsberechtigten Personen erweitert, also zu den in § 2 Abs 3 FLAG 1967 genannten Personen hinzutritt.
Eine Einschränkung des anderen Elternteils, diesen ausschließlich unter der Voraussetzung als anspruchsberechtigte Person zu berücksichtigen, dass er überwiegend (hauptsächlich) nach § 2 Abs 2 FLAG 1967 die Unterhaltslasten trägt, worauf es dem Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung anzukommen scheint, ergibt sich nach Ansicht des BFG aus dem , nicht.
Mit der vierten Frage seines Vorabentscheidungsersuchens wollte das BFG erfahren, ob dem in Art 60 Abs 1 Satz 3 DVO 987/2009 angeführten "anderen Elternteil" allein aufgrund seiner persönlichen Eigenschaft als anderer Elternteil die Parteistellung im Beihilfenverfahren zukommt oder ob iZm der Antragstellung weiters erforderlich ist, dass er überwiegend den Unterhalt trägt. Partei ist nach sämtlichen zivilrechtlichen und öffentlich-rechtlichen Prozessordnungen die Person, die - im hier fraglichen Kontext - das Recht auf Antragstellung, auf abschließende Sachentscheidung (Mitteilung) und auf deren Vollziehung (Auszahlung der Beihilfe) hat. Die belangte Behörde hat den Bf im Antragsverfahren als Partei in diesem Rechtssinn anerkannt und ihm die Familienbeihilfe ausbezahlt.
Der EuGH hat dem BFG zu prüfen aufgetragen, ob "der [vom Bf] gestellte Antrag auf Familienleistungen im vorliegenden Fall offensichtlich gemäß Art. 60 Abs. 1 Satz 3 der Verordnung Nr. 987/2009 von der Finanzverwaltung berücksichtigt [wurde], die dem Antrag zunächst stattgegeben hat". War das der Fall, so verstieße die Rückforderung gegen Art 60 Abs 1 Satz 3 VO 987/2009 (EuGH Rs C-199/21 Rn 45 und 46).
Nach Ansicht des BFG geht es dabei um die Beantwortung der Frage, ob sich die belangte Behörde im Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag bewusst war, dass der Bf der andere Elternteil des im Spruch bezeichneten Kindes ist, der nach dem FLAG nicht anspruchsberechtigt ist und nicht antragsberechtigt ist, sie den Bf aber willentlich als anderen Elternteil iSd Art 60 Abs 1 Satz 3 VO 987/2009 als antragslegitimiert, anspruchs- und empfangsberechtigt berücksichtigt hat.
Die belangte Behörde hat dazu angegeben, dass sie aus dem elektronisch geführten Verwaltungsakt nicht nachvollziehen könne, weshalb der Bf als Verfahrenspartei anerkannt worden ist. Weiters hat sie mitgeteilt, dass die zuständige Behörde iSd Art 1 lit m VO 883/2004 keine - rechtlich unverbindliche - Richtlinie (Erlass, Dienstanweisung) oder - rechtlich verbindliche- Verordnung zur Auslegung von Art 60 Abs 1 VO 883/2004 erlassen hat.
Zunächst ist zu berücksichtigen, dass der Bf im Antrag seine Angaben zur Tochter, zur Scheidung und zur Kindesmutter wahrheitsgemäß offengelegt hat. Der Antrag lag der belangten Behörde vor. Zusätzlich führte die belangte Behörde einen elektronischen Akt, in dem vermerkt ist: "***8*** ist Kind von AST [Antragsteller]". Es folgt der Name des Bf. In den elektronischen musste sie Einsicht nehmen, weil die Mitteilung elektronisch erging.
Der von einigen Richtern des BFG herausgegebene Kommentar zum FLAG erschien erstmals am . Darin wurde ausgeführt, dass "es ohne Bedeutung [ist], welcher Elternteil den entsprechenden Antrag stellt" (vgl. Csaszar in Csaszar/Lenneis/Wanke, Kommentar zum FLAG1, Rz 208 zu Art 60 Abs 1 VO 987/2009 bei § 53 FLAG mwN). Der FLAG-Kommentar lag im Zeitpunkt der Stattgabe des Antrages bereits vor. Eine Trennung der Parteienrechte in Einreichung des Antrages und Auszahlung/Empfang der Familienbeihilfe wurde damals seitens der belangten Behörde noch nicht vorgenommen.
Der Vorlagebericht wurde von ***7*** erstellt, die im vorlegenden Finanzamt damals im Fachbereich Familienbeihilfe und darüber hinaus im bundesweiten Fachbereich tätig war und die die Entscheidungspraxis in diesem Finanzamt geprägt hat. Sie führte im Vorlagebericht jene Gründe, weshalb "ursprünglich antragsgemäß eine Ausgleichszahlung für den Zeitraum Jänner bis August 2013, dem Ausbildungsende der Tochter, gewährt [wurde]", wie folgt an: "Der Beschwerdeführer (Bf), polnischer Staatsbürger, ist laut Aktenlage seit 2011 von der in Polen mit der Tochter lebenden Kindesmutter geschieden."
Daraus ergibt sich nach der Überzeugung des BFG zweifelsfrei, dass die belangte Behörde die Eigenschaft des Bf als "anderen Elternteil" iSd Art 60 Abs 1 Satz 3 VO 883/2004 bewusst wahrgenommen hat und diesen Umstand in ihre Willensbildung aufgenommen hat, weshalb die spätere Rückforderung gegen leg.cit. verstößt. Das korrespondiert mit den Ausführungen des EuGH zur übergangenen Kindesmutter ( Rn 45, 46, 50).
Nach der Rechtsprechung des EuGH kommt es bei der Auswahl des anderen Elternteils in dessen Antragsverfahren auf die überwiegende Tragung der Unterhaltskosten für das Kind nicht an. Damit ist jedoch nicht gesagt, dass die Beihilfenbehörde solches nicht prüfen kann, denn ihre Befugnis dazu besteht. Die Auswahl des anderen Elternteils iSd Art 60 Abs 1 Satz 3 VO 883/2004 ist aber auch dann legitim, wenn die Beihilfebehörde den vorrangigen oder alleinigen Anspruch der Kindesmutter/des haushaltsführenden Elternteils nicht gewahrt hat und den anderen Elternteil bewusst ausgewählt hat und das auch wollte (, Rn 45, 46, 50).
Es darf dem Arbeitnehmer aus einem anderen Mitgliedstaat nicht zum Nachteil gereichen, dass der österreichische Gesetzgeber oder zumindest die österreichische Behörde in ihren Dienstanweisungen keine klaren Regeln zu Art 60 Abs 1 VO 987/2009 vorsieht. Zu Recht weist der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung - bislang vergebens - auf diese Pflichten des Gesetzgebers hin (, jeweils mwN). Auch wenn eine Unionsverordnung nicht wie eine Richtlinie in mitgliedstaatliches Recht umzusetzen ist, ist das mitgliedstaatliche Recht an das Unionsrecht anzupassen, wozu auf die oben erwähnte EuGH-Rechtsprechung zum unionsrechtlich gebotenen "Erfordernis der Rechtssicherheit und der Transparenz" verwiesen wird ( C-43, Fassbender-Firman). Gerade zu einer Norm wie Art 60 Abs 1 VO 987/2009, die so viel Deutungsmöglichkeiten zulässt, sind klare Anordnungen zu treffen, zumal das Unionsrecht, anders als das österreichische FLAG, zur Geltendmachung von Ansprüchen nicht zwischen verheirateten und geschiedenen Elternteilen unterscheidet. Ziel des Unionsrechts ist der Ausgleich für das Tragen von Kinderlasten, was nach der Scheidung vermehrt den zum Geldunterhalt verpflichteten Elternteil trifft.
4.3.6. Erkenntnis ua
Mit Erkenntnis ua, hat der Verfassungsgerichtshof die Wortfolge "oder die Auszahlung von Leistungen irrtümlich erfolgte," in § 31 Abs 2 KinderbetreuungsgeldG (KBGG) idF BGBl I 100/2018 aufgehoben. Das Kinderbetreuungsgeld ist so wie die Familienbeihilfe und der Kinderabsetzbetrag eine Familienleistung iSd Art 1 lit z VO 883/2004. Unter den betroffenen Fällen waren auch solche von Fremden.
Die aufgehobene Wortfolge wurde nach den Gesetzesmaterialien wie folgt gerechtfertigt: "Einige Eltern würden [...] durch Behördenfehler besser gestellt sein als andere Eltern, dies soll nun dezidiert verhindert werden. Wenn deshalb etwa dem Krankenversicherungsträger bei der Gewährung von Leistungen nach diesem Gesetz alle für die Gewährung maßgebenden Umstände bekannt waren, er aber irrtümlich - etwa aufgrund einer unrichtigen Rechtsansicht oder einer unrichtigen Berechnung etc - das Kinderbetreuungsgeld auszahlt, sind die zu Unrecht bezogenen Leistungen von den Eltern zurückzufordern und zu zahlen. Die Bundesregierung [brachte] ergänzend vor, der Rückforderungstatbestand sei aus verwaltungsökonomischen Gründen notwendig, weil der Krankenversicherungsträger zum Zeitpunkt der Antragstellung nicht jede Anspruchsvoraussetzung im Detail prüfen könne."
Die Gesetzesmaterialien zur aufgehobenen Wortfolge des § 31 Abs 2 KBGG korrespondieren mit der strengen Rechtsprechung, die der Verwaltungsgerichtshof zur Rückforderung nach § 26 Abs 1 FLAG 1967 in ständiger Rechtsprechung praktiziert. Entscheidungsrelevant für die Aufhebung war, dass der Rechtsirrtum, der der Behörde bei Antragserledigung unterlaufen war, aus der Mitteilung, die im Fall einer Antragsstattgabe auszustellen ist, für den Leistungswerber nicht erkennbar war.
Da der belangten Behörde bei der Stattgabe des vom Bf gestellten Antrages kein Irrtum unterlaufen ist, wie unter Punkt 4.3.5. ausgeführt wurde, ist das zitierte VfGH-Erkenntnis auf den vorliegenden Fall nicht anwendbar.
4.3.7. in eventu Rechtfertigung wegen Weiterleitung der Familienbeihilfe (Rn 56, 57)
Die Weiterleitung der Familienbeihilfe an die nach dem FLAG berechtigte Person ist im Geltungsbereich der unionsrechtlichen sozialen Koordinierung ein tauglicher Rechtfertigungsgrund im gegen den Beihilfenempfänger, der die Unterhaltslast für das Kind überwiegend trägt, eingeleiteten Rückforderungsverfahren, sofern die übrigen Voraussetzungen (zB Studienerfolg des Kindes) erfüllt sind. Diesfalls haben die Familienleistungen ihr unionsrechtliches Ziel des Ausgleichs von Kinderlasten tatsächlich erreicht, sodass ihre Rückforderung dem Zweck von Art 60 Abs 1 Satz 3 VO 987/2009 zuwiderliefe" (, Rn 56, 57).
Gemäß der unter Punkt 4.3.2. dargestellten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs ist die Weiterleitung der Familienbeihilfe in Österreich anders als in Deutschland nicht als Rechtfertigungsgrund anerkannt. Mit Urteil BFH , III R 82/08 BStBl 2012 II S 734, erkannte der deutsche Bundesfinanzgerichtshof zu Recht, dass "[d]er Einwand, das Kindergeld sei auf ein allein der Verfügungsmacht des Berechtigten unterliegendes Konto überwiesen worden, unbeachtlich [ist], solange der Berechtigte nicht nach der in der Verwaltungsanweisung dafür vorgesehenen Form bestätigt, seinen Anspruch auf Auszahlung von Kindergeld als erfüllt anzusehen (vgl. Abschn. 64.4 Abs. 3 DA-FamEStG; früher Abschn. 64.4 Abs. 4 bis 8 DA-FamEStG 2002/2004)."
Unterhaltsansprüche eines Kindes und Unterhaltslasten für Kinder fallen monatlich an. Der Kalendermonat ist der Zeitraum, für den Zivilgerichte den Geldunterhalt festsetzen und für den einem Inländer die Familienbeihilfe, abgesehen vom Fall einer rückwirkenden Antragstellung oder einer Antragstellung nach § 4 Abs 4 FLAG, gewährt und ausgezahlt wird. Der Kalendermonat ist der grundsätzliche Abgabenerhebungszeitraum der Familienbeihilfe.
Im Beschwerdefall wurde die Familienbeihilfe als Ausgleichszahlung gemäß § 4 Abs 4 FLAG gewährt, die von der monatlichen Auszahlung abweichend je Kalenderjahr zu beantragen ist, was der Bf auch gemacht hat. Der Bf stellte den Antrag für das Kalenderjahr 2013 im August 2013 und die belangte Behörde gab diesem mit Mitteilung vom Dezember 2013 statt.
Der Begriff "Weiterleitung" setzt nach Ansicht des BFG grundsätzlich voraus, dass die Familienbeihilfe zunächst in die Verfügungsgewalt des Bf eingegangen ist. Somit hätte die Weiterleitung der für den Streitzeitraum bezogenen Familienbeihilfenbeträge erst nach dem erfolgen können, weil die Mitteilung Grundlage für die Auszahlung der Familienbeihilfenbeträge ist. Vorgelegt wurden die Zahlungsanweisungen, die in den Monaten Jänner bis August 2013 zu Überweisungen an die Tochter geführt haben. Aufgrund der in den Zahlungsanweisungen vorgenommenen Widmungen, der Tochter monatlich EUR 300,00 bzw EUR 250,00 zu überweisen, ist von der Erfüllung der Unterhaltspflicht des Bf als Vater gegenüber seiner volljährigen Tochter auszugehen. Er hätte zur Erfüllung seiner monatlichen Unterhaltspflicht nicht auf die Auszahlung der Familienbeihilfe warten können.
Weiters hat der Bf in den Zahlungsanweisungen die Überweisungsbeträge von monatlich EUR 300,00 bzw EUR 250,00 als laufende Unterhaltszahlungen an die Tochter gewidmet. Diese Widmungen sind als Willenserklärungen zu qualifizieren. Eine Umwidmung der Überweisungsbeträge in einen vorgezogenen Beihilfenbetrag und den Unterhaltsbetrag durch eine entsprechende Erklärung der Tochter erscheint problematisch, zumal weder Rechtsprechung noch Dienstanweisungen die Weiterleitung der Familienbeihilfe als Rechtfertigungsgrund anerkannt und Formalerfordernisse, wie sie in Deutschland gelten, aufgestellt haben, die der Bf hätte einhalten können.
Der Bf hat im und für den Streitzeitraum insgesamt EUR 2.870,00 an Geldunterhalt geleistet. Seine monatliche Unterhaltspflicht hat der Bf pünktlich erfüllt, meist deutlich vor Monatsende, sodass seine Tochter zu Monatsbeginn über die Geldmittel verfügen konnte. Dem steht ein Betrag von EUR 1.468,84 an Familienbeihilfe und Kinderabsetzbetrag gegenüber. Es ist davon auszugehen, dass die vom Bf geleisteten Zahlungen "auf jeden Fall ihrem Zweck entsprechend zum Familienbudget beitr[u]gen" (EuGH 199/21, Rn 54).
Die österreichischen Dienstanweisungen und die Rechtsprechung des VwGH sehen gegen eine Rückforderung nach § 26 Abs 1 FLAG 1967 einen Rechtsfertigungsgrund wegen Weiterleitung der Familienbeihilfe an den Berechtigten nicht vor. Folglich fehlen transparente Vorschriften zur Bestätigung des Berechtigten. Das Fehlen solcher Dienstanweisungen, aus denen sich bestimmte Formvorschriften ergeben könnte, darf nach Ansicht des BFG nicht zu Lasten des Bf gehen, wenn der EuGH die Weiterleitung als Rechtfertigungsgrund anerkennt. Der EuGH hat in seinem Urteil C-199/21 keine Formvorschriften aufgestellt, sodass das BFG im Beschwerdefall die Weiterleitung der Familienbeihilfe als erfolgt ansieht, insbesondere weil der Bf seine monatliche Unterhaltspflicht nach Zivilrecht erfüllen musste und erfüllt hat und die Unterhaltsbeträge in den österreichischen Familienleistungen Deckung finden.
Der Bf ist die Person, die die Unterhaltslast für das Kind tatsächlich getragen und die Familienbeihilfe an die Tochter weitergeleitet hat. Er hat daher nach Unionsrecht Anspruch auf Ausgleich dieser Kosten (Art 1 lit z VO. 883/2004). Im konkreten Fall wurde das Unionsziel erreicht, indem ihm die österreichische Familienbeihilfe gewährt und ausbezahlt wurde. Die Rückforderung verstößt gegen Art 60 Abs 1 Satz 3 VO 987/2009 iVm Art 67 der Grundverordnung.
Wegen der Zugehörigkeit der Tochter zum Haushalt der Kindesmutter wäre im Inlandsfall allein die Kindesmutter anspruchsberechtigte Person. Das volljährige Kind wäre im Inlandsfall nur als sog "Sozialwaise" für sich anspruchsberechtigt, wenn es keinem Haushalt zugehört. Darüber hinaus sieht § 14 FLAG 1967 auf Antrag eine Bezugsberechtigung für das volljährige Kind für jene Familienbeihilfenbeträge vor, für die es einer anderen Person Anspruch verleiht. Der Antrag kann vom volljährigen Kind selbst oder vom anspruchsberechtigten Elternteil beantragt werden. Das BFG hat der belangten Behörde angekündigt, es nicht als schädlich anzusehen, dass im Beschwerdefall die Tochter nach dem FLAG nicht anspruchsberechtigt ist.
Die Tochter ist Familienangehörige des Bf nach Art 60 Abs 1 Satz 3 VO 883/2004 und nach § 2 Abs 3 FLAG 1967. Nach der Rechtsprechung des EuGH ist auch die Weiterleitung der Familienbeihilfe an das volljährige Kind, das dem Haushalt des anderen Elternteiles zugehört, ein tauglicher Rechtfertigungsgrund im gegen den nach dem FLAG nicht berechtigten anderen Elternteil geführten Rückforderungsverfahren (, DN gegen FAÖ). Der Verwaltungsgerichtshof hat in seiner Rechtsprechung bislang nur auf die Personen des § 2 Abs 2 FLAG 1967 Bezug genommen.
4.3.8. in eventu Rechtfertigung wegen überwiegender Tragung der Unterhaltskosten
Dieser Rechtfertigungsgrund wird als zweiter Eventualgrund ins Treffen geführt.
"Ob eine Person die Unterhaltskosten für ein Kind überwiegend getragen hat, hängt einerseits von der Höhe der gesamten Unterhaltskosten für ein den Anspruch auf Familienbeihilfe vermittelndes Kind in einem bestimmten Zeitraum und andererseits von der Höhe der im selben Zeitraum von dieser Person tatsächlich geleisteten Unterhaltsbeiträge ab. Ohne (zumindest schätzungsweise) Feststellung der gesamten Unterhaltskosten für ein Kind läßt sich, wenn dies nicht auf Grund der geringen (absoluten) Höhe der geleisteten Unterhaltsbeiträge ausgeschlossen werden kann, somit nicht sagen, ob die Unterhaltsleistung in einem konkreten Fall eine überwiegende war" (stellvertretend für viele , ).
Die Kindesmutter ging in Polen laut den Angaben des Bf im Formular E411 im Jahr 2013 keiner Erwerbstätigkeit nach. Wegen ihrer Berufsausübung in Polen wollte die Kindesmutter dem Bf nicht nach Österreich nachfolgen. Es war daher festzustellen, dass die Kindesmutter in Polen im Jahr 2013 Einkünfte erzielt hat. Wie den obigen Gründen der Beweiswürdigung zu entnehmen ist, blieb angesichts der Höhe der vom Bf an die erwachsene Tochter geleisteten Unterhaltszahlungen kein Raum für die Sachverhaltsannahme einer überwiegenden Unterhaltstragung durch die Kindesmutter, ohne die allgemein bekannten tatsächlichen Verhältnisse zur Höhe der Pensionen in Polen zur damaligen Zeit nicht zu berücksichtigen. Die konkrete Ermittlung der gesamten Unterhaltskosten war bei dem besonders gelagerten Einzelfall als Ausnahme in die andere Richtung nicht erforderlich.
Der Bf ist die Person, die die Unterhaltslast für das Kind tatsächlich weitaus überwiegend allein getragen hat. Er hat daher nach Unionsrecht Anspruch auf Ausgleich dieser Kosten (Art 1 lit z VO. 883/2004). Im konkreten Fall wurde das Unionsziel erreicht, indem ihm die österreichische Familienbeihilfe gewährt und ausbezahlt wurde. Die Rückforderung verstößt gegen Art 60 Abs 1 Satz 3 VO 987/2009 iVm Art 67 der Grundverordnung.
5. Zu Spruchpunkt II. (Revision)
Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Bislang fehlt eine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs zu folgenden Rechtsfragen, die im Beschwerdeverfahren zu beantworten waren:
1) die Familienleistungen bei Rentenbezug aus zwei Mitgliedstaaten,
2) die Anwendung der Kumulierungsvorschriften gemäß Art 68 Abs 1 VO 883/2004, wenn nach den Rechtsvorschriften des anderen Mitgliedstaates (Wohnmitgliedstaates) kein Anspruch auf Familienleistungen besteht,
3) die Auslegung des Begriffes "anderer Elternteil" gemäß Art 60 Abs 1 Satz 3 DVO 987/2009 sowie unter welchen Voraussetzungen der andere Elternteil als Partei des Beihilfenverfahrens zu berücksichtigen ist und damit verbunden die Frage, ob die Rückforderung unter den besonderen Umständen des Ausgangsfalles wegen Weiterleitung der Familienbeihilfe oder überwiegender Tragung der Unterhaltslasten gerechtfertigt ist.
Sämtliche Fragen waren dem EuGH zur Vorabentscheidung vorgelegt worden und sind von grundsätzlicher Bedeutung, weshalb die ordentliche Revision zuzulassen war.
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
Wien, am
Zusatzinformationen
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Materie | Steuer FLAG |
betroffene Normen | Art. 67 Satz 2 VO 883/2004, ABl. Nr. L 166 vom S. 1 § 14 FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967 Art. 68 Abs. 1 VO 833/2014, ABl. Nr. L 229 vom S. 1 Art. 76 Abs. 2 VO 1408/71, ABl. Nr. L 149 vom S. 2 § 26 FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967 Art. 4 VO 883/2004, ABl. Nr. L 166 vom S. 1 Art. 5 VO 883/2004, ABl. Nr. L 166 vom S. 1 Art. 67 VO 883/2004, ABl. Nr. L 166 vom S. 1 Art. 68 Abs. 3 lit. a und b VO 883/2004, ABl. Nr. L 166 vom S. 1 Art. 81 VO 883/2004, ABl. Nr. L 166 vom S. 1 Art. 3 VO 1408/71, ABl. Nr. L 149 vom S. 2 Art. 60 Abs. 1 VO 987/2009, ABl. Nr. L 284 vom S. 1 Art. 1 lit. m VO 883/2004, ABl. Nr. L 166 vom S. 1 Art. 76 VO 1408/71, ABl. Nr. L 149 vom S. 2 Art. 1 lit. z VO 883/2004, ABl. Nr. L 166 vom S. 1 Art. 1 VO 883/2004, ABl. Nr. L 166 vom S. 1 § 4 FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967 |
Verweise | BFH , III R 16/20 BFH , III R 82/08 RE/7100001/2019 |
ECLI | ECLI:AT:BFG:2023:RV.7100487.2016 |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at