OGH 21.02.2023, 10Ob2/23a
Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)
Entscheidungstext
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht durch die Präsidentin Hon.-Prof. Dr. Lovrek als Vorsitzende, die Hofrätin Dr. Faber und die Hofräte Mag. Schober, Dr. Thunhart und Dr. Annerl als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Ing. C*, vertreten durch die Poduschka Partner Anwaltsgesellschaft mbH in Linz, gegen die beklagten Parteien 1. P* GmbH & Co KG, *, und 2. V*, Deutschland, beide vertreten durch die Pressl Endl Heinrich Bamberger Rechtsanwälte GmbH in Salzburg, wegen Vertragsaufhebung und 22.201,76 EUR sA, in eventu 6.000 EUR, in eventu Feststellung, infolge Rekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom , GZ 4 R 100/20p-30, mit dem das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom , GZ 20 Cg 21/18z-25, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen und zu Recht erkannt:
Spruch
I. Dem Rekurs wird hinsichtlich der erstbeklagten Partei Folge gegeben.
Der Beschluss des Berufungsgerichts wird in diesem Umfang aufgehoben und in der Sache selbst zu Recht erkannt, dass das Urteil des Erstgerichts gegen die erstbeklagte Partei als Teilurteil zu lauten hat:
„1. Der zwischen der klagenden Partei und der erstbeklagten Partei abgeschlossene Kaufvertrag vom über den Ankauf des VW Tiguan Lounge TDI BMT, Fahrgestellnummer: *, um 26.890 EUR wird aufgehoben.
2. Die Klageforderung gegen die erstbeklagte Partei besteht mit 22.201,76 EUR zu Recht.
3. Die Gegenforderung der erstbeklagten Partei besteht mit 2.875,45 EUR zu Recht.
4. Die erstbeklagte Partei ist daher schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen 19.326,31 EUR samt 4 % Zinsen pa aus 26.890 EUR von bis , aus 22.201,76 EUR von bis und aus 19.326,31 EUR seit Zug um Zug gegen Rückgabe des Kraftfahrzeugs VW Tiguan Lounge TDI BMT, Fahrgestellnummer * zu zahlen.
5. Das Mehrbegehren, die erstbeklagte Partei sei darüber hinaus schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen 2.875,45 EUR sowie 4 % Zinsen pa aus 4.688,24 EUR von bis und aus 7.563,69 EUR seit Zug um Zug gegen Rückstellung des genannten Kraftfahrzeugs zu zahlen, wird abgewiesen.
6. Die erstbeklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit 9.625,69 EUR (darin 1.534,41 EUR Barauslagen und 1.348,55 EUR USt) bestimmten Kosten des Verfahrens erster Instanz zu ersetzen.
7. Die Entscheidung über die Ersatzpflicht der erstbeklagten Partei für einen weiteren Kostenbetrag von 1.166,47 EUR (darin enthalten 74,30 EUR Barauslagen und 182,03 EUR Umsatzsteuer) bleibt der Kostenentscheidung nach rechtskräftiger Entscheidung über das gegen die zweitbeklagte Partei erhobene Klagebegehren vorbehalten.“
Die erstbeklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit 3.365,75 EUR (darin 994,41 EUR Barauslagen und 395,23 EUR USt) bestimmten Kosten des Verfahrens zweiter Instanz sowie die mit 3.785,20 EUR (darin 1.327,62 EUR Barauslagen und 409,60 EUR USt) bestimmten Kosten des Verfahrens dritter Instanz zu ersetzen.
Die Entscheidung über die Ersatzpflicht der erstbeklagten Partei für einen weiteren Kostenbetrag von 622,22 EUR (darin enthalten 114,30 EUR Barauslagen und 34,43 EUR USt des Verfahrens zweiter und 152,60 EUR Barauslagen und 24,79 EUR USt des Verfahrens dritter Instanz) bleibt der Kostenentscheidung nach rechtskräftiger Entscheidung über das gegen die zweitbeklagte Partei erhobene Klagebegehren vorbehalten.
II. Hinsichtlich der zweitbeklagten Partei wird das Verfahren bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union über den vom Landgericht Ravensburg (Deutschland) am beim Europäischen Gerichtshof eingereichten, zu C-100/21 des Europäischen Gerichtshofs behandelten Antrag auf Vorabentscheidung unterbrochen. Die Fortsetzung des Rekursverfahrens erfolgt nur auf Antrag.
Text
Begründung und Entscheidungsgründe:
[1] Der Kläger kaufte mit Vertrag vom von der Erstbeklagten den von der Zweitbeklagten hergestellten VW Tiguan Lounge TDI BMT um einen Kaufpreis von 26.890 EUR. Das am erstmals zum Verkehr zugelassene Fahrzeug wies zum Zeitpunkt des Kaufvertragsabschlusses einen Kilometerstand von 500 km auf.
[2] Das Fahrzeug fällt unstrittig in den Anwendungsbereich der VO (EG) Nr 715/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom über die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich der Emissionen von leichten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen (Euro 5 und Euro 6) und über den Zugang zu Reparatur- und Wartungsinformationen für Fahrzeuge (ABl L 171/1 vom ; künftig: VO 715/2007/EU). Es ist mit einem Dieselmotor des Typs EA189 der Abgasklasse EU 5 ausgestattet.
[3] Der Dieselmotor war mit einer Software ausgestattet, die bewirkte, dass dieses Fahrzeug am Prüfstand (NEFZ) die Stickoxid-(NOx-)Werte der Euro 5 Abgasnorm einhielt, während es im normalen Fahrbetrieb auf Straßen einen deutlich höheren NOx-Ausstoß aufwies, weil im normalen Straßenverkehr (Modus 0 oder Standardmodus 0) weniger Abgase rückgeführt wurden als am Prüfstand (Modus 1 oder NEFZ-Modus 1). Die Abgasrückführung dient vor allem der Reduktion der NOx-Werte. Ein Teil des bei der motorischen Verbrennung entstandenen Gases wird dem Verbrennungsmotor rückgeführt und dort mit Frischluft vermengt, wodurch der Sauerstoffgehalt der Frischluft und dadurch die Verbrennungstemperatur absinkt, und es im Verbrennungsprozess zu niedrigeren NOx-Emissionen kommt. Wird die Abgasrückführung erhöht, so sinken die NOx-Emissionen, die Rußemissionen aber steigen an. Die Rußemissionen werden sodann im Dieselpartikelfilter gesammelt und in regelmäßigen Abständen abgebrannt.
[4] Für den gegenständlichen Fahrzeugtyp wurde vom zuständigen deutschen Kraftfahrt-Bundesamt (künftig: KBA) die EG-Typengenehmigung erteilt. Die „Umschaltlogik“ (Standardmodus 0 und NEFZ-Modus 1) war der Typengenehmigungsbehörde gegenüber nicht offengelegt.
[5] Am verhängte das KBA der Zweitbeklagten gegenüber eine „Nachträgliche Anordnung einer Nebenbestimmung zur EG-Typengenehmigung“ gemäß § 25 Abs 2 (deutsche) EG-FGV (Verordnung über die EG-Genehmigung für Kraftfahrzeuge und ihre Anhänger sowie für Systeme, Bauteile und selbständige technische Einheiten für diese Fahrzeuge, EG-Fahrzeuggenehmigungsverordnung), mit der es (ua) anordnete, zur Gewährleistung der Vorschriftsmäßigkeit der genehmigten Aggregate des Typs EA189 EU 5 die unzulässigen Abschalteinrichtungen zu entfernen.
[6] Um den vom KBA geforderten Zustand herzustellen, hat die Zweitbeklagte ein Software-Update entwickelt. Dieses bewirkt, dass die „Umschaltlogik“ eliminiert wird, wodurch das Fahrzeug durchgehend im Modus 1 betrieben wird.
[7] Das sogenannte „Thermofenster“ bleibt auch nach Durchführung dieses Software-Updates im jeweiligen Fahrzeug. Bei diesem handelt es sich um eine in allen gemäß Euro 5 akkreditierten Fahrzeugen verbaute Abschalteinrichtung, die dazu dient, dass die volle Abgasrückführung nur in einem Temperaturbereich zwischen 15 Grad Celsius und 33 Grad Celsius erfolgt. Bei Temperaturen darüber oder darunter wird die Abgasrückführung sukzessive reduziert, weil bei zu geringen Temperaturen die Gefahr einer Versottung besteht und es bei zu hohen Temperaturen zu erhöhten thermischen Belastungen und einem Versagen oder einer Beschädigung der Bauteile kommen könnte. Das Thermofenster dient vor allem der Schonung von Anbauteilen des Motors.
[8] Am gab das KBA das von der Zweitbeklagten entwickelte Software-Update betreffend den gegenständlichen VW Tiguan Lounge frei. Gleichzeitig wurde festgehalten, dass die Überprüfung der Fahrzeuge nach erfolgtem Software-Update erneut durchgeführt wurde und nunmehr keine unzulässige Abschaltvorrichtung vorliege. Der Kläger wurde hierüber von der Erstbeklagten mit Schreiben vom informiert und aufgefordert, sich wegen des Updates mit einem VW-Betrieb seiner Wahl in Verbindung zu setzen. Dieser Aufforderung kam der Kläger jedoch nicht nach. Er ließ das Software-Update bei seinem Fahrzeug nicht durchführen, weil dies für ihn keine Lösung darstellt.
[9] Der Kläger hatte bislang keine Probleme mit dem Fahrzeug und konnte es ohne Einschränkungen nutzen. Es besteht jedoch theoretisch die Möglichkeit, sollte das von der Zweitbeklagten entwickelte Software-Update nicht durchgeführt werden, Fahrzeuge zu einer „besonderen Überprüfung“ gemäß § 56 Kraftfahrgesetz vorzuladen.
[10] Der Kläger ging beim Abschluss des Kaufvertrags davon aus, dass das Fahrzeug den geltenden Normen entspricht. Er wollte kein Fahrzeug, das mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet ist. Weder der Kläger noch die Erstbeklagte waren zum Zeitpunkt des Kaufvertragsabschlusses in Kenntnis der bei dem Fahrzeug verbauten Software; diese war auch nicht erkennbar. Wäre dem Kläger bei Abschluss des Kaufvertrags bekannt gewesen, dass sein Fahrzeug mit einer Abschalteinrichtung ausgestattet ist, die von der akkreditierenden Behörde als unzulässig eingestuft und aufgrund derer der Entzug der Zulassung droht, hätte er diesen nicht abgeschlossen.
[11] Das Fahrzeug des Klägers hatte zum Schluss der mündlichen Verhandlung einen Kilometerstand von 70.680 km, weist keine Kollisionsschäden auf, befindet sich in einem, dem Alter von etwas mehr als 4 ½ Jahren entsprechenden, durchschnittlichen Zustand und hat einen Eurotaxwert (blau) von 12.200 EUR. Der Listenneupreis betrug 32.425 EUR, sodass sich beim tatsächlichen Kaufpreis von 26.890 EUR ein dem Kläger gewährter Rabatt von 17 % errechnet, womit über den Rabatt der initiale Wertverlust des Fahrzeugs abgedeckt ist.
[12] Der Kläger macht Ansprüche aus Schadenersatz, Gewährleistung und Vertragsanfechtung wegen Willensmangels gegenüber der Erstbeklagten und aus Schadenersatz gegenüber der Zweitbeklagten geltend. Er begehrt gegenüber der Erstbeklagten die Aufhebung des Kaufvertrags und gegenüber beiden Beklagten die Zahlung von 22.201,76 EUR (Kaufpreis von 26.890 EUR abzüglich 4.688,24 EUR Benützungsentgelt) samt Zinsen zur ungeteilten Hand, Zug um Zug gegen die Rückgabe des Fahrzeugs. Hilfsweise begehrt er aus dem Titel der Preisminderung die Zahlung von 6.000 EUR, in eventu die Feststellung, dass die Beklagten zur ungeteilten Hand für jeden Schaden haften, der ihm aus dem Einbau der unzulässigen Abschalteinrichtung entstehe. Das Fahrzeug sei mangelhaft, weil die vorhandene „Umschaltlogik“ eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinn von Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EU gewesen sei.
[13] Das Software-Update könne den Mangel nicht beheben. Das mit dem Software-Update installierte „Thermofenster“ sei keine erlaubte Abschalteinrichtung im Sinn des Ausnahmetatbestands des Art 5 Abs 2 lit a der VO 715/2007/EU, weil ein System, nach dem die Abgasrückführung nur bei Umgebungstemperaturen zwischen 15 und 33 Grad Celsius wirke, in Österreich nur während vier bis fünf Monaten voll aktiv sei. Dadurch werde das Regel-Ausnahme-Verhältnis umgekehrt, weil der Regelfall der voll aktiven Abgasrückführung seltener eintrete als die Anwendung der Ausnahme (einer nicht voll aktiven Abgasrückführung). Das laufe dem Regelungszweck des Art 5 VO 715/2007/EU zuwider. Dem Kläger drohten ein zukünftiger Wertverlust und Folgeschäden durch das Software-Update.
[14] Der Kläger habe darüber geirrt, ein manipulationsfreies, den gesetzlichen Vorschriften entsprechendes Fahrzeug zu erwerben. Der Irrtum sei von den Beklagten veranlasst, hilfsweise wird vorgebracht, der Kläger habe gemeinsam mit den für die Erstbeklagte handelnden Personen geirrt.
[15] Der Kläger habe darüber hinaus gegen die Beklagten Anspruch auf Schadenersatz durch Naturalrestitution, weil er ein Fahrzeug erworben habe, das nicht den gesetzlichen Bestimmungen entspreche. Das Verschulden der Zweitbeklagten sei der Erstbeklagten zuzurechnen. Die Repräsentanten der Zweitbeklagten hätten von der Manipulationssoftware gewusst und sie bewusst eingesetzt. Die Zweitbeklagte hafte aufgrund arglistiger (in eventu fahrlässiger) Verleitung des Klägers zum Vertragsschluss sowie aus dem In-Verkehr-Bringen von Fahrzeugen, die den rechtlichen Vorgaben nicht entsprächen.
[16] Der Kläger rechne sich ein Benützungsentgelt von 4.688,24 EUR an, das er von seiner Forderung von 26.890 EUR in Abzug bringe. Er bringt vor, der von ihm gezogene Gebrauchsnutzen des Fahrzeugs ergebe sich aus dem Bruttokaufpreis von 26.890 EUR multipliziert mit den gefahrenen Kilometern zum Zeitpunkt der Klageeinbringung (43.500 km) dividiert durch die erwartete (restliche) Gesamtlaufleistung, die – nach Abzug des bei Übergabe bestehenden Kilometerstands von 500 km – mit 249.500 km angesetzt werde.
[17] Werde der Kaufvertrag nicht rückabgewickelt, begehre er Preisminderung von 6.000 EUR. Das hilfsweise dazu erhobene Feststellungsbegehren sei wegen möglicher Spät- und Dauerfolgen durch die Mehrbelastung der Einspritzinjektoren, des AGR-Ventils, des AGR-Kühlers und des Dieselpartikelfilters nach dem Software-Update berechtigt.
[18] Die Beklagten vertraten zunächst die Ansicht, weder die „Umschaltlogik“ noch das „Thermofenster“ seien als Abschalteinrichtung im Sinn von Art 3 Z 10 VO 715/2007/EU, daher auch nicht als nach Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EU verbotene Abschalteinrichtung zu qualifizieren. Erst in der Berufungsbeantwortung gestanden sie zu, dass es sich beim „Thermofenster“ um eine Abschalteinrichtung handle. Diese sei aber nach Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EU ausnahmsweise zulässig. Daher habe der Kläger keine Ansprüche gegen die Beklagten. Darüber hinaus habe eine Täuschung durch die Zweitbeklagte nicht stattgefunden; die vorgeworfenen Verhaltensweisen seien für den geltend gemachten Schaden nicht kausal.
[19] Für den Fall des teilweisen Zurechtbestehens der Klageforderung werde ein Benützungsentgelt von 14.690 EUR aufrechnungsweise eingewendet.
[20] Das Erstgericht wies sämtliche Begehren ab.
[21] Über den eingangs wiedergegebenen Sachverhalt hinaus traf es folgende – vom Kläger in der Berufung bekämpfte – Feststellungen:
[22] Infolge des Software-Updates werden die Grenzwerte und andere Anforderungen der Euro-Abgasnorm 5 eingehalten.
[23] Ein höherer Verschleiß des Lüfters oder des Dieselpartikelfilters lässt sich aber nicht feststellen. Auch ein Anstieg von Ausfällen des Abgasrückführventils oder des Abgasrückkühlers lässt sich – im Vergleich zu Ausfällen vor dem Software-Update – nicht feststellen, da das Ventil aufgrund der erhöhten Anzahl an Betätigungen besser geschmiert wird und dadurch die Ausfallwahrscheinlichkeit sinkt. Zusammenfassend sind negative Auswirkungen des Software-Updates auf das Fahrzeug in technischer Hinsicht nicht objektivierbar.
[24] Es kann allenfalls die Zulassung entzogen werden.
[25] Das Berufungsgericht unterbrach das Berufungsverfahren bis zur Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs über den vom Obersten Gerichtshof am zu 10 Ob 44/19x gestellten Antrag auf Vorabentscheidung. Nach Vorliegen der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom , C-145/20, setzte es dieses fort, gab der Berufung des Klägers Folge, hob das Urteil des Erstgerichts auf und verwies die Rechtssache zur Verhandlung und Entscheidung an dieses zurück. Den Rekurs erklärte es für zulässig.
[26] Aus dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs lasse sich ableiten, dass die vollständige Abgasrückführung im Fahrzeug nur bei Außentemperaturen zwischen 15 Grad Celsius und 33 Grad Celsius ein nicht geringfügiger Mangel iSd § 932 Abs 4 ABGB sei. Kein Mangel läge vor, wenn durch das „Thermofenster“ schwerwiegende und unmittelbare Beschädigungen des Motors oder Verkehrsunfälle vermieden werden können, die durch Fehlfunktionen eines Bauteils des Abgasrückführungssystems verursacht würden. Bleibe die Abschalteinrichtung allerdings unter normalen Betriebsbedingungen den überwiegenden Teil des Jahres über aktiviert, liege wiederum ein – nicht geringfügiger – Mangel vor. Basierend auf den unbekämpft getroffenen Feststellungen sei dies nicht abschließend beurteilbar. Die Rechtsansicht des Europäischen Gerichtshofs habe das Erstgericht mit den Parteien bislang nicht erörtern können. Aufgrund der aufhebenden Entscheidung sei ein näheres Eingehen auf die Tatsachenrüge nicht erforderlich. Dabei handle es sich um Rechtsfragen bzw seien die Feststellungen zu den technischen Auswirkungen des Software-Updates auf Basis des eingeholten Sachverständigengutachtens unbedenklich.
[27] Dagegen richtet sich der Rekurs des Klägers, mit dem er beantragt, in der Sache selbst (erkennbar: im Sinn einer Stattgabe der Klage) zu erkennen, hilfsweise wird beantragt, den Beschluss des Berufungsgerichts aufzuheben und die Rechtssache an dieses zur inhaltlichen Entscheidung über die Berufung zurückzuverweisen.
[28] Die Beklagten beantragen in der Rekursbeantwortung, den Rekurs zurückzuweisen, hilfsweise ihm nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
[29] Der Rekurs ist zulässig. Hinsichtlich der Erstbeklagten ist er berechtigt (I.). Hinsichtlich der Zweitbeklagten ist das Verfahren im Hinblick auf ein anhängiges Vorabentscheidungsersuchen beim Europäischen Gerichtshof über präjudizielle Rechtsfragen zu unterbrechen (II.).
zu I.:
I.A. Zur EG-Typengenehmigung
[30] I.A.1. Auf Unionsebene regelte zunächst die „Rahmenrichtlinie“ (RL 2007/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom zur Schaffung eines Rahmens für die Genehmigung von Kraftfahrzeugen und Kraftfahrzeuganhängern sowie von Systemen, Bauteilen und selbstständigen technischen Einheiten für diese Fahrzeuge; künftig: RL 2007/46/EG) ein System gemeinschaftlicher Typgenehmigungen für alle Fahrzeugklassen (vgl nunmehr die VO 2018/858/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom über die Genehmigung und die Marktüberwachung von Kraftfahrzeugen und Kraftfahrzeuganhängern sowie von Systemen, Bauteilen und selbstständigen technischen Einheiten für diese Fahrzeuge).
[31] Gemäß Art 3 Z 3 RL 2007/46/EG bezeichnet der Ausdruck „Typengenehmigung“ das Verfahren, nach dem ein Mitgliedstaat bescheinigt, dass ein Typ eines Fahrzeugs, eines Systems, eines Bauteils oder einer selbständigen technischen Einheit den einschlägigen Verwaltungsvorschriften und technischen Anforderungen entspricht. Diese Vorschriften und Anforderungen ergeben sich aus der Richtlinie selbst und den in ihren Anhängen aufgeführten Rechtsakten. Derartige Rechtsakte können insbesondere andere Einzelrichtlinien oder Einzelverordnungen sein, wobei jeder dieser Rechtsakte einen spezifischen Aspekt betrifft (vgl EuG T-339/16, T-352/16, T-391/16, vom , Ville de Paris, Ville de Bruxelles, Ayuntamiento de Madrid, Rz 2 [insofern von der über diese Entscheidung ergangenen Rechtsmittelentscheidung des EuGH C-177/19P bis C-179/19P vom nicht berührt]). Der unter dem Gesichtspunkt der Schadstoffemissionen angesprochene Rechtsakt ist hinsichtlich der leichten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeuge die VO 715/2007/EU (vgl Art 1 Abs 1 VO 715/2007/EU).
[32] I.A.2. Gemäß Art 5 Abs 1 VO 715/2007/EU rüstet der Hersteller das Fahrzeug so aus, dass die Bauteile, die das Emissionsverhalten voraussichtlich beeinflussen, so konstruiert, gefertigt und montiert sind, dass das Fahrzeug unter normalen Betriebsbedingungen dieser Verordnung und ihren Durchführungsmaßnahmen entspricht.
[33] I.A.3. Gemäß Art 5 Abs 2 Satz 1 VO 715/2007/EU ist die Verwendung von Abschalteinrichtungen, die die Wirkung von Emissionskontrollsystemen verringern, unzulässig. Eine Abschalteinrichtung ist nach der Legaldefinition des Art 3 Z 10 VO 715/2007/EU ein Konstruktionsteil, das die Temperatur, die Fahrzeuggeschwindigkeit, die Motordrehzahl (UpM), den eingelegten Getriebegang, den Unterdruck im Einlasskrümmer oder sonstige Parameter ermittelt, um die Funktion eines beliebigen Teils des Emissionskontrollsystems zu aktivieren, zu verändern, zu verzögern oder zu deaktivieren, wodurch die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems unter Bedingungen, die bei normalem Fahrzeugbetrieb vernünftigerweise zu erwarten sind, verringert wird.
[34] Art 5 Abs 2 Satz 2 VO 715/2007/EU normiert drei Ausnahmetatbestände vom Verbot von Abschalteinrichtungen. Gemäß Art 5 Abs 2 Satz 2 lit a VO 715/2007/EU ist die Verwendung von Abschalteinrichtungen dann nicht unzulässig, wenn die Einrichtung notwendig ist, um den Motor vor Beschädigung oder Unfall zu schützen und um den sicheren Betrieb des Kraftfahrzeugs zu gewährleisten.
[35] I.A.4. Nach Art 3 Z 9 Unterabs 3 der Durchführungsverordnung 692/2008 (VO [EG] 692/2008 der Kommission vom zur Durchführung und Änderung der Verordnung [EG] Nr 715/2007/EU des Europäischen Parlaments und des Rates über die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich der Emissionen von leichten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen [Euro 5 und Euro 6] und über den Zugang zu Reparatur- und Wartungsinformationen für Fahrzeuge) sind die Hersteller von Dieselfahrzeugen verpflichtet, bei Beantragung einer Typengenehmigung der Genehmigungsbehörde Angaben zur Arbeitsweise des Abgasrückführsystems (AGR) einschließlich ihres Funktionierens bei niedrigen Temperaturen zu machen.
[36] I.A.5. Gemäß Art 4 Abs 1 VO 715/2007/EU weist der Hersteller nach, dass alle von ihm verkauften oder in der Gemeinschaft in Betrieb genommenen Neufahrzeuge über eine Typengenehmigung gemäß dieser Verordnung und ihren Durchführungsmaßnahmen verfügen. Gemäß Art 18 Abs 1 RL 2007/46 hat der Hersteller als Inhaber einer EG-Typengenehmigung für Fahrzeuge jedem Fahrzeug, das in Übereinstimmung mit dem genehmigten Typ hergestellt wurde, eine Übereinstimmungsbescheinigung beizulegen.
[37] I.A.6. Die Behandlung einer in einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten EG-Betriebserlaubnis in Österreich ist in § 28b KFG geregelt. Nach § 28b Abs 1 KFG hat der Inhaber einer EG-Betriebserlaubnis für die von ihm in den Handel gebrachten Fahrzeuge eine Übereinstimmungsbescheinigung im Sinn der jeweils anzuwendenden Betriebserlaubnisrichtlinie auszustellen. Darüber hinaus hat er für von ihm in Österreich in den Handel gebrachte Fahrzeuge, für die eine gültige Übereinstimmungsbescheinigung vorliegt, die Genehmigungsdaten in die Genehmigungsdatenbank einzugeben. Die erstmalige Zulassung eines Kraftfahrzeugs setzt gemäß § 37 Abs 2 lit a KFG die Erbringung des Genehmigungsnachweises für das Fahrzeug – das ist bei Fahrzeugen mit EG-Betriebserlaubnis die gültige Übereinstimmungsbescheinigung oder der Datenauszug aus der Genehmigungsdatenbank – voraus.
I.B. Zur Vorabentscheidung des EuGH
[38] I.B.1. Mit Beschluss vom legte der Oberste Gerichtshof zu 10 Ob 44/19x dem Gerichtshof der Europäischen Union gemäß Art 267 AEUV folgende Fragen zur Vorabentscheidung vor:
„1. Ist Art 2 Abs 2 lit d der Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom zu bestimmten Aspekten des Verbrauchsgüterkaufs und der Garantien für Verbrauchsgüter (Abl L 171/12 vom ) dahin auszulegen, dass ein Kraftfahrzeug, das in den Anwendungsbereich der Verordnung (EG) 715/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom über die Typengenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich der Emissionen von leichten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen (Euro 5 und Euro 6) und über den Zugang zu Reparatur- und Wartungsinformationen für Fahrzeuge (Abl L 171/1 vom ) fällt, jene Qualität aufweist, die bei Gütern der gleichen Art üblich ist und die der Verbraucher vernünftigerweise erwarten kann, wenn das Fahrzeug mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinn des Art 3 Z 10 und Art 5 Abs 2 VO (EG) 715/2007 ausgestattet ist, die Fahrzeugtype aber dennoch über eine aufrechte EG-Typengenehmigung verfügt, sodass das Fahrzeug im Straßenverkehr verwendet werden kann?
2. Ist Art 5 Abs 2 lit a der Verordnung (EG) 715/2007 dahin auszulegen, dass eine Abschalteinrichtung im Sinn des Art 3 Z 10 dieser Verordnung, die derart konstruiert ist, dass die Abgasrückführung außerhalb vom Prüfbetrieb unter Laborbedingungen im realen Fahrbetrieb nur dann voll zum Einsatz kommt, wenn Außentemperaturen zwischen 15 und 33 Grad Celsius herrschen, nach Art 5 Abs 2 lit a dieser Verordnung zulässig sein kann, oder scheidet die Anwendung der genannten Ausnahmebestimmung schon wegen der Einschränkung der vollen Wirksamkeit der Abgasrückführung auf Bedingungen, die in Teilen der Europäischen Union nur in etwa der Hälfte des Jahres vorliegen, von vornherein aus?
3. Ist Art 3 Abs 6 der Richtlinie 1999/44/EG dahin auszulegen, dass eine Vertragswidrigkeit, die in der Ausstattung eines Fahrzeugs mit einer nach Art 3 Z 10 in Verbindung mit Art 5 Abs 2 VO (EG) 715/2007 unzulässigen Abschalteinrichtung liegt, dann als geringfügig im Sinn der genannten Bestimmung zu qualifizieren ist, wenn der Übernehmer das Fahrzeug in Kenntnis ihres Vorhandenseins und ihrer Wirkungsweise dennoch erworben hätte?“
[39] I.B.2. Mit Urteil vom hat der Europäische Gerichtshof die ihm gestellten Fragen wie folgt beantwortet:
„1. Art. 2 Abs. 2 Buchst. d der Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom zu bestimmten Aspekten des Verbrauchsgüterkaufs und der Garantien für Verbrauchsgüter ist dahin auszulegen, dass ein Kraftfahrzeug, das in den Anwendungsbereich der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom über die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich der Emissionen von leichten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen (Euro 5 und Euro 6) und über den Zugang zu Reparatur- und Wartungsinformationen für Fahrzeuge fällt, nicht die Qualität aufweist, die bei Gütern der gleichen Art üblich ist und die der Verbraucher vernünftigerweise erwarten kann, wenn es, obwohl es über eine gültige EG-Typgenehmigung verfügt und daher im Straßenverkehr verwendet werden kann, mit einer Abschalteinrichtung ausgestattet ist, deren Verwendung nach Art. 5 Abs. 2 dieser Verordnung verboten ist.
2. Art. 5 Abs. 2 Buchst. a der Verordnung Nr. 715/2007 ist dahin auszulegen, dass eine Abschalteinrichtung, die insbesondere die Einhaltung der in dieser Verordnung vorgesehenen Emissionsgrenzwerte nur gewährleistet, wenn die Außentemperatur zwischen 15 und 33 Grad Celsius liegt, nach dieser Bestimmung allein unter der Voraussetzung zulässig sein kann, dass nachgewiesen ist, dass diese Einrichtung ausschließlich notwendig ist, um die durch eine Fehlfunktion eines Bauteils des Abgasrückführungssystems verursachten unmittelbaren Risiken für den Motor in Form von Beschädigung oder Unfall zu vermeiden, Risiken, die so schwer wiegen, dass sie eine konkrete Gefahr beim Betrieb des mit dieser Einrichtung ausgestatteten Fahrzeugs darstellen. Eine Abschalteinrichtung, die unter normalen Betriebsbedingungen den überwiegenden Teil des Jahres funktionieren müsste, damit der Motor vor Beschädigung oder Unfall geschützt und der sichere Betrieb des Fahrzeugs gewährleistet ist, kann jedenfalls nicht unter die in Art. 5 Abs. 2 Buchst. a der Verordnung Nr. 715/2007 vorgesehene Ausnahme fallen.
3. Art. 3 Abs. 6 der Richtlinie 1999/44 ist dahin auszulegen, dass eine Vertragswidrigkeit, die darin besteht, dass ein Fahrzeug mit einer Abschalteinrichtung ausgerüstet ist, deren Verwendung nach Art. 5 Abs. 2 der Verordnung Nr. 715/2007 verboten ist, nicht als ′geringfügig′ eingestuft werden kann, selbst wenn der Verbraucher – falls er von der Existenz und dem Betrieb dieser Einrichtung Kenntnis gehabt hätte – dieses Fahrzeug dennoch gekauft hätte.“
I.C. Zu den Gewährleistungsansprüchen gegen die Erstbeklagte
I.C.1. Grundsätze der Gewährleistung
[40] I.C.1.1. Eine Leistung ist mangelhaft im Sinn des § 922 ABGB, wenn sie qualitativ oder quantitativ hinter dem Geschuldeten, das heißt dem Vertragsinhalt, zurückbleibt (RS0018547). Der geschuldete Vertragsgegenstand wird durch die gewöhnlich vorausgesetzten oder die ausdrücklich oder stillschweigend zugesicherten Eigenschaften bestimmt (RS0018547 [T5]). Er muss der Natur des Geschäfts oder der geschlossenen Verabredung entsprechend benützt und verwendet werden können (RS0114333 [T3]; 4 Ob 168/18m mwN), wozu bei einem Kfz das Vorliegen der entsprechenden behördlichen Genehmigungen erforderlich ist (3 Ob 5/07t).
[41] Die Vertragsparteien können eine Sache, die objektiv gesehen mangelhaft ist, als vertragsgemäß ansehen. Wenn allerdings – wie im vorliegenden Fall – eine Vereinbarung über die geschuldeten Eigenschaften des Leistungsgegenstands fehlt, sind gemäß §§ 922 ff ABGB die gewöhnlich vorausgesetzten Eigenschaften der veräußerten Sache maßgebend (RS0107681).
[42] I.C.1.2. Ein Sachmangel liegt vor, wenn es der Sache (im weiten Sinn des § 285 ABGB) an sachlicher Substanz (ebenfalls im weiten Sinn) mangelt (Zöchling-Jud in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.02 § 923 Rz 9 [Stand , rdb.at]; Reischauer in Rummel/Lukas, ABGB4 [2018] §§ 922, 923 Rz 119; vgl 1 Ob 105/08k).
[43] Ein Rechtsmangel liegt vor, wenn dem Erwerber nicht die geschuldete rechtliche Position verschafft wird (P. Bydlinski in KBB6 [2020] § 933 ABGB Rz 3 mwN; 3 Ob 5/07t). Unter Rechtsmängel fallen auch öffentlich-rechtliche Fehler, so etwa das Fehlen baubehördlicher Bewilligungen (1 Ob 105/08k; 6 Ob 263/08g [erloschene Baugenehmigung]; 10 Ob 192/98b; 6 Ob 653/86; vgl 10 Ob 502, 503/94 [gegen Widerruf erteilte Genehmigung]) oder gewerberechtlicher Genehmigungen (7 Ob 184/03i).
[44] I.C.1.3. Ein in der Substanz der Sache liegender Mangel kann aber auch gleichzeitig einen Sach- und einen Rechtsmangel begründen. Zu 3 Ob 5/07t wurde klargestellt, dass die Behauptung, ein PKW mit tiefer gestelltem Fahrwerk weise eine zu geringe Bodenfreiheit auf, weshalb die Gefahr bestehe, dass der erteilte Einzelgenehmigungsbescheid von der Behörde aufgehoben werde, sowohl die Behauptung eines Sach- als auch eines Rechtsmangels in sich trage.
[45] I.C.1.4. Liegt ein behebbarer Mangel vor, besteht gemäß § 932 Abs 1 ABGB zunächst ein Verbesserungsanspruch. Um diesen Verbesserungsanspruch zum Erlöschen zu bringen, muss der Übergeber als anspruchsvernichtende Tatsache behaupten und beweisen, dass er den Mangel durch Verbesserung beseitigt hat (2 Ob 34/11f; allgemein: RS0106638 [T2]). Tritt daher nach einem Verbesserungsversuch derselbe Mangel wieder auf, trifft den Übergeber die Beweislast für den Erfolg seines Verbesserungsversuchs (2 Ob 34/11f).
I.C.2. Das Vorhandensein der „Umschaltlogik“ im Übergabezeitpunkt begründet einen Sachmangel
[46] I.C.2.1. Nach den Feststellungen waren sämtliche mit einem Dieselmotor des Typs EA198 der Abgasklasse EU 5 bestückten Fahrzeuge mit einer im Motorsteuerungsgerät enthaltenen „Umschaltlogik“ ausgestattet, die für die Abgasrückführung zwei Betriebsmodi vorsah, einen Betriebsmodus für das Emissionsprüfungsverfahren mit einer relativ hohen Abgasrückführung und einen Betriebsmodus mit einer geringeren Rückführungsrate, der unter normalen Fahrbedingungen zum Einsatz gelangte. Das Vorhandensein dieser Software wurde der zuständigen Typengenehmigungsbehörde nicht offengelegt.
[47] I.C.2.2. Wie bereits im Vorlagebeschluss vom ausgeführt, ist die im Zeitpunkt der Übergabe des Kaufgegenstands an den Kläger vorhandene „Umschaltlogik“ als unzulässige Abschalteinrichtung im Sinn der Art 3 Z 10 und Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EU zu qualifizieren.
[48] Eine Abschalteinrichtung, deren einziger Zweck darin besteht, die Einhaltung der in der VO 715/2007/EU vorgesehenen Grenzwerte allein während der Zulassungstests sicherzustellen, läuft der Verpflichtung zuwider, bei normalen Nutzungsbedingungen des Fahrzeugs eine wirkungsvolle Begrenzung der Emissionen sicherzustellen (, CLCV, Rn 98, ÖJZ 2021/38 [Kumin/Maderbacher]). Daher kann eine Abschalteinrichtung – wie die auch im vorliegenden Fall zu beurteilende Einrichtung –, die bei Zulassungsverfahren systematisch die Leistung des Emissionskontrollsystems verbessert, damit die in der VO 715/2007/EU festgelegten Emissionsgrenzwerte eingehalten werden können und so die Zulassung dieser Fahrzeuge erreicht wird, nicht unter die Ausnahmebestimmung des Art 5 Abs 2 Satz 2 lit a VO 715/2007/EU fallen (, CLCV, Rn 115).
[49] I.C.2.3. Nach dem Urteil C-145/20 des EuGH (Rs Porsche Inter Auto und Volkswagen, ÖJZ 2022/114 [Brenn]; s dazu Schröder, Thermofenster vor dem EuGH, Anmerkung zu den Urteilen vom [Rs C-128/20, C-134/20 und C-145/20], NZV 2022, 408; Janssen, The Dieselgate Saga: the Next Round, EuCML 2022, 169; Mehring, Kein acte éclairé zum Begriff der Abschalteinrichtung, NJW 2022, 2587; Bach, Thermofenster als zum Rücktritt berechtigender Sachmangel, LMK 2022, 813515) ist ein Kfz, das im Zeitpunkt der bedungenen Übergabe mit einer gemäß Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EU verbotenen Abschalteinrichtung ausgestattet ist, nicht vertragskonform im Sinne der Verbrauchsgüterkauf-RL (Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom zu bestimmten Aspekten des Verbrauchsgüterkaufs und der Garantien für Verbrauchsgüter, Abl L 171/12 vom ), konkret deren Art 2 Abs 2 lit d, weil es nicht die Qualität aufweist, die bei Gütern der gleichen Art üblich ist und die der Verbraucher vernünftiger Weise erwarten kann (Beantwortung der Frage 1).
[50] I.C.2.4. Diese Beurteilung nach der Verbrauchsgüterkauf-RL führt auch zur Qualifikation eines solchen Kfz als mangelhaft gemäß § 922 ABGB, weil es nicht die gewöhnlich vorausgesetzten Eigenschaften aufweist (vgl zu § 434 BGB den Hinweisbeschluss des BGH vom , VIII ZR 225/17 Rn 17). Diese Beurteilung beruht außerhalb von Verbrauchergeschäften auf dem Umstand, dass das österreichische Gewährleistungsrecht (in der hier anwendbaren Fassung) in weiten Teilen auf der Verbrauchsgüterkauf-RL basiert und der Wille des Gesetzgebers des GewRÄG 2001 (BGBl I 2001/48) darauf gerichtet war, ein einheitliches – also nicht auf die Verbrauchereigenschaft eines Vertragspartners abstellendes – Gewährleistungsrecht zu schaffen (ErläutRV 422 BlgNR 21. GP 8). Daher sind die Vorgaben der Richtlinie bei der Auslegung der nationalen Vorschriften besonders zu berücksichtigen (P. Bydlinski in KBB6 Vor §§ 922 ff ABGB Rz 1; Ofner in Schwimann/Kodek, Praxiskommentar5 [2021] § 922 ABGB Rz 2; vgl Reischauer in Rummel/Lukas, ABGB4 Vor §§ 922 ff Rz 7; zu den – hier nicht vorliegenden – Voraussetzungen einer gespaltenen Auslegung s nur 9 Ob 64/13x EvBl 2014/89, 612 [Perner] = ZVB 2014/109, 363 [Kraus] = VbR 2014/114, 191 [Steurer] = ecolex 2015/2, 21 [Schoditsch]; vgl 7 Ob 94/14w ZRB 2015, 99 [Wenusch]; RS0129424).
[51] I.C.2.5. Das Vorhandensein der „Umschaltlogik“ begründet daher einen Mangel iSd § 922 ABGB. Da es sich dabei um einen Mangel der Substanz des Fahrzeugs handelt, ist er als Sachmangel zu qualifizieren.
[52] I.C.2.6. Darauf, ob darüber hinaus ein Rechtsmangel darin zu sehen ist, dass die Typengenehmigung nicht rechtsbeständig sei, woran nach dem Klagevorbringen auch die Billigung des Software-Updates durch das KBA nichts geändert habe (vgl zur latenten Möglichkeit der Betriebsuntersagung BGH , VIII ZR 190/19 Rz 82), muss im vorliegenden Fall nicht eingegangen werden, weil bereits die nicht erfolgreiche Behebung des Sachmangels die begehrte Wandlung rechtfertigt (dazu im Folgenden).
I.C.3. Zur Behebbarkeit des bei Übergabe vorhandenen Sachmangels
[53] I.C.3.1. Liegt ein behebbarer Mangel vor, besteht gemäß § 932 Abs 2 ABGB zunächst (nur) ein Verbesserungsanspruch.
[54] I.C.3.2. Da die Erstbeklagte dem Kläger aus dem Kaufvertrag ein nicht mit einer nach Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EU verbotenen Abschalteinrichtung ausgestattetes Fahrzeug schuldete (oben I.C.2.3.), setzt eine Verbesserung iSd § 932 ABGB voraus, dass das Fahrzeug nach Durchführung der Verbesserung nicht mehr mit einer solchen verbotenen Abschalteinrichtung ausgestattet wäre. Es ist daher zu beurteilen, ob dieser Zustand durch die von der Beklagten angebotene Durchführung des Software-Updates erreicht worden wäre. Das ist nicht der Fall:
[55] I.C.3.3. Die neu installierte Software beinhaltet ein „Thermofenster“, aufgrund dessen der emissionsmindernde Betriebsmodus nicht mehr nur im Prüfbetrieb, sondern auch im Fahrbetrieb zum Einsatz kommt, allerdings nur bei Außentemperaturen zwischen 15 und 33 Grad Celsius voll wirksam ist.
[56] I.C.3.4. Dass das „Thermofenster“ als Abschalteinrichtung iSd Art 3 Z 10 VO 715/2007/EU zu qualifizieren ist, ist nicht zweifelhaft (EuGH C-145/20, Porsche Inter Auto und Volkswagen, Rn 81). Zu prüfen ist daher weiter, ob die hier zu beurteilende Abschalteinrichtung – das „Thermofenster“ in seiner konkreten Ausgestaltung – verboten ist.
[57] I.C.3.5. Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EU normiert ein grundsätzliches, von Ausnahmen durchbrochenes Verbot von Abschalteinrichtungen. Nach Art 5 Abs 2 Satz 1 VO 715/2007/EU ist die Verwendung von Abschalteinrichtungen, die die Wirkung von Emissionskontrollsystemen verringern, unzulässig. Von diesem Verbot normiert Art 5 Abs 2 Satz 2 drei Ausnahmen. Die Beklagten nehmen für sich – wenn auch nur indirekt durch Verweis auf die Rechtsansicht des KBA – die Ausnahmebestimmung des Art 5 Abs 2 Satz 2 lit a VO 715/2007/EU in Anspruch.
[58] I.C.3.6. Nach dieser Bestimmung muss die Abschalteinrichtung, um zulässig zu sein, notwendig sein, um den Motor vor Beschädigung oder Unfall zu schützen und um den sicheren Betrieb des Fahrzeugs zu gewährleisten.
[59] In Anbetracht der Tatsache, dass die Ausnahme eng auszulegen ist, kann eine solche Abschalteinrichtung nur dann ausnahmsweise zulässig sein, wenn nachgewiesen ist, dass diese Einrichtung ausschließlich notwendig ist, um die durch eine Fehlfunktion eines Bauteils des Abgasrückführsystems verursachten unmittelbaren Risiken für den Motor in Form von Beschädigung oder Unfall zu vermeiden, Risiken, die so schwer wiegen, dass sie eine konkrete Gefahr beim Betrieb des mit dieser Einrichtung ausgestatteten Fahrzeugs darstellen (EuGH C-145/20, Porsche Inter Auto und Volkswagen, Rn 73; C-128/20, GSMB Invest, Rn 62; C-134/20, IR gegen Volkswagen, Rn 74; C-873/19, Deutsche Umwelthilfe, Rn 89, ÖJZ 2023/16 [Brenn]).
[60] Dabei ist eine Abschalteinrichtung nur dann „notwendig“ iSd Art 5 Abs 2 Satz 1 lit a VO 715/2007/EU, wenn zum Zeitpunkt der EG-Typgenehmigung dieser Einrichtung oder des mit ihr ausgestatteten Fahrzeugs keine andere technische Lösung unmittelbare Risiken für den Motor in Form von Beschädigung oder Unfall, die beim Fahren eines Fahrzeugs eine konkrete Gefahr hervorrufen, abwenden kann (EuGH C-873/19, Deutsche Umwelthilfe, Rn 95).
[61] I.C.3.7. Der Europäische Gerichtshof hat darüber hinaus klargestellt, dass – ungeachtet des Vorliegens der in Art 5 Abs 2 Satz 2 lit a VO 715/2007/EU normierten Voraussetzungen – eine Abschalteinrichtung, die unter normalen Betriebsbedingungen den überwiegenden Teil des Jahres funktionieren müsste, damit der Motor vor Beschädigung oder Unfall geschützt und der sichere Betrieb des Fahrzeugs gewährleistet ist, nicht unter die Verbotsausnahme des Art 5 Abs 2 Satz 2 lit a VO 715/2007/EU fällt (Urteile C-145/20, Porsche Inter Auto und Volkswagen, Rn 73, 81; C-128/20, GSMB Invest, Rn 65, 70; C-134/20, IR gegen Volkswagen, Rn 77, 82; C-873/19, Deutsche Umwelthilfe, Rn 90 f).
[62] I.C.3.8. Unabhängig davon, ob die in Art 5 Abs 2 Satz 2 lit a VO 715/2007/EU normierten Voraussetzungen des Motorschutzes erfüllt sind, ist die Abschalteinrichtung somit jedenfalls unzulässig, wenn sie den überwiegenden Teil des Jahres funktionieren müsste. Es kommt für die Zulässigkeit der Abschalteinrichtung daher darauf an, ob sie aufgrund der vorherrschenden Außentemperaturen im überwiegenden Teil des Jahres funktionieren müsste, damit der Motor vor Beschädigung oder Unfall geschützt ist und der sichere Betrieb des Fahrzeugs gewährleistet ist.
[63] I.C.3.9. Wendet man die rechtlichen Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs auf den hier zu beurteilenden Fall an, so zeigt sich, dass die Feststellungen zu dem beim vorliegenden Fahrzeugtyp vorhandenen „Thermofenster“ nicht ausreichen, um beurteilen zu können, ob die Voraussetzungen der Verbotsausnahme des Art 5 Abs 2 Satz 2 lit a VO 715/2007/EU im Hinblick auf die Notwendigkeit der Abschalteinrichtung für den Motorschutz in der engen Auslegung des Europäischen Gerichtshofs erfüllt sind. Das Erstgericht hat zwar Feststellungen dazu getroffen, welche Folgen die volle Abgasrückführung außerhalb des Temperaturbereichs zwischen 15 und 33 Grad Celsius haben könnte. Daraus ist aber – wie das Berufungsgericht zutreffend hervorhebt – nicht ersichtlich, ob und inwiefern eine konkrete Gefahr beim Betrieb des Fahrzeugs entsteht, die durch keine andere technische Lösung abgewendet werden könnte.
[64] Entgegen der – im Rahmen der Verfahrensrüge überprüfbaren (RS0040078 [T1]) – Beurteilung des Berufungsgerichts reicht die Tatsachengrundlage aber aus, um eine Sachentscheidung über die Ansprüche gegen die Erstbeklagte zu treffen, weil bereits aufgrund eines schlüssigen Tatsachengeständnisses der Beklagten feststeht, dass die Abgasrückführung beim vorliegenden Fahrzeugtyp nach dem Software-Update aufgrund der im deutschsprachigen Raum herrschenden klimatischen Verhältnisse nur in vier oder fünf Monaten im Jahr voll aktiv ist:
[65] I.C.3.10. Tatsachen, die der Prozessgegner iSd §§ 266, 267 ZPO ausdrücklich oder schlüssig zugestanden hat, bedürfen keines Beweises (RS0039941 [T6]). Sie sind der Entscheidung – auch im Rechtsmittelverfahren – ohne weiteres zugrunde zu legen (RS0040101; 3 Ob 215/19t). Eine unterbliebene Bestreitung ist dann als Zugeständnis zu werten, wenn gewichtige Indizien dafür sprechen (RS00399412 [T3, T4]), etwa, weil eine Behauptung offenbar leicht widerlegbar wäre (vgl RS0039927).
[66] I.C.3.11. Der Kläger brachte in seinem Schriftsatz vom vor, das mit dem Software-Update installierte „Thermofenster“ sei keine erlaubte Abschalteinrichtung im Sinn des Ausnahmetatbestands des Art 5 Abs 2 Satz 2 lit a VO 715/2007/EU, weil ein System, nach dem die Abgasrückführung nur bei Umgebungstemperaturen zwischen 15 und 33 Grad Celsius voll aktiv sei, dazu führe, dass die Abgasrückführung in Österreich nur während vier bis fünf Monaten voll wirksam sei. Das kehre das Regel-Ausnahme-Verhältnis um und laufe dem Regelungszweck zuwider.
[67] Die Beklagten replizierten darauf (Schriftsatz vom ) es treffe nicht zu, dass in Form des „Thermofensters“ eine neue unzulässige Abschalteinrichtung eingebaut worden sei. Nach dem Software-Update finde eine volle Abgasrückführung zwar lediglich zwischen 15 und 33 Grad Celsius statt, während außerhalb dieser Temperaturbedingungen eine „Korrektur“ der Abgasrückführung „über die Frischluftzufuhr“ vorgenommen werde. Dies diene aber dem Schutz „bestimmter Bauteile von Motor und Abgasanlage unter- oder oberhalb festgelegter Temperaturen“. Dies sei vom KBA in den jeweiligen Freigabebescheinigungen bestätigt worden; zudem würden Thermofenster durch alle Hersteller von Dieselmotoren zum Bauteilschutz verwendet.
[68] I.C.3.12. Die Beklagten haben damit zu dem aus der temperaturabhängigen Programmierung abgeleiteten Vorbringen des Klägers konkret Stellung genommen. Sie haben das Klagevorbringen, dass die Abgasrückführung in Österreich nur zwischen vier und fünf Monaten im Jahr voll wirksam sei, auf Tatsachenebene nicht bestritten, sondern vielmehr auf einen anderen Aspekt, nämlich den Schutz von Bauteilen verwiesen. Da ein Vorbringen zu den vorherrschenden Temperaturen und der zeitlichen Wirksamkeit der Abgasrückführung leicht zu erstatten gewesen wäre und die Beklagten auf das Klagevorbringen konkret Bezug genommen haben, haben sie die Grundlage für die vom Kläger behauptete Umkehr des Regel-Ausnahme-Verhältnisses – dass die Abschalteinrichtung aufgrund der klimatischen Bedingungen im überwiegenden Teil des Jahres die volle Abgasrückführung vermindert – zugestanden.
[69] Der Umstand, dass der Europäische Gerichtshof die Rechtsansicht des Klägers zur dargestellten Umkehr des Regel-Ausnahme-Verhältnisses teilte, begründet – wie der Kläger im Rekurs zutreffend geltend macht – keinen Erörterungsbedarf nach den §§ 182, 182a ZPO, weil dieser Beurteilung keine von den Beklagten unbeachtete Rechtsansicht zugrunde liegt. Auf die Offenkundigkeit (RS0037536; RS0040240; RS0040219) der vorherrschenden Temperaturverhältnisse (vgl nur die im Statistischen Jahrbuch Österreichs, herausgegeben von der Statistik Austria, veröffentlichten Lufttemperaturen [Rubrik 1.08: Messpunkte Wien Hohe Warte, Eisenstadt, Klagenfurt, St. Pölten, Linz-Hörsching, Irdning-Gumpenstein, Graz-Flughafen, Innsbruck-Universität und Feldkirch, alle abrufbar auf der Website der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik www.zamg.ac.at/cms/de/klima/klimauebersichten/jahrbuch]) ist aufgrund des Tatsachengeständnisses nicht weiter einzugehen.
[70] I.C.3.13. Ebenfalls unbestritten blieb im Verfahren erster Instanz das Klagevorbringen, wonach die Reduktion der Abgasrückführung unterhalb von 15 Grad Celsius Umgebungstemperatur (und nicht etwa Ladelufttemperatur, vgl dazu die Wiedergabe der Parteienerklärungen im Verfahren C-128/20 [Rn 28] des EuGH) einsetzt. Von diesem Sachverhalt hat der Oberste Gerichtshof auszugehen.
[71] I.C.3.14. Aufgrund des mit dem Software-Update verbundenen „Thermofensters“ wäre die Abgasrückführung beim Fahrzeug des Klägers nur zwischen vier und fünf Monaten des Jahres voll aktiv. Im übrigen, überwiegenden Teil des Jahres wäre die Abgasrückführung hingegen durch die programmierte Abschalteinrichtung reduziert.
[72] Da die Abschalteinrichtung – das hier zu beurteilende „Thermofenster“ – unter normalen Betriebsbedingungen den überwiegenden Teil des Jahres funktioniert, wäre sie nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (Urteile C-145/20, Porsche Inter Auto und Volkswagen, Rz 73, 81; C-128/20, GSMB Invest, Rn 65, 70; C-134/20, IR gegen Volkswagen, Rn 77, 82; C-873/19, Deutsche Umwelthilfe, Rn 90 f) selbst dann nicht nach dem Ausnahmetatbestand des Art 5 Abs 2 Satz 2 lit a VO 715/2007/EU zulässig, wenn sie erforderlich wäre, um den Motor vor Beschädigung oder Unfall zu schützen und den sicheren Betrieb des Fahrzeugs zu gewährleisten.
[73] Die nach einem Software-Update beim Fahrzeug des Klägers vorhandene Programmierung, aufgrund derer der emissionsmindernde Modus zwar auch außerhalb des Prüfstandsbetriebs, aber nur bei Außen- oder Umgebungstemperaturen zwischen 15 und 33 Grad Celsius voll wirksam wäre, fällt daher nicht unter die Verbotsausnahme des Art 5 Abs 2 Satz 2 lit a VO 715/2007/EU.
[74] I.C.3.15. Soweit die Beklagten vorbringen, sämtliche Hersteller von Dieselfahrzeugen würden „Thermofenster“ implementieren, ist klarzustellen, dass der Oberste Gerichtshof in der vorliegenden Entscheidung nicht zur Zulässigkeit jeglicher „Thermofenster“ schlechthin Stellung zu nehmen hat. Es ist vielmehr das beim hier vorliegenden Fahrzeugtyp implementierte „Thermofenster“ in seiner konkreten Ausprägung zu beurteilen, also eine Abschalteinrichtung, die die Abgasrückführung bereits bei Unterschreiten einer Außentemperatur von 15 Grad Celsius reduziert und eine volle Abgasrückführung nur bei Außentemperaturen zwischen 15 und 33 Grad Celsius zulässt.
[75] I.C.3.16. Aus den dargestellten Erwägungen folgt, dass das Fahrzeug des Klägers auch nach der angebotenen Verbesserung durch Installation des Software-Updates mit einer gemäß Art 5 Abs 2 Satz 2 VO 715/2007/EU verbotenen Abschalteinrichtung ausgestattet wäre. Es wäre daher auch nach der angebotenen Verbesserung weiterhin mangelhaft iSd § 922 ABGB.
I.C.4. Zur Wandlung
[76] I.C.4.1. Nach § 932 ABGB kann der Übernehmer zunächst nur die Verbesserung oder den Austausch der Sache verlangen, es sei denn, sowohl Verbesserung als auch Austausch sind unmöglich, für den Übergeber mit einem unverhältnismäßig hohen Aufwand verbunden (§ 932 Abs 4 Satz 1 ABGB); dasselbe gilt, wenn der Übergeber die Verbesserung oder den Austausch verweigert oder nicht in angemessener Frist vornimmt, wenn diese Abhilfen für den Übernehmer mit erheblichen Unannehmlichkeiten verbunden wären oder wenn sie ihm aus triftigen, in der Person des Übergebers liegenden Gründen unzumutbar sind (§ 932 Abs 4 Satz 2 ABGB).
[77] Der Einwand der Beklagten, der Kläger habe die Verbesserung abgelehnt und sie daher selbst vereitelt, ist schon deswegen unberechtigt, weil der Mangel durch das Software-Update nicht behoben worden wäre. Aus dem Verhalten der Erstbeklagten ist im Übrigen abzuleiten, dass sie eine Verbesserung (in anderer Form als durch das Software-Update) nachhaltig verweigerte.
[78] Nach ständiger Rechtsprechung kann der Übernehmer schon bei Misslingen des ersten Verbesserungsversuchs den Sekundärbehelf (Wandlung oder Preisminderung) in Anspruch nehmen (RS0018722 [T2]; RS0018702 [T9]; jüngst 9 Ob 83/21b). Dasselbe muss gelten, wenn – wie hier – nur eine Maßnahme angeboten wird, die zur Herstellung eines einwandfreien Zustands nicht geeignet ist, während andere Maßnahmen kategorisch abgelehnt werden.
[79] I.C.4.2. Die Wandlung setzt gemäß § 932 Abs 4 ABGB überdies voraus, dass der Mangel nicht geringfügig ist. Ob ein Mangel als geringfügig anzusehen ist oder nicht, ist an Hand einer Interessenabwägung zu beurteilen, bei der sowohl die Verhältnismäßigkeit und Angemessenheit der Aufhebung des Vertrags im Hinblick auf die damit verbundenen Folgen für die Parteien, aber auch die „Schwere“ des Mangels zu berücksichtigen sind (RS0119978 [T5]; 6 Ob 240/19s ErwGr 1.3. mwN, EvBl 2021/54 [Painsi; I. Vonkilch] = JBl 2021, 589 [W. Faber] = ZVR 2022/75, 176 [Huber] = ecolex 2021/153, 207 [Buchleitner]).
[80] I.C.4.3. Dem Ausschluss des Wandlungsrechts bei Geringfügigkeit des Mangels liegt Art 3 Abs 6 Verbrauchsgüterkauf-RL zugrunde. Diese Bestimmung ist dahin auszulegen, dass eine Vertragswidrigkeit, die darin besteht, dass ein Fahrzeug mit einer Abschalteinrichtung ausgestattet ist, deren Verwendung nach Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EU verboten ist, nicht als geringfügig eingestuft werden kann, selbst wenn der Verbraucher – falls er von der Existenz und dem Betrieb dieser Einrichtung Kenntnis gehabt hätte – dieses Fahrzeug dennoch gekauft hätte (EuGH C-145/20, Porsche Inter Auto und Volkswagen, Rn 82 ff, 97).
[81] I.C.4.4. Im vorliegenden Fall lag bei Übergabe des Fahrzeugs ein Mangel vor, der darin bestand, dass eine gemäß Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EU verbotene Abschalteinrichtung – die „Umschaltlogik“ – vorhanden war. Dieser Mangel sollte durch die Durchführung eines Software-Updates behoben werden. Der angebotene Verbesserungsversuch war jedoch untauglich, weil danach immer noch eine unzulässige Abschalteinrichtung vorhanden gewesen wäre. Die Unzulässigkeit folgt – wie oben
ausgeführt – daraus, dass nach Installation des Software-Updates eine Abschalteinrichtung vorliegt, die unter normalen Betriebsbedingungen den überwiegenden Teil des Jahres aktiv ist, sodass es nicht darauf ankommt, ob sie ausschließlich notwendig ist, damit der Motor vor Beschädigung oder Unfall geschützt und der sichere Betrieb des Fahrzeugs gewährleistet ist. Dieser Mangel ist nach der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs zu C-145/20 auch nicht geringfügig.
[82] Die vom Kläger geltend gemachte Wandlung ist daher berechtigt.
I.D. Rückabwicklung und Benützungsentgelt
I.D.1. Zur Geltendmachung des Benützungs-entgelts
[83] I.D.1.1. Nach Auflösung eines Vertrags durch Anfechtung oder Wandlung hat gemäß § 877 (bei Gewährleistung iVm § 932 ABGB) iVm §§ 1435 ff ABGB jeder Teil alles zurückzustellen, was er aus einem solchen Vertrag zu seinem Vorteil erlangt hat. Stehen beiden Teilen Rückforderungsansprüche zu, so brauchen diese nur Zug um Zug erfüllt zu werden (RS0016321; 4 Ob 70/18z; 8 Ob 59/16h).
[84] I.D.1.2. Die Rückabwicklung Zug um Zug ist nur auf Einrede zu beachten. Der Beklagte muss seinen Bereicherungsanspruch daher grundsätzlich durch Zug-um-Zug-Einrede geltend machen (RS0086350; 4 Ob 70/18z; 8 Ob 59/16h). Der Kläger kann die Zug-um-Zug-Verpflichtung allerdings auch selbst durch entsprechende Beifügung in der Klage anbieten (4 Ob 70/18z; 9 Ob 5/15y; vgl RS0041069). Zieht er das Benützungsentgelt also schon von sich aus in der Klage vom geltend gemachten Zahlungsanspruch ab, so rechnet er mit einem Teil seiner Kapitalforderung gegen eine (von ihm erwartete und akzeptierte) Gegenforderung des Beklagten auf (4 Ob 70/18z; RS0019850 [T12]).
[85] I.D.1.3. Bei einem Kaufvertrag ist der primäre Bereicherungsanspruch des beklagten Verkäufers auf die Rückgabe der vom Käufer empfangenen Leistung, also auf Rückgabe der Sache in Natur gerichtet (4 Ob 70/18z; 6 Ob 265/01s). Bereicherungsansprüche des beklagten Verkäufers können aber auch in Geld bestehen. Im Fall der Einwendung müssen sie konkretisiert und beziffert werden, damit sie das Gericht – im Weg der prozessualen
Aufrechnung – berücksichtigen kann (vgl 6 Ob 265/01s). Derartige Ansprüche des Beklagten sind somit grundsätzlich als Gegenforderungen einzuwenden (4 Ob 70/18z; vgl 8 Ob 74/13k; 10 Ob 32/15a ua).
[86] I.D.1.4. Dies ist im vorliegenden Fall geschehen.
[87] I.D.1.5. Im vorliegenden Fall brachte der Kläger bereits in der Klage vor, sich ein Benützungsentgelt von 4.688,24 EUR anzurechnen, welches er linear aus der absolvierten Laufleistung (dem aktuellen Kilometerstand abzüglich jenem beim Kauf) des Fahrzeugs ableitete. Die Beklagten bemängelten die Höhe des vom Kläger angerechneten Benützungsentgelts als zu gering und berechneten das Benützungsentgelt anhand der Differenz zwischen dem angemessen Kaufpreis im Zeitpunkt des Kaufvertrags und dem Händlereinkaufspreis als Weiterverkaufspreis (Schriftsatz vom ). In der mündlichen Streitverhandlung am wendeten sie – nach Erstattung des Sachverständigengutachtens – für den Fall des teilweisen Zurechtbestehens der Klageforderung ein Benützungsentgelt von 14.690 EUR aufrechnungsweise ein. Dieser Gegenforderung liegt erkennbar der tatsächlich vom Kläger gezahlte Kaufpreis und ein Weiterverkaufspreis von 12.200 EUR zugrunde.
[88] I.D.1.6. Auch ohne Bezugnahme auf das vom Kläger bereits von der Klageforderung in Abzug gebrachte Benützungsentgelt ergibt sich mit hinreichender Deutlichkeit, dass die Beklagten der Klageforderung, die der Kläger aufgrund eines Abzugs eines Benützungsentgelts von 4.688,24 EUR vom Kaufpreis (26.890 EUR) mit 22.201,76 EUR bezifferte, eine Gegenforderung von (lediglich) 10.001,76 EUR (von den Beklagten behauptetes Nutzungsentgelt von 14.690 EUR abzüglich des vom Kläger bereits berücksichtigten Benützungsentgelts von 4.688,24 EUR) entgegen halten.
[89] I.D.1.7. Da das Erstgericht die Klageforderung nicht als zu Recht bestehend annahm, hatte es über die Gegenforderung nicht abzusprechen. Da diese Rechtsansicht vom Obersten Gerichtshof nicht geteilt wird, ist die Gegenforderung zu prüfen.
[90] Nach der Rechtsprechung ist bei der Kondiktion von Leistungen aus gegenseitigen Verträgen, bei denen die Parteien regelmäßig von der Annahme einer Äquivalenz der beiderseitigen Leistungen ausgehen, eine Verpflichtung des redlichen Besitzers, die nach der Herstellung des Austauschverhältnisses bezogenen Früchte und Nutzungen herauszugeben, zu verneinen; der redliche Empfänger des Kaufpreises aus einem schwebend unwirksamen Vertrag darf nach dem Wegfall des Rechtsgrundes daher die Zinsen behalten, wenn auch der Käufer in der Zwischenzeit in den als äquivalent angesehenen Genuss der Kaufsache gekommen ist (RS0010214; krit Kerschner, Rückabwicklung gegenseitiger Verträge, JBl 2001, 756, nach dem dies nur in Ausnahmsfällen angenommen werden könne). Eine solche – einem Anspruch auf Benützungsentgelt entgegenstehende – „Pauschalverrechnung“ setzt daher voraus, dass die Hauptleistungen als annähernd gleichwertig angesehen werden können, woran es aber fehlt, wenn die benützte Sache – wie dies bei Kraftfahrzeugen angenommen wird – einer starken gebrauchsbedingten Wertminderung unterliegt (G. Kodek in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang3 § 330 ABGB Rz 20; Lurger in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.07 § 330 Rz 5 [Stand , rdb.at]).
[91] Da die Parteien übereinstimmend davon ausgehen, dass der Kläger grundsätzlich ein Benutzungsentgelt schuldet, müssen die Fragen, wann eine solche Pauschalverrechnung einen Anspruch auf Benützungsentgelt ausschließt und ab wann der Kläger nicht mehr als redlich angesehen werden kann, nicht abschließend beantwortet werden. Der Kläger hat der Erstbeklagten daher ein Benützungsentgelt für die Nutzung des Fahrzeugs zu entrichten.
I.D.2. Zur Höhe des Benützungsentgelts
[92] I.D.2.1. Ausgangspunkt aller Erwägungen zur Ermittlung des Benützungsentgelts, das der mit dem Aufhebungs- oder Wandlungsbegehren durchdringende Kläger schuldet, ist, dass das Entgelt dem verschafften Nutzen angemessen sein muss (vgl RS0019850; dies betonend etwa 8 Ob 74/13k).
[93] I.D.2.2. Nach ständiger Rechtsprechung hängt die Beurteilung der Frage, ob bzw welchen Nutzen sich der Kläger im Fall eines berechtigten Wandlungsbegehrens als Benützungsentgelt anrechnen lassen muss, von den Umständen des Einzelfalls ab (4 Ob 21/21y; 3 Ob 131/19i; 8 Ob 59/16h = RS0018534 [T13]). Das folgt schon daraus, dass der Gebrauchsnutzen, den der Übernehmer aus einer Sache ziehen konnte, keine exakt messbare Größe ist (vgl etwa BGH , VIII ZR 111/20 Rz 52, 72 [„Schätzungsermessen“]), auch wenn das begehrte Benützungsentgelt im Prozess beziffert werden muss. Abhängig von dem mit der Beweisaufnahme verbundenen Aufwand und dem Streitwert kann die Bemessung des angemessenen Benützungsentgelts daher gemäß § 273 ZPO erfolgen (RS0018534 [T5]; 3 Ob 131/19i).
[94] I.D.2.3. In diesem Sinn erachtete der Oberste Gerichtshof in seiner Rechtsprechung unterschiedliche Herangehensweisen zur Ermittlung des Gebrauchsnutzens als vertretbar.
[95] So billigte er jüngst zu 4 Ob 21/21y die Ermittlung des Benützungsentgelts nach der Rückabwicklung eines Gebrauchtwagenkaufs anhand der Formel „Gebrauchsvorteil = vereinbarter Kaufpreis x gefahrene Kilometer in der Nutzungsphase : erwartete Restlaufleistung“, wies aber gleichzeitig darauf hin, dass es sich nicht um die einzig zulässige Methode der Ausmittlung des Nutzungsentgelts handle: So sei nach der Entscheidung 5 Ob 274/09v bei der Bemessung der Höhe des angemessenen Benützungsentgelts im Fall der Rückabwicklung von Kaufverträgen über Kfz jener Aufwand zu ermitteln, den ein Käufer hätte tragen müssen, um sich den Gebrauchsnutzen eines gleichwertigen Gegenstands durch Kauf und Weiterverkauf nach Gebrauch zu verschaffen. Dies erfolge dadurch, dass vom konkret angemessenen Kaufpreis für das übergebene (mangelhafte) Fahrzeug der Händlereinkaufspreis im Fall der Weiterveräußerung durch den Kläger nach dem Verbrauch abgezogen werde (vgl die Darstellung in 4 Ob 21/21y).
[96] I.D.2.4. Zum Verständnis der unterschiedlichen Ermittlungsansätze greift der isolierte Blick auf einzelne Entscheidungen allerdings zu kurz; dies insbesondere dann, wenn – wie zu 5 Ob 274/09v – die Methode der Ermittlung des Gebrauchsnutzens vom dortigen Revisionswerber gar nicht in Frage gestellt wurde. Es ist vielmehr erforderlich, auf die Erwägungen einzugehen, die den unterschiedlichen Ansätzen zugrunde liegen.
[97] I.D.2.5. Der Ansatz, auf den Kaufpreis abzüglich des Händlereinkaufspreises im Rückabwicklungszeitpunkt abzustellen (degressive Abwertung, Händlereinkaufspreismethode), wurde in Entscheidungen entwickelt, in denen darüber abzusprechen war, ob bei der Bemessung des im Rahmen der Rückabwicklung eines Vertragsverhältnisses zu vergütenden Gebrauchsnutzens der ortsübliche Mietzins für eine gleichartige Sache heranzuziehen sei. Betrachtet man die dazu ergangenen frühen Entscheidungen, wird klar, dass es sich dabei um eine Begrenzung des geschuldeten Benützungsentgelts nach oben handelte:
[98] Der Oberste Gerichtshof lehnte die Ausmessung des Benützungsentgelts anhand eines fiktiven Mietzinses mit der Begründung ab, dass diese Methode zu unbilligen Ergebnissen führe, wenn es sich um Sachen handle, die auf lange Zeit üblicher Weise nicht gemietet, sondern käuflich erworben werden. Dies deshalb, weil ein am Mietzins orientiertes Benützungsentgelt in solchen Fällen schon in verhältnismäßig kurzer Zeit die Höhe des Barkaufpreises erreichen würde (grundlegend 5 Ob 575/85 zu einem Pkw; vgl 9 Ob 712/91 zu einem Radlader, in welchem Fall der Gebrauchsnutzen durch Bezugnahme auf die Lebensdauer des Fahrzeugs, also linear, ausgemittelt wurde; 1 Ob 516/92 zum Kauf eines Reitpferds; RS0018534).
[99] I.D.2.6. Vor diesem Hintergrund wurde es beim Kauf eines Pkw nach der Aufhebung des Kaufvertrags wegen Verzugs des Käufers (§ 921 ABGB) als sachgerecht angesehen, bei der Rückabwicklung auf den Aufwand abzustellen, den der Käufer hätte tätigen müssen, um sich den Gebrauchsnutzen eines dem gekauften gleichwertigen Pkw zu verschaffen (5 Ob 575/85).
[100] Die Frage, ob es gerechtfertigt ist, den in den ersten Jahren hohen Wertverlust eines Neuwagens dem Käufer aufzubürden, stellte sich im Fall 5 Ob 575/85 schon deshalb nicht, weil ein Gebrauchtwagenkauf zu beurteilen war. Es musste auch nicht auf die Frage eingegangen werden, ob die Gegenüberstellung des ursprünglichen Kaufpreises (Händlerverkaufspreises) mit dem Händlereinkaufspreis zum Zeitpunkt der Vertragsrückabwicklung den Käufer zu Unrecht mit der Handelsspanne des Verkäufers belaste, weil der dortige Käufer nur ein Wrack (mit einem Wrackwert) zurückstellen konnte (vgl 5 Ob 575/85).
[101] I.D.2.7. Die angesprochene, auch im vorliegenden Fall relevante Frage der Tragung des hohen Wertverlusts bei Neuwägen ist in der Rechtsprechung aber schon seit langem erkannt. Bereits in der Entscheidung 1 Ob 516/92 schloss sich der Oberste Gerichtshof der Ansicht Honsells (in Schwimann, ABGB [1987] § 1437 Rz 4; vgl nunmehr Mader in Schwimann/Kodek, Praxiskommentar4 [2016] § 1437 ABGB Rz 14) an, dass dem Käufer, der die Rückabwicklung nicht zu vertreten hat, nicht auf dem Weg des Benützungsentgelts die Wertminderung aufgebürdet werden dürfe, die die Sache durch den Verlust der Neuheit erleide.
[102] Dem ist die mittlerweile ständige Rechtsprechung gefolgt: Demnach geht es nicht an, den Käufern, die die Wandlung nicht zu vertreten haben, die – gerade bei neuen Fahrzeugen oder Geräten am Anfang sehr hohe – Wertminderung durch Zeitablauf („degressive Abschreibung“) anzulasten (1 Ob 516/92; 3 Ob 550/95; 3 Ob 248/08d; vgl 5 Ob 274/09v; 4 Ob 21/21y). Ebenso wenig haben die Käufer, die die Rückabwicklung nicht zu vertreten haben, die merkantile Wertminderung zu tragen, die durch eine verzögerte Rückabwicklung – also nach Geltendmachung der Wandlung – eintritt (8 Ob 74/13k).
[103] I.D.2.8. Die Zuordnung des Wertverlusts der Sache zum Verkäufer und nicht zum Käufer, der die Wandlung nicht zu vertreten hat, folgt aus der Erwägung, dass durch eine Bemessung der Bereicherung nach der Wertminderung des Guts nicht der Gebrauchsnutzen des rückabwicklungsberechtigten Käufers abgeschöpft, sondern der Vermögensnachteil des vertragswidrig handelnden Verkäufers ausgeglichen wird (3 Ob 550/95; 2 Ob 95/06v ecolex 2007/363 [Wilhelm]; vgl 8 Ob 74/13k [der Übernehmer kann aus der Wertminderung keinen Vorteil ziehen]). Es sei daher erforderlich, den Anteil an der Wertminderung zu ermitteln, der auf die gebrauchsbedingte Abnützung zurückzuführen sei; nur diesen Anteil habe der bereicherte Käufer bei der Rückabwicklung zu ersetzen (3 Ob 248/08d). Auch ausgehend vom Ansatz der „Händlereinkaufspreis-Methode“ verlangt die Rechtsprechung daher, dass aus dem Preis, um den der rückabwicklungsberechtigte Käufer die Sache wieder verkaufen hätte können, der Wertverlust wegen des Verlusts der Neuheit der Sache auszuscheiden ist (vgl 3 Ob 248/08d; vgl 3 Ob 131/19i).
[104] I.D.2.9. Zu 8 Ob 74/13k nahm der Oberste Gerichtshof zur Frage Stellung, bis zu welchem Zeitpunkt – jenem der Wandlungserklärung oder der Rückstellung der Kaufsache – der Verkäufer im Fall der Wandlung einen Anspruch auf Benützungsentgelt gegen den Käufer hat. Demnach kann sich der Verkäufer bei verzögerter Abwicklung zwar weder auf eine bloß theoretische Gebrauchsmöglichkeit berufen noch auf den infolge Zeitablaufs eingetretenen Wertverlust. Es wird aber klargestellt, dass der Käufer, der nach der Geltendmachung der Wandlung die Sache weiterhin nutzt und einen tatsächlichen Gebrauchsnutzen zieht, auch für den Zeitraum nach Geltendmachung der Wandlung ein angemessenes Nutzungsentgelt zu leisten hat (vgl auch 8 Ob 126/15k ecolex 2016/331 [Schoditsch]). Klargestellt wurde darüber hinaus, dass die vor der Rückabwicklung des Kaufvertrags stattgefundene Nutzung durch den Verbraucher auch im Lichte der Verbrauchsgüterkauf-RL (Richtlinie 1999/44/EG) eine Minderung der an den Verbraucher zu leistenden Erstattung rechtfertigt (8 Ob 126/15k, gestützt auf , Quelle AG, insb Rz 39).
[105] I.D.2.10. In jüngerer Zeit billigte der Oberste Gerichtshof im Weg eines Zurückweisungsbeschlusses die Gegenüberstellung des konkret (angesichts bestehender Mängel) angemessenen Kaufpreises und des Händlereinkaufspreises im Wandlungszeitpunkt und sprach aus, dass die Wertminderung durch den Verlust der Neuheit jedenfalls nicht zur Gänze zu Lasten des Käufers gehen dürfe (3 Ob 131/19i).
[106] Zu 9 Ob 83/21b sah es der Oberste Gerichtshof als mit den dargestellten Grundsätzen der um den Wertverlust bereinigten „Händlereinkaufspreis-Methode“ vereinbar an, bei der relativ bald nach dem Kauf eines Neuwagens erfolgten Rückabwicklung von einer linearen Abwertung auf Basis der gefahrenen Kilometer auszugehen.
[107] Auch zu 4 Ob 21/21y schloss sich der Oberste Gerichtshof der Ausmittlung des Gebrauchsnutzens im Weg der linearen Abwertung – ausgehend von den gefahrenen Kilometern – an und wies neuerlich darauf hin, dass der zeitabhängige Wertverlust auch nach dem auf den Kauf und Verkauf des Fahrzeugs abstellenden Ansatz vom Verkäufer zu tragen sei, wenn der Käufer die Wandlung nicht zu vertreten habe.
[108] I.D.2.11. Aus der Analyse der dargestellten Rechtsprechung ergibt sich, dass die höchstgerichtliche Rechtsprechung den Vorinstanzen zwar bei der Ausmittlung des Gebrauchsnutzens bzw des dafür vom Käufer, der die Rückabwicklung nicht zu vertreten hat, zu entrichtenden Nutzungsentgelts einen Ermessensspielraum zugesteht. Die Ausmittlung des Gebrauchsnutzens anhand des Aufwands, den ein Käufer für den Kauf einer gleichwertigen Sache und deren Weiterverkauf hätte aufwenden müssen, dient allerdings der Abgrenzung des Benützungsentgelts nach oben gegenüber höheren Forderungen, die sich durch den Vergleich mit der Miete einer gleichwertigen Sache für den Nutzungszeitraum ergeben würden. Für die Ermittlung des Benützungsentgelts kommt es vielmehr auf den konkret gezogenen Nutzen an, der mit dem zeitablauf-abhängigen Wertverlust eines Kfz in keinem unmittelbaren Zusammenhang steht (so bereits 3 Ob 248/08d), sodass dem Käufer weder der Wertverlust aufgrund des Verlusts der Neuheit noch der Wertverlust wegen einer nicht von ihm zu vertretenden verzögerten Rückabwicklung nach Geltendmachung der Wandlung anzulasten ist.
[109] I.D.2.12. Die konsequente Umsetzung dieser in der Rechtsprechung anerkannten Grundsätze spricht dafür, den Gebrauchsnutzen des Käufers eines Kfz, der die Rückabwicklung nicht zu vertreten hat, grundsätzlich in Abhängigkeit von den gefahrenen Kilometern (linear) zu berechnen.
[110] I.D.2.13. In der Literatur sprechen sich eine Reihe von Autorinnen und Autoren für die Ausmessung des Benützungsentgelts anhand der linearen Abwertung durch Abstellen auf die zu erwartende Laufleistung im Erwerbszeitpunkt mit den gefahrenen Kilometern aus (Zöchling-Jud in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.02 § 932 Rz 72 [Stand , rdb.at]; Pfeffer/Wegrath, Benützungsentgelt bei Wandlung, RZ 2018, 97 [102] = dies, Benützungsentgelt bei Wandlung, in FS Danzl [2017] 737 [744]; Kepplinger, Benützungsentgelt für die rechtsgrundlose Verwendung von Kraftfahrzeugen, ZVR 2018, 352 [358], der nur für unredliche Kondiktionsschuldner die „Händlereinkaufspreis-Methode“ in Betracht zieht, worauf im vorliegenden Fall nicht eingegangen werden muss; Maderbacher, Diesel-Abgasskandal: Benützungsentgelt nach Rückabwicklung, VbR 2020, 204 [207]; der Entscheidung 2 Ob 95/06v zustimmend auch Meyenburg, Zur „neuen Gewährleistung“ – Fragen aus der Praxis, Zak 2008, 43; vgl Riautschnig, Berechnung der Benützungsvergütung für Fahrzeuge unter Berücksichtigung der Judikatur des OGH, Zak 2019, 224 [227], der allerdings bei Gebrauchtfahrzeugen nicht den vereinbarten Kaufpreis und die zu erwartende Restlaufleistung, sondern den Neupreis und die Gesamtlaufleistung zugrunde legen will; ders, Betriebswirtschaftliche Berechnung des Nutzungsentgelts für Kfz unter Berücksichtigung der Judikatur des OGH und des BGH, ZVR 2020, 290 [294], s ebendort zu einem Modell der Kilometerentschädigung bei überschrittener Lebenslaufleistung; vgl Kerschner in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang³ [2018] § 1437 ABGB Rz 14). Dabei müsse der auf die Laufleistung verteilte Kaufpreis den Minderwert des Fahrzeugs aufgrund des Mangels berücksichtigen (Maderbacher, VbR 2020, 204 [207]), sofern der Mangel die Nutzung der Sache beeinträchtige (Riedler, VW-Abgasskandal, ZVR 2020, 320 [321 FN 19]).
[111] I.D.2.14. Gegen die sogenannte „Händlereinkaufspreis-Methode“ und für die lineare Betrachtung wird ergänzend ins Treffen geführt, dass der rückabwicklungsberechtigte Käufer nicht mit der Händlerspanne beschwert sein solle (Pfeffer/Wegrath, RZ 2018, 102 = dies in FS Danzl 744). Der gewerbliche Verkäufer solle nicht dadurch belohnt werden, dass er das Fahrzeug zum Händlereinkaufspreis zurücknehmen und zum Händlerverkaufspreis neuerlich veräußern könne (Striessnig, Schon wieder das Benützungsentgelt für Fahrzeugnutzungen samt den entzweiten Berechnungsmethoden, Zak 2022, 268 [269]).
[112] I.D.2.15. In der Nutzungsphase eingetretene Schäden oder eine merkantile Wertminderung (gemeint: infolge einer Reparatur) sollen dem Benützungsentgelt hinzugerechnet werden (Pfeffer/Wegrath in FS Danzl 743).
[113] I.D.2.16. Von anderer Seite wird eine auf den Wiederverkaufswert des Fahrzeugs abstellende Berechnung, die die Überwälzung des Verlusts der Neuheit auf den Käufer durch Berücksichtigung der geplanten Behaltedauer ausgleichen soll, befürwortet (Novak, Vorteilsausgleich bei Aufhebung von Pkw-Kaufverträgen mit schuldrechtlicher Wirkung ex tunc, ZVR 2020, 284 [287 f]).
[114] I.D.2.17. Nach der Rechtsprechung des deutschen Bundesgerichtshofs, die zur Rückabwicklung von Kaufverträgen über mit einem Dieselmotor EA189 ausgestattete Fahrzeuge ergangen ist, ist der Schätzung des Werts der gezogenen Nutzungen die zeitanteilige lineare Wertminderung zugrunde zu legen, die bei Neufahrzeugen ausgehend vom Bruttokaufpreis anhand eines Vergleichs zwischen tatsächlichem Gebrauch (gefahrene Kilometer) und voraussichtlicher Gesamtnutzungsdauer (erwartete Gesamtlaufleistung) zu bestimmen ist (BGH , VI ZR 252/19 Rz 80 ff; , VIII ZR 111/20 Rz 55; , VIII ZR 255/20 Rz 22 je mwN). Dabei wird nicht auf die Laufleistung des Motors an sich, sondern auf die Lebensdauer des gesamten Fahrzeugs abgestellt (BGH , VIII ZR 111/20 Rz 58 mwN). Es kommt auf die unter gewöhnlichen Umständen zu erzielende durchschnittliche Gesamtlaufleistung des Fahrzeugs und nicht darauf an, welche Gesamtlaufleistung das Fahrzeug unter günstigsten Bedingungen erreichen kann oder in bestimmten Einzelfällen erreicht hat. Der gezogene Gebrauchsvorteil pro gefahrenem Kilometer wird daher unabhängig davon bemessen, ob der konkrete Nutzer eine schonende oder beanspruchende Fahrweise an den Tag gelegt hat (BGH , VIII ZR 111/20 Rz 59).
[115] Eine ähnliche Berechnung führt der Bundesgerichtshof bei gebrauchten Fahrzeugen durch. Danach ist der konkrete Altwagenpreis mit der voraussichtlichen Restlaufleistung im Erwerbszeitpunkt ins Verhältnis zu setzen und mit der tatsächlichen Fahrleistung zu multiplizieren (BGH , VII ZR 499/21 Rz 27; , III ZR 75/21 Rz 7; VIa ZR 100/21 Rz 24).
[116] I.D.2.18. Der Oberste Gerichtshof erachtet den (auch vom BGH zur Ermittlung des Gebrauchsnutzens herangezogenen) Ansatz, der Ausmittlung die lineare Wertminderung zugrunde zu legen, in einem Fall wie dem vorliegenden, in dem der Käufer des Kfz die Wandlung nicht zu vertreten hat, als sachgerecht. Dass der überproportional hohe anfängliche Wertverlust aus dem Verlust der Neuheit der Sache nicht dem Käufer, der die Wandlung nicht zu vertreten hat, aufzuerlegen ist, ist in der österreichischen Rechtsprechung bereits anerkannt. Dem Umstand, dass es sich um einen Neuwagen handelt, wird durch den gegenüber einem Gebrauchtwagen höheren, die Neuheit reflektierenden Kaufpreis, der in die Ausmittlung einfließt, Rechnung getragen.
[117] Wie der Fall zu beurteilen wäre, wenn die zu erwartende Gesamtlaufleistung des Fahrzeugs bereits erreicht ist, kann dahinstehen.
[118] Bei einem gebrauchten Fahrzeug ist es gleichermaßen sachgerecht, bei der Berechnung den konkret vereinbarten Kaufpreis heranzuziehen, wenn und weil dieser als angemessene Gegenleistung angesehen werden kann. Konsequenterweise ist dann bei der Berechnung nicht die Gesamtlaufleistung, sondern – wie dies der Oberste Gerichtshof in der Entscheidung 4 Ob 21/21y bereits gebilligt hat – die dem (als angemessen unterstellten) Kaufpreis zugrunde gelegte (geringere) erwartete Restlaufleistung zu berücksichtigen.
[119] I.D.2.19. Das führt im vorliegenden Fall zu folgendem Ergebnis:
[120] Ausgehend von der festgestellten zu erwartenden Restlaufleistung des Fahrzeugs im Erwerbszeitpunkt von 249.500 km und dem damals vereinbarten Kaufpreis von 26.890 EUR, sowie ausgehend davon, dass der Kläger das Fahrzeug auch nach Geltendmachung der Wandlung weiter nutzte und bis zum Beurteilungszeitpunkt (§ 193 ZPO) damit 70.180 km zurücklegte, schuldet der Kläger ein Benützungsentgelt von 7.563,69 EUR. Da er bereits bei Bezifferung der Klageforderung ein Nutzungsentgelt von 4.688,24 EUR in Abzug brachte, ist die Gegenforderung der Erstbeklagten im darüber hinausgehenden Umfang von 2.875,45 EUR berechtigt.
[121] I.D.2.20. Der Kläger zieht die Berechtigung des Anspruchs der Beklagten auf Benützungsentgelt dem Grunde nach nicht in Zweifel.
[122] Die in der Rechtssache C-100/21 (QB gegen Mercedes-Benz Group AG [vormals: Daimler AG]) dem Europäischen Gerichtshof zur Vorabentscheidung vorgelegten Fragen betreffen deliktische Schadenersatzansprüche gegen den Fahrzeughersteller. Die in diesem Verfahren gestellte Frage nach der Berechtigung eines vom Fahrzeugkäufer zu leistenden Benützungsentgelts betrifft den im Weg des Schadenersatzrechts vorzunehmenden Vorteilsausgleich. Für die im vorliegenden Verfahren gegen die Erstbeklagte geltend gemachten Gewährleistungsrechte kann sich der Oberste Gerichtshof hingegen bereits auf die Entscheidung des EuGH in der Rs Quelle (Urteil vom , C-404/06, Quelle AG, Rn 39; vgl 8 Ob 126/15k) stützen. Demnach rechtfertigt die vor der Rückabwicklung des Kaufvertrags stattgefundene Nutzung durch den Verbraucher auch im Lichte der Verbrauchsgüterkauf-RL eine Minderung der an den Verbraucher zu leistenden Erstattung (vgl 8 Ob 126/15k). Bedenken, dass die hier vorgenommene Ausmessung
des Benützungsentgelts dem unionsrechtlichen Effektivitätsgrundsatz zuwider laufen könnte (vgl dazu – im Zusammenhang mit dem schadenersatzrechtlichen Vorteilsausgleich – die Schlussanträge des Generalanwalts Athanasios Rantos vom in der Rs C-100/21, Mercedes Benz Group AG, Rn 62), bestehen im hier zu beurteilenden Fall nicht. Der Umstand, dass in der Rs C-100/21 noch keine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs ergangen ist, steht einer Entscheidung über die von der Erstbeklagten geltend gemachte Gegenforderung daher nicht entgegen.
[123] I.D.2.21. Der Kläger macht demgegenüber ein Benützungsentgelt für die Nutzung des der Erstbeklagten gezahlten Kaufpreises in Höhe der gesetzlichen Zinsen geltend (Vergütungszinsen). Die Erstbeklagte wendete dagegen ein, dass ein Zinsenbegehren erst ab Zustellung der Klage zu Recht bestehen könne und den Vergütungszinsen „den Beklagten zustehende Zinsen für das im Fahrzeug gebundene Kapital“ gegenüberstünden, die kompensando einer allenfalls zu Recht bestehenden Klageforderung entgegen gehalten würden.
[124] Nach ständiger Rechtsprechung hat selbst der redliche Bereicherungsschuldner – außer bei Vorliegen einer Gegenleistung – die mit dem gesetzlichen Zinssatz pauschalierten Nutzungen eines vom ihm zu erstattenden Geldbetrags unabhängig vom Eintritt des Verzugs herauszugeben („Vergütungszinsen“). Auch bei Redlichkeit des Bereicherten ist nämlich die Nutzungsmöglichkeit des Kapitals inter partes dem Bereicherungsgläubiger zugeordnet. Es wäre daher nicht zu rechtfertigen, wenn der Schuldner den Nutzungsvorteil bis zum Einlangen eines Rückzahlungsbegehrens behalten könnte; § 1000 ABGB ist in diesem Zusammenhang ganz generell als Pauschalierung des gewöhnlichen Nutzungsentgelts für Geld („Zinsen“) zu verstehen (7 Ob 10/20a ErwGr II.E.1.2.; 4 Ob 46/13p ErwGr 4.2.). Dem Vorbringen der Erstbeklagten ist nicht zu entnehmen, warum dem Kläger – der ja auch ein Entgelt für die Nutzung des zurückzustellenden Fahrzeugs zu leisten hat – nicht Vergütungszinsen dafür zustehen sollen, dass die Erstbeklagte den zurückzustellenden Kaufpreis seit der Zahlung an sie nutzen konnte. Ein im Fahrzeug „gebundenes Kapital“ kommt dem Kläger (anders als die Nutzung des Fahrzeugs, deren Abgeltung die Beklagten ohnedies fordern und erhalten) nicht zugute.
[125] Eine solche Bereicherung kann aber nur so lange bestehen, als der Kaufpreis tatsächlich zur Nutzung zur Verfügung steht, mit anderen Worten nicht zurückgezahlt wurde. Im vorliegenden Fall rechnete der Kläger selbst mit einem Teil seiner Klageforderung gegen das Benutzungsentgelt auf (oben I.D.1.2.) und tilgte den Rückzahlungsanspruch damit in diesem Ausmaß. Die Wirkung der Aufrechnung wird zwar auf den Zeitpunkt zurückbezogen, in welchem sich die Forderungen zuerst aufrechenbar gegenüberstanden (RS0033904). Weder dem Vorbringen der Erstbeklagten noch dem sonstigen Akteninhalt lässt sich aber entnehmen, wann (vor der in der Klage enthaltenen Erklärung der Aufrechnung durch den Kläger, in der er auch den zu diesem Zeitpunkt aktuellen, von den Beklagten nicht bestrittenen Kilometerstand angab) der Anspruch auf Benützungsentgelt konkret entstand und daher erstmals aufrechenbar der Klageforderung gegenüber stand. Mangels Vorbringens zum konkreten Zeitpunkt des Wegfalls der eingetretenen Bereicherung ist daher von einer teilweisen Tilgung des Rückforderungsanspruchs mit der Zustellung der Klage an die Erstbeklagte () auszugehen. Bis zu diesem Zeitpunkt schuldet die Erstbeklagte Vergütungszinsen aus 26.890 EUR, ab nur noch aus dem entsprechend reduzierten Betrag von 22.201,76 EUR.
[126] Die von der Beklagten erklärte gerichtliche Aufrechnung richtet sich zwar auf eine Aufrechnung erst im Urteil (RS0040779), sodass ihre Tilgungswirkung erst mit dem Zeitpunkt der Rechtskraft der darüber gefällten Entscheidung feststeht (RS0040779 [T4]). In der darüber zu fällenden Entscheidung ist aber ungeachtet dessen auf die (mit Eintritt der Rechtskraft erfolgende) Rückwirkung (auch) der (gerichtlichen) Aufrechnung Bedacht zu nehmen. Auch insofern lässt sich dem Akteninhalt jedoch nur der Kilometerstand bei Schluss der Verhandlung und die Geltendmachung dieser (restlichen) Forderung durch die Erstbeklagte (beides am ) entnehmen. Dass und wann die Aufrechnungslage vor diesem Zeitpunkt entstanden wäre, lässt sich dem Vorbringen der Erstbeklagten nicht entnehmen. Auch insofern ist daher mangels Vorbringens zum Wegfall der seit noch bestehenden Bereicherung davon auszugehen, dass die Erstbeklagte ab Vergütungszinsen (nur noch) aus dem dem Kläger zuzusprechenden Betrag schuldet.
[127] I.D.2.22. Da sich das gegen die Erstbeklagte erhobene Klagebegehren aus dem Grund der Gewährleistung als berechtigt erweist, muss auf die übrigen Rechtsgründe, auf die der Kläger seinen Anspruch gegen die Erstbeklagte stützte (Irrtumsanfechtung, Anfechtung wegen arglistiger Irreführung unter Zurechnung von Täuschungshandlungen der Zweitbeklagten zur Erstbeklagten), nicht mehr eingegangen werden. Auch auf die in der Berufung bekämpften Feststellungen kommt es nicht entscheidend an.
[128] I.D.2.23. Aufgrund der Stattgebung des Hauptklagebegehrens gegen die Erstbeklagte ist über die Eventualbegehren, soweit sie sich gegen die Erstbeklagte richten, nicht abzusprechen.
I.E. Kostenentscheidung
[129] I.E.1. Die Kostenentscheidung im Verhältnis zur Erstbeklagten beruht auf § 43 Abs 1 ZPO, im Berufungs- und Rekursverfahren iVm § 50 ZPO.
[130] I.E.2. Der Kläger ist gegen die Erstbeklagte mit 87 % der Klageforderung durchgedrungen, er ist daher mehr als bloß geringfügig iSd § 43 Abs 2 ZPO unterlegen. Die Erstbeklagte ist dem Kläger auf Basis dieser Obsiegensquote zum Kostenersatz verpflichtet, wobei ihr allerdings der Streitgenossenzuschlag (sowohl zur Pauschalgebühr als auch zu den Vertretungskosten) mangels prozessbeendigender Entscheidung gegen die Zweitbeklagte derzeit nicht aufzuerlegen ist (vgl RS0090822, Obermaier, Kostenhandbuch³ [2018] Rz 1.370). Die Entscheidung über die (solidarische) Verpflichtung der Erstbeklagten zum Ersatz auch des Streitgenossenzuschlags in dem sich aus der Obsiegensquote ergebenden Umfang ist daher der Kostenentscheidung nach Rechtskraft der Entscheidung gegenüber der Zweitbeklagten vorzubehalten (Obermaier, Kostenhandbuch³ Rz 1.372; RWZ0000134 = LGZ Wien 35 R 216/07k).
[131] I.E.3. Die Erstbeklagte hat dem Kläger 74 % seiner Vertretungskosten (mit Ausnahme des Streitgenossenzuschlags) und 87 % seiner Barauslagen (das sind die vom Kläger in erster Instanz getragenen Sachverständigengebühren von 1.200 EUR sowie die Pauschalgebühren der Verfahren aller drei Instanzen mit Ausnahme des jeweiligen Streitgenossenzuschlags) zu ersetzen. Der Kläger hat der Erstbeklagten 13 % der von den Beklagten getragenen Sachverständigengebühren von 1.200 EUR zu ersetzen.
[132] I.E.4.1. Das in erster Instanz gelegte Kostenverzeichnis des Klägers ist – auch unter Berücksichtigung der Einwendungen der Beklagten – allerdings zu kürzen: Die – nach § 257 Abs 3 ZPO grundsätzlich unzulässigen – Schriftsätze vom (ON 9) und vom (ON 20) waren zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung nicht nötig. Es ist nicht ersichtlich, aus welchem Grund das darin enthaltene Vorbringen nicht in einer vorherigen oder nachfolgenden Tagsatzung – kurz und auf das für das konkrete Verfahren relevante beschränkt – erstattet werden konnte; gleichermaßen ist ungewiss, warum die gleichzeitig vorgelegten Urkunden nicht im Rahmen einer vorherigen oder nachfolgenden Tagsatzung vorgelegt werden hätten können. Diese Schriftsätze sind daher schon grundsätzlich nicht zu honorieren.
[133] I.E.4.2. Der ERV-Zuschlag gemäß § 23a RATG beträgt für die Berufung nur 2,10 EUR (RS0126594 [T1, T3]). Der in der Berufung verzeichnete Zuschlag gemäß Anmerkung 5 zu Tarifpost 3 war nicht zuzusprechen, weil es an einer eingehenden rechtlichen Begründung für die Anregung fehlt.
zu II.:
[134] II.1. Der Kläger begehrt von der Zweitbeklagten aus dem Titel des deliktischen Schadenersatzes, ihn so zu stellen, als hätte er das klagegegenständliche Fahrzeug nicht erworben, konkret die Zahlung von 22.201,76 EUR (Kaufpreis abzüglich vom Kläger angenommenes Benützungsentgelt) Zug um Zug gegen die Übergabe des Fahrzeugs. Er stützt sich auf die arglistige Verleitung zum Vertragsabschluss und das In-Verkehr-Bringen „gesetzwidriger“ Fahrzeuge.
[135] II.2. Vor dem Europäischen Gerichtshof ist zur Zahl C-100/21 (QB gegen Mercedes-Benz Group AG) ein Verfahren über ein Vorabentscheidungsersuchen des Landgerichts Ravensburg (Deutschland) anhängig, das deliktische Schadenersatzansprüche von Fahrzeugkäufern gegen die Fahrzeugherstellerin wegen unzulässiger Abschalteinrichtungen zum Gegenstand hat. Das Landgericht Ravensburg legte dem Europäischen Gerichtshof (unter anderem) folgende Fragen vor:
„1. Haben Art. 18 Abs. 1, Art. 26 Abs. 1 und Art. 46 der Richtlinie 2007/46 in Verbindung mit Art. 5 Abs. 2 der Verordnung Nr. 715/2007 auch die Zielrichtung, die Interessen individueller Erwerber von Kraftfahrzeugen zu schützen? Wenn ja:
2. Zählt dazu auch das Interesse eines individuellen Fahrzeugerwerbers, kein Fahrzeug zu erwerben, das mit den unionsrechtlichen Vorgaben nicht konform ist, insbesondere kein Fahrzeug zu erwerben, das mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung gemäß Art. 5 Abs. 2 der Verordnung Nr. 715/2007 ausgestattet ist?
Wenn die Vorlagefrage 1 verneint wird:
3. Ist es unvereinbar mit Unionsrecht, wenn ein Erwerber, der ungewollt ein vom Hersteller mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung gemäß Art. 5 Abs. 2 der Verordnung Nr. 715/2007 in Verkehr gebrachtes Fahrzeug gekauft hat, zivilrechtliche deliktische Ansprüche gegenüber dem Fahrzeughersteller auf Ersatz seines Schadens, insbesondere auch einen Anspruch auf Erstattung des für das Fahrzeug bezahlten Kaufpreises Zug-um-Zug gegen Herausgabe und Übereignung des Fahrzeugs, nur ausnahmsweise dann geltend machen kann, wenn der Fahrzeughersteller vorsätzlich und sittenwidrig gehandelt hat? Wenn ja:
4. Ist es unionsrechtlich geboten, dass ein zivilrechtlicher deliktischer Ersatzanspruch des Fahrzeugerwerbers gegen den Fahrzeughersteller bei jeglichem schuldhaften (fahrlässigen oder vorsätzlichen) Handeln des Fahrzeugherstellers in Bezug auf das Inverkehrbringen eines Fahrzeugs, das mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung gemäß Art. 5 Abs. 2 der Verordnung Nr. 715/2007 ausgestattet ist, gegeben ist?
[…]“
[136] In diesem Verfahren wurden am die Schlussanträge des Generalanwalts Athanasios Rantos vorgelegt; eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs steht noch aus.
[137] II.3. Diese Fragestellungen sind auch für die Beurteilung des im vorliegenden Fall geltend gemachten Schadenersatzanspruchs gegen die Zweitbeklagte relevant.
[138] II.4. Der Oberste Gerichtshof hat von einer allgemeinen Wirkung der Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs auszugehen und diese auch für andere als den unmittelbaren Anlassfall anzuwenden. Es ist daher zweckmäßig und geboten, mit der Entscheidung über den gegen die Zweitbeklagte geltend gemachten Schadenersatzanspruch bis zur Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs über das bereits gestellte Vorabentscheidungsersuchen zuzuwarten und das gegenständliche Rekursverfahren zu unterbrechen (RS0110583).
[139] II.5. Nach Vorliegen der Vorabentscheidung wird das Verfahren nur auf Antrag einer Partei fortgesetzt werden. Eine amtswegige Fortsetzung ist nicht erforderlich, weil diese der Disposition der Parteien unterliegt. Diese können daher zum gegebenen Zeitpunkt zunächst selbst ihre Schlüsse aus der dann vorliegenden Vorabentscheidung ziehen (4 Ob 211/08w; 4 Ob 217/17s).
Entscheidungstext
Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)
Entscheidungsdatum:
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht durch die Präsidentin Hon.-Prof. Dr. Lovrek als Vorsitzende, die Hofrätin Dr. Faber und die Hofräte Mag. Schober, Dr. Thunhart und Dr. Annerl als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Ing. C*, vertreten durch die Poduschka Partner Anwaltsgesellschaft mbH in Linz, gegen die beklagten Parteien 1. P* GmbH & Co KG, *, und 2. V*, Deutschland, beide vertreten durch die Pressl Endl Heinrich Bamberger Rechtsanwälte GmbH in Salzburg, wegen Vertragsaufhebung und 22.201,76 EUR sA, in eventu 6.000 EUR, in eventu Feststellung, infolge Rekurses der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom , GZ 4 R 100/20p-30, mit dem das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom , GZ 20 Cg 21/18z-25, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen und zu Recht erkannt:
Spruch
I. Das hinsichtlich der zweitbeklagten Partei bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union über den vom Landgericht Ravensburg (Deutschland) am eingereichten, zu C-100/21 behandelten Antrag auf Vorabentscheidung unterbrochene Verfahren wird fortgesetzt.
Der Fortsetzungsantrag des Klägers wird, soweit er (weitere) Ausführungen enthält, zurückgewiesen.
II. Dem Rekurs wird hinsichtlich der zweitbeklagten Partei Folge gegeben.
Der Beschluss des Berufungsgerichts wird in diesem Umfang aufgehoben und in der Sache selbst zu Recht erkannt, dass das Urteil des Erstgerichts gegen die zweitbeklagte Partei als Endurteil zu lauten hat:
„1. Die Klageforderung gegen die zweitbeklagte Partei besteht mit 19.326,31 EUR zu Recht.
2. Die Gegenforderung der zweitbeklagten Partei besteht nicht zu Recht.
3. Die zweitbeklagte Partei ist daher (zur ungeteilten Hand mit der Erstbeklagten) schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen 19.326,31 EUR samt 4 % Zinsen pa seit Zug um Zug gegen Übergabe des Kraftfahrzeugs VW Tiguan Lounge TDI BMT, Fahrgestellnummer *, zu zahlen.
4. Das Mehrbegehren, die zweitbeklagte Partei sei darüber hinaus schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen weitere 2.875,45 EUR samt 4 % Zinsen pa seit Einbringung der Klage sowie 4 % Zinsen aus 19.326,31 EUR von Einbringung der Klage bis zum Zug um Zug gegen Übergabe des genannten Kraftfahrzeugs zu zahlen, wird abgewiesen.
5. Die zweitbeklagte Partei ist (zur ungeteilten Hand mit der erstbeklagten Partei) schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit 9.625,69 EUR (darin 1.534,41 EUR Barauslagen und 1.348,55 EUR Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Verfahrens erster Instanz zu ersetzen.
6. Die beklagten Parteien sind – die erstbeklagte Partei über die im Teilurteil vom ausgesprochene Ersatzpflicht hinaus – zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die weiteren mit 872,85 EUR (darin enthalten 64,64 EUR Barauslagen und 134,70 EUR Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Verfahrens erster Instanz zu ersetzen.“
Die zweitbeklagte Partei ist (zur ungeteilten Hand mit der erstbeklagten Partei) schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit 3.365,75 EUR (darin 994,41 EUR Barauslagen und 395,23 EUR Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Verfahrens zweiter Instanz sowie die mit 3.785,20 EUR (darin 1.327,62 EUR Barauslagen und 409,60 EUR Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Verfahrens dritter Instanz zu ersetzen.
Die beklagten Parteien sind – die erstbeklagte Partei über die im Teilurteil vom ausgesprochene Ersatzpflicht hinaus – zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die weiteren mit 495,14 EUR (darin enthalten 99,44 EUR Barauslagen und 25,48 EUR Umsatzsteuer des Verfahrens zweiter und 132,76 EUR Barauslagen und 18,34 EUR Umsatzsteuer des Verfahrens dritter Instanz) bestimmten Kosten des Verfahrens zweiter und dritter Instanz zu ersetzen.
Text
Begründung
und
Entscheidungsgründe:
[1] Zu dem maßgeblichen Sachverhalt, dem bisherigen Verfahrensgang und der Zulässigkeit des Rekurses (auch hinsichtlich der Zweitbeklagten) wird auf die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs vom in der vorliegenden Rechtssache (10 Ob 2/23a) verwiesen.
Rechtliche Beurteilung
Zu I.:
[2] I.1. Der Senat hat aus Anlass des Rekurses mit Beschluss vom das Rekursverfahren bis zur Entscheidung des EuGH über den vom Landgericht Ravensburg (Deutschland) am beim Europäischen Gerichtshof eingereichten, zu C-100/21 gestellten Antrag auf Vorabentscheidung unterbrochen.
[3] I.2. Nunmehr hat der , QB gegen Mercedes-Benz Group AG, diese Vorabentscheidung getroffen. Das Rekursverfahren ist daher antragsgemäß fortzusetzen.
[4] I.3. Soweit im Fortsetzungsantrag darüber hinaus auch weitere Ausführungen (Anregung zum Auftrag eines Schriftsatzwechsels „vor der nächsten Verhandlung“) enthalten sind, verstößt dies gegen den Grundsatz der Einmaligkeit des Rechtsmittels, nach dem auch Nachträge oder Ergänzungen unzulässig sind (RS0041666).
Zu II.:
[5] Der Rekurs ist (auch) hinsichtlich der Zweitbeklagten berechtigt.
[6] II.1.1. Der Kläger begehrt von der Zweitbeklagten aus dem Titel des deliktischen Schadenersatzes, ihn so zu stellen, als hätte er das klagegegenständliche Fahrzeug nicht erworben, konkret die Zahlung von 22.201,76 EUR (Kaufpreis abzüglich vom Kläger angenommenes Benützungsentgelt) Zug um Zug gegen die Übergabe des Fahrzeugs. Dabei stützte er sich – soweit noch Gegenstand des Rekursverfahrens – auf eine arglistige, in eventu fahrlässige Irreführung durch die Zweitbeklagte und das In-Verkehr-Bringen „gesetzwidriger“ Fahrzeuge. Er brachte insbesondere vor, dass Repräsentanten der Zweitbeklagten um die „Manipulationssoftware“ (die unzulässige Abschalteinrichtung) gewusst hätten. Für das Vorliegen eines realen Schadens sei eine in Geld messbare Vermögenseinbuße nicht unbedingt erforderlich; es reiche aus, dass die Zusammensetzung des Vermögens des Geschädigten nach dem schadensbegründenden Ereignis nicht seinem Willen entspreche.
[7] II.1.2. Die Zweitbeklagte hält dem entgegen, dass sie den Kläger nicht über vertragsrelevante Umstände getäuscht und aufgrund eines rechtswidrigen Verhaltens nur für jene verursachten Schäden zu haften habe, deren Verhinderung die übertretene Verhaltensnorm bezwecke. Art 5 VO 715/2007/EG bezwecke nicht die Verhinderung von Vermögensschäden der Fahrzeughalter, sodass diese Bestimmung als Anspruchsgrundlage für das Klagebegehren ausscheide.
[8] II.1.3. Wie bereits in der Entscheidung des Senats vom in der vorliegenden Rechtssache (10 Ob 2/23a [Rz 65 ff]) näher ausgeführt, reicht die vorhandene Tatsachengrundlage für eine Sachentscheidung aus.
[9] II.1.4. Die Parteien haben zur nunmehr zu beantwortenden Frage, ob die emissionsrechtlichen Bestimmungen Schutzgesetze darstellen, auf die sich der Kläger zur Begründung eines Schadenersatzanspruchs gegen die Zweitbeklagte berufen kann, jeweils Stellung genommen. Dabei erkannte die Zweitbeklagte auch, dass sich der Kläger (unter anderem) auf Art 5 der VO 715/2007/EG als Anspruchsgrundlage für einen Schadenersatzanspruch berief, trat sie dieser Rechtsansicht doch ausdrücklich entgegen. Eine überraschende Rechtsansicht – und damit ein Erörterungsbedarf – liegt nicht vor, wenn sich das Gericht dem Standpunkt des Prozessgegners anschließt (RS0133948). Da das Urteil C-100/21 des EuGH der vom Kläger vertretenen Rechtsansicht im Hinblick auf die Eignung des Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EG, einen deliktischen Schadenersatzanspruch zu tragen, entspricht, löst diese Entscheidung des EuGH im vorliegenden Verfahren keinen Erörterungsbedarf aus.
[10] II.2. Die von der Zweitbeklagten vertretene Rechtsansicht kann nach der Entscheidung des EuGH in der Rechtssache C-100/21, QB gegen Mercedes-Benz Group AG, auch nicht geteilt werden.
[11] II.2.1. Darin beantwortet er die an ihn gestellten Vorlagefragen wie folgt:
1. Art 18 Abs 1, Art 26 Abs 1 und Art 46 der Richtlinie 2007/46/EG in Verbindung mit Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EG sind dahin auszulegen, dass sie neben allgemeinen Rechtsgütern die Einzelinteressen des individuellen Käufers eines Kraftfahrzeugs gegenüber dessen Hersteller schützen, wenn dieses Fahrzeug mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinne von Art 5 Abs 2 dieser Verordnung ausgestattet ist.
2. Das Unionsrecht ist dahin auszulegen, dass es in Ermangelung einschlägiger unionsrechtlicher Vorschriften Sache des Rechts des betreffenden Mitgliedstaats ist, die Vorschriften über den Ersatz des Schadens festzulegen, der dem Käufer eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinne von Art 5 Abs 2 der VO 715/2007/EG ausgestatteten Fahrzeugs tatsächlich entstanden ist, vorausgesetzt, dass dieser Ersatz in einem angemessenen Verhältnis zum entstandenen Schaden steht.
[12] II.2.2. In seiner Entscheidungsbegründung rekapituliert der EuGH zunächst, dass ein individueller Käufer, der ein Fahrzeug erwirbt, das zur Serie eines genehmigten Fahrzeugtyps gehört und somit mit einer Übereinstimmungsbescheinigung versehen ist, vernünftiger Weise erwarten kann, dass die VO 715/2007/EG und insbesondere deren Art 5 bei diesem Fahrzeug eingehalten werden (EuGH C-100/21, QB gegen Mercedes-Benz Group AG, Rn 81 unter Hinweis auf C-145/20, Porsche Inter Auto und Volkswagen, Rn 54).
[13] Diese ursprünglich (in C-145/20, Porsche Inter Auto und Volkswagen, Rn 54) für das Vertragsverhältnis zwischen Fahrzeugkäufer und Händler konstatierte berechtigte Verkehrserwartung ist nach dem Urteil C-100/21 auch für das außervertragliche Verhältnis zwischen einem Fahrzeugerwerber und dem Fahrzeughersteller relevant.
[14] Konkret leitet der EuGH aus den Bestimmungen über die Übereinstimmungsbescheinigung (Art 18 Abs 1 und Art 26 Abs 1 der Rahmen-RL [RL 2007/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom zur Schaffung eines Rahmens für die Genehmigung von Kraftfahrzeugen und Kraftfahrzeug-anhängern sowie von Systemen, Bauteilen und selbstständigen technischen Einheiten für diese Fahrzeuge; künftig: RL 2007/46]) ab, dass die Übereinstimmungsbescheinigung „eine unmittelbare Verbindung zwischen dem Automobilhersteller und dem individuellen Käufer eines Kraftfahrzeugs herstellt, mit der diesem gewährleistet werden soll, dass das Fahrzeug mit den maßgeblichen Rechtsvorschriften der Union übereinstimmt“ (C-100/21, QB gegen Mercedes-Benz Group AG, Rn 82).
[15] Weiters folgert der EuGH aus den von ihm zitierten unionsrechtlichen Bestimmungen (Art 18 Abs 1, 24 Abs 1 RL 2007/46 über die Übereinstimmungsbescheinigung, Art 46 RL 2007/46 betreffend Sanktionen), dass ein individueller Käufer eines Kraftfahrzeugs gegen den Hersteller dieses Fahrzeugs einen Anspruch darauf hat, dass dieses Fahrzeug nicht mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinn von Art 5 Abs 2 der VO 715/2007/EG ausgestattet ist (Rn 89).
[16] Auf der Rechtsfolgenseite müssen die Mitgliedstaaten daher einen Anspruch auf Schadenersatz durch den Hersteller des Fahrzeugs vorsehen, wenn dem Käufer durch diese Abschalteinrichtung ein Schaden entstanden ist (Rn 91).
[17] In Ermangelung unionsrechtlicher Vorschriften über die Modalitäten für die Erlangung eines solchen Ersatzes durch die betreffenden Käufer wegen des Erwerbs eines solchen Fahrzeugs ist es Sache jedes einzelnen Mitgliedstaats, diese Modalitäten festzulegen (Rn 92), wobei nationale Rechtsvorschriften es dem Käufer nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren dürfen, einen angemessenen Ersatz des entstandenen Schadens zu erhalten (Rn 93).
[18] II.3.1. Aus der zitierten Entscheidung des EuGH – insbesondere im Zusammenhang mit dem Ausgangsverfahren (vgl EuGH C-100/21, QB gegen Mercedes-Benz Group AG, Rn 23 u 69) – ergibt sich somit, dass ein Verstoß gegen Art 5 der VO 715/2007/EG den Hersteller auch dann ersatzpflichtig machen kann, wenn er in keinem Vertragsverhältnis zum Käufer steht.
[19] II.3.2. Für diesen Schadenersatzanspruch macht der EuGH grundsätzliche Vorgaben, nämlich in dem Sinn, dass die Mitgliedstaaten in einem solchen Fall einen Schadenersatzanspruch zu Gunsten eines Käufers gegenüber dem Hersteller vorzusehen haben, wenn dem Käufer durch diese Abschalteinrichtung ein Schaden entstanden ist (EuGH C-100/21, QB gegen Mercedes-Benz Group AG, Rn 91). Dabei handelt es sich somit um einen im nationalen Recht wurzelnden Schadenersatzanspruch, der am unionsrechtlichen Effektivitätsgrundsatz zu messen ist (EuGH C-100/21, QB gegen Mercedes-Benz Group AG, Rn 93), also eine wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Sanktion für den Verstoß darstellen muss (vgl EuGH C-100/21, QB gegen Mercedes-Benz Group AG, Rn 90). Im Übrigen richten sich die Modalitäten dieses Schadenersatzanspruchs nach nationalem Recht (EuGH C-100/21, QB gegen Mercedes-Benz Group AG, Rn 92), hier also unstrittig nach österreichischem Recht.
[20] II.3.3.1. Eine unionsrechtliche Vorgabe eines Schadenersatzanspruchs ist das Vorliegen eines Schadens: Der EuGH betont, dass dem Käufer eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestatteten Fahrzeugs ein Schadenersatzanspruch zusteht, wenn ihm ein Schaden entstanden ist (EuGH C-100/21, QB gegen Mercedes-Benz Group AG, Rn 91).
[21] Als nachteilige Folge – vor der ein Fahrzeug-käufer durch das Unionsrecht geschützt werden soll – sieht der EuGH an, dass durch die Unzulässigkeit der Abschalteinrichtung die Gültigkeit der EG-Typen-genehmigung und daran anschließend die der Übereinstimmungsbescheinigung in Frage gestellt werden, was wiederum (unter anderem) zu einer Unsicherheit über die Nutzungsmöglichkeit (Anmeldung, Verkauf oder Inbetriebnahme des Fahrzeugs) und „letztlich“ zu einem Schaden führen kann (EuGH C-100/21, QB gegen Mercedes-Benz Group AG, Rn 84). Damit stellt der EuGH klar, dass ein deliktischer Schadenersatzanspruch nicht als ein von einem Schadenseintritt losgelöster Akt der privaten Durchsetzung von Emissionsnormen zu sehen ist. Vielmehr geht es um den Ausgleich der objektiven Unsicherheit hinsichtlich der Fahrzeugnutzung, mit der der individuelle Fahrzeugerwerber konfrontiert ist.
[22] Der Schadensbegriff des ABGB wird diesen unionsrechtlichen Voraussetzungen gerecht. Als Schaden im Sinn des § 1293 ABGB ist jeder Zustand zu verstehen, der rechtlich als Nachteil aufzufassen ist, an dem also ein geringeres rechtliches Interesse als am bisherigen besteht (RS0022537). Im vorliegenden Fall des Erwerbs eines mit einer im Sinn des Art 5 VO 715/2007/EG unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestatteten Fahrzeugs besteht dieses geringere rechtliche Interesse – den unionsrechtlichen Vorgaben entsprechend – in der (objektiv) eingeschränkten Nutzungsmöglichkeit.
[23] Ein Schadenseintritt wäre lediglich dann zu verneinen, wenn das objektiven Verkehrserwartungen nicht genügende Fahrzeug dennoch konkret dem Willen des Käufers entsprach.
[24] II.3.3.2. Daraus ergibt sich, dass dem Kläger im vorliegenden Fall ein ersatzfähiger Schaden entstanden ist: Dass das Fahrzeug latent mit einer Unsicherheit hinsichtlich der rechtlichen Nutzungsmöglichkeit behaftet ist, ergibt sich im vorliegenden Fall daraus, dass es mit einer nach Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EG unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet ist und auch bei Installation des (vom Kläger abgelehnten) Software-Updates eine unzulässige Abschalteinrichtung weiterhin (in Form des festgestellten „Thermofensters“) vorliegen würde.
[25] In diesem Zusammenhang ist klarzustellen, dass die Frage, ob aufgrund der Unzulässigkeit der Abschalteinrichtung latent die Gefahr einer Betriebsuntersagung des Fahrzeugs droht, an der objektiven Rechtslage zu messen ist (in diesem Sinn auch BGH , VIII ZR 190/19 Rz 82).
[26] Hier ging der Kläger beim Abschluss des Kaufvertrags davon aus, dass das Fahrzeug den geltenden Normen entsprach; andernfalls hätte er es nicht gekauft. Die Feststellungen zu den subjektiven Vorstellungen des Klägers stehen mit dem offenkundigen Vertragszweck im Einklang, sodass sich auch die Frage nicht stellt, welche konkreten Kenntnisse der Kläger (über die „Manipulationssoftware“ und ihre Auswirkungen auf die Nutzungsmöglichkeit des Fahrzeugs bzw die Erfüllung des Vertragszwecks) hatte.
[27] II.3.3.3. Dass die vorhandene „Umschaltlogik“ als unzulässige Abschalteinrichtung im Sinn der Art 3 Z 10 und Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EG zu qualifizieren ist, wurde bereits im Vorlagebeschluss vom zu 10 Ob 44/19x (Pkt 2.1) und in der Entscheidung vom unter Berufung auf die im Vorlageverfahren ergangene Entscheidung des EuGH unter Berufung auf die im Vorlageverfahren ergangene Entscheidung des EuGH (10 Ob 2/23a [Rz 47 f]) klargestellt. Die Zweitbeklagte verstieß also gegen die den Käufer schützenden unionsrechtlichen Vorschriften und handelte somit rechtswidrig.
[28] II.3.3.4. Soll das Zuwiderhandeln gegen eine Vorschrift einen Schadenersatzanspruch auslösen, muss es nach österreichischem Recht jene Interessen verletzen, deren Schutz die Rechtsnorm bezweckt (RS0031143). Da sich der Schutzzweck aus dem Inhalt des Schutzgesetzes ergibt und es teleologisch zu interpretieren ist, um herauszufinden, ob die jeweilige Vorschrift, die übertreten wurde, den in einem konkreten Fall eingetretenen Schaden verhüten wollte (RS008775), ist der Rechtswidrigkeitszusammenhang im vorliegenden Fall aus den maßgeblichen unionsrechtlichen Bestimmungen zu ermitteln. Auch insofern ist ihre Auslegung durch den EuGH zu berücksichtigen:
[29] Die genannten Bestimmungen der RL 2007/46 in Verbindung mit Art 5 Abs 2 der VO 715/2007/EG bezwecken wie ausgeführt (auch), das Vertrauen eines Käufers auf die Richtigkeit der vom Hersteller ausgestellten Übereinstimmungsbescheinigung zu schützen. Ein Schaden, der darin besteht, dass die Nutzungsmöglichkeit des Fahrzeugs eingeschränkt ist und sich das Vermögen des Erwerbers des mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestatteten Fahrzeugs infolge unrichtiger Übereinstimmungsbescheinigung nicht entsprechend den objektiv berechtigten Verkehrserwartungen oder einem von diesen Verkehrserwartungen abweichenden Willen des Erwerbers zusammensetzt, steht folglich im Rechtswidrigkeits-zusammenhang mit den hier gegenständlichen Schutzgesetzen (Art 18 Abs 1, Art 26 Abs 1, Art 46 RL 2007/46 in Verbindung mit Art 5 Abs 2 der VO 715/2007/EG).
[30] Der im vorliegenden Fall eingetretene Schaden steht somit auch im Rechtswidrigkeitszusammenhang.
[31] II.3.4. Die Qualifikation des Art 5 Abs 2 der VO 715/2007/EG (und der weiteren genannten unionsrechtlichen Normen) als auch die Einzelinteressen des Käufers schützende Norm(en) entspricht im nationalen Recht einem Verständnis als Schutznorm(en) im Sinn des § 1311 ABGB. Eine Haftung wegen einer solchen Schutzgesetzverletzung setzt ein Verschulden voraus (RS0026351), es kommt aber zu einer Beweislastumkehr (RS0026351 [T7]): Der Schädiger hat nachzuweisen, dass ihn an der Übertretung kein Verschulden trifft (RS0112234 [T1]; RS0026351 [T1]). Diesen Beweis trat die Zweitbeklagte nicht an. Der Kläger stützte sich überdies ausdrücklich (auch) auf fahrlässige Irreführung durch die Zweitbeklagte und ihre Kenntnis von der Manipulationsoftware bzw der unzulässigen Abschalteinrichtung. Die Zweitbeklagte stellte hingegen (bloß) eine vorsätzliche Täuschung und eine Schädigungsabsicht in Abrede. Da die Zweitbeklagte eine bloß fahrlässige Irreführung nicht konkret bestritt, ist eine solche als zugestanden anzusehen (vgl RS0039927 [T12]).
[32] Der geltend gemachte Schadenersatzanspruch scheitert somit auch nicht an einem mangelnden Verschulden der Zweitbeklagten.
[33] II.3.5.1. Der Schadenersatzanspruch ist primär auf Naturalersatz gerichtet (§ 1323 ABGB). Dem Wiederherstellungsbefehl ist Genüge getan, wenn eine im Wesentlichen gleiche Lage, ein gleichartiger, wirtschaftlich gleichwertiger Zustand („Ersatzlage“) hergestellt wird (RS0030228; RS0060539). Der Geschädigte ist demnach primär so zu stellen, wie er ohne das schädigende Ereignis stünde (RS0022818; RS0030228 [T7]).
[34] Da ein individueller Käufer eines Kraftfahrzeugs einen Anspruch gegen den Hersteller dieses Fahrzeugs darauf hat, dass dieses Fahrzeug nicht mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinne von Art 5 Abs 2 der VO 715/2007/EG ausgestattet ist (EuGH C-100/21, QB gegen Mercedes-Benz Group AG, Rn 89), wäre primär an eine Beseitigung dieser unzulässigen Abschalteinrichtung zu denken. Eine geeignete Beseitigung dieses Schadens (in Natura) wurde von der Zweitbeklagten aber nicht angeboten (s dazu noch unten ErwGr II.3.6.).
[35] II.3.5.2. Gegenstand des der Entscheidung des EuGH zugrunde liegenden Ausgangsverfahrens ist der vom dortigen Kläger geltend gemachte Anspruch auf Erstattung des für das Fahrzeug bezahlten Kaufpreises Zug um Zug gegen Herausgabe und Übereignung des Fahrzeugs (vgl die dritte und fünfte Vorlagefrage, EuGH C-100/21, QB gegen Mercedes-Benz Group AG, Rn 38). Einem so ausgestalteten Ersatzanspruch tritt der EuGH nicht entgegen. Aufgrund der unionsrechtlichen Vorgabe, dass die Sanktionen für Verstöße gegen die Vorschriften der VO 715/2007/EG wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein müssen (EuGH C-100/21, QB gegen Mercedes-Benz Group AG, Rn 90 u 93), kann der Ersatz daher – jedenfalls in dem Fall, dass eine (geeignete) Beseitigung der unzulässigen Abschalteinrichtung durch Reparatur des Fahrzeugs nicht angeboten wird – in Form einer Erstattung des Kaufpreises gegen Übergabe des mit der unzulässigen Abschalteinrichtung versehenen Fahrzeugs (Zug-um-Zug-Abwicklung) verlangt werden (vgl auch RS0129706). Dies kommt der – auch nach § 1323 ABGB grundsätzlich vorrangigen – Naturalrestitution am nächsten, weil es die ungewollte Zusammensetzung des Vermögens unmittelbar beseitigt.
[36] II.3.6. Die Behauptung der Zweitbeklagten, durch das von ihr entwickelte Software-Update wäre der vom Kläger als mangelhaft gerügte Zustand (und damit zugleich die ungewollte Zusammensetzung seines Vermögens) beseitigt worden, trifft nicht zu. Wie in der Entscheidung des Senats vom in der vorliegenden Rechtssache (10 Ob 2/23a [Rz 70 ff und 81]) ist auch hier als unstrittig zugrunde zu legen, dass die Abgasrückführung beim Fahrzeug des Klägers nach dem angebotenen Software-Update infolge des „Thermofensters“ nur zwischen vier und fünf Monaten des Jahres voll aktiv wäre. Eine solche Abschalteinrichtung, die den überwiegenden Teil des Jahres funktionieren müsste, damit der Motor vor Beschädigung oder Unfall geschützt und der sichere Betrieb des Fahrzeugs gewährleistet ist, wäre nach der Rechtsprechung des EuGH gleichermaßen unzulässig (Urteile C-100/21, QB gegen Mercedes-Benz Group AG, Rn 65 f; C-145/20, Porsche Inter Auto und Volkswagen, Rn 73, 81 ua). Die von der Zweitbeklagten angebotene Maßnahme würde somit auch nicht zur Beseitigung der vorliegenden Unsicherheit hinsichtlich der Nutzungsmöglichkeit und des ungewollten Zustands des Vermögens des Klägers (einem Fahrzeug, bei dem die zulassungsrechtlichen Vorschriften eingehalten werden) führen, sodass die Weigerung des Klägers, sie durchführen zu lassen, dem geltend gemachten Schadenersatzanspruch nicht entgegen gehalten werden kann.
[37] II.3.7.1. Ausgehend von dem Grundsatz, dass der Geschädigte so zu stellen ist, wie er ohne schädigendes Ereignis stünde, ist auch ein Vorteil des Geschädigten, der ohne die erfolgte Beschädigung nicht entstanden wäre, prinzipiell zugunsten des Schädigers zu buchen (RS0022834; RS0022726). Die schadenersatzrechtliche Vorteilsaus-gleichung ist nach der Rechtsprechung über Einwendung vorzunehmen, wenn Schaden und Vorteil im selben Tatsachenkomplex wurzeln, das schädigende Ereignis nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge auch einen Vorteil im Vermögen des Geschädigten verursachte und dieser – etwa bei Ersatz des gemeinen Werts – an der beschädigten Sache selbst entstand (RS0022824 [T2]).
[38] II.3.7.2. Im Rahmen der Vorteilsanrechnung ist alles zu berücksichtigen, was der Geschädigte aus dem (ungewollten) Vertrag zu seinem Vorteil hat, also nicht bloß das (zurückzustellende) Fahrzeug selbst, sondern auch seine tatsächliche Nutzung (bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz). Die Rückstellung des Fahrzeugs hat im Rahmen des Zug-um-Zug-Begehrens zu erfolgen, sodass dieser Vorteil keiner besonderen Bewertung bedarf. Der in der Nutzung des Fahrzeugs liegende Vorteil ist nach den in der Entscheidung des Senats vom in der vorliegenden Rechtssache (10 Ob 2/23a [Rz 92 ff]) ausführlich dargelegten bereicherungsrechtlichen Grundsätzen zu ermitteln, sodass darauf verwiesen werden kann.
[39] II.3.7.3. Der Kläger muss sich somit ein – auf Basis einer zeitanteiligen linearen Wertminderung ausgemitteltes – Benützungsentgelt von 7.563,69 EUR im Rahmen des Vorteilsausgleichs anrechnen lassen, wodurch die Ersatzpflicht der Zweitbeklagten unmittelbar vermindert wird (RS0022726; vgl auch RS0022788 [T4, T5]). Dieser Betrag ist daher vom an den Kläger zurückzustellenden Kaufpreis in Abzug zu bringen, sodass ihm gegen die Zweitbeklagte ein Schadenersatzanspruch von 19.326,31 EUR Zug um Zug gegen Übergabe des Fahrzeugs zusteht.
[40] II.3.7.4. Der Schutz der unionsrechtlich gewährleisteten Rechte eines Käufers eines Fahrzeugs lässt es nach dem EuGH unter dem Vorbehalt des Grundsatzes der Effektivität zu, eine ungerechtfertigte Bereicherung des Anspruchsberechtigten zu verhindern (EuGH C-100/21, QB gegen Mercedes-Benz Group AG, Rn 94). Da trotz Anrechnung des Nutzungsvorteils eine angemessene Entschädigung gewährleistet ist (EuGH C-100/21, QB gegen Mercedes-Benz Group AG, Rn 95) und der Erhalt eines angemessenen Schadenersatzes dadurch auch nicht praktisch unmöglich gemacht oder übermäßig erschwert wird (EuGH C-100/21, QB gegen Mercedes-Benz Group AG, Rn 93), bestehen gegen einen so ermittelten Schadenersatzanspruch auch in unionsrechtlicher Hinsicht keine Bedenken.
[41] II.3.7.5. Da die Nutzung des Fahrzeugs durch den Kläger bereits im Rahmen des Vorteilsausgleichs durch Abzug von der Klageforderung und nicht aufrechnungsweise in Form einer Gegenforderung zu berücksichtigen ist, besteht auch die eingewendete Gegenforderung nicht zu Recht.
[42] II.3.7.6. Der Kläger begehrte die Zahlung zur ungeteilten Hand. Dass die Haftung der einzelnen Haftpflichtigen auf verschiedenen rechtlichen Grundlagen beruht, steht der Annahme einer („unechten“) Solidarhaftung nicht entgegen (RS0005730; RS0017315; vgl auch RS0017366; RS0107710). Die Beklagten haften somit nicht bloß anteilig, sondern der Anspruch des Klägers gegen die Zweitbeklagte tritt zur Gänze neben jenen gegenüber der Erstbeklagten, was im Spruch entsprechend zu verdeutlichen war.
[43] II.3.8.1. Der Kläger begehrte gegenüber der Zweitbeklagten (Verzugs-)Zinsen von 4 % seit Einbringung der Klage. Die Zweitbeklagte wendete dagegen ein, dass Zinsen erst ab Zustellung der Klage zustehen könnten.
[44] II.3.8.2. Ein Anspruch auf Schadenersatz wird erst mit der zahlenmäßig bestimmten Geltendmachung durch Mahnung, Klage oder Klageerweiterung fällig, sodass Verzugszinsen auch erst ab diesem Zeitpunkt mit Erfolg gefordert werden können (RS0023392 [T6]). Da es sich um eine empfangsbedürftige Willenserklärung handelt (RS0024386), ist der Zugang der Mahnung, im Fall der Klage also deren Zustellung maßgeblich. Nach dem Akteninhalt wurde die Klage der Zweitbeklagten am zugestellt (ON 3), sodass der Zinsenlauf dem Vorbringen der Zweitbeklagten entsprechend mit diesem Tag anzusetzen und das Zinsenmehrbegehren abzuweisen ist.
[45] II.3.9. Der Kläger begehrte auch die Aufhebung des zwischen ihm und der Erstbeklagten geschlossenen Kaufvertrags. Entgegen der Ansicht des Erstgerichts kann dem Vorbringen des Klägers nicht entnommen werden, dass er dieses Begehren auch gegenüber der Zweitbeklagten (zu der er das Vorliegen eines Vertragsverhältnisses gar nicht behauptet) erheben wollte, sodass darüber hier nicht (neuerlich; s das Teilurteil des Senats vom in der vorliegenden Rechtssache [10 Ob 2/23a]) abzusprechen ist.
[46] II.4.1. Zusammenfassend war eine Sachentscheidung (auch) hinsichtlich der Zweitbeklagten möglich. Das Klagebegehren besteht im dargelegten Ausmaß zu Recht, sodass dem Rekurs Folge zu geben, der Beschluss des Berufungsgerichts aufzuheben und die Entscheidung des Erstgerichts wie im Spruch ersichtlich abzuändern war.
[47] II.4.2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 43 Abs 1 ZPO, im Berufungs- und Rekursverfahren iVm § 50 ZPO. Zur Begründung des Ersatzanspruchs des Klägers gegenüber der Zweitbeklagten wird auf die Kostenentscheidung des Senats vom in der vorliegenden Rechtssache (10 Ob 2/23a [Rz 129 ff]) verwiesen. Nun steht allerdings fest, dass der Kläger gegenüber beiden Beklagten (im gleichen Umfang) obsiegte, sodass eine Kostenentscheidung über den dort (gegenüber der Erstbeklagten) vorbehaltenen Streitgenossenzuschlag möglich und somit beiden Beklagten der Ersatz der verzeichneten Streitgenossenzuschläge entsprechend den für die jeweilige Instanz geltenden Ersatz- bzw Obsiegensquoten aufzuerlegen ist.
Zusatzinformationen
Tabelle in neuem Fenster öffnen
Rechtsgebiet | Zivilrecht |
ECLI | ECLI:AT:OGH0002:2023:0100OB00002.23A.0221.000 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
YAAAB-54513