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ZWF 5, September 2020, Seite 246

Europastrafrecht ultra vires?

Severin Glaser

Mit seinem Urteil vom , 2 BvR 859/15, 2 BvR 1651/15, 2 BvR 2006/15, 2 BvR 980/16, hat das deutsche BVerfG zum ersten Mal Unionsrechtsakte als Handlungen ultra vires eingestuft, sich selbst für nicht an ein als willkürlich bezeichnetes EuGH-Urteil in einem Vorabentscheidungsverfahren gebunden erklärt und deutschen Verfassungsorganen, Behörden und Gerichten untersagt, am Zustandekommen und der Umsetzung von Ultra-vires-Akten mitzuwirken. Während der Anlassfall EZB-Beschlüsse über ein Staatsanleiheprogramm betraf, stellt sich die Frage, ob auch für das Strafrecht relevante EU-Rechtsakte ultra vires ergangen sein könnten, und welche Konsequenzen sich daraus – insb aus österreichischer Sicht – ergäben.

1. Ultra-vires-Lehre und Europäische Union

Ganz allgemein bezeichnet die Ultra-vires-Lehre den Umstand, dass die Rechte einer juristischen Person auf ihren Aufgabenkreis beschränkt sind; bei einer Überschreitung dieser Befugnisse liegen rechtsunwirksame Akte vor. Auch im Zusammenhang mit der EU wurde die Ultra-vires-Lehre schon seit Jahren diskutiert. Zwar hat der EuGH schon vor Jahrzehnten einen Vorrang des Unionsrechts vor dem nationalen Recht postuliert, der – obwohl er bis heute in den ...

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