1.3.6.2. Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes
179Für die Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes auf Konzernreorganisationen gilt Kapitel IX der OECD-VPL. Dabei ist maßgeblich (Z 9.39 OECD-VPL):
ob etwas an Wert (zB Wirtschaftsgüter oder eine Geschäftstätigkeit) übertragen wird oder ob bestehende Verträge beendet oder wesentlich neuverhandelt werden, und
ob in beiden Fällen zwischen fremden Dritten eine Vergütung dafür vereinbart worden wäre.
180Im Rahmen von Konzernreorganisationen können typischerweise körperliche Wirtschaftsgüter (zB Maschinen, Anlagen oder Lagerbestände), immaterielle Werte und Rechte (zB Patente, Marken, Know-how oder Kundenlisten) oder Geschäftstätigkeiten ("ongoing concern") übertragen werden. Übertragung einer Geschäftstätigkeit, dh. einer funktionierenden, wirtschaftlich integrierten Geschäftseinheit, bedeutet in diesem Zusammenhang die Übertragung von Vermögenswerten, zusammen mit der Fähigkeit zur Ausübung bestimmter Funktionen und zur Übernahme bestimmter Risiken (Z 9.68 OECD-VPL). Die Übertragung einer Geschäftstätigkeit im Sinne der OECD-VPL ist jedenfalls vom Anwendungsbereich des § 6 Z 6 lit. a EStG 1988 erfasst (Überführung eines (Teil-)Betriebs).
Gebührt demnach einer von einer Konzernreorganisation betroffenen übertragenden Gesellschaft eine fremdübliche Reorganisationsentschädigung, ist deren Höhe nach den Umständen des Einzelfalles zu ermitteln. Wird im Rahmen einer Konzernreorganisation ein ganzer (Teil-)Betrieb verlegt, so wird bei der Ermittlung des Fremdvergleichswertes in der Regel auch ein Firmenwert zu berücksichtigen sein (EStR 2000 Rz 2517). Bei der Übertragung von mehreren Wirtschaftsgütern, die keinen Betrieb oder Teilbetrieb darstellen, kann der Fremdvergleichswert ebenfalls höher als die Summe der Werte der einzelnen Wirtschaftsgüter sein, sofern auch ein fremder Dritter bereit wäre, für das Bündel von Wirtschaftsgütern einen höheren Preis zu zahlen (Z 6.28 OECD-VPL).
181Die Gründe einer Konzernreorganisation sind zu dokumentieren. Werden Synergieeffekte (Rz 200) angestrebt, sind diese zu erläutern und zu begründen. Die Beweggründe für die Übertragung oder Übernahme signifikanter Risiken sowie die Evaluierung der Auswirkung der Konzernreorganisation auf das Gewinnpotential sind festzuhalten (Z 9.33 OECD-VPL). Gemäß § 3 Z 6 und § 8 Z 2 VPDG-DV sind Umstrukturierungen der Geschäftstätigkeit im Master und im Local File zu dokumentieren (Rz 476 ff). Folgende Fragen geben einen Anhaltspunkt für eine derartige Dokumentation:
Um welche Art von Business Restructuring handelt es sich - welche Einheiten (Produktions-/Vertriebseinheiten etc.) bzw. welche geografischen Strukturen (zB weltweit, überregional nur Europa, ausschließlich lokale Einheiten) sind überhaupt betroffen?
Wurde vor und nach dem Umstrukturierungsprozess eine Funktions- bzw. Risikoanalyse des abgebenden und des übernehmenden Unternehmens durchgeführt und wurden Feststellungen über Zu- bzw. Abgänge von wesentlichen Vermögenswerten getroffen?
Welche Überlegungen wurden iVm der Übertragung von materiellen und immateriellen Wirtschaftsgütern (inkl. fundierte Beschreibung dieser Wirtschaftsgüter sowie der DEMPE-Funktionen bei immateriellen Wirtschaftsgütern) sowie der Verbindlichkeiten angestellt?
Hat die die Funktionen und Risiken sowie die Vermögenswerte übernehmende Gesellschaft überhaupt die entsprechende Kapital- und Personalausstattung, um diese Geschäfte auch tatsächlich durchführen zu können?
Übt die funktionsreduzierte Gesellschaft nach der Umstrukturierung immer noch wesentliche Funktionen im Rahmen ihrer geschäftlichen Aktivitäten als Dienstleistung für verbundene Unternehmen aus?
Werden dem funktionsreduzierten Unternehmen die tatsächlich verbliebenen Funktionen/Risiken (inklusive jener, welche nicht übertragen wurden und als "profit drivers" angesehen werden können) - dem Fremdvergleichsgrundsatz entsprechend - vergütet?
Übt die übernehmende Gesellschaft nach der Umstrukturierung ihre Geschäfte zur Gänze oder teilweise - eventuell unter maßgeblicher Einbindung der funktionsreduzierten Gesellschaft - mittels einer Betriebsstätte oder einer Vertreterbetriebsstätte in Österreich aus?
Welcher Gesellschaft wurden die Kosten der Umstrukturierung angelastet und wurden (steuerliche) Aufwendungen iVm dem Erwerb von immateriellen Wirtschaftsgütern geltend gemacht? Wurden Bewertungen (Gutachten) iVm der Übertragung von Vermögenswerten erstellt?
Wurden iVm der Umstrukturierung Unterlagen erstellt wie zB Feasibility-Studien, geänderte Geschäftspläne/-strategien, Berichte von externen/internen Beratern etc.?
Welche Auswirkungen hatte die Umstrukturierung zB auf die leitenden Angestellten (im Hinblick auf Tantiemenregelungen, Verantwortungsbereiche) oder auf das Reportingsystem etc.?
Beträgt das erwartete jährliche EBIT des funktionsreduzierten Unternehmens über einen Zeitraum von drei Jahren nach der Übertragung weniger als 50% des jährlichen unternehmensrechtlichen EBIT, das erwartet worden wäre, wenn die Übertragung nicht stattgefunden hätte (Hinweis auf eine allfällige Meldepflicht nach EU-MPfG, Rz 495 ff)?
182Hierbei ist auch zu untersuchen, ob die von der Reorganisation betroffenen Gesellschaften - als fiktiv unabhängige Unternehmen - eine Beteiligung an der Reorganisation hätten verweigern können, weil ihnen geschäftliche Alternativen realistischerweise offen gestanden wären (Z 9.27 OECD-VPL). Gegebenenfalls ist dies bei der Ermittlung einer angemessenen Reorganisationsentschädigung zu berücksichtigen.
183Eine genaue Funktionsanalyse vor und nach der Umstrukturierung ist erforderlich, um die Höhe der Entschädigung zu ermitteln, die der umstrukturierten Gesellschaft zusteht, und um festzustellen, welche Konzerngesellschaft zu dieser Entschädigung nach Fremdverhaltensgrundsätzen verpflichtet ist. Eine Entschädigung ist zu leisten, wenn die Reorganisation sich nachteilig für die betroffene Konzerngesellschaft auswirkt. Dies wäre etwa dann der Fall, wenn körperliche oder unkörperliche Wirtschaftsgüter übertragen werden bzw. verloren gehen (Rz 180), denn kein unabhängiges Unternehmen wäre bereit, entschädigungslos auf Vermögenswerte zu verzichten.
184Der Umstand, dass sich der Konzern in seinem Gesamtinteresse zu der Umstrukturierung genötigt sah, enthebt nicht von diesem Prüfungserfordernis. Denn der Fremdvergleichsgrundsatz gilt nicht für den Konzern insgesamt, sondern für die einzelne Konzerngesellschaft (siehe zB Z 9.12 OECD-VPL). Die Entschädigungsleistung muss daher den wirtschaftlichen Schaden der von der Reorganisation betroffenen Einzelgesellschaft abgelten.
185Der bloße Umstand, dass befristete Konzernverträge nicht mehr verlängert oder aufgekündigt werden, kann für sich allein keinen Grund für eine Verweigerung einer Entschädigungsleistung darstellen. Umgekehrt besteht aber auch nicht bei jeder Kündigung oder wesentlichen Neuverhandlung automatisch ein Anspruch auf eine Entschädigung (Z 9.78 OECD-VPL). Als Anhaltspunkt für die Notwendigkeit einer solchen Entschädigung dienen zB die jeweils diesbezüglich anwendbaren unternehmens- oder zivilrechtlichen Bestimmungen (Z 9.80 ff OECD-VPL). Wurden in den Verträgen entsprechende Klauseln vereinbart, so sind diese in Hinblick auf die Vertragsdauer und die übernommenen Verpflichtungen auf ihre Fremdüblichkeit zu überprüfen.
Wurden Entschädigungsklauseln nicht vertraglich vereinbart, kann dennoch eine Entschädigungszahlung zu leisten sein, wenn auf dem Markt zwischen fremden Dritten solche Klauseln unter vergleichbaren Umständen bei Kündigung oder Beendigung von Verträgen üblich sind (zB Earn-out Klauseln, Investitionsersatzansprüche, Kündigungsentschädigungszahlungen, Wettbewerbsverzicht, Konkurrenzverbot, Stillhalteklausel). Auch gesetzliche Verpflichtungen (zB § 24 HVertrG 1993) können nicht vertraglich vereinbarte Entschädigungszahlungen bedingen.
Beispiel:
Die Konzerngesellschaft S hat in der Vergangenheit auf ihre Kosten den Marktzugang für den Konzern geöffnet und in diesem Zusammenhang auch langfristig zu amortisierende Investitionen getätigt. Im Rahmen einer Reorganisation von S ist zu berücksichtigen, dass aus der Sicht des Fremdvergleichsgrundsatzes eine Entschädigungsklausel in die Verträge mit S aufgenommen hätte werden müssen (Z 9.78 OECD-VPL). Die Vertragsverhältnisse sind in solchen Fällen - ungeachtet der formalrechtlichen Vertragsformulierungen - als langfristig gültig zu werten, denn ein fremder Dritter würde keine umfassenden Investitionen tätigen, wenn er sich nicht dahingehend absichern würde, dass sich diese auch amortisieren.
185aIm Rahmen einer Konzernstrukturänderung können auch Restrukturierungs- oder Schließungskosten einen Entschädigungsanspruch bedingen, selbst wenn keine Wirtschaftsgüter übertragen werden, sondern nur konzerninterne Verträge gekündigt bzw. wesentlich neuverhandelt werden. Bei der Analyse der Fremdvergleichskonformität der Bedingungen der Vertragskündigung bzw. -neuverhandlung wie auch bei der Bestimmung der Konzerngesellschaft, die die damit einhergehende Entschädigung zu leisten hat, sind das Funktions- und Risikoprofil sowie die Verhandlungspositionen aller beteiligten Konzerngesellschaften zu berücksichtigen. Dabei sind jeweils die Gegebenheiten und die Umstände des Einzelfalls zu prüfen, insbesondere die Rechte und sonstigen Vermögenswerte der Beteiligten, die von den Beteiligten übernommenen Risiken sowie die wirtschaftlichen Beweggründe für die Vertragsauflösung. Außerdem ist die Frage zu beantworten, für welche Beteiligten die Vertragsauflösung von Vorteil sein dürfte, sowie die Alternativen, die den Beteiligten realistischerweise zur Verfügung stehen (Z 9.93 OECD-VPL).
Grundsätzlich sind Restrukturierungs- oder Schließungskosten vom übertragenden Unternehmen dann nicht zu tragen, wenn es realistische Handlungsalternativen zur Reorganisation gibt bzw. dieses Unternehmen ein reduziertes Funktions- und Risikoprofil hat und daher selbst nur eingeschränkt über Marktchancen und -risiken disponieren kann (zB Routineunternehmen mit Vergütung auf Grundlage der Kostenaufschlagsmethode).
Beispiel:
Das österreichische Konzernunternehmen Y-GmbH nimmt im Jahr X1 eine Auftragsfertigungstätigkeit für Industrieprodukte exklusiv für die ausländische Konzernmutter Z-AG und unter Konkurrenzverbot zu deren Gunsten auf. Die Y-GmbH wird mit entsprechendem Eigenkapital und Fremdkapital ausgestattet, um Spezialmaschinen, die anderweitig nicht nutzbar sind, mit Anschaffungskosten in Höhe von mehreren Mio. Euro und einer betriebsgewöhnlichen Nutzungsdauer von 15 Jahren anzuschaffen. Vergütet wird die Auftragsfertigungstätigkeit fremdüblich mittels kostenbasierter TNMM auf Basis von Vollkosten (inkl. Maschinen-Afa) und einem Gewinnaufschlag von 7%. Entscheidend für die Standortwahl war die Verfügbarkeit hoch qualifizierter Fachkräfte am österreichischen Standort. Es gibt noch weitere Standorte mit demselben Produktsortiment in Deutschland, China und den USA.
Wegen Überkapazitäten im Konzern kündigt die Z-AG im Jahr X7 den Auftragsfertigungsvertrag mit der Y-GmbH unter Wahrung der Kündigungsfrist von drei Monaten, während die anderen Produktionsstandorte aufgewertet werden. Der österreichische Produktionsstandort der Y-GmbH wird in der Folge geschlossen. Die Maschinen werden vollständig abgeschrieben und mit großem Verlust an fremde Dritte veräußert. Ein Sozialplan mit Aufwand in Höhe von mehreren Mio. Euro wird umgesetzt. Materielle oder immaterielle Wirtschaftsgüter werden innerhalb des Konzerns anlässlich der Werksschließung nicht übertragen. Die angeführten Restrukturierungsaufwendungen werden von der Z-AG mit dem Argument nicht ersetzt, dass Entschädigungsansprüche vertraglich nicht vereinbart wurden und die Kosten einer Werksschließung in fremdüblicher Weise stets von dem von der Schließung betroffenen Unternehmen selbst zu tragen seien.
Da anlässlich der Werksschließung konzernintern keine materiellen und immateriellen Wirtschaftsgüter übertragen werden, kann sich eine Entschädigungsleistung gegenüber der Y-GmbH nur aus der Vertragsbeendigung ergeben. Auch wenn gesetzliche oder vertragliche Entschädigungsklauseln fehlen, ist zu prüfen, ob unter fremden Dritten in vergleichbaren Umständen solche Klauseln vereinbart worden wären. Im vorliegenden Fall kommen vor allem so genannte Investitionsschutzklauseln in Betracht. Derartige Klauseln betreffen Investitionsgüter, die für die Durchführung des Auftragsverhältnisses wesentlich sind, und sollen die Investitionen der investierenden Vertragspartei absichern, die aus eigenen Mitteln finanziert werden. Darin wird geregelt, in welchem Ausmaß sich der Vertragspartner an den Investitionskosten beteiligt, wenn das Vertragsverhältnis vor Amortisation der Investitionen vorzeitig beendet wird. Ohne Investitionsschutzklausel würde ein ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsführer nicht langfristige und erhebliche Investitionen tätigen und als Gegenleistung lediglich eine geringe Vergütung als Dienstleister auf Kostenbasis mit einem moderaten Gewinnaufschlag akzeptieren (in diesem Sinne auch Z 9.87 ff OECD-VPL).
Im vorliegenden Fall sind die Anschaffungskosten der Maschinen, die von der Y-GmbH finanziert wurden, erst teilweise über die Weiterverrechnung der Afa amortisiert. Der Aufwand im Zusammenhang mit der außerordentlichen Abschreibung ist von der Z-AG zu ersetzen, da es sich im Wesentlichen um nur konzernintern nutzbare Spezialmaschinen handelte und die Y-GmbH sich vertraglich exklusiv an die Auftraggeberin Z-AG gebunden hatte. Auch die Sozialplankosten sind von der Z-AG im Rahmen der Entschädigungsleistung zu berücksichtigen, weil die Y-GmbH lediglich einen Routinegewinn erzielt, mit dem nach Abzug der Restrukturierungskosten kein angemessener betrieblicher Gesamtgewinn erzielt werden kann. Für einen Ersatz der gesamten Restrukturierungsaufwendungen durch die Z-AG spricht auch der Umstand, dass die Schließung des Werkes zu einer besseren Auslastung anderer Standorte im Konzern führt und damit ein wirtschaftlicher Vorteil bei der Z-AG bzw. bei einem verbundenen Unternehmen geschaffen wird (siehe auch Z 9.94 ff OECD-VPL).
186Die durch eine Reorganisation verursachte Übertragung von Gewinnchancen kann sich auf die Bewertung von übertragenen Vermögenswerten oder eines Firmenwerts oder von Entschädigungsansprüchen aus Vertragsänderungen auswirken (Hinweis auf Z 9.40 OECD-VPL). Der Umstand, dass mit der Umstrukturierung nicht nur Gewinnchancen, sondern auch Risiken auf ein anderes Konzernunternehmen übergehen, entbindet nicht von einer Entschädigungsleistung, wenn insgesamt eine Gewinnminderung zu erwarten ist.
Beispiel:
Eine Vertriebsgesellschaft, deren fremdübliche Reingewinnsätze in den letzten fünf Jahren zwischen 5% und 10% vom Umsatz betrugen und bei der keine wesentliche Veränderung in den nächsten Jahren zu erwarten ist, wäre als fremdes Unternehmen nicht bereit, sich ohne entsprechende Entschädigung mit einer Kommissionärsfunktion abzufinden. Denn die Vertriebsgesellschaft hat aufgrund der Rechte, über die sie gemäß der langfristigen Vereinbarung in Bezug auf diese Geschäftsvorgänge verfügt, realistischerweise die Option, eine Umwandlung in ein im Auftrag eines verbundenen ausländischen Unternehmens tätiges risikoarmes Vertriebsunternehmen anzunehmen oder abzulehnen. Daran vermag auch der Umstand nichts zu ändern, dass damit ein garantierter Gewinn in Höhe von 2% vom Umsatz verbunden ist (siehe in diesem Sinn Z 9.45 ff OECD-VPL).
Die Höhe der Entschädigungsleistung ist unter Berücksichtigung der Sicht des Käufers sowie des Verkäufers und ihrer realistischerweise zur Verfügung stehenden Alternativen zu ermitteln (Z 9.27 OECD-VPL). Daher wird die Entschädigungsleistung nicht nur von verlorenen Gewinnchancen des abgebenden, sondern auch von gewonnenen Gewinnchancen des übernehmenden Unternehmens abhängen. Aufgrund dieser beiden Perspektiven ergeben sich Wertunter- und Wertobergrenzen für die Entschädigungsleistung.
187Wird beispielsweise im Zuge einer Konzernreorganisation eine inländische Vertriebsgesellschaft zu einer Kommissionärsgesellschaft herabgestuft, ist zu prüfen, ob durch diese Statusveränderung immaterielle (Marketing-)Werte, die in der Vergangenheit geschaffen wurden, auf die Kommittentengesellschaft übergehen. Dies gilt insbesondere für die Marktpräsenz, wenn diese vor der Reorganisation von der inländischen Gesellschaft aufgebaut worden ist. Denn ergibt ein Fremdvergleich mit einer neu gegründeten Kommissionärsgesellschaft, dass die Kosten des Marktzugangs vom Kommittenten (zB dem Hersteller) getragen würden, dann hätte bei einer Umstellung der Funktionen einer Vertriebstochtergesellschaft auf eine bloße Kommissionärsgesellschaft ein Übergang derartiger immaterieller Werte auf den Kommittenten stattgefunden, weshalb Anspruch auf eine Entschädigungsleistung bestünde. Ein Übergang der immateriellen Werte auf den Kommittenten würde nur insoweit nicht stattfinden, als ein Vergleich mit einem branchengleichen fremden Kommissionär ergibt, dass auch dieser die Kosten des Marktzugangs zu tragen hat und daher solche immateriellen Werte ihm zuzurechnen sind. In diesem Fall müsste dies aber der umstrukturierten Konzerngesellschaft entsprechend abgegolten werden (Z 9.64 und 9.104 OECD-VPL).
188Im Fall einer Herabstufung einer inländischen Produktionsgesellschaft zu einem bloßen Lohnfertiger ist beispielsweise zu untersuchen, ob hierdurch ein in der inländischen Produktionsgesellschaft entwickeltes Know-how in entgeltpflichtiger Weise auf die ausländische Konzerngesellschaft übergeht.
189Werden im Zuge einer Konzernstrukturänderung die Vertragsbeziehungen zu (fremden) Kunden einer inländischen Konzerngesellschaft zu Gunsten einer ausländischen Konzerngesellschaft beendet und ist die begünstigte ausländische Gesellschaft nach dem Fremdvergleichsgrundsatz zur Leistung einer Entschädigung für die erlangten Geschäftschancen verpflichtet (Rz 185), dann gilt diese Verpflichtung auch dann, wenn zwischen diesen beiden Gesellschaften keine vertraglichen Vereinbarungen getroffen worden sind.
190Es entspricht dem Wesen des in Art. 9 OECD-MA verankerten Fremdvergleichsgrundsatzes, dass eine Befolgung von Weisungen der Muttergesellschaft, die sich nachteilig auf die Tochtergesellschaft auswirken, eine angemessene Abgeltung verlangt. Dies gilt auch im Fall von Umstrukturierungen, die sich nachteilig auf die Konzerngesellschaft auswirken. Darauf basierende gewinnerhöhende Berichtigungen durch Ansatz eines Entschädigungsbetrags bei einer von der Konzernstrukturänderung negativ betroffenen Konzerngesellschaft müssen aber auch zu korrespondierenden Berichtigungen im anderen betroffenen Staat führen.
Beispiel:
Die inländische A-GmbH ist die Tochtergesellschaft der im Staat B ansässigen B-AG und hat einen Teil ihrer Produktion an die im Staat C ansässige Gesellschaft C abzugeben. Diese Konzernstrukturänderung geht auf eine neue Konzernstrategie zurück, die von der Konzernspitze, der im Staat P ansässigen P-Corp. angeordnet worden ist. Es steht außer Streit, dass die A-GmbH Anspruch auf eine Entschädigung besitzt. Erzielt aus dieser Umstrukturierung allein die Muttergesellschaft B Vorteile, so wird B diese Entschädigung zu tragen haben; ergibt die Fremdvergleichsprüfung, dass auch die mit der Produktion neu beauftragte Gesellschaft C für die Akquisition dieses Auftrages eine Zahlung zu leisten hat, dann wird die Entschädigungssumme von B und C gemeinsam zu tragen sein. Sollte sich indessen ergeben, dass durch die Konzernstrukturänderung weder B noch C signifikante Vorteile zu erwarten haben und dass die Neuausrichtung der Konzernstrategie vielmehr im Interesse des Gesamtkonzerns von der Konzernspitze aus getätigt worden ist, dann wird die P-Corp. mit der Entschädigungssumme zu belasten sein (Z 9.94 ff OECD-VPL). Findet keine korrespondierende Gegenberichtigung im jeweils betroffenen Ausland statt, wird eine Klärung im Wege eines Verständigungsverfahrens herbeizuführen sein.
191Konzerninterne Transaktionen, die nach einer Konzernstrukturänderung durchgeführt werden, sind genauso am Maßstab des Fremdvergleichsgrundsatzes zu messen, als stünden sie nicht in einem Zusammenhang mit einer solchen Änderung. Dennoch können tatsächliche Unterschiede bestehen, die sich unter Umständen auf die Vergleichbarkeitsanalyse auswirken (Z 9.101 OECD-VPL). Die Situation vor der Umstrukturierung kann zB die realistisch verfügbaren Optionen der umstrukturierten Gesellschaft erhellen (Z 9.120 OECD-VPL).
Beispiel 1:
Im Rahmen eines weltweiten Spezialisierungsprogramms eines Konzerns wird bei der inländischen Produktions- und Vertriebsgesellschaft P die Produktionspalette eingeschränkt, sodass P genötigt wird, den bisher selbst hergestellten Teil ihrer im Inland vertriebenen Konzernprodukte von ausländischen Konzerngesellschaften teuer zuzukaufen. Je nach Sachverhalt kann sich aufgrund der Übertragung von Vermögenswerten oder der Beendigung bzw. Änderung von Verträgen ein Entschädigungsanspruch für P ergeben. Bei der Ermittlung des fremdüblichen Verrechnungspreises für die nach der Reorganisation vertriebenen Konzernprodukte wird in Hinblick auf die realistisch verfügbaren Optionen auch der Verlust der bisherigen lokalen Synergieeffekte berücksichtigt werden müssen.
Beispiel 2:
Die A-GmbH bezieht nach einer Konzernreorganisation die Konzernprodukte nicht mehr von ihrem bisherigen Konzernlieferanten, sondern von einer schweizerischen Konzerngesellschaft, auf die im Zuge der Reorganisation bisher von Österreich aus wahrgenommene Marketingfunktionen übergegangen sind. Durch die Konzernreorganisation vermindert sich die Nettomarge der A-GmbH von bisher durchschnittlich 10% auf 2,5% vom Umsatz. Soweit dieselben Produkte wie vor der Konzernumstellung in Österreich vertrieben werden und die Verrechnungspreise in der Vergangenheit als fremdüblich anzusehen waren, wird sich an den Warenbezugspreisen nichts Wesentliches ändern dürfen, sofern die A-GmbH realistischerweise die Option gehabt hätte, die Waren weiterhin um den ursprünglichen Preis zu beziehen. Der fremdübliche Preis für die nach der Reorganisation aus der Schweiz bezogenen Marketingdienstleistungen wird sich an den Marketingkosten zu orientieren haben, die sich die österreichische Gesellschaft erspart. Es ist jedoch anzuerkennen, dass die Warenbezugspreise so erhöht werden, dass damit die Marketingleistungen abgegolten werden.
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Zusatzinformationen | |
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Gültig ab: | |
Materie: | Steuer |
Betroffene Normen: | VPDG, Verrechnungspreisdokumentationsgesetz, BGBl. I Nr. 77/2016 VPDG-DV, Verrechnungspreisdokumentationsgesetz-Durchführungsverordnung, BGBl. II Nr. 419/2016 EStG 1988, Einkommensteuergesetz 1988, BGBl. Nr. 400/1988 KStG 1988, Körperschaftsteuergesetz 1988, BGBl. Nr. 401/1988 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 Art. 5 OECD-MA, OECD-Musterabkommen Art. 7 OECD-MA, OECD-Musterabkommen Art. 9 OECD-MA, OECD-Musterabkommen § 6 Z 6 lit. a EStG 1988, Einkommensteuergesetz 1988, BGBl. Nr. 400/1988 § 3 Z 6 VPDG-DV, Verrechnungspreisdokumentationsgesetz-Durchführungsverordnung, BGBl. II Nr. 419/2016 § 8 Z 2 VPDG-DV, Verrechnungspreisdokumentationsgesetz-Durchführungsverordnung, BGBl. II Nr. 419/2016 Art. 9 OECD-MA, OECD-Musterabkommen EU-MPfG, EU-Meldepflichtgesetz, BGBl. I Nr. 91/2019 § 24 HVertrG 1993, Handelsvertretergesetz, BGBl. Nr. 88/1993 |
Verweise: | VPR 2021, Verrechnungspreisrichtlinien 2021 Rz 200 VPR 2021, Verrechnungspreisrichtlinien 2021 Rz 476 ff VPR 2021, Verrechnungspreisrichtlinien 2021 Rz 495 ff VPR 2021, Verrechnungspreisrichtlinien 2021 Rz 180 VPR 2021, Verrechnungspreisrichtlinien 2021 Rz 185 EStR 2000, Einkommensteuerrichtlinien 2000 Rz 2517 |
Schlagworte: | Doppelbesteuerung - Verrechnungspreise - Fremdvergleichsgrundsatz - Arm's Length Principle - Transfer Pricing - Einkünfteabgrenzung - Preisvergleichsmethode - Wiederverkaufspreismethode - Kostenaufschlagsmethode - Nettomargenmethode - Gewinnaufteilungsmethode - Konzernumlagen - konzernintern - Kostenverteilungsverträge - Cash Pooling - Konzernstrukturänderungen - multinationale Konzernstrukturen - multinationale Betriebstättenstrukturen - Vertreterbetriebstätte - Funktionsanalyse - Risikoanalyse - AOA light - Authorized OECD Approach - Dokumentation - Verrechnungspreisdokumentation - Advance Pricing Agreement - APA - MAP - Verständigungsverfahren - Primärberichtigung - Sekundärberichtigung - Verrechnungspreisberichtigung - immaterielle Werte - Finanztransaktionen - Datenbankstudie - Betriebsstättengewinnzurechnung - Wirtschaftsgüterzuordnung - wesentliche Mitarbeiterfunktionen - Dotationskapital - Vergleichbarkeitsanalyse - Vergleichbarkeitsfaktoren - Methodenwahl |
Stammfassung: | 2021-0.586.616 |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at
Fundstelle(n):
PAAAA-76464