VwGH 11.02.2025, Ra 2023/15/0103
Entscheidungsart: Beschluss
Rechtssätze
Tabelle in neuem Fenster öffnen
Normen | |
RS 1 | Ob Abgaben hinterzogen sind, bildet eine Vorfrage nach § 116 Abs. 1 BAO für die Frage, ob die längere Verjährungsfrist des § 207 Abs. 2 zweiter Satz BAO anzuwenden ist. Der Tatbestand der hinterzogenen Abgaben im Sinne des § 207 Abs. 2 BAO ist nach § 33 FinStrG zu beurteilen. Wenn eine Verurteilung wegen Hinterziehung einer bestimmten Abgabe vorliegt, dann ist die Abgabe im Abgabenverfahren als hinterzogen zu behandeln (vgl. ). Im Falle eines Freispruches besteht aber keine solche Bindung (vgl. ), und zwar schon wegen der anders gearteten Beweisregeln (vgl. , mwN). Im Falle eines Freispruches im Strafverfahren sowie in jenen Fällen, in denen es kein Strafverfahren gibt, ist es damit Sache des Finanzamtes, die maßgebenden Hinterziehungskriterien nachzuweisen. |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie Ra 2019/13/0038 B RS 1 (hier ohne den zweiten Satz; anstelle des letzten Satzes: Im Falle eines Freispruches im Strafverfahren sowie in jenen Fällen in denen das Strafverfahren eingestellt wurde, ist es damit Sache des Finanzamtes bzw. des im Beschwerdeverfahrens zuständigen VwG, die maßgebenden Hinterziehungskriterien nachzuweisen.) |
Normen | |
RS 2 | Nach der Rechtsprechung des VwGH zu § 207 Abs. 2 BAO gilt für die Beurteilung, ob Abgaben hinterzogen wurden, der Grundsatz der freien Beweiswürdigung und damit ein anderes Beweismaß als im Finanzstrafverfahren (vgl. ). |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie Ra 2020/13/0096 B RS 2 |
Norm | |
RS 3 | Dass eine Schätzung mit Ungewissheiten und Ungenauigkeiten behaftet ist, bewirkt noch keine Unzulässigkeit der Ermittlung von Besteuerungsgrundlagen durch Schätzung, sondern es muss derjenige, der zur Schätzung Anlass gibt, die mit ihr verbundene Ungewissheit - soweit das Schätzungsverfahren ordnungsgemäß durchgeführt worden ist - grundsätzlich hinnehmen (vgl. etwa , mwN). |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie Ra 2020/15/0074 B RS 3 |
Entscheidungstext
Beachte
Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden):
Ra 2023/15/0104
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bachler sowie die Hofräte Mag. Novak und Dr. Sutter als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Kittinger, LL.M., über die Revision der T C R in S, vertreten durch die MOORE Salzburg GmbH Wirtschaftstreuhand- und Steuerberatungsgesellschaft in 5020 Salzburg, Innsbrucker Bundesstraße 126, gegen die Erkenntnisse des Bundesfinanzgerichts jeweils vom , 1. Zl. RV/6100182/2020, betreffend Wiederaufnahme des Umsatz- und Einkommensteuersteuerverfahrens 2009 und Einkommensteuer 2009 (hg. protokolliert zu Ra 2023/15/0103) und 2. Zl. RV/6100268/2020, betreffend Wiederaufnahme des Einkommen- und Umsatzsteuerverfahrens 2010 bis 2012 und Einkommen- und Umsatzsteuersteuer 2010 bis 2012 (hg. protokolliert zu Ra 2023/15/0104), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Die Revisionswerberin führte - nach den Feststellungen des Bundesfinanzgerichts (BFG) - in den Streitjahren 2010 bis 2012 einen Cafe- bzw. Gastronomiebetrieb und ermittelte ihren Gewinn daraus durch Einnahmen-Ausgaben-Rechnung gemäß § 4 Abs. 3 EStG 1988. Aufgrund einer Hausdurchsuchung bei ihrem Getränkelieferanten ergaben sich Hinweise auf Unregelmäßigkeiten, nachdem bei diesem zeitlich hintereinander im Wesentlichen die gleichen Produkte einerseits auf offiziellen Kundennamen und andererseits mit der Bezeichnung VIP anonym und damit „schwarz“ gekauft wurden und es in mehreren (anderen) Fällen zu entsprechenden Geständnissen über Malversationen kam.
2 Mit ergingen - im Zuge einer Außenprüfung gemäß § 99 FinStrG - zunächst Bescheide, mit denen die Umsatz- und Einkommensteuerverfahren 2009 wiederaufgenommen und in der Folge diese Abgaben neu festgesetzt wurden.
3 Mit ergingen sodann - nach Durchführung der Außenprüfung gemäß § 99 FinStrG (Schlussbesprechung ) - Bescheide, mit denen auch die Umsatz- und Einkommensteuerverfahren 2010 bis 2012 wiederaufgenommen und in der Folge diese Abgaben neu festgesetzt wurden.
4 Gegen sämtliche dieser Bescheide erhob die Revisionswerberin Beschwerde.
5 Ein gegen die Revisionswerberin parallel eingeleitetes Finanzstrafverfahren wurde in der Folge eingestellt.
6 Mit den beiden nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung erlassenen und unter einem angefochtenen Erkenntnissen, in denen eine Revision nicht zugelassen wurde, hob das BFG einerseits den Bescheid des Finanzamts über die Wiederaufnahme des Umsatzsteuerverfahrens 2009 auf, wies die Beschwerde gegen den Bescheid über die Wiederaufnahme des Einkommensteuerverfahrens 2009 als unbegründet ab und änderte die Festsetzung der Einkommensteuer 2009 ab (RV/6100182/2020) sowie wies andererseits die Beschwerden hinsichtlich der Wiederaufnahmen 2010 bis 2012 ab und änderte die Festsetzungen der Umsatz- und Einkommensteuer 2010 bis 2012 ab (RV/6100268/2020).
7 Begründend führte das BFG aus, es habe keine Zweifel daran, dass durch den Lieferanten zumindest im Streitzeitraum 2009 bis 2012 systematisch und in großen Mengen „schwarze Ware“ anonym in Umlauf gebracht worden sei, indem in unmittelbarem chronologischen Zusammenhang vor oder nach offiziellen Einkäufen von Gastronomen an diese auch Getränke ohne deren Erfassung und damit anonym abgegeben worden seien. Auf der Liste einer Angestellten des Lieferanten scheine zudem die Revisionswerberin mit einem entsprechenden Vermerk („kauft auch privat“) auf. Ungeachtet der rechtskräftigen Einstellung des Finanzstrafverfahrens, dessen Ablauf, Ausgang und Begründung es näher darstellte, komme das BFG (nach seinem Beweismaßstab der freien Beweiswürdigung) zum Schluss, dass angesichts der gegenständlichen Einkäufe im Revisionsfall so weitgehende Hinweise auf eine Abgabenhinterziehung vorlägen, dass § 207 Abs. 2 BAO zur Anwendung komme und danach eine Wiederaufnahme der Verfahren durchzuführen sei.
8 Da sich eine Zuordnung anonymer Einkäufe an die Revisionswerberin - im Gegensatz zu anderen Fällen - nicht zusätzlich auf Geständnisse, Abhörprotokolle oder ähnliches stützen könne, sei eine besonders genaue Prüfung der Zuordnungen im Abgabenverfahren notwendig gewesen und habe das BFG eine Zuordnung nur bei von durch die Verkaufslisten des Lieferanten belegten chronologischen und sortimentstypischen bzw. mengentypischen Zusammenhängen vorgenommen. Nur dann, wenn die Beweislage für Zusammenhänge mit den offiziellen Einkäufen der Revisionswerberin so dicht gewesen sei, dass eine weitaus überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür bestehe, dass der unmittelbar vorangegangene oder nachfolgende anonyme Einkauf auch durch bzw. für sie erfolgt sei, habe das BFG sohin die Zuordnung des Finanzamts bestätigt. Für die Beurteilung dieser Wahrscheinlichkeit habe das BFG in den Jahren 2009 bis 2011 die unmittelbare chronologische Verbindung der Einkäufe im Zusammenhang mit einer auffallenden Übereinstimmung des Sortiments der Einkäufe herangezogen. Im Jahr 2012 (Einführung von Zeitstempeln beim Lieferanten) habe das BFG die Übereinstimmung des Sortiments mit einem erwiesenen sehr kurzen zeitlichen Abstand zwischen den Einkäufen verbunden. Festzuhalten sei dabei, dass schon während der Betriebsprüfung alle Vorgänge betreffend Waren, die nicht zum Sortiment der Revisionswerberin zählten, ausgeschieden worden seien, weshalb diese den ursprünglichen Vorwurf der Zuordnung auch sortimentsfremder Waren in der mündlichen Verhandlung nicht aufrechterhalten habe. In der Folge beschäftigte sich das BFG eingehend mit einzelnen Einwendungen der Revisionswerberin gegen die Schätzungsannahmen des Finanzamts und reduzierte - mit ausführlicher fallbezogener Begründung - die Zuschätzungen an die Revisionswerberin erheblich.
9 Die Wiederaufnahme hinsichtlich der Umsatzsteuer 2009 hob das BFG dagegen (ersatzlos) auf, weil sich nach Berücksichtigung der absoluten Verjährung die Zurechnung auf einen sehr niedrigen Betrag und nur mehr etwa 1 % der erklärten Umsätze reduziert habe. Damit sei ein Großteil der vom Finanzamt durchgeführten Umsatzsteuererhöhung 2009 weggefallen. Der verbleibende Betrag sei vor allem relativ gesehen so niedrig, dass im Ermessensweg aus Zweckmäßigkeitsüberlegungen und zum Ausschluss jeder Schätzunsicherheit für die Umsatzsteuer 2009 auf eine Wiederaufnahme verzichtet werde.
10 Gegen diese Erkenntnisse wendet sich unter einem die vorliegende außerordentliche Revision, zu deren Zulässigkeit die Revisionswerberin Abweichungen von der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs geltend macht. Dazu bringt sie zunächst vor, die Unschuldsvermutung nach Art. 6 Abs. 2 EMRK und § 57 Abs. 7 FinStrG greife nach dem Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofs vom , 2009/16/0076, auch bei der Frage, ob eine Abgabenhinterziehung als notwendige Bedingung einer Verlängerung der Verjährungsfrist nach § 207 BAO vorliege. Der Zweifelsgrundsatz „in dubio pro reo“ gelte daher beim Nachweis einer vorsätzlichen Abgabenverkürzung auch bei freier Beweiswürdigung nach § 167 BAO: Nur ein zweifelsfreier Nachweis einer vorsätzlichen Abgabenverkürzung rechtfertige nach dieser Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (im Anschluss an Stoll, BAO-Kommentar 2172; ebenso Ritz/Koran, BAO7 § 207 Rz 15 mwN) eine Verlängerung der Verjährungsfrist auf zehn Jahre.
11 Ferner knüpfe der Vorsteuerabzug gemäß § 12 Abs. 1 Z 1 UStG 1994 an das Vorliegen einer ordnungsgemäßen Rechnung iSd § 11 UStG 1994 an. Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs (Hinweise auf ; , 96/15/0027; , 95/13/0030; , 91/13/0063) dürfe das Recht auf Vorsteuerabzug auch bei „Schwarzeinkäufen“ nicht prinzipiell verweigert werden, wenn es als erwiesen angenommen werden könne, dass dem Unternehmer über die Schwarzeinkäufe auch eine ordnungsgemäße Rechnung iSd § 11 UStG 1994 ausgestellt worden sei.
12 Schließlich verankere § 163 BAO eine Vermutung der Ordnungsmäßigkeit und sachlichen Richtigkeit von Büchern und Aufzeichnungen, die den Vorschriften des § 131 und § 131b BAO entsprächen. Im Revisionsfall stütze das BFG seine Hinzuschätzung von „Schwarzumsätzen“ auf eine unschlüssige und zum Teil aktenwidrige Würdigung der aufgenommenen Beweise.
13 Mit diesem Vorbringen wird die Zulässigkeit der Revision nicht dargetan.
14 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
15 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
16 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
17 Das Recht, eine Abgabe festzusetzen, unterliegt nach § 207 Abs. 1 BAO nach Maßgabe der nachstehenden Bestimmungen der Verjährung. Die Verjährungsfrist beträgt gemäß § 207 Abs. 2 BAO im Allgemeinen fünf Jahre. Soweit eine Abgabe hinterzogen ist, beträgt die Verjährungsfrist nach § 207 Abs. 2 zweiter Satz BAO zehn Jahre.
18 Ob Abgaben hinterzogen sind, bildet eine Vorfrage nach § 116 Abs. 1 BAO für die Frage, ob die längere Verjährungsfrist des § 207 Abs. 2 zweiter Satz BAO anzuwenden ist. Wenn eine Verurteilung wegen Hinterziehung einer bestimmten Abgabe vorliegt, dann ist die Abgabe im Abgabenverfahren als hinterzogen zu behandeln. Im Falle eines Freispruches besteht aber keine solche Bindung, und zwar schon wegen der anders gearteten Beweisregeln (vgl. , mwN).
19 Im Falle eines Freispruches im Strafverfahren sowie in jenen Fällen in denen das Strafverfahren eingestellt wurde, ist es damit Sache des Finanzamtes bzw. des im Beschwerdeverfahrens zuständigen Verwaltungsgerichts, die maßgebenden Hinterziehungskriterien nachzuweisen.
20 Die Beurteilung, ob Abgaben hinterzogen sind, setzt konkrete und nachprüfbare Feststellungen über die Abgabenhinterziehung voraus. Vorsätzlich handelt, wer ein Tatbild mit Wissen und Wollen verwirklicht, wobei ein Eventualvorsatz genügt. Vorsätzliches Handeln beruht nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zwar auf einem nach außen nicht erkennbaren Willensvorgang, ist aber aus dem nach außen in Erscheinung tretenden Verhalten des Täters zu erschließen, wobei sich die diesbezüglichen Schlussfolgerungen als Ausfluss der freien Beweiswürdigung erweisen (vgl. , mwN).
21 Wenn die Revision unter Hinweis auf das hg. Erkenntnis vom , 2009/16/0076, vorbringt, dass bei der Beurteilung, ob Abgaben hinterzogen sind, im Abgabenverfahren die Unschuldsvermutung und der Zweifelsgrundsatz gelten, ist sie auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 207 Abs. 2 BAO zu verweisen, wonach im Abgabenverfahren für die Beurteilung, ob Abgaben hinterzogen wurden, der Grundsatz der freien Beweiswürdigung und damit ein anderes Beweismaß als im Finanzstrafverfahren gilt (zur ständigen Rechtsprechung zu den unterschiedlichen Beweisregeln im Abgaben- und Finanzstrafverfahren vgl. insbesondere ; , Ra 2019/13/0038; , Ra 2020/13/0096; , Ro 2021/13/0019; , Ra 2023/15/0076; sowie zuvor bereits , mwN). Das von der Revision ins Treffen geführte Erkenntnis vom , 2009/16/0076, betraf demgegenüber den hier nicht einschlägigen § 74 ZollR-DG aF (vgl. bereits ). Eine Abweichung des BFG von der hg. ständigen Rechtsprechung kann mit Hinweis auf dieses Erkenntnis somit nicht geltend gemacht werden.
22 Auch der Verfassungsgerichtshof hat in seinem Ablehnungsbeschluss vom , E 1095/2023-11, jüngst keine Bedenken gegen die Anwendung unterschiedlicher Beweisregeln im Finanzstrafverfahren und im Abgabenverfahren gehegt. „Ein Verstoß gegen die Unschuldsvermutung“ - so der VfGH - sei „nicht erkennbar, zumal sich das Bundesfinanzgericht im vorliegenden Fall mit dem eingestellten Finanzstrafverfahren auseinandergesetzt hat und begründet darlegt, dass ungeachtet dessen - auf Grund anderer Beweisregeln im Abgabenverfahren - die längere Verjährungsfrist zur Anwendung kommt (vgl. auch EGMR [GK], 32.483/19 und 35.049/19, Nealon und Hallam).“
23 Im Revisionsfall hat das BFG nachvollziehbar dargelegt, warum es von einer Schätzungsberechtigung wegen sachlicher Unrichtigkeit der Bücher ausgegangen ist, und - entsprechend der skizzierten Rechtsprechungslinie - konkrete fallbezogene Feststellungen dazu getroffen, warum es für Zwecke des Abgabenverfahrens von einer Anwendbarkeit des § 207 Abs. 2 BAO ausgeht. Dabei ist das BFG unter Würdigung der aufgenommenen Beweise davon ausgegangen, dass die Revisionswerberin die ihr im Schätzungswege zugerechneten Getränke bewusst nicht auf ihre Kundennummer, sondern anonym eingekauft und sie bar bezahlt, diese nicht ins Rechenwerk aufgenommen, sie im Anschluss daran in ihrem Lokal um die geschätzten Beträge veräußert habe und diese Umsätze bzw. Erlöse nicht dokumentiert bzw. offengelegt und damit sowohl die errechnete Umsatz- wie auch die Einkommensteuer tatsächlich verkürzt habe.
24 Beweiswürdigend hat sich das BFG u.a. darauf gestützt, dass durch den Lieferanten zumindest im Streitzeitraum 2009 bis 2012 systematisch und in großen Mengen „schwarze Ware“ anonym in Umlauf gebracht worden sei, indem in unmittelbarem chronologischen Zusammenhang vor oder nach offiziellen Einkäufen von Gastronomen an diese auch Getränke ohne deren namentliche Erfassung und damit anonym abgegeben worden seien. Die Revisionswerberin sei dabei auf einer Liste von Gastronomen genannt gewesen, die bei dem Lieferanten auch anonym einkauften, und sei eine Zuordnung von anonymen Einkäufen zur Revisionswerberin (nur) dann erfolgt, wenn die Beweislage für Zusammenhänge mit ihren offiziellen Einkäufen (aufgrund chronologischer / zeitlicher Nähe und Sortimentsübereinstimmung) so dicht gewesen sei, dass eine weitaus überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür bestanden habe, dass der unmittelbar vorangegangene oder nachfolgende anonyme Einkauf auch durch bzw. für sie erfolgt sei. Mit ihren anonymen Bareinkäufen habe die Revisionswerberin bewusst zu verhindern versucht, dass ihr diese auch zugeordnet werden könnten. Das habe dazu gedient, der Abgabenbehörde den Nachweis unmöglich zu machen, dass die Revisionswerberin diese Getränkeeinkäufe nicht in ihr Rechenwerk aufgenommen habe, womit sie sich einen abgabenrechtlich nicht sichtbaren Vertriebskanal aufgebaut habe.
25 Soweit die Revision auf diverse Einwände gegen die Schätzung verweist, ist zunächst darauf hinzuweisen, dass sich das BFG im angefochtenen Erkenntnis eingehend mit den Einwendungen der Revisionswerberin gegen die Schätzung des Finanzamts im Beschwerdeverfahren auseinandergesetzt hat und mit detaillierter Begründung durch Adaption der Schätzung des Finanzamts - wie auch die Revision einräumt - „zu einer signifikant geringeren Festsetzung an Umsatz- und Einkommensteuer“ gelangt ist.
26 Dass eine Schätzung mit Ungewissheiten und Ungenauigkeiten behaftet ist, bewirkt noch keine Unzulässigkeit der Ermittlung von Besteuerungsgrundlagen durch Schätzung, sondern es muss derjenige, der zur Schätzung Anlass gibt, die mit ihr verbundene Ungewissheit - soweit das Schätzungsverfahren ordnungsgemäß durchgeführt worden ist - grundsätzlich hinnehmen (vgl. etwa , mwN).
27 Insoweit sich die Revision auch gegen die Beweiswürdigung des BFG im Rahmen der Schätzung wendet, ist darauf hinzuweisen, dass die Beweiswürdigung der Verwaltungsgerichte nur dahingehend der Kontrolle des Verwaltungsgerichtshofes als Rechtsinstanz unterworfen ist, ob der maßgebliche Sachverhalt ausreichend ermittelt wurde und ob die dabei angestellten Erwägungen schlüssig sind. Eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung liegt in Zusammenhang mit der Beweiswürdigung sohin lediglich dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden unvertretbaren Weise vorgenommen hat (vgl. z.B. ).
28 Eine derartige Unschlüssigkeit der Beweiswürdigung zeigt die Revision jedoch mit ihren Revisionseinwendungen gegen einzelne Schätzannahmen des BFG nicht auf.
29 Schließlich macht die Revision - unter Hinweis auf hg. Rechtsprechung - noch geltend, dass „das Recht auf Vorsteuerabzug auch bei ‚Schwarzeinkäufen‘ nicht prinzipiell verweigert werden“ dürfe, wenn „als erwiesen angenommen werden kann, dass dem Unternehmer über die Schwarzeinkäufe auch eine ordnungsgemäße Rechnung iSd § 11 UStG ausgestellt worden ist“. In den Revisionsgründen spezifiziert sie dies folgendermaßen:
„Vorweg wird darauf verwiesen, dass die Revisionswerberin materiell rechtlich umfassend bewiesen hat, dass Sie zu keinem Zeitpunkt Schwarzeinkäufe getätigt hat. Das Bundesfinanzgericht spricht in angefochtenen Erkenntnissen der Revisionswerberin das Recht auf Abzug der Vorsteuern an den zugerechneten Wareneinkäufen ab. Hierzu wird auf die Berechnungen (Anlage F der Erkenntnisse) verwiesen, welche den hier bekämpften Erkenntnissen beigefügt sind. [...] In gegenständlichem Sachverhalt sind alle der Revisionswerberin hinzugerechneten Schwarzeinkäufe einzeln in den hier bekämpften Erkenntnissen aufgeführt. Da es sich hierbei ausschließlich um ‚Kleinbetragsrechnungen‘ handelt, ist als erwiesen anzunehmen, dass konkrete Barverkäufe des Lieferanten zugerechnet worden sind und dafür auch der Vorsteuerabzug zustehen würde. Die somit entsprechend der hier bekämpften Erkenntnisse berechneten Abgabenmehrbeträge sind somit nicht nur dem Grunde sondern auch der Höhe nach als inkorrekt aufzuheben.“
30 Diese Rüge ist letztlich zu wenig substantiiert, um der Revision zum Durchbruch zu verhelfen, wendet sie sich doch lediglich pauschal gegen ein einzelnes Berechnungsblatt des Erkenntnisses, das mehrere detaillierte Berechnungsspalten zu vier Streitjahren hinsichtlich Umsatz- und Einkommensteuer enthält, ohne näher zu spezifizieren, welche konkrete Annahme oder welchen konkreten Rechenvorgang sie darin im Hinblick auf welche Streitsache in Zweifel zieht und welchen Ansatz sie stattdessen für angebracht ansieht. Auch bleibt im Raum stehen, wo genau im angefochtenen Erkenntnis seitens des BFG der Revisionswerberin „das Recht auf Abzug der Vorsteuern an den zugerechneten Wareneinkäufen“ abgesprochen worden sein soll.
31 Darüber hinaus zeigt die Revision im Übrigen nicht auf, dass das tatsächliche Ausstellen und Vorliegen von Rechnungen im Hinblick auf einen möglichen Vorsteuerabzug für die zugeordneten Einkäufe bereits Thema im bisherigen Verfahren gewesen wäre und ihre Rüge insofern nicht dem im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof geltenden Neuerungsverbot unterliegt.
32 In der Revision werden sohin keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.
Wien, am
Zusatzinformationen
Tabelle in neuem Fenster öffnen
Normen | |
Schlagworte | Individuelle Normen und Parteienrechte Bindung der Verwaltungsbehörden an gerichtliche Entscheidungen VwRallg9/4 Rechtsgrundsätze Verjährung im öffentlichen Recht VwRallg6/6 |
ECLI | ECLI:AT:VWGH:2025:RA2023150103.L00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
UAAAF-95825