OGH 29.03.2023, 8ObA8/22t
Entscheidungstext
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Tarmann-Prentner und Mag. Korn als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Mag.a Antonia Oberwalder (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Werner Stepanowsky (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei R* S*, vertreten durch Dr. Peter Wallnöfer, Mag. Eva Suitner, Rechtsanwälte in Innsbruck, gegen die beklagte Partei W* GmbH, *, vertreten durch Rainer-Rück-Rechtsanwälte in Innsbruck, wegen 5.897,46 EUR sA, über den Rekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 15 Ra 70/21p-30, mit dem das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Arbeits- und Sozialgericht vom , GZ 44 Cga 28/20h-22, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.
Die Kosten des Rekursverfahrens bilden weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung:
[1] Die Klägerin war vom bis bei der beklagten Partei beschäftigt. Das Dienstverhältnis unterlag dem Kollektivvertrag für Angestellte bei Steuerberatern und Wirtschaftstreuhändern.
[2] Im Jänner 2015 vereinbarten die Streitteile eine schriftliche „Änderung zum Dienstvertrag“ mit folgendem hier wesentlichen Inhalt:
„... In Ergänzung des Dienstvertrages vom wird einvernehmlich vereinbart, ab einen Durchrechnungszeitraum von 52 Wochen gemäß Art III lit a Kollektivvertrag zur Anwendung zu bringen.
Die wöchentliche Normalarbeitszeit beträgt 12,5 Stunden und ist im Bedarfsfall (Urlaubsvertretung und Vertretung im Krankheitsfall) auf maximal 40 Stunden zu erhöhen. Bei einem länger andauernden Krankenstand (2 Wochen) wird die Arbeitszeit neu besprochen. Die Dauer der wöchentlichen Normalarbeitszeit wird jeweils im Vorhinein für drei Monate vereinbart. Innerhalb des gesamten Durchrechnungszeitraums darf die Normalarbeitszeit von 12,5 Stunden in der Woche nicht überschritten werden.“
[3] Für die Arbeit von 12,5 Stunden pro Woche, die von der Klägerin grundsätzlich am Dienstag und Donnerstag zu erbringen war, bezog sie zuletzt 835 EUR brutto monatlich.
[4] Es war zwischen den Streitteilen vereinbart, dass die Klägerin während des Urlaubs ihrer Vorgesetzten diese zu vertreten und dann ganztags zu arbeiten hatte. Es wurden dazu bereits bis 31. 1. eines jeden Jahres möglichst viele konkrete Urlaubstage im Vorhinein festgelegt. Neben diesen Urlaubsvertretungen arbeitete die Klägerin auch an manchen anderen Tagen zusätzlich, wenn ihr von der Beklagten kurzfristig mitgeteilt wurde, dass sie gebraucht werde.
[5] Insgesamt arbeitete die Klägerin in den Jahren von 2017 bis 2019 in etlichen Monaten (einzeln betrachtet) über das vereinbarte Teilzeitausmaß von 12,5 Wochenstunden hinaus, summiert ergeben sich daraus zusätzliche 548 Stunden. Davon hat die Beklagte nach Durchrechnung über jeweils ein Jahr insgesamt 293,25 Stunden als nicht ausgeglichene Mehrstunden abgegolten.
[6] Die Klägerin begehrt die Bezahlung restlicher 254,75 Mehrstunden samt 50%igem Zuschlag gemäß § 19e AZG. Die gesetzlichen und kollektivvertraglichen Voraussetzungen für eine Durchrechnung der ungleichmäßigen Arbeitszeit seien in ihrem Fall nicht eingehalten worden, insbesondere seien die Dauer der wöchentlichen Normalarbeitszeit und die Verteilung der Arbeitszeit auf die einzelnen Wochentage nicht jeweils fristgerecht im Vorhinein vereinbart worden.
[7] Den Kollektivvertragsparteien komme nicht die Kompetenz zu, einen Durchrechnungszeitraum iSd § 4 AZG für Teilzeitbeschäftigte über einen Zeitraum von 52 Wochen zu eröffnen. Es sei unzulässig, wenn die Beklagte geleistete Mehrarbeitsstunden mit Minusstunden der Sollarbeitszeit in der Weise verrechnet habe, dass die Mehrarbeit damit zur Normalarbeit mutiert wäre.
[8] Die Beklagte wandte ein, mit der Klägerin sei dem Kollektivvertrag entsprechend ein Durchrechnungszeitraum von 52 Wochen vereinbart worden. Innerhalb dieses Zeitraums könnten Mehrstunden, soweit dafür nicht Zeitausgleich konsumiert wurde, und Normalarbeitsstunden ausgeglichen werden. Nur Mehrarbeitsstunden, die nach Ablauf des Durchrechnungszeitraums über das vereinbarte Teilzeitausmaß hinaus verblieben, seien zu bezahlen. Die Klägerin gehe bei der Berechnung ihrer Sollarbeitszeit außerdem teilweise von falschen Voraussetzungen aus. Ein Kollektivvertrag dürfe Abweichungen von § 19d Abs 3a bis 3e AZG zulassen, dies sei hier der Fall.
[9] Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Berücksichtige man, dass die Klägerin schon jeweils Ende Jänner jedes Jahres gewusst habe, an welchen Tagen sie als Urlaubsvertreterin ganztägig benötigt würde, ergäben sich insgesamt nur 156,75 Stunden an kurzfristig vereinbarter Mehrarbeit, für die Zuschläge gebührten. Nachdem bereits 293,25 Mehrstunden bezahlt worden seien, bestehe kein weiterer Anspruch.
[10] Das Berufungsgericht gab dem Rechtsmittel der Klägerin Folge und hob das Urteil des Erstgerichts zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung auf.
[11] In seiner Begründung führte es aus, dass zur Frage, ob Mehrarbeitsstunden geleistet wurden, eine Durchrechnung nicht zulässig sei. Sehr wohl könne aber eine Durchrechnung in der Frage vereinbart werden, inwieweit ein Mehrarbeitszuschlag für die zusätzlichen Stunden gebührt. Diese Durchrechnung sei bei entsprechender kollektivvertraglicher Ermächtigung auch für einen Zeitraum bis zu 52 Wochen zulässig. Daraus folge, dass von der Klägerin geleistete Mehrarbeitsstunden nicht mit etwaigen Minusstunden in den Folgemonaten verrechnet werden dürften, sondern alle Stunden jedenfalls mit dem Grundlohn abzugelten seien. Ein Mehrarbeitszuschlag gebühre aber nur bezüglich jener Stunden, die zum Ende des 52 Wochen dauernden Durchrechnungszeitraums über das vereinbarte Teilzeitausmaß hinaus geleistet wurden.
[12] Um eine abschließende rechtliche Beurteilung vornehmen zu können, sei noch eine Präzisierung und Schlüssigstellung der nicht hinreichend deutlichen Feststellungen über die tatsächlichen Arbeitszeiten der Klägerin und wie kurz- bzw langfristig sie vereinbart wurden, erforderlich.
[13] Das Berufungsgericht erklärte den Rekurs an den Obersten Gerichtshof für zulässig, weil die Rechtsfrage, ob auch Mehrstunden einer Durchrechnung iSd § 4 Abs 6 AZG zugänglich sind und ob ein Kollektivvertrag diese Möglichkeit regeln kann, in der höchstgerichtlichen Rechtsprechung nicht geklärt und über den Einzelfall hinaus von Bedeutung sei.
[14] Der auf den Rechtsmittelgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung gestützte Rekurs der beklagten Partei strebt im Ergebnis die Wiederherstellung der erstgerichtlichen Entscheidung an. Die Klägerin hat eine Rekursbeantwortung erstattet und beantragt, dem Rechtsmittel keine Folge zu geben.
[15] Der Rekurs ist aus den vom Berufungsgericht dargelegten Gründen zulässig. Er ist im Ergebnis aber nicht berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
[16] 1. Die Beklagte vertritt in ihrem Rechtsmittel den Standpunkt, ein Durchrechnungszeitraum von 52 Wochen könne nicht nur für die Zuschlagspflicht, sondern generell für die Anzahl der abzugeltenden Mehrstunden wirksam vereinbart werden. Bereits in der Entscheidung 9 ObA 18/13g habe der Oberste Gerichtshof erklärt, dass eine Durchrechnung auf Basis kollektiver Rechtsgestaltung geeignet sei, den Mehrarbeitszuschlag zu vermeiden.
[17] 2. Zur Behandlung des Rekurses ist zunächst die einschlägige Regelung des Kollektivvertrags für Angestellte bei Steuerberatern und Wirtschaftsprüfern (in der zum geltenden Fassung, Hervorhebungen durch den Senat) in Erinnerung zu rufen:
„III. Arbeitszeit
1. Unter dem Begriff 'Arbeitszeit' ist die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit ohne Einrechnung der Ruhepausen zu verstehen.
2. Die Arbeitszeit beträgt für die Angestellten 40 Stunden wöchentlich.
(...)
III.a. Durchrechenbare Arbeitszeiten
(...)
2. Die Normalarbeitszeit kann innerhalb eines Zeitraums von maximal 52 Wochen bis zu 9 Stunden täglich und 45 Stunden wöchentlich ausgedehnt werden, wenn innerhalb dieses Durchrechnungszeitraums die wöchentliche Normalarbeitszeit 40 Stunden nicht überschreitet. (...)
3. Ein Durchrechnungszeitraum muss zu dessen Gültigkeit durch Betriebsvereinbarung – in Betrieben, in denen kein Betriebsrat errichtet ist, durch schriftliche Einzelvereinbarung – einvernehmlich festgelegt werden.
4. Die Dauer der wöchentlichen Normalarbeitszeit im Durchrechnungszeitraum ist im Vorhinein zu vereinbaren. Bei einem Durchrechnungszeitraum von mehr als 13 Wochen muss die Dauer der wöchentlichen Normalarbeitszeit zumindest für jeweils 13 Wochen im Vorhinein vereinbart werden.
5. Die Verteilung der wöchentlichen Arbeitszeit auf die einzelnen Wochentage ist für mindestens zwei Wochen im Vorhinein zu vereinbaren.
(...)
7. Ein sich nach dem Durchrechnungszeitraum ergebender Stundenüberhang ist mit einem Zuschlag von 50 % zur Auszahlung zu bringen. Eine Zeitschuld verfällt.
7. a) Bei Teilzeitbeschäftigten gelten diese Regelungen mit der Maßgabe, dass als Mehrarbeitsstunden nur jene Arbeitsstunden zu bezahlen sind, die nach Ablauf des Durchrechnungszeitraums über das vereinbarte Teilzeitausmaß hinausgehen. Im Übrigen gelten für Teilzeitbeschäftigte die Bestimmungen des § 19 lit d Arbeitszeitgesetz idF des BGBl I Nr 71/2013.“
[18] § 19d AZG lautet auszugsweise:
„(1) Teilzeitarbeit liegt vor, wenn die vereinbarte Wochenarbeitszeit die gesetzliche Normalarbeitszeit oder eine durch Normen der kollektiven Rechtsgestaltung festgelegte kürzere Normalarbeitszeit im Durchschnitt unterschreitet.
(...)
(3) Teilzeitbeschäftigte Arbeitnehmer sind zur Arbeitsleistung über das vereinbarte Arbeitszeitausmaß (Mehrarbeit) nur insoweit verpflichtet, als
1. gesetzliche Bestimmungen, Normen der kollektiven Rechtsgestaltung oder der Arbeitsvertrag dies vorsehen,
2. ein erhöhter Arbeitsbedarf vorliegt oder die Mehrarbeit zur Vornahme von Vor- und Abschlussarbeiten (§ 8) erforderlich ist, und
3. berücksichtigungswürdige Interessen des Arbeitnehmers der Mehrarbeit nicht entgegenstehen.
(3a) Für Mehrarbeitsstunden gemäß Abs 3 gebührt ein Zuschlag von 25%. (...)
(3b) Mehrarbeitsstunden sind nicht zuschlagspflichtig, wenn
1. sie innerhalb des Kalendervierteljahres oder eines anderen festgelegten Zeitraumes von drei Monaten, in dem sie angefallen sind, durch Zeitausgleich im Verhältnis 1:1 ausgeglichen werden;
2. bei gleitender Arbeitszeit die vereinbarte Arbeitszeit innerhalb der Gleitzeitperiode im Durchschnitt nicht überschritten wird (...).
(...)
(3e) Abweichend von Abs 3a kann eine Abgeltung von Mehrarbeitsstunden durch Zeitausgleich vereinbart werden. Der Mehrarbeitszuschlag ist bei der Bemessung des Zeitausgleiches zu berücksichtigen oder gesondert auszuzahlen. (...)
(3f) Der Kollektivvertrag kann Abweichungen von Abs 3a bis 3e zulassen.“
[19] 3. Mehrarbeit entsteht, wenn das vereinbarte Arbeitszeitausmaß überschritten wird. Darunter fallen im Teilzeitarbeitsverhältnis einerseits echte Überschreitungen des vereinbarten Arbeitszeitausmaßes, andererseits Arbeiten außerhalb der nach § 19d Abs 2 AZG eingeteilten Arbeitszeit.
[20] Keine Mehrarbeit entsteht, wenn die Arbeitsvertragsparteien im Vorhinein für eine bestimmte Periode eine geänderte (erhöhte) Arbeitsstundenanzahl vereinbart haben. Die zusätzlichen Stunden in dieser Periode sind dann gewöhnliche Teilzeitarbeit iSd § 19d Abs 1 AZG im neu festgelegten Ausmaß.
[21] Ebenso entsteht keine Mehrarbeit durch eine unregelmäßige Vorausverteilung der Arbeitszeit nach § 19d Abs 2 AZG, wenn innerhalb der Periode, für die die Verteilung vorgenommen wird, das vereinbarte Teilzeitausmaß insgesamt eingehalten wird (Winkler, Kollektivvertragliche Durchrechnungsmodelle und Teilzeitbeschäftigung, DRdA 2015, 458 [459]).
[22] 4. Die Frage, ob Mehrarbeit vorliegt, ist von der Frage zu trennen, ob für die geleistete Mehrarbeit ein Zuschlag nach § 19d Abs 3a AZG gebührt. Ob Mehrarbeitsstunden mit dem Mehrarbeitszuschlag zu vergüten sind, regeln die §§ 19d Abs 3a bis 3f AZG (9 ObA 18/13g).
[23] Für die Entlohnung von entstandener Mehrarbeit stehen danach zusammengefasst folgende Möglichkeiten offen:
- Zeitausgleich im Verhältnis 1:1 innerhalb eines festgelegten Dreimonatszeitraums, ansonsten des Kalendervierteljahres, in dem sie angefallen sind (Abs 3b Z 1),
- Verrechnung innerhalb einer Gleitzeitperiode (Abs 3b Z 2),
- Zeitausgleich außerhalb eines Dreimonatszeitraums nach Abs 3b Z 1, dann jedoch unter Berücksichtigung des Zuschlags,
- Bezahlung mit Zuschlag.
[24] Sämtliche dieser Vorgaben sind kollektivvertragsdisponibel (§ 19d Abs 3f AZG).
[25] 5. Eine (sinngemäße) Anwendung der Bestimmungen über die Verteilung der Normalarbeitszeit und ihre Durchrechnung (§ 4 AZG) auf Teilzeitarbeitsverhältnisse wird in der – überwiegenden – Literatur wie auch in der höchstgerichtlichen Rechtsprechung abgelehnt.
[26] Nach Felten (in Grillberger [Hrsg], AZG3 § 19d AZG Rz 14 f) kommt eine eigenständige Möglichkeit zur Durchrechnung einer vereinbarten Arbeitsteilzeit gemäß § 4 Abs 4 und 6 AZG nicht in Betracht. Diese Bestimmungen bezögen sich nach ihrem eindeutigen Wortlaut ausschließlich auf die Normalarbeitszeit und damit auf das Anfallen von Überstunden. Hingegen sei die Abgrenzung zwischen Teilzeit- und Mehrarbeit abschließend in § 19d Abs 3b AZG geregelt, die als lex specialis den Bestimmungen der §§ 4 ff AZG vorgehe. Eine Ausdehnung des Durchrechnungszeitraums durch den Kollektivvertrag sei aber nach § 19d Abs 3f AZG möglich (aaO, Rz 28).
[27] Zum gleichen Ergebnis gelangt Heilegger (Keine Durchrechnung bei Teilzeitbeschäftigten, DRdA 2008, 283 [284 f], ds in Gasteiger/Heilegger/Klein Arbeitszeitgesetz7 § 19d Rz 43). § 19d AZG gehöre zu den vertragsrechtlichen Bestimmungen und regle Abweichungen von der vereinbarten Arbeitszeitverteilung. Im Unterschied dazu regle § 4 AZG die maximal zulässige tägliche und wöchentliche Normalarbeitszeit, somit die Frage, ob Überstunden vorliegen und ein entsprechender Überstundenzuschlag zusteht. Lediglich insofern, hinsichtlich der Überstundengrenze, sei § 4 auch auf Teilzeitbeschäftigte anzuwenden, jedoch nicht hinsichtlich Abweichungen von der vereinbarten Arbeitszeit.
[28] B. Winkler (aaO, DRdA 2015, 458 [460]) hält zudem fest, dass der klare Unterschied zwischen den Durchrechnungsmodellen des § 4 AZG und der Vorausverteilung von Teilzeitarbeit nach § 19d Abs 2 AZG sich darin manifestiere, dass bei durchrechenbarer Arbeitszeit im Zeitpunkt der Arbeitszeiteinteilung nicht klar sein muss, wann allfällige, über die Normalarbeitszeit hinaus geleistete Arbeitsstunden ausgeglichen werden müssen, ohne dass Überstundenarbeit entsteht, bei der Vorausverteilung nach § 19d Abs 2 AZG aber zur Vermeidung von Mehrarbeit erforderlich sei, dass bereits im Zeitpunkt der Verteilung feststeht, dass das vereinbarte Arbeitszeitausmaß im Verteilungszeitraum erreicht wird.
[29] Schließlich hat auch der Oberste Gerichtshof zur Frage von Durchrechnungszeiträumen bei Teilzeitarbeit ausgesprochen (9 ObA 18/13g), dass aufgrund der detaillierten Regelungen des § 19d AZG auf die Absicht des Gesetzgebers geschlossen werden muss, die Teilzeitarbeit damit abschließend und umfassend zu regeln. Eine Durchrechnung der Arbeitszeit von Teilzeitbeschäftigten, die den Voraussetzungen des § 19d AZG nicht entspricht, ist daher unzulässig. Sie wäre mit der ausgesprochenen Zielsetzung, die Flexibilität der Teilzeitbeschäftigten mit dem Mehrarbeitszuschlag abzugelten, auch nicht vereinbar. Daher ist ohne kollektivvertragliche Rechtsgestaltung eine Durchrechnung der Arbeitszeit von teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmern, die keine Gleitzeitvereinbarung haben, über mehr als drei Monate nicht geeignet, den Mehrarbeitszuschlag zu vermeiden (RIS-Justiz RS0128955 = 9 ObA 18/13g).
[30] 6. Im vorliegenden Fall trifft der anzuwendende Kollektivvertrag in seinem Punkt III.a. einerseits für die Normalarbeitszeit die Regelung, dass ein Durchrechnungszeitraum von maximal 52 Wochen vereinbart werden kann (Z 2) und legt für Teilzeitbeschäftigte fest, dass diese Regelungen für sie mit der Maßgabe gelten, dass als Mehrarbeitsstunden nur jene Arbeitsstunden zu bezahlen sind, die nach Ablauf des Durchrechnungszeitraums über das vereinbarte Teilzeitausmaß hinausgehen, im übrigen gelte § 19d AZG.
[31] Diese Bestimmung kann nach dem gesamten Inhalt und Zusammenhang sinnvollerweise nur dahin ausgelegt werden, dass damit die Ausnahme von der Zuschlagspflicht nach § 19d Abs 3b Z 1 AZG leg cit bei Zeitausgleich von einer Dreimonatsperiode auf maximal 52 Wochen abgeändert wird. Eine solche Regelung, auf deren Grundlage die Parteien einen Durchrechnungszeitraum von 52 Wochen vereinbart haben, lässt § 19d Abs 3f AZG zu (vgl ua Winkler, DRdA 2015, 458 [460]; Heilegger in Gasteiger/Heilegger/Klein AZG5 § 19d Rz 89).
[32] Innerhalb der Periode nach § 19d Abs 3b Z 1 AZG – ursprünglich oder durch Kollektivvertrag verlängert – ist eine Abgeltung von Mehrarbeit durch Zeitausgleich ohne Zuschlag möglich.
[33] Es kommt innerhalb dieser Periode aber insoweit auch nicht darauf an, wie lange im Vorhinein und für welche Zeiträume die tatsächliche Arbeitszeit eingeteilt wurde. Die Frage einer zulässigen ungleichmäßigen Verteilung der vereinbarten Arbeitszeit ist nämlich dafür relevant, ob im Rahmen der anzustellenden Durchschnittsbetrachtung überhaupt Mehrstunden entstehen. Ist dies zu bejahen, dann richtet sich ihre Abgeltung nach § 19d Abs 3a bis 3e AZG.
[34] 7. Daraus ergibt sich für den vorliegenden Fall, dass von der Klägerin geleistete Mehrstunden innerhalb eines Zeitraums von 52 Wochen (nach dem Dienstvertrag ident mit einem Kalenderjahr) in dem sie angefallen sind, durch Zeitausgleich ohne Berücksichtigung eines Zuschlags abgegolten werden konnten. Nur Mehrstunden, die nach Ende des Jahres danach noch offen verblieben sind, waren mit Zuschlag zu entlohnen.
[35] 8. Um die Klagsansprüche auf dieser Rechtsgrundlage abschließend beurteilen zu können, reicht der festgestellte Sachverhalt nicht aus.
[36] Zutreffend hat bereits das Berufungsgericht ausgeführt, dass die Anzahl der im Vorhinein „eingetragenen“ Urlaubstage der Vorgesetzten keine Feststellung beinhaltet, ob die Klägerin sie auch tatsächlich an allen diesen Tagen vertreten hat. Es ist darüber hinaus nicht mit hinreichender Deutlichkeit den Feststellungen zu entnehmen, in welchem Ausmaß dadurch Mehrstunden angefallen sind bzw inwieweit für diese Zeit eine (zulässige) ungleichmäßige Verteilung der Arbeitszeit nach § 19d Abs 2 AZG vorlag. Diese in erster Instanz nicht konkret behandelte Frage wird mit den Parteien zu erörtern sein.
[37] In jedem Fall bedarf es auch einer Feststellung der vorgebrachten Minusstunden nach Ausmaß und zeitlicher Lagerung, mit denen innerhalb des Kalenderjahres eine Abgeltung von Mehrstunden durch Zeitausgleich erfolgt sein soll.
[38] Im Ergebnis hat es daher bei der aufhebenden Entscheidung des Berufungsgerichts zu bleiben.
[39] 9. Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 Abs 1 ZPO iVm § 2 ASGG.
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Rechtsgebiet | Zivilrecht |
ECLI | ECLI:AT:OGH0002:2023:008OBA00008.22T.0329.000 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
KAAAF-67626