VwGH 20.09.2023, Ro 2023/13/0015
Entscheidungsart: Erkenntnis
Rechtssätze
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RS 1 | Das Bundesfinanzgericht ist zur Entscheidung (in der Sache) über eine Bescheidbeschwerde in der Regel nur zuständig, wenn zuvor bereits die Abgabenbehörde mit Beschwerdevorentscheidung entschieden hat und dagegen ein Vorlageantrag erhoben wurde (vgl. ). |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie Ra 2017/13/0010 E RS 1 |
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RS 2 | Gemäß der mit dem Jahressteuergesetz 2018, BGBl. I Nr. 62, neu eingefügten Bestimmung des § 281a BAO hat das VwG, wenn es nach einer Vorlage (§ 265 BAO) zur Auffassung gelangt, dass noch eine Beschwerdevorentscheidung zu erlassen ist oder ein Vorlageantrag nicht eingebracht wurde, die Parteien darüber unverzüglich formlos in Kenntnis zu setzen. Der Gesetzgeber geht davon aus (vgl. 190 BlgNR 26. GP 56), dass in den genannten Fällen das VwG die vorgelegte Beschwerde an die Abgabenbehörde ohne unnötigen Aufschub zurückschicken soll, was bereits kraft eines Größenschlusses aus (damals) § 50 (nunmehr § 53) iVm § 2a BAO folgt (vgl. ; vgl. weiters z.B. ). Neu ist hingegen (wie in den Materialien dargelegt) die ausdrückliche Verpflichtung des VwG, die Parteien über diese Weiterleitung zu verständigen. Die Weiterleitung (Rückleitung) der Beschwerde durch das VwG ist als verfahrensleitender Beschluss anzusehen (vgl. z.B. ; , Ra 2018/03/0072, mwN). Wenn § 281a BAO vorsieht, dass die Verständigung "formlos" erfolgen soll, so ist dies dahin zu verstehen, dass eine bestimmte Form hiefür nicht vorgesehen ist. Zweckmäßig wird diese Verständigung aber dadurch zu erfolgen haben, dass eine Ausfertigung des verfahrensleitenden Beschlusses (samt Begründung, in der die Ansicht des BFG dargelegt wird) den Parteien zugestellt wird. Zweifel an der Verfassungskonformität dieser Regelung hegt der VwGH nicht. Es liegt ein (verfahrensleitender) Beschluss des VwG vor, also eine in der Verfassung vorgesehene Entscheidungsform. Diese Entscheidung ist - wie auch sonstige Entscheidungen des VwG - den Parteien bekannt zu geben. |
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RS 3 | Allenfalls in die Verfassungssphäre reichende Bedenken an der Effizienz der Regelung des § 281a BAO werden vom VwGH nicht geteilt. Im Regelfall wird die (verfrühte) Vorlage einer Beschwerde - wie auch in den Erläuterungen zur Regierungsvorlage (190 BlgNR 26. GP 56) angeführt - irrtümlich erfolgen. Die Rückleitung der Beschwerde an die Abgabenbehörde samt Verständigung der Verfahrensparteien hievon ist zweifellos der einfachere und schnellere Weg als etwa eine Zurückweisung der Beschwerde oder die Feststellung der Unzuständigkeit (samt allfällig folgendem Rechtsmittelverfahren). Nur im Ausnahmefall wird ein Streit darüber bestehen, ob etwa eine Beschwerdevorentscheidung im konkreten Verfahren erforderlich oder ob eine Beschwerdevorentscheidung wirksam ergangen sei (vgl. zu einem derartigen Fall z.B. ). Dass insoweit eine Klärung nur über Säumnisbehelfe möglich ist, wird wiederum nur in Ausnahmefällen eine (erhebliche) Verfahrensverzögerung bewirken. Wenn ein Beschwerdeführer allenfalls auch mit der dauerhaften Nichterledigung der Steuersache zufrieden sein könnte und daher trotz Hinweises weder Fristsetzungsantrag noch Säumnisbeschwerde einbringt, so steht es aber auch dem Finanzamt frei, einen Antrag auf Fristsetzung gegen die (behauptete) Säumnis des BFG einzubringen (vgl. ; vgl. weiters z.B. ). |
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RS 4 | Gegen verfahrensleitende Beschlüsse des VwG (vgl. auch - zur Abgrenzung von sofort anfechtbaren Beschlüssen - , mwN) ist nach § 25a Abs. 3 VwGG eine abgesonderte Revision nicht zulässig; sie können erst in der Revision gegen das die Rechtssache erledigende Erkenntnis angefochten werden. Gegen einen Beschluss, mit dem das VwG die Beschwerde an eine andere Stelle weiterleitet, ist demnach eine abgesonderte Revision nicht zulässig (vgl. z.B. ; , Ra 2018/03/0072, mwN). Gleiches muss auch für die "formlose" Verständigung (§ 281a BAO) über die Weiterleitung (Rückleitung) der Beschwerde an die Abgabenbehörde samt Mitteilung der Ansicht des BFG gelten, die der Bekanntgabe des Inhalts des verfahrensleitenden Beschlusses entspricht. |
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RS 5 | Der Umstand, dass nach Auffassung des BFG ein Vorlageantrag nicht eingebracht wurde, führt nicht dazu, dass das BFG eine Einstellung des Verfahrens auszusprechen hätte. Es ist vielmehr mittels verfahrensleitendem Beschluss die Beschwerde an die Abgabenbehörde zurückzuleiten; die Parteien sind darüber in Kenntnis zu setzen. Eine "Einstellung" des Verfahrens intendiert, das Verfahren (endgültig) zu beenden. Eine Rückleitung (samt Verständigung) wird aber in vielen Fällen keine endgültige Verfahrensbeendigung zum Inhalt haben. Das Verfahren soll vielmehr regelmäßig später fortgesetzt werden. Eine derartige Verfahrenseinstellung ist auch keineswegs "notwendig". Der verfahrensleitende Beschluss (als die verfassungsrechtlich gebotene Erledigungsform) besteht bereits in der verfahrensleitenden Anordnung der Weiterleitung (Rückleitung). Auch Weiterleitungen nach § 6 AVG oder solche nach § 62 VwGG iVm § 6 AVG (etwa die Weiterleitung von entgegen § 24 Abs. 1 VwGG unmittelbar beim VwGH eingebrachten Revisionen an das zuständige VwG) erfolgen wirksam, ohne dass das Verfahren "eingestellt" würde. Eine Einstellung des Beschwerdeverfahrens ist daher von vornherein nicht auszusprechen. |
Entscheidungstext
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Büsser, den Hofrat MMag. Maislinger, die Hofrätinnen Dr. Reinbacher und Dr.in Lachmayer sowie den Hofrat Dr. Bodis als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Schramel, über die Revision der T GmbH in B, vertreten durch Dr. Michael Kotschnigg, Steuerberater in 1220 Wien, Stadlauer Straße 39/1/Top 12, gegen die Erledigung des Bundesfinanzgerichts vom , Zl. RV/5100588/2013, betreffend „Verständigung“ (Festsetzung Umsatzsteuer 1-2/2011 und 3-11/2011), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Mit Bescheiden vom setzte das Finanzamt die Umsatzsteuer für die Zeiträume 1/2011 und 2/2011 abweichend von den Abgabenerklärungen der Revisionswerberin fest. In der Begründung wurde ausgeführt, die Selbstberechnung habe sich als unrichtig erwiesen.
2 Die Revisionswerberin erhob gegen diese Bescheide Berufungen.
3 Im Bericht über das Ergebnis einer die Umsatzsteuer 1/2011 bis 11/2011 betreffenden Außenprüfung vom wurde - mit näherer Begründung - dargelegt, die für die Revisionswerberin handelnden Personen (sowohl die Geschäftsführerin als auch der Gesellschafter) hätten gewusst, dass näher genannte Gesellschaften lediglich zum Zweck der Ausstellung von Scheinrechnungen und der damit zusammenhängenden Umsatzsteuerverkürzung gegründet worden seien. Der Revisionswerberin stehe daher kein Vorsteuerabzug aus diesen Rechnungen zu.
4 Mit Bescheiden vom setzte das Finanzamt die Umsatzsteuer für die Zeiträume 3/2011 bis 11/2011 fest. In der Begründung wurde auf die Feststellungen der abgabenbehördlichen Prüfung verwiesen.
5 Die Revisionswerberin erhob auch gegen diese Bescheide Berufung.
6 Mit Vorlagebericht vom (handschriftlich korrigiert auf 4. April) legte das Finanzamt die Berufung u.a. betreffend Umsatzsteuer 3/2011 bis 11/2011 dem (damaligen) unabhängigen Finanzsenat (dort eingelangt am ) zur Entscheidung vor. Mit weiterem Vorlagebericht vom legte das Finanzamt die Berufung betreffend Umsatzsteuer 1/2011 und 2/2011 dem (damaligen) unabhängigen Finanzsenat (dort eingelangt am ) zur Entscheidung vor.
7 Mit Beschwerdevorentscheidungen vom erklärte das Finanzamt die gegen diese Bescheide erhobenen Beschwerden „gemäß § 256 Abs. 3 BAO“ als gegenstandslos. In der Begründung wurde ausgeführt, da für 2011 nunmehr ein Jahresbescheid ergehe, werde die Beschwerde gegen die Umsatzsteuer-Festsetzung als gegenstandslos erklärt; das weiterhin offene Rechtsmittel gelte gemäß § 253 BAO als gegen den späteren Jahresbescheid gerichtet.
8 Mit einer mit datierten Erledigung des Finanzamts erfolgte eine Festsetzung der Umsatzsteuer für das Jahr 2011. In der Begründung wurde insbesondere auf die Feststellungen der Prüfung betreffend Umsatzsteuer für den Zeitraum 1-11/2011 verwiesen. Geltend gemachte Vorsteuern seien für diesen Zeitraum sowie auch für 12/2011 nicht zu berücksichtigen. Durch die nunmehrige Erlassung eines Jahresbescheides würden die offenen Beschwerden gegen die Umsatzsteuer-Festsetzung 1-11/2011 als Beschwerden gegen den Jahresbescheid gelten.
9 Mit der angefochtenen Erledigung (mit der Überschrift „Verständigung“) teilte das Bundesfinanzgericht mit, nach Auffassung des Bundesfinanzgerichts sei in Bezug auf die Beschwerden gegen die Festsetzung Umsatzsteuer 1-2/2011 und 3-11/2011 ein Vorlageantrag hinsichtlich der Beschwerdevorentscheidungen vom nicht eingebracht worden. Die Parteien würden hierüber gemäß § 281a BAO formlos in Kenntnis gesetzt. Das Beschwerdeverfahren betreffend Festsetzung Umsatzsteuer 1-2/2011 und 3-11/2011 vor dem Bundesfinanzgericht werde eingestellt.
10 In der Begründung führte das Bundesfinanzgericht aus, zwischen den Parteien sei unstrittig, dass die vom als Umsatzsteuerbescheid 2011 intendierte Erledigung mangels Zustellung als Nicht-Bescheid zu qualifizieren sei. Aktenkundig und unstrittig sei ebenfalls, dass die belangte Behörde die Beschwerden betreffend Festsetzung Umsatzsteuer 1-2/2011 und 3-11/2011 jeweils mit Beschwerdevorentscheidungen vom als gegenstandslos erklärt habe. Gegen diese Beschwerdevorentscheidungen sei ein Vorlageantrag nicht eingebracht worden.
11 Da nach Auffassung des Bundesfinanzgerichts ein Vorlageantrag nicht eingebracht worden sei, sei das Beschwerdeverfahren einzustellen. Die Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens würden hiervon gemäß § 281a BAO formlos in Kenntnis gesetzt.
12 Als „Information für die Parteien (Belehrung gemäß § 280 Abs. 4 BAO)“ wurde ausgeführt, gegen diese Verständigung sei eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof oder eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof nicht zulässig.
13 Die Revisionswerberin erhob gegen diese Erledigung zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof. Mit Beschluss vom , E 432/2022-9, lehnte der Verfassungsgerichtshof die Behandlung der - wie in der Begründung ausgeführt, nicht auf das Vorliegen sämtlicher Formerfordernisse und Prozessvoraussetzungen geprüfte - Beschwerde ab und trat sie dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.
14 Gegen diese Erledigung richtet sich nunmehr die vorliegende Revision.
15 Nach Einleitung des Vorverfahrens hat sich die belangte Behörde am Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof nicht beteiligt.
16 Hingewiesen sei auf das weitere Verfahrensgeschehen. Mit Eingabe vom stellte die Revisionswerberin betreffend Umsatzsteuer 1/2011 bis 11/2011 einen Fristsetzungsantrag. Mit Erkenntnis vom änderte das Bundesfinanzgericht die Bescheide betreffend Festsetzung Umsatzsteuer Jänner und Februar (zu Gunsten der Revisionswerberin) sowie Juli bis November 2011 (zu Lasten der Revisionswerberin) ab; im Übrigen wies das Bundesfinanzgericht die Beschwerde als unbegründet ab (gegen dieses Erkenntnis ist eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof anhängig). Das Verfahren über den Fristsetzungsantrag wurde mit Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom , Fr 2022/15/0001-8, eingestellt.
17 Die Revision ist nicht zulässig.
18 Gemäß § 262 Abs. 1 BAO (idF des FVwGG, BGBl. I Nr. 14/2013) ist - im Allgemeinen - nach Durchführung der etwa noch erforderlichen Ermittlungen von der Abgabenbehörde, die den angefochtenen Bescheid erlassen hat, mit als Beschwerdevorentscheidung zu bezeichnendem Bescheid über Bescheidbeschwerden abzusprechen.
19 Gegen eine Beschwerdevorentscheidung kann nach § 264 Abs. 1 BAO innerhalb eines Monats ab Bekanntgabe der Antrag auf Entscheidung über die Bescheidbeschwerde durch das Verwaltungsgericht gestellt werden.
20 Zuständig zu einer Entscheidung (in der Sache) ist das Bundesfinanzgericht daher im Regelfall nur dann, wenn zuvor bereits die Abgabenbehörde mit Beschwerdevorentscheidung entschieden hat und dagegen ein Vorlageantrag erhoben wurde (vgl. ; , Ro 2021/13/0009).
21 Für das vorliegende Verfahren ist zu ergänzen, dass nach § 323 Abs. 42 BAO (eingefügt mit dem Abgabenänderungsgesetz 2015, BGBl. I Nr. 13) die Bestimmung des § 262 BAO (Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung) nicht anwendbar ist, wenn - wie hier - eine Berufung vor dem der Abgabenbehörde zweiter Instanz vorgelegt wurde, ohne vorher eine Berufungsvorentscheidung zu erlassen.
22 Der Verwaltungsgerichtshof führte in seinem Erkenntnis vom , Ra 2017/13/0010, aus, dass dann, wenn das Bundesfinanzgericht die Erledigung der Beschwerde unterlässt, weil es der Ansicht ist, es fehle (ohne Rechtfertigung durch eine der Ausnahmen des § 262 Abs. 2 bis 4 BAO) an einer (wirksam zugestellten) Beschwerdevorentscheidung oder es sei kein Vorlageantrag (wirksam) eingebracht worden, beiden Parteien des Verfahrens vor dem Bundesfinanzgericht der Fristsetzungsantrag offen steht. Eine Feststellung der Unzuständigkeit ist hingegen vom Bundesfinanzgericht nicht auszusprechen.
23 Der Gesetzgeber reagierte auf dieses Erkenntnis (und die Kritik daran; vgl. insbesondere Lenneis, BFGjournal 2018, 32 ff; Fischerlehner, BFGjournal 2018, 177 ff, insoweit auch mit Kritik an der vorgeschlagenen Änderung des Gesetzes) mit der Einfügung des § 281a BAO und der Änderung des § 300 BAO mit dem Jahressteuergesetz 2018, BGBl. I Nr. 62.
24 Gemäß dieser neu eingefügten Bestimmung des § 281a BAO hat das Verwaltungsgericht, wenn es nach einer Vorlage (§ 265 BAO) zur Auffassung gelangt, dass noch eine Beschwerdevorentscheidung zu erlassen ist oder ein Vorlageantrag nicht eingebracht wurde, die Parteien darüber unverzüglich formlos in Kenntnis zu setzen.
25 In den Erläuterungen zur Regierungsvorlage (190 BlgNR 26. GP 56) wurde dazu ausgeführt:
„Wenn wegen einer fehlenden Beschwerdevorentscheidung oder wegen eines fehlenden Vorlageantrages eine Zuständigkeit zur Erledigung der Bescheidbeschwerde oder des Vorlageantrages trotz erfolgter Vorlage (§ 265) nicht auf das Verwaltungsgericht übergehen konnte, besteht kein Erfordernis, dass das Verwaltungsgericht darüber einen Unzuständigkeitsbeschluss fasst (vgl. ). Auch aus Gründen des Rechtsschutzes ist es nicht erforderlich, über eine Unzuständigkeit durch das Verwaltungsgericht mittels eines Feststellungsbeschlusses abzusprechen. Im Interesse der Vereinfachung und Beschleunigung des Beschwerdeverfahrens soll das Verwaltungsgericht eine ihm von der Abgabenbehörde (zumeist nur irrtümlich) vorgelegte Beschwerde, über die es seiner Ansicht nach in Ermangelung einer Beschwerdevorentscheidung oder eines Vorlageantrages nicht zu entscheiden hat, der Abgabenbehörde ohne unnötigen Aufschub zurückschicken und den Beschwerdeführer davon verständigen. Die neue Verständigungspflicht gemäß § 281a BAO soll, insbesondere im Hinblick auf die Verständigung des Beschwerdeführers vom Zeitpunkt und Inhalt der zunächst erfolgten Vorlage, gewährleisten, dass beide Parteien rasch und einfach mittels formloser Mitteilung des Verwaltungsgerichtes davon Kenntnis erlangen, dass sich das Verwaltungsgericht für unzuständig hält.
Verneint das Verwaltungsgericht nach der Vorlage der Beschwerde zu Unrecht seine Zuständigkeit und unterlässt es die Erledigung der Beschwerde, steht beiden Parteien des Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht ein Fristsetzungsantrag an den Verwaltungsgerichtshof (§ 38 VwGG) offen. Die Entscheidungspflicht in der Sache wäre nach Ablauf der in § 291 BAO normierten Frist auch dann verletzt, wenn das Verwaltungsgericht die Beschwerde nach Vorlage formlos an die Abgabenbehörde zurückgeleitet hat. Ein Rechtsanspruch auf gesonderte Feststellung der Zuständigkeit oder Unzuständigkeit besteht nicht (vgl. , Ra 2016/13/0023).
Die Ergänzung des zweiten Satzes in § 300 Abs. 1 BAO stellt sicher, dass die Verpflichtung zur Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung auch im Fall einer ungerechtfertigten Aktenvorlage weiterhin aufrecht bleibt und mit Säumnisbeschwerde gemäß § 284 BAO beim Verwaltungsgericht durchsetzbar ist.“
26 Der Gesetzgeber geht somit - wie bereits der Verwaltungsgerichtshof in seinem auch in den Materialien zitierten Erkenntnis - davon aus, dass in den genannten Fällen das Verwaltungsgericht die vorgelegte Beschwerde an die Abgabenbehörde ohne unnötigen Aufschub zurückschicken soll, was bereits kraft eines Größenschlusses aus (damals) § 50 (nunmehr § 53) iVm § 2a BAO folgt (vgl. neuerlich ; vgl. weiters z.B. ). Neu ist hingegen (wie in den Materialien dargelegt) die ausdrückliche Verpflichtung des Verwaltungsgerichts, die Parteien über diese Weiterleitung zu verständigen.
27 Die Weiterleitung (Rückleitung) der Beschwerde durch das Verwaltungsgericht ist als verfahrensleitender Beschluss anzusehen (vgl. z.B. ; , Ra 2018/03/0072, mwN). Wenn § 281a BAO vorsieht, dass die Verständigung „formlos“ erfolgen soll, so ist dies dahin zu verstehen, dass eine bestimmte Form hiefür nicht vorgesehen ist (vgl. zur Mitteilung über die Weiterleitung auch Ritz/Koran, BAO7, § 53 Tz 8). Zweckmäßig wird diese Verständigung aber dadurch zu erfolgen haben, dass eine Ausfertigung des verfahrensleitenden Beschlusses (samt Begründung, in der die Ansicht des Bundesfinanzgerichts dargelegt wird) den Parteien zugestellt wird.
28 Zweifel an der Verfassungskonformität dieser Regelung (vgl. dazu z.B. Fischerlehner/Brennsteiner, Abgabenverfahren I³ § 281a Tz 3 f; Ritz/Koran, BAO7, § 281a Tz 10) hegt der Verwaltungsgerichtshof nicht. Es liegt - wie soeben dargelegt - ein (verfahrensleitender) Beschluss des Verwaltungsgerichts vor, also eine in der Verfassung vorgesehene Entscheidungsform. Diese Entscheidung ist - wie auch sonstige Entscheidungen des Verwaltungsgerichts - den Parteien bekannt zu geben.
29 Auch - allenfalls in die Verfassungssphäre reichende - Bedenken an der Effizienz dieser Regelung (vgl. z.B. Rzeszut in Rzeszut/Tanzer/Unger, Stoll-BAO², § 281a Tz 6, mwN) werden vom Verwaltungsgerichtshof nicht geteilt. Im Regelfall wird die (verfrühte) Vorlage einer Beschwerde - wie auch in den Erläuterungen zur Regierungsvorlage angeführt - irrtümlich erfolgen. Die Rückleitung der Beschwerde an die Abgabenbehörde samt Verständigung der Verfahrensparteien hievon ist zweifellos der einfachere und schnellere Weg als etwa eine Zurückweisung der Beschwerde oder die Feststellung der Unzuständigkeit (samt allfällig folgendem Rechtsmittelverfahren). Nur im Ausnahmefall wird ein Streit darüber bestehen, ob etwa eine Beschwerdevorentscheidung im konkreten Verfahren erforderlich oder ob eine Beschwerdevorentscheidung wirksam ergangen sei (vgl. zu einem derartigen Fall z.B. ). Dass insoweit eine Klärung nur über Säumnisbehelfe möglich ist, wird - wie etwa auch das vorliegende Verfahren zeigt - wiederum nur in Ausnahmefällen eine (erhebliche) Verfahrensverzögerung bewirken. Wenn Lenneis (aaO [FN 9]; dies allerdings vor den Änderungen des Jahressteuergesetzes 2018) darauf verweist, dass ein Beschwerdeführer allenfalls auch mit der dauerhaften Nichterledigung der Steuersache zufrieden sein könnte und daher trotz Hinweises weder Fristsetzungsantrag noch Säumnisbeschwerde einbringt, so steht es aber - was ebenfalls bereits im Erkenntnis vom dargelegt wurde - auch dem Finanzamt frei, einen Antrag auf Fristsetzung gegen die (behauptete) Säumnis des Bundesfinanzgerichts einzubringen (vgl. weiters z.B. ). Ob die mit dem Jahressteuergesetz 2018 erfolgte Änderung des § 300 BAO nur klarstellend war (vgl. in diesem Sinne Twardosz, ZSS 2020, 54 ff), muss im vorliegenden Verfahren nicht erörtert werden.
30 Gegen verfahrensleitende Beschlüsse des Verwaltungsgerichts (vgl. auch - zur Abgrenzung von sofort anfechtbaren Beschlüssen - , mwN) ist nach § 25a Abs. 3 VwGG eine abgesonderte Revision nicht zulässig; sie können erst in der Revision gegen das die Rechtssache erledigende Erkenntnis angefochten werden.
31 Gegen einen Beschluss, mit dem das Verwaltungsgericht die Beschwerde an eine andere Stelle weiterleitet, ist demnach eine abgesonderte Revision nicht zulässig (vgl. z.B. ; , Ra 2018/03/0072, mwN). Gleiches muss auch für die „formlose“ Verständigung über die Weiterleitung (Rückleitung) samt Mitteilung der Ansicht des Bundesfinanzgerichts gelten, die der Bekanntgabe des Inhalts des verfahrensleitenden Beschlusses entspricht.
32 Eine Einstellung des Verfahrens sieht die BAO in der vorliegenden Verfahrenskonstellation nicht vor (vgl. hingegen § 284 Abs. 2 BAO). Der Umstand, dass nach Auffassung des Bundesfinanzgerichts ein Vorlageantrag nicht eingebracht wurde, führt nicht dazu, dass das Bundesfinanzgericht eine Einstellung des Verfahrens auszusprechen hätte. Es ist vielmehr - wie bereits dargelegt - mittels verfahrensleitendem Beschluss die Beschwerde an die Abgabenbehörde zurückzuleiten; die Parteien sind darüber in Kenntnis zu setzen.
33 In der Literatur (vgl. z.B. Ritz/Koran, BAO7, § 281a Tz 11) wird zur Einstellung in diesem Zusammenhang vor allem auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , Ro 2014/13/0035, verwiesen. Jenem Erkenntnis lag zu Grunde, dass während des anhängigen Beschwerdeverfahrens die beschwerdeführende Partei (eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung) „untergegangen“ war (vollbeendet wurde). Das Bundesfinanzgericht stellte das Beschwerdeverfahren daraufhin ein. Der Verwaltungsgerichtshof wies die dagegen vom Finanzamt erhobene Revision als unbegründet ab. Der Verwaltungsgerichtshof führte dazu in seiner Begründung insbesondere aus:
„Ist demnach von der Vollbeendigung der GmbH auszugehen, so führt auch der in der Revision vertretene Standpunkt, die ‚Einstellung des Beschwerdeverfahrens mit Beschluss‘ sei ‚nach den Bestimmungen der Bundesabgabenordnung nicht vorgesehen‘, nicht zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses. Die Revision selbst verweist auf § 278 Abs. 1 lit. b BAO, wonach die Bescheidbeschwerde in den Fällen des § 256 Abs. 3 BAO (Zurücknahme der Beschwerde) und des § 261 BAO (Fälle, in denen dem Beschwerdebegehren Rechnung getragen wurde) mit Beschluss des Verwaltungsgerichtes ‚als gegenstandslos ... zu erklären‘ ist. Dies entspricht den Fällen des schon erwähnten § 33 Abs. 1 VwGG und damit der Vorschrift, die nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sinngemäß anzuwenden ist, wenn es zu einem ‚Wegfall der Rechtspersönlichkeit‘ der beschwerdeführenden (revisionswerbenden) Partei kommt. Dass die zitierten Bestimmungen der BAO nur die ‚Gegenstandsloserklärung‘ der Bescheidbeschwerde vorsehen, wohingegen die Beschwerde (Revision) nach § 33 Abs. 1 VwGG ‚als gegenstandslos geworden zu erklären und das Verfahren einzustellen‘ ist, macht im Ergebnis keinen Unterschied, weil auch die vorliegende Revision nicht den Standpunkt vertritt, das Verfahren über eine Bescheidbeschwerde sei nach deren Gegenstandsloserklärung fortzuführen.“
34 Diese Erwägungen können auf Erledigungen im Zusammenhang mit § 281a BAO nicht übertragen werden. Eine „Einstellung“ des Verfahrens intendiert, das Verfahren (endgültig) zu beenden. Eine Rückleitung (samt Verständigung) wird aber in vielen Fällen keine endgültige Verfahrensbeendigung zum Inhalt haben. Das Verfahren soll vielmehr regelmäßig später - wie auch im vorliegenden Verfahren - fortgesetzt werden.
35 Im Erkenntnis vom , Ra 2017/13/0010, wurde auch darauf verwiesen, dass ein Fall eines zumindest vermeintlich falschen Einschreitens mit Weiterleitung „auf Gefahr des Einschreiters“ (vgl. nunmehr § 53 BAO) bei der hier vorzunehmenden Rückleitung nicht vorliegt. Auch ein Erlöschen von Entscheidungspflichten selbst durch falsche Weiterleitungen kann in derartigen Fällen nicht angenommen werden. Verneint das Bundesfinanzgericht zu Unrecht seine Zuständigkeit, so ist die Entscheidungspflicht nach Ablauf der in § 291 BAO normierten Frist auch dann verletzt, wenn das Bundesfinanzgericht die Beschwerde an das nicht mehr zuständige Finanzamt zurückgeleitet hat. Diese Ansicht wurde - wie aus den zitierten Materialien zum Jahressteuergesetz 2018 hervorgeht - vom Gesetzgeber gebilligt.
36 Entgegen der Ansicht in der Literatur (vgl. neuerlich Ritz/Koran, BAO7, § 281a Tz 11; vgl. auch Koran, ZSS 2019, 96 ff) ist eine derartige Verfahrenseinstellung auch keineswegs „notwendig“. Der verfahrensleitende Beschluss (als die verfassungsrechtlich gebotene Erledigungsform) besteht bereits in der verfahrensleitenden Anordnung der Weiterleitung (Rückleitung). Auch Weiterleitungen nach § 6 AVG oder solche nach § 62 VwGG iVm § 6 AVG (etwa die Weiterleitung von entgegen § 24 Abs. 1 VwGG unmittelbar beim Verwaltungsgerichtshof eingebrachten Revisionen an das zuständige Verwaltungsgericht) erfolgen wirksam, ohne dass das Verfahren „eingestellt“ würde.
37 Eine Einstellung des Beschwerdeverfahrens ist daher in Fällen wie hier vorliegend von vornherein nicht auszusprechen. Vor dem Hintergrund der geschilderten Rechtslage ist - bei gesetzeskonformer Interpretation der hier angefochtenen Erledigung - davon auszugehen, dass die vom Bundesfinanzgericht dennoch ausgesprochene „Einstellung“ des Verfahrens nur akzessorisch zur „Verständigung“ (als solche ist die Erledigung auch überschrieben) erfolgen sollte. Eine über den verfahrensleitenden Beschluss (samt Verständigung) hinausgehende Rechtswirksamkeit sollte dieser Einstellung hier nicht zukommen.
38 Die Revision war daher in einem gemäß § 12 Abs. 2 VwGG gebildeten Senat als unzulässig zurückzuweisen.
Wien, am
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Schlagworte | Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Verhältnis der wörtlichen Auslegung zur teleologischen und historischen Auslegung Bedeutung der Gesetzesmaterialien VwRallg3/2/2 |
ECLI | ECLI:AT:VWGH:2023:RO2023130015.J00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
VAAAF-46762