VwGH 26.09.2024, Ra 2024/13/0080
Entscheidungsart: Erkenntnis
Rechtssätze
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Normen | EURallg 32006L0112 Mehrwertsteuersystem-RL Art132 Abs1 litg 32006L0112 Mehrwertsteuersystem-RL Art133 Abs1 32006L0112 Mehrwertsteuersystem-RL Art133 Abs1 lita 62011CJ0174 Zimmermann VORAB 62019CJ0846 Administration de l'Enregistrement VORAB 62021CJ0620 MOMTRADE RUSE LTD VORAB |
RS 1 | Art. 133 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112/EG gestattet es den Mitgliedstaaten, die in Art. 132 Abs. 1 Buchst. g der Richtlinie vorgesehene Steuerbefreiung von der Erfüllung einer oder mehrerer der genannten Bedingungen abhängig zu machen (vgl. Momtrade Ruse, C-620/21, Rn. 47). Insbesondere können die Mitgliedstaaten die Gewährung der Befreiung davon abhängig machen, dass die betreffenden Einrichtungen keine systematische Gewinnerzielung anstreben dürfen; etwaige Gewinne, die trotzdem anfallen, dürfen nicht verteilt, sondern müssen zur Erhaltung oder Verbesserung der erbrachten Leistungen verwendet werden (Art. 133 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie). Diese Beschränkung der Befreiungsregel hat nur Eventualcharakter ("können"). Ein Mitgliedstaat, der es unterlassen hat, die insoweit erforderlichen Maßnahmen zu treffen, kann sich nicht auf sein eigenes Unterlassen berufen, um einem Steuerpflichtigen eine Steuerbefreiung zu verwehren, die dieser nach der Richtlinie in Anspruch nehmen kann (vgl. EuGH C-846/19, Rn. 75). Unter der Voraussetzung, dass sich der Mitgliedstaat aber auf diese Beschränkung gestützt hat, steht der Grundsatz der steuerlichen Neutralität dem nicht entgegen, dass Einrichtungen, die eine systematische Gewinnerzielung anstreben, die Befreiung versagt wird (vgl. Zimmermann, C-174/11, Rn. 55). |
Normen | EURallg VwRallg 32006L0112 Mehrwertsteuersystem-RL Art132 Abs1 litg 32006L0112 Mehrwertsteuersystem-RL Art133 Abs1 62019CJ0846 Administration de l'Enregistrement VORAB 62021CJ0620 MOMTRADE RUSE LTD VORAB |
RS 2 | Das Unionsrecht legt die Voraussetzungen und Modalitäten der Anerkennung als Einrichtung mit sozialem Charakter nicht fest. Es ist daher grundsätzlich Sache des innerstaatlichen Rechts jedes Mitgliedstaats, die Regeln aufzustellen, nach denen diesen Einrichtungen eine solche Anerkennung gewährt werden kann. Die Mitgliedstaaten verfügen insoweit über ein Ermessen (vgl. EuGH C-846/19, Rn. 69). Die nationalen Behörden haben bei der Anerkennung des sozialen Charakters von Einrichtungen, die keine Einrichtungen des öffentlichen Rechts sind, im Einklang mit dem Unionsrecht und unter Kontrolle der nationalen Gerichte mehrere Gesichtspunkte zu berücksichtigen. Zu ihnen können das Bestehen spezifischer Vorschriften, das mit den Tätigkeiten des betreffenden Steuerpflichtigen verbundene Gemeinwohlinteresse, die Tatsache, dass andere Steuerpflichtige mit den gleichen Tätigkeiten bereits in den Genuss einer ähnlichen Anerkennung kommen, und der Gesichtspunkt zählen, dass die Kosten der fraglichen Leistungen unter Umständen zum großen Teil von Krankenkassen oder anderen Einrichtungen der sozialen Sicherheit übernommen werden, insbesondere, wenn die privaten Wirtschaftsteilnehmer vertragliche Beziehungen zu diesen Einrichtungen unterhalten (vgl. EuGH C-846/19, Rn. 70; C-620/21, Rn. 91). Nur wenn der Mitgliedstaat die Grenzen seines Ermessens nicht eingehalten hat, kann sich ein Steuerpflichtiger auf die in Art. 132 Abs. 1 Buchst. g der Richtlinie 2006/112/EG vorgesehene Steuerbefreiung berufen, um sich einer nationalen Regelung zu widersetzen, die mit dieser Bestimmung unvereinbar ist (vgl. EuGH C-846/19, Rn. 71). Dabei ist insbesondere der Grundsatz der Gleichbehandlung, der im Mehrwertsteuerbereich im Grundsatz der steuerlichen Neutralität zum Ausdruck kommt, zu berücksichtigen (vgl. EuGH C-620/21, Rn. 93 f). |
Normen | |
RS 3 | Die Tätigkeit des revisionswerbenden Rechtsanwalts als Sachwalter ist insgesamt als unternehmerisch zu beurteilen. Die Tätigkeit wird nachhaltig und (im Allgemeinen) gegen ein Entgelt ausgeübt, das derjenige erhält, der die Leistung erbringt (vgl. EuGH C-846/19, Rn. 47). Der Umstand, dass nicht jede Dienstleistung in einer Höhe vergütet wird, die den durch sie verursachten Kosten entspricht, genügt nicht, um zu belegen, dass die Tätigkeit insgesamt nicht nach Kriterien vergütet wird, die sicherstellen, dass die Betriebskosten des Dienstleistungserbringers gedeckt sind (vgl. EuGH C-846/19, Rn. 51). |
Normen | |
RS 4 | Eine Anerkennung von Einrichtungen als solche mit sozialem Charakter (in Bezug auf Leistungen eines Sachwalters) durch den nationalen Gesetzgeber ist nicht erfolgt. Es entspricht aber der Rechtsprechung des EuGH, dass insoweit auch die Praxis der zuständigen Verwaltung in ähnlichen Fällen zu berücksichtigen ist, welche Einrichtungen als Einrichtungen mit sozialem Charakter anzuerkennen sind (vgl. z.B. Kügler, C-141/00, Rn. 57, zum Einwand der deutschen Regierung, die Anerkennung könne nur durch den Gesetzgeber erfolgen, vgl. aaO, Rn. 48). |
Normen | BAO §34 BAO §39 Z2 EURallg UStG 1994 §2 VereinsR 2001 Rz463 VereinsR 2001 Rz464 VwRallg 32006L0112 Mehrwertsteuersystem-RL Art132 Abs1 litg 32006L0112 Mehrwertsteuersystem-RL Art133 Abs1 lita |
RS 5 | Die Bestimmung 3.2.2 der Vereinsrichtlinien 2001 (Rz 463 und 464) beinhaltet lediglich eine allgemeine, für sämtliche gemeinnützige Körperschaften, Personenvereinigungen und Vermögensmassen angenommene Abgrenzung von unternehmerischen zu nichtunternehmerischen Tätigkeiten. Sie ist aber nicht dahin zu verstehen, dass damit eine Anerkennung einer Einrichtung als solche mit sozialem Charakter iSd Art. 132 Abs. 1 lit. g der Richtlinie 2006/112/EG und eine darauf gestützte Umsatzsteuerbefreiung erfolgen sollte. Selbst wenn man dieser Bestimmung im Ergebnis (auch) eine derartige Anerkennung (als soziale Einrichtung) unterstellen würde, ist aber zu bemerken, dass diese Anerkennung nur betreffend jene Einrichtungen erfolgte, die als "gemeinnützig" (iSd §§ 34 ff BAO) anzusehen sind. Voraussetzung ist hiefür somit u.a., dass die Körperschaft keinen Gewinn erstreben darf; die Mitglieder dürfen keine Gewinnanteile erhalten (§ 39 Z 2 BAO). Demnach wurde aber im Rahmen dieser (allfälligen) Anerkennung gleichzeitig und in identer Rechtsqualität auch die fakultative Beschränkung des Art. 133 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2006/112/EG ausgeübt. |
Entscheidungstext
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bachler, die Hofräte MMag. Maislinger und Dr. Sutter sowie die Hofrätinnen Dr. Reinbacher und Dr.in Lachmayer als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Lukacic-Marinkovic, über die Revision des Dr. B in W, vertreten durch MMag. Dr. Christoph Urtz, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Wollzeile 1-3, Stiege 3, 3.1, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom , Zl. RV/7100179/2022, betreffend Antrag auf Aufhebung gemäß § 299 BAO (Umsatzsteuer 2014), zu Recht erkannt:
Spruch
Die Revision wird als unbegründet abgewiesen.
Begründung
1 Der Revisionswerber ist Rechtsanwalt. Er erzielt als solcher (überwiegend) Umsätze aus der Tätigkeit als gerichtlich bestellter Sachwalter.
2 Zum bisherigen Verfahrensgeschehen ist eingangs auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , Ra 2019/13/0025, zu verweisen. Daraus ist hervorzuheben, dass der Umsatzsteuerbescheid für das Jahr 2014 am erklärungsgemäß erging. Mit Eingabe vom begehrte der Revisionswerber die Aufhebung und Abänderung dieses Bescheides gemäß § 299 BAO. Aus Art. 132 Abs. 1 Buchstabe g der Richtlinie 2006/112/EG ergebe sich, dass die Tätigkeit als Sachwalter von der Umsatzsteuer zu befreien sei. Das Finanzamt wies mit Bescheid vom diesen Antrag ab. Der Revisionswerber erhob gegen diesen Bescheid Beschwerde. Nach Beschwerdevorentscheidung des Finanzamts und Vorlageantrag des Revisionswerbers wies das Bundesfinanzgericht die Beschwerde mit Erkenntnis vom als unbegründet ab. Mit dem eingangs erwähnten Erkenntnis hob der Verwaltungsgerichtshof diese Entscheidung des Bundesfinanzgerichts wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes auf.
3 Das Bundesfinanzgericht holte in der Folge eine Stellungnahme des Finanzamtes ein. Das Finanzamt führte aus, nach der im Streitzeitraum geübten allgemeinen Verwaltungspraxis seien weder Sachwaltervereine noch andere Steuerpflichtige, die Sachwalterleistungen erbracht hätten, als Einrichtungen mit sozialem Charakter iSd Art. 132 Abs. 1 Buchst. g der Richtlinie 2006/112/EG anerkannt und deswegen von der Umsatzsteuer befreit gewesen. Bei den vier Sachwaltervereinen (Verordnung BGBl. II Nr. 117/2007) handle es sich um gemeinnützige Vereine. Insbesondere fehle diesen eine Gewinnerzielungsabsicht bei der Ausübung ihrer Tätigkeit. Die Tätigkeiten von drei Sachwaltervereinen seien im Streitjahr als nichtunternehmerisch beurteilt und behandelt worden. Die Entlastung von der Umsatzsteuer für diese Vereine ergebe sich daraus, dass sie mit ihren Tätigkeiten gar nicht unternehmerisch tätig seien. Die Tätigkeit eines der Sachwaltervereine sei hingegen als unternehmerisch qualifiziert und dessen Leistungen als steuerpflichtig beurteilt worden; auch dieser Verein sei nicht als Einrichtung mit sozialem Charakter anerkannt worden. Diese Beurteilung entspreche den im Streitzeitraum anzuwendenden Rechts- und Verwaltungsvorschriften, wonach eine unternehmerische Tätigkeit zu verneinen sei, wenn sich der Steuerpflichtige nicht „marktkonform“ verhalte. Dies sei anhand einer Prüfung der Gesamtumstände, also anhand eines Vergleichs zwischen den Umständen, unter denen der Betreffende die Tätigkeiten ausübe, und den Umständen, unter denen die entsprechende wirtschaftliche Tätigkeit gewöhnlich ausgeübt werde, zu beurteilen. Bei dieser Prüfung sei das Vorliegen der Gemeinnützigkeitsvoraussetzungen mit dem Fehlen jeglicher Gewinnerzielungsabsicht nicht nur ein Indiz für das Fehlen einer unternehmerischen Tätigkeit, sondern auch ein maßgebliches Kriterium, worin sich die Ausübungsmodalitäten der nichtunternehmerisch tätigen Vereine von denen des Revisionswerbers unterschieden.
4 Der Revisionswerber bestritt dieses Darstellung in mehreren Äußerungen. Insbesondere machte er geltend, die in Rz 463 VereinsR 2001 enthaltene Anweisung könne sich nur auf Art. 132 Abs. 1 Buchst. g der Richtlinie 2006/112/EG stützen.
5 Mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesfinanzgericht die Beschwerde (neuerlich) als unbegründet ab. Es sprach aus, dass eine ordentliche Revision nicht zulässig sei.
6 Nach Schilderung des Verfahrensgeschehens führte das Bundesfinanzgericht im Wesentlichen aus, der Revisionswerber habe im Jahr 2014 als Rechtsanwalt überwiegend Umsätze aus der Tätigkeit als gerichtlich bestellter Sachwalter erzielt. In rund 80% der Fälle stehe nicht die Anwaltsleistung, sondern die reine Sachwalterschaftsleistung für Personenobsorge im Vordergrund. Für diese Tätigkeiten habe der Revisionswerber „Entschädigungen“ gemäß § 276 Abs. 1 ABGB erhalten. Nur rund 20% beträfen anwaltliche Entgelte gemäß § 276 Abs. 2 ABGB. Neben Rechtsanwälten (Rechtsanwaltsanwärtern) und Notaren (Notariatskandidaten) hätten im Jahr 2014 auch sonstige geeignete und einer behinderten Person nahestehende (natürliche) Personen und weiters Sachwaltervereine (§ 279 Abs. 3 ABGB iVm Verordnung BGBl. II Nr. 117/2007) Sachwalterleistungen erbracht. Die vier in jener Verordnung genannten Vereine seien im Streitzeitraum von der Finanzverwaltung als gemeinnützig iSd §§ 34 ff BAO anerkannt worden. In Übereinstimmung mit VereinsR 2001 Rz 463 seien drei der vier Vereine im Streitzeitraum von der Finanzverwaltung als Nichtunternehmer behandelt worden. Ein Verein sei hingegen in Übereinstimmung mit VereinsR 2001 Rz 464 als Unternehmer behandelt worden; die von diesem für die Sachwalterleistungen erzielten Umsätze seien im Streitzeitraum von der Finanzverwaltung als umsatzsteuerpflichtig behandelt worden.
7 Eine Anerkennung der Sachwaltervereine als Einrichtungen mit sozialem Charakter iSd Art. 132 Abs. 1 Buchst. g der Richtlinie 2006/112/EG sei seitens der Finanzverwaltung im Streitjahr nicht erfolgt. Es existiere keine allgemeine Anweisung (z.B. ein Erlass), die eine Anerkennung der Sachwaltervereine als Einrichtung mit sozialem Charakter zum Gegenstand habe.
8 Die Entschädigungen für die Tätigkeiten von der behinderten Person nahestehenden Personen, die als gerichtlich bestellte Sachwalter tätig werden, seien, sofern diese Personen mit ihren Sachwaltertätigkeiten überhaupt unternehmerisch tätig gewesen seien, von der Finanzverwaltung in den Streitjahren als umsatzsteuerpflichtig behandelt worden, sofern nicht die Kleinunternehmerbefreiung zur Anwendung gelangt sei. Es existiere keine allgemeine Anweisung (z.B. ein Erlass), die eine Anerkennung dieser Personen als Einrichtung mit sozialem Charakter zum Gegenstand habe.
9 Für eine Anerkennung des Revisionswerbers als Einrichtung mit sozialem Charakter sprächen lediglich das Bestehen spezifischer Vorschriften und das mit der Tätigkeit des Revisionswerbers verbundene Gemeinwohlinteresse. Demgegenüber seien das Entgelt und die Entschädigung des Sachwalters in Österreich nicht von öffentlichen Stellen, sondern grundsätzlich von der betroffenen Person selbst zu tragen. Ebenso spreche der Vergleich mit der steuerlichen Behandlung anderer Steuerpflichtiger gegen eine Anerkennung des Revisionswerbers als Einrichtung mit sozialem Charakter. Im Rahmen der Gesamtabwägung sei sohin auf die Sachwalterschaftsleistungen des Revisionswerbers keine Umsatzsteuerbefreiung anzuwenden.
10 Der Antrag auf Aufhebung des Umsatzsteuerbescheides für das Jahr 2014 sei somit zu Recht abgewiesen worden.
11 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Revision. Zur Zulässigkeit wird u.a. geltend gemacht, das Bundesfinanzgericht gehe zu Unrecht davon aus, dass es keine allgemeine Verwaltungspraxis gebe, die anderen Steuerpflichtigen eine Befreiung gemäß Art. 132 Abs. 1 Buchst. g der Richtlinie 2006/112/EG gewähren würde; Rz 463 VereinsR 2001 sei eine solche allgemeine Anweisung in unmittelbarer Anwendung der Richtlinienbestimmung.
12 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
13 Die Revision ist zulässig, aber nicht begründet.
14 Zur anwendbaren Rechtslage kann eingangs auf den Beschluss vom , Ra 2019/13/0025 (EU 2019/0007), sowie auf das Erkenntnis vom , Ra 2019/13/0025, verwiesen werden.
15 Gemäß Artikel 132 Abs. 1 Buchst. g der Richtlinie 2006/112/EG sind (u.a.) eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundene Dienstleistungen, die durch Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder andere von dem betreffenden Mitgliedstaat als Einrichtungen mit sozialem Charakter anerkannte Einrichtungen bewirkt werden, von den Mitgliedstaaten von der Steuer zu befreien (vgl. Administration de l’Enregistrement, des Domaines et de la TVA, C-846/19, Rn. 58).
16 Art. 133 Abs. 1 der Richtlinie gestattet es den Mitgliedstaaten, die in Art. 132 Abs. 1 Buchst. g der Richtlinie vorgesehene Steuerbefreiung von der Erfüllung einer oder mehrerer der genannten Bedingungen abhängig zu machen (vgl. Momtrade Ruse, C-620/21, Rn. 47). Insbesondere können die Mitgliedstaaten die Gewährung der Befreiung davon abhängig machen, dass die betreffenden Einrichtungen keine systematische Gewinnerzielung anstreben dürfen; etwaige Gewinne, die trotzdem anfallen, dürfen nicht verteilt, sondern müssen zur Erhaltung oder Verbesserung der erbrachten Leistungen verwendet werden (Art. 133 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie). Diese Beschränkung der Befreiungsregel hat nur Eventualcharakter („können“). Ein Mitgliedstaat, der es unterlassen hat, die insoweit erforderlichen Maßnahmen zu treffen, kann sich nicht auf sein eigenes Unterlassen berufen, um einem Steuerpflichtigen eine Steuerbefreiung zu verwehren, die dieser nach der Richtlinie in Anspruch nehmen kann (vgl. EuGH C-846/19, Rn. 75). Unter der Voraussetzung, dass sich der Mitgliedstaat aber auf diese Beschränkung gestützt hat, steht der Grundsatz der steuerlichen Neutralität dem nicht entgegen, dass Einrichtungen, die eine systematische Gewinnerzielung anstreben, die Befreiung versagt wird (vgl. Zimmermann, C-174/11, Rn. 55).
17 Das Unionsrecht legt die Voraussetzungen und Modalitäten der Anerkennung als Einrichtung mit sozialem Charakter nicht fest. Es ist daher grundsätzlich Sache des innerstaatlichen Rechts jedes Mitgliedstaats, die Regeln aufzustellen, nach denen diesen Einrichtungen eine solche Anerkennung gewährt werden kann. Die Mitgliedstaaten verfügen insoweit über ein Ermessen (vgl. EuGH C-846/19, Rn. 69).
18 Die nationalen Behörden haben bei der Anerkennung des sozialen Charakters von Einrichtungen, die keine Einrichtungen des öffentlichen Rechts sind, im Einklang mit dem Unionsrecht und unter Kontrolle der nationalen Gerichte mehrere Gesichtspunkte zu berücksichtigen. Zu ihnen können das Bestehen spezifischer Vorschriften, das mit den Tätigkeiten des betreffenden Steuerpflichtigen verbundene Gemeinwohlinteresse, die Tatsache, dass andere Steuerpflichtige mit den gleichen Tätigkeiten bereits in den Genuss einer ähnlichen Anerkennung kommen, und der Gesichtspunkt zählen, dass die Kosten der fraglichen Leistungen unter Umständen zum großen Teil von Krankenkassen oder anderen Einrichtungen der sozialen Sicherheit übernommen werden, insbesondere, wenn die privaten Wirtschaftsteilnehmer vertragliche Beziehungen zu diesen Einrichtungen unterhalten (vgl. EuGH C-846/19, Rn. 70; C-620/21, Rn. 91).
19 Nur wenn der Mitgliedstaat die Grenzen seines Ermessens nicht eingehalten hat, kann sich ein Steuerpflichtiger auf die in Art. 132 Abs. 1 Buchst. g der Richtlinie 2006/112/EG vorgesehene Steuerbefreiung berufen, um sich einer nationalen Regelung zu widersetzen, die mit dieser Bestimmung unvereinbar ist (vgl. EuGH C-846/19, Rn. 71). Dabei ist insbesondere der Grundsatz der Gleichbehandlung, der im Mehrwertsteuerbereich im Grundsatz der steuerlichen Neutralität zum Ausdruck kommt, zu berücksichtigen (vgl. EuGH C-620/21, Rn. 93 f).
20 Strittig ist im nunmehrigen Revisionsverfahren die Frage, ob der Revisionswerber von dem betreffenden Mitgliedstaat als eine mit sozialem Charakter anerkannte Einrichtung zu beurteilen ist. Unbestritten ist dazu, dass (im Sinne der genannten Rechtsprechung) entsprechende spezifische Vorschriften für die Tätigkeit als Sachwalter bestehen und mit dieser Tätigkeit Gemeinwohlinteresse verbunden ist.
21 Der Sache nach unbestritten ist auch, dass die „Entschädigung“ des Sachwalters (§ 276 Abs. 1 ABGB) nicht von öffentlichen Stellen, sondern von der betroffenen Person selbst zu tragen ist; diese Ansprüche des Sachwalters bestehen insoweit nicht, als durch sie die Befriedigung der Lebensbedürfnisse des Pflegebefohlenen gefährdet wäre.
22 Der Revisionswerber macht dazu geltend, dass im zuletzt genannten Fall der mit der Tätigkeit verbundene Aufwand letztlich vom Sachwalter selbst getragen werde, was - bei einer Anerkennung des Revisionswerbers als Einrichtung mit sozialem Charakter - einer Tragung der Kosten durch die genannten Einrichtungen gleichkomme. Zu diesem Vorbringen ist zu bemerken, dass es nach der Rechtsprechung des EuGH ein Gesichtspunkt sein kann, dass die Kosten der fraglichen Leistungen „zum großen Teil“ von den genannten Einrichtungen übernommen werden (vgl. dazu etwa Zimmermann, C-174/11, Rn. 34 ff: Ermessen nicht überschritten, wenn verlangt wird, dass in zwei Drittel der Fälle die Kosten von den genannten Einrichtungen getragen werden). Dass im vorliegenden Fall diese Kosten zu einem vergleichbar großen Teil vom Revisionswerber selbst getragen werden, wird von ihm (auch in der Revision) nicht behauptet, sodass dieser Umstand im Rahmen der Gesamtabwägung nicht maßgeblich ins Gewicht fallen kann. Vor diesem Hintergrund ist auch der Anregung des Revisionswerbers, zu dieser Frage neuerlich ein Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH zu richten, nicht näherzutreten.
23 Dass aber die Tätigkeit des Revisionswerbers als Sachwalter insgesamt als unternehmerisch zu beurteilen ist, wird (auch in der Revision) nicht bestritten. Die Tätigkeit wird nachhaltig und (im Allgemeinen) gegen ein Entgelt ausgeübt, das derjenige erhält, der die Leistung erbringt (vgl. EuGH C-846/19, Rn. 47). Der Umstand, dass nicht jede Dienstleistung in einer Höhe vergütet wird, die den durch sie verursachten Kosten entspricht, genügt nicht, um zu belegen, dass die Tätigkeit insgesamt nicht nach Kriterien vergütet wird, die sicherstellen, dass die Betriebskosten des Dienstleistungserbringers gedeckt sind (vgl. neuerlich EuGH C-846/19, Rn. 51).
24 Zur Frage, ob anderen Steuerpflichtigen (u.a. Vereinen) bereits eine vergleichbare Anerkennung gewährt wurde, führen die Abgabenbehörde und das Bundesfinanzgericht aus, eine derartige Anerkennung sei nicht erfolgt. Die Sachwaltervereine, deren Leistungen nicht der Umsatzsteuer unterworfen würden, seien nichtunternehmerisch tätig; verwiesen wird dazu auch auf die Liebhabereivermutung in VereinsR 2001 Rz 463. Der Revisionswerber macht hingegen geltend, bei VereinsR 2001 Rz 463 handle es sich um eine allgemeine Verwaltungsanweisung zur Umsatzsteuerbefreiung; diese Regelung könne nur auf Art. 132 Abs. 1 Buchst. g der Richtlinie 2006/112/EG gestützt werden, da sonst keine Rechtsgrundlage für die fiktive Anwendung der Liebhabereivermutung in Betracht komme.
25 Zunächst ist festzuhalten, dass unbestritten eine Anerkennung von Einrichtungen als solche mit sozialem Charakter (in Bezug auf Leistungen eines Sachwalters) durch den nationalen Gesetzgeber nicht erfolgt ist. Es entspricht aber der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, dass insoweit auch die Praxis der zuständigen Verwaltung in ähnlichen Fällen zu berücksichtigen ist, welche Einrichtungen als Einrichtungen mit sozialem Charakter anzuerkennen sind (vgl. z.B. Kügler, C-141/00, Rn. 57, zum Einwand der deutschen Regierung, die Anerkennung könne nur durch den Gesetzgeber erfolgen, vgl. aaO, Rn. 48).
26 Nach den unbestrittenen Sachverhaltsannahmen wurden drei (von vier) Sachwaltervereinen von der Finanzverwaltung als Nichtunternehmer behandelt (der vierte Sachwalterverein hingegen als Unternehmer); deren Leistungen unterlagen daher nicht der Umsatzsteuer.
27 Die Vereinsrichtlinien 2001 (in der Fassung vom ), auf welche das Bundesfinanzgericht und insbesondere der Revisionswerber verweisen, lauten auszugsweise:
„3.2.2 Liebhaberei
3.2.2.1 Liebhabereivermutung bei Betrieben gemäß § 45 Abs. 1 und 2 BAO
463
Bei Körperschaften, Personenvereinigungen und Vermögensmassen, die gemeinnützigen, mildtätigen oder kirchlichen Zwecken dienen (§§ 34 bis 38 BAO), kann davon ausgegangen werden, dass die im Rahmen von wirtschaftlichen Geschäftsbetrieben nach § 45 Abs. 1 und 2 BAO ausgeübten Tätigkeiten unter die Regelung des § 2 Abs. 5 Z 2 UStG 1994 fallen.
Eine nichtunternehmerische Tätigkeit ist jedenfalls dann anzunehmen, wenn die Umsätze des wirtschaftlichen Geschäftsbetriebes jährlich regelmäßig unter 2.900 Euro liegen.
3.2.2.2 Keine Anwendung der Liebhabereivermutung
464
Im Hinblick darauf, dass gemäß § 6 der Liebhabereiverordnung, BGBl. Nr. 33/1993 idgF, grundsätzlich auch bei Körperschaften, Personenvereinigungen und Vermögensmassen, die gemeinnützigen, mildtätigen oder kirchlichen Zwecken dienen, Liebhaberei im umsatzsteuerlichen Sinn nur bei Betätigungen iSd § 1 Abs. 2 Liebhabereiverordnung vorliegen könnte (), kann die Liebhabereivermutung nach Rz 463 erster Satz, soweit sie sich auf andere wirtschaftliche Tätigkeiten iSd § 2 Abs. 1 UStG 1994 bezieht, nicht gegen den Willen des Unternehmers angewendet werden. Die 2.900 Euro Bagatellgrenze (Rz 463 zweiter Satz) ist jedoch zu beachten. Will der Unternehmer die Liebhabereivermutung nach Rz 463 erster Satz nicht anwenden, bedarf es keiner gesonderten Erklärung gegenüber dem Finanzamt, sondern es genügt die Abgabe von Voranmeldungen und Jahreserklärungen oder auch die Abgabe der Verzichtserklärung auf die Anwendung der Kleinunternehmerbefreiung (vgl. Rz 520).“
28 Die zitierte Bestimmung beinhaltet lediglich eine allgemeine, für sämtliche gemeinnützige Körperschaften, Personenvereinigungen und Vermögensmassen angenommene Abgrenzung von unternehmerischen zu nichtunternehmerischen Tätigkeiten. Sie ist aber nicht dahin zu verstehen, dass damit eine Anerkennung einer Einrichtung als solche mit sozialem Charakter iSd Art. 132 Abs. 1 lit. g der Richtlinie 2006/112/EG und eine darauf gestützte Umsatzsteuerbefreiung erfolgen sollte. Selbst wenn man der Revision folgen würde und dieser Bestimmung im Ergebnis (auch) eine derartige Anerkennung (als soziale Einrichtung) unterstellen würde, ist aber zu bemerken, dass diese Anerkennung nur betreffend jene Einrichtungen erfolgte, die als „gemeinnützig“ (iSd §§ 34 ff BAO) anzusehen sind. Voraussetzung ist hiefür somit u.a., dass die Körperschaft keinen Gewinn erstreben darf; die Mitglieder dürfen keine Gewinnanteile erhalten (§ 39 Z 2 BAO). Demnach wurde aber im Rahmen dieser (allfälligen) Anerkennung gleichzeitig und in identer Rechtsqualität auch die fakultative Beschränkung des Art. 133 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2006/112/EG ausgeübt.
29 Im Hinblick auf die Ausübung dieser Beschränkung (wodurch - wie bereits dargelegt - die steuerliche Neutralität nicht verletzt ist) steht dem Revisionswerber, der unbestritten die Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2006/112/EG nicht erfüllt, die geltend gemachte Steuerbefreiung nicht zu.
30 Der Inhalt der Revision lässt somit erkennen, dass die vom Revisionswerber behaupteten Rechtsverletzungen nicht vorliegen. Die Revision war daher gemäß § 35 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren als unbegründet abzuweisen.
Wien, am
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Normen | ABGB §271 ABGB §276 Abs1 BAO §34 BAO §39 Z2 EURallg UStG 1994 §2 UStG 1994 §2 Abs1 VereinsR 2001 Rz463 VereinsR 2001 Rz464 VwRallg 32006L0112 Mehrwertsteuersystem-RL Art132 Abs1 litg 32006L0112 Mehrwertsteuersystem-RL Art133 Abs1 32006L0112 Mehrwertsteuersystem-RL Art133 Abs1 lita 62000CJ0141 Kügler VORAB 62011CJ0174 Zimmermann VORAB 62019CJ0846 Administration de l'Enregistrement VORAB 62021CJ0620 MOMTRADE RUSE LTD VORAB |
Schlagworte | Ermessen VwRallg8 Gemeinschaftsrecht Richtlinie EURallg4 Verwaltungsrecht allgemein Rechtsquellen VwRallg1 |
ECLI | ECLI:AT:VWGH:2024:RA2024130080.L00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
XAAAF-46449